K.O.M.A. von abgemeldet (Komm ohne mich aus) ================================================================================ Kapitel 2: Ein halbes Jahr zum Leben ------------------------------------ Wo war er? Es war warm, weich und jemand lag neben ihm. Kein Licht blendete seine Augen. War es noch Nacht? Oder war der Raum, wo er war, noch dunkel? Langsam regte sich mehr, in seinem Bewusstsein. Krankenhaus. Timo. Autounfall. Herzstillstand. Herzfehler. Herzsuche. Herztod. Tod. Er schlug die Augen auf. Tief ein und ausatmen. Wie die Person neben ihm. Wie Timo. Nur, dass der anders atmete, als er. David schloss die Augen und hörte dem regelmäßigen Atem des Anderen. Es hätte so schön ruhig sein können, wäre es nicht von einer Maschine gekommen. Nach ein paar Minuten sagte ihm ein Blick auf die Uhr, dass er zwar nur zwei Stunden, aber ohne Traum, geschlafen hatte. Es war wie früher, dass, egal, was zwischen Timo und ihm auch vorgefallen war, er bei ihm ruhig wurde und nachdenken konnte. Würde er sich mit 90 auch an Timos Grab hocken und dort denken? Wenn er bis dahin ein neues Herz hatte. Er schloss die Augen. „Hätte ich nicht einfach in ruhe sterben können, ohne diese quälende Gewissheit, dass der Tod näher ist, als ich dachte?“ Er flüsterte, mehr zu sich selbst, als zu dem Anderen. Die Türe ging auf. „Guten Morgen Herr Sonnenschein und Herr Bonk.“ Eine fröhliche, junge Krankenschwester betrat den Raum und der Gitarrist stöhnte innerlich. So viel Glück und Freundlichkeit am Morgen konnte er nicht ertrag. Langsam erhob er sich und tapste zur Tür. „Warte Sie, Herr Bonk, ich helfe Ihnen. Ich bin so wie so für Sie zuständig, ebenso wie für Herrn Sonnenschein hier. Frau Dr. Melkow sagte mir, dass Sie, wenn Sie auf die Medikamente eingestellt sind, das Krankenhaus verlassen können. Sie müssen nur einmal pro Woche zu einer Routineuntersuchung kommen, damit wir wissen, wie lange Ihr Herz noch ungefähr durchhält. Aber ich bin mir sicher, Herr Bonk, dass wir uns noch sehr oft sehen werden.“ Irgendwie war Sterben gerade doch nicht so schlecht. Im gleichen Moment hätte er sich für diesen Gedanken selbst töten können. Denn das konnte er keinem der Personen antun, die ihn liebten. Nicht so. „Damit wir wissen, wie lange Ihr Herz noch durchhält.“ Äffte er sie nach. Gäbe es einen Preis für idiotisches und unsensibles Verhalten im Krankenhaus, hätte diese Krankenschwester wohl gewonnen. David merkte sich nicht ihren Namen. Das war es nicht wert. Er würde diese blöden Medikamente nehmen und heute schon gehen. Auf eigene Gefahr entlassen. Das hörte sich doch toll an. Und war bestimmt besser, als hier rum zu hocken, sich zu langweilen und so einer blöden Krankenschwester beim fröhlichen herumlaufen zuzusehen. Ein paar Stunden später hatte der Gitarrist seine etwas Meinung geändert. Seine Familie war bei Ihm, die Medikamente vertrug er bis jetzt gut und sie hatten ihm alles möglich mitgebracht. Über Süßigkeiten, Überraschungseier, zu einer kleinen Akustikgitarre bis hin zu einem Spiel. Vielleicht war es doch nicht so unangenehm noch eine weiter Nacht im Krankenhaus zu bleiben und sich morgen abholen zu lassen und verwöhnt zu werden. Zugegeben, er genoss es. David wusste, dass es nicht wirklich fair gegenüber seiner Familie war, die nicht wusste, wie es ihm ging. Die besorgt hier saß und sich dachte, dass es ihm schlecht ging, weil Timo im Wachkoma lag. Timo Sonnenschein. Die Gedanken des jungen Mannes schweiften ab. Wann war es so weit gekommen, dass sie sich so auseinander gelebt hatten, dass so etwas passierte? Einerseits war es gut, denn so hatte man ja seinen Herzfehler festgestellt. Was genau hatte er eigentlich für einen? Das musste er die Ärzte oder noch besser, die Krankenschwester mal genauer fragen. Er konnte hier in seinem Zimmer ja schlecht den medizinischen Fachbegriff bei Google eingeben. Sie erzählten. Über das Leben, wie es ihnen so gut. Untereinander. Aber keinem mit ihm genau. Vermutlich war sein jetziger Krankenhaus Aufenthalt genauso ein Familienaustauschtreffen, wie Feiern, Geburtstage und große Feste. Man tat auf Lieb, nett und höflich und lästerte untereinander übereinander. Und dieses Mal, was er derjenige, der die Geschenke bekam, der, wegen dem alle angeblich hier waren. Sicher, sie waren wegen ihm hier. Aber sie verheilten sich nicht so. Am Abend war er endlich wieder alleine. Ein paar Freunde waren noch vorbei gekommen und erst seine Mutter, hatte alle heraus geschmissen, als es ihm zu viel wurde. Sie selbst war mit seinem Stiefvater gegangen und hatte dafür gesorgt, dass er morgen in vollkommener Ruhe nach Hause kam. Denn genau das brauchte er – Ruhe. Die Ärztin hatte ihm am Nachmittag kurz besucht und ihm genauer erklärt, war er nun hatte. Er hatte wohl einen leichten angeborenen Herzfehler, der sich, durch Stress und nicht zuletzt besonders durch seinen Herzstillstand drastisch verschlechtert hatte. So schlimm, dass sie seinem Herzen nicht mehr lang gab. ‚Wenn Sie Glück haben, Herr Bonk, helfen Ihnen die Medikamente. Doch dies ist nur in 0,01 % der Fälle so. Deswegen will ich Ihnen keine große Hoffnung machen.‘ Vielleicht war er ja einer der 0,01 % Fälle. Vielleicht war der Schaden auch nicht so groß, wie sie ihn beschrieb. Vielleicht bestand doch noch Hoffnung für ihn. Und für Timo. Wenn für ihn schon noch Hoffnung bestand, dann sicherlich auch für Timo. Langsam aber sicherer als heute Morgen ging ist gemütlich er gemütlich im Park des Krankenhauses spazieren. Er war alleine und dachte über das Leben nach. Wie es halt so ist, wenn man gerade mal 22 Jahre alt ist und gesagt bekommt, dass man wohl das Jahr nicht überleben wird. David hatte keinem erzählt, wann genau er entlassen wurde. Er wollte Ruhe. Eine Ruhe, die ein kleiner Vorgeschmack sein könnte, für das, was noch folgte, wenn er erstmal fort war. Wie Sterben wohl war? Schloss man einfach die Augen und ‚schlief‘ ein? So ähnlich wie einschlafen? Spürte man seine letzten Momente? Merkte man, was passierte? War da ein Licht? Sonnenstrahlen schienen durch die Blätter und er zog die Jacke enger. War es nicht egal, wie es passierte? Zählte nicht, dass es passierte? Irgendwann musste er so wie so sterben. Ob jetzt ein bisschen früher oder später, konnte ihm ja egal sein. Doch es war ihm nicht egal. Tränen liefen über seine Wangen. Leben. Er wollte leben. Die Vorstellung nicht mehr da zu sein bereitete ihm weniger Angst, als die Tatsache, dass alle, die er liebte und die ihn liebten traurig sein würden. So unendlich traurig. Und wenn er jetzt bald sterben würde, konnte er sich nicht bei Timo entschuldigen. Klar, er könnte ihm einen Brief schreiben, aber er würde schon gerne wissen, warum Timo nach ihrem Streit weggelaufen war. Das warum quälte ihn. Welchen Fehler er gegangen hatte. Vielleicht wachte Timo nie wieder auf. Vielleicht würde er aufwachen, wenn er schon längst Tod war? Er seufzte, als er Richtung Parkplatz ging und Jan eine SMS schrieb, ob er ihn abholen könnte. Seine Eltern konnten nicht, diese mussten Arbeiten. Er beobachtete die Vögel, die Schmetterlinge und das Leben um ihn herum. Jan antwortete, dass er gleich kommen würde, und er beobachtete einen Vogel, wie er zum Nest flog und seine jungen fütterte. Er wollte immer Kinder haben, er hatte sogar einen Menschen gefunden, mit dem er sie haben wollte. Und nun sollte er sie nicht aufwachsen sehen? Das Leben war unfair. So unfair, dass es schon Zufall war, was wem passierte. Aber Zufall? Konnte Zufalle wirklich das Schicksal bestimmen? Vielleicht ergänzten sie sich, oder sie waren ein und die selbe Personen. Oder gar verheiratet oder eine Partnerschaft eingegangen. Der Gitarrist schüttelt den Kopf. Schwachsinnige Gedanken. Aber dennoch dachte er sie. Als das Auto von Jan kam, war er immer noch in Gedanken, an einen Braunhaarigen Jungen, der in diesem Krankenhaus lag. Und über ihre Freundschaft. Eine weiße Decke. Eine weiße Decke, die Geschichten erzählte. Selbst dann noch, wenn die nervige Krankenschwester rein kam. David war entlassen worden. Und er hatte sich nicht verabschiedet. Warum? Was war eigentlich los mit ihm? Dass er gelogen hatte, war klar. Das konnte man an der Stimme hören. Schon immer. Und wohl solange er lebte. Doch, was gelogen war, dass wusste er nicht. Und die Decke konnte es ihm auch nicht erzählen. Was war das Geheimnis, dass er hatte? Wann er zu ihm ins Bett gekommen war, wusste er nicht. Er war mitten in der Nacht wach geworden und hatte Davids Geruch gerochen und seinen Körper gespürt. Wann er am Morgen gegangen war, wusste er auch nicht. Aber er wusste, dass David ihn nicht hasste. Und das war schon mal etwas wert. Vielleicht hatte David sich entschuldigt und er hatte geschlafen. Vielleicht hatte David ihn auch fertig gemacht und war hier eingeschlafen. Allerdings war David wegen ihm zusammen gebrochen, laut Jan und Chris. Also, was wollte David hier? Was hatte er hier gewollt? Wie ging es ihm wirklich? Hätte er seufzten können, hätte er geseufzt. Aber er konnte nicht. Sollte er den ganzen Tag grübeln? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)