Personal Paradise Anamnesis von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: "Hallo!" ------------------- „Hallo!“ Der kleine Junge sah von dem Loch im Sand auf, das er die ganze Zeit gebuddelt hatte. Ein Junge in seinem Alter, um die sechs Jahre, stand neben ihm und blickte ihn an. In seinen Augen lag ein merkwürdiges Funkeln, das er noch nie gesehen hatte. In seiner Hand hielt der Junge einen Regenwurm, der sich verzweifelt gegen die kleinen Finger zu wehren versuchte. „Willst du mit mir spielen?“ Er sah sich das Loch an, das der Junge gebuddelt hatte. Er hätte bis zu den Knien darin verschwinden können. Der Junge sah weg. „Ich kenn dich nich’“, nuschelte er. „Und mit Fremden soll ich nich’ reden.“ „Okay“, meinte der Junge. Er zeigte mit der freien Hand auf seine Nase. Sie war voller Sand und glänzte, als hätte er sich eben mit dem Handrücken die Nase gewischt. „Ich heiß Nico und das hier“, er hob die Hand mit dem Regenwurm hoch, „Das hier ist Marianne.“ Der Junge sah auf. „Marianne? Komischer Name.“ Nico zuckte mit den Schultern. „Mir gefällt er, weiß auch nich’. Er hat so gut zu ihr gepasst.“ „Das soll’n Mädchen sein?“ Der Junge beäugte den Regenwurm. „Weißt du nich’, dass Regenwürmer Zwitter sind?“ Nico guckte kariert. „Was is’n ein Zwitter?“ „Zwitter sind weder Junge noch Mädchen, hat meine Mama gesagt.“ „Ach so...“ Nico besah Marianne noch mal von allen Seiten, wie um nach einem Beleg für ihr Geschlecht zu suchen. Da er nicht fündig wurde, grinste er sein Gegenüber an. „Jetzt kenn’ wir uns doch. Sag mal, wie heißt’n du?“ Der Junge sah sich die zappelnde Marianne an, die seltsame Turmfrisur auf Nicos Kopf, die aufgeschürften Knie, die aus monströsen Löchern in dessen Jeans hervorblitzten. Seine blauen Augen registrierten alles. Dann hob er den Kopf und sah Nico an. „Julian.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ So weit, so gut... ich hab ja gesagt, es sind sehr kurze Kapitel... Viel Spaß mit dem Rest! Kapitel 2: 'Ich hab dich so lieb!' ---------------------------------- Die Sonne stand gerade an ihrem höchsten Punkt, als auf einem Hügel unter einer großen Eiche ein rothaariges Mädchen saß und weinte. Ihre Wange war rot in der Form eines Handabdrucks. Neben ihr saß ein Junge mit den selben roten Haaren wie ihre eigenen und hatte einen schmalen Arm um ihren ebenso schmalen Rücken gelegt. Tränen rannen über ihre Sommersprossen. „Warum hat’n Papa dich gehaun?“ „W-weiß nich’“, schluchzte das Mädchen. „Er hat’n Brief gekriegt und danach hat er mir auf die Backe gehaun!“ Sie sah zum Himmel. Die Sonnenstrahlen brachen sich in ihren Tränen zu einem Regenbogen. „Hab ich irgendwas falsch gemacht, Micha? Mama un’ Papa schein’ mich nich’ zu mög’n... hab ich was Schlechtes an mir?“ „So’n Quatsch!“ Michael sprang auf. „Die wiss’n nur nich’, was du für’n Glückstreffer bis’, Marianne!“ Er ließ sich wieder auf die Knie fallen und umarmte seine Schwester. „Ich lass nich’ zu, dass dir irgendjemand wat tut. Wenn ich groß bin, hau ich die alle zusammen, dat versprech ich dir!“ „Micha...“ Marianne schluckte, dann schlang sie ihre kurzen Arme um ihn und drückte ihn. „Ich hab dich soo lieb!“ Kapitel 3: "Sag mir einen Namen, den du besonders schön findest!" ----------------------------------------------------------------- „Julian! Guck mal!“ Julian sah von dem Sandkuchenstück auf. Er hatte es als ungenießbar empfunden und zermatschte es nun mit seiner Hand. Nico kam mit einer ganzen Horde von Regenwürmern in der Hand angerannt. „Guck mal! Den hier“, er zeigte auf einen besonders langen Wurm, „ Den hab ich Julian getauft! Und der daneben is’ Nico!“ Er sah über Marianne hinweg und betrachtete den letzten Wurm sorgfältig. „Wie soll’n wir den nennen, sag mal?“ Julian zuckte mit den Schultern. „Is’ mir egal. Nenn ihn wie du willst.“ „Nee!“ Nico ließ sich neben Julian in den Sand fallen. „Ich will die nich’ alle selber taufen! Sag mir einen Namen, den du besonders schön findest!“ Julian sah ihn mürrisch an. Er beäugte den ruhigen Regenwurm etwas, dann murmelte er den ersten Namen, der ihm in den Sinn kann. „Anna.“ „Anna?“ Nico beäugte den Regenwurm. „Is der Name nich’ irgendwie langweilig?“ Julian zuckte mit den Schultern. „Wenn er dir nich’ gefällt, nenn ihn doch anders.“ Nico grinste. „Nee, wenn dir Anna gefällt, dann is’ das hier jetz’ Anna!“ Er spuckte auf seinen Finger und rieb den Regenwurm mit einer feierlichen Miene auf den kindlichen Gesichtszügen damit ein. „Ich tauf’ dich auf den Namen Anna!“ Stolz hob er den Regenwurm in die Luft, dann setzte er ihn auf das zerstörte Stück Sandkuchen. Dann lief er wieder weg, um mehr Würmer und anderes Gekrieche zu benennen. Anna erhob sich etwas, und hätte sie Augen gehabt, hätte sie sicher Julian damit angesehen. Er blickte monoton zurück. Dann wandte er den Blick ab. Kapitel 4: "Ich schwöre!" ------------------------- „Maaann!“ Michael griff sich an den Kopf. Neben ihm auf der Treppe vor dem Schultor saß Marianne und blickte mitleidig auf dem rot gefärbten Mathetest. Sie hielt ihren eigenen zerknüllt in der Hand, die sie in ihrer Rocktasche verschwinden ließ. „Das wird nächstes Mal bestimmt besser, Micha! Du muss’ dich noch ’n bisschen mehr anstrengen, das is’ alles.“ „Ich streng mich ja schon an, mann!“ Michael sah seine Schwester an. „Aber immer, wenn ich denk, ich hätt’s gerafft, kommt mir der blöde Lehrer mit ner schweren Frage!“ Marianne sah an ihm vorbei, während er sich über ihre unfähigen Lehrer aufregte. Vor dem Schultor standen mehrere Jungen, manche waren so alt wie sie, andere waren bestimmt schon so an die achtzehn. Sie lachten, johlten und pfiffen, wenn Mädchen vorbeikamen. Einer der Jungen hatte kein T-Shirt an und so konnte Marianne das Tattoo auf seiner linken Schulter erkennen. Sie sah sich unbehaglich die Gruppe an. „Marianna? Wat gibt’s ’n zu gucken?“ Michael folgte ihrem Blick zu den Jungen. Sein Blick blieb an einem Jungen hängen, der einen sehr erfahrenen und erwachsenen Blick für seine zwölf Jahre hatte. Marianne sah, wie sich seine Hände verkrampften. „Micha? Wat has’ du?“ “Dieser Kerl da… den mag ich nich’. Ramirez heißt der glaub ich. Der soll voll brutal sein. Ich will nich’ in dem seine Gang.“ „Dann stimmt das, was die Sechstklässler sagen?“ Marianne schauderte. „Dass wir alle in eine Gang müss’n?“ „Jo.“ Micha nickte. „Und zum Zeichen muss man sich tätowier’n lass’n. Ziemlich bescheuert.“ Micha schüttelte den Kopf. „Marianne, wir geh’n nie in so ne Gang, okay?“ Marianne strahlte bei diesen Worten. „Okay!“ Sie hielt ihm ihren kleinen Finger hin. „Das muss’ du schwör’n!“ Michael grinste, dann hakte er seinen kleinen Finger bei ihr ein. „Ich schwöre!“ Kapitel 5: ----------- Die kleinen Wellen, die von einfahrenden Schiffen erzeugt wurden, schwappten gegen die Hafenmauer. Julian und Nico hatten ihre Schuhe ausgezogen und badeten ihre nackten Zehen im trüben Hafenwasser. Julian behielt Nico immer in einem Augenwinkel, während dieser einen Stein nach dem anderen ins Wasser warf. „Du könntest aus Versehen einen Fisch treffen.“ „Sein Pech.“ Smalltalk ist nicht deine Stärke, Julian, dachte Nico grimmig, holte weit aus und schleuderte einen kleineren Stein ins Hafenwasser. Stille. „Ich hab gehört, die lassen alles Abwasser in den Hafen und von da aus ins Meer.“ „Hm.“ Nico warf einen Stein, der eine vorüberfliegende Möwe am Flügel traf. Sie schrie laut und flatterte weg. Nico sah ihr grimmig nach. „Soll sie mir doch auf den Kopf scheißen.“ „Angeblich bringt das Glück.“ Julian zog seine Zehen aus dem Wasser und drehte sich zu seinem besten Freund. „Was is’n mit deinem Bruder? Ich dachte, das wäre die Aufgabe des Erstgeborenen.“ „Mario hatte keinen Bock. Er hat sich einfach vor Papa aufgebaut und eiskalt erklärt dass er keinen Bock hat...“ Nico warf einen Stein mit aller Kraft direkt nach unten. Das Wasser platschte ihm bis auf den Schoß. „Ich musste mich echt beherrschen, ihn nicht zu würgen. Kennst du das?“ Er sah seinen Freund an. „Oh.“ Der zuckte nur mit den Schultern. „Nö. Wieso auch?“ „T-Tschuldige. Ich hab kurz nicht dran gedacht.“ Julian winkte ab. „Lass mal, es macht mir nix aus. Wieso sollte es auch?“ Nico drehte sich wieder nach vorne. Er nahm einen flachen Stein und warf ihn so nah wie möglich über dem Wasser in die Ferne. Der Stein machte ein paar Sprünge im dunklen Wasser, bis er im deprimierenden Dunkelgrün des Hafens verschwand. Kreisförmige Wellen deuteten noch ein paar Momente an, wo er aufgekommen war, dann legten sie sich wieder und bis auf das Geplätscher des Wassers, dem Schreien der Möwen, die sich um einen Fischkadaver zankten und das Horn eines einfahrenden Schiffes wurde es um die beiden Jungen herum still. Julian blickte, genau wie er, zum Horizont. Nico wusste, dieses Schweigen war Julians Art, Gefühle zum Ausdruck zu bringen- selbst, wenn es Julian selbst vielleicht nicht bewusst war. Doch dieses Schweigen sagte Nico eine Menge. Er konnte auf Julian zählen. Julian würde nie von seiner Seite weichen. Und etwas anderes war Nico im Moment völlig egal. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)