Traumland. von Deryan (in den Hauptrollen: Rose & Scorpius) ================================================================================ Kapitel 3: P u s t e b l u m e ------------------------------ Er wollte einen Kuss r a u b e n . Er war unwillkommen. Das wusste er und sie wusste, dass er es wusste. Mistkerl. Sie wollte ihn vertreiben, ihn loswerden und am liebsten Ohrfeigen. Er wusste es und sie wusste, dass er es wusste. Idiot. Provokant stand er noch immer da. Seine Hand umschlang die Taille der unbekannten Schönheit und zog sie viel zu auffällig an sich. Er wusste, dass sie diese Geste innerlich wahnsinnig machte und sie wusste, dass er es wusste. Blödmann, Blödmann, Blödmann. Blödmann. Sie riss sich zusammen, schaute ihn und das Liebchen an seiner Seite nicht mehr an. Es war egal. Es kümmerte sie nicht. Nicht er, aber auch nicht die Wohlgestalt. Schließlich war sie, das junge Fräulein, doch eine Dame von Welt und Damen sorgten bekanntlich für keine Wutausbrüche, weil die Anwesenheit eines beinahe Vergessenen sie schier aus der Fassung brachte oder aber die gemeine Provokation einer eigentlich banalen Geste auf einem fremden Frauenkörper. Es war von Nichtigkeit. Einfach unbedeutend, nicht mehr relevant. Aber warum, um Himmelswillen, füllte sich das zarte Herz mit Schmerz und Traurigkeit und Eifersucht? Die Antwort war so glasklar. Oder auch nicht. Die Dame von Welt stellte sich unbewusst auf stur und verblendete die eine längst verborgene Empfindung, die langsam auftaute und ihr eigentlich schmerzlich und brennend bewusst machen sollte, dass der Grund das Wort aller Worte war. Ein verbotenes Wort, das so viele Emotionen hervorrief. Man nannte es L i e b e. Es war von Nichtigkeit, nicht mehr relevant. Unbedeutend. Das wusste sie und er wusste, dass sie so fühlte. Ihre Vergangenheit war einfach zu grausam gewesen. Zu schmerzlich für ein rührendes Happy End und für eine Freundschaft unmöglich. Das sture Fräulein war an nichts interessiert. Nicht an ihm und nicht an der Frage, wer das Herzchen an seiner Seite war. Jedoch durfte man meinen, dass der Gentleman, der ihr gegenüber saß, großes Interesse in ihr erweckte. Zu dumm, dumm, dumm nur, dass sich ihr Prince Charming erfreut mit dem Störenfried unterhielt, so dass der eigentlich romantische Abend in dem noblen und viel zu überfülltem Etablissement und selbstverständlich die Zweisamkeit selber, zur Nichtigkeit wurde. Sie hatte es im Gefühl. Irgendwie. Das Fräulein hoffte, hoffte, hoffte und wurde selbstverständlich enttäuscht. »Am besten setzten wir uns zu euch.«, sagte der Störenfried, als wäre dieser Vorschlag das Selbstverständlichste auf der Welt. Er wusste, dass sie es nicht wollte und sie wusste, dass er es wusste. Schlimmer, schlimmer Schwerenöter. Ohne eine Antwort abzuwarten, winkte er einen schmächtigen Kellner zu sich, um die nötigen Anweisungen zu vergeben, aus zwei Teller, auf dem pompös gedeckten Tisch, vier zu machen. Die aufgesetzte Mimik der falschen Freundlichkeit auf ihrem Gesicht entgleiste im Sekundentakt. Das sah er aus dem Augenwinkel heraus und schien tatsächlich amüsiert. Zumindest leuchteten seine atemberaubenden Augen so verräterisch. Sein Anblick würde sie auf Wolke Sieben geleiten, hätte sie auf sein Antlitz geschaut, was sie jedoch beharrlich mied. Wie amüsant. Da hatte doch der schwarze Ritter bloße 300 Sekunden gebraucht, um das Fräulein aus der Contenance zu bringen. Er war ein Meister in der Kunst. Das wusste er und er wusste, dass sie es wusste. Es gefiel ihm sie zu ärgern, sie aus der Ruhe zu bringen. Mit jedem Winkel seines Seins genoss er die wenigen Momente, die sie miteinander teilten. Es waren immer bloße Augenblicke gewesen, kurze Minuten, die sie besaßen. Und er wollte es auskosten, jede einzelne Sekunde mit ihr. Denn etwas anderes besaßen beide nicht. Der einzige Weg, um in ihrer Nähe sein zu dürfen, war ein Steiniger gewesen, der nur auf Zufälle basierte. Glücklicherweise war das Schicksal auf seiner dunklen Seite und nicht auf ihrer. »Ich glaube«, versuchte sie die Situation noch zu retten und eine Rettung war gleichbedeutend mit seinem Verschwinden, »Dass es kaum gehen wird, weil-« Und wurde bei dem Versuch von ihm unterbrochen. Wie unhöflich. »Es wird schon gehen. Schließlich gehört mir das Restaurant.« 1:0 für ihn. »Oh.«, machte sie, »Na, dann.« Sie schluckte ihren Ärger und die angesammelte Wut herunter und bemühte sich, um ein Lächeln, was jedoch kläglich scheiterte. Er sah das Erzwungene darin und die Wohlgestalt bemerkte es, nur dem einfältigen Dandy entging die krampfhafte Regung auf ihren Gesichtszügen. Es war eigentlich, wie immer. Und so wurde ihr schlimmster Albtraum zur waschechten Wirklichkeit. Einen Abend mit Scorpius Hyperion Malfoy. Jenen jungen Mann, den sie nie, nie, nie wieder in ihrem Leben wiedersehen wollte. Er war Jener gewesen, der ihr unzählige Male das Herz aus der Brust gerissen und damit leichtfertig Pingpong gespielt hatte. Ihr Wunsch war dementsprechend berechtigt. Dummerweise dachte das Schicksal anders und stellte ihr ein Bein. Mal wieder. Scorpius setzte sich neben dem Dandy. Selbstverständlich absichtlich, um das aufgewühlte Geschöpf, welches er seit einer undefinierbaren Zeit nicht gesehen hatte, immerzu anschauen zu können und um seine Gier nach ihr, nur um einen Hauch stillen zu können. Es gelang ihm nicht. Das Anschauen reichte ihm nicht. Natürlich nicht. Seine viel zu aufreizende Begleitung setzte sich ihm gegenüber. Die verruchte Lady trug ein rotes Seidenkleid, welches viel zu eng an ihrem makellosen Körper lag und einen tiefen Ausschnitt offenbarte. Die verruchte Lady bot so einen heftigen Kontrast zu ihr. Denn sie war so schön, so bildhübsch und anmutig und charmant. All das, was sie nicht war und was sie auch niemals sein würde. Das Fräulein blieb nach all den verstrichenen Jahren die hässliche Froschkönigin. Nichts weiter und nichts mehr. Der einfältige Prince Charming hingegen konnte nicht anders. Wie von selbst huschten seine Augen auf das Dekolleté der verruchten Lady und weiter hinab. Ihm gefiel der Anblick. Scorpius entging das nicht. Keines Falls. So etwas wie Wut überflutete ihn, aber nicht, weil der dumme, dumme Dandy seine heutige Begleitung schmachtend beobachtete. Nein, niemals. Scorpius war wütend, weil seine Herzallerliebste tatsächlich diese Witzfigur ihm vorzog. Er war beleidigt, in seinem Stolz verletzt und er wollte, dass sie genauso litt, wie er. Eigentlich war alles, wie immer. »Woher kennen Sie, meine Rose?«, fragte der Dandy plötzlich mit einer heiteren Stimme und tätschelte demonstrativ Roses Hand. Scorpius starrte nur einen flüchtigen Augenblick auf das ekelhafte Bild. Die feinen Narben in seinem Herzen wurden mit der Spitze eines Dolchs nachgezogen. Es blutete. Mal wieder. Er konnte den Anblick des verliebten Paares nicht mehr ertragen. Scorpius schaute weg. Sein Blick blieb an seiner Begleitung haften, die konzentriert die Speisekarte las. Und mit einem Mal wurde ihm etwas klar. Es musste eine Veränderung geschehen. Er musste eine Entscheidung fällen. Denn er wollte die Rolle des Liebeskranken nicht mehr vertreten. Schließlich war er doch ein Malfoy und ein Malfoy war stolz, hochmütig, arrogant und ein Reinblut. Deshalb war es doch so unmöglich, dass ihm das Herz, und das auch noch von einer Mauerblümchen-Weasley, gestohlen wurde. Vor allem, da er glaubte, keines zu besitzen. Es war unwahr zu behaupten, dass er kein Herz besaß. Genauso wie die Behauptung, dass Rose tatsächlich gefallen an der Witzfigur neben ihm fand. Sie beabsichtigte nur ihn zu demütigen, ihn zu verletzen. Er wusste, dass sie wusste, dass er es wusste und dafür sollte sie mit Konsequenzen bestraft werden. Rose sollte all die Schmerzen mit Heftigkeit spüren, die sein selbstsüchtiges Herz durch sie erlitten hatte. Vielleicht schien genau aus jenem Grunde die Demütigung wie eine Erlösung, wie eine perfekte Qual? Die Wandlung ereignete sich im bescheidenden Sekundentakt. 1 … 2 … 3 … und das berüchtigte und grausame Scheusal von früher war zurückgekehrt. »Wir gingen zusammen auf Hogwarts, nicht wahr, Möpschen?«, antwortete er arrogant und schenkte dem Möpschen ein teuflisches Lächeln. Touché. Die Froschkönigin war nun endgültig zurückgekehrt und wurde mit einem Kichern und ein Lachen begrüßt. Die Dame zu ihrer Linken lachte herzhaft, der Herr ihr gegenüber kicherte, und die Froschkönigin war verletzt, zeigte jedoch diese Schwäche nicht. Ach, ja. 2 : 0 für ihn. Das üppige Fräulein saß kerzengerade auf ihrem bequemen Stuhl und offenbarte dem Scheusal eine ausdruckslose Mimik, wären da nicht ihre lodernden Augen gewesen, die ihn am liebsten für dieses Wort erwürgen wollten. »Wie amüsant.« Der Dandy mit den errötenden Wangen, gerne auch Prince Charming genannt, gebrauchte sein Zeigefinger und tupfte sich eine Träne aus seinem Auge hinfort. »Mein Pfirsichbäckchen, wieso nennt er dich bei solch einem scheußlichen Namen?« Er war noch immer leicht amüsiert, genauso wie die verruchte Lady neben ihr, die bei dem ausgesprochenen Kosenamen der Gesellschaft ein weiteres, herzhaftes Lachen schenkte. »Weil sie in unserer Schulzeit fett war.« Touché. Es war Scorpius, der die Frage beantwortete. Sein Blick lag für einen hauchfeinen Moment auf ihr. Um seine Mundwinkel zierte kein Lächeln mehr. Nein, nein. Stattdessen war da dieser eine Gesichtsausdruck, der so viel Überheblichkeit zeigte. Mistkerl. Idiot. Blödmann. Teuflischer Herzbub! Möge er doch auf einer Bananenschale ausrutschen und sich das Bein brechen! Jawohl. Und nicht zu vergessen: 3 : 0 für ihn. Rose biss sich auf die bemalte Unterlippe und war durchaus bemüht nicht auf seine Provokation einzugehen, obwohl dieser Drang in ihr existierte, der sie zu einer beschämenden Tat verführen wollte. Und diese Tat bedeutete Schmerz, eine Demütigung für den teuflischen Scorpius und eine Genugtuung für die leidende Rose. Alles nur Träumerei, liebes Fräulein. Nichts weiter und nichts mehr. Denn die Realität war viel zu grausam, viel zu gemein für ein Geschöpf, das viel zu nett und höflich und wohlerzogen war. Rose atmete ein, dann aus. »Das ist eine Lüge und das weißt du auch, Scorpius.« Sie war höflich. Er nicht. »Meines Erachtens hat man dich stets mit der fetten Dame verglichen.« Touché. Er wandte sich an seine Begleitung, wohlgemerkt, es war das erste Mal seit ihrer Ankunft, dass er ihr Beachtung schenkte, »Die Fette Dame ist eines der unzähligen Porträts auf der Schule.« 4 : 0 Autsch. »Mein Pfirsichbäckchen, ist das wahr?« Prince Charming klang besorgt und Scorpius Nackenhaare sträubten sich empor, als er wieder diesen albernen Beinamen hörte. Er hätte sie niemals so genannt. Nie, nie, nie. Sie war sein Herz, sein Leben, sein Licht in der Dunkelheit. Und doch hatte sie nicht ihn erwählt, sondern die Witzfigur neben ihm. Etwas lief hier gewaltig verkehrt. Das wusste er und das wusste sie. »Wie Kinder nun einmal so sind, wollten sie einen nur ärgern.«, sagte Rose zu ihrer Verteidigung und griff nach ihrem Kristallwein, führte das Glas an ihre bemalten Lippen und nippte daran. Danach stellte sie es wieder auf den Tisch und musste feststellen, dass ein rötlicher Farbtupfer auf dem Weinglas zierte – es war ihr Lippenabdruck gewesen. Sie ließ sich aber davon nicht beirren und fügte rasch noch hinzu: »Und außerdem« Sie wandte sich bestimmend und energisch an Scorpius. »war ich nicht fett!« »Ansichtssache.« Roses Mund klappte unweigerlich auf. Sie schloss ihn wieder, nur um im nächsten Moment ihre Lippen wieder zu öffnen. Es erweckte den Eindruck, dass das sprachlose Fräulein etwas erwidern wollte, jedoch waren die einzigen Geräusche um sie herum, die anderen Gäste des Etablissements gewesen. Sie rang mit der Fassung, die mit jeder verstrichenen Sekunde drohte, zu explodieren. Rose war erbost, sie war fassungslos und einfach wütend, wütend, wütend, aber nicht nur auf ihn, sondern auch auf sich selbst, weil sie nicht die Charaktereigenschaft der Schlagfertigkeit besaß. Wie unvorteilhaft, bei solch einem gerissenen Gegner. Dem überforderten Fräulein kam nur ein Gedanke, eine einzige Möglichkeit, um dieser Schmach zu entfliehen. Das vereinzelte Wort wiederholte sich immerzu in ihrem Kopf. Es schrie: Flucht. Flucht. Flucht. Flucht. Flucht. Abrupt wurde die schneeweiße Servierte von ihrem Schoß genommen und behutsam auf den Tisch gelegt. Rose erhob sich, mit ihr, Prince Charming – schließlich war er doch ein Gentleman und Gentlemen erhoben sich stets, wenn Damen aufstanden. Er dann natürlich auch. »Entschuldigt mich für einen Moment.«, sagte Rose schnell, lächelte Prince Charming warm an, Scorpius nicht, und ging mit erhobenen Schritten davon. Es war Flucht vor ihm gewesen. Scorpius wusste das und sie wusste, das er es wusste. Man konnte ihrer Beziehung, die eigentlich gar keine war, nur ein trauriges Lächeln gewähren, weil der dumme, dumme Herzbub und die dumme, dumme Herzdame wieder in die selben Verhaltensmuster stolperten. Einmal wieder. Und das Verhaltensmuster zeigte einen herzlosen Ritter, der eigentlich nicht so herzlos war, wie er tat, und eine Herzdame, die nicht so abweisend war, wie stets bemüht. Beide versuchten eindringlich den anderen zu verletzen, ihn zu vergessen oder zu ignorieren. Es war grausam und kompliziert und zum Kopfschütteln verdammt und natürlich erwiesen sich die Versuche als niederschmetternd. Denn es funktionierte einfach nicht. Das Schicksal ließ es einfach nicht zu, welch ein Jammer. Das Fräulein in dem blauen Kleid mit den weißen Punkten darin bestickt, trug eine rote Perlenkette, um ihren Hals. Die rote Schleife, in ihrem gelockten Haar. Sie erinnerte an eine Fee, eine viel zu artige und gute Fee, die jedoch in diesem Moment voller Traurigkeit und Schmerz war. Ihr Herz, es weinte bitterlich und ihre dunklen Augen, die eigentlich nicht so dunkel waren, wie gedacht, waren mit salziger Flüssigkeit gefüllt, die drohten ihre, mit Rougé bemalten Wangen, zu benetzen. Rose war dem Gefühlsausbruch nahe, aber auch nur beinahe. Die Zeit schien ihr fortzulaufen und doch musste sie sich eingestehen, dass es egal war. Egal, weil sie wusste, dass er noch immer auf seinem Stuhl saß und beschämende Anekdoten über ihre Vergangenheit erzählte, die sie nicht einmal dementieren konnte. Denn sie wusste, dass Scorpius stets zur Übertreibung neigte. Okay, so egal war ihr ihre Abwesenheit nun doch nicht. Rose atmete tief ein und wieder aus. Sie wollte die Damentoilette verlassen, sich wieder in die Höhle des Löwen, Pardon, Schlange begeben, jedoch ruhte der Rücken noch immer an den kalten, schwarzen Kacheln und ihre Füße waren wie gefroren. Sie konnte es nicht und sie wollte auch nicht wieder zurück, weil … Ja, weil Scorpius schon immer der Grund für alles war. Er war der Grund dafür, dass sie damals auf Hogwarts gehänselt wurde. Er jagte ihren ersten, beinahe Freund zum Teufel. Er sorgte dafür, dass sich ihr Verstand benebelte, in dem er ihr verruchte Küsse schenkte. Er war für ihren Liebeskummer verantwortlich. Er war es, der sie zum Schreiben motivierte. Er war der Grund, dass aus dem Mauerblümchen ein schöner Schwan wurde. Und, und, und. Die Liste war lang, vielleicht viel zu lang, um sie gedanklich aufzuschreiben, und doch kannte Rose jeden einzelnen und möglicherweise banalen Grund. Die schwarz glänzende Tür zur Damentoilette wurde aufgemacht. Rose schaute nicht auf, als die ersten Schritte im geräumigen Raum ertönten. Sie wusste, wer ihr Gesellschaft leistete und die Person war nicht weiblich gewesen. Er blieb stehen, nur zwei Schritte von ihr entfernt. Er sagte nichts, machte nichts, schaute sie einfach nur mit diesem gefürchteten Blick an. Wie immer. Roses Herz, es klopfte mit Blitzgeschwindigkeit – zumindest fühlte es sich so an. Ihr war unwohl, weil er sie anstarrte, weil diese unerträgliche Stille im Raum herrschte und sie schier wahnsinnig machte. Aber Rose wusste auch, dass nur Gemeinheiten aus seinen betörenden Lippen herauskamen, wenn er zum Sprechen neigte. Und doch konnte sie nicht anders. Mit selbstsicherer Stimme, was sie durchaus überraschte, sagte sie: »Du hast dich an der Tür geirrt. Die Herrentoilette ist eine Tür weiter.« Noch immer war sie darauf bedacht, ihn nicht anzuschauen. Denn sie wusste, dass es ihr Ticket geradewegs zur Hölle war und Rose war sich ebenfalls im Klaren, dass ihm durchaus bewusst war, dass er sich nicht in der Herrentoilette befand und auch niemals dorthin wollte. »Du hattest schon immer diesen Drang gehabt direkt zur Toilette zu flüchten, wenn man dich ein wenig ärgert.« Ärgern. Pfff. Es war mehr als Ärgern gewesen. Er wusste es und sie wusste es. Rose schaute endlich auf, direkt in sein gleichgültiges Gesicht. Am liebsten hätte sie den teuflischen Herzbuben am weißen Kragen gepackt und kräftig geschüttelt. Sie wusste, dass dieser Gedanke, dieser Wunsch unmöglich war. Denn Scorpius war stärker als sie. Leider. »Was willst du eigentlich hier?«, flüsterte sie entkräftet. Wieso gab er nicht endlich auf, suchte sich ein anderes Spielzeug, das er quälen konnte, und ließ sie endlich ihr kaputtes Leben wider aufbauen? Scorpius zuckte bloß mit den Schultern und blickte sie noch immer an. Rose hätte schwören können, so etwas wie Sehnsucht in seinen Augen zu erkennen – bloße Einbildung, da war nichts weiter. »Dein Geschmack tut beinahe in den Augen weh.«, sagte Scorpius plötzlich und entging somit geschickt Roses Frage. »Wie bitte?« »Ich meine die Witzfigur.« »Wer?« »Deine Begleitung, mein Pfirsichbäckchen.« Er nannte Rose absichtlich, bei diesem scheußlichen Namen, um sie zu provozieren. Natürlich. Ihr war das nicht entgangen. »Du irrst dich. Die einzige Witzfigur steht gerade vor mir und versucht mich zu Reizen, in dem er Anekdoten über meine Vergangenheit erzählt und meinen Freund beleidigt.« Einen Applaus, bitte. Welch Verbesserung! Die Madame wehrt sich. Endlich. »Schämst du dich etwa für deine Vergangenheit, Möpschen?« Scorpius trat einen Schritt auf sie zu. Selbstverständlich absichtlich. Rose überlegte nicht lange mit ihrer Antwort. »Nein, wieso sollte ich. Schämst du dich etwa für deine?«, stellte sie die Gegenfrage und funkelte den schwarzen Ritter aus verengten Augen an. 4:1 Einen Augenblick herrschte Stille, aber dann fing sich Scorpius wieder und tat so, als ob diese Frage ihn nicht berührte. »Natürlich nicht.« Es war eine Lüge, Lüge, Lüge. Und Rose wusste es, irgendwie, sagte jedoch nicht, dass sie die Wahrheit kannte. »Dann hätten wir es also geklärt. Jetzt würde ich dich bitten, dass du und dein Liebchen endlich aus dem Etablissement verschwindet.« »Es gehört mir, schon vergessen?« Ja, genauso wie ihm die halbe Stadt zu gehören schien. »Dann nehmt euch gefälligst einen anderen Tisch!«, herrschte sie ihn aufgebracht an und wollte mit erhobenen Schritten an ihm vorbeimarschieren. Es sollte so ein perfekter Abgang werden, doch seine Hand umschlang ihren Arm und drückte Rose wieder an die Wand. Er wurde doch tatsächlich grob, aber nur etwas, und ihr Herz tanzte zu einem schnellen Rhythmus auf – welch Verräter. »Lass mich gefälligst los, du-.«, schnaubte die junge Dame mit bemühter, verächtlicher Stimme, die jedoch nur hilflos klang. Mist, Mist, Mist. Scorpius war ihr so nahe – irgendwie zu nahe. Rose spürte seinen warmen Atem auf ihrer geröteten Wange und mit einem Mal glich die gesittete Dame einem Besen. »Du trägst meinen Ring gar nicht.« Es war viel mehr eine Feststellung als eine Frage, die Scorpius flüchtig erwähnte. Seine sturmgrauen Augen ruhten auf ihr und Rose wünschte sich, dass ihr Herz endlich aufhören würde, so verräterisch zu klopfen. Sie liebte diese Augen. Sie liebte dieses Gesicht; die Nase, das Kinn und seine Lippen, die ihr immerzu Küsse gestohlen hatten. Sie liebte ihn. Noch immer. Verdammt. Sollte sie ihm dies gestehen? Sollte sie ihm ihre Liebe gestehen oder ihm erläutern, dass sie seinen geliebten Ring zu Hause in einer Schachtel aufbewahrte, weil sie sich schwor das kostbare Gegenstück nie wieder zu tragen? Rose entschied sich für eine Lüge. »Ich habe es weggeworfen.« »Das glaube ich dir nicht.« Scorpius rauchige Stimme war ein Flüstern. »Und woher willst du das wissen?« »Weil du einem nie in die Augen schaust, wenn du lügst.« Ertappt. Mist, Mist, Mist. Er grinste. Wieder dieses Herzklopfen-Grinsen, das sie immerzu schwach machte. Und dann küsste er sie. Kurz und hauchzart. Ein Feuerwerk schien in ihrem Bauch zu explodieren oder aber, es waren unzählige Schmetterlinge gewesen, die vor Glück tanzten und immerzu Liebe, Liebe, Liebe, Liebe, Liebe vor sich hin sangen. Es war Liebe. Aufrichtige und glühende Liebe. Scorpius ließ widerstrebend von ihr ab. Er hatte sich wieder gehen lassen, sich von ihren Lippen verzaubern lassen. Verdammt. Das Schlimme war jedoch, dass er mehr wollte. Ihm reichte diese hauchfeine Zärtlichkeit nicht. Er wollte einen verruchten Kuss. Er wollte ihre Haut berühren, ihren Duft einatmen und mit ihr Skandalöses anstellten. Er wollte einfach, dass sie ihm gehörte – mit Leib und Seele und für immer. Eigentlich war es ein schöner Wunsch gewesen. Roses Atem ging schwer. Ihre Augen ruhten noch immer auf seinem Gesicht und erkannten Verlangen, aber auch Sehnsucht. Es war um sie geschehen. Ganz plötzlich. Ihre Finger berührten seine Wangen und die Lippen pressten sich stürmisch auf seine. Wie skandalös. Scorpius starke Armen umschlangen ihren Körper, drückten Rose ganz dicht an sich. Seine Lippen waren gierig. So verrucht. Einfach entzückend und so sündhaft. Er drängte sie in eine der vielen Kabinen. Die Tür wurde lautstark zugeknallt. Rose war verloren. Er aber auch. . . Da war einmal eine verzauberte Pusteblume gewesen, die er ihr gewissenlos ins Gesicht pustete. Die Früchte berührten ihre Haut und sorgten für einen Ausschlag. Die kleine und unscheinbare Hexe schwor sich Rache, jedoch verpulverte sich die Revanche, weil sie einfach viel zu nett, viel zu gutmütig und viel zu verliebt war. Genauso wie in diesem sündhaften Augenblick der Leidenschaft. Sie warf ihre Rache beiseite und lauschte auf das schlagende Herz, das immerzu nach ihm schrie. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)