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Ori

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Prolog

Prolog
 

Seereisen hatte sie noch nie gemocht. Wasser war einfach nicht ihr Element. Wie alle anderen Vampire versuchte auch sie sich nach Möglichkeit davon fernzuhalten. Aber jetzt war sie auf einem Schiff, weit entfernt vom sicheren Festland.

Als sie ihren Blick schweifen lies, fiel er auf aufgewühltes Wasser, das sich im schwachen Schein des Mondes wie ein schwarzer Krater zu öffnen schien, um sie mit sich in die Tiefe zu ziehen.

Unwillkürlich zog sie sich von der Reling zurück. Sie musste sich vorsichtig bewegen. Der starke Seegang hatte dafür gesorgt, dass der Boden nass und rutschig war.

Würde sie einen falschen Schritt machen würde sie in den Tiefen der See verschwinden. Davor konnte sie nicht mal ihre Unsterblichkeit schützen.

Um sich von den brodelnden Wassermassen abzuhalten, wandte sie ihren Blick nach oben.

Der Übergang vom Meer zum Himmel war nur mit viel Glück und guten Augen auszumachen. Und selbst dann unterschied er sich kaum vom Meer. Die Wolken wirkten bedrohlich und nahe. Ganz anders als in der Stadt. Und obwohl der Mond voll am Himmel stand, konnte sie auch mit ihren scharfen Vampiraugen nur schwach die Umrisse der Matrosen ausmachen, die über das Deck eilten, um sich für den aufziehenden Sturm zu wappnen.

Sie wollte gar nicht daran denken, in welche Hölle sich die See verwandelte, wenn sie ihr schon jetzt solche Angst einjagte.

Einer der Schatten kam auf sie zu.

"Sie sollten lieber unter Deck gehen"

Der Mann der sich an sie gewandt hatte war groß gewachsen. Seine langen dunklen Haare hatte er zu einem Zopf geflochten , der sich aber auf Grund des starken Windes beinahe wieder vollständig aufgelöst hatte. Er trug nur ein dünnes Hemd über der Hose, aber die Kälte schien ihm genauso wenig auszumachen wie ihr. In aller Ruhe öffnete er das Lederband, das seine Haare nur noch notdürftig zusammenhielt und begann geschickt sie von Neuem zu einem ordentlichem Zopf zu binden.

Sie beobachtete seine langen blassen Finger. Hätte sie nicht gewusst wie stark er war hätte sie Angst gehabt seine Hände würden bei der kleinsten Berührung zerbrechen. So aber bewunderte sie nur wieder sein zartes Aussehen, das in einem so starken Kontrast zu der Kraft stand, die dem Körper innewohnte.

Nun richtete auch er seinen Blick gen Himmel. Seine Augen waren schmal und von einem dunklen Grün. Wenn man genau hinsah, schien es von goldenen Fäden durchsetzt zu sein.

"Sie sollten wirklich lieber unter Deck gehen, Miss"

Obwohl ihr nicht gefiel, dass sie wie ein kleines Kind belehrt wurde, sah sie doch ein, dass er Recht hatte.

Sie nickte ihm noch einmal zu und begab sich auf den Weg zu ihrer Kabine.

Immer mehr Matrosen kamen ihr auf ihrem Weg entgegen. Je länger sie auf dem Schiff war, desto mehr hatte sie sich an das Schaukeln gewöhnt. Mittlerweile bewegte sie sich genauso sicher wie die Besatzung.

Unter Deck angekommen, zündete sie eine Laterne an und bahnte sich einen weg durch die Korridore. Das Schiff war zwar nicht verhältnismäßig groß, ließ aber dennoch genug Raum, um sich zu verlaufen.

Als sie ihre Kabine erreichte, öffnete sie leise die Tür und schob sich hinein.

Das Licht ihrer Laterne ließ den Raum wärmer erscheinen als er war. Da ihr Vampirkörper bar jeder Wärme war, konnte sie nur erahnen wie kalt es war.

Dennoch schien der kleine Junge in ihrem Bett friedlich zu schlafen. Er hatte nicht einmal gemerkt, dass die Decke auf den Boden gefallen war.

Sie bückte sich und hob die sie auf. Er sah so zerbrechlich aus. Vorsichtig deckte sie ihn zu und löschte das Licht.

Kapitel 1

Kapitel 1
 

Langsam senkte sich die Sonne dem Horizont entgegen. Dennoch, diese vermeintliche Langsamkeit täuschte nur. Es würden nur noch wenige Minuten vergehen bis die Stadt in völliger Finsternis versunken war.

Sie spürte es: Als würde die Wärme wieder in ihren toten Körper zurückfließen, wieder heißes Blut ihre Adern füllen und sie zum Leben erwachen.

So trügerisch dieses Gefühl auch sein mochte. Sie war nun schon seit einigen hundert Jahren tot.

Eine beachtliche Zeitspanne dachte sie. So viele waren den Hexenverbrennungen der letzten Jahrhunderte zum Opfer gefallen und in der modernen Zeit war es auch nicht mehr leicht seinen Blutdurst zu stillen, ohne Aufsehen zu erregen.

Das war auch einer der Gründe, weshalb sie nur dann Blut trank, wenn es unbedingt nötig war und nicht aus Spaß oder gar aus purer Langeweile tötete. Und das war der Grund weshalb sie noch am Leben war. Wenn man es denn so nennen wollte.

Das langsame Erwachen erinnerte sie von Neuem an ihre Umwandlung, so lange sie auch schon zurückliegen mochte. Jeden Morgen wurde sie an ihr Sterben und ihre Wiedergeburt als Kreatur der Nacht erinnert.

Sie hatte keine noch so kleine Einzelheit der verhängnisvollen Nacht vergessen.
 

Sie war als das sechstes Kind einer armen Bauernfamilie aufgewachsen. Als sie vierzehn Jahre als war, hatten ihre Eltern sie in ein Bordell gegeben, wie ihre beiden älteren Schwestern auch.

Sie hasste die Arbeit dort, aber zumindest musste sie dort keinen Hunger leiden.

Erst putze und wusch sie. Später half sie den Lustmädchen dabei, sich für ihre Freier herzurichten.

Als nun auch die Reihe an sie kam, ihren ersten Freier entgegen zu nehmen, war sie beinahe froh gewesen, die harte Arbeit hinter sich zu lassen.

Sie war schon von klein auf ein hübsches Mädchen gewesen und war nun zu einer verführerischen Schönheit herangereift.

Schnell hatte sie sich als Favoritin des Hauses einen Namen gemacht und konnte sich sogar ihre Freier wählen.
 

An jenem Abend saß sie mit den anderen Mädchen zusammen. Es war noch früh. Die Freier würden erst in den nächsten Stunden kommen.

Im Raum war es eng und stickig. Es war kaum genug Platz für alle. Dennoch empfand sie dieses Zusammensitzen vor der Arbeit als die schönste Zeit. Die Mädchen plapperten fröhlich und schienen das Leben zu vergessen, das es so schlecht mit ihnen meinte.

Sie dachte zurück an die Zeit bei ihren Eltern, wo es niemanden interessierte, wie es ihr ging. Hier jedoch konnte sie mit den Mädchen über ihre Sorgen reden.

Es war nun schon sehr lange her, dass sie in dieses Bordell gekommen war. Heute war ihr dreiundzwanzigster Geburtstag.

Man feierte hier keinen Geburtstag. Und sie war auch nicht traurig darüber.

Der Geburtstag war für sie mit einem anderen wichtigen Ereignis verknüpft: Vor genau neun Jahren war sie in das Bordell gekommen. Am Tag ihres vierzehnten Geburtstags.

In einem Jahr würde sie schon ein ganzes Jahrzehnt in diesem Etablissement verbracht haben.
 

So aufgeregt wie heute hatte sie die anderen Mädchen jedoch noch nie erlebt seit sie sie kannte.

Elise, ein großes dünnes Mädchen das etwa in ihrem Alter war konnte vor Aufregung gar nicht mehr stillsitzen.

"Ich habe gehört, er soll wirklich hierher kommen. Zu uns."

Der Grund für den großen Wirbel war ein junger reicher Adeliger. Mehr wussten sie anderen auch nicht. Abgesehen von der Tatsache, dass er sehr wohlhabend sein sollte. Nun überlegte jede wie sie seine Gunst erwerben sollte.
 

Sie selbst ließ sich nicht von der Stimmung mitreißen. Sie hatte längst die Träume hinter sich gelassen von einem reichen netten Mann aus dem Bordell freigekauft zu werden.

Schon zu oft hatte sie mit ansehen müssen wie Lustmädchen an diesen Träumen zerbrochen waren.

Es würde auch ohne diesen Adeligen genug Freier für sie da sein.
 

Während die anderen eifrig ihre Chancen diskutierten bald dem Adel anzugehören, begab sie sich in die hinteren Räume des Etablissements, um sich herzurichten. Sie wollte ihre Arbeit so schnell wie möglich hinter sich bringen.

Die Hinterzimmer ließen nichts mehr von der sorgfältigen Dekoration und Ausstattung des Gebäudes erahnen. Die Tapeten schälten sich von den Wänden und an einigen Stellen waren sogar Löcher in die Wand gebrochen, die nur notdürftig mit Stroh gestopft waren.

Schnell suchte sie sich ein Kleid aus ihrer Truhe und begann sich zu schminken. Je mehr Schminke sie auftrug, umso weniger konnten die Freier von ihr erkennen und das war auch gut so, denn sie wollte nicht auf offener Straße erkannt werden: Das hatte schon mehr als einmal eine Prostituierte das Leben gekostet. Nur in den Räumen der Bordelle waren die Mädchen vor der Willkür der Freier geschützt.
 

Als sie fertig war begab sie sich in den Empfangsraum. Hier wimmelte es schon von Lustmädchen und die Lautstärke war kaum zu ertragen. Auch einige Freier waren schon da. Sie sah unter ihnen jedoch keinen ihrer Stammkunden. Langsam wurde auch die Luft immer stickiger und der Rauch aus den Zigaretten und Zigarren machte es auch nicht besser.

Gerade als sie dachte, sie würde es nicht länger aushalten, öffnete sich die Tür und ließ einen Schwall kalte Luft herein. Sie atmete tief durch.

In der Tür stand ein junger Mann. Er war goß und schlank, wirkte dabei jedoch eher schlaksig als elegant und auch ansonsten schien er kaum dem Kindesalter entwachsen. Sie schätzte ihn auf vielleicht siebzehn Jahre.

Seine Kleider waren aus teuren Stoffen und er trug ein teures Parfüm, dass sie sogar aus der hintersten Ecke des Raumes riechen konnte. Dies musste der reiche Adlige sein, von dem schon den ganzen Tag die Rede war.

Er war nicht allein. Hinter ihm traten noch drei weitere Männer ein. Alle älter als er.

Zwei von ihnen waren sicher dreimal so alt wie er. Sie kannte solche Leute: Neureiche, die sich nur zu oft im Schein der Adligen sonnten.

Das Alter des dritten war ihr jedoch unmöglich einzuschätzen. Er wirkte beinahe zeitlos und seinen Bewegungen wohnte die Eleganz inne, die der junge Adlige vermissen lies. So sehr sie sich auch dagegen wehrte, so zog er sie doch in seinen Bann.

Er war ebenso wie der Adelige groß und schlank. Dennoch zeichneten sich unverkennbar Muskeln unter seine Kleidung ab, wenn auch so dass es das Bild eines Lebemannes nicht zu Nichte machte.

Seine Augen schienen jedoch das Gegenteil beweisen zu wollen. Sie waren tiefschwarz und schienen alles im Raum aufzusaugen und nie wieder freizugeben.

Ohne den Grund dafür nennen zu können spürte sie, dass der Mann gefährlich war.
 

Die Hausherrin eilte herbei, begrüßte die neuen Gäste überschwänglich und bot ihnen Champagner an. Dies tat sie nur, wenn es sich um wirklich bedeutenden Besuch handelte.

Sie selbst hielt sich versteckt und versuchte auf keinen Fall sie Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Erst als der Adelige und die beiden Neureichen sich ihre Lustsklavinnen gewählt hatten, konnte sie erleichtert durchatmen

"Ich denke, dieses Mädchen dürfte meinen Ansprüchen genügen. Wie ist dein Name?"

Sie erstarrte, als hätte man einen Eimer Eiswasser über ausgeschüttet. Bei ihrer Erleichterung hatte sie denjenigen völlig vergessen, der ihr die meiste angst machte.

Der große man sah sie amüsiert an, doch das lächeln dehnte sich nicht auf seine Augen aus. Diese blieben kalt und leer.

"Ori ", antwortete sie.

Dies war der Name, den man ihr im Bordell gegeben hatte, da ihre Eltern es nicht für nötig gehalten hatten, ihr einen Namen zu geben.

Das Lächeln auf dem Gesicht des Fremden weitete sich zu einem Grinsen aus. Irgend etwas kam ihr sonderbar daran vor, aber sie konnte immer noch nicht sagen, was es war.

"Ori also. Der Edelstein. Sehr treffend."

Das hatte damals auch die Besitzerin des Bordells gesagt, als sie ihr den Namen gegeben und ihre großen schimmernden Augen betrachtet hatte.

Ori fügte sich ihrem Schicksal: "Ja Herr"
 

Sie ging ihm voraus in eines der Gastzimmer, wie es Sitte war. Am liebsten wäre sie jedoch so schnell weg gerannt, wie sie nur konnte und hätte sich in irgendeiner Ecke versteckt, um abzuwarten bis er wieder gegangen wäre.

Hinter ihr schloss er die Tür. Und als ob er ihre Gedanken erahnt hätte, drehte er den Schlüssel im Schloss um und steckte ihn in seine Hosentasche. Jetzt war sie ihm völlig ausgeliefert.

Da sie schon nicht fliehen konnte, nutzte sie die Gelegenheit um ihn eingehend zu mustern.

Ihr erster Eindruck schien richtig zu sein. Er war in der Tat muskulös, bewegte sich aber dennoch mit einer geradezu übermenschlichen Geschmeidigkeit. 'Wie eine Raubkatze auf der Jagd', schoss es ihr durch den Kopf.

Seine Haare waren ebenso schwarz wie seine Augen und reichten bis zu den Schultern.

Er zog die graue Weste aus und warf sie auf einen Stuhl. Unter der Weste kam ein weißes Hemd zum Vorschein. Auch dieses warf er auf unachtsam auf den Stuhl. Dem folgte ihre Wäsche. Das ging so schnell, dass sie gar nicht verfolgen konnte, wie er sie ihr vom Leib riss.

Sie hatte nicht einmal genug Zeit zu schreien, da lag auch schon seine Hand auf ihrem Mund und sie spürte unangenehm kalt die Wand in ihrem Rücken.

"Wenn du ein braves Mädchen bist und still hältst, wird es auch kaum wehtun."

Sein Grinsen wurde noch breiter und plötzlich wusste sie was, sie an seinem Lächeln so beunruhigt hatte: Seine Eckzähne waren um einiges länger, als sie eigentlich hätten sein sollen und liefen gefährlich spitz zu.

'Er ist ein Vampir', war ihr letzter Gedanke, bevor er seine Zähne in ihren Hals versenkte und sie das Bewusstsein verlor.
 

Es ist schon etwas Seltsames mit den Sinnen. Sie schwinden alle auf einmal, kommen aber nur nach und nach wieder. Als Erstes spürte sie den Boden unter sich. Ihre Unterlage kratzte über ihre Haut. Sie nahm überdeutlich die Struktur der groben Decke war, auf der sie jetzt lag. Dann erst den Geruch: Muffige, abgestandene Luft, in die sich das Aroma von Tabak mischte. Viel zu edel, um sich in die Umgebung einzufügen. Es passte jedoch zu dem schalen Geschmack, den sie auf der Zunge hatte.

"Guten Morgen, Dornröschen ...oder sollte ich lieber Gute Nacht sagen, denn einen guten Morgen wirst du niemals wieder erleben!"

Jetzt, wo sie wieder Geräusche wahrnahm, wünschte sie sich, dass dem nicht so wäre.

Das Lachen ihres Mörders, denn nichts anderes war er ja, dröhnte in ihrem Kopf.

Nur langsam traute sie sich die Augen zu öffnen.

Es war dunkel in dem raum . Zu ihrem erstaunen konnte sie beinahe so gut sehen als wäre es hellichter tag.

Der Boden auf dem sie lag war kalt, aber die Kälte störte sie keineswegs.

Sie versuchte es zu vermeiden, in das Gesicht ihres Mörders zu sehn. Ihr Blick wanderte durch den beinahe kahlen Raum. An den Wänden stapelten sich alte Kisten und auf dem Boden waren ein paar Pfützen. Das Dach schien undicht zu sein.

Und auch die Wände hatten ihre besten Zeiten hinter sich: Ein kalter Wind jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken und brachte den salzigen, modrigen Geruch des Meeres mit sich.

Der Erkenntnis folgend nahm sie an, dass sie sich in einem der alten Lagerhäuser am Kai befand.

Ein plötzlicher Schmerz lies sie herumfahren, ihre Bewegung jedoch nicht zuende führen.

Ein langer Degen hatte ihren rechten Arm auf den Boden genagelt. Noch im selben Moment zog ihr Peiniger ihn aus ihrem Fleisch.

Mit dem leisen Reißen ihrer Muskeln glitt er heraus.

Das Geräusch lies sich ihr den Magen umdrehen. Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich zur Seite drehen und sich auf den Boden erbrechen.

Fassungslos sah sie von ihrer Wunde, die bereits begann sich zu schließen, zu ihrem Mörder, der seinen Degen in aller Seelenruhe an einem Lumpen säuberte, um ihn anschließend geräuschlos in die Scheide zurückgleiten zu lassen.

Damals hatte sie das über alle Maßen verstört, heute aber war diese Fähigkeit zur Heilung nichts Besonderes mehr für sie.

In jener Nacht aber war sie wie erstarrt.

"Willkommen im Leben - zum zweiten mal." Wieder dieses abscheuliche Lachen. Sie würde es ihr Leben lang nicht mehr vergessen können.

"Mein Name ist Jaque und ab der heutigen Nacht wirst du meine Sklavin sein."
 

Damals hatte sie seine Befehle einfach hingenommen. Sie war gerade erst als Vampir erwacht und hätte ohne ihren Schöpfer kaum länger als eine Woche überlebt.

In den ersten Monaten folgte sie ihm wie ein Schatten, darauf bedacht alles zu lernen, was ihr helfen würde, ihre Selbstständigkeit wiederzuerlangen.

Letztendlich dauerte es zwei Jahrhunderte, bis sie sich aus Jaques Fängen befreien konnte.

Sie selbst schwor sich, niemals einen Vampir zu erschaffen.

Zu sehr hatte sie das Leben mit ihrem Meister geprägt. Der Fluch mochte nun auf ihr liegen aber, sie war nicht gewillt, sich ihm zu unterwefen.
 

Ori träumte oft von ihrer Wiedergeburt und den darauf folgenden Jahren der Unterdrückung. Doch diese hatten vor Jahrhunderten ein jähes Ende gefunden:

In der Nacht, in der sie ihren Meister getötet hatte.

Sie war nicht stolz darauf, aber es war notwendig gewesen.

Durch den Sieg über ihren Schöpfer hatte sie nicht nur ihre Freiheit erhalten, sondern sich als Geschöpf der Nacht einen Namen gemacht.

Von da an hatte sie daran gearbeitet, ihre Macht stetig zu vermehren. Und zum jetztigen Zeitpunkt gehörte sie bereits dem gefürchteten Kreis der Ältesten an.

Dass sie somit einen sehr hohen Rang unter den Vampiren bekleidete, hatte sie noch nie besonders interessiert. Wichtig war ihr allein, dass ihr Ruf ihr viele Scherereien mit Jungvampiren ersparte.
 

Mit einem leisen Scharren ließ sie den Granitdeckel ihres Sarges zuBboden gleiten. Ein Mensch hätte ihn nur schwerlich heben können, für sie jedoch schien die schwere steinplatte kaum gewicht zu haben.

Langsam gewöhnten sich ihre Augen an ihre Umgebung. In ihrem Schlafgemach war es so finster, dass mit menschlichen Augen nichts zu erkennen war. Ihre Augen jedoch nahmen die winzigen Nuancen der Dunkelheit zwischen dem Raum und ihrem zuvor geschlossenen Sarg war. Beinahe musste sie blinzeln.

Ein leises Lachen entschlüpfte ihren Lippen...sie wurde in einem Finsteren Raum von der Helligkeit geblendet: So etwas konnte wahrhaftig nur einem Wesen der Nacht passieren.
 

Sie glitt aus ihrem Sarg. Sie war völlig bekleidet. Schon vor langer Zeit hatte sie sich angewöhnt, angezogen schlafen zu gehen, da sie nie wissen konnte, was sie bei ihrem Erwachen erwarten würde und sie zog es eindeutig vor den Gefahren bekleidet entgegen zu treten. Nur ihre Stiefel standen neben ihrem Sarg und warteten darauf angezogen zu werden.

Das weiche Leder der Stiefel fühlte sich gut auf ihrer Haut an. Sie waren nicht mehr neu, saßen dafür jedoch wie eine zweite Haut und waren somit perfekt für ihre nächtlichern Jagdausflüge geeignet.

Über ihrem Quatier hin der Geruch von Knoblauch. Die war schon ihr zweites Lächeln in so kurzer Zeit. Dass Knoblauch eine gute Waffe gegen Vampire sei hatte sie schon zu ihren Lebzeiten nicht geglaubt. Und obwohl sie es nicht nötig hatte verspürte sievon zeit zu zeit den drang richtige nahrung zu sich zu nehmen.

Wie sie sich eingestand hatte ihre Vorliebe für Knoblauch mit ihrem Tod nicht nachgelassen sondern eher noch zugenommen.So viel schon mal zu den Klischees.

Ein leises Klopfen an der Tür ließ sie aus ihren Gedanken hochfahren.

"Tritt ein"

Beinahe lautlos öffnete sich die Tür und ein junger Mann betrat das Zimmer. Ihm auf den Fersen folgete ein junges Mädchen. Die beiden wirkten wie zwei Teile eines Stücks und tatsächlich waren sie auch Zwillinge.

Ihre Haut war blass und beinahe durchsichtig.

Dennoch: Sie waren keine Vampire.

Rubin und Saphir waren Elementargeister.

Die Zwillinge lebten nun schon so lange bei Ori, dass sie ihr schon zur Familie geworden waren.

Aufgrund ihres androgynen Aussehens war oft nur schwer zuzuordnen, welchem Geschlecht sie angehörten.

Sie unterschieden sich rein äußerlich nur durch ihre Haarfarbe, die ihnen auch ihre Namen eingebracht hatte.

Rubin hatte leuchtend rote Haare, die jedoch je nach lichteinfall manchmal fast schwarz wirkten.

Obwohl er sie zu einem Pferdeschwanz hochgebunden hatte , hing im das Zopfende bis tief in den Rücken.

Saphir hingegen hatte strahlend blaue Haare, die offen ihren Rücken hinunter- flossen und wie ein Fluss immer in Bewegung zu sein schienen.

Auf der Straße wurden die Zwillinge auf Grund ihrer Haarfarbe oft für Punker gehalten.

Beide waren schlank und auf den zweiten Blick fiel auch auf, wie durchtrainiert ihre Körper waren.

Sie wachten am Tag über Ori.

Im Gegenzug hatte sie ihnen einen großen Garten angelegt, in dem sie sich jeden freien Moment aufhielten.

Sobald sie sahen, dass Ori wach war warfen sie sich ihr an den Hals. Es hatte eine weile gedauert aber in den letzten jahren hatte sie sich daran gewöhnt.

Obwohl Saphir und Rubin mit ihren fast 500 Jahren schon so einige Jahre auf der Welt waren, galten sie für Elementargeister fast noch als Kinder.

So erwachsen und stark sie auch sein mochten, entsprach ihr Verhalten doch oft dem von Teenagern.

Da Elementargeister praktisch ewiges Leben besaßen, wenn man dem nicht gerade ein gewaltsames Ende setzte, waren sie wirklich noch jung.

Vorsichtig befreite sich Ori aus der Stürmischen Umarmung. Manchmal glichen die Zwillingen Hundewelpen, so anhänglich waren sie.

"Gibt es was neues?"

Saphir die ihren Kopf immernoch in Oris Haaren vergraben hatte reagierte garnicht auf diese Frage sondern schmiegte sich nur noch enger an sie. Rubin schüttelte nur den Kopf und verschwand aus dem Zimmer, um Sekunden später mit einem üppigen Frühstück wieder zu erscheinen.

Ori zog an einem als Lampe getarnten Hebel an der Wand. Zugegeben es war altmodisch aber der Trick funktionierte. Ihr Sarg verschwand hinter einer künstlichen Holzvertäfelung.

Nun bestand der einzige Unterschied zu einem normalen Schlafzimmer in den Jalousinen. Sie waren eine Sonderanfertigung die nicht den geringsten Strahl Licht hereinließen.

Gemeinsam machten sie es sich auf dem großen Himmelbett bequem, das sonst ebenfalls nur als Tarnung gedacht war. Immer öfter jedoch musste es für das frühabendliche Frühstück herhalten.

Gierig sog Ori den Duft von frisch gebackenen Brötchen ein.

"Lasst uns essen bevor es kalt wird."

Saphir hatte sich schon eins der Brötchen genommen und bestrich es dick mit Konfitüre. Auch Rubin und Ori griffen zu.
 

Als sie in Ruhe gegessen hatten brachte Saphir das Geschirr zurück in die Küche und begann mit dem Abwasch.

Ori wandte sich an Rubin: "Gibt es Post?"

"Einige Briefe und ein Packet, das gegen Mittag für dich abgegeben wurde."

Er folgte Ori in ihr Arbeitszimmer, wo er die Post schon auf ihrem Schreibtisch ausgebreitet hatte.

Ori überflog schnell die Absender auf den Briefen. Einer jedoch erregte ihre Aufmerksamkeit. Name und Adresse waren nichtssagend, das Siegel jedoch verriet ihr, dass der Absender zum Kreis der Ältesten gehörte.

Es zeugte nicht gerade von Originalität, Name und Adresse zu verheimlichen, dann jedoch das Siegel wie einen Fingerabdrück darunter zu setzen.

Die vielen Jahre hatten die Alten unvorsichtig werden lassen. Früher oder später würde sie das ihr Leben kosten.
 

Rubin nahm ihr den Brief aus der Hand. In der rechten hielt er bereits einen kleinen Dolch, der als Brieföffner diente.

Der Dolch war mehrere Jahrhunderte alt und das einzige, was Ori aus ihrem alten Leben geblieben war.Trotz seines Alters glänzte der Dolch wie frisch geschliffen.

Die Klinge glitt mit einen leisen Ratschen durch das Papier und aus Rubins Hand.

So glatt wie es durch das Papier geschnitten hatte schnitt es jetzt auch in Rubins Hand.

Der Schnitt war hauchdünn, aber gleich bildeten dich kleine rote Perlen an der zarten Linie.

Oris Augen weiteten sich und wurden dann zu schmalen Schlitzen.

Ihr Kiefer verschob sich unmerklich und lange scharfe Zahne schnellten hervor.

"Verschwinde", zischte sie.

Ohne sie aus den Augen zu lassen verließ Rubin den Raum.
 

Oris Atmung hatte sich deutlich beschleunigt und ihr Herz pumpte das gestohlene Blut immer schneller durch ihren Körper.

Verzweifelt bemühte sie sich bei klarem Verstand zu bleiben und den Blutdurst nicht die Oberhand ergreifen zu lassen.

Ihre Hände zitterten und ihre Beine drohten unter ihr nachzugeben.

Mit letzter Kraft kroch die in eine Ecke und verbarg den Kopf in den Händen.

Sie fühlte sich schwach und hilflos wie ein Neugeborenes, aber sie durfte dem Verlangen nicht nachgeben.
 

Nur sehr langsam hatte sich Verlangen zurück gezogen. Tief in ihr spürte sie immernoch, wie es an ihr nagte. Langsam stand sie auf und ging zur Tür.

Sie hatte gehofft dass es noch nicht wieder so weit war. Dass ihr noch etwas mehr Zeit blieb bis sie erneut Nahrung aufnehmen musste, aber dem war nicht so.

Sie musste sich schleunigst auf die Jagd begeben, wenn sie sicher gehen wollte, dass sie keinen Unschuldigen tötete.
 

Minuten später hatte sie ihre Jägerkluft übergestreift und war auf dem Weg zur Tür.Ihre langen schwarzen Haare hatte sie zu einem langen Zopf gepflochten, der ihr auf den Rücken hing. Er war fast so lang wie der von Rubin.

Rubin selbst hatte sich irgendwo im Haus verkrochen und Saphir beobachtete sie durch den Türspalt. Sie wollten Ori nicht noch mehr aufwühlen.

Ihre Füße steckten in hohen Lederstiefeln, die ihr bis zu den Knien reichten. Über einer eng geschnittenen dunkelroten bluse trug sie einen langen weiten mantel, ebenfalls aus Leder. Das mochte Klischeehaft sein aber es gab kaum etwas das besser vor Wind und Wetter schützte als Leder.

Und dieser Schutz war heute auch nötig.

Der Regen hing wie ein Schleier über der Stadt. Selbst im Licht der Gaslaternen konnte man nicht weiter als bis zur anderen Seite der Staße sehen. Doch für Oris Vorhaben waren diese Bedingungen nahezu perfekt.

Geduckt lief sie in Richtung Park. Bei dem schlechten Wetter war dort kaum eine Menschenseele aber einige Obdachlose würden unter den Bäumen Schutz vor dem Unwetter suchen.

Zielstrebig hielt sie auf das große eiserne Tor zu, dass nun schon seit einem halben Jahrhundert den Eingang zum Park bildete.

Sie selbst hatte erlebt wie es aufgestellt und auch, wie es einige Jahre später bei einem Aufstand niedergerissen worden war. Nur um von neuem wieder errichtet zu werden.

Heute Abend schenkte sie ihm keine Beachtung. Sie wollte nur so schnell wie möglich Nahrung zu sich nehmen und das natürlich so unauffällig wie möglich.

Sie war das einzige Kind der Nacht in diesem Park. Da sie zu den Ältesten gehörte wagte es kaum jemand mal ihr recht auf dieses Jagdrevier anzufechten. Und wenn dies doch einmal geschah, so hatte es nicht lange gedauert diese Halbstarken davon zu überzeugen, sich von ihr fernzuhalten, sofern sie die Konfrontation überhaupt überlebt hatten. Im Leben des Vampires war es eine Schwäche Gnade walten zu lassen und so war auch Ori von Zeit zu Zeit gezwungen ein Exempel zu statuieren, um weiteren unangenehmen Zwischenfällen vorzubeugen.

Wie zufällig schlenderte sie nun ein weiteres Mal durch den Park. Vorbei an Springbrunnen und Rosenbeeten in denen die Gärtner schon lange den Kampf gegen die Wühlmäuse aufgegeben hatten.

Hier und da blühte noch vereinzelt eine Rose, aber die meisten hatten schon in Folge des nahenden Winters alle Blütenblätter verloren.

Auf einer Pfütze vor ihren Füßen schwamm ein Blütenblatt. Es wirkte wie ein Boot auf stürmischer See und letztendlich verlor es den Kampf gegen den steeten Regen.

Ori hoffte, dass es ihr nicht so ergehen würde.

Schnell riss sie sich von diesem deprimierenden Gedanken los und konzentrierte sich wieder auf ihre Suche.

Hin und wieder raschelte etwas im Gebüsch, aber der Regen war so laut, dass er nahezu alle Geräusche verschluckte.

Wenn sie nicht bald auf Beute stoßen würde sähen die chancen schlecht aus, dass sie das Opfer am leben lassen würde. Je stärker der Blutdurst wurde umso mehr verlor sie die Kontrolle über ihr Handeln.

Sie musste keine Menschen töten, um sich zu ernähren. Das war nur ein Gerücht, dass durch das gnadenlose Töten ihrer Artgenossen entstanden und aufrecht erhalten worden war. Es genügte eine geringe Menge Blut. Zumindest so gering, dass das Opfer an dem Blutverlust nicht sterben musste. War der Blutdurst jedoch so stark, dass sie die Kontrolle verlor, trank sie alles Blut bis auf den letzten Tropfen. Das durfte nicht geschehen.

Wenn ein Vampir einmal in einen Blutrausch geriet war er nur schwer aufzuhalten.

Ori verscheute Vampire die sich absichtlich mit dem Blut ihrer Opfer berauschten und hatte sich geschworen, der Sucht nach Blut zu widerstehen.

Einige Meter vor sich machte sie einen zarten Lichtschein in der Dunkelheit aus.

Endlich hatte sie ein Opfer gefunden.

Der Lichtschein ging von einer Zigarette aus, die zwischen den Zähnen eines Mannes klemmte. Vom jahrelangen Rauchen waren die Zähne gelb verfärbt und hier und da fehlte ihm auch einer. Verloren hatte er sie wahrscheinlich bei einem Streit um den besseren Schlafplatz. So etwas kam öfter vor.

Eine Weile stand Ori einfach nur da und beobachtete ihn.

Als er zu Ende geraucht hatte, wühlte er in seinen Taschen umher und zog schließlich eine weitere Zigarette aus dem innenfutter einer versteckten Tasche. Kettenraucher. Zigaretten mussten gut versteckt werden sie waren auf der Straße sowohl letzter Halt als auch begehrte Währung.

Ori wartete nicht mehr an bis er sich die zweite Zigarette angezündet hatte. Leise löste sie sich aus dem Schatten heraus, in dem sie zuvor gewartet und beobachtet hatte.

Als der Mann die Bewegung wahrnahm, war es auch schon zu spät.
 

Er spürte nicht mehr, als ein leichtes Stechen, dann hatten sich ihre Zähne auch schon tief in seinen Hals gegraben.

Das Blut sprudelte hervor und Ori nahm es gierig auf. Dunkelrot und heiß lief es ihre Kehle herunter.

Langsam beitete sich die Wärme von ihrem Magen in den ganzen Körper aus.

Sie zog die Zähne zurück und leckte sich das Blut von den Lippen. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Sie hatte gerade so viel genommen, wie nötig war um ihren Blutdurst zu stillen.

Vorsichtig ließ sie den Mann zu Boden sinken. Er hatte das Bewusstsein verloren und würde sich an nichts mehr erinnern, wenn er wieder erwachte.

Ori zog einen Schein hervor und schob ihn in seine Manteltasche. Sie wollte niemandem etwas schuldig bleiben.

Langsam schlenderte sie auf den Ausgang des Parks zu. Wieder blieb ihr Blick am Torbogen hängen und diesmal ließ sie ihn länger verweilen.

Das Tor war aus Eisen und dennoch waren nach all den Jahren kaum Spuren von Rost zu finden. Natürlich war es restauriert worden, als es neu errichtet worden war. Dennoch lag auch das schon viele Jahre zurück. Fast konnte man meinen das Tor wäre für die Ewigkeit geschmiedet worden.

Aber Ori wusste es besser.

Das Tor mochte noch ein oder zwei Jahrhunderte unberührt weiter dort stehen. Doch irgendwann würde es dem Zahn der Zeit nicht mehr standhalten können, denn im Gegensatz zu ihr war es nicht unsterblich.
 

Langsam setzte sie einen Fuss vor den anderen. Sie musste vorsichtig sein. Nach der Nahrungsaufnahme konnte es leicht passieren, dass mann den Boden unter den Füßen verlor. Ein Hochgefühl riss einen mit sich und mann verlor die Kontrolle.

Ori war das schon lange nicht mehr passiert und sie wollte auch, dass das so blieb.

Leise zählte sie bis zahn und dann noch mal von vorne, bis das Blut aufhörte in ihrem Kopf herum zu wirbeln und sie wieder klar denken konnte.
 

Als ihr Denken wieder in normalen Bahnen verlief, verlies sie den Park und wanderte durch die einsammen Gassen. Allmählich lies der Regen nach und der Mond schob sich hinter den Wolken hervor.

Nach wenigen Minuten hatte der Regen vollständig aufgehört und die Wolken waren verschwunden.

Ori legte ihren Kopf in den Nacken. Eisiges Wasser tropfte aus ihren Haaren un lief ihr den Rücken herunter, aber das störte sie nicht. Sie war noch angefüllt mit der Wärme des Blutes, das sie erst vor kurzem zu sich genommen hatte. Vielmehr genoss sie sie Abkühlung.

Die Sadt war in dieser Nacht ungewöhnlich still.

Natürlich war da das ständige Rascheln von Ratten und anderen Nachttieren und leise und weitentfernt hörte man die Matrosen in den Kneipen randalieren. Die typischen Geräusche der nächtlichen Stadt. Dennoch alles leiser, als hätte man einen Umhang über alles gelegt, der die Laute verschluckte.

Ori kam an einer Kneipe vorbei. Geschickt wich sie dem Mann aus, der von zwei muskelbepackten Hünen aus der Schenke bugsiert wurde. Mehr durch glück als durch absicht landete er in den Mülltonnen, die seinen Sturz zumindest zum Teil abfederten.

Er war einer der Matrosen, wie sie an seiner Uniform erkannte und dem Verhalten nach zum ersten mal in dieser Stadt,denn sonst hätte er gewusst was passierte, wenn man sich mit dem Wirt dieser Kneipe anlegte.

Ori konnte ein Lächeln nur schwer unterdrücken als der Mann sich unbeholfen aufrichtete, an etwas hängen blieb und von neuem auf seinem ungemütlichen Lager landete.

Geschickt stieg sie über ihn hinweg. Hätte sie einen Rock getragen, so hätte er jetzt frei Sicht gehabt. Den beiden Hünen schenkte sie noch ein freundliches Lächeln. Sie selbst war auch schon des öfteren Gast in dieser Kneipe gewesen. Die beiden kannten sie daher schon und erwiederten ihren Gruß ebenfalls mit einem Lächeln.

Die Kneipe lag am Ende des Vergnügungsviertels. Als sie aus ihrem Lichtschein heraustrat, verließ sie den Schutz der wenigen Menschen, die sich in dieser Nacht außerhalb des Hauses aufhielten. Angst hatte sie wegen soetwas als letztes in ihrem menschlichen Leben gehabt. Heute störte sie die einsamkeit der Straßen nicht mehr. Nun da der Regen aufgehört hatte genoß sie es den Geräuschen der Nacht zu lauschen.

Vereinzelt fielen Tropfen von Dächern und Ästen. Das leichte Platschen, wenn sie auf Pflaster oder Pfützen trafen mischte sich mit den Rascheln der Blätter im Wind. Ansonsten herrschte schon nach wenigen Metern beinahe greifbare Stille.
 

Sie genoss die Ruhe in die sich nur hin und wieder der Schrei der Möven mischte. Der Hafen befand sich zwar einige Straßen entfernt, aber die Vögel suchten auch in der Stadt ihr Fressen.

Das leise Rascheln zu ihrer linken reichte nicht aus, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Schon am Scharren der Krallen auf dem nassen Stein hatte sie die Ratte erkannt, die nun ihren Weg kreutze.

So schnell wie sie aufgetaucht war, war sie auch schon wieder verschwunden.

Nun jedoch war ein neues Geräusch an seine Stelle getreten.
 

Leise schlurften Schuhe über das Pflaster. Bewegten sich immer mehr auf sie zu. Nachtwesen bewegten sich beinahe völlig lautlos und waren auch für Vampiohren nur schwer auszumachen. Diese Schritte jedoch schienen beinahe in ihren Ohren zu schmerzen, so unverhüllt stolperten sie die Straße entlang. Der Besitzer dieser Schuhe mochte noch im Besitz dieser, aber sicher nicht seiner Sinne sein. Hin und wieder brach das Geräusch völlig ab. Endete in einem Strauchen und öfter sogar noch im Rascheln der Büsche die den Mann nur ungerne aufnahmen, seinen Sturtz jedoch nicht verhindern konnten. Denn ein Mann war es. Die Lautstärke seiner Schritte hatte ihn verraten. Wenn es kein Mann sein sollte so musste es doch ein sehr gewichtiges Weib sein. Doch Ori hatte viele Jahre den Schritten der Passanten gelauscht, darauf wartend ein passendes Opfer zu finden. Nun müsste sie sich schon gewaltig täuschen, wenn ihr Verfolger kein Mann war.

Auch das hatte sie sehr schnell erkannt. Die Schritte bewegten sich, so unstet sie auch waren, in ihre Richtung.

Ein Lächeln huschte über ihre Lippen: Nun würde die Nacht vielleicht doch noch interessant werden.

Geschmeidig zog sie einen kurzen Dolch aus der Krempe ihres Stiefeln. Zwar hatte sie es nicht nötig sich solcher Waffen zu bedienen. Doch in diesem Falle sah sie die Waffe als Durchaus sinnvoll an. Sollte der Gegner so betrunken sein, wie es seine Schritte vermuten ließen, dann würde er sich nicht durch bloße Worte beeindrucken lassen und Ori zog es vor ihren Weg nicht mit Leichen zu pflastern soweit dies nicht unbedingt notwendig war.
 

Schon von weitem sah sie seine weiße Uniform im schwachen Licht der Gaslaternen leuchten. Es war der Matrose dem kurz zuvor, auf weniger nettem Wege das Angebot unterbreitet worden war, die Bar zu verlassen.

So weiß der Stoff der Uniform auch wirkte, sah man doch Spuren, die die grobe Behandlung hinterlassen hatte.

Bis zu den Knien war seine Hose nass und vom Schmutz der Straße gefärbt. Aber auch seine Uniformjacke hatte den Besuch in der Bar nicht unbeschadet überstanden.

Es war schwer zu sagen, ob es mehr sauberen oder dreckigen Stoff an ihm gab.
 

Kurz nachdem ihre optischen Sinne die Flecken auf seiner Jacke als Bier identifiziert hatten, stieg ihr trotz Gegenwind auch schon der alkoholische Geruch in die Nase, gemischt mit den Ausdünstungen von schwitzenden Körpern und kaltem Rauch.

Leiser Ekel stieg in ihr auf.

Sollte der Mann sie berühren war sie sich nicht sicher, ob sie seinen Gestank je wieder aus ihrer Wäsche bekommen würde.
 

Sie lies ihren Daumen leicht über die Schneide der Klinge gleiten. Auf den ersten Blick schien er unversehrt. Erst kurz darauf bildeten sich dunkle rote Perlen auf einem Strich, der nicht breiter war als eines ihrer Haare.

Die Klinge war scharf.

Nun musste sie nur noch warten, bis ihr Opfer direkt in sie hinein lief.
 

Ori setzte ihren Weg fort, damit er keinen Verdacht schöpfte, soweit er zu so etwas überhaupt noch in der Lage war.

Die Jägerin setzte ihre Schritte bedächtig, langsam, um ihm die Gelegenheit zu geben, zu ihr aufzuschließen.

Nur langsam kam ihr Verfolger näher.

Immer wieder geriet er ins Straucheln.

Aber sie hatte Zeit und Geduld. Bis zum Morgen würden noch einige Stunden vergehen und ihre Geduld hatte sie sich in den letzten Jahrhunderten hart erkämpft.

Sie spürte keine Ungeduld.

Nur das leise Kribbeln, das ihr Jagdinstinkt durch ihren Körper sandte.

Ihre Muskeln spannten sich, machten sich bereit zum Angriff.

Ihr Körper reagierte, ohne dass sie ihm noch den Befehl dazu hätte geben müssen.

Ihre Sinne schärften sich.

Der Mann war noch beinahe zehn Meter von ihr entfernt. Dennoch nahm sie seinen Atem wahr. Hörte sein Herz schlagen, tat aber so, als bemerke sie ihn garnicht.
 

Schon viele Male war sie auf die Jagd gegangen, doch die Faszination überwältigte sie jedes Mal von Neuem.

Im Gegensatz zu Menschen verlangsamt sich der Herzschlag von Vampiren in angespannten Situationen. Er pumpt das Blut ruhig und in gleichmäßigen Strömen durch den Körper, um eine Verschwendung der Energie zu vermeiden.

Im Moment des Angriffs wird diese Energie dann in einem kurzen Zeitraum und voller Stärke abgegeben.

Dies macht die Reaktionen eines Vampires so schnell und tödlich. Der ganze Körper wird zu einer präzisen Tötungsmaschinerie.

So zumindest ist es von der Natur vorgesehen.

Ori jedoch ließ sich von ihrer Natur nicht in Ketten legen.

Ganz bewusst atmete sie tief ein um die Spannung zu lösen und ihren Körper davon abzuhalten, ganz automatisch auf eine potentielle Gefahrensituation zu reagieren.

Als die Luft wieder aus ihren Lungen herausströmte war sie völlig gelöst.

Aus den Augenwinkeln konnte sie den Matrosen heranwanken sehen. Sein unsicherer Gang hatte in diesem Fall keineswegs mit heftigem Wellengang zu tun.

"Hey Süße"

Ori reagierte nicht. Tat so, als habe sie nichts gehört.

Dennoch wurde das Lächeln auf ihrem Gesicht unmerklich breiter. Er war auf Ärger aus. Das hörte sie an seiner Stimme.

"Kleines"

Er lallte so sehr. dass Ori sich anstrengen musste, um ihn zu verstehen.

"Lass uns etwas Spass haben"

Damit hatte sie schon gerechnet. Sie kannte solche Gespräche schon auswendig.

Erst freundlich einladend.

"Wir könnten ein Zimmer nehmen, schöne Lady"

Sie reagierte immer noch nicht. Dann zeigte sich für gewöhnlich die Ungeduld:

"Hörst du schlecht du kleines Miststück?"

Er schien ein Paradebeispiel ihrer langjähriger Beobachtungen zu sein. Jetzt fehlte nur noch die letzte Wendung: Wut und Brutalität.

Auch in dieser Phase reagierte er, wie von ihr vorhergesehen.

"Na warte du Schlampe. Du wirst schon bereuen mir meine Freuden verwehrt zu haben!"

Heiße, verschwitzte Hände packten ihr Handgelenk und zerrten sie herum.

Auf diesen Moment hatte sie gewartet.

Leicht schnitt ihr Dolch in die Haut seines Halses. Gerade genug um ihn verstummen zu lassen und in seiner Bewegung zu bremsen.

Niemand hätte sagen können, dass der Angriff von ihr ausgegangen war.
 

Schweiß sammelte sich an seiner Nasenspitze und tropfte auf die Klinge.

Sein Atem ging schnell und unregelmäßig. Sie konnte seine Angst riechen. Wenn er wüsste wie harmlos und stumpf die Klinge war im Gegensatz zu ihr selbst war.

Sie stieß ihn von sich. Ein harter Schlag vor die Brust. Beinahe konnte sie die Auswirkungen ihres Schlages sehen. Wie er sich im Körper ausbreitete und die Rippen zum Bersten brachte.

Der Matrose stolperte zurückbis die Beine unter ihm nachgaben und er bewusstlos zusammenbrach.

Nun war seine gesamte Uniform mit Schmutz bedeckt.

Ori wandte sich zum Gehen.

Wenn der Mann in einiger Zeit wieder zu sich kommen würde, dann würde er unter drei gebrochenen Rippen und einen sehr viel stärker geschundenem Ego zu leiden haben.
 

Eine Frau oder Alkohol würde er wohl in nächster Zeit nicht mehr anrühren.

Kapitel 2

Das Schloss hob sich als dunkle Siluette vom Himmel ab. Die untergehende Sonne ließ es blutrot erscheinen.

Eine würdige Kulisse für den Hauptsitz der Ältesten.

Es gab einige wenige Ausnahmen, Einzelgänger wie Ori, der Großteil der Ältesten aber suchte diesen Ort regelmäßig auf,um über die Zukunft der Vampire zu entscheiden.

Auch wenige Tage zuvor hatte ein solches Treffen stattgefunden.
 

Hätte die Sonne geschienen, so wäre der Raum lichtdurchflutet gewesen. Mitten in der Nacht und nur beim Schein weniger Kerzen schien der Raum mehr Schatten als Licht zu beherbergen. Dennoch war der Blick durch die großen Flügel der Fenster beeindruckend. Der Himmel war klar und glich einem Meer aus Sternen. Trat man durch die Türen hinaus, gelangte man auf einen weitläufigen Balkon.

Natur und Schloss schienen in einander überzugehen. Wo Holz und Stein endeten, begannen Ranken die verschlungenen Muster antiker Architektur zu ergänzen. Auch wenn die Pflanzen gepflegt und regelmäßig geschnitten wurden, so waren sie doch alt und verwachsen, was ein Durchkommen unmmöglich machte.

Die anfänglich vereinzelten Wachstropfen hatten sich unter den verbleibenden brennenden Kerzen in glänzende Seen verwandelt. Von den Rändern der Kerzenhalter hingen lange Gebilde aus Wachs wie Wasserfälle die in der Bewegung erstarrt waren. Der einzige Hinweis darauf, dass sich vor kurzem noch Leben in diesen Räumen befunden hatte, erlosch wenig später mit der letzten abgebrannten Kerze.
 

Geisterhaft glitt der Schein des Mondes durch den Raum und zeigte Tod, wo kurz zu vor noch das Spiel der Flammen den Anschein von Leben erweckt hatte. Nun jedoch war zweifellos zu erkennen, dass den verkrümmten Leiber am Boden kein Funke Leben mehr innewohnte.

Das Blut auf den Wänden, die einst weiß getüncht und mit feinen Insignien aus Gold verziert waren, wirkte beinahe schwarz. Teppiche und Tischtücher hingen in Fetzen.

Dennoch befanden sich im Zimmer weit weniger Leichen, als Personen den Tod gefunden hatten. Was von den scheinbar fehlenden Opfern übrig geblieben war, trug der Wind mit sich davon.
 


 

Die Nacht war noch nicht zur Hälfte vergangen, Ori jedoch hatte ihren Durst bereits gestillt. Sie beschloss die restliche Zeit zu nutzen, um Informationen einzuholen. Schon früh hatte sie erkannt, dass Wissen gleichbedeutend sein konnte mit Macht. Und sie hatte nicht vor, auf Grund von Unwissenheit umgebracht zu werden, wie es oft bei jüngeren Artgenossen der Fall war.

Neugier und Blutdurst trieben unreife Vampire dazu, selbst dort auf die Jagd zu gehen, wo sich andere Wesenheiten niedergelassen hatten. Und sollten dies Hoheitsgebiete der Lykantropen oder Nachtalben sein so endete die Jagd oftmals mit dem Tod des Vampirs.

Ori selbst achtete darauf, nicht in die Jagdgebiete dieser Wesen einzudringen.

Tatsächlich unterhielt sie sogar Kontakte zu einigen Werwölfen und war auch das ein oder andere mal Gast auf einer Elfenparty gewesen. Diese Wesen verstanden es eine ordentliche Party zu feiern und vertrugen wesentlich mehr Alkohol als man ihren zerbrechlichen Körpern zutraute.

Auch heute Nacht würde sie einen alten bekannten der Anderen Spezies treffen.
 

Thor gehörte eine Bar in der Nähe das Hafens. Neben den vielen Matrosen, die es regelmäßig in seine Räumlichkeiten zog, war die Bar ein bevorzugter Treffpunkt für die Wesen der Nacht. Solange sie sich anstädig verhielten.

Thors richtiger Name war Edward Blake, dies wussten aber nur noch sehr wenige Wesen. Die meisten hatten dieses Wissen bereits mit ins Grab genommen.

Eine der wenigen war Ori.

Edward Blake war nicht immer in der Gastronomie tätig gewesen. Vor mehr als 150 Jahren war er ein angesehener Schmied und auch heute bezog Ori einen großteil ihrer Messer und Dolche von ihm.

Als Edward etwa 20 Jahre als war geschah seine Umwandlung in einen Lykantropen. Seine Familie enterbte und verstieß ihn. Einzig seine jüngere Schwester Eliza hielt weiterhin zu ihm.

Obwohl er versuchte seine Natur zu unterdrücken und zu verbergen, erfuhren einige Anwohner von seinem Geheimnis.

Bei dem Versuch ihn zu schützen, verlor Eliza ihr Leben.



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  saiya-chan
2010-03-09T23:12:14+00:00 10.03.2010 00:12
Ja also, was soll ich sagen? Ori nicht mögen? Nein, sicherlich nicht...sie tut mir eher leid, weil sie eigentlich ihr ganzes (Un)Leben damit verbringt, etwas zu tun, dass sie so abscheulich hasst und es gleichzeitig, wegen dem Verlangen eines Vampires doch so sehr braucht.

Was ich noch sagen muss *haha*, du updatest mir zu schnell! Ich hab kaum Zeit nach zu kommen, weil das Lernen ja auch weitergehen muss!

Aber sont, schön geschrieben.


saiya-chan
Von:  saiya-chan
2010-03-08T12:20:47+00:00 08.03.2010 13:20
Eine zu tiefst bedauernte Vorgeschichte, doch die Zwillige sind niedlich ^^

Ein gutes, erstes Kapitel, ich hoffe auch, bald folgt das zweite. Aber ehrlich, ihren Meister finde ich widerlic und abstoßend. Solch ein Mosnter. Da lobe ich mir einen Vampir wie Ori, die nicht nach Spaß und Lust aus ist, um ihren Blutdurst zu stillen.


saiya-chan
Von:  saiya-chan
2010-03-08T11:36:59+00:00 08.03.2010 12:36
Ein sehr interessanter Anfang und gut von dir alles beschrieben, wie ich finde. Ich kam mir shcon ein bisschen slebst so vor, als würde ich auf dem Shciff umherrutschen.
Bis dahin aber kann ich noch nicht all zu viel sagen. Es ist jedenfalls gut geschrieben und ich schätze, ich mag die nette Vampir-Lady xD

saiya-chan


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