Die Himmelssage von Decken-Diebin (Gegen das eigene Land) ================================================================================ Prolog: Sonne, Mond und Sterne ------------------------------ Die Sonne. Sie ist ein riesiger Feuerball. Täglich spendet sie uns Licht und ich danke ihr dafür. Sie scheint so hell und kräftig, dass manchmal bunte Punkte vor meinen Augen tanzen, wenn ich sie zu lange vor Begeisterung ansehe. So kraftvoll, mutig, stolz und mächtig steht sie an unserem goldorangefarbenen Himmel und lässt ihn noch wärmer aussehen, als er schon ist. Und der Mond. Er scheint jede Nacht für uns. Nein, nicht jede – manchmal verschwindet er. Er ist auch nie ganz da, nur jeweils zwei Nächte in einer Saison. An diesen Tagen ist die Kraft des Wassers angeblich sehr stark. Ich kann das nicht beurteilen, ich weiß es nicht. Der Mond begeistert mich genauso sehr wie sein Gegenpol, die Sonne. Für mich ist es ein Himmelskörper voller Schönheit, Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Geduld. Aber die Sonne und der Mond mögen sich nicht. Leider haben sie Streit. Seit Ewigkeiten haben sie Streit. Warum? Das fragen sich die Sterne jede Nacht, wenn der Mond in der Dunkelheit triumphiert und die Sonne verdrängt hat. Warum können sie sich nicht leiden? Sie wissen es nicht, und ich weiß es auch nicht. Wir wissen nur, dass sie seit dem Jahre Null nach Orak verfeindet sind. Doch warum sie streiten, können sie uns nicht sagen. Sie tun es von Natur aus, sagen sie. Wir sagen, das muss nicht sein. Wir wollen, dass es aufhört… Kapitel 1: Menschen der Rache ----------------------------- Es war ein warmer Morgen während des Beginns des Hitzemonats 1865 nach Nadira, als alles begann. Alles wurde von jedem unterschiedlich definiert; Danika, die an jenem Morgen recht früh geweckt wurde, würde es vielleicht als ‚verkackten Mist‘ oder ‚Scheißdreck‘ beschimpfen. Danika war ein blondes Mädchen von vierzehn Sonnensaisonen. Sie war ein durchaus friedlicher Mensch, aber wenn sie wollte, konnte sie durchaus gereizt sein. Zum Glück ihrer Familie störte es sie an jenem Tag nicht, schon kurz vor acht Uhr aufzuwachen. Einerseits wegen der hellen Sonne, die anscheinend gerade das gesamte Dorf aufwecken wollte, andererseits wegen dem mehr oder weniger leisem Stöhnen aus dem Zimmer ihres Bruders, das direkt nebenan lag. Das Mädchen konnte nicht anders, als breit zu grinsen, während sie sich vorstellte, wie ihr gerademal ein Jahr älterer Bruder in seinem Bett lag und seinen Bedürfnissen nachkam. Der Arme hatte nun mal keine Freundin. Fand Danika im Übrigen auch besser so. Die stand jetzt auf, zupfte ihr Schlafoberteil zurecht und ging auf Samtfüßen zum Nachbarzimmer. Sie hörte, wie ihre Eltern unten in der Küche den Frühstückstisch deckten. Dann, das Aufstöhnen ihres Bruders ignorierend, stieß sie die unabgeschlossene Tür laut und weit auf. „Jastro! Aufstehen, los, hopp-hopp! Wir fahren heute nach Sammok!“, rief sie ihm zu, während jener aufschrie, sich rasend schnell unter die Decke verkroch und brüllte: „RAUS HIER, DANIKA! Schon mal was von Anklopfen gehört, du blöde Kuh?!“ „JASTRO! Nicht so laut!“, kam es von unten. „Ja, Mama…!“, antwortete Jastro genervt. Danika kam fröhlich summend in sein Zimmer und setzte sich auf seinen Körper, der unter der Bettdecke nackt war. Dessen war sie sich vollkommen bewusst, aber sie liebte es, ihn zu ärgern. „Danika-…!“, grummelte er und versuchte, möglichst nicht rot zu werden, „Würdest du bitte von mir runter kommen und rausgehen, damit ich mich anziehen kann? Ich bin nur knapp angezogen, und wir sind nicht mehr kleine siebenjährige Kinder.“ „Ach, du bist nur knapp angezogen.“, wiederholte sie und betonte seine Wörter sarkastisch, „Na und?“ Jastro stöhnte auf, allerdings vor Genervtheit. „Schon mal was von Privatsphäre gehört? „Japp, sowohl von Anklopfen und Privatsphäre hab ich mal gehört. Kann dir jetzt aber leider keine Definition davon geben. – Aber sag mal, wieso liegt denn deine Boxer da neben deinem Bett?“ „Wie?“, machte Jastro und zögerte, „Eh, das ist die von gestern.“ Danika grinste süffisant. „Ah, du hast bestimmt auch schon eine frische an, ich hab dich ja gerade erst geweckt.“ Ihr Bruder sah sie an und schien sehr genervt. Höchste Zeit zu verschwinden. Also stand Danika auf, sagte noch zu ihm: „Ich hoffe, ich hab dich nicht gestört.“ und entwich gerade so noch einem fliegenden Kissen, als sie aus seinem Zimmer ging. Danika und Jastro kamen gemeinsam zum Frühstück in die Küche herunter. Das Mädchen hatte noch auf ihren Bruder gewartet, während er sich Badezimmer befanden hatte. „Was war da oben schon wieder für ein Krach?“, fragte Varille Hisan sogleich, als ihre beiden Kinder die Küche betreten hatten. Die Mutter der beiden war eine hochgewachsene, gutaussehende Frau mit langen blonden Haaren, die sie zu einem Zopf zusammengebunden hatte. Sie war weder zierlich noch muskulös, eher von ganz normaler Statur, aber wer sie wirklich kannte, wusste, dass sie eine starke Frau war. Nicht umsonst war sie wie ihr Mann im Feuerorden ihres Landes Fucc. Der Feuerorden war ein Rat, der die mächtigsten Sonnenkrieger des Lands zusammenfasste. Ein guter Freund der Familie, Yundo Myias, war der Meister des Feuers. Jastro eiferte ihm nach; er wollte etwas besonders Besonderes in der Familie Hisan sein. Seine Familie war nämlich bekannt dafür, im Rat der Sonnenkrieger zu sein – aber nur wenige hatten es geschafft, Meister des Feuers zu werden. Yundo sagte immer zu ihm: „Du hast noch einen langen Weg vor dir.“ Nie hatte er diese Worte hinterfragt. Sie waren geradezu eindeutig. „Oh, nichts, Danika hat mich nur etwas sehr lebendig aufgeweckt.“, antwortete Jastro gerade seiner Mutter. Danika kicherte und darauf sah Varille ihren Sohn nur skeptisch an. „Wie auch immer ich das interpretieren soll… - Hauptsache, wir essen jetzt schnell und können dann los. Der Stallbursche, ich hab den Namen schon wieder verg-“ „Ikana.“, half Danika ihr, doch ihre Mutter redete barsch weiter. „Ja, danke, Danika, ich rede gerade. Also, Ikana hat die Akambas und die Kutsche schon fertig gemacht. Esst schon, die Sonnenkrieger warten nicht auf uns. Obwohl sie es eigentlich müssten…“ Sie hörte auf zu reden. Dann nahm sie die Brötchen im Korb von der Küchentheke und bot jedem eins davon auffordernd an. Schweigend nahmen Jastro und Danika sich die Backwaren, kurz trafen sich ihre Augen. Allein dieser schnelle Blick ließ den anderen wissen, dass sein Geschwisterkind dasselbe dachte: Ihre Eltern schienen etwas zu verbergen. Natürlich waren die Treffen des Feuerordens bisher immer sehr wichtig gewesen, doch nie drängten die beiden Hisans überpünktlich da zu sein. Die Mutter sprach hektisch und fahrig, war geradezu mürrisch, und der Vater war viel zu ruhig. Zu viele Merkmale, dachten die Kinder sich, und hingen sie nicht ihren Gedanken nach, würden sie auch den auffälligen Blickaustausch ihrer Eltern bemerken. Das Frühstück verlief ruhig und schweigend. Erst als alle fertig mit dem Essen waren, hob Varille Hisan wieder die Stimme: „Habt ihr alles, was ihr braucht? Nehmt euch ein paar Münzen mit, dann könnt ihr euch etwas kaufen, während wir in der Versammlung sitzen.“ Jastro nickte. „Ich hol mein Geld von oben. Du auch, Danika?“ In den Ohren seiner Eltern hörte sich die Frage wie eine ganz normale Frage an. In Danikas Ohren war es jedoch eine Aufforderung, die sie sogleich nachkam. Sie kannte ihren Bruder zu gut um nicht zu wissen, dass er wollte, dass sie mitkam. So bald sie in Jastros Zimmer waren, schloss Danika die Tür hinter sich und sah ihren Bruder fragend an. „Was hältst du davon?“ Er zuckte mit den Schultern und begann dann seine Schreibtischschubladen zu durchwühlen. „‘Ne Menge. Vati und Mutti können sich einfach nicht unauffällig verhalten. Und da sie sich auffällig verhalten, muss irgendwas Wichtiges und Geheimnisvolles heute im Feuerorden Thema sein. – Ah, endlich.“ Der Blonde hielt ein schwarzes, kleines Portemonnaie in der Hand. Danika zog die Augenbrauen hoch. „Wozu brauchst du das? Ich werd garantiert nicht in irgendeinen Laden gehen und mir sonst welchen Schnickschnack kaufen.“, sagte sie. „Ach, echt?“, fragte Jastro nach und grinste, „Als wir damals in Sammok vor, da warst du, glaube ich, sechs, da musste ich dir noch ganz dringend eine neue Puppe mit rosa Kleid kaufen. Du hast so lange gebettelt gehabt, bis ich mein Taschengeld opfern musste.“ Seine kleine Schwester sah ihn grimmig an und ignorierte die Röte auf ihren Wangen gekonnt. „Was kann ich dafür, wenn du dich so leicht rumkriegen lässt.“ Plötzlich fing sie an herzhaft zu lächeln und kuschelte sich vollkommen übertrieben an ihren Bruder, und genauso übertrieben sagte sie zu ihm: „Aber deswegen weiß ich ja auch, dass ich den liebsten Bruder der Welt habe!“ „Ja, ja, Danika, ich hab dich auch lieb…“, meinte er monoton, „Und nun komm, Mutti und Vati werden nicht ewig warten.“ Nickend ließ sie ihn los. „Wie lange brauchen wir bis nach Sammok?“ „Zwei, drei Stunden?“, schätzte Jastro, „Ich frag mich eher, warum dieses Mal in Sammok und nicht in Yuselika…“ Diesmal war es an Danika, die Schultern zu zucken. „Frag mich nicht“, antwortete sie noch, dann gingen sie zu ihren Eltern herunter, die bereits ungeduldig warteten. Ikana hatte bereits die Akambas vor die riesige Kutsche gespannt. Danika ging zu den zwei Tieren und streichelte deren Köpfe. Sie war fasziniert von diesen Geschöpfen – sie konnten bis zu zwei Metern groß werden und hatten ausgezeichnete Sinne. Ihr Körper war mit weichem Fell bedeckt, dass natürlich nicht immer die gleichen Farben besaß (das eine Akamba der Hisans zum Beispiel war hellbraun, das andere matt grau), doch wenn sie liefen, hörten man sie schon vom Weiten, denn am unteren Ende ihrer Beine trugen sie Hufen, hinter denen mächtig viel Kraft steckte. Akambas waren beliebte Tiere in ganz Yalann. Überall wurden sie als Kutsch- und Transporttiere genutzt, in manchen Haushalten nur als Reittiere. Danika selbst war noch nie auf einem geritten. Ihre Eltern würden es auch nie zulassen. Sie streichelte gerade Jyoli, dem grauen, über den Kopf, da wurde sie von eben diesen angeschnauzt: „Danika, jetzt komm, wir wollen los!“ „Ja, ja“, murmelte das Mädchen genervt, verabschiedete sich von dem Stallburschen mit einem Lächeln und stieg in die Kutsche. Seufzend ließ sie sich neben Jastro fallen und rollte kurz mit den Augen, bevor ihre Eltern einstiegen. Augenblicklich fuhr die Kutsche los. Die Fahrt über schwieg die Familie. Amos und Varille Hisan saßen starr da, und sahen sich die vorbeirauschende Landschaft an. Die Kutsche ruckelte ziemlich, da sie gerade den westlichsten Teil des Litaronh-Gebirges verließen, aber Jastro ließ sich nicht stören, kleine Flammen über seiner Handflächen entstehen zu lassen und sie ständig zu merkwürdigen Formen zu verändern. Danika verkniff sich das Lachen, als er aus dem Feuer eine gut gebaute, nackte Frau zauberte. „Na, die brennt ja vor Leidenschaft“, murmelte sie in Jastros Ohr. Er grinste zurück und ließ sie verschwinden, bevor seine Eltern eventuell sein Treiben mitbekamen. Doch die saßen nur in ihren altmodischen Klamotten, die traditionell für den Orden der Sonnenkrieger war, und würdigten sie keines Blickes. Erst als die Kutsche anhielt, beachteten sie Jastro und Danika wieder. „Wir sind da. – Ich hoffe, ihr amüsiert euch schön in der Stadt. Ich denke, wir werden wahrscheinlich in gut zwei Stunden fertig sein. Bis dann.“ Varille Hisan nickte ihren Kindern nur noch zu und verschwand ihrem Mann folgend in dem großen Gebäude auf dem Sammokschen Marktplatz. Fassungslos sahen ihre Kinder ihr hinterher. Wütend stemmte Danika ihre Arme in die Hüften. „Da hättet ihr uns ja gleich Zuhause lassen können!“, schrie sie die Tür an, doch die antwortete ihr nicht. Zornig fuchtelte sie mit ihren Armen herum; ihre Hände hatten sich bereits zu Fäusten gebildet. Jastro hielt sie fest. „Pscht – sei leise. Die hören dich eh nicht mehr. Und jetzt komm mit.“ Er zog sie an ihren Armen hinter sich her. „Wie kannst du nur so ruhig bleiben? Ich fühl mich wie ein Stück Dreck behandelt!“, ereiferte sich Danika immer noch sauer, „Au! Müssen wir hier langgehen?“ „Ein paar Büsche schaden dir nicht“, sagte Jastro nur, und schliff sie weiter durch das Gestrüpp hinter sich her. Er versuchte gerade, um das Haus herumzukommen. Beziehungsweise Fenster zu finden, von denen man zufällig den Feuerorden und seine überaus wichtige Besprechung sehen konnte. „Und jetzt sei endlich leise.“ Eine kurze Gänsehaut breitete sich auf Danikas Körper aus, als sie die gereizte Stimme ihres Bruders hörte. Augenblicklich hielt sie ihre Klappe und folgte ihm sich durchs Gebüsch kämpfend. Lächelnd sah sie auf seine Hand, die ihr Handgelenk umklammerte. Plötzlich hörte sie Stimmen. „…Frau und Kinder zu Hause geblieben, ja.“, sprach irgendein Mann. Die beiden kannten die Mitglieder des Ordens zu wenig um sie zu zuordnen. „Unsere Kinder sollten irgendwo in der Stadt sein. Zumindest haben wir ihnen das gesagt.“, sagte jetzt eine Frauenstimme, die den beiden wiederum sehr bekannt vorkam – es war ihre Mutter, „Nun, Sokhako, hast du den Plan dabei?“ Es schien keine Antwort zu geben. Jastro vermutete ein bloßes Kopfnicken, als er Papierrascheln und Fußschritte vernahm. Das Fenster war zu hoch, um hindurchzusehen, und außerdem war es zu riskant. „Hier ist die Grenze zu Thann.“, erklärte eine weitere Männerstimme. Wahrscheinlich war es Sokhako. „Die größten und am nächsten Dörfer sind Sammok und Janas. Sprich, dort werden für’s Erste unsere Stützpunkte sein. Das heißt, ihr … werdet dort den Leiter übernehmen.“ „Das wird kein Problem sein.“, hörten Jastro und Danika die Stimme ihres Vaters. „Gut“, sagte Sokhako, „Unsere ersten Ziele sollten die Einnahme von den thannschen Dörfern Castro und Trimbali sein. Wenn wir die besetzt haben, können wir uns weiter vorarbeiten. – Aber wir sollten vorsichtig sein, ich glaube nicht, dass Thann lange fackeln wird, bis sie die Truppen aus Jumelika los schicken.“ „Wir brauchen mehr Soldaten“, meldete sich nun eine neue Frauenstimme, „Soldaten als Reserve. Wenn Jumelika Truppen aussendet, dann kontern wir mit diesen Soldaten.“ Man hörte zustimmendes Gemurmel. „Es ist ein bisschen, als würden wir mit dem Kopf gegen die Wand laufen“, sagte dann Amos Hisan, „Aber wir haben den Überraschungsmoment auf unserer Seite. Ende des nächsten Hitzemonats wird Thann gefallen sein.“ Entsetzt zog Danika scharf die Luft ein. Noch in derselben Sekunde legte Jastro einen Finger auf ihre Lippe und deutete ihr an zu schweigen. Abermals packte er sie an der Hand und zog sie hinter sich her, wieder durch das Gebüsch. „Warum-…? Warum, Jastro?“, fragte Danika leicht verstört. Doch ihr großer Bruder zog nur an ihrer Hand und sie folgte ihm. Er lief in die Innenstadt Sammoks. Stirnrunzelnd blickte Danika sich um. „Was… gedenkst du jetzt zu tun?“ Er ließ ihre Hand zu ihrem Bedauern los und kramte aus seiner Hosentasche sein Portemonnaie hervor. Anschließend drückte er seiner kleinen Schwester ein paar Münzen in die Hand. „Lass uns etwas kaufen“, sagte er. Verwirrt blickte Danika ihn an, aber er seufzte nur. „Heute bist du auch schwer von Begriff, was? Lass uns etwas kaufen, damit wir einen Beweis haben, dass wir in der Stadt waren. Und nicht zufällig irgendwo vorm Fenster rumgelümmelt haben.“ Das blonde Mädchen nickte nur. Wie konnte er jetzt noch einen kühlen Kopf bewahren? Sie liefen durch die Einkaufsstraße, die voll mit Menschen waren, die ihre Besorgungen erledigten. Ungläubig schüttelte sie für sich selbst den Kopf. Alles hier war so normal – doch eigentlich hatte sich eben alles geändert. Es würde nicht lange dauern. Dann würde Fucc Thann den Krieg erklären. Abermals. Der letzte war doch gar nicht so lange her. Danika erinnerte sich gut daran. Jastro zerrte sie gerade zu einem Schmuckstand. „Kauf dir was“, meinte er halb abwesend. Fragend zog sie eine Augenbraue hoch. Er wusste doch, dass sie keinen Schmuck trug. „Was?“, fragte er verwirrt, und dann besah er sich noch mal den Stand, „Oh, ach ja…“ Sie gingen weiter. „Du bist durcheinander…“, flüsterte Danika leise, aber ihr großer Bruder hörte sie trotzdem. Dieses Mal ging er zu einem kleinen Laden mit Halstüchern. „Verständlich, oder?“, sagte er nur, nahm sich ein dünnes grünes Tuch und ging zu der Frau, der der Laden gehörte. Danika sah ihm hinterher, und blieb stehen. Wieder kehrten ihre Gedanken zu dem eben Gehörten zurück. Ihr wurde kalt, auf ihren Armen breitete sich eine Gänsehaut aus. Ihre Eltern arbeiteten mit an diesem Plan, an diesem grausamen Plan, um Thann ins Verderben zu stürzen. Warum nur taten sie das? Was hatten die armen Thannesier getan? „Warum…?“, murmelte sie vor sich hin. „Ist das nicht klar?“, kam die Gegenfrage plötzlich. Überrascht sah sie auf – Jastro stand vor ihr. „Sie wollen Rache. Rache dafür, was die Thannesier ihn vor gut sechs Jahren angetan haben. Angeblich.“ „Du meinst in der Hitzewelle? In den heißen Sonnensaisonen?“ Jastro nickte. Damals waren sie Kinder gewesen, mitten in einem Krieg wegen bloßen Behauptungen, Eifersucht und Neid. Alles entstanden durch den Mangel an Wasser und Regen. Aber sie waren nicht zu jung gewesen, um nichts zu verstehen. Danika und Jastro waren Kinder von Liebe. Krieg stand ganz oben auf ihrer Beseitigungsliste. Und schon damals wussten sie, dass dieser Krieg sinnlos gewesen war. „Ich hätte nie gedacht, dass sie noch einmal beginnen. Es ist so sinnlos“, sagte er, dann sah er sie an und hielt ihr das Tuch vor die Nase, „Hier, für dich.“ Verwundert blinzelte Danika. Es war ein grünes Tuch, helle und dunkle Farben vermischt. Dann sah sie die gelben gestickten Buchstaben. ‚Danika‘ stand dort. „Du liebe Sonne“, sprach sie erstaunt, „Danke!“ Sie nahm ihm das Halstuch ab und band es sich um. „Und?“ „Sieht gut aus“, sagte Jastro. Sie schien sich wirklich zu freuen. „Danke, danke“, erwiderte sie noch einmal. Sie zwang sich, ihn jetzt nicht anzuspringen. Ihr Bruder grinste sie an. „Lass uns gehen. Die zwei Stunden werden bald um sein.“ Es war ein böser, gewaltiger Ruck – und schon war sie wieder auf dem Boden der Tatsachen. Mit einer Miene, als hätte sie in eine Zitrone gebissen, nickte sie und folgte ihm. „Lass dir nichts anmerken“, befahl er ihr. „Natürlich“, antwortete sie nur. Amos und Varille Hisan winkten gerade einer schwarzhaarigen Frau zu. Sie nickte kühl zurück und stieg in eine Kutsche, die in dunklen Nachttönen gehalten wurde. Ihre Eltern lachten und sahen sie nicht verbittert an, fiel Jastro und Danika auf, das hieß wohl, dass der Orden noch eine Weile Smalltalk abgehalten hatte. „Mutti, Vati“, begrüßte Danika ihre Eltern mit ihrem gewohnten Lächeln, „Wie war das Treffen? Was Brauchbares bei rausgekommen?“ „Ja“, sagte Amos Hisan – es war das erste Mal, dass er an diesem Tag sprach, „Aber das ist nichts für kleine Mädchenohren.“ „Menno“, schmollte Danika in altbekannter Tour, denn Varille seufzte nur kopfschüttelnd. „Du müsstest das doch wissen – ist nichts Neues, nicht wahr?“, meinte sie, dann fiel ihr Blick auf das Tuch um den Hals ihrer Tochter, „Ist das Halstuch neu?“ „Ja, das ist neu, Jastro hat es mir gekauft!“, erzählte sie voller Begeisterung, „Guck, da ist sogar mein Name drauf gestickt!“ „Tatsächlich“, sprach Varille verblüfft, und grinste Jastro an, „Da war dein Bruder heute wohl sehr spendabel?“ „Tja, als großer Bruder hat man halt gewisse Pflichten.“ Nun war es an ihm, zu grinsen. Danikas Nasenflügel blähten sich auf und ihren Augenbrauen zogen sich zusammen, als sie das hörte. „Na, danke!“, ereiferte sie sich, „Und ich dachte, du tust das aus reiner Liebe!“ „Immer doch“, sagte er dann, und tätschelte ihr den Kopf. „Ts“, machte die Blondine nur. „Kommt, lasst uns zurückfahren“, ertönte da die Stimme von Amos, „Sonst verschwindet die Sonne ehe wir zu Hause sind.“ „Du übertreibst maßlos“, sagte Varille zu ihrem Mann. Der zuckte nur mit den Schultern und meinte: „Ich weiß.“ Kapitel 2: Nächtlicher Betrug ----------------------------- Es war Nacht, als Jastros Tür mit einem leisen Quietschen aufging. Ein blonder Haarschopf, der seinem von der Länge abgesehen fast gleich war, tauchte zwischen Tür und Wand auf. „Komm rein“, flüsterte er. Leise wie eine Fee betrat sie sein Zimmer. Sie trug keinen Schlafanzug, wie es um eine Zeit wie diese üblich gewesen wäre. Jastros selbstleuchtender Wecker zeigte an, dass es nur noch wenige Minuten waren, bis die fünfundzwanzig Stunden dieses Tages vorbei waren. „Ich störe nicht?“, murmelte sie, und sah sich um. Jastro trug genau wie sie noch Shirt und Hose. Ein Rucksack stand neben seinem Bett. „Nein, ausnahmsweise mal nicht“, antwortete er. Danika grinste, als sie an den Vorfall von heute Morgen dachte. Doch das Grinsen fiel in sich zusammen wie ein Turm aus kleinen Spielsteinen. „Hast du alles zusammen?“, fragte sie zusammenhangslos. „Ich denke“, nuschelte er mit einem Blick auf seinen Rucksack, „Ich habe eine Karte von ganz Nohkania eingepackt, und auch eine Karte, wo die Grenze zwischen Fucc und Thann gut zu sehen ist.“ „Wo hast du die her?“, wisperte sie verwundert. „Alter Schulatlas.“, war die Antwort. Und eben jener war wohl auch ziemlich kaputt. „Na ja, ansonsten noch Kleidung, und so was. Mein Geld.“ Danika nickte. „Soll ich noch irgendwas aus dem Bad holen? – Ich hab zum Beispiel meine Bürste eingepackt.“ Jastro schnaubte und grinste zugleich. „Das ist wieder wichtig, mh?“, sagte er, „Immerhin nimmst du keine Tonnen an Schminke mit. – Hol zwei Lappen zum Waschen. Du kannst auch ‘ne Zahnbürste einpacken, auch wenn’s schwierig wird, in der Wildnis oder sonst wo sich die Zähne zu putzen.“ „Okay“, wisperte sie und verschwand kurzzeitig. Währenddessen versuchte der Blonde noch ein bisschen mehr Klamotten in seinen Rucksack zu stopfen. „Lass das“, unterbrach Danika ihn flüsternd, als sie wieder den Raum betrat, „Pack lieber das ein.“ Sie hielt ihm eine Flasche Wasser, Brot, Obst und rohes Fleisch unter die Nase. „Ich war eben noch in der Küche, fiel mir auf dem Weg ins Bad ein.“, fügte sie hinzu. Dann packte sie in ihre eigene Umhängetasche selbst Lappen und Zahnbürste. Ihrem Bruder gab sie das Gleiche plus eine Bürste. „Danke“, sagte er, „Hast du dir auch was zu essen eingepackt?“ Sie nickte, und grinste dann leicht beschämt. „Jaah… und noch ein paar Süßigkeiten, die ich bei mir gefunden hab – so als Notration.“ Jastro grinste zurück. „Ach so.“ Das Mädchen ignorierte seinen Kommentar geflissentlich und sah noch mal in seine Tasche. Es schien alles da zu sein. „Noch irgendwas?“, flüsterte sie nun. Ihr Bruder schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste“, sagte er, „Hast du deinen Dolch?“ Eine geübte Handbewegung – sie hielt ihn in der Hand. „Es ist nicht irgendein Dolch. Es ist das Yathasa.“ „Ja, ja, ich weiß, es ist Erbstück unserer Mutter, das immer an die Töchter weitergegeben wird, und so weiter. Warum zum Geier hast du dir eigentlich noch nicht das Bein aufgeschlitzt?“, murmelte Jastro. „Weil ich nicht so trottelig bin wie du“, erwiderte sie unverblümt und steckte ihr Yathasa zurück in ihre Hose. Sie steckte ihre Arme in ihre kurze dunkle Jacke, ließ sie aber offen. Die Nächte im Hitzemonat waren nicht kalt. Ihre gefüllte Tasche hing auch schon über den Schultern der Blonden. Danika sah zu ihrem Bruder, der soeben Jacke, Rucksack und Schwert positioniert hatte. „Lass uns losgehen“, bestimmte sie mit einem Ton, den er noch nie in ihrer Stimme gehört hatte, doch er sagte nichts. Er nickte nur und ging voran, um das Fenster in seinem Zimmer aufzumachen und hinaus auf das Dach zu klettern. Danika folgte ihm. Zusammen hangelten sie sich leise vom Hausdach auf das Dach des Stalles, das tiefer gelegen war. Von diesem aus konnten sie herunterspringen. Sie landeten direkt vor dem offenen Stall. Die Köpfe der Akambas huschten sofort herum, doch ehe sie einen Laut hätten machen können, sagte Jastro: „Pscht, wir sind’s. – Hier.“ Er warf ihnen jeweils ein Stück Schinken zu – wenn auch widerwillig. Wenn sie unterwegs waren, müssten sie sich selbst etwas zu fressen suchen. Danika und er brauchten das Essen selbst. Zumindest half es jetzt, denn Jyoli und Chota waren ruhig. Sie schlangen das Fleisch hinunter und währenddessen banden die beiden Geschwister die Akambas los. Mit Übung kletterten sie auf die großen Tiere. Akambas brauchten keine Sattel, Zügel oder dergleichen. Das einzige, was sie brauchten, war eine gute Verbindung zu ihrem Besitzer. Und die hatten Jastro und Danika. „Hopp“, sagten sie nahezu zeitgleich. Es war das Stichwort der beiden Tiere. Nicht jedes Akamba reagierte auf das gleiche Wort. Alles war eine Frage des Besitzers und seiner Erziehung. Natürlich waren die beiden noch sehr jung, aber dennoch vertrauten Jyoli und Chota ihnen. Mit leisem Fußgetrappel entfernten sie sich von dem Haus der Hisans, das leicht abgelegen von Janas lag. Danika traute sich nicht einen Blick zurückzuwerfen. Sie schaute nach vorne, auf den dunklen Weg vor sich, den sie als Sonnenkriegerin nicht im Geringsten erkannte, ebenso wenig wie ihr Bruder. Umso mehr vertrauten sie den Tieren, die eine ausgezeichnete Nachtsicht hatten. Dennoch beschwor sie ein kleines Feuer herauf. Es war nicht sonderlich groß und brachte ihnen nicht mal Licht für einen Meter Umkreis. „Jastro?“, fragte Danika leise nach ihrem Bruder. Sie wusste nur, dass er und Chota da waren, weil sie die Hufe auf dem Boden hörte. „Ja?“, lautete die Antwort. „Kannst du Licht machen? Du kannst es besser als ich, wenn es ständig da sein soll.“ Jastro seufzte, aber er gab nach und machte ihr das gewünschte Licht. Tatsächlich war die Flamme von dem Jungen größer als die seiner Schwester, und sie schien auch heller. Man konnte den Weg vor ihnen erkennen. „Du musst weiterüben, sonst lernst du es nie.“, hielt er ihr eine Predigt. Sie grummelte nur, aber er wusste, dass das ein ‚Ja‘ gewesen war. Wieder kehrte Schweigen ein. Wieder hörte man nur die Hufe der Akambas, und ab und zu ein Schreien eines Vogels, von dem Danika stets zusammenzuckte. Sie fühlte sich immer noch unwohl, aber die Flammen von ihnen gaben ihr nicht nur Wärme und Licht, sondern auch etwas wie Sicherheit. Es beruhigte sie, Jastro zu sehen. Er blickte recht kühl und starr geradeaus. Wahrscheinlich dachte er nach, selbstverständlich dachte er nach. Es könnte gut sein, dass er jede einzelne Möglichkeit in seinem Kopf abspielen lassen würde. Natürlich war er kein Genie, sodass er nahezu alles voraussagen konnte, aber Danika schätzte seine Intelligenz. Von beiden war er der eindeutig kühlere Kopf. „Jastro?“, fragte sie vorsichtig, aber als er wieder mit einem ‚Ja‘ antwortete, klang er nicht genervt. „Ich mag diese Stille nicht.“ „Ich weiß“, erwiderte er sachlich, „Schon als Kind hast du immer rumgeschrien, weil es dir zu ruhig war.“ „Du musst mich immer ärgern, oder?“ „Jap.“, antwortete er schlicht und zuckte mit den Schultern. „Wie lange sind wir schon unterwegs?“, wechselte Danika abrupt das Thema. Das Zeitgefühl hatte sie verloren, schon jetzt, aber sie schien nicht die einzige zu sein. „Keine Ahnung. Lang genug. In den Bergen während der Nacht weiterzukommen ist nicht so einfach, wie man vielleicht denken mag. – Wollen wir morgen früh weiter reisen?“ Überrascht ob des Vorschlags sah die Blondine ihren großen Bruder an. „Sind wir denn schon weit genug vorangekommen? Ich hab nicht wirklich Lust, von Mutti und Vati wieder nach Hause gebracht zu werden, falls sie uns finden sollten.“, überlegte sie laut. „Wenn wir vor Sonnenaufgang aufbrechen, dann geht das schon“, sagte er. „Vor Sonnenaufgang?“, erschrak Danika, „Na super. Los, lass uns schlafen legen, damit wir überhaupt zum Schlafen kommen.“ „Sei nicht so undankbar. Den Aufgang der Naiyurra mit anzusehen, ist eine Ehre. An besonderen Tagen tun das alle Sonnenkrieger. Und für uns ist es ein besonderer Tag.“ Danika grummelte kurz, als sie bemerkte, dass Jastro wieder einmal Recht hatte, aber sie nickte. „Weißt du“, sagte sie, „Es ist ganz schön nervig, wenn der große Bruder immer Recht hat.“ „Was kann ich denn dafür?“, lachte er und stieg von Chota ab, „Lass uns einfach für die Nacht hier bleiben. Wir nehmen jetzt unsere-“ Er stockte. Verwirrt sah Danika, die gerade auf den Boden heruntergesprungen war, ihn an. „Was ist denn?“ „Ach, verdammte Scheiße“, fluchte er jetzt zusammenhangslos, „Wir hätten vielleicht unsere Schlafsäcke mitnehmen sollen.“ „Ha!“, machte seine kleine Schwester grinsend, „Ich wusste doch, du denkst auch nicht immer an alles!“ „Ja, ja, reite schön auf mir rum.“, seufzte Jastro genervt. Danika verkniff sich ein Lachen – sie war nun leicht pervers. Und auf jemandem herumreiten konnte man auch anders verstehen. „Na ja“, sagte sie jetzt, „Ich bin nicht umsonst deine bessere Hälfte, nicht wahr? – Hier, ich hab Decken mitgenommen.“ Und prompt warf sie ihm eine alte, schmuddelige Decke zu. Selbst hatte sie eine rote in der Hand, die nicht besser aussah als die andere. „Ich muss dir ausnahmsweise mal Recht geben.“ Sie warfen ihre Taschen auf den Boden und breiteten ihre Decken aus. Es war Sommer, es war warm genug, sodass sie die Decken unter sich legen konnte und nicht auf dem schmutzigen Boden schlafen mussten. Noch ein letzter Blick auf die beiden Akambas, die sich aneinander gekuschelt nahe einem einsamen verdorrten Baum niedergelegt hatten, dann erlosch das Feuer über Jastros Hand. Um sie herum wurde es dunkel. Doch das hieß lange noch nicht, dass Danika einschlafen konnte. Sie spürte nicht einen Hauch von Müdigkeit, selbst dann nicht, als die Dunkelheit sich um sie hüllte. Da waren viel zu viele Gedanken, die in ihrem Kopf herumschwirrten. Die erste und wohl wichtigste war: Bei Deomas, was taten sie hier? Sie schloss die Augen. Deomas, dachte sie, Deomas, ist es richtig, was wir hier tun? Sie wartete auf eine Antwort. Aber es kam keine. Natürlich kam keine, das wusste sie. Es war Nacht, es war die Zeit der Mondgöttin Alahrya, die nun von Saijaron auf die Welt, auf Yalann hinabschaute. Danika sah das Licht des Mondes Saijaron. Sie konnte sich sicher sein, dass ihre Worte Deomas nicht erreicht hatten. Zu dem Sonnengott sprach man schließlich nur tagsüber. Laut den alten Legenden bei den Sonnenkriegern lebte Deomas schon immer auf Naiyurra, der Sonne. Doch es war Nacht und somit war es unmöglich für Danika zu Deomas zu sprechen. Aber es gab ja noch jemanden, mit dem man reden konnte. „Jastro?“ Es raschelte neben ihr, wahrscheinlich drehte er sich in ihre Richtung, obwohl er sie trotzdem nicht sehen konnte, weil es zu dunkel war. Saijarons Licht war nicht stark genug um hinter den riesigen Felsen des Gebirges hervor zu strahlen. „Ja?“, sagte er leise – er hörte sich nicht verschlafen an. Anscheinend hatte auch er noch nicht in den Schlaf gefunden. „Ist es richtig?“, fragte Danika ihn zusammenhangslos. Er seufzte. „Warum fragst du gerade mich? Was glaubst du, was für eine Antwort ich dir geben könnte?“ „Ich weiß nicht“, gestand sie murmelnd, „Aber Deomas ist so weit weg.“ Sie sah in den Himmel. Saijaron kam langsam hinter dem Bergwipfel hervor, nur um kurze Zeit hinter dem nächsten zu verschwinden. Jastro folgte ihrem Blick. „Ich weiß. Wir müssen wohl bis morgen früh warten. Dann können wir Deomas fragen…“ Der Mond versteckte sich wieder hinter den Felsen. Doch ein neues Licht erhellte die Lichtung: Jastro hatte ein kleines Feuer entfacht, das nun auf seiner Hand tanzte. „Aber ich glaube, wenn er zu uns spricht, dann wird seine Antwort weder ‚Ja‘ noch ‚Nein‘ lauten.“ „Warum?“, fragte Danika ihn verwundert. Jastro hob skeptisch eine Augenbraue. „Seit wann kannst du zu Deomas sprechen?“ „Was hat das damit zu tun? – Seit etwa einem Jahr, nicht?“, erwiderte sie verwirrt aufgrund der Gegenfrage. „Ja, man lernt neben den einfachen Feuerzaubern auch das Sprechen zu Deomas, nachdem man die dreizehnte Sonnensaison erlebt hat… Und sprichst du oft zu ihm?“ „Was denkst du denn?“, sagte sie eingeschnappt – denn es war nicht gern gesehen, den Sonnengott ständig zu befragen, „Ich bin doch nicht wie diese Tussen von damals aus der Schule! Die haben Deomas jeden Morgen genervt, welche Farbe ihr Oberteil denn heute haben sollte. Unwürdige Maden waren das…“ „Hör auf zu fluchen, Danika.“, grummelte Jastro. Seiner Meinung nach sollte sich eine Frau auch wie eine Frau benehmen. Fluchen war Männersache. „Auch wenn du Recht hast. Jedenfalls ‚kenne‘ ich Deomas etwas länger… ständig spricht er in Rätseln und flüstert etwas von Schicksalen und so weiter. Deomas ist ein einziges Rätsel mit vielen Geheimnissen, nicht wahr?“ Er blickte Danika nicht an, obwohl er mit ihr sprach. Sein Blick hing gedankenverloren an einem einsamen Grashalm im Boden fest. Sie sagte nichts. Zu selten hatte sie Deomas‘ Rat benötigt. „Aber desöfteren sind seine Ratschläge unglaublich hilfreich, insofern man sie versteht…“, meinte er noch, schüttelte dann leicht den Kopf und sah zuerst zu Danika, dann wieder zum Mond Saijaron. „Wir müssen bis morgen warten, nichts Anderes bleibt uns übrig.“ Das blonde Mädchen nickte, aber Jastro sah es nicht. Dann herrschte eine unheimliche Stille. Nur dann und wann war ein Zirpen eines Insektes und der Wind, der die Blätter in den wenigen Bäumen rascheln ließ, zu hören. „Jastro?“, erkundigte Danika sich schließlich abermals nach ihrem Bruder. Wieder folgte ein ‚Ja‘. „Hast du-“, fuhr sie fort, aber stoppte fast sofort wieder. Jastro blinzelte kurz. Ihre Augen verirrten sich in die nächtliche Schwärze, sie fixierten irgendeinen Punkt hinter seinem Kopf. Er ahnte, was sie fragen wollte, doch er sagte nichts. Es war nur eine Frage, um die eigenen Gefühle zu überspielen, um nicht darauf aufmerksam zu machen, doch damit tat sie das genaue Gegenteil. Danikas Gesicht sah im Licht seines Feuers unnatürlich orange aus. Sonst hatte sie immer eine recht blasse Haut, was wiederum ebenso ungewöhnlich für einen Fuccaner war. Die Sonnenkrieger aus Fucc waren bekannt für ihre leichte gebräunte Haut (Jastro jedoch beneidete Danika um ihren blassen Teint – er passte seiner Meinung nach besser zu den blonden Haaren, die sie von ihrer Mutter geerbt hatten), jedoch gab es andere Länder, wo die Sonnenkrieger sogar sehr helle Haut hatten. Aber das war eigentlich jetzt Nebensache, stellte Jastro fest, und richtete seine Gedanken wieder auf seine kleine Schwester. Sie schien leicht rot im Gesicht, aber das Feuer konnte ihr nicht zu heiß sein, sie lag schließlich weiter weg. Dann öffnete sie ihren Mund zum Reden, jedoch verließen die ersten Laute ihn erst nach einigen Sekunden. „Kann ich mich zu dir legen?“ „Natürlich.“, antwortete Jastro. Unwillkürlich musste er lächeln. Vor einigen Jahren, in der Zeit des Krieges, hatte sie ihm abends oft diese Frage gestellt, nachdem sie sein Zimmer betreten hatte. Er grinste, als sie immer noch an derselben Stelle lag und ihn verblüfft anstarrte. „Komm schon her. Ich tu dir doch nichts.“, spaßte er – und tatsächlich schien sie jetzt zu realisieren, dass sie sich nicht verhört hatte, stand auf, nahm ihre Decke und ließ sich neben ihrem großen Bruder nieder. Sie kuschelte sich an ihn, wie sie es schon lange nicht mehr getan hatte. Ein breites, glückliches Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, als er sogar wie früher seinen Arm um sie legte. „Seit Jahren hast du diese Frage immer mit ‚Nein‘ beantwortet.“, murmelte sie gegen seine Brust, an der sie lag. Sie konnte seinen regelmäßigen Herzschlag hören. „Es gibt auch Ausnahmen.“, meinte er zu leise zu ihr, „Und das hier ist eine Ausnahme.“ Wobei diese Ausnahme durchaus nicht angenehm war. Danika lag eine Bemerkung auf der Zunge, als ihr eben dieser Fakt wieder einfiel. „Es ist das erste Mal, dass wir ohne Vater und Mutter unterwegs sind.“, stellte sie fest. „Du darfst ruhig Angst haben“, flüstere Jastro. Er spürte an seiner Brust, wie sie ihren Kopf etwas wegdrehte. Wahrscheinlich wurden ihre Wangen jetzt mit einem zarten Rot betont. Es war ihr peinlich – sie gab ungern Schwächen zu, das wusste Jastro, und noch peinlicher war es, wenn es jemand Anderes bemerkte. Abermals herrschte kurzzeitig Schweigen. Danika krallte sich an Jastros Oberteil fest und kuschelte sich an ihn. „Danke“, flüsterte sie. Sanft drückte er ihr einen Kuss auf das blonde Haar. Dann schlief sie ein. Kapitel 3: Trimbali ------------------- Danika wusste nicht, wie er das schaffte, aber Jastro weckte sie tatsächlich auf, als Naiyurra sich langsam über den Horizont kämpfte. Die Sonne tauchte den Himmel in ein goldenes Licht, doch Danika blieb nicht lange Zeit um diesen Anblick zu genießen. „Bist du wach?“, fragte Jastro sie. Er machte einen gehetzten Eindruck. „Ja“, murmelte sie noch leicht verschlafen, „Was ist denn los?“ „Ich weiß nicht so genau.“, meinte er und seufzte, „Ich hab ein ungutes Gefühl. Los, nimm deine Sachen und lass uns weiter.“ Sie tat wie ihr geheißen: sie schwang ihre Tasche um ihre Schultern, nachdem sie ihre Decke wieder verstaut hatte, stieg auf Jyoli und zusammen mit Jastro ritt sie los. Sie schwiegen. Das Mädchen sah, wie die Naiyurra sich stetig erhob, aber der Wunsch mit Deomas dem Sonnengott zu sprechen schien auf einmal vergessen zu sein. Danika starrte auf Jyolis zottliges Fell. Das Tier trabte vor sich hin. Sie geht einfach ihren Weg, dachte Danika im Stillen bei sich, Sie weiß gar nicht, wohin es geht. Eigentlich hat sie nicht mal ein Ziel, nur wir haben ein Ziel, und ihre Aufgabe ist es, uns dorthin zu bringen… ihr ist es egal, dass sie ihr vorheriges Zuhause verlässt. Sie weiß es nicht mal… Akamba zu sein wäre so einfach. Jyoli,… wollen wir tauschen? Jyoli knurrte, und Danika zuckte zusammen. Hatte sie etwa ihre Gedanken gehört? Aber Moment – was hatte sie eigentlich gerade eben gedacht? Sie wollte keine Sonnenkriegerin, sondern ein Akamba sein? Sie schalt sich einen dummen Wurm. Ein dummer Wurm war sie, oh ja, wenn sie ihre Aufgabe als Sonnenkriegerin nicht ernst nahm! Es war eine Ehre, Sonnenkriegerin zu sein. In Gedanken bat sie Deomas den Sonnengott für diese schändlichen Gedanken um Verzeihung. Deomas… Deomas mein Sonnengott, mein Schöpfer, sprach sie zu ihm, Vergebe mir diese undankbaren, dummen Worte, die so schnell und widerstandslos durch meinen Kopf flossen, eh ich tatsächlich drüber nachgedacht habe. Nie vergessen werde ich, dass Du meiner Familie das Geschenk auferlegt hast, mit der Sonne eins zu sein. Dafür… danke ich Dir. Eine Wärme umhüllte sie von innen – es war ein sehr angenehmes Gefühl. Sie kannte es bereits, denn sie hatte sich schon einmal bei Deomas entschuldigt. Damals als sie gerade erst gelernt hatte, zu Deomas zu sprechen, hatte sie jemandem einmal den Tod herbei gewünscht. Jemandem dem Tod herbei zu wünschen, war keine gute Sache – und das wusste sie eigentlich schon seit dem Kindesalter, und so hatte sie sich entschuldigt. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann war die Wärme in ihrem Körper wieder verschwunden. Aber immerhin wusste sie jetzt, dass Deomas ihr verziehen hatte. – Plötzlich fiel ihr ein, dass sie dem Sonnengott doch noch eine Frage stellen wollte. Gestern Nacht hatte es ja nicht funktioniert, was nicht weiter verwunderlich war. Aber auch in den heutigen Sonnenstunden würde Deomas nicht mehr mit ihr sprechen – das hatte sie sich selbst mit ihren törichten Gedanken zu zuschreiben. Ihr Bauch knurrte und unterbrach somit ihre wirren Gedankengänge. Vor sich, auf Chota, sah sie Jastro etwas essen und sie tat es ihm gleich. Nach seinem überstürzten Aufbruch heute Morgen war es verständlich, dass er keine extra Pausen einlegen wollte, um etwas zu essen. Danika kramte sich etwas zu essen aus ihrer Tasche, und schließlich hielt sie ein Stück Brot in der Hand. „Jastro?“, sagte sie leise, und kam sich gleichzeitig doof vor. In letzter Zeit war ständig sie es, die ein Gespräch anfing, nur weil sie irgendwelche Fragen hatte. Manchmal hatte sie das Gefühl, sie störte die Ruhe, die Jastro sich wünschte. „Mh?“, kam es von vorne. Jastro ritt vor ihr weg, aber dennoch machte er sich nicht die Mühe ihr ins Gesicht zu blicken. Aber sie störte sich nicht daran, denn der Weg war wirklich nicht dazu gemacht, einfach locker drüber weg zu galoppieren. Sie befanden sich in den Bergen von Litaronh, der Weg war mit Steinen übersät und holprig, zudem sehr schmal. Deswegen ritten sie auch hintereinander. „Wieso-… …der überstürzte Aufbruch heute Morgen. Was war das für ein Gefühl?“, fragte sie vorsichtig. Wenn Jastro sich von Gefühlen leiten ließ, hieß das meistens was Schlechtes und dann hatte er schlechte Laune, und die wollte sie nicht reizen. „Ein ungutes, hab ich doch gesagt“, antwortete er barsch. Das Mädchen zuckte zusammen. Seine Stimme klang kalt. Das war selten und es passte überhaupt nicht zu dem fröhlichen Jastro, fand sie. „Ich-“, setzte sie noch einmal an, aber dann schloss sie ihren Mund wieder, sagte nichts und aß stattdessen das Stück Brot. Vielleicht war es besser, einfach nichts zu sagen, um ihn nicht zu reizen. Plötzlich stoppte das braune Akamba vor ihr, und Jyoli knurrte entrüstet, weil es fast in ihren Kameraden hinein gelaufen wäre. Da drehte Jastro sich zu ihr um. „Hey“, sagte er zu ihr und grinste, obwohl sie ihn geknickt ansah, „Nimm’s nicht so ernst, Schwesterchen. Tut mir leid – aber du weißt ja, sowas stresst mich irgendwie total schnell…“ Er lachte blöd und Danika sah ihn beleidigt an. „Ach, und jetzt ist alles wieder gut, oder wie?“, fragte sie empört. „Ehm… ja?“, antwortete er geradezu unschuldig und grinste sie an. Danika dagegen sah leicht angesäuert aus. „Du Idiot!“, schrie sie ihn an und warf das halbaufgegessene Brot gegen seinen Kopf. „Aua“, sagte er, auch wenn es nicht wirklich weh tat, und guckte auf das Brot, das jetzt auf dem Boden lag, „Das schöne Brot… auch wenn es schon steinhart war.“ „Macht nichts, guck, Chota frisst es auf“, meinte Danika dann. „Na dann… - wie? Chota?!“, sagte er ungläubig, aber er sah es mit eigenen Augen: Chota, ein Akamba, die für gewöhnlich nur Fleisch aßen, futterte das Stück Brot auf. Jyoli fing an neidisch zu knurren. „Oh man, ich glaube, die beiden haben Hunger…“, stellte Jastro fest, „Los, lass uns weiter, ich hoffe nur, wir erreichen bald dieses Dorf… wie hieß es noch? Timbarli?“ „Oh, du meinst Trimbali?“, fragte Danika interessiert. In ihrer Schulzeit hatte sie Yalannkunde sehr gemocht und war zudem gut gewesen. Sie hatte ein gutes Gedächtnis, was Länder und Städte betraf – und da Trimbali ganz in der Nähe lag, war es nur selbstverständlich, dass Danika das Dorf kannte. „Ich hab mal gehört, dass sie in Trimbali aus den Bergen von Litaronh wunderschöne, glänzende Steine holen.“ „Sowas wie der eingelassene Jaspis in meinem Glutschwert?“, fragte Jastro und zog sein Schwert aus der Scheide. Es war ein schmales Schwert aus einem harten, silberglänzenden Metall, aber der Griff erschien in einem leuchtenden Rot. Wenn man zu lange hinsah, hatte man das Gefühl, Flammen tanzen und Glut glühen zu sehen. Und am Ende des Griffs war ein strahlender, roter Jaspis eingelassen. Mit einem kurzen Blick auf das Glutschwert nickte Danika. „Ja… der Jaspis ist das Wahrzeichen von Papas Familie, nicht? Deswegen steht dort auch ‚Hisan‘ auf dem Schwert.“ „Ja, jedes Mitglied der Familie Hisan bekommt eine Waffe geschmiedet und ein neuer, roter Jaspis wird eingesetzt. Damit seine Kraft die Waffe verstärkt.“, erklärte er ihr, und strich mit seinem Daumen leicht über die yalannschen Zeichen, die in das Metall eingraviert worden waren. „Nur du nicht.“ Danika lachte, aber nicht beschämt. Sie fand es eher belustigend, dass in ihrem Yathasa kein Jaspis war, obwohl sie doch genauso wie Jastro ein Mitglied der Hisans war. In ihrem Dolch war ein Rubin mit eingearbeitet – er war das Zeichen der Familie ihres Großvaters wievielten Grades auch immer. Danika wusste es nicht, aber es waren auf alle Fälle Vorfahren ihrer Mutter Varille. Seit ein paar Generationen war es Tradition, das Yathasa an die Töchter der Familie weiterzugeben. Angeblich hatte es starke, magische Fähigkeiten und der Großvater x-ten Grades sollte es selbst geschmiedet und benutzt haben. Zudem entstammte er einer alten, mächtigen Familie. Mehr wusste Danika nicht darüber – und die angeblich so tollen Fähigkeiten hatte sie auch noch nie gesehen. Jastro sagte immer, sie stelle sich einfach zu blöd an; Danika stritt das immer ab, auch wenn sie innerlich das Gefühl hatte, er habe Recht. Es war nie wirklich ermutigend gewesen, zu wissen, dass man nicht sonderlich begabt war. Sie hatte Eltern und einen Bruder und viele andere Vorfahren, die talentiert mit der Magie waren. Als sie jedoch die erste Lehre der Feuermagie nach ihrem dreizehnten Geburtstag absolviert hatte, war sie längst nicht auf demselben Niveau gewesen wie zum Beispiel ihrer Mutter Varille Hisan, als diese in dem Alter gewesen war. Dazu musste Danika dennoch sagen, dass weder Jastro noch ihre Eltern wussten, dass sie – nachdem sie eine Weile sehr beschämt und traurig über ihre schlechten Fähigkeiten gewesen war – jeden Tag für sich trainiert hatte. Natürlich war sie jetzt nicht super talentiert, aber sie war besser geworden. Sie konnte sich wehren und angreifen, wenn sie wollte, und ihr Yathasa half ihr dabei ungemein. Irgendwann werde ich Jastro zeigen, dass auch ich eine gute Sonnenkriegerin bin, schwor sie sich in Gedanken. Die Naiyurra stand schon hoch am Himmel, als Jastro und Danika das kleine Dorf Trimbali erreichten. Damit hatten sie die endgültige Bestätigung, dass sie ihr Heimatland Fucc verlassen hatten. Es schien ein kleines, vertrautes Dorf zu sein. Die Menschen waren ziemlich geschäftig, viele Männer in dreckiger Kleidung liefen herum und transportierten in Schubkarren viele prachtvolle, bunte Steine, die im Licht der Sonne glänzten. Als die blonden Geschwister neben ihren Akambas das Dorf betraten, wurde es auf der großen breiten Straße mit einem Mal still. „Jastro“, flüsterte Danika. Sie sah sich um, schaute die ganzen Menschen an, die sich plötzlich ihnen zugewandt haben. Ihr Bruder zog die Augenbrauen zusammen. „Ich hab’s schon gemerkt“, sagte er leise, „Ich-“ Er stoppte, als auf einmal ein Gemurmel bei den Dorfbewohnern ausbrach. Es wurde immer lauter, es hörte sich zischend an, wie eine wütende Schlange. „Jastro, ich hab Angst“, wisperte Danika plötzlich schnell, und Jastro wunderte sich, dass sie das einfach so frei heraus sagte, „Diese Menschen sind böse…“ „Woher-…?“ Der blonde Junge war verwirrt. Danika klammerte sich wie ein Kleinkind an ihm fest, sie zitterte am ganzen Leib. „Spürst du es nicht?“, flüsterte sie nahezu apathisch, „Sie haben böse Energien in sich…“ Jastro erwiderte nichts. Fassungslos starrte er seine Schwester an. Der Schweiß stand auf ihrer Stirn. Nur woher wusste die das? Seit wann konnte sie so etwas wie Auren spüren? Das war ziemlich ungewöhnlich, nur Krieger mit einem ausgeglichenen Inneren konnten das – zumindest hatte er das einmal gelesen. Er schob Danika langsam vorwärts, während die Blicke von Trimbalis Einwohnern sie weiter verfolgten. Ein ausgeglichenes Inneres – was genau bedeutete das? Es hatte irgendetwas mit der Art des Kämpfens zu tun. Jastro wusste, dass die meisten Sonnenkrieger offensiv kämpften, dafür waren sie bekannt. Das hieß, dass sie mit ihren Feuerzaubern angreifen und verletzen konnten. Manche jedoch waren defensive Kämpfer, was wiederum hieß, dass sie mit ihren Feuerzaubern schützen und heilen konnten. Wobei er sich fragte, wie Feuer heilen sollte… okay, es war warm. Aber sonst? Es waren mehr Mondkrieger, die als Heiler bekannt waren. Apropos Mondkrieger. Sie waren hier in Thann, das hier mussten Mondkrieger sein. Hoffentlich waren sie friedlich, sie waren in der Überzahl… Jastros optimistische Gedanken fanden ein jähes Ende. Er zuckte zusammen, als auf einmal eine herrische Stimme von links schrie: „Haut ab, ihr Maden! Was habt ihr hier verloren?!“ Er sah einem Mann mittleren Alters ins wutverzerrte Gesicht – er fand keine Worte. „Verzieht euch, bevor ihr noch mehr Unheil anrichtet! Mistkäfer, kriecht in eure dreckigen Löcher zurück!“ „Lasst uns in Ruhe! Verreckt doch!“ Der erste Stein kam angeflogen – aus Reflex duckten die Geschwister sich. „Schert euch weg! Ihr habt meinen Mann getötet! Meine Kinder! Ungeziefer seid ihr!“ Das war eine Frau gewesen, sie sah blass im Gesicht aus, aber nicht minder zornig. Sie bückte sich und warf einen Stein auf die beiden. „Verschwindet!“ Der Stein flog knapp an ihren Köpfen vorbei. Danika zitterte mittlerweile wie Espenlaub in Jastros Armen. Ihr Atmen war schwer geworden, die Augen leicht nass. Langsam begann Jastro sich Sorgen zu machen. Sie war doch sonst immer so stark… Die nächsten Steine und sogar Obst und Brot wurde geworfen. Jastro war immer noch stumm – er war unfähig was zu sagen. Diese Vorwürfe… Er hob schützend einen Arm über Danikas und seinen eigenen Kopf und zwang sie zum Laufen. Die Akambas zerrte er hinter sich her, obwohl sie wütend waren und knurrten, weil sie von den Steinen getroffen wurden – sie protestierten. Wahrscheinlich hätten sie die Menschen längst angefallen. Gedankenlos rannte er die Straße entlang. Die Menschen warfen ihnen Steine und wüste Beschimpfungen hinterher. Er hatte sich ziemlich geirrt, wenn er gedacht hatte, hier Essen und eine Unterkunft für eine Nacht zu finden. Warum, bei Deomas noch mal? Warum wurden sie für diese Dinge verantwortlich getan? Die vor Jahren passierten, als sie noch kleine Kinder gewesen waren? Es war unglaublich, dass diese Menschen so nachtragend waren. Es war bereits fünf Jahre her, dass der Frieden wieder geschlossen wurde. Diese Menschen wollten anscheinend nicht vergessen. Einige Steine trafen ihnen von hinten. Der Junge versuchte es, so gut wie möglich zu ignorieren, auch wenn es nach einer Weile schmerzte. Er hoffte nur, Danika hier irgendwie heil herauszubekommen. Jastro sah nach hinten. Männer und auch wenige Frauen rannten ihnen immer noch hinterher, schrien und warfen. Wenn ich so weiterrenne, werde ich sie nie los, dachte er sich. Rechts und links von ihm waren etliche Seitenstraßen und ohne noch einen weiteren Gedanken zu verschwenden, lief er schnurstracks in eine. Danika neben ihm wurde immer lauter beim Atmen. Jastro nahm darauf keine Rücksicht – er zog sie einfach hinter sich her, auch als sie fast gefallen wäre, weil ein Stein sie am Unterschenkel traf. Abermals bog der Junge ab. Das Dorf ist ziemlich verwinkelt… wehe, ich laufe in eine Sackgasse…, sprach er innerlich mit sich selbst, Aber… warum werfen die eigentlich nur mit Steinen?! Ich dachte, die könnten Wasser zaubern… Er warf noch einen Blick über die Schulter. Jetzt sah er sie zumindest nicht mehr, aber laut dem Brüllen konnten sie gar nicht so weit weg sein. Und tatsächlich – sie waren nicht weit weg, das bestätigte der Stein, der plötzlich von der Seite gegen seinen Hinterkopf flog. Danika erschreckte sich weit mehr als Jastro selbst. „A-…“, versuchte sie zu sagen, aber sie war heiser. „Pscht“, machte Jastro nur. Verärgert sah er sich um. „Verdammt, wir sollten weiter… sonst kriegen wir die nie los…“ Das Mädchen hustete. Sie schwitzte noch immer. „Jag ihnen doch ein paar Feuerkugeln auf den Hals…“ Jastro fuhr herum. „Danika!“, bellte er sie an, „Wir sind hier nicht zum Krieg anstiften, sondern um ihn zu verhindern!“ Mit zusammengezogenen Augen starrte er sie an. Danika wurde ganz klein unter seinen Blicken, und ihr Gesicht wurde plötzlich weiß. „I-Ich…“, stammelte sie, und auf einmal liefen ihr Tränen die Wangen runter, „Ent-… Entschuldige, Jastro-… Deomas! Ich wollte nicht, nein, ich-…“ „Pscht, pscht… Danika, bleib ruhig…“ Jastro nahm sie in seine Arme, strich ihr kurz über den Rücken. „Es wird alles gut… ich hol dich hier raus…“ „Was, wenn-… wenn diese Menschen Sekhima und Markon umgebracht haben? – Das sind so böse Menschen! Ich bin mir sicher-… und jetzt-… jetzt wollen sie auch noch dich!“ Danika heulte. Sie schämte sich im selben Moment für diese unglaubliche Angst, aber sie konnte nicht aufhören. All diese Menschen im Dorf hatten so eine furchtbare Aura um sich herum – sie hatte es plötzlich gespürt, als sie in Trimbali angekommen waren. „Hör auf damit, mir tut niemand etwas – und dir erst recht nicht. – Denk jetzt lieber nicht an Sekhima und Markon… und wenn doch, dann bitte wenigstens ihre Feuergeister, dir jetzt zu helfen…“, sagte Jastro zu ihr und strich ihr noch mal über den Rücken. „Komm, wir müssen weiter…“ Danika nickte und wischte sich die letzten Tränen weg. Doch kaum hatten sie den einen Fuß vor den anderen gesetzt, erfasste sie mit einen Mal eine Welle aus blauem, klarem Wasser von der Seite, die nicht nur sie, sondern auch die Akambas Chota und Jyoli mitriss. „Ja-Jastr-…!“, die letzten Worte wurden vom Wasser verschluckt. Danika spürte Jastros Hand dennoch an ihrer und wie sie sie festhielt. Dann riss die Strömung sie durch die Winkel des Dorfes. Jastro fragte sich, was die Leute damit bezwecken wollten, aber es war ihm egal, solange er es überlebte – daran hatte er keinen Zweifel, denn das Wasser war nur stark genug um sie tatsächlich wegzutreiben. Vielleicht hatten die Einwohner gewollt, dass sie aus dem Dorf gespült werden, aber daraus wurde nichts. Mit einem dumpfen Knall prallten Jyoli und Chota an einer robusten Häuserwand in einer Sackgasse ab – und Jastro und Danika an ihnen. Die Kraft des Wassers ließ nach und spülte sie nicht mehr hinfort. Die Akambas rappelten sich knurrend auf, schüttelten ihr Fell aus und wären beinahe losgestürzt, wenn Jastro sie nicht mit einem „Halt!“ gestoppt hatte. Danika zitterte wieder am ganzen Leib. „Meinst du, sie kommen noch mal?“ „Ich hoffe nicht“, stöhnte Jastro und raufte sich die Haare, „Ich wette, sie dachten, die Welle spült uns raus… verdammt, das ist nicht gut.“ „Wenn sie uns noch mal sehen, oder wie?“ „Ja, eben. Die Welle hätte uns ruhig raus spülen können…“, meinte er, „Denn wären wir jetzt wenigstens aus dem komischen Dorf raus. – Ist bei dir denn alles okay?“ „Hm… ja. Mir tut nichts weh… aber du blutest!“, stellte Danika besorgt fest. „Was? Wie das denn, wo?“ Das Mädchen stöhnte. „Am Kopf natürlich, du Trottel! – Ich kann aber nichts dagegen machen, in Heilzaubern hab ich mich noch nie geübt…“ Plötzlich spritzte das Wasser geräuschvoll hinter Jastro auseinander – „Aber ich!“ Rasend schnell zog Jastro sein Glutschwert und hielt es dem Mädchen, das hinter ihm aufgetaucht war, an die Kehle. Fast im selben Moment hob es die Arme und zog anscheinend reflexartig eine Mauer aus Wasser vor sich. „G-Ganz ruhig! – Bei Alahrya, ich will dir doch nichts antun!“, sagte sie erschrocken. Jastro sah sie dennoch skeptisch an. „Ach, und was beweist mir das? Was beweist mir, dass du nicht genauso wie die anderen bist?!“, blaffte er sie an. „Ihre Aura, Jastro“, mischte Danika sich ein, „Nimm das Schwert runter. Ihre Energie ist ganz warm und freundlich…“ Verwundert drehte er sich zu seiner Schwester um. Das Glutschwert ließ er sinken. „Bist du dir sicher?“ „Natürlich!“, bejahte Danika, „Ihre Aura ist ein riesiger Gegensatz zu denen dieser grausamen Menschen, die blind vor Wut sind! Sie ist ein guter Mensch. Schau sie doch mal an, glaubst du ernsthaft, sie will dir was Böses…“ Sie wusste nicht ganz, wieso, aber in dem Moment konnte sie nicht anders, als dem Mädchen zuzulächeln. Die Wasserwand hatte sie schon längst wieder fallen gelassen und jetzt sah sie etwas bedröppelt auf die Geschwister. Jastro musste zugeben, dass Danika irgendwo Recht hatte (immerhin machten selbst die Akambas keinen Mucks). Das Mädchen hatte kurze, hellbraune Haare, die ziemlich verwuschelt auf ihrem Kopf lagen. Ihre Augen waren auch braun, wenn auch etwas dunkler, und sie sahen unglaublich gutmütig aus. Sie trug einen violetten, dünnen Pullover und einen grauen Rock, der so lang war, das er ihre Knie verdeckte. Der gelbe, dünne Schal um ihrem Hals hatte auch schon mal bessere Tage gesehen, aber auch Rock und Pullover sahen alt und schmuddelig aus. Trotzdem lächelte sie die beiden einfach an. „Ich bin Tuwa Kamestro“, stellte sie sich vor und verneigte sich sogar leicht, „Und ihr?“ „Danika Hisan“, antwortete Danika, „Und mein Bruder Jastro.“ „Dann freut es mich, euch lennenzukernen-…“, sagte sie, und stockte. „Ach, verdammt, jetzt fängt das schon wieder an! Kennenzulernen, verdammt noch mal!“ Jastro blinzelte. „Okay… ja… uns auch.“, meinte er nur, „Könnten wir jetzt hier weg? Ich hab keine Lust, dass die komischen Typen von vorhin noch mal hier aufkreuzen…“ „Sicher doch – kommt, ich wohne nur zwei Häuser weiter. Ihr könnt von Glück reden, dass wenigstens wir hier normal sind!“ „Wir?“, fragte Danika sogleich. „Oh, ach ja, ich hab noch einen Mitbewohner, ein Freund von mir.“, erzählte Tuwa dann, „Aber keine Sorge, er wird euch auch nichts tun. Wir beide sind ziemlich anders als der Rest des Dorfes… wir lassen uns nicht von Vorurteilen täuschen, wisst ihr?“ Sie ging durch das fast kniehohe Wasser, dass die Straßen jetzt überflutete. „Saijaron, hilf… mal sehen, wie lange das Wasser braucht, um abzusickern! Diese Idioten…“ „Tuwa?“, sprach Danika sie an, als das braunhaarige Mädchen gerade eine hüfthohe Tür aufdrückte, um durch eine Gasse zwischen zwei Häusern auf die andere Seite der Straße zu kommen. „Ja? – Oh, passen eure Akambas überhaupt hier durch?“, fragte sie da. „Ach, wird schon passen“, meinte Jastro einfach und sah zu den Tieren, „Na kommt schon.“ Jyoli und Chota sahen ihn skeptisch an – dann folgten sie den Menschen durch die Gasse und kamen gerade so hindurch. „So, was war jetzt?“ Die Frage war an Danika gerichtet. „Warum… sind diese Menschen einfach auf uns losgegangen? Ich meine, was haben wir ihnen getan? – Wir alle waren damals doch nur Kinder…“ Tuwa lächelte, aber es war kein glückliches Lächeln. Es war ein bisschen schmerzhaft… „Es ist ihnen egal, ob ihr damals Kinder gewesen seid, oder nicht. Ihr seid Fuccaner. Fertig. – Na ja, hättet ihr euch ein bisschen anders gekleidet, wäre es nicht so auffällig gewesen…“ Jastro und Danika sahen sie verwirrt an. „Was denn, schaut euch doch mal an! Schwarze Hose, rotes Oberteil mit dem Zeichen der Fucc-Flagge drauf. Schon ein bisschen eindeutig, nicht?“ „Ähm…“, machte Danika nur bedröppelt, „Ich glaube, wir hätten doch nicht ganz so überstürzt aufbrechen müssen…“ „Ist ja nicht so schlimm, ich werde versuchen, bei uns was für euch beide zu finden…“, versprach Tuwa, „Zurück zu deiner eigentlichen Frage. Wie gesagt, ihr seid Fuccaner und das reicht für dieses Dorf schon aus, um auszuticken. Die Leute hier sind unglaublich nachtragend und hängen ziemlich an ihrer Familie und ihren Freunden. Wobei… gerechterweise muss ich sagen, dass viele Menschen hier so nah an der Grenze unschuldig gestorben sind…“ Danika und Jastro blieben stumm, aber das Mädchen gab Tuwa innerlich Recht. Auch in Fucc waren so viele Unschuldige gestorben, die gar nichts mit diesem unsinnigen Krieg zu tun hatte. Es hatte vor wenigen Jahren, genauer gesagt in der Sonnensaison im Jahr 1858 nach Nadira angefangen. Damals war es nicht nur warm gewesen, so wie es für die Sonnensaisonen typisch war, sondern es war richtig heiß gewesen. In diesem Jahr und in den zwei darauffolgenden war eine Hitzewelle über die Länder gekommen und in den Sonnenmonaten war es natürlich immer sehr schlimm gewesen. Die Flüsse und Seen trockneten aus, der Regen fiel nicht mehr, das Essen wurde knapp. Menschen litten an dem nagenden Hunger und starben mitunter auch. Die richtigen Probleme kamen jedoch erst, als es in Thann im Hitzemonat wenig regnete. Danika war damals erst sieben gewesen, aber sie und Jastro hatten es mitbekommen: ihre Eltern und alle anderen Fuccaner waren erbost gewesen. Die Regenwolken waren vor wenigen Tagen doch noch über Fucc gewesen! Und es war natürlich selbstverständlich, dass die Thannesier als Mondkrieger ihnen natürlich den Regen gestohlen hätten… Damit hatte der Krieg begonnen. Wie überlebenswillige Tiere waren sie auf die Thannesier losgegangen, immer im Versuch ihnen das Essen zu nehmen, das sie wegen dem geklauten Regen hatten. Über die kälteren Monate hatten sowohl die Hitze als auch die Kämpfe nachgelassen, aber es begann wieder schlimmer zu werden, als der Glutmonat 1859nN anbrach. Das musste auch die Zeit gewesen sein, als plötzlich nicht nur die Soldaten direkt angegriffen wurden. Es war auch in Janas so gewesen. Einige Mondkrieger waren wie Trimbalis Einwohner blind vor Zorn gewesen – sie waren in die Dörfer gestürmt und töteten diejenigen, die sich ihnen in den Weg stellten. Danika erinnerte sich bestens an das Ende des Glutmonats in diesem Jahr. Es war ein Tag gewesen, an dem die Mondkrieger wieder in das Dorf eingefallen. Jastro und Danika hatten auf dem Dachboden gehockt, sich ständig die Ohren zu gehalten, um die schrecklichen Kampfgeräusche nicht zu hören, und darauf gehofft, dass ihre Eltern bald zurückkamen. Amos und Varille Hisan hatten natürlich schon damals für ihr Land als Mitglieder des Feuerordens gekämpft. Am Abend waren sie zwar angeschlagen, aber gesund wieder gekommen. Als Danika jedoch zusammen mit Jastro nach ihren beiden besten Freunden suchte, fand sie deren Haus unter Wasser gesetzt vor. Die Körper von Markon und Sekhima waren nur noch Körper gewesen, eine Körper ohne Geist. Sie lagen auf dem Boden im kalten Wasser. Platzwunden an ihren Köpfen stachen dem kleinen Mädchen nicht nur ins Auge, sondern auch ins Herz. Die beiden waren ihre beiden besten Freunde gewesen… und nur wegen den Mondkriegern waren sie tot. Damals hatte sie gar nicht mitbekommen, dass sie geweint hatte. Jastro nahm sie nur tapfer an der Hand und ging mit ihr nach Hause. Heute dachte Danika sich, dass es bestimmt zu der Zeit gewesen sein musste, in der sie angefangen hatte, sich an Jastro zu klammern. Die Hitzewelle und der Krieg endeten erst am Anfang des Windmonates 1860nN. Zu dieser Zeit fiel heftiger Niederschlag, die Tiere kamen in beide Länder zurück und die Pflanzen wuchsen. Jastro und Danika waren früh darüber gewesen – sie waren nie mit den Angriffen der Sonnenkrieger einverstanden gewesen. Ihre Eltern hatten ihre Meinung jedoch nie gehört. Kapitel 4: Gefährten -------------------- Danika musste unglaublich tief in Gedanken versunken sein, an diese alten Zeiten und die alten Freunde. Ihr grauste es, wenn sie daran dachte, dass diese Zeit sich schon bald wiederholen könnte. Ende des nächsten Hitzemonats wird Thann gefallen sein., hörte sie die Stimme ihres Vaters in ihrem Kopf widerhallen. Ende des nächsten Hitzemonats… das würde noch ein ganzes Jahr dauern. Doch wann würden die Fuccaner mit dem Angriff auf Thann starten? Sie wusste es nicht. Eigentlich wusste sie so ziemlich gar nichts, was dieses Thema betraf, aber in jenem Moment, als sie aus ihren Gedankengängen erwachte, wusste sie (und dessen war sie sich sicher), dass sie sich plötzlich in einem Haus befand. Jastro schloss hinter ihr die Tür und als sie Tuwa vor sich in einen anderen Raum gehen sah, fiel ihr wieder ein, wo sie war und bei wem sie war. Ihr Bruder stieß sie leicht an. „Bist du wieder anwesend?“ „Ja“, meinte Danika und blinzelte verwirrt. Hatte er sie etwa angesprochen und sie hatte es nicht bemerkt? „Ich habe nur etwas nachgedacht.“ Mal davon abgesehen, dass das Jastro schon fast klar gewesen war, sagte er nichts. Stattdessen sahen die beiden sich in dem kleinen, schlichten Haus um. Der Boden war hölzern, in einem ganz normalen Braunton, der Schrank und der Tisch im Wohnzimmer, in dem sie sich befanden, ebenso. Das Sofa sah schon alt und abgenutzt aus. Hier war es kaum dekoriert. Danika fand, dass alles ein bisschen ärmlich und unordentlich wirkte. Tuwa derweil hatte das halbe Haus zusammen geschrien, aber sie schien ihren Freund nicht zu finden. „Uvok, verdammt noch mal, wo bist du?!“, rief sie gerade und stapfte die Treppe hoch, während ihre Gäste noch im Wohnzimmer standen und nicht so recht wussten, was sie davon halten sollten. Erst recht nicht, als sich hinter ihnen plötzlich die Tür öffnete und ein schwarzhaariger Junge herein kam. Aus reinem Reflex drehten Jastro und Danika sich alarmiert um, die Hände bereits an den Waffen. Aber der Junge sah sie für den ersten Moment nur verwirrt an, dann lächelte er plötzlich so gütig, als würden sie sich bereits Monate, wenn nicht Jahre kennen. „Ich wusste zwar nicht, dass wir Besuch haben, aber setzt euch doch“, meinte er und deutete auf das Sofa. Die beiden folgten seinem Angebot. „Danke.“, erwiderte Jastro nur, da brüllte Tuwa plötzlich wieder oben. „Uvok, du Sack! Wo auch immer du bist, ich kriege dich! Beweg lieber deinen kleinen, verdammten Arsch hierher oder-“ Ihre Worte untermalte sie perfekt mit lauten Schritten auf der Treppe, die auch so schon knarrte und für einen Moment befürchtete Jastro, dass eine von den Stufen durchbrechen würde. Der Schwarzhaarige, allem Anschein nach Uvok, betrachtete das Ganze skeptisch mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Oder was?“, fragte er lässig. Mit einem Mal riss Tuwa die Augen auf, als sie die Stimme ihres Freundes hörte. Da stand er plötzlich da, ganz lässig und unbeschwert, als wäre nichts gewesen! Sie lief zu ihm hin, packte ihn fest an seinen Schultern und starrte ihm in die Augen. Dann fing sie an, ihn kräftig durchzuschütteln. „Wo – bist – du – gewesen? – Ich – hab – mir – Sorgen – gemacht!“ Uvok ließ das Schütteln stumm über sich ergehen. Als sie mit dem Sprechen aufhörte, nahm er behutsam ihre Hände in seine und verhinderte damit, dass sein Kopf noch vom Durchrütteln abfiel. „Das ist lieb von dir, Tuwa. Aber wie du siehst, es geht mir gut. Also mal wieder eine unbegründete Sorge. – Guck, ich bin da, ich stehe vor dir!“, sagte er zu ihr, mit einem beruhigenden Ton in der Stimme, und umarmte sie. Tuwa fing an zu lächeln. Sie schien tatsächlich ruhiger als zuvor. „Ich war nur in Sorge um dich, es hätte sein können, dass dir etwas passiert ist draußen, bei dem ganzen Rummel da draußen…“ Wie auf ein Stichwort räusperte Jastro sich kurz leise. Erst da schien Tuwa wieder einzufallen, dass sie die Verursacher dieses Rummels bei sich im Wohnzimmer sitzen hatte. „Ach, entschuldigt, ihr beiden! – Das hier ist Uvok Chara, mein bester und langjähriger Freund, mit dem ich zusammen wohne!“, stellte sie den Jungen nun vor. Dann nickte sie zu den Fuccanern. „Das sind Danika und Jastro Hisan. Sie kommen aus Janas, aus Fucc und sind für den Aufruhr da draußen zuständig.“ Argwöhnisch zog Uvok die Augenbrauen zusammen und begutachtete die beiden Gäste eingehend. Dort standen Fuccaner vor ihm, Menschen von dem Volk, die einen Großteil der thannesischen Bevölkerung ausgelöscht hatte. Ein leichter Zorn breitete sich in ihm aus – doch bevor er aus seinem Körper entspringen konnte, packte Tuwa seine Hand und strich ihm sanft darüber. Natürlich… Tuwa hatte sie mitgebracht. Und Tuwa konnte er vertrauen. Warum sollte sie Feinde in ihr Haus bringen? Er nickte den beiden zu. „Schön euch kennenzulernen… aber darf man fragen, was ihr draußen eigentlich gemacht habt?“ „Wir?“, fragte Danika sofort und schnaubte empört, „Wir haben gar nichts gemacht! Wir kamen einfach nur in das Dorf und dann haben sie uns mit Steinen beworfen!“ „Danika, nicht so laut“, zischte Jastro neben ihr und sah entschuldigend zu Tuwa und Uvok. Der schwarzhaarige Junge seufzte nur. „Ich verstehe schon“, sagte er und meinte damit das Verhalten der anderen Bürger von Trimbali, „Aber warum seid ihr eigentlich hier?“ Jastro und Danika warfen sich unsichere Blicke zu. Konnten sie einfach irgendwelchen Menschen davon erzählen, was sie gehört hatten? „Na ja“, begann Jastro zögernd, „Es ist an sich so etwas wie eine geheime Mission, könnte man sagen…“ Tuwa und Uvok, die sich mittlerweile zu zweit auf einen Sessel gequetscht hatten, sahen ihn stirnrunzelnd an. „Was auch immer es ist, ihr könnt uns vertrauen. Man merkt doch, dass ihr nicht so seid, wie die Fuccaner, die unsere Familien getötet haben.“ Kaum merklich weitete Danika entsetzt die Augen. Das war nicht einfach nur so daher gesagt – das war die Wahrheit gewesen. Natürlich. Ihr fiel es wie die Schuppen von den Augen. Warum sonst sollten zwei Jugendliche ohne Eltern zusammen leben? Jastro schien es überhört zu haben. Er sprach weiter: „Nun… dann, denke ich, können wir es euch erzählen. – Danika?“ Sie nickte ihm zu, als Bestätigung seiner Worte. „Wie ihr ja schon wisst, heißen wir mit Nachnamen Hisan. Somit sind unsere Eltern Amos und Varille Hisan… und sie sind Mitglieder des Feuerordens von Fucc. Ist das euch ein Begriff?“ Uvok nickte. „Er ist wohl mit unserem Wasserorden zu vergleichen.“ „Gut… erst gestern hatten sie eine Versammlung. Und na ja, wir standen halt zufällig vor dem Fenster und haben zufällig so einiges mitbekommen.“ „Und – was habt ihr gehört?“, fragte Tuwa leise und angespannt, als sie bemerkte, dass Jastros Gesicht zunehmend ernster wurde. „Sie wollen sich rächen.“, erzählte Danika dann mit einer monotonen Stimme, „Bis zum nächsten Hitzemonat soll Thann gefallen sein, so sagen sie.“ Uvok zog leise scharf die Luft ein. Tuwa wusste nicht, was sie sagen sollte. „Die spinnen doch, die Fuccaner“, murmelte Uvok. Von allen anderem kam ein leichtes Nicken. „Allerdings…“, erwiderte Jastro, „Und deswegen wollen wir nach Jumelika, der Hauptstadt, zu Thanns König. Wir wollen ihn bitten, uns zu helfen. Dass er irgendwas machen kann, dass die Fuccaner aufhält! Verhandlungen, was weiß ich… dass er wenigstens Bescheid weiß. Irgendwie wollen wir diesen sich anbahnenden Krieg verhindern.“ Die Stille verbreitete sich nun unangenehm im Raum. Sie hielt solange an, bis langsam die letzen wärmenden Strahlen der Naiyurra von Nordwesten in den Raum schienen. Schließlich erhob sich als erste Tuwa. „Wenn ihr wollt, könnt ihr hier schlafen. Ich kann euch zwei Matten geben.“, meinte sie zu Danika und Jastro. Dankend nahmen sie das Angebot an. Es dauerte nicht lange, bis im ganzen Haus das Feuer der Kerzen gelöscht war. Uvok und Tuwa lagen in ihren Betten im Obergeschoss. Die beiden Besucher hatten es sich auf ihren Matten im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Danika hörte die Grillen draußen surren. Es war warm, es war mitten im Sommer. Dem Mädchen gefiel die Wärme der Naiyurra, die erst spät unter gegangen war. Sie brannte in den Sonnensaisonen stets fast den ganzen Tag auf Yalann herab. Yalann war ein riesiger Planet, fand Danika. Sie hatte in der Schule viel über ihren Heimatplaneten gelernt, aber das meiste bereits wieder vergessen. Nohkania, der Kontinent, auf dem Fucc und Thann lagen, war schon riesig, doch weit im Westen gab es einen weiteren großen Kontinent namens Lanimien. Sie hatte keinerlei Ahnung, wie es dort aussah. Und sie kannte auch niemanden, der bereits einmal dort gewesen sein könnte – verständlich, denn die Reise dorthin musste einige Wochen mit dem Schiff dauern. „Findest du sie vertrauenswürdig?“, unterbrach Jastro urplötzlich ihre Gedanken. Verwirrt sah sie ins Schwarze, in die Richtung, aus der Jastros Stimme kam. „Wie?“, fragte sie nur. „Tuwa und Uvok. Ob du sie vertrauenswürdig hältst.“, wiederholte ihr Bruder ruhig. Danika nickte, dann fiel ihr ein, dass er das im Dunkeln ja nicht sehen konnte. „Ja, sind sie“, sagte sie stattdessen einfach, „Ihre Auren sind sehr warm und freundlich.“ „Gut…“, murmelte er, „Manchmal könnte ich echt neidisch auf dich sein, wegen dieser Fähigkeit.“ Danika schnaubte. „Manchmal finde ich sie schrecklich.“ „Ich weiß“, sagte Jastro nur darauf, „Wir sollten lieber schlafen, wenn wir weiter nach Jumelika wollen.“ Daraufhin ertönte ein Rascheln aus Decken. „Gute Nacht.“ Sie erwiderte nichts. Am nächsten Tag wurden sie früh von Tuwa geweckt. Abermals kämpfte die Sonne sich gerade einmal über den Horizont, als Danika und Jastro aus ihrem Schlaf erwachten. „Wenn ihr unbeschadet aus Trimbali herauskommen wollt, solltet ihr besser früh hier verschwinden.“, sagte sie leise zu ihnen und hielt ihnen einen Stapel Kleidung entgegen, „Hier, für euch.“ Jastro rappelte sich auf und nahm ihr die Klamotten ab. „Danke… das ist wirklich sehr nett von euch.“ „Das Bad ist dort gleich links.“, erklärte sie ihnen noch und verschwand dann Richtung Küche. „Möchtest du zuerst?“, fragte Jastro seine Schwester, die nur nickte und mit der Kleidung, die für sie gedacht war, im Badezimmer verschwand. Ihr Frühstück aßen sie zusammen und schweigend. Die Stimmung war trüb und gedrückt, weil jeder in seinen Gedanken versunken war. Danika machte sich Sorgen. Nie im Leben hätte sie, als sie noch in Fucc gewesen war, gedacht, dass sie so in ihrem Nachbarland begrüßt werden würde. Würde es jeder anderen Stadt auch so sein? Es war möglich… sie hatte böse Vorahnungen. Dennoch war sie froh um den Umstand, dass Tuwa und Uvok ihr und ihrem Bruder Sachen zur Verfügung gestellt hatten. Sie linste Jastro von der Seite an. Auch er biss eher rein motorisch in sein Brot, ohne wirklich zu wissen, was er tat. Wahrscheinlich dachte er an dasselbe. In diesen Moment legte Uvok sein Messer auf den Teller, sodass es leicht klirrte, und sah den beiden Blonden in die Augen. „Wir würden euch gerne begleiten.“ Er sah sie fest an. Er hatte einen entschlossenen Blick, doch Tuwa neben ihm schien unsicher zu sein. „Warum?“, brachte Jastro dann nach kurzer Stille heraus. Uvok übernahm weiterhin das Sprechen. „Tuwa und ich, wir haben beide unsere Eltern im Krieg verloren. Ihre kleine Schwester ist in der Zeit verschwunden. Wir haben nur noch uns beide… ich denke, es ist verständlich, dass wir nicht auch noch uns verlieren wollen. Wenn wir etwas dazu beitragen können, dann würden wir euch… wirklich sehr gerne helfen, einen erneuten Krieg zu verhindern.“ Noch ehe Danika oder Jastro etwas sagen konnten, sprach Tuwa: „Wir möchten euch wirklich nicht zur Last fallen. Wir können nur versuchen, euch so gut wie es geht zu unterstützen. Wisst ihr, wir können an sich ganz gut kochen und so… und wir sind Thannesier, wir kennen uns hier aus. – Und ich könnte während der Reise meine Schwester suchen…“, fügte sie noch hinzu. Verblüfft sah Danika das jüngere Mädchen an. Dann lächelte sie ihr über den Tisch zu. „Nun bleib mal ganz ruhig. Glaubst du ernsthaft, wir würden euch nicht mitnehmen wollen?“, fragte sie. Sie sah zu ihrem Bruder, doch der grinste die beiden ebenfalls an. Also schien auch er einverstanden zu sein. „Ihr seid uns sympathisch… ich denke, wir freuen uns beide über solch tolle Gesellschaft.“ Tuwa wollte was sagen, doch ihr Mund blieb nur offen stehen. Grinsend piekste Uvok sie in die Seite und sagte: „Ich hab’s dir doch gesagt. Du wolltest mir ja nicht glauben.“ Das Mädchen zuckte zusammen aufgrund der Berührung, sprang dann vom Stuhl auf und rannte die knarrende Treppe hoch und kam mit einer Tasche wieder herunter. „Ich hab sogar gestern Abend schon gepackt! Damit es nicht so lange dauert! – Und Uvok hab ich auch dazu gedrängt…“ „Allerdings, trotz der Zweifel. Tuwa, du bist komisch…“, murmelte er in seinen nicht vorhandenen Bart. Tuwa streckte ihm die Zunge raus. „Lasst uns lieber uns beeilen… die Arbeiter werden jetzt auch ihr Frühstück essen und dann nach draußen an die Arbeit gehen.“ Voller Tatendrang begann sie das schmutzige Geschirr in die Spüle zu schmeißen. Es würde eh keinen mehr stören. Schon fast hektisch holte sich auch Uvoks Tasche von oben, nebenbei hatte sie ein Foto in der Hand, das sie in ihrer Jackentasche verschwinden ließ. Den anderen warf sie ebenfalls Jacken zu. „Los, zieht sie schon an. Ich will endlich weg aus diesem Kaff.“ „Tuwa… ganz ruhig.“, meinte Uvok nur wieder genervt. Aber Jastro, Danika und er zogen sich trotzdem an, nahmen ihre Taschen um sie zu schultern und begaben sich mit der Brünetten nach draußen. „Seid ihr sicher, dass ihr alles habt?“, fragte Jastro noch mal noch. Man sah ihm die Zweifel wegen des überstürzten Aufbruchs an. „Vollkommen.“, antwortete Tuwa mittlerweile selbstsicher. Uvok seufzte nur. Zusammen begaben sie sich zum Stall, in dem Jyoli und Chota mit den Akambas von Uvok und Tuwa untergebracht waren. Sie standen dicht an dicht gedrängt, aber es schien ihnen nichts auszumachen. Danika sah zum ersten Mal die Akambas der beiden. Sie waren beide pechschwarz und von kräftiger, großer Statur; offensichtlich Männchen. Sie sahen sich sehr ähnlich. „Es sind Brüder.“, erriet Uvok Danikas Gedanken. „Das hier-“, er zeigte auf eines der beiden Tiere, „ist Nacker, er gehört mir.“ „Er ist auf einem Auge blind…“, fiel Danika sofort auf. Der schwarzhaarige Junge nickte nur. „Schon lange. Aber er kommt gut zurecht.“ „Und das ist meiner! Das ist Jakanthaban.“, machte Tuwa auf ihr Tier aufmerksam. „Jaka-was?“, fragte Danika perplex. „Jakanthaban.“ „Ah ja…“ Sie blinzelte trotzdem verwirrt. Was für ein langer Name… „Danika, schwing dich in deinen Sattel. Wir müssen los.“, ordnete Jastro ihr mit befehlender Stimme an. Sie grummelte zurück, trotzdem ging sie zu Jyoli, fuhr ihr mit einer Hand durch das graue, weiche Fell und schwang sich auf ihren Rücken. „Setzt besser eure Kapuzen auf.“ Mittlerweile sagte niemand mehr etwas gegen Tuwas Anordnungen, sie wurden einfach befolgt. Auf den Straßen Trimbalis überkam Danika wieder ein ungutes Gefühl. Vereinzelt sah sie Menschen auf den Straßen herumlaufen, doch niemand schien sie wirklich zu beachten. Bis zum Nordtor der Stadt wollte das kalte, unangenehme Gefühl auf ihrem Rücken sie nicht verlassen, und erst als sie Trimbali verlassen hatte, konnte sie beruhigt aufatmen. „Welche Straße nehmen wir?“, fragte Jastro, während er seine Kapuze vom Kopf nahm. Uvok antwortete ihm. „Sie führt nach Castro. Auch ein kleines Dorf. Es ist vorerst wichtig, aus den Bergen von Litaronh zu kommen. Im Gebirge zu reisen ist nicht unbedingt angenehm. Sobald wir hier raus sind, können wir ein bisschen mehr Gas geben…“ Die Decke knisterte, als Amos Hisan sich neben seine Frau legte. Sie seufzte leise. „Hast du die Kerze unten ausgemacht?“, fragte sie ihn beiläufig und er antwortete nur mit einem Nicken. „Und – und die Kutsche morgen früh nach Yuselika?“ „Sechs Uhr in der Früh. Schlaf, Liebes, wir müssen morgen früher aufstehen als sonst.“, flüsterte er ihr zu. Ihr Gesicht verzog sich vor Schmerz. Plötzlich traten Falten hervor, die man bei dem sonst so jungen Gesicht nicht erwartet hätte. Plötzlich schien sie um zehn Jahre gealtert zu sein. „Ich kann nicht. Ich kann an nichts anderes denken…“, wisperte sie mit brüchiger Stimme. „Pscht… Denk nicht daran, Varille…“ Mehr sagte er nicht. Er küsste sie lediglich auf die Stirn und nahm sie in den Arm. Am nächsten Morgen stand die Kutsche mit den grazilen Tieren genau sechs Uhr in der Früh vor ihrem Haus. Die Reise nach Yuselika, der Hauptstadt des Landes, würde etwas dauern, doch sobald sie in Richtung Osten das Gebirge verlassen haben würden, würden die Kutschtiere an Geschwindigkeit zulegen können. Dennoch würde sie einige Tage brauchen, um die Stadt zu erreichen. Und jede weitere Stunde bangte Varille Hisan um das Leben ihrer Kinder. „Glaubst du, unser Brief ist bei seiner Majestät angelangt?“, fragte sie ihren Mann leise, damit der Kutscher sie nicht hörte. „Ich gehe davon aus. Dennoch ist es besser, nach Yuselika zu reisen. Alle weiteren Versammlungen können dort stattfinden. Es ist praktischer, weil einige aus dem Orden aus dem Osten des Landes kommen.“, erklärte Amos seiner Frau. „Ja, ich weiß, ich weiß… ich habe nichts dagegen.“, wehrte sie das Thema ab, „Nur… nur glaubst du, er tut uns den Gefallen?“ „König Shalinah ist gut mit uns befreundet. Wir sind Mitglieder im Feuerorden und helfen bei den Vorbereitungen für den Angriff. Varille, warum sollte er es nicht tun? Er ist uns zu Dank verpflichtet, dass der Orden so viele Aufgaben übernimmt.“, begründete er seine Meinung sachlich. „Ich hoffe nur… es sind unsere Kinder. Unsere geliebten Kinder – Amos, was glaubst du, wer könnte das getan haben? – Ich frage mich, warum es genau dann passierte. Eine Nacht nach der Versammlung. Glaubst du, wir wurden belauscht? Möglicherweise von einem Thannesier? Und nun will er uns erpressen?“ Varille Hisan gestikulierte wild mit den Händen. Sie war Mutter, sie sorgte sich zu jeder Zeit. Sie hatte furchtbare Angst. Amos legte einen Arm um sie. „Ich weiß keine bessere Erklärung. Möglicherweise nahm er die Akambas mit, damit er sie nicht auf seinem eigenen tragen musste. Ich weiß es nicht, Varille. Ich vertraue nur darauf, dass König Shalinah uns hilft.“ –-– Kommt es mir nur so vor, oder hat das Kapitel keinen Inhalt? x___X' Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)