The Blackest Gift von plaspoo ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Naomi, Naomi!“, schallte es laut durch den Hof. Viele gelb gekleidete Menschen liefen wie aufgescheuchte Hühner von einem Gebäude in ein anderes. Ein junges Mädchen lief zu einer älteren Frau, bei der alle Informationen scheinbar zusammentrafen. „Niamh, hast du im Speicher gesucht? Versteckt sie sich vielleicht im Heu?“, fragte die in gelb gekleidete alte Frau mit grauen Haaren verzweifelt das, ebenfalls in gelb gekleidete, junge Mädchen. Niamh schüttelte betrübt den Kopf. „Wo kann sie denn nur sein? Die Zeremonie fängt gleich an.“ Die Frau sah aus, als würden ihr vor Wut jeden Moment Tränen in die Augen steigen. „Äh, Lola, vielleicht schau ich einfach noch mal genauer im Speicher nach. Du kennst sie ja. Im Verstecken ist sie einsame Spitze.“, schlug das Mädchen mit den schulterlangen schmutzig-blonden Haaren verlegen vor. „Ja, mach das.“, antwortete ihr Lola abwesend, während sie bereits andere Suchende zu bestimmten Gebäuden schickte. Niamh zog sich langsam zurück und rannte dann los. Allerdings nicht auf den Speicher zu, sondern in Richtung des Waldes. Kurz bevor sie den herbstlichen Wald betrat, schaute sie sich noch einmal um, ob ihr auch keiner gefolgt war, dann lief sie ein Stück auf dem Waldweg, bog dann scharf nach links ab und lief quer durch den Wald. Dieser wurde immer dichter, bis sie an eine Stelle kam, an der sie sich durch einen Spalt zwischen zwei Bäumen drücken musste, um den Wald zu verlassen. Dort eröffnete sich ihr ein immer wieder atemberaubender Anblick. Vor ihr befand sich eine immergrüne Wiese, die auf eine Klippe zulief, und auf der man kein einziges herbstliches Blatt finden konnte. An dieser Stelle des Waldes war immer Sommer. Wenn man an der Klippe stand konnte man meilenweit auf das Meer hinaus blicken. Am Fuße der Klippe brach sich das Meer an einigen Riffen. Die untergehende Sonne tauchte alles in ein orange-goldenes Licht. An dieser Klippe saß Naomi an diesem Tag zum letzten Mal. Es war ihr geheimer Rückzugsort und nur Niamh wusste davon. Die zwei Mädchen waren Freundinnen, seit Niamh dabei war, als Arvin nach neuen Angestellten gesucht hatte und sie unbedingt wollte, dass Arvin Naomi kaufte. Damals war Naomi 4 Jahre alt und saß total verängstigt zwischen den Erwachsenen, die sich teils auch selbst zum Verkauf angeboten hatten um Arbeit zu bekommen. Als Niamh dort als siebenjährige erfahren hatte, dass manche Eltern ihre Kinder verkaufen, nur um an Geld zu kommen, obwohl sie selbst nicht wenig davon besitzen, und dieses Geld dann für eigene Diener ausgeben, bestand sie darauf, dass das kleine Mädchen ein neues Zuhause bekommt. „Hab ich mir doch gedacht, dass ich dich hier finde. Was machst du denn hier? Weißt du, dass alle dich suchen?“, fragt Niamh. Naomi antwortete nicht. Niamh kam langsam auf sie zu. „Lola ist schon halb verrückt, so sauer ist sie auf dich.“, sagte Niamh und kicherte. Naomi schaute weiterhin aufs Meer. „Glaubst du, sie sind freier als ich?“, fragte sie plötzlich und zeigte auf die Möwen in der Luft. Ihre Freundin überlegte kurz. Vorsichtig sagte sie: „Ich denke, ihre Freiheit ist ähnlich wie deine.“ „Wie meinst du das?“, fragte Naomi und schaute sie das erste Mal an. „Naja, sie können zwar zum Beispiel fliegen, aber sind in ihrer Freiheit zu fliegen trotzdem an gewisse Gesetze gebunden. Zum Beispiel können sie bei einem Sturm nicht fliegen. Ähnlich ist es bei dir.“ „Aber sie haben die Freiheit jederzeit hierher zu kommen. Ich nicht. Schließlich geht hier die Sonne kaum unter. Ätzend.“, wiedersprach Naomi. „So ist das halt. Du wirst ab morgen viele Privilegien haben, hast aber auch bestimmte Pflichten, an die du gebunden bist, um dich nicht zu gefährden. - Aber jetzt lass uns gehen. Du willst doch Arvin nicht enttäuschen, oder?“ Naomi schaute noch einmal aufs Meer. „Gehst du schon vor? Ich will mich noch von Ary verabschieden.“ Erst jetzt bemerkte Niamh den kleinen Vogelkäfig der neben Naomi stand und in dem ihr kleiner Wellensittich saß. „Willst du ihn fliegen lassen? Den hat dir Arvin doch geschenkt?“, fragte sie überrascht. „Ja, aber Arvin wird das verstehen. Ich möchte, dass er sich ein anderes kleines Mädchen sucht, dem er in ihrem Kummer helfen kann. Ich kann mich ja schließlich schlecht um ein Tagaktives Tier kümmern, wenn ich selber nur nachts wach bin. Und ihr habt so schon genug Arbeit, ich hab‘s ja über sieben Jahre selbst mitbekommen. Glaub mir, es war eine schwere Entscheidung. Und wenn du jetzt nicht bald gehst und ich das über mich bringen kann, dann überleg ich‘s mir doch anders.“ Als sie nun Niamh ansah, hatte sie Tränen in den Augen. Ihre drei Jahre ältere Freundin nahm sie fest in den Arm, flüsterte ihr ins Ohr: „Du schaffst das, aber komm nicht zu spät.“ Und mit einem letzten Blick auf das glühende Meer drückte sie sich wieder durch den Spalt zwischen den zwei Bäumen und lief zurück, um den anderen zu berichten, dass der Star des Abends schon unterwegs war. Naomi drehte sich wieder dem Meer zu, nachdem sie ihrer Freundin nachgesehen hatte, und öffnete den Käfig. Sie nahm Ary in die Hand und hielt ihn kurz an ihre Wange. Sie flüsterte ihm zu: „Ich wünsche mir, dass du ein liebes Mädchen findest, das gut für dich sorgt.“ Und mit einem lauten „FLIEG!“ warf sie ihn in die Luft. Sie beobachtete, wie er seine Kreise immer höher zog, bis sie ihn kaum mehr sehen konnte. Dann wischte sie sich die Tränen aus den Augen, schmiss den Käfig die Klippe hinunter und lief schnell zurück zum Schloss. Es war schließlich der zweiundzwanzigste März. In wenigen Minuten würde die Sonne unter gehen und die Zeremonie des Frühlingsäquinoktiums beginnen. Der komplette kreisförmige Innenhof des Schlosses war mit Herbstlaub ausgelegt. Die Mitte bildete eine Art Altar aus einem Baumstumpf, in dessen Mitte sich eine tiefe Einsenkung befand. Arvin stand mit einer schwarzen Robe, die sein Gesicht bedeckte, davor. Um ihn herum befanden sich die Bewohner des Schlosses, alle warteten auf den Ehrengast. Als die Sonne weiter herabsank und die letzten Sonnenstrahlen den Baumstumpf berührten, wirbelte ein leiser Windhauch das Herbstlaub hoch. In diesem Moment betrat Naomi, mit einer roten Robe bekleidet, die ebenfalls ihr Gesicht bedeckte, den Innenhof. Langsam, fast schon schleichend, lief sie über das knirschende Herbstlaub und erreichte den Baumstumpf im selben Moment, in dem die Sonne komplett gesunken war. Sie schloss die Augen, als Arvin sich die Kapuze vom Kopf zog und ein Messer hervorholte, welches er unter der Robe getragen hatte. Mit einem Zug stach er es Naomi direkt ins Herz. Sie sackte zusammen und Niamh fing sie auf. Dann wurde sie von einigen Umstehenden hochgehoben und über die Einsenkung im Baumstumpf gehalten. Sie ließen ihr Blut hinauslaufen, bis auch die letzten Tropfen ihren Körper verlassen hatten. Dann wurde sie in einen an der rechten Seite des Hofes gelegenen quadratischen Raum gebracht und dort auf ein Brett gelegt. Sie wurde mit ihrer roten Robe zugedeckt, die von ihrem Blut getränkt ist. In der Zwischenzeit nahm sich draußen im Hof Arvin einen Becher und schöpft das, vom Mond beschienene, silbrig glänzende, Blut aus der Einsenkung und trank es. Als er alles getrunken hatte, war es bereits Mitternacht. Arvin begab sich danach in einen an der linken Seite des Hofes gelegenen quadratischen Raum und schloss sich darin ein. Was er dort tat, wusste keiner, es wurde seit Ewigkeiten nur von einem Oberhaupt der Familie zum nächsten weitergegeben. Die komplette Zeremonie fand in totaler Stille statt. Nachdem die beiden Hauptpersonen den Schauplatz verlassen hatten, zogen sich auch die anderen nach und nach zurück. Jetzt hieß es warten. Der Sommer verlief ruhig, keines der umliegenden Königreiche versuchte einen Angriff, so dass man Arvin nicht zu stören brauchte. Auch die Tür zum Rechten Raum blieb verschlossen. Es war seit Jahren das Selbe Prozedere. Jedes neue Mitglied musste auf diese Weise begrüßt werden. Und nur, wenn der Anwärter stark genug war, war er bereit das Geschenk zu erhalten. Es würde sich noch zeigen, was aus den beiden werden würde. Als sich der Sommer dem Ende neigte, wuchs die Spannung der Bewohner des Schlosses. Schließlich war es soweit. Das Herbstäquinoktium stand vor der Tür. Der Boden des Hofes wurde wieder mit Herbstlaub ausgelegt, das an die Verstorbenen erinnern sollte, und zu der Stunde, in der die Sonne unterging, öffnete sich die Tür des linken Raumes. Arvin trat heraus, wieder bekleidet mit einer schwarzen Robe, und lief langsam auf den Baumstumpf zu. Gespannt schauten alle auf die Tür des rechten Raumes, doch nichts tat sich. Arvin erreichte den Baumstumpf und die Sonne sank. Die letzten Strahlen berührten den Baumstumpf und ließen danach den Hof in kompletter Finsternis zurück. Der Himmel war wolkig und die Bewohner des Schlosses wurden langsam ungeduldig. Als die Turmuhr Mitternacht schlug, fing auch Arvin an, sich zu sorgen. Mit einem Nicken befahl er einigen Männern, an der Tür des rechten Raumes zu lauschen. Das taten sie, doch als sie den Kopf schüttelten kam Arvin bestürzt angelaufen. Der Hof war auf einmal erfüllt von viel Geflüster. Bisher war so etwas noch nicht passiert. Niamh lief auf Aufforderung ihres Königs zu ihm. Er fragte sie leise: „Hat sie irgendetwas gesagt, dass sie nicht will?“ Niamh schüttelte den Kopf. Arvin wand sich an seinen Hofstaat und wollte die Zeremonie abbrechen, als Niamh ein kurzer Schrei entfuhr. Schlagartig wurde alles still. Sie sahen alle auf Niamh. Diese beobachtete die Tür. Hatte sie sich getäuscht, oder hatte sie sich gerade bewegt? Nein, als sie genau hinsah, bemerkte sie, dass an der Tür gerüttelt wurde. Kurz darauf öffnete sich die Tür einen Spalt und eine Elster kam herausgehüpft. Sie schien sich umzusehen und bemerkte dann Niamh. Langsam kam sie auf sie zugeflattert. Niamh beobachtete den Vogel interessiert. So ein schönes Tier hatte sie noch nicht gesehen. Sie hatte eine schöne schwarze Farbe. Niamh hob den Vogel hoch, der sich das gefallen ließ, und ging mit ihm zur Tür, um zu sehen, wo er herkam. Sie war schließlich dabei gewesen, wie sie Naomi in den Raum gebracht hatten, und soweit sie sich erinnern konnte, war damals kein Vogel dort drin. Langsam öffnete sie die Tür. Sie erschrak heftigst. Der Raum sah aus, als hätte ein wildes Tier darin gewütet. Das Brett, auf dem die tote Naomi gelegen hatte, war zerschreddert und es waren Blutspuren an den Wänden zu sehen, als ob ein schrecklicher Kampf stattgefunden hätte. Der Geruch, der von diesem Raum ausging, war absolut abstoßend. Niamh schlug sich die Hände vor den Mund und die Nase und stolperte rückwärts aus dem Raum hinaus. Dabei fiel ihr der Vogel aus dem Arm. Er schien sich nicht an dem Aussehen und Zustand des Raumes zu stören. Er flatterte zu einem Schrank in dem Raum, der scheinbar als einziges Ganz geblieben war, was einem Wunder gleich kam, da der komplette Raum kaputt war. Die Elster saß davor und schien darauf zu warten, dass Niamh zu ihr kam. Zögerlich ging sie in den Raum hinein. Mit einer Hand fest vor Mund und Nase und der anderen zur Stütze an der Wand um nicht zu stolpern, ging sie auf das Tier zu, dass sich durch einen kleinen Spalt in den Schrank drückte. Leise schloss sich die Tür hinter ihr. Von außen versuchte Arvin die Tür zu öffnen. Er hatte keine Möglichkeit gehabt in den Raum reinzuschauen. Das war bei der Zeremonie noch nie passiert. Es war eigentlich so, dass sich die Türen zu beiden Räumen nahezu zeitgleich öffnen sollten. Aber alle Versuche blieben nutzlos, die Tür bewegte sich kein Stück. Niamh schien das alles nicht zu bemerken. Sie öffnete den Schrank, in dem sie die Elster erwartete, und erschrak. Ein kleines Mädchen mit braunen Haaren saß zusammengekauert in einer Ecke. Sie hatte den Kopf gesenkt. Zögerlich streckte Niamh die Hand nach ihr aus. In dem Moment blickte das Kind auf und fauchte sie an. Sie zog ihre Hand schnell zurück. Das Mädchen hatte spitze Eckzähne und blutrote Augen. Niamh stolperte rückwärts und fiel hin. Im nächsten Moment saß das Mädchen auf ihr, entblößte seine Eckzähne und senkte sie in ihren Hals. Niamh schrie und versuchte das Mädchen von sich zu stoßen. Aber niemand schien sie zu hören. Sie konnte sich kurzzeitig befreien, und lief zur Tür, aber diese war fest verschlossen. Niamh hämmerte gegen die Tür und rief um Hilfe. Sie drehte sich um und sah sich nach anderen Fluchtmöglichkeiten um. Langsam kam das Mädchen auf sie zu. Niamhs Blut tropfte von ihren Zähnen. Ein weiteres Mal sprang das Mädchen sie an und versenkte seine Zähne in den Hals der schreienden Niamh. Es begann zu saugen und kurze Zeit später versagte Niamhs Stimme. Ihr wurde schwarz vor den Augen, dann sackte sie tot zusammen. Das kleine Mädchen leckte sich genüsslich die Lippen, ging zur Tür, öffnete diese ohne Probleme und warf sich dem davor wartenden Arvin in die Arme. Die umstehenden fingen an zu Tuscheln. Jemand ging in den Raum und brachte den Körper der Toten heraus. Auch wenn man nicht zu ihr reingekommen war, so hatten doch alle mitbekommen, was im Raum vorgefallen war. Das kleine Mädchen schien das aber nicht zu interessieren. Sie hatte sich an Arvin geklammert und war eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)