Mathieu von Wolkenfee (Sidestory zu "Chouchou") ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett fallen. Ich hatte die Spätschicht im Café gehabt und war dementsprechend müde. Manchmal fragte ich mich, warum ich mir das eigentlich antat. Meine Eltern hatten Geld genug, um mir das Studium zu finanzieren. In der Tat hatten sie eigentlich sogar zu viel Geld, und das sah man zum Beispiel auch an meiner Wohnung, bei der niemand auf die Idee gekommen wäre, sie könnte einem Studenten gehören. Genau das war einer der Gründe, warum ich arbeitete. Ich wollte einfach irgendwie normal sein. Mein Vater fand es furchtbar, dass ich Sportmedizin studierte und nicht später seine Firma übernehmen wollte, aber ich wollte nicht zu dieser reichen Schnösel-Welt gehören. Das einzig Gute, was mir das jemals gebracht hatte, war Jeanette. Sie war die Tochter eines Freundes meines Vaters und ungefähr alle gingen davon aus, dass wir später heiraten würden, weil das „einfach wundervoll“ wäre und „so gut passen“ würde. Ich seufzte. Wenn ich ehrlich war, hatte ich absolut nichts dagegen, Jeanette irgendwann zu heiraten, aber doch nicht, weil das unsere Familien wollten, sondern, wenn wir es wollten. Lächelnd dachte ich an unsere erste Begegnung. Ich war damals gerade acht Jahre alt. „Mathieu, du wirst gleich eine wichtige Person kennen lernen! Sei nett zu ihr!“, sagte mein Vater und ich nickte artig. Kurz darauf wurden Arthur, ein Freund meines Vaters, und seine Tochter von unserem Butler ins Empfangszimmer geführt. Das kleine Mädchen, von dem ich wusste, dass es ein Jahr jünger war als ich, ging schüchtern halb hinter seinem Vater und warf mir aus großen rehbraunen Augen immer wieder unsichere Blicke zu. Mit ihren goldblonden Haaren und dem rosa Kleid, dass von ihrer Mutter sicher strategisch ausgewählt worden war um einen mir nicht verständlichen Sinn zu erfüllen, sah sie aus wie eine Porzellanpuppe. Während unsere Väter sich freundschaftlich umarmten, ging ich langsam auf sie zu. „Hallo, ich bin Mathieu“, stellte ich mich lächelnd vor und sie nickte. „Jeanette.“ „Mathieu, zeig Jeanette doch dein Zimmer, dann könnt ihr euch besser kennenlernen!“, meinte mein Vater und ich nickte. Jeanette und ich gingen also durch unseren langen Flur um zur Treppe zu gelangen und sie sah sich bewundernd um. „Euer Haus ist toll!“, erklärte sie und ich sah sie überrascht an. „Habt ihr nicht auch sowas?“ „Doch schon.“ Sie zuckte die Schultern. „Aber das kenn ich schon!“ Ich grinste. „Verstehe.“ In den nächsten Stunden stellte ich fest, wie gut ich mich mit Jeanette verstand, obwohl sie ein Mädchen war, und dass sie abgesehen von ihrem Erscheinungsbild absolut nichts mit einer Porzellanpuppe gemeinsam hatte. Unsere Eltern sahen mit Wohlwollen, wie wir uns anfreundeten und begannen wahrscheinlich schon da mit den ersten Hochzeitsplänen. Ja, das waren noch Zeiten… Vom Piepsen meines Handys wurde ich aus meinen Erinnerungen gerissen und sah schnell aufs Display. Eine SMS von Jeanette. „Schlaf gut, Schatz, und bis morgen! “ Lächelnd textete ich zurück: „Hab gerade an dich gedacht! Träum schön!“ Dann kuschelte ich mich einfach nur noch in meine Decke und schlief ein. Am nächsten Tag hatte ich keine Vorlesungen und außerdem auch im Café frei, deshalb hatte ich Jeanette versprochen, den ganzen Tag mit ihr zu verbringen, denn in letzter Zeit kam es leider viel zu selten vor, dass wir so viel Zeit für einander hatten. So stand ich also um kurz nach zehn mit frischen Brötchen vor ihrer Wohnungstür und als Jeanette öffnete, musste ich unwillkürlich grinsen. Ihre Haare waren völlig zerzaust und sie war noch im Schlafanzug. Sanft zog ich sie an mich und küsste sie zur Begrüßung. „Morgen, Schatz, hab ich dich geweckt?“ „Hmhm“, brummelte sie und kuschelte sich an mich. „War spät gestern. Josh wollte einfach nicht gehen“, erklärte sie und gähnte. Unwillkürlich durchfuhr mich eine Welle der Eifersucht. Natürlich hatte ich dazu kein Recht, schließlich führten wir eine sehr offene Beziehung, trotzdem war es jedes Mal so. Deshalb vermied ich es auch tunlichst, weiter nachzufragen. Als ich schließlich an meinem Brötchen kaute, kam ich jedoch nicht umhin, daran zu denken, wie es eigentlich zu dieser Situation gekommen war. Wir waren damals vierzehn Jahre alt und befanden uns auf einer Gartenparty meines Vaters, die anlässlich irgendeines Firmenerfolgs gegeben wurde. Ich stand gerade am Buffet und versuchte, irgendetwas zu finden, dass keinen Kaviar, Muscheln oder ähnliches seltsames Zeug enthielt, als Jeanette auf mich zukam und ziemlich aufgeregt wirkte. Trotzdem sah sie natürlich wie immer wunderschön aus. Ihre Haare waren kunstvoll hochgesteckt und das hellblaue Cocktailkleid betonte ihre schlanke Figur. „Was ist los?“, fragte ich etwas besorgt und sie flüsterte: „Kevin wollte mich küssen!“ Ich runzelte die Stirn. „Und?“ „Hab ich natürlich nicht. Ich meine, ich würde Kevin schon küssen, aber ich wollte immer, dass mein erster Kuss etwas Besonderes ist und halt…“ Sie brach ab und sah mich unsicher an. Lächelnd nahm ich ihre Hand. „Komm mit!“ Ich führte sie in den hinteren Teil unseres riesigen Gartens, der nicht mehr von den Lichtern der Party erleuchtet war und wo man das Stimmengewirr nur noch dezent hören konnte. Dort stand eine sehr alte Eiche mit einer wunderbar zu erreichenden und auch sehr bequemen Astgabelung, zu der ich mich immer verzog, wenn ich ungestört sein wollte. Ich half Jeanette rauf und setze mich neben sie. Sanft legte ich meinen Arm um sie und drehte mit der anderen Hand ihr Gesicht zärtlich zu mir. „Meintest du so etwa?“, flüsterte ich und sie schloss die Augen und lächelte, woraufhin ich meine Lippen vorsichtig auf ihre legte. Ich hatte nie daran gezweifelt, dass ich meinen ersten Kuss von Jeanette bekommen würde, und ich hatte auf nie daran gezweifelt, dass es wunderschön sein würde, aber an diesem Abend wurden meine Erwartungen absolut übertroffen. Danach waren Jeanette und ich natürlich kein Paar, sondern weiterhin beste Freunde. In der Tat erwähnten wir es nie wieder und sie kam an diesem Abend noch mit Kevin zusammen und auch ich hatte ziemlich bald meine erste feste Freundin. Warum genau das so war, hatten wir eigentlich nie geklärt. Es war nicht so, dass ich Jeanette nicht gewollt hätte, aber irgendwie war ich einfach immer davon ausgegangen, dass sie mich nicht auf die gleiche Art wollte, wie ich sie, und hatte deshalb nie weiter nachgefragt. Es sollte noch zwei Jahre dauern, bis ich mich mit Jeanette wieder in so einer Situation befinden würde. „Was ist los?“, schreckte mich nun ihre Frage auf und ich sah sie verwundert an. „Wieso?“ „Du isst gar nichts“, erklärte sie und ich erkannte, dass ich mein Brötchen tatsächlich so gehalten hatte, dass der Honig vollständig auf meinen Teller getropft war, und dazu offensichtlich auch genügend Zeit gehabt hatte. „Oh“, machte ich etwas verspätet. „Ich… äh, war in Gedanken.“ Jeanette grinste. „Das hab ich gesehen. Was Schönes?“ Ich nickte lächelnd und sie hakte stirnrunzelnd nach: „Dieser Jamie?“ „Überhaupt nicht. Die Eiche“, erklärte ich und nun lächelte sie auch. „Okay, dafür kannst du deinen Honig ruhig vergessen!“ Dann kam sie um den Tisch herum und setzte sich auch meinen Schoß. „Aber ich hätte nun auch im hier und jetzt gerne etwas Aufmerksamkeit!“ Lachend umarmte ich sie und küsste sie dann. „Keine Sorge, gehört den ganzen Tag ungeteilt dir!“, erklärte ich noch, bevor wir uns der non-verbalen Kommunikation zuwandten. Genau um dieses Thema ging es auch am Abend vor ihrem sechzehnten Geburtstag. Ich besprach gerade mit ihrem Vater am Telefon letzte Vorbereitungen, als sie plötzlich in meiner Zimmertür stand und völlig aufgelöst wirkte. Schnell legte ich mit irgendeiner Begründung auf und nahm sie in den Arm. Beruhigend strich ich ihr über die Haare. „Was ist denn los?“ Jeanette legte den Kopf an meine Schulter. „Ich weiß nicht, ich…das ist…“ Sie löste sich von mir und begann, im Raum auf und ab zu laufen. „Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich so einen Aufstand mache, eigentlich ist es ja nichts! Also, nichts wirklich Wichtiges! Ehrlich, warum bin ich eigentlich hier?“ „Irgendwas muss passiert sein!“, beharrte ich. „Sonst würdest du jetzt nicht wie ein aufgescheuchtes Huhn hier rumrennen!“ Sie seufzte und setzte sich auf mein Bett. „Ja, du hast Recht. Eigentlich ist es keine große Sache, aber naja…“ Ich setzte mich neben sie und nahm ihre Hand. „Jetzt sag schon!“ So langsam begann ich mir wirklich Sorgen zu machen! „Also, Adam wollte mit mir schlafen!“, rückte sie endlich mit der Sprache raus und sah zu Boden. Ich nickte langsam. „Und?“ Perplex und zu meiner Überraschung auch leicht verärgert blickte sie auf. „Nichts und! Ich meine, ich dachte immer… Dachtest du das etwa nicht?“ Forschend sah sie mich an und ich begriff, worauf sie hinauswollte und lächelte. „Sicher dachte ich das. Das bezweifelst du doch nicht etwa?“ Jetzt lächelte auch sie und lehnte sich an mich. „Nicht wirklich. Ich wollte nur sicher gehen.“ Dann rückte sie wieder ein Stück von mir ab. „Du hast doch nicht mit etwa..?“ „Was denkst du denn von mir?“, erwiderte ich entrüstet. „Natürlich nicht! Mir war immer klar, dass du die Erste sein würdest!“ „Gut.“ Sanft küsste sie mich und sah mich durch ihre Wimpern von unten herauf an. „Bekomm ich das zum Geburtstag?“ Ich lachte. „Was immer du dir wünschst!“ Damit begann ich wieder, sie zu küssen, und hörte auch nicht mehr damit auf, obwohl ja eigentlich noch nicht ganz ihr Geburtstag war. Auch hiernach waren wir natürlich nicht zusammen, da Jeanette ja noch ihren Freund hatte und den auch nicht verlassen wollte, und so sagte ich ihr weiterhin nicht, was ich eigentlich wollte und verstrickte mich ab und an in belanglose Affären, damit ihr nichts auffiel und sie sich nicht schlecht fühlen musste, weil sie meine Gefühle nicht erwiderte. Dass ich damit wiederum anderen Menschen wehtat, fiel mir erst auf, als ich Jamie kennenlernte. Erst als er völlig entrüstet war und nicht verstand, wie man so eine Beziehung überhaupt führen konnte, erlaubte ich mir zu denken, dass auch ich so etwas nicht wollte und nie gewollt hatte. Ich lag wach und betrachtete Jeanette beim Schlafen. Vielleicht hatte Jamie Recht und ich sollte tatsächlich mal mit ihr darüber reden, was ich wirklich wollte. Andererseits: Wie könnte ich denn? Es war ziemlich deutlich, dass sie mich nicht so liebte, wie ich sie, wenn ich ihr das also sagte, würde ich sie dann nicht verlieren? Ich seufzte. Langsam konnte es so allerdings nicht mehr weitergehen. Es tat jedes Mal mehr weh, wenn ich mitbekam, dass sie einen anderen hatte. Und ich selbst hatte seit Jamie niemanden mehr gehabt. Wollte ich auch nicht. Was sollte ich als tun? Am nächsten Morgen beim Frühstück hatte ich meine Entscheidung getroffen. Ich sah Jeanette an: „Wir müssen reden.“ „Oh oh.“ Skeptisch sah sie mich an. „Das bedeutet in der Regel nichts Gutes.“ „Ich weiß nicht. Das kommt ganz drauf an. Also…“ Ich holte tief Luft. „Ich liebe dich.“ Einen Moment lang reagierte Jeanette gar nicht, dann schlug sie sich die Hand vor den Mund und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Erschrocken sprang ich auf und hatte dann keine Ahnung, was ich tun wollte. War das jetzt so schlimm gewesen? „Ich wollte nicht… also, ich wusste nicht… ist das so schrecklich?“, stotterte ich hilflos. Jeanette sah mich immer noch so an, dann meinte sie schließlich leise: „Das hast du noch nie gesagt.“ Ich nickte. „Ich weiß. Aber es ist so. Immer so gewesen.“ „Aber warum… warum hast du das nie gesagt? Warum die ganzen Affären?“, wollte sie wissen. Ich seufzte und setzte mich wieder. „Wie soll ich das erklären? Im Prinzip deinetwegen. Um dich glücklich zu machen.“ Sie runzelte die Stirn. „Die Logik musst du mir erklären.“ „Naja, du hattest auch andere und du hast nie gesagt, dass du mit mir zusammen sein willst, also dachte ich, damit du dich nicht schlecht fühlst…“ Ungläubig starrte sie mich an. „Das ist jetzt nicht dein Ernst! Du dachtest, ich fühl mich besser, wenn du mit anderen schläfst?“ „Naja, ja.“ Irgendwie kam mir das Gefühl, dass hier irgendetwas falsch lief. „Und dass es mich jedes Mal fast umgebracht hat, davon zu hören, ist dir nicht in den Sinn gekommen?“, fuhr sie fort. „Und jetzt sagst du mir plötzlich, ich hätte einfach nur was sagen müssen?“ Ich nickte. „Ich dachte, das wäre klar.“ „Und wie, verdammt noch mal, hätte ich darauf kommen sollen? Ich dachte die ganze Zeit, du liebst mich nicht! Warum hast du mir das nie gesagt? Ich hab doch… du bist doch… Ich wollte doch immer nur dich!“ Jetzt liefen die Tränen ihre Wangen hinunter und stand schnell wieder auf und zog sie in meine Arme. „Ich wollte doch auch immer nur dich. Aber ich dachte, du willst das nicht“, erklärte ich und strich über ihre Haare. Jeanette schniefte und sah dann zu mir auf. „Wir sind ganz schön blöd!“ Ich grinste schief. „Kann man wohl sagen. Aber zum Glück haben wir noch die Kurve gekriegt.“ Sie lachte. „Warum eigentlich? Ich mein, was hat dich dazu gebracht, das jetzt doch zu sagen?“ „Jamie“, antwortete ich und sie runzelte die Stirn, sodass ich fortfuhr: „Na, weil er das Ganze nicht gut fand und schließlich meinte, ich sollte vielleicht mal mit dir reden.“ „Dann sollte ich ihm vielleicht dankbar sein.“ Sie lächelte und beugte sich näher zu mir. „Ich liebe dich und ich will dich nie wieder mit irgendwem anders sehen!“ „Ich will auch niemanden sonst!“, antwortete ich bevor ich sie küsste. In dem Moment war ich mir sicher, dass mein Leben perfekt war. ----------------------------------------------------- Das hier ist absolut nicht so, wie ich es geplant hatte, aber ich bin ganz zufrieden. Ich hoffe, ihr mögt es auch. *Kekse dalass* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)