Dunkelgrau von lufie ================================================================================ Kapitel 1: Dunkelgrau --------------------- Dunkelgrau Ganz langsam ließ sie sich zurücksinken, spürte das Gras ihren Rücken kitzeln, sog den modrigen Geruch der vom letzten Nieselregen feuchten Erde ein. Irgendwo zirpte eine Grille, unermüdlich, ein immer gleich bleibender Klang, eine Ameise krabbelte mit flinken Füßen über ihren Bauch, an die feinen Härchen ihres Armes klammerte sich ein Marienkäfer. Fünf schwarze Punkte. Kein Glücksbringer. Über ihr die dicke Wolkendecke, die seit Tagen über der Stadt hing und sie nicht loslassen wollte, schwarzgrau, undurchdringlich. Nur für einen winzigen Moment lichtete sich das Grau, verschlafen blinzelten vereinzelte Sonnenstrahlen hindurch, blinkend, glänzend wie goldenes Garn zwischen dem getupften, schillernden Grün der Bäume. Das laue Rascheln der Blätter in der Luft. Vorsichtig streckte sie die Beine, eine Distel bohrte angriffslustig spitze Dornen in ihre nackten Waden, aber das merkte sie gar nicht. Sie hatte auch keinen Blick für diese letzten verzweifelten Sonnenfäden. Mit einem trüben, lustlosen Ausdruck in den Augen sah sie hinauf in den wolkenverhangenen Himmel. Sah, wie die Wolken sich erneut zusammenballten und sich bald wieder vor die Abendsonne geschoben hatten. Grau dicke Wolken, grau wie die dünnen, schlaff herabhängenden Haare ihrer Großmutter. Grau wie der Anzug ihres Chefs. Grau wie…Zigarettenqualm. „Mama, du darfst nicht rauchen“ Ein kleiner Junge mit hellen, leuchtenden Augen, zwischen ihnen eine tiefe Falte. „Rauchen ist ungesund! Davon kann man sterben!“ Wut. Empörung. Er stemmte die Hände in die Seiten seines kurzen, stämmigen Körpers, das zu kleine T-Shirt rutschte nach oben, entblößte einen Streifen nackte helle Haut. „Das weiß ich doch, Nick“ Seine Wut und seine Sorge brachten sie zum Lächeln. „Ich werd schon nicht dran sterben, mach dir keine Sorgen.“ Liebevoll zerwuschelte sie ihm die braunen Haare, aber die Falte zwischen den Augenbrauen blieb. „Pff“ kam es aus der hinteren Ecke, sie wirbelte herum. Ein hochgewachsener Jugendlicher mit Pickeln im Gesicht, das linke Auge hinter schwarzen Haarsträhnen verborgen. Lässig im Sessel zurückgelehnt, die Beine auf dem Tisch verschränkt. Ein arrogantes Blitzen in den grünen Katzenaugen. „Aufhören, abgewöhnen, das sagt sich leicht, was? Solange man es nicht tun muss.“ Er legte den Kopf auf die Seite, musterte sie abschätzig. „Wenn du nicht bald aufhörst, rauchst du dich mitten in den Tod. Abnehmen musst du auch-“ Der Schlag knallte so laut, dass der Kleine zusammenzuckte, noch sekundenlang hallte er nach, hing im Raum, wie ein riesiges Spinnennetz, in dem alles festklebte und gefangen war. Erschrocken starrte er sie an, hielt sich die Wange, die feuerrote Wange. Sie heulte vor Wut. „Darf ich hier vielleicht noch selbst entscheiden, was ich mache und was nicht??“ Sie schrie so laut, dass die Gläser im Schrank leise klingelten, die Tränen liefen ihr über das Gesicht. „Ich weiß selber, dass mein Leben scheiße ist, dass müsst ihr mich nicht ständig unter die Nase reiben, das macht die Sache auch nicht einfacher!“ Als sie ging, knallte sie die Tür scheppernd hinter sich zu. Sie fröstelte, ihre Haut zog sich zu kleinen Buckeln und Hügeln zusammen, jedes einzelne Härchen richtete sich auf, der Marienkäfer rutschte ab und fiel hinunter zwischen smaragdgrüne Halme. Die Ameise zerquetschte sie zwischen zwei Fingern. Richtete sich auf und da war er wieder. Der dicke Bauch. Wabbelndes Fett, wie große, prall aufgepumpte Schwimmringe. Riesige Brüste, unablässig von der Schwerkraft nach unten gezogen. Ein gewaltiger Hintern, der in kaum eine Hose passte. Kurze, dicke Wurstfinger. Doppelkinn. Pausbäckchen. Sie seufzte laut und ergeben, das Feuer des Feuerzeuges flammte auf, der Zigarettenqualm verflüchtigte sich gen Himmel. Wabernde Giftschwaden. Vielleicht ihr Todesurteil. Sie ging, der Wind blies ihr blondierte Haarsträhnen ins Gesicht, stieg auf ihr Fahrrad, das unter ihrem Gewicht knirschte und ächzte. Trat heftig in die Pedale. So kräftig wie sie konnte. Die Kraft war in den letzten Monaten aus ihren Gliedern gewichen, was übrig blieb war Fett, Fett und abermals Fett. Und ein bitterer Geschmack im Mund. Die graue Straße glitt unter ihr hinweg. Sie starrte auf ihre Hände. Auf die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger, die noch immer vor sich hin qualmte. „Hier, bittesehr.“ Er streckte den Arm aus, reichte ihr die Papiere über den Schreibtisch, wartete aber nicht, bis sie sie entgegennahm, so fielen sie mit einem lauen Luftzug auf die gemaserte Tischplatte. Hastig raffte sie sie zusammen. Er lächelte zaghaft, aber sein Lächeln verblasste sofort, als sie den Kopf hob und ihm direkt in die wässrigen Augen sah. Abwehrend hob er die Hände. „Gucken Sie mich nicht so an. Ich kann nichts dafür.“ Er ließ die Arme sinken. Seine Krawatte passte perfekt zu seiner Augenfarbe. Genau abgestimmt. „Es tut mir Leid für Sie, ich wünsche Ihnen, dass sie bald was Neues finden.“ Diesmal kein Lächeln. Er gab sich Mühe, glaubwürdig herüberzukommen. Aber sie hörte den spöttischen, genüsslichen Ton aus seiner Stimme heraus, entdeckte das schadenfrohe Grinsen, gut versteckt in seinen Mundwinkeln. „Arschloch“ Ihre Stimme klang kratzig, rau. Sie stand auf, die Stuhlbeine knarrten laut auf dem Fußboden, ohne sich noch einmal umzudrehen stürmte sie aus der Tür. Die Beamtin lehnte sich zurück in ihren breiten, schwarzen Ledersessel, betrachtete sie von oben bis unten, so wie ein Sammler eine Briefmarke, um abzuschätzen, ob sie wertvoll war oder nicht. In ihren Augen entdeckt sie keine Boshaftigkeit, kein bisschen Arroganz. Ein guter Mensch. Sie lächelte vorsichtig. Die Frau seufzte, straffte sich, streckte den Rücken, legte die Hände mit ineinander verschränkten Fingern vor sich auf die Schreibtischunterlage. Nahezu perfekt manikürte Nägel. An ihre Bluse ein Schild geheftet –Anna Winkler stand da, direkt unter einem großen, knallroten A. „Ihre körperliche Verfassung macht es nicht gerade einfacher, Sie zu vermitteln, das wissen Sie hoffentlich.“ Aus ihrer klaren Stimme sprach keinerlei Spott, Belustigung. Nur reine Routine. Mit flinken Fingern wühlte sie in Papierstapeln. Zuckte dann hilflos mit den Schultern. „Es tut mir Leid. Ich hab nichts. Kommen Sie nächste Woche wieder.“ Sie lächelte entschuldigend, verlegen. „Vielleicht sollten Sie zum Arzt gehen, der kann Ihnen sicher eine Diät verschreiben.“ Sie antwortete nur mit einem Nicken. „Auf Wiedersehen.“ Darauf bedacht, leise zu sein, schloss sie die Tür hinter sich. Da wühlte Anna Winkler schon wieder in ihren Papieren und hatte die fette Frau mit den blondierten Haaren sicher längst vergessen… Es begann zu regnen, sie hielt nicht an, um die Kapuze aufzusetzen. Der Regen prasselte unerbittlich auf sie ein. Sie fuhr, fuhr, fuhr. Eigentlich nach Hause, aber vorhin war sie falsch abgebogen. War ja auch egal, da war im Moment eh niemand. Finn übernachtete bei Freunden und Nick besuchte dieses Wochenende seinen Vater. Auch nicht schlecht. Früher hatte sie sich immer darauf gefreut, in aller Ruhe fernsehen zu können, ohne Finns ewiges Gemotze und Nicks Quengeleien, aber inzwischen war ihr das egal. Am liebsten würde sie die Kiste in hohem Bogen aus dem Fenster werfen. Es war inzwischen fast dunkel, die Straßenlaternen glommen auf, ihr warmes Licht spiegelte sich in der regennassen Straße, es sah aus, als hätte jemand Leuchtfarbe ausgegossen. Sie fuhr noch immer, das Wasser lief ihr über die Schläfen, hing in ihren Augenbrauen. „Mama, du hast Post.“ Nick kam in die Küche, Stapel weißer Briefe in den kleinen Händen. Sie ließ das Leberwurstbrot sinken. Ihr drittes an diesem Abend. Kauend riss sie die Umschläge auf, faltete Briefbögen auseinander. „Scheiße.“, murmelte sie. Mit den Augen über die schwarzgedruckten Zeilen huschend. „Scheiße“, sagte sie wieder, diesmal lauter. „Was denn?“ Mit offenem Mund sah Nick sie an. Verwirrung. Sorge lag auf seinen weichen, kindlichen Zügen. „Zeig mal“ Finn nahm ihr den Bogen aus den Händen. Die Haare fielen ihm in die Augen, als er zu lesen begann. Er las schneller als sie. „Oh“, entfuhr es ihm. „Die anderen sind genauso.“ Ein bitteres Lächeln huschte über ihr Gesicht, mechanisch massierte sie ihre Stirn, starrte auf ihr Leberwurstbrot, nahm es und warf es in den Mülleimer. „Mama, was ist denn nur?“ Mit aufgerissenen Augen lief der Kleine ihr nach, als sie die Küche verließ, um nach der Notsparbüchse zu suchen… „Oma?“ Ihre Stimme klang eindringlich. „Oma!“ In den grauen Augen, trübe, als hätte jemand Milch hineingegossen, entdeckte sie kein Leben. Keine Freude, keine Trauer, keine Wut. Gar nichts. Rein gar nichts. Sie nahm die Hand der alten Dame, eine dürre, knochige Hand, dicke blaue Adern unter der bleichen grauen Haut. Die Finger verkrampft, verkrüppelt vom Rheuma. Lange, splittrige Fingernägel. „Oma?“ Der Kopf der Alten bewegte sich so ruckartig, wie der einer Maschine, so plötzlich, dass sie zusammengezuckte. Die Milchaugen fixierten sie. Dicke Ringe darunter, hängende schlaffe Wangen. Der faltige Mund öffnete sich. „Wer sind Sie?“ Eine dünne, kratzige Stimme. „Oma, aber…“ Ihre Lippen bebten, ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ich bin’s, deine Enkelin! Deine Enkelin, hörst du? Rena!“ „Ich kenne keine Rena.“ Der Kopf drehte sich, der Blick richtete sich wieder gen Decke. „Gehen Sie bitte.“ Wenig später stand sie heulend im Gang, eine Krankenschwester näherte sich mit trippelnden Schritten. Die großen Augen umrahmt mit schwarzer Farbe. Wie alt mochte sie sein? Höchstens 25. Wenn überhaupt. Ihre Hände zitterten, als sie ihr ein Taschentuch reichte. Aber nur ein bisschen, ein kleines bisschen. Dankend nahm sie es entgegen, schnäuzte sich geräuschvoll die Nase. Wie ein Elefant. „Nehmen Sie sich das nicht so zu Herzen, Ihre Großmutter kann nichts dafür, es ist eine Krankheit. Eine Krankheit, verstehen Sie?“ Sie nickte nur, wandte sich zum Gehen. „Kommen Sie wieder?“ Sie drehte sich um. In den Augen der Schwester glänzte Hoffnung. „Ich bitte Sie, besuchen Sie sie weiterhin. Das tut ihr gut.“ Sie zuckte nur mit den Schultern… Wasser spritzte von ihren Reifen, das T-Shirt klebte ihr am Körper wie eine zweite Haut, ihre Hosenbeine besprenkelt von Dreck. Autolichter blendeten sie. Rote, gelbe, blinkende Lichter, überall. Die nächste rote Ampel übersah sie, sie hörte Hupen hinter sich. Achtete nicht darauf. Plötzlich ein Quietschen, erneut lautes, heftiges Hupen, erschrocken wandte sie den Kopf zur Seite, aber sie konnte schon nicht mehr bremsen, geschweige denn ausweichen. Reifen kreischten, der Fahrer riss das Steuer herum, Entsetzen in dem hageren Gesicht, pure Angst. Sie schrie, hörte auf zu treten, das Fahrrad fiel um, sie hörte sich auf dem nassen Asphalt aufschlagen, krachend und klirrend fiel das Fahrrad neben sie. Wenige Sekunden später kollidierte das Auto mit einem Laternenmast genau neben ihr, 15, vielleicht auch nur 10 Meter, der Motor dampfte. Sie blieb liegen, unfähig sich zu bewegen. Ein Rotzfaden lief ihr aus der Nase. Hinter sich trappelnde Schritte. „Mein Gott, ist Ihnen was passiert?“ Das Fahrrad wurde aufgehoben, jemand fasste sie an der Schulter, ein brennender Schmerz jagte ihr durch die Hände, die Arme, die Beine, die Hüfte, einfach alles. Vorsichtig kam sie auf die Füße. Betrachtete ihre Hände, verschmiert von Blut und Dreck. Sie fasste sich an den Kopf, aber es war nur Wasser, das ihr über das Gesicht lief. „Es ist nichts passiert, keine Sorge.“ Zaghaft drehte sie sich zu dem Fahrer um, wies auf das dampfende Auto. „Den Schaden bezahl ich Ihnen.“ „Denken Sie nicht daran, darüber reden wir später. Kommen Sie, Sie müssen zum Arzt.“ Zwei Stunden später saß sie zu Hause in dem schönen, warmen Sessel, die Hände mit dicken Bandagen umwickelt, das Bein auf einem Stuhl abgelegt. Den Fernseher hatte sie ausgelassen, schwarz und verlassen stand er in der Ecke. Sollte er da stehen bleiben und versauern, sie störte das nicht. Auf ihrem Schoss saß Nick, er hatte die Augen geschlossen und schlief, an ihren gewaltigen Busen gelehnt. Sein Vater hatte ihn nach Hause gebracht, noch diesen Abend, sein Sohn hätte über Heimweh geklagt. Sie war sich nicht sicher, ob das so stimmte, vielleicht war seinem Vater auch einfach eingefallen, dass heute Abend noch eine tolle Party stattfand, aber sie wollte gar nicht wissen, was stimmte. Zärtlich streichelte sie ihrem Jüngsten mit der einen Hand den Kopf, in der anderen hielt sie das Telefon. Es bereitete ihr Schmerzen, die richtige Nummer einzutippen, aber das verdrängte sie erfolgreich. Quetschte den Schmerz zusammen zu einer winzig kleinen Kugel und stopfte ihn in die hinterste Ecke ihres Gehirns, wo schon andere Unannehmlichkeiten zwischen Spinnweben hockten. Gespannt lauschte sie auf das Tuten. Dreimal…viermal…fünfmal…klack. „Ja?“ Finn klang nicht, als hätte er schon viel Alkohol getrunken, er trank sowieso nicht viel. „Hallo, ich bin’s. Kommst du nach Hause?“ Eine Weile Stille. „Wieso?“ „Ich möchte es gerne.“ „Mama, ich bin auf einer Geburtstagsparty, da kann ich nicht einfach so weggehen.“ Skepsis. Verständnislosigkeit. „Bitte.“ „Wieso denn, verdammt?“ Nick war aufgewacht, verfolgte mit Schlafaugen das Gespräch. „Ich wünsche es mir. Ich brauch dich heute Abend. Ganz dringend. Bitte, Finn.“ Ein Seufzen. Eine lange Pause. Im Hintergrund gedämpfte Musik, Stimmen, Gelächter. „Na, von mir aus. Wenn ich die nächste Woche den Tisch nicht abräumen muss.“ Ein Klicken, er legte auf. Sie lächelte selig… ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)