Der Pfau von Phillia (Deutschland, das sind wir selber) ================================================================================ Kapitel 21: 21 - Rotweiß ------------------------ Offiziell wurde es als Freundschaftsspiel bezeichnet zu Benefizzwecken. Aber als Freundschaftsspiel konnte es nicht bezeichnet werden, denn da herrschte keine Freundschaft. Ein viel treffenderer Name wäre „Ich kann deinen Freund nicht leiden“-Spiel, aber so wurden Fußballmatches im Allgemeinen nicht bezeichnet. Zumindest verfehlte das Spiel seinen Zweck nicht: das Stadion war gerappelt voll und ausverkauft. Die Kapitäne von Hertha BSC und dem VfB Stuttgart reichten sich die Hände, und dann begann die Schlacht der weltoffenen Hauptstadt gegen die Trutzburg des Schwabenländles. Auch die beteiligten Bundesländer waren anwesend, aber in höchst unterschiedlicher Form: Baden und Berlin, dick mit Fanartikeln behängt, jubelten auf der Fantribüne, denn es machte laut Max so mehr Spaß und Paul hatte eh kein Geld für teure Logenplätze. Brandenburg und Württemberg hingegen sahen sich das Spiel aus der überheblichen Perspektive von Logenplätzen aus an, mit einem teuren Büffet an ihrer Seite. Bis zur 45. Minute geschah nicht viel, aber dann traf der VfB in der letzten Minute der Nachspielzeit und die Herthaner kamen eindeutig ins Schwimmen. In der Halbzeitpause hasteten Paul, Max und Karl – ebenfalls als Zuschauer anwesend – hinunter in die Umkleidekabine, und die Anwesenheit von seinem Freund ließ Hertha geradezu vor Freude und Motivation glänzen. Der VfB währenddessen, oder, wie seine wenigen Freunde ihn nannten, „Stuckel“, hatte sich beeilt, hinauf in die mit rotweißen Fahnen drapierte Loge zu gelangen. Er strahlte stolz, und Lukas sah ihn ebenso stolz an, als er eintrat. „Das kann aber noch besser werden, Kleiner!“ Stuckel wandte den Kopf und ließ den Blick von Lukas zu Albrecht und Energie Cottbus – Cott – schweifen. Letzterer hatte gerade eine vor Fett triefende Pommes in ein Glas Mayonnaise getunkt und lächelte etwas debil, aber herzlich. Stuckel lächelte ebenso, allerdings eher arrogant. Er hatte sich diese enervierende Freundschaft aufzwingen lassen, aber so schlimm war es gar nicht. Inzwischen war ihm der seltsame Ossi sogar in einer komischen Weise ans Herz gewachsen, so wie einem Grafen die dummen Bauern in der Umgebung ans Herz wuchsen. Cott beobachtete alle Vorgänge glasklar. Es konnte nur von Vorteil sein, mit einem Klub befreundet zu sein, der so reich und erfolgreich war; zumal sie beide den gemeinsamen Feind in Gestalt des blauweißen Traumpärchens des deutschen Fußballs teilten. Die nächste Pommes erhielt einen roten Überzug. Wenn er sich für diese Freundschaft dümmer stellen musste als er war, weil er VfB daran stand, sich überlegen zu fühlen, dann würde er das tun. Alles, Hauptsache, er hatte jemanden an seiner Seite und musste nicht allein kämpfen... Entspannt ließ sich Stuckel in einen der gemütlichen Ledersessel gleiten, und Cott eilte mit einer Schale Pommes Rot-Weiß an die Lehne, an die Seite des Schwabens. „Auch eine Runde Pommes?“ fragte er mit flirrender Stimme. Ein höchst herablassendes, aber auch liebesvolles Lächeln war die Antwort, und mit einem süffisanten „Ich habe noch eine zweite Halbzeit zu gewinnen.“ nahm er mit gespreiztem kleinen Finger einen einzigen Kartoffelstreifen mit roten und weißen Flecken. Cotts Augen waren groß und er tätschelte Stuckels Kopf, der sich etwas unwillig zur Seite lehnte und Lukas ansah. „Ist Karl auch da? Sieht er, wie ich seinen Schatz in den Boden ramme?“ Lukas zuckte mit den Schultern und blickte zu Albrecht, woraufhin dieser mit einer etwas tonlosen Stimme „Baden ist jedenfalls bei Berlin, sie stehen gemeinsam in der Fankurve.“ antwortete. Ein leises Lachen von Stuckels Seite. „Ja, du spielst echt klasse!!“ jubelte Cott geradezu. Er wollte Hertha leiden sehen, er wollte, dass er dafür bezahlte, dass er sich von ihm abgewandt hatte und stattdessen mit diesem blöden Süddeutschen herumhing. Verfluchter Karl. Was hatte der schon, was Cott nicht hatte? … Pah! Aber Hertha war in Karl verknallt, und es war ja nicht so schlecht, nun mit dem wahrlich erfolgreichen Stuckel befreundet zu sein. Irgendwie mochte er ihn – auf eine verwirrende Art und Weise. Er hätte nach 1990 nie damit gerechnet, sich mit einem Wessi anzufreunden. Aber dann war Stuckel einfach plötzlich in Cottbus aufgetaucht und hatte ihn auf eine Portion Pommes Rot-Weiß eingeladen. Ein paar Monate später hatten sie gegeneinander gespielt, und ein zartes Band der Freundschaft hatte sich aufgebaut, das überraschenderweise bis heute Bestehen hatte. „Geh wieder runter, Schätzele.“ Württemberg tätschelte seinen ganzen Fußballstolz, ehe er ihm auf die Beine half. Bevor Stuckel wieder zurückkehrte zu seinem Teeam, gab er Cott einen Klaps auf die Schulter und schenkte ihm ein seltenes scheues Lächeln. „Viel Erfolg.“ murmelte der Brandenburger ebenso halb eingeschüchtert, ehe der VfB wieder verschwunden war. Kurz nach der Pause fiel ein Tor für Hertha – das blauweiße Meer der Fankurve explodierte; auf der Loge waren die Gesichter lang. „Gegen so einen Zweitligisten?!“ Lukas schien fast panisch zu werden. Albrecht wandte einen leicht angesäuerten Blick zu ihm, erwiderte allerdings nichts – er wollte keine Schwierigkeiten. Cott allerdings, etwas temperamentvoller als sein Bundesland, sah Lukas beleidigt an und flüsterte etwas zu sich selbst, was allerdings ebenfalls verborgen blieb. Das Spiel endete Eins zu Eins – für Hertha ein Sieg, für Stuckel eine Niederlage. Für Hertha ein Sieg, und daher auch für Karl ein Sieg; die beiden machten zusammen mit ihren Bundesländern Berlin unsicher, bevor die beiden Länder vollkommen dicht in einer Bar hängen blieben und die Klubs wie verliebte Schulmädchen kichernd in einem Park verschwanden. Für Stuckel eine Niederlage, und daher auch für Cott eine Niederlage; Stuttgart reiste sofort nach dieser Enttäuschung ab und erlaubte seinem Freund nur ein einziges Mal, ihn zu umarmen. Sie verabschiedeten sich mit einem liebevollen Händedruck, und eine letzte Pommes Rot-Weiß wurde geteilt, bevor der Privatflieger abhob und Cottbus wieder ganz allein war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)