Das Geheimnis der Träne von Procven (AshxMisty) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Tiefschwarze Nacht lag über der heiligen Stadt, die man aufgrund seines Herzstückes ‚Lacrima’ nannte. Alles lebende schien zur Ruhe gegangen und allein die Wachposten zogen innerhalb der Straßen ihre Kreise. Die Meisten von ihnen postierten sich für gewöhnlich um den Tempel, der den Kern der Stadt darstellte, doch am Tage zuvor war aus vertrauten Quellen herangetragen worden, dass es jemand auf ihren Schatz abgesehen hatte, weswegen die Wachen an den Toren und Mauern der Stadt verstärkt, dafür jedoch am Tempel abgezogen wurden. Kriegszeiten hatte es hier nie gegeben, weswegen nur eine begrenzte Anzahl an Soldaten die Leben aller Bewohner schützen sollte. Ihr Schatz und der Schutz der Götter würde ihnen jedes Unheil vom Halse halten, meinten sie. Dazu kam, dass die Stadt einst auf einer kleinen Insel inmitten eines weiten Sees erbaut wurde. Handel gab es in erster Linie mit den bootbesitzenden Kaufmännern, die keine Mühen scheuten, auf die Insel überzusetzen. Von ihnen bekamen die Bewohner die notwendigsten Nahrungsmittel, die gegen hervorragende Fische, Muscheln vom Grund des Sees oder handwerkliche Meisterstücke getauscht wurden. Es war eine erstaunlich stille Nacht, bis wilde Taubsis aufschrieen und einen Schatten ausfindig machten. Der Schatten huschte die Hauswände entlang und näherte sich stetig dem Tempel bis er sich an dessen Toren und schließlich in seinem Inneren befand. Nervös zog die Gestalt seine edle Robe enger an seinen Leib, um möglichst jeden Laut zu vermeiden. Man fürchtete, dass das Rascheln der Kleidung ihn noch verraten würde, wenn er sich dem Raum näherte, der sich am Ende des Ganges befand. Da er schon auf seinen klirrenden Schmuck verzichtete, musste er nur noch auf seine Kleidung achten und auf dieses feine Gewandt konnte er keinesfalls verzichten. Falls man ihn doch entdeckte, könnte er den Verbleib seines Goldschmuckes erklären, nicht allerdings seine Nacktheit. Nur noch wenige Schritte waren es, die er tätigen musste, um sein Ziel zu erreichen. Aufmerksam sah er sich um. Nein, niemand in Sicht. Die Sonne ließ noch etwas auf sich warten, weswegen herbeiströmende Betende ausblieben, und in der Nacht befanden sich nur wenige Menschen im Inneren des Tempels, da Angriffe von innen nicht erwartet wurden. Allein die Tempeldiener waren noch hier, doch diese hoffte er am Tage zuvor abgelenkt zu haben. Diese Narren! Wenn sie doch nur wüssten! Gehässig verzog der Schatten seine Lippen zu einem Grinsen, einer höhnischen Fratze, die ihm bisher niemals zugetraut wurde. Er war ein Scharlatan, ein Blender und doch ein angesehenes Mitglied der Gemeinde. Der Gang aus dutzenden Säulen, die kunstvoll verziert und vergoldet waren, standen einsam in der riesigen Halle. Sie markierten den genauen Weg zum Heiligtum der Stadt. Jener Stadt, die ein einzigartiges Artefakt, einen Schatz, hütete. Beauftragt wurden sie einst von den Göttern persönlich, diesen Schatz aufzubewahren und ihn vor unheilvollen Menschen zu schützen, die ihm Schaden zufügen oder gar seine Macht ausnutzen könnten. Eben diese Geschichte stand auf den Säulen geschrieben, mit hervorragenden Zeichnungen dargestellt, die der Schatten gerade hinter sich ließ und er wusste, bald würde sich ein neues Ende dieser Geschichte finden lassen: Die Götter haben ihnen die ‚Träne’ wieder entrissen, da die Sünden der Menschen überhand genommen hatten. Oh, diese teuflischen Sachen! Alkohol, Fleischeslust – allein bei dem Gedanken an diese und weitere Dinge stieg Übelkeit in der Gestalt auf. Was war nur aus seinem Volk geworden? Reinigen sollte man es und das würde nur durch eine gutdurchdachte Lektion gelingen! Gleich hatte er sein Ziel erreicht. Hinter der schweren, vergoldeten Tür befand sich das Artefakt, das die Gestalt so sehr begehrte. Seine Hand spürte bereits den kalten Stahl der Klinke, als er erschrocken zusammenfuhr. „Halt! Wer seid Ihr?“ Laut schallten diese Worte durch die Halle, gefolgt von hastigen Schritten eines Mannes, der sich der Gestalt unaufhörlich näherte. Jetzt hatte man ihn doch entdeckt und das, wo er den Dienern doch aufgetragen hatte, in den Vorräumen zu bleiben und ihren Geist zu schulen in dem sie allein auf die Geräusche im Tempel lauschten und mit dem Gebäude eins werden, verschmelzen sollten. Sie sollten den Tempel in gewisser Weise von innen schützen. „Zeigt Euch mir!“, erklang die Stimme abermals fordernd, diesmal näher als zuvor. Doch ein Zittern in der Stimme blieb nicht aus. Sich zu voller, stattlicher Größe aufrichtend, ließ der Angesprochene von der Türklinke ab und wandte sich dem Fremden zu. Schlecht gelaunt musste dieser feststellen, dass es sich tatsächlich um einen seiner Tempeldiener handelte, der hier gerade ein Paradebeispiel für Ungehorsam darstellte. „Solltet Ihr nicht bei den anderen sein und Euren Geist trainieren?“, erklang seine helle, beinahe unmännliche Stimme und löste Erstaunen bei seinem Gegenüber aus, was ihn innerlich auflachen ließ. „Oh, der Hohepriester!“ Der Diener verneigte sich tief. „Ich hätte Euch zu so ungewohnter Stunde nicht hier erwartet. Ist etwas vorgefallen?“ Kurz sinnierte der Alte was er darauf antworten sollte und sein gescheiter Verstand schaltete schnell. „Ich habe etwas gesehen, mein junger Schüler.“ Neugierde stieg in dem jungen Mann auf, der sofort auf diese Anspielung ansprang. Wie berechnend! „Eine Vision? Eine Vorhersehung? Oh Hoher Priester, bitte sagt mir was Ihr gesehen habt! Ging es um die ...“ „Schht“, wurde das feurige Gemüt des Dieners zur Ruhe gezwungen, denn selbst im Tempel war es untersagt den Namen des Artefakts auszusprechen. Der lange, dürre Zeigefinger des Priesters ruhte auf seinen Lippen und ein verheißungsvolles Schweigen trat zwischen die beiden Männer. Nachdenklich strich der Ältere über sein langes Kinn. Im Halbdunkel des kargen Kerzenscheins wirkte er magisch, unheimlich, irgendwie nicht von dieser Welt. Sein schmales, eingefallenes Gesicht warf noch mehr Schatten, als es schon am Tage üblich war und die scharfen Augen glänzten wie Diamanten, die jeden Lichtstrahl in sich aufnahmen, um möglichst viel ihrer Schönheit preisgeben zu können. „Ich habe gesehen“, begann der Gottesdiener zu flüstern, „wie man SIE gestohlen hat und jetzt möchte ich sehen, ob SIE noch an ihrem Platz ist.“ Ein gespanntes Nicken seitens des Jüngeren folgte, der sogleich wusste, was ihn nun erwartete: Der Priester würde den Raum betreten und er, ein einfacher Diener, würde als erstes erfahren, ob SIE bereits gestohlen wurde oder noch an ihrem Platz verweilte. Sogleich wandte sich der Alte ab und berührte ein weiteres Mal die Klinke, um sich diesmal vollends Eintritt zu verschaffen. Geheimnisvoll lugte er durch einen kleinen Spalt und huschte anschließen hindurch, sodass sein neugieriger Schüler nichts vom dahinter liegenden Raum sehen konnte. Hinter sich schloss er die Tür und blickte freudig geradeaus. Da war sie, die ‚Träne des Meeres’. Zartes Mondlicht fiel durch ein kleines Fenster, das vom Stein reflektiert wurde. Ein gleißendes Licht ging von ihm aus, das dieses Heiligtum, einen reinen, strahlenden Saphir, gänzlich einhüllte. Gleich einem Kleinkind stieg ein Freudenfeuer im Priester auf, das mit jedem Schritt weiter aufloderte. Es versetzte ihn regelrecht in einen Trancezustand, der ihn seine Hand ausstrecken und nach dem Schatz greifen ließ. Endlich besaß er ihn. Nach jahrelanger Entbehrung und sorgfältiger Planung hielt er ihn in den Händen. Seine knochigen Finger umschlossen den etwa straußeneigroßen Edelstein und hoben ihn aus seinem goldenen Gestell. Der Triumph zeigte sich in seinen kantigen Gesichtszügen und einen Moment glaubte er sich als den Sieger. Lang sollte dieser Siegeszug jedoch nicht währen, denn sein Grinsen verebbte, als ein kräftiges Zittern, vom Boden ausgehend, seinen Körper durchzog. Ein Erdbeben? Rasch verstaute man die Kostbarkeit und rannte aus dem Raum, um den Dienern, die sich bereits versammelt hatten, zu verkünden: „Das Artefakt ist verschwunden! Der Dieb muss mit ihm soeben die Stadt verlassen haben!“ Ein Raunen ging durch die kleine Menge, die kurz darauf aus dem Tempel eilte, um den Wachen Bescheid zu geben. Mit ihnen verließ auch der Alte die heiligen Hallen. Den Saphir hatte er in seinem weiten Gewandt versteckt und hielt ihn dort in einer offenen Tasche verborgen. Jetzt musste alles schnell gehen. Er musste zu seinem Haus und den Stein verstecken, bevor man ihn noch bei dem Priester fand. Auf dem Vorplatz herrschte plötzlich reges Treiben. Wie aufgeschreckte Hühner liefen Diener wie Wachen wild durcheinander und Schlag auf Schlag gesellten sich auch die noch äußerst verschlafenen Bewohner dazu. Das wäre die perfekte Gelegenheit gewesen sich aus dem Staub zu machen, wenn nicht eine angsteinflößende Nachricht vom Aussichtsturm zu ihnen gedrungen wäre. „Das Wasser- es kommt immer näher! Das Meer steigt an!“ Markerschütterndes Schreien und Panik zog durch das Volk, das sich in diesem Moment an ihren obersten Hirten richtete, der sich in der Mitte aller befand und ungläubig einher sah. Da war der Zeitpunkt also dahin. Jetzt konnte er sich nicht mehr verkriechen, denn seine Schäfchen brauchten und verlangten nach ihm. „Die Götter sind erzürnt. Was sollen wir tun?“, richtete jemand nach kurzem Schweigen die Frage an ihn, was durch mehrfaches Wiederholen anderer nur bekräftigt wurde. Ruhe fordernd hob er die Hand. „Nicht wir tragen den Zorn auf unseren Schultern, sondern der elende Dieb, der nun auf der Flucht ist.“ Donner dröhnte in diesem Moment von Himmel herab und allein der Priester wusste diesen richtig zu deuteten, nutzte ihn allerdings zu seinen Gunsten. „Die Götter stimmen mir zu. Doch solltet auch ihr darüber nachdenken, welch frevelhaftes Verhalten ihr alle in den letzten Monaten und Jahren an den Tag gelegt habt. Betet nun, dass man euch verzeihe und der Zorn sich lege.“ Wie töricht von ihnen allen ihr Vertrauen in die Hände eines einzigen mächtigen Menschen zu legen. Selbst ihr König besaß nicht annähernd so viel Macht und Gunst wie ihr Hohepriester. Sich seines Sieges endgültig bewusst, war er gewillt den Kreis zu verlassen, während das Volk ehrfürchtig am Boden kauerte und ihre Gebete stammelte. Unter ihnen befanden sich die Mitglieder der königlichen Familie, die ebenso ihre Hoffnung auf den Priester legten, wie das einfache Gefolge. Auch sie knieten nun – zur Belustigung des Geistigen - im Staub und beteten für ihr Seelenheil. Zu sehr war der eigentliche Dieb damit beschäftigt, sich an den dummen, sinnlosen Belangen anderer zu erheitern, als dass er hätte bemerken können, wie sein Gewand sich verselbstständigte und der Saum sich mit seinem Fuß verhedderte. Ein ungeschicktes Straucheln ging dem Sturz voraus, der das Ende besiegeln sollte. Noch vor dem Fall löste sich der Stein aus seinem Versteck und rollte aus der Reichweite des Priesters, der ungläubig die Augen weitete. Sein Herz begann zu rasen und drohte zu zerspringen als die Königstochter aufmerksam wurde und den Blick von ihrem Gebet hob. Nur wenige Schritte entfernt rappelte sich der Priester wieder auf, der ihr seltsamerweise tötende Blicke zuwarf. Sogleich begriff sie dass etwas nicht stimmten konnte und sah sich rasch um. Vor ihr lag ein wunderschöner Saphir, welchen die ersten, sanften Strahlen des Tages berührten, die von schlagartig aufziehenden tiefschwarzen Wolken verschluckt wurden. Langsam bewegte sich ihre zarte Hand auf den Edelstein zu, doch der Alte kam ihr zuvor. „Er gehört mir“, raunte er dem rothaarigem Mädchen entgegen und riss den Stein an sich. „Ihr habt ihn gestohlen?! Ihr seid der Dieb!“, platze es voller Verwunderung aus ihr heraus und die Menge ließ die Gebete verebben. Blitz und Donner setzen augenblicklich ein und ein verheißungsvoller Sturm trug weitere Wolken mit sich. Nun galt der Zorn allein ihm. „Dieb!“ - „Betrüger!“ - „Niederstecken sollten wir ihn!“ –„Tod dem Priester!“ Grausame Flüche wurden dem einstig angesehensten Mann der Stadt entgegen geworfen, der Entschluss, ihn den Göttern zu opfern, war schnell gefasst. Ein grausames Blutopfer sollte die erzürnten Mächte milde stimmen. Die unbezähmbaren Menschenmassen stießen die junge Frau beiseite, die verzweifelt versucht hatte, den Geistigen zu schützen. Denn trotz seines Verbrechens galt es einen klaren Kopf zu bewahren, was in diesem Moment jedoch nur der Prinzessin bewusst zu sein schien. Der erste Hieb mit dem Schwert eines überwältigten Wächters ließ den Priester kopflos zu Boden gehen. Mehrmals setzte man dem leblosen Körper weitere Hiebe nach und das hasserfüllte Gelächter erfüllte den Platz. Noch ehe der tote Leib erkaltete, riss die Wolkendecke auf und mächtige Blitze fielen auf die Menschen hernieder. Das anfänglich eingesetzte Beben verstärkte sich rasch und der Boden zu ihren Füßen spaltete sich unzählige Male. Häuser, Türme, sogar die Boote – alles ging in Flammen auf oder stürzte zusammen und kreiste die Bewohner ein. Wer weder den Blitzen, den herabfallenden Trümmern noch dem Feuer erlag, sah schon wenig später seinen Untergang auf sich zukommen. Die Äußerung vom Aussichtsturm war nicht ganz die Richtige, denn nicht das Meer schwoll an, es war die Insel auf der sich die Stadt befand, die allmählich sank. Unaufhaltsam stiegen die Wassermassen an und binnen wenigen Augenblick fanden sich die Reste der einst blühenden Stadt auf dem Grund des riesigen Sees wieder. Das rettende Ufer erschien unerreichbar, schlugen die Wellen gefährlich hoch. So ward es selbst den besten Schwimmern unter ihnen untersagt, sich an Land zu retten und sie ertranken in unendlicher Qual und unzähligen Hilferufen. Nur eines heilt dem Zorn stand: Wie auf wundersamen, unsichtbaren Säulen stand der Tempel auf dem Wasser, an ihn geklammert rang die Königstochter um ihr Leben. „So sei es!“, dröhnte eine tiefe Stimme aus allen Richtungen zu ihr. „Du allein hast dich als würdig erwiesen, du allein sollst weiter leben. Bewache den Tempel und hüte in ihm die ‚Träne des Meeres’. Niemals mehr soll ein menschliches Wesen ihn berühren ohne das Schicksal deines Volkes zu teilen.“ Mit dem Verhallen der donnernden Stimme sank auch der Tempel. Mit sich riss er die schöne rothaarige Königstochter, die seither die Menschen vom heiligen Stein fern hielt. Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- „Tief liegt nun am Grund verborgen, was einst vom Sonnenlicht beschienen. Für Glück und Wohlstand sorgend, sollte es den Menschen dienen. Doch besetzte der Menschen Herzen eine grenzenlose Gier, die sie blind und gefühllos machte, wie grausames Getier. Der Götter Zorn überkam die besessenen Barbaren, die einst die Hüter jenes heiligen Schatzes waren. Noch ehe es zu jener Zeit ein weiteres Mal tagte, als der höchste Priester es wahrhaftig wagte, die Träne seinem Platze zu entreißen.“ Noch immer klangen seine Worte im Raum nach, als der junge Mann ein Foto aus der Hand legte. Das Foto zeigte ganz offensichtlich ein altes Textfragment mit erstaunlich gut erhaltenen Schriftzeichen, das ein alter Freund des Mannes gefunden und ihm in Kopie eines Lichtbildes hatte zukommen lassen. Der Text wies einige Rätsel auf, die es nun zu entschlüsseln galt. Zum einen war zu klären, ob es sich bei dem ‚Grund’ um den Grund eines Sees handelte und wo dieser heute lag. Zum anderen wäre es interessant zu wissen, ob es bei sich bei dem besagten ‚heiligen Schatz’ um den Schatz handelte, den der Mann zu finden wünschte. Ob ‚die Träne’ wirklich ‚die Träne des Meeres’ war, die ihn an sein neues Ziel führen sollte. Nachdenklich tippte er gegen seine Unterlippe, ehe er nach dem Notizblock griff und auf diesen ein einziges Wort schrieb, das er sogleich mehrmals einkreiste. Sein erster Hinweis! In diesem Moment lugte jemand über seine Schulter und eine weibliche Stimme erklang, die den Raum erfüllte. „Träne? – Was hat es mit dem Wort schon wieder auf sich?“ Die Tonwahl unterstrich die Abneigung der Person gegen dieses arme, hilflose Wort, das da allein auf dem Papiere stand. Dieses Missfallen entging dem Schwarzhaarigen natürlich nicht, was Anlass für sein genervtes Augenrollen war. Ihr Desinteresse an all seinem Tun hätte ihn eines Tages zur Weißglut getrieben, wenn er nicht in der Lage gewesen wäre zumindest in ihrer Gegenwart sein hitziges Gemüt unter Kontrolle zu bringen. Leider stellte dies eine der beinahe alltäglichen Szenen im Leben des jungen Abenteurers dar, denen er einfach nicht entfliehen konnte. Er Idiot hatte sich sein Leid selbst eingebrockt, als er einen Pakt mit einem Teufel in Menschengestalt geschlossen hatte und dummerweise besaß dieser Teufel eine Tochter im heiratsfähigen Alter. Ein Seufzen entrann der Kehle des Mannes. „Damit ist ‚die Träne des Meeres’ gemeint. Also nichts, das für dich auch nur ansatzweise interessant sein könnte.“ Er schmiss den Block samt Stift zurück auf den Tisch und ließ sich rücklings auf die Couch fallen. Seine Hände vergruben sich in dem tiefschwarzen Haar, das er zurückstrich, und wandte den Blick seinem Gesprächspartnerer zu. Dieser entpuppte sich als eine Frau, die nicht älter als 20 zu sein schien. Sie verzog sauer das Gesicht und platzierte ihren schlanken Leib auf der Rücklehne der Couch. Goldige Locken umrahmten das feingeschnittene Gesicht bis hin zu den schmalen Schultern und meeresblaue Augen begutachteten den Mann misstrauisch. „Und wann soll es diesmal losgehen? Ich hoffe erst im Herbst!“ Herbst? Warum nicht früher? Fragend musterte er das junge Ding, welches gebannt auf seine Antwort wartete. Ihr schulterlanges Haar, das wie immer kunstvoll frisiert und erstaunlich unecht aussah; diese unglaublich tolle Figur, die ‚Papa’ ein vermögen kosten musste und dieses viel zu kurze, enganliegende Kleid, das schon eher ausladend als einladend wirkte – in seinen Augen war sie definitiv keine Traumfrau. Er war sich bewusst, dass eine falsche Antwort fatale Folgen nach sich gezogen hätte. Eigentlich wollte er schon früher aufbrechen, doch kam ihm soeben wieder in den Sinn, was ihm tatsächlich entfallen war: Im Sommer sollte eine Feier stattfinden, der er unbedingt beiwohnen musste. Warum? Na ja, man könnte meinen, er war einer der Hauptakteure. „Verrat mir bitte, warum ich eingewilligt habe ausgerechnet dich zu heiraten!“ Seine Augen wanderten hinauf zur Decke und verharrten an dieser, als wäre sie unterhaltsamer als seine Verlobte. Syntia, wie der herzlose Engel einst von seinen Eltern getauft wurde, ließ die Lehne hinter sich und umrundete die Couch, bis der Mann sich in greifbarer Nähe befand. Rittlings ließ sie sich auf seinen Hüften nieder und beugte sich weit zu ihm vor. „Ganz einfach, mein Hübscher.“ Lächelnd spielte sie ihren Charme auf, kam seinen Lippen vielsagend nahe, die sacht von ihren Fingerspitzen berührt wurden. „Mein Vater hatte sich bereit erklärt jede deiner dummen Expeditionen zu bezahlen, wenn du dich einverstanden erklärst mich zu heiraten – das war der Deal“, flüsterte sie ihm sinnlich zu, wobei ihre Hand sich ihren Weg unter das Shirt bahnte. Wie gern hätte er gekniffen. Diese Frau besaß auch nichts, das ihn wirklich ansprach. Das einzig Gute waren ihre Figur und der Sex und selbst den gab es nur in Maßen, allein um ein paar Empfindungen vorzuheucheln und den Vater zufrieden zu stellen. Auch ihr war nicht sonderlich viel an ihm gelegen, das wusste er, und doch schien es ihr egal zu sein, dass diese Ehe auf beiderseitiger Antipathie aufgebaut werden sollte. Am Ende hatte allerdings jeder etwas davon – er die bezahlten Expeditionen (was ihn ja nicht zwangsläufig dazu veranlasste bei ihr daheim zu bleiben) und sie das Erbe ihres Vaters, sobald ein Nachkomme präsent war ( was wiederum Grund genug war, sich ab und an bei ihr blicken zu lassen). Fragwürdig war dennoch wie lange er diese Komödie noch mitspielen konnte, denn nur das „Paar“ selbst wusste von diesem Makel. Der Rest der Welt verstand sich darauf diese Beziehung als liebevoll und hingebungsvoll zu betrachten. Falls jemand etwas von dem Schauspiel bemerkt haben könnte, stand die Frage im Raum, wer die größeren Blender waren. „Stimmt, da war was...“, meinte er gleichgültig. „Ich warne dich!“ Noch immer verweilte ihre Hand unter seiner Kleidung. Es kostete ihn allerhand Überwindung ruhig zu bleiben, als sie ihre Nägel in seine Haut krallte. „Sollte deinetwegen die Hochzeit platzen, platzt auch dein Budget und damit jede weitere Reise.“ Ruckartig schnellte seine Hand hervor und packte ihren Schopf. Unaufhaltsam näherte er sich ihren Lippen und schien gewillt diese mit den seinen zu berühren, als sie sich mit aller Kraft von ihm loseiste und aufsprang. „Nicht die Lippen, hatte ich dir gesagt.“ Angewidert glitt ihr Handrücken über ihre vollen, roten Lippen, um möglichst jeden seiner Partikel von ihnen zu entfernen. Er für seinen Teil wirkte zufrieden und blieb vorerst liegen, um ihren zornigen Gesichtsausdruck vollends genießen zu können. „Ich hatte ganz vergessen, dass diese nur deinem Liebsten vorbehalten sind. Pass lieber auf, dass dein Erstgeborenes nicht zu viel Ähnlichkeit mit ihm hat, sonst wird dein Vater noch stutzig“, äußerte er gehässig. Ohne ein weiteres Wort verließ sie das gemeinsame Wohnzimmer und anschließend auch die Wohnung. Sicherlich war sie wieder auf dem Weg zu ihm, ihrem Liebhaber. Oder ist der Andere der Freund und er selbst nur die Affäre, die zu einem grausamen Schauspiel genutzt wurde? Egal, denn für heute hatte er jedenfalls seine Ruhe. Weder ihr dummes Geschwätz noch ihr Anblick hätte er ertragen müssen. Er liebte diese Nachmittage, an denen er endlich wieder machen konnte, was ihm vorschwebte. Wonach ihm heute wohl zumute war? Ein Besuch bei Gary wäre mal wieder bitter nötig gewesen, aber hatte der eifrige Forscher auch Zeit für seinen besten Freund? Eher lustlos, da es auf dem Sofa gerade so bequem war, angelte der Schwarzhaarige nach seinem Handy, das doch irgendwo auf dem Boden nahe der Couch liegen musste. Hier? Nein. Aber da war... „Ah!“ Offensichtlich hatte er gefunden, was er gesucht und wählte rasch die bekannte Nummer. Nach mehrmaligem Tuten wurde doch wahrhaftig abgenommen. „Hm?“, ertönte nur kurz eine beschäftigte Stimme am anderen Ende. „Hey, Gary. Altes Haus, sag mal, hast du für mich etwas Platz in deinem vollen Terminplaner?“ „Hallo Ash. - Moment...“ Rasches Blättern war im Hintergrund zu hören, das auch sogleich wieder verstummte. „In drei Wochen sieht es gut aus“, antwortete der Freund grinsend, was dem Anderen jedoch optisch verborgen blieb. Das Grummeln des jungen Mannes blieb nicht ungehört, was dem Brünetten ein leises, aber gehässiges Lachen entlockte. „Dann bis gleich.“ „Aber...“ Kein aber, denn ehe der Angerufene noch etwas sagen konnte, wurde das Telefonat als beendet erklärt und der Schwarzhaarige schwang sich kurzerhand und voller Elan auf die jungen Beine. Das Brennen in Brusthöhe machte sich erst jetzt wirklich bemerkbar und eine knappe Begutachtung des Schadens zeigte ihm, dass sie es mal wieder übertrieben hatte. Dieses elende Miststück! Glücklicherweise hatte jemand vor vielen Jahren die Scheidung erfunden, die ihm früher oder später sicherlich das Leben retten würde. Bestimmt war das einst die Erfindung eines Mannes gewesen, der es daheim nicht mehr ausgehalten hatte. Genauso wie Jahrestage von Frauen und der Valentinstag von der Pralinenindustrie erfunden wurde. Weihnachten gehörte sicherlich auch zu solch einer Erfindung, aber wer sich dafür verantworten durfte, wollte dem Mann gerade nicht in den Sinn kommen. Und ein alter, arbeitsloser Weißbärtiger hatte bestimmt nichts damit zu tun. Wie dem auch sei, denn bevor er sich Zeit und Muße nehmen sollte darüber genauer zu sinnieren, wartete jemand bereits auf ihn. Auch wenn dieser Jemand keineswegs auf Besuch eingestellt sein dürfte. Aber das kümmerte einen Ash Ketchum nicht, dessen zweiter Vorname schließlich „Spontan“ lautete. Oder war das doch eher „Hitzköpfig“? „Unüberlegt“? „Naiv“? Okay, ein Ash Ketchum hatte offensichtlich viele Namen, die leider weder auf einen Ausweis noch auf das Namensschild passten, aber dafür seine Vielseitigkeit unterstrichen. Auch er ließ nun die Tür hinter sich ins Schloss fallen, um im frühsommerlichen Sonnenschein einen gelassenen Spaziergang mit vorhergesehenem Ziel zu machen. Die schon recht warme Nachmittagssonne weckte allmählich alles Leben, das sich um und in der Stadt befand. Vertania- City hatte sich in den letzten Jahren beträchtlich vergrößert. Kein Wunder also, dass ein junger, aufstrebender Forscher wie Gary Eich hier gern gesehen war. Nicht nur, dass man ihm bereitwillig ein Labor bereit stellte, er erwies sich auch als äußerst nützlich als er sich bereit erklärte einige Vorlesungen in der hiesigen Uni zu übernehmen. Schon in den ersten Tagen seiner Tätigkeit als Lehrkraft, füllten sich die Säle rapide mit jungen Studentinnen und Studenten, was nicht nur an der fesselnden Vortragsweise des Mannes lag. An Freitagen war er stets mit seinen Forschungen beschäftigt und deswegen in seinem Labor aufzufinden, wenn er nicht gerade im Büro sitzend mit dem Papierkram zu kämpfen hatte. Um diese Tatsache wusste Ash und suchte ihn - da es zufällig Freitag war - deswegen gleich im entsprechenden Gebäude auf. Die automatischen Türen gewährten ihm sofortigen Eintritt, als er sich ihnen näherte und eine vertraute Stille umhüllte den jungen Abenteurer. Mit dem Schließen der Tür, sperrte diese den hektischen Tumult der Stadt aus. Das Labor eines Eichs war seit jeher als Oase der Ruhe bekannt – als Oase für Mensch und Pokémon. Ein Stück Heimat fand sich in den kühlen Räumen wieder. Ein Gefühl, das Ash schon beinahe vergessen hatte. Seit dem ‚Pakt’ ließ er sich selten in Alabastia blicken, was nicht gerade zur Freude seiner Mutter geschah. Nun wohnte er schon in der Nähe und hielt sich trotzdem fern. Wenn die Gute doch wüsste, was er angerichtet hatte, sie würde ihn bemitleiden. Früher oder später wollte er ihr es sagen und alles erklären. Irgendwann, wenn die Zeit reif war. Ein freudiger Aufschrei riss ihn aus seiner Gedankenwelt. Gerade noch konnte er sehen wie ein gelber Blitz die restlichen Stufen herab raste und ihm letztendlich in die Arme sprang. Diese Aktion brachte ein umwerfendes Ende mit sich, denn nach dieser Wucht fiel es dem Schwarzhaarigen äußerst schwer sich auf den Beinen zu halten. Auf dem Boden liegend ließ er lachend die Begrüßung seines kleinen Freundes über sich ergehen, nahm die Elektromaus herzlich in den Arm und genoss das Zusammentreffen. „Ich freu mich ja auch dich wiederzusehen. Pikachu, jetzt ist ja langsam genug“, versuchte er dem Pokémon Einhalt zu gebieten. Das jedoch ließ nur widerwillig von ihm ab, sprang anschließend noch eine Weile um ihn herum und ließ sich wie schon so oft zuvor auf der Schulter des Mannes nieder, nachdem dieser sich wieder aufgerappelt hatte. „Junge, hab ich dich vermisst.“ Ein weiterer Nachteil an der Hexe, mit der er die Wohnung teilte: sie hasste Pokémon. Und nicht nur sie, ihre ganze Familie konnte diese possierlichen, kleinen oder auch großen Wesen nicht ausstehen. Einmal mehr wurde Ash klar, wie arm er mit seiner Verlobten doch dran war. Ein Seufzen entrann der Kehle des Mannes als er die Stufen erklomm, die sein Pikachu kurz zuvor hinter sich gelassen hatte. „So bedrückt?“, wurde Ash am oberen Ende der Treppe lächelnd begrüßt. Verwundert blickte er auf und machte eine junge Frau ausfindig, die auffällig blinzelnd hinter ihrem Schreibtisch saß. Die langen Wimpern wanderten beständig auf und ab und das auffällig hübsche Gesicht stützte sich auf ihre zarten, glatten Handrücken. „Kann ich helfen, Süßer?“ Eine Augenbraue des Angesprochenen wanderte irritiert empor. „Ich möchte zu Gary, also zu ... ehm... – Ist er da?“ Was für ein Gestotter! Aber wie hätte er denn nach seinem Freund fragen sollen? Mr. Eich? Nein, das klingt zu gehoben für einen einstigen Spiel- und Reisegefährten aus Kindertagen und wäre für Ash auch etwas untypisch. Die merkbare Unsicherheit entlockte ihr ein leises Kichern. „Ja, ist er. – Wen darf ich melden?“ „Ich werde erwartet“, fasste er sich möglichst kurz, um sich weiterhin unnötig zu verhaspeln. Ihre weiteren Anspielungen wie „Na dann bewegen Sie mal ihren hübschen Hintern in diese Richtung“ bemerkte er schon gar nicht mehr, war er ruckartig wieder in seinen Gedanken versunken. Der Vorraum sah für ein Labor etwas zu gut eingerichtet aus. Als ob hier das meiste Geld gelandet wäre. Wenn es hier schon so luxuriös aussah, was steckte dann alles im Labor? In den Genuss sich dieses anzusehen war der junge Mann leider noch nicht gekommen. Und warum und wozu brauchte Gary eine Sekretärin? Er musste sich schließlich um seine Berichte selbst kümmern. Und einen besonders hellen Eindruck machte sie auch nicht. Im Gegenteil. Genau in diesem Moment stand sie an der Tür, um sie ihm zu öffnen, und wackelte dabei unruhig mit ihrer Hüfte hin und her. Die freie Hand wanderte dabei ihre Silhouette nachzeichnend an ihrem Körper hinauf und hielt auf Höhe der Lippen inne. Als Ash letztendlich an ihr vorbei ins Büro ging war sie dabei ihren Kaugummi um den Zeigefinger zu wickeln und den Schwarzhaarigen vielsagend anzugrinsen. „Wäre es nicht leichter ihn einfach aus dem Mund zu nehmen und wegzuschmeißen?“, fragte er begriffsstutzig wie eh und je und brachte sie damit vollkommen aus der Fassung. Wütend warf sie hinter ihm die Tür zu und setzte sich wieder an den Schreibtisch. „Hab ich etwas falsch gemacht?“, wollte Ash von dem Forscher wissen, der gerade die handschriftlichen Notizen seines Forschungsberichtes überflog. Gary hingegen winkte nur ab und deute anschließend auf dem Stuhl ihm gegenüber. „Keine Sorge, bis du wieder gehst benimmt sie sich so aufdringlich wie immer.“ „Ich weiß sowieso nicht was du mit so einer anfangen kannst. Sie sitzt wahrscheinlich nur rum und kaut ihren Kaugummi.“ Natürlich nahm Ash das Angebot an und ließ sich in den weich gepolsterten Lehnstuhl fallen. Und auch Pikachu machte es sich sogleich auf seinem Schoß bequem und erfreute sich an langersehnten Streicheleinheiten seines Trainers. Der Brünette quittierte diesen Anblick mit einem Lächeln und legte wenig später den Berichte beiseite, um sich voll und ganz auf seinen seltenen Gast konzentrieren zu können. „Ich habe dir schon mal gesagt, dass sie nur Dekoration ist: sie ist hübsch und hat nicht mehr zu tun als ein paar Anrufe entgegen zu nehmen, die Gäste anzukündigen und sich die Nägel zu feilen.“ Wer Gary kannte, konnte sich denken, dass das sicherlich nicht ernst gemeint sein konnte. Treffender wäre die Theorie, dass sie die Tochter oder Nichte eines Bekannten war und unbedingt etwas Arbeit brauchte, von der Tatsache, dass sie zu nichts taugte einfach abgesehen. Aber aus diesem Grund war Ash nicht hier. Er hatte seinen Freund aufgesucht, da dieser ihm möglicherweise beim Entschlüsseln des Rätseltextes behilflich sein konnte. Ohne große Umschweife begann der Schwarzhaarige nach einer kurzen Einleitung mit seinem Anliegen, dem Inhalt des Textes und was es seiner Meinung nach mit ihm auf sich hatte. Aufmerksam hörte Gary ihm zu, ließ nachdenklich einen Stift zwischen Daumen und Zeigefinger auf und ab wippen und machte sich ab und an Notizen, wenn er meinte interessante Fakten gehört zu haben. Als der Abenteurer seine Erzählung beendete, sank auch der Stift des Zuhörers auf den Tisch zurück und er lehnte sich zurück. „Und, was meinst?“, wollte Ash es nun wissen. „Also“, begann Gary unschlüssig. Er war der Ansicht, dass sein Freund zu viel in die Inschrift hineingeheimniste. „Für mich klingt das eher nach einer Geschichte, als nach einem Geheimnis. Als hätte man den Ablauf von etwas beschrieben, aber da noch ein Teil zu fehlen scheint, ist es schwer was zu sagen.“ Nun, das klang einleuchtend – auch für Ash. Allerdings beantwortete ihm das noch immer nicht seine Frage, was es nun mit diesen Schlüsselwörtern auf sich hatte. Waren sie nun Beweise für die Existenz der ‚Träne’ oder nur eine Legende, eine schöne Geschichte, die sich jemand hatte einfallen lassen? Die anfänglich gute Laune des jungen Mannes schwand schnell. Er war sichtlich entmutigt, denn einen guten Anhaltspunkt gab es jetzt nicht mehr. Etwas, das ihm zumindest veranlasst hätte aufzubrechen. Das geschulte Auge Garys entging die Stimmungsschwankung nicht. Er besah sich noch einmal die kurzen Mitschriften und plötzlich kam ihm ein Gedanke, der ihm bis eben entfallen war. Vor kurzem erst hatte er mit einem der Professoren über einen seltsamen See gesprochen, der einige Wochenmärsche entfernt lag. Von Anwohnern eines kleinen Dorfes hatte dieser nämlich erfahren, dass ein See existierte, der geradezu gigantisch sein sollte; mit weitläufigen Ufern und einer bisher unerforschten Tiefe. Mittlerweile war er verlassen und mehrere Kilometer entfernt lebte dort niemand. Nur die Alten erinnerten sich an Geschichten und Legenden. „… Der See trägt den Namen Naias. Um ihn ranken sich einige Geschichten. Auch, dass sich auf seinem Grund ein Schatz befinden soll.“ Sogleich hellte das Gesicht des Jüngeren auf und ein altbekanntes, wagemutiges Grinsen fand den Weg in seine Züge zurück. Das war der nötige Funken, um seine Leidenschaft zu entzünden, der fehlende Grund sich endlich aufzumachen, ein konkretes Ziel. Jetzt gab es für ihn kein Zurück mehr. Auf die Frage hin, ob der Brünette ihn nicht wie in alten Zeiten begleiten möchte, hob dieser nur abwehrend die Hände und verneinte. Er sei nicht mehr der Typ für diese Art von Reisen, auch wenn der Reiz groß wäre neue Pokémon erforschen zu können, war seine lausige Begründung, die mit Sicherheit auf Angst aufbaute. Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Was für ein Tag: erst ließ ihn seine ach so tolle Verlobte allein und überließ ihm damit dankbarer Weise die Gestaltung seines Nachmittags und dann konnte sich sein bester Freund auch noch ein paar Stunden für ihn Zeit nehmen. Hinzu kam, dass Ash nach langer Zeit sein Pikachu wieder sehen konnte. Aber das war noch lang nicht das Beste! Voller Tatendrang trat der Schwarzhaarige in die Wohnung und schloss die Tür hinter sich. Es schien alles ruhig. Madame war wohl noch bei dem Liebsten. Sollte sie doch, denn er hatte bessere Pläne. Rasch schlüpfte er aus seinen Schuhen und eilte ins Schlafzimmer. Unter dem Bett grabbelte er seinen großen Reiserucksack hervor und begann eiligst damit ihn mit Sachen und all dem nötigen Krimskrams zu füllen, den er auf seiner Reise brauchen würde. Schlafsack, Zahnbürste – es musste wirklich alles gepackt werden, denn eine weitere Nacht hätte er nicht hier bleiben wollen. Er brannte geradezu darauf sich aufzumachen und diesen Schatz zu suchen. Gary hatte sich freundlicherweise noch einmal mit diesem Professor kurzgeschlossen, von dem er erzählt hatte, und dieser konnte auch weiteres über den Ort und den Weg dorthin berichten. Mit jeder weiteren Silbe, die der Brünette ihm daraufhin geschildert hatte, stieg das Fernweh in Ash an und hielt sich seitdem auf der höchsten Stufe der Gefühle. Was Syntia anging – ihm konnte sie gestohlen bleiben. Sie wollte mit ihm doch nichts zu tun haben und nur um an Daddys Geld ranzukommen war er sich auch zu schade. Die Finanzierung für diese Expedition hatte er in der Tasche und was dann folgen könnte, würde sich noch zeigen. So hatte Ash es auch Gary erzählt und der hatte beträchtliche Probleme sich auf seinem Stuhl zu halten, weil auch er an das Schauspiel geglaubt hatte, dass beide präsentierten. „Tja“, meinte Ash, in diesem Moment an das Gespräch zurückdenkend. „So ist das Leben nun mal.“ Und seines war halt nicht das Beste. Zwar besaß es auch seine angenehmen Seiten, aber die konnte er problemlos an einer Hand abzählen. Es war eben schon lang nicht mehr so, wie er es sich einst erträumt hatte. Während er wie ein Besessener Landkarten und weitere Orientierungshilfen zusammenklaubte, vertiefte er sich so sehr in Vorstellungen und Wunschträume, dass er nicht bemerkte, wie sich jemand weiteres Zutritt zur Wohnung verschaffte. Aufmerksam besah sich diese Person den jungen Mann, der gerade seinen Schrank durchwühlte und dabei allerhand zusammenhangloses Zeug vor sich her brabbelte. Dinge über ‚das Erforschen neuer Regionen’, ‚einen Fund, der unermesslichen Reichtum bringen könnte’ sowie 'endlich unabhängig sein' drangen an das aufmerksame Gehör und ließen die hübsche Mitbewohnerin aufmerksam werden. Mit leisem Seufzen und auffallend erotischen Bewegungen versuchte sie wortlos ihre Anwesenheit anzukündigen und ihn in das Hier und Jetzt zurückzuholen, doch nichts half. Wenn dieser Mann in Gedanken war, konnte ihn aus diesen so schnell nichts herauslocken, das wusste sie mittlerweile. Wie ärgerlich aber auch! Ihr Liebster hätte sich schon längst gesehen und mit liebreizenden Komplimenten überhäuft, bevor er sich wie ein wilder Tiger auf sie gestützt hätte. Doch in diesem Punkt war Ash mehr ein zahmes Lämmchen als ein wildes Tier. Genervt stöhnte Syntia auf und versank selbst so in Gedanken, dass sie wie auch er seinerseits erschrak, als er beinahe in sie hineinrannte. Wie konnte sie auch einfach so im Türrahmen stehen bleiben? „Was machst du denn hier?“, stellte der Schwarzhaarige eine doch recht dümmliche Frage. Sie hingegen lächelte nur bitter. „Ich wohne hier, mein Schatz.“ Schatz? Was war denn jetzt los? Diese Verwirrung machte sich auch in seinem Gesicht breit, wenngleich er nichts weiter in dieser Hinsicht äußerte. „Muss mir entfallen sein.“ Ohne auf weitere Kommentare ihrerseits zu achten, drängte er sich an ihr vorbei und verschwand im Bad, um dort weiter zu sammeln. Noch war Platz im Rucksack und den wollte er bis zuletzt ausnutzen. Ihr erzürntes Antlitz ließ er dabei gekonnt außer Acht. Mit tiefem Durchatmen brachte sie sich wieder zur Räson. Es würde sicherlich eine harte Nuss werden, wenn sie jetzt versuchen wollte, etwas aus ihm heraus zu bekommen. Aber nachdem sie gehört hatte, was wohl als nächstes bei ihm anlag, musste sie es einfach erfahren. Doch wie sollte sie vorgehen? Sonst hatte sie sich auch nicht darum gekümmert, wo es ihn als nächstes hinführte oder ob er gar zurückkäme. Eine List war hier von Nöten und ein gescheites Kind wie sie hatte diese natürlich schon parat. Mit zarten, eleganten Schritten näherte sie sich ihrem Verlobten und ließ sich mit überschlagenen Beinen auf dem Badewannenrand nieder. „Mir fällt gerade ein...“, begann sie leise und die Worte bedacht wählend. „Mein Vater hat mich gebeten aus dir ein paar Informationen über diese seltsame ‚Träne’ herauszukitzeln, von der du die letzte Zeit immer wieder gesprochen hast.“ Ihre Worte begleitend stupste sie ihm mit den Zehenspitzen in die Seite und konnte ihm damit tatsächlich ein leichtes, äußerst süßes Lächeln entlocken. Für wie dumm sie ihn wohl hielt? Meinte sie etwa, dass er den Braten nicht roch? Ein Seufzen entrann seiner Kehle, woraufhin er von seinem Tun abließ, zurück rutschte und sich gegen die kalten Fliesen hinter sich lehnte. „Möchte ER das wissen oder bist DU nur etwas neugieriger als sonst?“ Fragend wanderte eine seine Brauen empor, während seine Augen beiläufig einige wohlgeformte Zentimeter ihres Körpers erkundeten. Ertappt! Aber das konnte ihr jetzt auch egal sein, denn scheinbar gab er bereits nach. So besonders schien sein Vorhaben wohl gar nicht zu sein, wenn er so bereitwillig darüber erzählen würde. „Beides.“ Das klang jedenfalls sehr überzeugend, auch wenn nicht eine Silbe wahr war, denn ihr Vater wusste nicht einmal ansatzweise, was das aktuelle Ziel des Abenteurers darstellen sollte. Ihm waren lediglich die Ergebnisse wichtig und in dieser Hinsicht hatte Ash Ketchum ihn noch nie enttäuscht. Und ihre Saat fruchtete, denn Ash erklärte sich wirklich bereit, ihr näheres über sein Vorhaben zu berichten. Irgendwie fühlte er sich auch geschmeichelt, dass sie wenigstens ein Mal wissen möchte wohin es ihn verschlug. Nein, er fühlte sogar Stolz und wenn dieser in ihm aufkeimte, konnte er schwer jemanden etwas abschlagen. Er würde sein Ziel so oder so erreichen; also warum mit seinem Wissen hinter dem Berg halten? Genüsslich streckte er die Beine von sich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Es geht um einen Schatz. Einen Edelstein, um genauer zu sein.“ Sogleich weiteten sich ihre Augen und pure Gier sprach aus ihnen. „Ein Edelstein?“ Sie musste ihn einfach haben, auch wenn sie nicht einmal sicher war, wie er aussah und ob es diesen überhaupt gab. „Erzähl mir mehr!“ Nun galt es allen Charme aufzuspielen, um das neu festgesetzte Ziel zu erreichen. Sie ließ sich vom Wannenrand gleiten und kroch auf allen Vieren zu ihrem Gegenüber. Dieser zeigte nur wenig Anteilnahme und ließ sie sogar gewähren, als sie sich auf seinen Schoß setzte und ihre Arme um seinen Hals legte. Es gab nicht viel, was er noch hätte erzählen können, also erklärte er ihr, dass er irgendwo einen versteckten Stein vermutete, von dem nicht mehr als Ammenmärchen existierten. „Und dieses seltsame Foto mit der Steintafel?“, fiel sie ihm plötzlich ins Wort. Missmutig zuckte er mit den Schultern. „Nicht mehr als eine vage Vermutung, dass der Text darauf vom Stein handeln könnte. Es gibt Gerüchte von möglichen Aufenthaltsorten und denen möchte ich nachgehen.“ Unerwartet verfinsterte sich ihre Miene schlagartig und ein barscher, unerbittlicher Ton klang in ihrer Stimme mit. „Besorg mir diesen Stein! Versprich ihn mir als Hochzeitsgeschenk und ich lasse dich auf der Stelle losziehen.“ Endlich zeigte sie ihr wahres Gesicht. Es fehlten nur noch die Hörner und die Hufen anstelle der Füße. Ein äußerst verlockendes Angebot, dessen war er sich bewusst, aber wie könnte er etwas versprechen, dessen Existenz nicht einmal bewiesen war. Wenn er jedoch ein einziges Wort sagen würde, könnte er sofort seine Sachen schnappen und verschwinden. Keinen Aufschub mehr und er wüsste sich in den nächsten Wochen definitiv in ‚Sicherheit’. „Einverstanden!“ Eine gute Entscheidung? Hätte er nicht doch lieber noch einmal darüber nachdenken sollen? Leider war es zu spät seine Antwort zurück zu ziehen, denn bereits jetzt sprang die Blondine aufgeregt im Bad herum und verschwand im nächsten Augenblick im Flur, um sich dort das Telefon zu schnappen und mit ihrem Vater zu telefonieren. Sobald er das Wort Hochzeitsgeschenk hörte, wusste er, dass es kein Rückzug mehr gab. Ab jetzt galt sein ungewollt gegebenes Versprechen. So kam es, dass Ash zwar immer noch voller Elan, dafür mit wesentlich schlechterer Laune die restlichen Utensilien in seinen Rucksack packte und sich noch am selben Abend auf dem Weg machte. Oje, wirklich dumm von ihm wirklich all seine Pokémon bei Gary gelassen zu haben. Außerdem war er das erste Mal ohne seinen kleinen, gelben Freund unterwegs. Gut, er wusste, dass es gefährlich werden könnte und dass kein Pokémonzenter in der Nähe wäre, sollte es ihnen einmal schlecht gehen, doch leider gab es auch eine Kehrseite dieser Entscheidung – es war tot langweilig! Es wollte aber auch wirklich niemand mitkommen. Gary war zu feige und selbst sein Freund Rocko, der sonst für alles offen war, hatte besseres zu tun, als sich auf ein weiteres von Ashs waghalsigen Abenteuer einzulassen. Er hatte sich bei dem Schwarzhaarigen damit entschuldigt, das er gerade an einer äußerst wichtigen Sache dran sei, der es keinerlei Aufschubes bedarf. Welche Sache das sein konnte, konnte Ash sich schon denken: Sicherlich hatte sein alter Freund endlich ein Mädchen gefunden, dass auch ihn mit all seinen Macken mochte und musste sich nun ganz besonders ins Zeug legen. Eigentlich kam keine andere Möglichkeit in Frage. Rocko war wirklich zu beneiden. Gern hätte Ash auch ein Mädchen an seiner Seite, dass er seine Traumfrau nennen konnte und sich von nichts aus der Ruhe bringen ließe. Sie wäre für ihn da und würde ihm dennoch all seine Freiheiten lassen. Sie würde ihn bekochen wie es nur seine Mutter konnte und wäre nicht nur eine Stütze an seiner Seite, sondern eine Ergänzung seines dann vollkommenen Lebens. Aber es gab sicherlich nicht einmal ein Mädchen, dass auch nur einen Bruchteil dieser Eigenschaften besaß und dabei legte er nicht einmal Wert auf ein besonderes Äußeres. Sie könnte ruhig etwas Dicker sein, eine Brille wäre auch kein Beinbruch gewesen. Nur eines wäre wichtig, wie er in letzter Zeit bemerkt hatte: Er hatte an sich eine Schwäche für rothaarige Damen ausfindig gemacht. Rote Haare, ein süßes Lächeln, Lebensfreude, ein feuriges Temperament, das seinem in nichts nachstünde... Während Ash einen schmalen Waldweg entlang schlenderte und Baum für Baum hinter sich ließ, malte er sich weitere Eigenschaften seiner Traumfrau aus. Reisen und Abenteuer hin oder her, aber auch er war nur ein Mann, der gewisse Bedürfnisse und Träume besaß. Es gab auch in seinem Leben mehr als Action und Ständig-in-Bewegung-sein. Mittlerweile wurde aus einzelnen Punkten eine ganze Liste, doch er war sich sicher, dass er nicht einen davon hätte abhaken können, solange ihm Syntia an der Backe klebte. Ach, was sollte das jetzt überhaupt? Er war schließlich unterwegs, um auf andere Gedanken kommen zu können und jetzt blies er schon wieder Trübsal. War ihm das Ganze wirklich so sehr aus den Rudern geglitten? Kannte er nur noch die schlechten Seiten an sich und seinem Leben? Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen allein zu reisen, er hatte zu viel Zeit zum Nachdenken und so aufgeschlossen wie einst war er auch nicht mehr. Hinter jeder möglichen Freundschaft sah er einen Belzebub, der als nächsten Schritt eine Verlobung mit der einzigen Tochter vorschlüge. Erbärmlich! „Ash, jetzt reiß dich zusammen!“, mahnte er sich selbst, sonst sah er sich bereits in der nächsten Ecke sitzen und die Expedition hätte er dann auch vergessen können. Gott, was war nur aus ihm geworden? Nein, so sollte das nicht weiter gehen. Jetzt kam ein neuer Lebensabschnitt, das spürte er. Und eben diesen musste er nutzen und mit aller Gewalt für sich beanspruchen. Ja, so war es richtig! Und um dem alten Trübsal blasenden Ich ‚Auf Wiedersehen’ zu sagen, musste er... erst einmal etwas essen, denn sein Magen knurrte ungeheuerlich. Außerdem bekam man von dem ganzen Nachdenken nur noch mehr Hunger und mit leerem Bauch konnte man keinen Neuanfang wagen. Nach einigen weiteren Metern machte er eine kleine Lichtung ausfindig, die geradezu einlud dort zu verweilen. Der Waldsaum war dicht bewachsen und bot ausreichend Windschutz. Außerdem stand die Sonne in einem günstigem Winkel, sodass der junge Mann noch ein paar angenehm warme Strahlen erhaschen konnte, ehe die Dämmerung einsetzte und die Nacht ankündigte. Ein kleines aber dennoch stärkendes Mahl später und gerade dabei sein Nachtlager vorzubereiten, glaubte er etwas gehört zu haben. Nun gut, aufschreiende Taubsis, streunende Rattfratz oder andere waldbewohnende Pokémon störten ihn da nicht im Geringsten, aber dieses Geräusch passte einfach nicht in die Wildnis. Oder sollte es sich letztendlich als eine Wahnvorstellung entpuppen, da ihn die Einsamkeit erstaunlich schnell verrückt werden ließ? Vorerst wollte er dieses Geräusch außer Acht lassen und sich stattdessen wieder seinem Zelt widmen, das einfach nicht stehen wollte. Nun gut, es lag wohl daran, dass er die Heringe vergessen hatte und sich seit Anbeginn der Reise mit selbst geschnitzten Pflöcken zufrieden geben musste. Diese hielten allerdings nur für eine gewisse Zeit, denn im feuchten Boden weichten sie rasch auf und konnten schon nach einigen Nächten nicht mehr benutzt werden. So auch diesmal, weswegen er sich gezwungen sah noch ein paar Neue herzustellen, während das Feuer nach Anbeginn der Nacht in den ersten Zügen vor sich hinloderte und allmählich zu wachsen begann. „Du schnitzt sie zu schmal. Kein Wunder, dass sie schnell unbrauchbar werden“, ertönte plötzlich aus dem Schatten des Waldes eine ferne, wenn auch bekannte Stimme. „Dass du das in all den Jahren noch nicht gelernt hast.“ Erschrocken und voller Selbstzweifel wandte Ash sich um und suchte in der Dunkelheit nach einer einleuchtenden, sich selbst jedoch niederschmetternden Lösung für seine Wahnvorstellungen. Und er behielt Recht mit seiner Vermutung. Nach längerem und ausgiebigem Nachsehen fand er nichts, dass sich auch nur annähernd als Ursprung dieser Stimme hätte darstellen können. Fragend besah er sich seinen Holzpflock, den er noch immer in der Hand hielt und musste mit Entsetzen feststellen, dass es sogar seine Wahnvorstellung besser wusste als er. Um genauer zu sein handelte es sich bei diesen Worten um einen Ratschlag, den ihm Gary des öfteren gegeben hatte. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass Ash Ketchum ohne Zeltheringe einher streifte. Ein Seufzen entrann seiner Kehle und resignierend ließ er den Kopf hängen. „Ash, du bist manchmal ein echter Trottel!“ Wieder diese Stimme, die ebenso deutlich zu hören war, wie das erste Mal. Wieder ein Seufzen seitens des Mannes. „Das weiß ich doch selbst“, gestand er sich ein und lehnte sich an einem Baumstamm nahe des Feuers zurück. Das folgende Rascheln hinter sich ließ er außer Acht und schob dessen Ursprung auf ein wildes Pokémon. „Ich meine das ernst. Früher hätte man dich nicht so leicht entmutigen können. Eine fremde Stimme wäre für dich Anlass gewesen den kompletten Wald abzusuchen. Besonders, wenn du allein unterwegs gewesen wärst.“ Die Augen des Schwarzhaarigen weiteten sich vor Erstaunen, als plötzlich Gary in den Feuerschein trat und sich ihm in voller Lebensgröße zeigte. Etwa noch eine Wahnvorstellung? Um sicher zu gehen warf er den nun fertigen Pflock in die Richtung, in der er die Halluzination vermutete und wirkte sogleich noch perplexer, denn das Holzstück prallte ab und landete vor den Füßen seines Gegenübers. Dieser verzog nur finster das Gesicht und stemmte eine Hand in die Hüfte. „Du musst in den letzten Monaten echt gelitten haben, wenn du jetzt nicht einmal mehr deinen eigenen Augen traust.“ Ash nickte nur und starrte weiterhin den Neuankömmling an. Natürlich fragte er sich, was sein Freund hier zu suchen hatte, doch brachte er diese Frage nicht hervor. Sein dümmlicher Gesichtsausdruck sprach jedoch Bände. Gary lächelte daraufhin nur und ließ sich neben seinen Kamerad auf den Boden sinken. „Dachte ich mir, dass du dich freust mich zu sehen. - Nach unserem letzten Gespräch fand ich es nicht richtig dich allein ziehen zu lassen. Außerdem hatte ich vorerst genug von den tristen Wänden meines Büros und der Uni und habe mich einen Tag später auf den Weg gemacht. Deine Verlobte meinte, dass ich dich verpasst hätte, also bin ich die ersten Kilometer gefahren und habe mein Auto bei einem Bekannten untergestellt. Und jetzt bin ich hier.“ Aufmerksam lauschte Ash dem Monolog und antwortete lediglich mit einem dankbaren Lächeln, was keiner weiteren Worte bedurfte. Worte waren hier auch völlig unnötig, denn man kannte mittlerweile die Gedanken des Anderen. Stattdessen kramte der Schwarzhaarige in seiner Tasche und reichte dem Brünetten einen der Äpfel, die er im Laufe des Tages unterwegs gepflückt hatte. Die beiden Freunde sprachen noch bis spät in die Nacht miteinander, scherzten und plauderten über alte Zeiten, die eigentlich noch gar nicht so fern waren. Beide wussten die Gegenwart des Anderen zu schätzen. Ash allerdings umso mehr, denn jetzt wurde ihm endgültig bewusst, dass es der Anfang des neuen Abschnittes werden sollte, den er sich schon so lange herbeigesehnt hatte. Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- Die Zeit zu zweit verging unglaublich schnell, denn gemeinsam reiste es sich einfach besser. Die Aufgaben konnten verteilt werden, durch die Gespräche schienen die Wege kürzer und auch das Zurechtfinden in den unbekannten Gebieten war definitiv leichter. Nun gut, manchmal lief es nicht ganz so optimal, wenn Ash beispielsweise vergessen hatte, dass er sich um den Wasservorrat kümmern sollte und man im Laufe des Tages feststellen durfte, dass die Kehle trockener als die gesamte Wüste wurde und die Wasserflaschen nicht mehr als einen müden Gähner von sich gaben, doch umso mehr erfreute einem dann der Anblick eines Flusses oder gar eines Sees, in den man sich in voller Bekleidung stürzte. Gary übernahm daher freiwillig die etwas wichtigeren Aufgaben, wie das Kontrollieren der weiteren Ausrüstung. Kompass und Karten befanden sich in seinem Besitz und Ash schien mit dieser Tatsache vollkommen zufrieden.Warum sollte er sich diese Last auch aufbürden, wenn Gary das eigentlich ganz gut und auch noch aus freien Stücken machte? Früher hatte dieser sich die Aufgaben mit Rocko geteilt, der die Beiden häufig begleitet hatte. Wirklich schade, dass Züchter sich diesmal mit anderen Dingen beschäftigen musste, denn seine Kochkünste waren nahezu unübertroffen, wohingegen die anderen beiden Herren herzlich wenig von dieser Kunst verstanden. Außerdem hatte er in jeder noch so verzwickten Situation einen Rat parat, der sie aus dem Schlamassel holte. Sie waren mittlerweile schon mehrere Wochen unterwegs, haben viele altbekannte aber auch neue Orte gesehen und sich mit den Einwohnern in aufschlussreichen Gesprächen über angrenzende Ortschaften, die Proviantbesorgung, andere interessante Reiseziele und allerhand belangloses Zeug unterhalten. Zufrieden durfte Gary unterdessen feststellen, dass Ash allmählich wieder aufblühte und ganz der Alte zu werden schien. Er ging offener auf andere zu, ließ den einen oder anderen Flirt nicht aus, auch wenn er sich mit seiner naiven Art und Weise manchmal etwas ungeschickt anstellte. Seine Lieblingsthemen waren Pokémon oder unerforschte Gebiete, wobei er gerade mit dem letzten Thema bei den Frauen das ein oder andere Schmunzeln hervor locken konnte, was nicht zuletzt an seiner ungewollt zweideutigen Ausdrucksweise lag. Welche Gebiete die Damen dabei möglicherweise meinten, wusste er selbst dann nicht, wenn sein Begleiter ihn auf seine doppeldeutige Ausdrucksweise hinwies. Typisch Ash eben! Gerade befanden sich die zwei jungen Männer in einer weiten Wiesen- und Feldlandschaft, als der Forscher plötzlich stehen blieb und die aktuelle Karte aus seiner Tasche holte. Aufmerksam studierte er diese und nickte sich selbst recht geben, während der Schwarzhaarige ihm über die Schulter sah. „Ist etwas? Stimmt etwas nicht?“, fragte dieser und versuchte ausfindig zu machen, wo sie sich derzeitig befanden. Gary deutete auf einen Punkte auf der Karte, der sich inmitten eines grünen, weitflächigen Gebietes befand. „Hier sind wir gerade und das...“ Er fuhr mit dem Finger nach rechts, um dort einen kleinen Punkt zu fixieren. „Das hier ist die letzte Ortschaft vor unserem Ziel.“ „Wenn wir uns ran halten, könnten wir es bis heute Abend schaffen“, schätzte Ash die Entfernung ein und erntete dafür ein zustimmendes Nicken. Doch so ganz schien Gary nicht zufrieden zu sein. Etwas beschäftigte ihn und eingehend suchte er weitere Punkte auf der Landkarte ab. „Dummerweise, ist das mehr ein Örtchen als ein Ort. Ich weiß nicht, ob wir dort genug Proviant auftreiben können.“ „Hast du eine Ahnung, wie groß der Punkt auf der Karte eigentlich sein könnte?“ Ash ließ von der Karte ab und sah sich genauer um, doch auch in unmittelbarer Umgebung gab es nichts, das annähernd nach einem kleinen Dorf aussah, dass lediglich vergessen wurde auf der Karte versehen zu werden. Nicht einmal eine Farm gab es hier. Ein Kopfschütteln seitens des Brünetten folgte und sorgsam verstaute er die Karte wieder in seiner Tasche. „Leider nicht, dazu ist die Karte zu ungenau. Es könnte ein kleines Dorf sein oder auch nur eine Herberge, die man für Wanderer eingetragen hat, damit sie einen Orientierungspunkt haben. Möglich ist leider alles. Hoffen wir also das Beste!“ Da ihr Weg nun feststand, setzten sie sich wieder in Bewegung, um ihr Tagesziel zu erreichen. Es war ein sonniger Frühlingstag mit leichten Winden, die das Laufen erleichterten. Um sie herum blühte und grünte alles in den unterschiedlichsten Farben und Pokémon weckten mit ihrem auffälligen und doch unterschiedlichen Paarungsverhalten die Aufmerksamkeit der ehemaligen Trainer. Gegen Mittag schätzen sie, die Hälfte des Weges bereits geschafft zu haben und dass sie sich sehr gut in der Zeit befanden. Der Ausblick auf ein warmes Abendessen und eine Nacht in einem richtigen Bett hob ihre Stimmung und ließ sie jegliche Bedenken vergessen. Gegen Nachmittag erreichten sie den vorerst letzten Orientierungspunkt, einen breiten Fluss, der sich im Laufe der Jahrzehnte tief in sein Bett gegraben hatte. Das Flussbett war nicht, die Strömung dafür umso reißender. Soweit sie sehen konnten war keine Brücke in Sicht, über die sie hätten gehen können, doch Ash meinte auf der Karte, etwas unterhalb des Flusses, eine eingezeichnet gesehen zu haben. Ein unschöner Umweg, wie sich herausstellte und letztendlich auch vollkommen unnötig. Die Brücke fanden sie, aber diese befand sich in einem derartig schlechten Zustand, dass sie sich zweimal überlegten, ob sie diese überqueren oder es doch lieber auf einem anderen Wege versuchen sollten. Aber Ash wäre nicht Ash, wen er es nicht trotzdem versucht hätte. Langsam näherte er sich dem wackligen Etwas. Das, was man als Hängebrücke bezeichnen konnte, hing an äußerst alten, porösen Seilen, die bereits im Wind gefährlich knirschten. Einige der Bretter hatten Löcher, waren angebrochen oder bereits in der Mitte in zwei geteilt. Das Holz war morsch und hatte seine besten Zeiten schon längst hinter sich. Mit jedem weiteren Schritt, den er auf die Brücke zumachte, sah er seinem Vorhaben mit wachsender Skepsis entgegen. Der letzte Schritt wurde genutzt um noch einmal tief Luft zu holen und den Rücksack fester zu schnallen. Schon das bloße Berühren des Holzes mit der Fußspitze, entlockte diesem ein ungesundes Ächzen. Dennoch gab Ash nicht auf. Vorsichtig verlagerte er sein Gewicht auf diesen Fuß und wirkte erleichtert, als nichts weiter passierte. Sobald er vollends auf der Brücke stand und sich allmählich am Rand entlang fortbewegte, näherte sich auch Gary dem wackligem Ding. Voller Unbehagen sah er seinem Freund hinterher, welcher plötzlich mittig des Flusses stehen blieb und zurück sah. Ein triumphierendes Lächeln umspielte seine Züge, als er eine Hand vom Seil löste, das als Geländer dienen sollte und seinen Freund aufforderte ihm zu folgen. Gary hingegen schüttelte nur den Kopf und rief ihm laut zu, um das Rauschen des Wassers zu übertönen: „Ich warte lieber bis du auf der anderen Seite bist. Zwei Leute wird die Brücke sicherlich nicht mehr tragen.“ Irgendwie ahnte er bereits, dass wenigstens einer von ihnen am Ende im reißenden Fluss landen würde, wenn sie ihr Glück zu sehr auf die Probe stellten. „Wie du willst.“ Gerade gab sich Ash mit dieser Antwort zufrieden, als es unter ihm gefährlich knackte. Sorgsam versuchte er sich von dieser Stelle zu entfernen, geriet jedoch ins Straucheln, da sich sein Fuß in einem der unterstützenden Seitenseile verhedderte. Es fiel ihm merklich schwer nicht in Panik zu geraten, denn das Brett unter seinen Füßen gab noch immer angsterregende Laute von sich. Im nächsten Moment ging alles unglaublich schnell: Gerade als er seinen Fuß aus der Schlinge lösen wollte, gab die Brücke unter seinem Gewicht nach und riss in zwei Hälften. Eine dieser Hälften zog den jungen Mann mit sich, der noch immer an dem Seil hing, das sich einfach nicht lösen wollte. Mit einem lauten Aufschrei bemerkte Ash nur noch seinen freien Fall, ehe wenig später alles um ihn herum schwarz wurde. Voller Panik riss Gary seine Augen weit auf und bemerkte nur noch wie sein Freund aus seinem Blickfeld verschwand. Der Aufprall und das laute Plätschern des Wassers holten ihn jedoch schnell wieder zurück und ohne mit der Wimper zu zucken griff er an seinen Gürtel und nahm den einzigen, sich daran befindenden Pokéball zur Hand. „Turtok, ich brauche deine Hilfe!“ Noch während die Riesenschildkröte aus dem Ball kommen konnte, kniete der Brünette bereits am Ufer und hielt nach seinem Begleiter Ausschau. „Ash ist in den Fluss gestürzt. - Du musst ihn finden!“, gab er seinem Pokémon die Instruktionen ohne den Blick vorn der Wasseroberfläche abzuwenden. An den Seilen hing sein Freund nicht mehr, das fiel ihm sofort auf. Also muss er flussabwärts getrieben sein. Sobald Turtok abtauchte, sprang auch Gary auf und folgte dem Flussverlauf. Irgendwo mussten die Beiden schließlich wieder auftauchen. Sein Puls raste mit jedem weiteren Schritt. Warum musste dieser Spinner auch auf die Brücke gehen? Gary nahm sich fest vor ihm für diese Aktion mindestens eine zu verpassen. Ein blaues Auge war gerade das Geringste, dass er dem Anderen gern zufügen würde. Wie lange er bereits nach seinem Pokémon und seinem Freund suchte, wusste er nicht. Er schätzte es auf mindestens eine dreiviertel Stunde, wenngleich es sich nur zwanzig Minuten handelten. Endlich erreichte der Brünette eine Flussbiegung, an dessen anderen Ufer sich eine kleine Menschentraube befand. Vollkommen außer Atem machte er durch Winken und Armrudern auf sich aufmerksam. „Haben Sie.. einen ju.. jungen Mann und..“ Erschöpft fiel er auf die Knie und konnte seine Frage nicht beenden. Doch die Fremden wussten, was und wen er meinte, denn sie bildeten eine kleine Gassen und gaben den Blick auf einen daliegenden Körper und ein danebensitzendes Pokémon frei. Nein, das durfte nicht Ash sein, denn er rührte sich nicht! Bitte, es soll jemand anderes sein! Wie oft er sich das in diesem Moment wünschte, wusste Gary nicht. Noch vollkommen außer Atem rappelte er sich wieder auf die schwankenden Beine und überquerte einen breiten Baumstamm, der provisorisch als Brücke diente. „Wie geht es ihm?“, fragte er sogleich, als er den reglosen Leib erreichte und sich sogleich wieder auf den Boden fallen ließ. Es war Ash, ganz eindeutig. Natürlich hatte es von vornherein keine Zweifel gegeben, denn sein Turtok, das still daneben saß, hätte er unter dutzenden heraussuchen können. Der junge Mann konnte noch nicht lange hier liegen, den vereinzelt perlten Wassertropfen von seiner Haut und das schwarze Haar klebte in seinem Gesicht. Ein älterer Herr trat aus der Menschenmasse hervor. Sein faltiges, bärtiges Gesicht drückte Milde und Mitgefühl aus. Bitter lächelnd schürzte er seine Lippen und seufzte leise. „Er braucht jetzt sehr viel Ruhe. Er scheint viel Wasser geschluckt zu haben und hat sein Bewusstsein noch nicht zurück erlangt.“ Was für eine Erleichterung, denn Bewusstlos hieß nicht tot und das war für Gary definitiv eine gute Nachricht. Er nickte sacht und nutzte die Gelegenheit, sich kurz mit dem Mann über die Begebenheiten zu unterhalten. Der Graubärtige meinte, dass sein Enkel Ash gefunden habe, als das Pokémon gerade im Begriff war aus dem Wasser zu steigen. Wie ein wildes Tier sei es auf den Jungen losgegangen, weil es dachte, der Knabe wollte dem Mann etwas anhaben. Erst die einfühlsamen Worte des Alten hatten zugelassen, dass man sich nähern konnte. Dankbar richtete Gary seine Worte an sein Turtok und rief es zurück in den Pokéball. Inzwischen wurde Ash in eine große Herberge getragen, die sich als der gesuchte Punkt auf der Karte entpuppte. All die Befürchtungen um die Versorgung keimten wieder in dem Brünetten auf, der sich vorerst mit der Tatsache tröstete, dass sie so schnell nicht hier wegkämen und sich daher solange keine Sorgen machen mussten, bis Ash wieder auf den Beinen war. Während des Abendessens gesellte sich der vermeintliche Retter zu Gary. Der Alte hatte ihn geschickt, um ihm alles aus seiner Sicht erzählen lassen zu können. Der Knabe, der augenscheinlich zu alt für diese Bezeichnung war, entpuppte sich als siebzehnjähriger Pokémonbeobachter mit dem Namen Tracy. „Ihr seid also auf dem Weg zum Naias-See?“, stellte der Junge im Laufe des Gesprächs die Frage. Der Forscher nickte nur und nahm einen Schluck seines Tees. So wirklich war ihm nicht nach reden zumute. Lieber hätte er sich jetzt um Ash gekümmert, damit dieser schnellstmöglich wieder fit wäre und sie weiterziehen konnten. „Ich habe hier etwas, dass euch vielleicht interessieren könnte.“ Tracy zog aus seiner Umhängetasche einen Skizzenblock hervor, blätterte kurz darin und reichte diesen seinem Gegenüber. Misstrauisch beäugte der Brünette die Bilder und wusste anfänglich nicht so recht etwas damit anzufangen. Er sah ein menschenähnliches Gebilde, das sich scheinbar im Wasser befand, was man allerdings nicht ganz erkennen konnte, da es sich schließlich nur um Skizzen handelte. Schließlich ergriff Tracy das Wort: „Vor kurzem ist ein Professor hier gewesen, der sich ebenfalls für diese See interessierte. Er fand sogar einen Teil einer alten Steintafel und er bat...“ Unsanft unterbrach der Ältere ihn. „Moment. Was für ein Professor? Hieß er Fink?“ Tracy nickte, dabei äußerst verwirrt dreinblickend. „Ja, Professor Fink. Kennst du ihn etwa?“ Na toll! Das fehlte gerade noch! Gary nickte seinerseits und sank in sich zusammen wie ein nasser Sack. „Ash wollte ihn am See treffen. Und deinen Worten entnehme ich, dass er bereits weiter ist.“ Wie Recht der Brünette doch mit seiner Vermutung hatte. Professor Fink war tatsächlich nicht mehr anwesend und dabei war er es doch gewesen, der Ash das Foto des Steinfragments hatte zukommen lassen. Sie wollten sich treffen und es hieß anfänglich, dass der Wissenschaftler bis in den Sommer hinein bleiben wollte. Tracy hörte aufmerksam zu, als man ihm erzählte was es mit dem Professor auf sich hatte und beruhigte den Mann vor sich. „Keinen Grund zur Auffregung, denn er hat eine Nachricht für einen gewissen Ash Ketchum hinterlassen. Soweit es ich weiß, hat er den zweiten Teil des Fragmentes gefunden und ist mit diesem zurück gefahren, um die Steine auf seine Echtheit zu überprüfen. Mehr kann ich dir auch nicht sagen, aber der Rest wird sich sicherlich klären, wenn mein Großvater, der übrigens der Besitzer dieses Gasthauses ist, euch den Briefumschlag übergeben hat.“ Nach dem Essen machten beide sich auf dem Weg zum Alten, der den Brief in seinem Büro verwahrte. Was es mit den rätselhaften Bildern auf sich hatte, wurde an diesem Abend nicht mehr geklärt. Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- Es vergingen zwei Tage in denen Gary besorgt an Ashs Bett saß und Wache hielt. Noch immer hatte er den Briefumschlag nicht geöffnet, schließlich war er an seinen Freund gerichtet. Der Cover lag auf dem kleinen Nachtschrank neben der Tischlampe, die in diesem Moment die einzige Lichtquelle im Raum darstellte. Mittlerweile war ein weiteres Mal die Nacht heran gebrochen, ohne das der Schwarzhaarige die Augen geöffnet hatte. Dass er nur schlief war mehr als offensichtlich. Auch gab er ab und an ein Lebenszeichen von sich, wenngleich es nicht mehr als ein leises Seufzen oder eine knappe Bewegung waren. Niedergeschlagen lehnte Gary sich vor, die Arme auf die Knie gelegt, und vergrub sein Gesicht in den Händen. So hatte er sich das Abenteuer nicht vorgestellt. Sollte Ash nicht in dieser Nacht aufwachen, war es von Nöten ihn in das nächstgelegene Krankenhaus zu fahren, um lebenserhaltende, wenn nicht sogar rettende Maßnahmen einzuleiten. Sein Wasserhaushalt ging allmählich den Bach runter und Nahrung würde sein Körper auch bald wieder zu sich nehmen müssen. Und das, wo sie praktisch am Ende der Welt saßen. Allein die Vorstellung, dass Ash aufgrund seiner eigenen Dummheit an Schläuche angeschlossen werden müsste, ließ in dem Brünetten die anfängliche Wut aufkeimen, mit der er in dieser Herberge aufgetaucht war. Tränen stiegen ihm in die Augen. Ob aus Angst um seinen Freund oder aus Zorn wusste er nicht. Er sah alte, vertraute Bilder vor seinem geistigen Auge – das erste Pokémon, das beide zusammen gefangen hatten; die anfänglichen Rivalitäten, die mehr als kindisch waren und sie doch gegenseitig anspornten, ihr Bestes zu geben; die erste Liga, an der sie gemeinsam teilgenommen hatten. Alles erschien ihm so fern und unwahr bei dem Gedanken, dass der selbe Junge von damals nun neben ihm reglos im Bett lag und mit seinem Leben rang. Doch warum nur? So schlecht konnte es um seine Gesundheit doch gar nicht stehen. Der Arzt meinte ebenfalls, dass es ihm körperlich an nichts fehlte, er aber möglicherweise seinen Willen verloren hatte. Ash und seinen Willen verlieren – das klang ebenso unmöglich, wie ihm seine Sucht nach Pokémon oder Abenteuer nehmen zu können. Der Arzt musste sich einfach irren! „Ash, du verdammter...!“ Aus dem Affekt heraus, der aus tiefer Ratlosigkeit keimte, richtete Gary sich auf, holte weit aus und verpasste seinen daliegenden Freund eine deftige Ohrfeige. Erst der Knall ließ ihn realisieren, was er gerade getan hatte. Geschockt von seinem Handeln wich er zurück, bis er den Stuhl hinter sich spürte und ließ sich wieder auf diesem nieder. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er erst auf den Leib des Anderen und anschließend auf seine Hände, die ihn plötzlich wie Teufelswerkzeuge vorkamen. Gänzlich in sich gekehrt bemerkte Gary nicht, wie die Bettdecke sich zu bewegen begann. Anfangs nur ein zartes Ziehen, das den weißen Stoff in Falten legte, bewegte sich letztendlich die Hand, welche sich hervor kämpfte und langsam zum Kopf hinauf wanderte. Ein dumpfer Schmerz sollte das Erste sein, das Ash zurück in das Hier und Jetzt holte. Jeder hätte sich an seiner Stelle über ein freundliches Gesicht und einfühlsame Worte gefreut, doch die blieben ihm verwehrt. Stattdessen dröhnte sein Schädel und ein unangenehmer Schmerz machte vom Ohr beginnend seine Runde. Nur schwer konnte er seine Lider heben, um die Gelegenheit zu nutzen sich umzusehen. Das Licht um ihn war dämmrig, alles wirkte irgendwie verschwommen. Außerdem merkte er ein dumpfes Dröhnen in seinen Ohren, was ihm das Hören erschwerte. Ein leises, schmerzerfülltes Stöhnen seinerseits war zu vernehmen. Gemächlich drehte der Schwarzhaarige seinen Kopf, als seine Augen das Umhersehen endlich ermöglichten, und machte den noch immer verdutzt auf seine Hände starrenden Gary ausfindig. „Hey...“ Das Wort war kraftlos und leise gesprochen und doch brach es den Bann, in den Gary sich hatte ziehen lassen. Er hob sogleich seinen Blick und konnte nicht glauben, was er dort sah. „Ash? Wie... Wie geht es dir? Wie fühlst du dich?“ Der Angesprochene lächelte zaghaft, überlegte allerdings, ehe er auf die Fragen antwortete. Noch ehe weitere Worte seine Lippen verlassen sollten, überkam ihn ein grauenvolles Stechen im Oberkörper. Starker, trockener Husten veranlasste den Schwarzhaarigen, sich in das Hemd zu krallen und sich aufzubäumen. Besorgt wollte Gary aufstehen und zu ihm gehen, doch Ash schüttelte vorsichtig den Kopf und ließ sich wieder in die Kissen fallen, als das unangenehme Kratzen im Hals nachließ. Abgesehen von den vorherrschenden Kopfschmerzen und dem Ziehen in der Brust, breitete sich nur ein Gefühl in ihm aus, um das er sich jetzt gern kümmern würde. „ … Durst.“ Seine Kehle war so trocken wie verdorrtes Obst, was man insbesondere an seiner kratzigen Stimme hören konnte. Außerdem machte sich sein Magen gerade lautstark bemerkbar. Zufrieden strahlte der Brünette und stand rasch auf. „Moment!“, meinte er hastig und rannte aus dem Zimmer. Sobald die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, lehnte er sich gegen das lackierte Holz. Sein Kopf fiel schwer zurück. Alle Sorgen verabschiedeten sich vorerst von ihm. Es war, als stürzte ein gewaltiger Stein, der sein Herz belastet hatte, herab. Was wäre nur gewesen, wenn Ash nicht aufgewacht wäre? Hätte er dann einfach zurück gehen können? Wäre er in der Lage gewesen den Anderen zu berichten, was passiert war? Ein Kopfschütteln folgte; weniger sollte es eine Antwort sein, als eine Möglichkeit die Trüben Gedanken abwerfen zu können. Verwunderlich erschien ihm jedoch, dass sein Schlag allein ihn geweckt haben sollte. Kurz sieht er durch das Flurfenster hinaus in den Himmel. Der Mond leuchtete kräftig und in voller Pracht. Wie damals, als er sich zu seiner ersten Pokémonreise aufgemacht hatte. Morgen wird er sich wieder auf eine Reise begeben, zumindest sollte es die letzte Etappe einer Reise werden. Es zeigte sich sein altvertrautes Lächeln, als ein Ruck durch seinen schlanken Körper fuhr und er sich von der Tür abstieß. Der Vollmond war definitiv ein gutes Zeichen; das war er bisher immer gewesen und daran hielt der junge Mann einfach fest. Auch Ash sah in diesem Augenblick zum Fenster hinaus. Durch die Lage des Zimmers konnte er zwar die Mondscheibe nicht ausfindig machen, doch das helle Licht allein genügte, um zu wissen, dass nicht nur die Sterne ihren Glanz zeigten. Ihm war bewusst, dass er viel Zeit verschlafen haben musste. Zeit, die es wieder aufzuholen galt. Und gern hätte er jetzt damit angefangen, wenn seine Batterien nicht so erschöpft gewesen wären. Stattdessen begnügte er sich damit, das Zimmer genauer zu betrachten, bis sein Freund wieder hier auftauchen würde. Das Bett, in dem er lag, befand sich in der Mitte des Raumes; das Kopfende an die Wand gestellt. Rechts neben sich war ein großer Freiraum, sodass man vom Bett aus direkt zum Fenster laufen konnte, sofern man keine Abscheu gegen die mintgrünen, mittlerweile ausgeblichenen Vorhänge mit dem grauenvollen Blumenmuster verspürte. Das besagte Fenster befand sich an der Wand zu seiner Rechten, daneben ein großer, altmodischer Kleiderschrank aus unlackiertem Holz. Die Wand vor ihm war erstaunlich leer. Vermutlich stand dort sonst der Stuhl, den sich Gary genommen hatte, denn weiterhin hing dort nur ein riesiges Portrait eines alten, grinsenden Mannes mit grauem Bart und so buschigen Augenbrauen, dass man die Augen selbst nur erahnen konnte. Der Herr auf dem Bild sah schon sehr alt aus, weswegen der Schwarzhaarige in ihm den ursprünglichen Besitzer dieses Hauses vermutete. An der Wand zu seiner Linken sah Ash noch eine kleine Kommode, auf der einige Bücher mit zerschlissenem Einband und vergilbten Seiten standen. Und natürlich war einst in dieser Wand die Tür eingebaut worden, die sich so ziemlich auf Höhe des Bettes befand. Dann war da nur noch ein kleiner Nachtschrank, der direkt neben Ash stand. Auf ihm fand er die derzeitig einzige Lichtquelle im Raum und zu seiner Verwunderung war es sogar eine elektrische Lampe. Der Einrichtung nach zu urteilen wäre er weniger verwundert gewesen, wenn es sich hierbei um eine alte Öllampe gehandelt hätte, wenngleich das Exemplar hier mindestens genauso antik aussah. An den Fuß der Lampe gelehnt fand Ash einen Umschlag vor, auf dem sein Name stand. Langsam griff er nach ihm und schätzte erst einmal sein Gewicht. Es war eindeutig mehr als nur ein einfaches beschriebenes Stück Papier darin, was seine Neugierde umso mehr entfachte. Ohne weiter zu zögern öffnete er den Cover. Gerade wollte er hinein schauen, als die Tür aufging und zwei Männer eintraten. Einer von ihnen, es war der Jüngere, den Ash eindeutig als Gary identifizierte, trug ein gut beladenes Tablett mit einer Glaskaraffe, Geschirr und Essen für mindestens drei. Der Andere war ein alter Herr, der den Kranken stutzen ließ. Sein Blick wanderte einige Male zwischen der Person und dem Gemälde hin und her, glaubte einen Geist vor sich zu haben, doch er schenkte sich vorerst jedweden Kommentar. Er legte den Umschlag zurück auf den Schrank und brachte sich in eine bequeme, sitzende Position, um sich besser mit den Beiden unterhalten, sich aber auch stärken zu können. In der nächsten halben Stunde erfuhr Ash in einer Kurzfassung was geschehen war, wo sie sich befanden und was es außerdem für belangloses Zeug zu erzählen gab. Dass der Alte wirklich der Besitzer des Hauses war und dass sie sich unweit ihres Zieles befanden. Auch auf den Umschlag kamen sie zu sprechen und wer diesen hinterlassen hatte. Die letzte Nachricht nahm Ash mit Bedauern entgegen, denn Professor Fink hätte ihm sicherlich noch allerhand Neuigkeiten erzählen können, die sich nur schwer in einem Brief in Worte fassen ließen. Doch interessierte ihn noch mehr das Foto, auf dem der zweite Teil des Fragmentes abgebildet sein sollte. Nach dem Gespräch und dem leckeren Mahl, zog der Alte sich wieder zurück und ließ die jungen Herren allein. Kaum war die Tür zu, krallte sich Ash ein weiteres Mal den Umschlag und holte endlich heraus, was darin schon lange auf ihm wartete. Den Brief reichte er Gary, damit dieser etwas sinnvolles zu tun hatte. Er selbst besah sich das Foto von allen Seiten. Lange starrte er auf die Ablichtung, bis sein Freund ihn fragte, was eigentlich darauf stand. Laut las Ash die Inschrift vor: „Mit Getose und dem fehlenden Gleißen des nahenden Tages, der mit Dunkelheit, mit unvergleichlicher, göttlicher Grausamkeit seinen unvergesslichen, schaurigen Anfang nahm. Noch immer ist offensichtlich, was anschließend kam: Tiefschwarzes Gewölk zog in die heiligen Straßen ein und was Jahre irdisch war, soll nun Teil des Wassers sein. Wird jemals wieder ein bösartiger Mensch die Träne berühren, so soll dieser den ungebändigten Zorn des heiligen Wächters spüren. Du hattest Recht, es ist wirklich eine Art Geschichte. Aber sie sagt uns, dass wir wo suchen müssen?“ Ash reichte seinem Freund das Bild. „Auf dem Grund des Sees“, antwortete der Brünette und nahm das Bild entgegen. Aufmerksam versuchte er zu erkennen, was Ash auf dem Fragment gelesen hatte, doch für ihn ergaben diese seltsamen Zeichen nur Kauderwelsch. „Wo hast du eigentlich gelernt diese Sprache zu lesen?“, wollte er wissen. Ash beschäftige sich inzwischen mit dem Brief und gab eher beiläufig und mit der Hand abwinkend die Antwort. „Gar nicht. Der Professor war so freundlich die Übersetzung auf die Rückseite zu schreiben.“ Gary, du Idiot, ohrfeigte Selbiger sich in Gedanken und drehte mürrisch dreinblickend das Stück Papier in seiner Hand. Wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn Ash eine solche Fremdsprache erlernt hätte. In dem Brief stand weiter nichts weltbewegendes. Lediglich, dass der Professor nicht warten konnte und zurück gereist wäre, um die Fragmente zu untersuchen. Außerdem sollte Ash, wie bereits vermutet, nach dem Stein auf dem Grund des Sees suchen und sich bitte melden, sollte er ihn tatsächlich gefunden haben. Die notwendige Taucherausrüstung hätte er hier gelassen. Bei weiteren Fragen, wäre er im Labor zu erreichen. Na toll! Als ob es in diesem alten Haus ein Telefon gäbe. „Haben die hier schon Funk oder sollte ich schon mal den Laufburschen rufen lassen, damit ich mich mit dem Professor in Verbindung setzen kann?“ Gary sah verdutzt auf und schien die Frage nicht so recht zu verstehen. „Hier gibt es auch ein Telefon. Ein Bildtelefon, um genauer zu sein. Du solltest dir auch unbedingt einmal den Rest des Hauses ansehen. Alles vom Neusten und luxuriös – kein Vergleich mit dem Zimmer hier.“ Entgegen seinen alten Gewohnheiten schenkte Ash sich seine Reaktion und nahm sich stattdessen nur vor, schnellstmöglich wieder fit zu werden und aus diesem Nest hier raus zu kommen. Sicherlich hatte Gary eines der besten Zimmer abbekommen und er selbst lag in der Rentneretage – alt und rustikal. Warum hätte man ihm auch ein besseres Zimmer geben sollen? Er lag schließlich die ganze Zeit schlafend im Bett und konnte eh nicht sehen, wo man ihn hin verfrachtet hatte. In Ashs Kopf arbeitete seine Phantasie auf Hochtouren, da er sich ausmalte in welch einem bequemen Bett Gary doch geschlafen hatte, während seines mindestens so alt sein musste, wie der Hausherr selbst. Ein wissendes Lächeln umspielte die Lippen des Forschers. Er sah seinem Reisegefährten an den Augen an, was dieser gerade dachte. „Keine Sorge. Mein Zimmer liegt direkt nebenan und ist sogar noch spärlicher eingerichtet als deines.“ Dass er dabei flunkerte bemerkte der Schwarzhaarige nicht einmal, denn der wirke mit einem Schlag zufriedener und beschäftigte sich wieder mit dem Brief, auch wenn er ihn in diesem Moment das zweite Mal zu lesen begann. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)