Der Pfau von Phillia (Deutschland, das sind wir selber) ================================================================================ Kapitel 20: 20 - Aufrecht ------------------------- Ganz Deutschland befand sich in den Fängen einer mörderischen Hitze, die alle in die Knie zwang, ob groß, ob klein. Nur eine laue Sommerbrise wehte durch das Land, und wo sie auch immer ankam, wurde sie mit Freude begrüßt und mit offenen Armen Willkommen geheißen. Wirbelnd trug der Lufthauch alles mit sich, was er auf seinem Weg durch das Land bemerkte, alle Emotionen, ob Glück, Liebe, Sehnsucht, Verrat, Hass oder Zufriedenheit, und je weiter sie kam, desto mehr Gefühle nahm sie auf. Vom Norden kommend umflatterte die Brise, als sie zum ersten Mal deutschen Boden überflog, den Kopf von Mecklenburg-Vorpommern, der in einer kleinen Nussschale mitten auf einem riesigen See vor sich hin schwelgte. Das Wasser um ihn herum plätscherte beruhigend, und er bewegte sich drei volle Stunden lang nicht, bis man denken mochte, er wäre tot. Die Augen geschlossen, der Mund zu einem leisen Lächeln verzogen und die Fingerspitzen die Oberfläche des Wassers durchdringend war er ein Bild wie von Caspar David Friedrich gemalt, aus purer Harmonie und völlig mit sich und seiner kleinen, aber feinen Welt im Reinen. Könnte die Sommerbrise ihn sehen, würde sie wohl seufzen und sich zu ihm gesellen, neidisch auf so viel Einklang mit den einfachen Genüssen des Lebens, mit Blättergeraschel, Möwengeflatter und dem einschläfernden Geplätschere von klarem, blauem Wasser. Die Brise flatterte luftig leicht weiter in Richtung Süden, wo zwei Bundesländer gemeinsam am Ufer des Wannsees lagen. Brandenburg, der gerade vom Schwimmen zurückgekehrt war, ließ die pralle Sonne seinen nassen Rücken trocknen und hatte die Augen geschlossen, während Berlin ihn mit einem leichten Lächeln auf den Lippen beobachtete und im Schatten einer Weide lag. Sah er Albrecht an, verwischten alle möglichen Emotionen in seinem Inneren, und Paul konnte nicht den Finger darauf legen, wie er es nennen sollte, was er für den anderen fühlte. Er wusste nur, dass er ihm die wichtigste Person auf Erden war, und dass er für ihn durch die Hölle und wieder zurück gehen würde, wenn das Albrecht ein wenig Glück schenken würde. Brandenburg, mit entspannt geschlossenen Augen, blinzelte kurz und sah unfokussiert in die Ferne, wo er mit der warmen Sommersonne auf dem Rücken und der tänzelnden Brise auf seiner Nasenspitze seine Mutter sah, flankiert von seinem kleinen Bruder und Preußen, und die drei verblassten unter der allzu hellen, allzu lebendigen Sonne. Erschöpft schloss er die Augen wieder, aber als er sie wieder öffnete, sah er Berlin, und er sah Berlin lächeln, und er fühlte sich nicht mehr ganz so verbraucht und nutzlos. Solange Paul an seiner Seite blieb, würde sein Herz schlagen, er würde sich nicht zu Bette legen und einfach entschwinden wie so viele Nationen vor ihm. Solange Pauls Herzschlag blieb, würde der Albrechts nicht vergehen. Ein Blatt des großen Baumes, gepflückt von der Brise, fiel raschelnd auf Berlins Kopf und wurde sofort wieder abgeschüttelt, ganz im Gegensatz zu dem Blatt auf Thüringens Kopf, der mitsamt Thüringens Körper gerade auf einem alten Baumstumpf mitten im Thüringer Wald saß und von einer Sommerbrise umweht wurde. Irritiert schüttelte er das Haupt, ohne, dass sein Blatt den Gesetzen der Gravitation gehorchte. Warum sollte es auch... es war sein Ein und Alles. Ohne sein Blatt, ohne sein Grünes Herz, ohne den Wald würde Thüringen nicht überleben können. Die Sonne blinzelte durch die Wipfel und der Geruch von Harz webte ein feines Netz, sodass die Sommerbrise kaum einen Durchlass fand. Daher verblieb sie noch einen Moment an Bernds Seite. Die wispernden Blätter, das knackende Unterholz, das leise Fiepen winziger Mäuse, es war wie die wunderschönste Musik der Welt in Bernds Ohren, dessen angespannte Seele die Chance nutzte, sich von allem zu erholen. Es war still, und es war laut, und die alten Bäume wiegten sich sanft über ihn wie eine Mutter, und wie im Schoße einer Mutter fühlte er sich geborgen in ihren Armen. Die Welt erschien ein wenig ruhiger, ein wenig schöner, ein wenig fragiler – und obwohl der Windhauch entfleuchte, blieb Bernd nicht allein, bei ihm waren alle Geschöpfe des Waldes und die Seele des Waldes, die ihn liebevoll umschloss. Noch immer prallte die Hitze auf Deutschland, und der Windhauch wurde stärker, je näher er der Südgrenze der Nation kam. Ein schwarzhaariger junger Mann saß auf einer modern wirkenden Terrasse und hatte ein alt, teuer und vor allem gelesen wirkendes Buch vor sich auf einem Designertisch liegen. Der Wind ließ die Blätter rascheln und blätterte um, von der ersten bis zur letzten Seite, aber Hessen sah sich das Werk nur mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen an und berührte den organischen Ledereinband liebevoll. Einzelne vorbeihuschende Wörter flogen über seine Augen, Wörter, die sich schon vor langer Zeit eingebrannt hatten in seinen Verstand und deren Zusammenhang er sofort erkannte. In seinem Kopf erwachten Prinzessinnen, gute und böse Feen, Ritter, Drachen, Hexen und Einhörner zum Leben, aber davon konnte die Brise nichts wissen, denn sie wanderte, inzwischen zu einem ausgewachsenen Wind herangewachsen, weiter nach Süden, bis an den hintersten Winkel des Landes, an den See Konstanz. Die Alpen hielten die Brise auf und ließen sie eine Weile in umherwirbeln, wo sie Wasser aufnahm und es auf ein Boot spritzte. Nackte Füße, die über die Reling baumelten, wurden nass, aber das war bei diesen Temperaturen mehr als angenehm, und Baden wandte sich um zu Württemberg, der hinter ihm saß und eine Tageszeitung raschelnd durch die Hände gleiten ließ. Bevor der andere ihn sehen konnte, lächelte Maximilian schief und wandte das Gesicht wieder zurück, um einen Blick zu erhaschen auf die glitzernden Wellen unter seinen Zehenspitzen. Dieser Wochenendausflug war schon seit vielen Jahren geplant und bisher lief alles perfekt nach Plan, nichts ging schief. Maximilian hing gedanklich zwischen einer Hass gebärenden Vergangenheit und ihrer liebevollen Gegenwart, und als er erneut einen Blick über seinen Rücken wagte und einen Blick aus dunkelblauen Augen, die sanft über den Zeitungsrand lugten, traf, überwog die Gegenwart, und die Zukunft, die sich in beider Augen widerspiegelte. Nachdem die Brise durch zwei blonde Haarschöpfe gewirbelt war und sie beide durcheinandergebracht hatte (sodass Max' Haargummi in das Wasser gefallen war, er natürlich sofort hinterhergesprungen war und auch Lukas noch im See gelandet war, sodass der ganze perfekte Ausflug ein unperfektes Ende nahm) peitschte sie einige Wolken über den Rhein, bis ihre Begleiter anfingen, zu regnen und die Brise nur noch ein Sturmwind unter vielen war. Der Regen fiel auf den Rücken eines Mädchens, das keuchend durch nasse Schlammlöcher rannte und deren Rocksaum nass wurde. Sie hielt ihren Löwen fest an sich gepresst, der schwach mauzte und die Augen fest geschlossen hielt, und sie flüsterte ihm leise Worte des Trostes zu. Bald würden sie zuhause sein, bald würde er trocken sein, bald würde es ihm wieder gut gehen, und das leise Miauen, das immer weniger kläglich, ja fast schon hoffnungsvoll klang, ließ Saarland keinen scharfen Tropfen Regen auf ihrer sensiblen Haut spüren, ließ sie nicht das schneidende Seitenstechen verspüren, sondern ließ sie mit flatterndem Haar den Weg entlang fliegen. Die Brise begleitete Nicole, bis sie zuhause angekommen war, und schlug die Tür hinter ihr zu, und als der Regen aufhörte, zu fallen, verebbte die laue Sommerbrise, die auf ihrer Reise gesehen hatte, was allen anderen Menschen verschlossen bleibt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)