Der Pfau von Phillia (Deutschland, das sind wir selber) ================================================================================ Kapitel 27: 27 - Kleine Welt ---------------------------- Eine kleine Insel, umspült von wogenden Wellen, ragte inmitten der Ostsee auf. Sie war nicht groß, aber groß genug für ein paar Familien, die hier schon seit Jahrhunderten lebten und starben, gemeinsam mit den Fischen um sie herum. Die Sonne stand hoch am Himmel – es war Sonntag, der freie Tag für all die Fischermänner, und Fritz saß an einem der wenigen Teiche auf der Insel und hatte seine Angel tief im Wasser versunken. Es gab keine Fische in diesem Teich, aber das machte ihm nichts aus. Er angelte nicht, um Fische zu angeln, sondern, um an einem Teich sitzen zu können und das Leben genießen zu können. So gesehen handelte er nicht aus einer Maxime des profitorientierten Sinnes heraus, sondern aus rein hedonistisch motivierten Gründen heraus – er tat, was er tat, allein aus dem Handeln der Tat heraus. Neben ihm saß sein etwas jüngerer Nachbar und hatte ebenfalls eine Angel im Wasser hängen. Wie immer waren die Lippen des jungen Mannes fest verschlossen, aber das war Fritz nur Recht. Immerhin schenkte er ihm jeden Tag Beachtung, wenn sie gemeinsam auf See fuhren, und manchmal hörte er ihm sogar zu, im seltenen Falle, dass Fritz überhaupt etwas zu sagen hatte. Zur Vorsicht, falls sich doch ein Fisch in diesen Teich verirrt haben sollte, hatte Arndt den Haken von seiner Angel entfernt. Das würde schließlich schmerzen, und das wollte er, wenn es möglich war, auf jeden Fall vermeiden. Die beiden schwiegen, bis die Sonne eine komplette Runde gedreht hatte, vom Anfang des Horizonts bis zum Ende und das Meer blutrot gefärbt hatte. Erst dann erklang die helle Stimme von Arndts Zwillingsschwester, die die beiden Männer rief, auf dass sie heimkehren sollten. Die beiden machten sich schweigend auf den Weg. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie die zwanzig Meter zurück zu dem Haus von Fritz und seinem Bruder zurückgelegt hatten. Heute war ein festlicher Tag, und Fritz' Schwester Friederike war vom Festland zurückgekehrt, nur, um diesen feierlichen Tag mit ihrer Familie verbringen zu können, auf der Insel, auf der sie groß geworden war. Sie arbeitete in der Weltmetropole Schwerin als Sekretärin, und man hatte sie seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Während Anna in der kleinen Küche stand und Knieper, ein Gericht, das sie von ihrer aus Helgoland stammenden Großmutter erlent hatte, zubereitete, hatte sich Friederike mit den drei Schmetterlingen, die auf ihren kurzen Haaren saßen und sich an sie schmeigten, es auf einem der kühlen Holzstühle bequem gemacht. Die kurzen, aber in einem dezenten Blau lackierten Nägel lagen auf dem Holztisch, von dem sich schon manches Kind einen Splitter gezogen hatte. Sie hatte einige Zeit lang mit diesem Bauerntrottelkind verbringen müssen. Oh, sie hatte nichts gegen ihr Zuhause, sie liebte ihre Heimat, aber sie war froh, dass sie nur einmal im Jahr zurückkehren musste. Man sollte sich doch einfach mal Anna ansehen, eine ehemals gute Freundin von ihr, wie sie mit diesem altmodischen Kleid in der Küche herumwuselte, als wäre es ihre Bestimmung. Außerdem hatte sie scheinbar noch nie ein Glätteisen gesehen, geschweige denn ein Shampoo – zumindest aus Friederikes Sicht heraus. Sie nahm einen Schluck des starken Kaffees und beobachtete, wie ihr Bruder und Arndt direkt durch die Küchentür in das Haus eintraten. Fritz hob die Hand zum Gruße und lächelte. Arndt lächelte auch und schob seine von Friederike geschätzten fünfundachtzig Kilogramm Walfett auf den Stuhl neben ihr. Scheu blickte er sie an und dann lagen seine Hände ein paar Zentimeter neben ihren eigenen auf dem Tisch. Sie legte die Hände in den Schoß. „Guten Tag, Brüderchen. Hallo, Arndt. Schön, euch wiederzusehen.“ begrüßte sie die beiden. Als Arndt sprach, war seine Stimme wie immer sachte, sanft, ja geradezu verträumt. „Es ist so schön, dich wiederzusehen...“ Gegen Ende hin verlief seine Stimme wie ein Bächlein Wasser im Sand. Sie lächelte nicht, als sie mit einem abweisenden „Ja.“ antwortete. Aber diese Ablehnung würde er vermutlich nicht verstehen – ob er es nicht wollte oder nicht konnte war die andere Frage. Es dauerte eine Weile, bis die vier an einem Tisch saßen und Annas Essen schweigend (Arndt, Fritz, Friederike) oder weniger schweigend (Anna, dadurch gezwungen, mit sich selbst zu reden oder es bleiben zu lassen) verzehrten beziehungsweise genossen. Erst, als sie schon fast fertig waren, kamen zwei zerzauste Gestalten die hölzerne Treppe hinuntergestolpert. Frieder, die Brille hing schief von seinem Nasenrücken, kam als erster an und sein Laborkittel flatterte eindrucksvoll. Das war das erste Mal seit Wochen, dass Fritz seinen Bruder sah – ansonsten saß er immer in seinem geheimen Geheimlabor ein paar Meter in einer kleinen Höhle entfernt und wandte ihm immer kichernd den Rücken zu, wenn er ihn besuchen kam und ihm etwas zu Essen vorbeibrachte. Aber die Ankunft von Anne, die ansonsten in Schleswig-Holstein lebte und ihrer Arbeit nachging – niemand wusste genau, was sie tat, und niemand wollte es wirklich wissen – hatte ihn aus seiner selbst auferlegten Versenkung geholt. Nun, nicht wirklich sie selbst, sondern eher ihre Brüste. „Heeeeey, ist noch was von dem Futter da, hä, hä, häää? Und was ist drin, wieder nur blöder, langweiliger Fisch? Wie wär's mal mit mehr Gemüse, Mais zum Beispiel, oder hey, vielleicht auch mal Fleisch, ja, ich bin für Fleisch! Fritz, wenn du das nächste Mal einkaufen bist, dann komme ich mit und dann zeige ich dir, wie man anständig Fleisch einkauft! Wir brauchen mehr Fleisch, und ich habe ja auch schließlich genug Geld, um-“ Annes Augen leuchteten auf und sie schmiegte sich an Frieder. „Geld, sagtest du?“ schnurrte sie in sein Ohr und knabberte an dem Ohrläppchen. Auf Frieders Gesicht breitete sich ein verklärtes Grinsen aus und er starrte die restlichen vier Anwesenden nur glasig an. „Ist auch egal, das mit dem Essen, ich habe noch was anderes zu tun, ich muss meine Erfindungen erfinden und perfe5ktionieren und ich muss Gänse schlachten und äh ich muss Obst pflücken und mein Gott, Anne!!“ Sein Kopf schien zu explodieren. Anne kicherte verrucht und tänzelte mit ihm gemeinsam in den Garten hinein, und endlich war es wieder still in der kleinen Hütte. „Tee?“ fragte Anna. Arndt nickte. Fritz nickte. Friederike nickte. Die Stille kehrte zurück. Erfüllte, zufriedene Stille kehrte zurück, und die Sonne ging unter, und das Glück und die Zufriedenheit legten ihre ruhigen Flügel über die Insel. Nur das Seewasser plätscherte leise vor sich hin, das einzige, was die Stille durchbrach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)