Die dunkle Seite des Mondes von Levia (Wenn kein Licht die Seele berührt) ================================================================================ Kapitel 1: Erbe --------------- Die nächsten Tage verbrachte ich wie hinter einem dickem milchigem Schleier. Zwar hatte ich meine Eltern angerufen aber keinen sonderlich großen Trost bei diesen gefunden. Ganz im Gegenteil, ich war über ihre Reaktion enttäuscht und empört um nicht zu sagen richtig sauer. Ich habe sie am Nachmittag nachdem der Anruf gekommen war angerufen, doch das einzige was sie dazu sagten war, dass es ja wohl absehbar gewesen sei, dass eine alte Frau irgendwann gehen muss und dass ich sie doch nicht weiter belästigen solle. Ich war so wütend darüber gewesen, dass ich meiner Mutter mitteilte, dass die beiden bereits jetzt für mich gestorben seien, doch ich erhielt nur die Bestätigung dafür, dass ich für sie nicht weiter existierte als sie sagte, dass ich ja ohnehin nicht mehr zu ihrer Familie gehörte. Es tat mir nicht leid, was ich gesagt hatte. Im Endeffekt war es ohnehin egal. Eine Woche nach der traurigen Nachricht hatte sich in meiner kleinen Wohnung leider noch nicht allzu viel verändert, die Kartons waren noch immer eingepackt und Möbel gab es eigentlich auch nicht, wenn man von meinem Bett, einem Kühlschrank und einem Plastiktisch mit dazu passendem Stuhl absah. Dieses Ereignis hatte mich einfach dermaßen aus der Bahn geworfen, dass ich irgendwie extrem demotiviert durchs Leben ging. Aber es würde sicher vorbei gehen. Zumindest glaubte ich fest daran. Wie eigentlich jeden Tag der vergangenen Woche ging ich ohne etwas zu erwarten zum Briefkasten, ich dachte an nichts böses, da sich dort normalerweise ohnehin nur ein paar Prospekte tummelten. Doch heute war etwas anders, es lag ein Brief in dem kleinem Fach. Ein Brief der mein ganzes Leben verändern sollte. Etwas verwundert zog ich eine Braue hoch, schließlich hatte ich meine Adressangaben eigentlich noch nirgends geändert und nur wenige Leute wussten von meinem Umzug. Das Papier des Umschlags sah edel und schwer aus, ich drehte ihn in den Händen und sah auf der Rückseite den Absender. Dieser verriet mir, dass der Brief von einer Versicherung stammte. Ich seufzte leise und sah abermals in meinen kleinen Briefkasten und fand einen zweiten Umschlag. Ich zog meine Brauen noch weiter zusammen, als ich am Poststempel und dem Absender erkannte, dass auch dieses Schreiben aus den USA stammte. Verwundert schüttelte ich leicht den Kopf, dieser Umschlag war von einem Notar aus Seattle, dessen Name mir allerdings nicht allzu viel verriet. Den Blick noch immer auf die Briefe geheftet ging ich die Treppe hoch zu meiner Wohnung, setzte mich dort direkt auf meinen blauen Plastikstuhl und legte die Briefe nebeneinander vor mir auf den Tisch. Ich überlegte hin und her, welches dieser Schreiben ich zuerst öffnen sollte und merkte kaum, dass mich ein klammes Gefühl beschlichen hatte, welches mich jeden meiner Herzschläge bis in den Hals herauf spüren ließ. Gedankenverloren kaute ich auf meiner Unterlippe, eine schlechte Angewohnheit, da ich manchmal so lange herumbiss, bis ich zu bluten begann, was ich nun einmal mehr merken sollte, als sich ein metallener Geschmack in meinem Mund auszubreiten begann. “Mist” flüsterte ich leise und lutschte an der Lippe. Noch immer betrachtete ich die beiden Umschläge und fragte mich, welchen ich zuerst öffnen sollte, schließlich holte ich tief Luft und griff nach dem Schreiben der Versicherung. Vorsichtig öffnete ich den Umschlag und las die Zeilen. Zunächst begann es mit den üblichen Beileidswünschen, doch dann teilte mir die Versicherung mit, dass meine Grußmutter eine Lebens- und Sterbeversicherung abgeschlossen hatte. Dies bedeutete einerseits, dass ich anscheinend Geld von dieser Versicherung bekommen sollte und andererseits bereits eine Beerdigung organisiert worden war. Ich traute meinen Augen kaum, als ich die Zeilen zum zweitem mal las. Langsam schüttelte ich den Kopf, da ich nie von einer solchen Vorsorge gehört hatte, zwar wusste ich, dass meine Großmutter keinen Kontakt mehr zu meiner Mutter hatte, aber ich hätte bis zu diesem Moment nie auch nur daran gedacht, dass sie eine solche Versicherung mit mir als Begünstigtem abgeschlossen hatte. Ich atmete tief durch und geriet ins Grübeln, als ich las, dass ich mit diesem Schreiben zum Hauptsitz der Versicherung kommen solle um die Summe einzulösen und dem Begräbnis meiner Großmutter beizuwohnen. Es war paradox, wie sollte ich bitte nach Seattle kommen und dann noch von dort aus zum Krankenhaus nach Forks? Man hatte sie dorthin gebracht, wie ich gestern Nacht erfahren hatte. Schließlich hatte Queets kein eigenes Krankenhaus. Doch in diesem Moment fiel mir auf, dass sich noch etwas in dem Umschlag befand, dem ich bisher noch keine Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Es war ein Flugticket bis morgen datiert. Einerseits begann mein Herz zu jubeln und ein aufgeregtes Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus, aber andererseits steckte ich bereits mitten in einem Umzug und in den Bewerbungen an verschiedenen Universitäten. Ich fragte mich, wie lange wohl ein solcher Aufenthalt dauern konnte und legte abermals die Stirn in Falten. Eigentlich sollte ich nicht länger als eine Woche weg sein, dann würde ich auch noch alles schaffen was die Einrichtung meiner Wohnung und die Vorbereitungen zum Studium betraf bis die Antworten der Universitäten ankämen. Nun gut, aber im Endeffekt hatte ich ja noch bis morgen Zeit das Ticket einzulösen, was zwar sehr kurzfristig war, aber immerhin eine Möglichkeit. Aber so sind eben die Firmen, möglichst wenig Zeit lassen, damit die Geschäfte nicht stehen bleiben. Ich schüttelte leicht den Kopf und begann schon mal den anderen Umschlag zu öffnen. Auch hier begannen die Zeilen mit einer Beileidsbekundung, doch dann wurde es wesentlich interessanter. Ich sollte ein Erbe antreten und war anscheinend in einem Testament erwähnt, welches meine Großmutter in der Kanzlei hinterlegt hatte. Mein Herz begann noch heftiger zu schlagen, zwar war ich in keinster Weise darauf aus vom Tod meiner Großmutter zu profitieren aber trotzdem war ich schon neugierig auf das was dort in dem Testament stehen würde. Und wenn ich schon das Ticket nutzen würde um meiner Großmutter das letzte Geleit zu geben und mit der Versicherung zu sprechen, dann könnte ich auch eben in der Kanzlei in Seattle vorbeischauen. So begann ich meine Sachen zu packen, oder besser gesagt die Reisetaschen mit Kleidung bereit zu stellen, die ich mitnehmen wollte. Trotz des traurigen Anlasses dieser Reise war ich innerlich erleichtert eine Ausrede für meine bisherige Auspackfaulheit zu haben, wenn ich mich auch nur vor mir selbst rechtfertigen musste. Ich packte noch ein paar Hygieneartikel und meine Reisepapiere ein, bevor ich mich wieder auf meinen Stuhl setzte und auf die Uhr sah. Eigentlich müsste ich ja noch einen Flug bekommen, wenn ich jetzt zum Flughafen ginge. Auch wenn ich keinen bekäme, so konnte ich mich ja wenigstens informieren, wann ich denn morgen abreisen konnte. Da ich nichts zu tun hatte beschloss ich, mich auch gleich zum Flughafen aufzumachen, vorsichtshalber nahm ich schon mal das Gepäck mit, man konnte ja nie wissen was noch alles kommen sollte. Vollgepackt verließ ich das Haus und machte mich auf zu U-Bahnhaltestelle, in diesem Moment war ich ganz froh in Düsseldorf zu wohnen, da es hier gute Verbindungen und einen Flughafen gab. Nachdem ich ein paar Minuten in den Bahn gesessen hatte musste ich umsteigen und kam so ziemlich schnell an mein Ziel. Doch nun stand ich da in der großen Halle des Flughafens und sah mich um, zwar war ich ja schon öfter geflogen, wo ich jetzt allerdings mit meinem Ticket hin musste wusste ich nicht so recht, also machte ich mich zunächst auf zur Information. “Guten Tag”, grüßte die Dame hinter dem Tresen mich freundlich, ich lächelte und erwiederte den Gruß. Nun holte ich mein Ticket hervor “Können Sie mir vielleicht sagen, wie ich dieses einlösen muss?” ich sah sie gespannt an und war froh, dass sie sich anscheinend gut in ihrem Job auskannte und sofort eine passende und freundliche Antwort hatte. “Sie gehen dort rüber”, sie zeigte zu einem Ticketschalter, “dort sprechen Sie mit meinem Kollegen, dieser wird Ihnen dann geeignete Flüge raussuchen und diese mithilfe des Tickets für sie buchen und ihnen die Karten geben. Sie müssen sich keine Sorgen machen, er wird Ihnen auch passende Anschlussflieger nach Seattle buchen.”. Ich bedankte mich und schenkte ihr ein erleichtertes Lächeln, irgendwie hatte ich es mir komplizierter vorgestellt, was nun kommen sollte. Mit meinem Gepäck machte ich mich nun auf den Weg mir die Tickets zu besorgen. Ich brauchte nur das Ticket der Versicherung vorlegen und meinen Reisepass und den Personalausweis zu zeigen, in weniger als 30 Minuten hatte ich alles was ich brauchte um bis nach Seattle zu kommen. Nun ging es ab in die Gepäckkontrolle, da ich aber weder illegale Substanzen, noch Waffen mit mir führte durfte ich ohne größere Verzögerungen in den Wartesaal in der Nähe der verschiedenen Gates und musste nur noch auf meinen Flieger warten, welcher planmäßig in etwa zwei Stunden mit Passagieren beladen werden konnte. Ich sah von meinem Sitz aus auf die große asphaltierte Fläche auf welcher Flugzeuge beladen und getankt wurden. Viele verschiedene Leute wuselten zwischen den großen Maschinen umher und beluden diese. Immer wieder kamen neue Wägen mit Gepäck angefahren und belieferten die Flugzeugpacker. So beobachtete ich das Treiben eine ganze Weile, sah Flugzeuge in ein wenig Entfernung starten und landen, bis ich schließlich an der Reihe war und dazu aufgerufen wurde mein Gepäck abzugeben. Ich machte mich auf den Weg zum Förderband und gab meine Reisetasche an welcher mein Namensschild, mein Flug und mein Ziel hing ab. Dort am Förderband sah ich zwar viele Menschen, allerdings fiel mir plötzlich ein einziger ins Auge. Obwohl mein Blick ihn nur kurz streifte verursachte sein Aussehen gepaart mit seiner Ausstrahlung ein schmerzliches Ziehen in meinem Magen. Der Kerl jagte mir aus irgendeinem Grund Angst ein. Ich betrachtete ihn aus dem Augenwinkel, er trug einen anscheinend teuren Anzug, dazu passende Schuhe. Dies sollte mich an sich nicht beunruhigen, man sah hier viele Geschäftsleute, allerdings sah man nicht viele mit einer solch blassen Haut. Er war nahezu weiß und sah irgendwie übernächtigt aus, zumindest verliehen ihm blassviolette Ringe unter den Augen einen solchen Ausdruck. Die Augen selbst waren einfach nur dunkel, aber ich glaubte einen leicht rötlichen Schimmer zu erkennen. Allerdings musste dies nichts bedeuten, da ich selbst ja auch dunkelbraune, fast schwarze Augen besitze und diese nun mal bei bestimmtem Lichteinfall so schimmern konnten. Ich sah ihn so an und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, ich musste unweigerlich an einen Vampir denken. Bei diesem dämlichem Gedanken entrann mein Kehle ein leises Glucksen, ich war der Meinung, dass niemand dieses gehört haben konnte und doch drehte der schöne Mann sein atemberaubendes Gesicht in meine Richtung und lächelte mich finster an. Plötzlich war mir das Grinsen vergangen und ich floh zurück zu den Warteplätzen. Seine Schönheit hatte mir einen regelrechten Stich versetzt und doch war sie auf unheimliche Weise anziehend. Ich sah hinaus und stellte erleichtert fest, dass es mitten am Tag war, was ja schon einmal einen logischen Widerspruch zu einem Vampir ergab. Das Tageslicht tötete sie, also war mein Fazit, dass der Kerl zwar prima in einen Horrorfilm gepasst hätte, aber offensichtlich kein Untoter war. Ich betrachtete die Wolken, welche dick und bauschig am Himmel hingen und glitt in ein leicht taubes Gefühl über. Ich liebte zwar die Reisen, aber ich hatte auch Angst vor dem was kommen sollte. Ich wollte nicht in das leere Haus und ich wollte nicht an ihrem Grab stehen und weinen und doch war wenigstens letzteres unvermeidlich. Schließlich kümmerte es noch nicht einmal ihre eigene Tochter, dass sie verstorben war, so war es ja wohl meine Pflicht als Enkelin ihr die letzte Ehre zu erweisen und sie in Erde zu betten. Langsam schüttelte ich den Kopf und strich mein Haar aus dem Gesicht. Als ich mich umdrehte sah ich, dass mein Flieger nun ganz oben auf der Liste der startenden Flugzeuge stand, so beschloss ich mich auf den Weg zu machen. Ich war erst wenige Schritte gegangen, als ich auch die dazu gehörige Lautsprecherdurchsage vernehmen konnte. Ich kam an meinem Gate an und übergab der Stewardess mein Ticket, woraufhin sie mich durchwinkte und mir einen guten Flug wünschte. Ausnahmsweise war ich mal über diese überfreundliche und fast pseudoglückliche Art des Personals froh, das hielt mich nämlich davon ab selbst schlecht gelaunt zu sein. Ich ging durch den Tunnelgang zum Flugzeug, als ich plötzlich ein komisches Kribbeln im Nacken spürte und sich kleine Härchen auf meinem Arm und am Rest des Körpers aufstellten. Unweigerlich sah ich dezent über meine Schulter und da war er wieder. Dieser seltsame Typ im Anzug. Mich schauderte leicht und ein Zittern durchfuhr meinen Körper. Ich konnte fühlen wie sein Blick an mir haftete, wieder sah ich zu ihm und bei der Art wie er mich so taxierte hatte ich das Gefühl zu wissen wie mein Grillhähnchen sich wohl fühlen musste, wenn es vor mir auf dem Teller lag. Ich war fest der Überzeugung, dass er mich ansah als sei ich was zu essen. Allerdings war ich nichts zu essen, es sei denn dieser Kerl wäre ein Kannibale, was ich aber weniger glaubte. Ich sah wieder nach vorn und kam am Eingang der Maschine an, ich war froh jetzt wohl aus deinem Blickfeld verschwinden zu können und noch froher war ich, dass ich meine Vampirtheorie ausschließen konnte, da es ja Tag war. Und trotzdem glaubte ich jetzt zu wissen wie sich die Frauen fühlen mussten bevor der Vampir im Film sie aussaugte. Ich wurde von einem freundlichem Steward, ich war erstaunt, dass es in meiner Maschine einen gab, auf meinen Platz geführt. Ich saß am Fenster, unter dem Umstand, dass ich mich Familie oder Freunden gereist wäre, wäre mir dies ganz lieb gewesen, aber in Anbetracht dessen, dass ich um auf Toilette zu gehen nun über jemand Fremdes klettern musste gefiel mir dieser Platz gar nicht so gut. Also beschloss ich nun noch einmal zu gehen und den Flug über dann einfach anzuhalten. Die Toilette im Flieger war erstaunlich sauber und ich war schnell mit meinem kleinem Geschäft fertig, so wusch ich mir die Hände und begab mich auf den Weg zurück zu meinem Platz. Zwar war ich nur ziemlich kurz weg gewesen, doch hatte sich mittlerweile eine ganze Menge an anderen Passagieren eingefunden, welche es sich auf ihren Plätzen bequem machten und zum Teil ihr Handgepäck über den Sitzen verstauten. Ich schob mich durch ein paar Leute und konnte nun sehen, dass sich auch mein Nachbar für diesen Flug bereits auf dem Sitz neben meinem befand. Zu allem Überdruss war es der gutaussehende und doch angsteinflößende Geschäftsmann. Ich lächelte etwas unsicher, als ich neben ihm im Gang stand. Er war anscheinend auch noch sehr höflich, denn er stand auf, sodass ich nicht über ihn klettern musste um meinen Platz zu erreichen. Als ich mich an ihm vorbeibewegte glaubte ich ein leises Schnüffeln zu hören. Im erstem Moment dachte ich unweigerlich daran, dass er an meinen Haaren gerochen hatte, doch dann kam mir die Idee, dass da kein Geräusch war. Denn alles in mir wollte glauben, dass ich nichts gehört hatte. “Entschuldigen Sie die Umstände und danke sehr”, sagte ich leise als ich mich auf meinen Platz sinken ließ. Ein freundliches Lächeln umspielte seinen Mund und entblößte so zwei Reihen perfekter, weißer Zähne “Das ist doch kein Problem”, antwortete er freundlich. Seine Stimme war wie flüssiger warmer Honig, unglaublich süß und geschmeidig. Ich glaubte auch zu riechen, dass er einen angenehm süßen Atem hatte. Generell roch dieser Kerl betörend und ich hatte das Gefühl, dass mich eine innere Wärme und ein aufgeregtes Kribbeln erfüllte. Ein zufriedenes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht und ich versank ganz und gar in dem unglaublichem und anziehendem Geruch dieses Mannes. Ganz sicher, wenn er ein Vampir gewesen wäre, was aufgrund seines Erscheinens am Tage unmöglich war, so hätte ich mich ihm mit Sicherheit auch hingegeben. Er hätte ja noch nicht mal beißen müssen, ein bisschen Knabbern hätte auch gereicht. Ich merkte wie ich schon wieder auf meiner Unterlippe kaute und aus meinem Lächeln ein anscheinend leicht anzügliches Grinsen geworden war. Ich räusperte mich, um mich selbst von diesen nicht ganz sauberen Gedanken zu befreien und war froh, als die Stimme des Stewards durch die Lautsprecher erklang und die Passagiere auf die Gurte aufmerksam machte, welche wir nun anlegen sollten. Gehorsam legte ich den Gurt um meine Hüfte und lauschte den weiteren Sicherheitshinweisen, welche er zuerst auf Deutsch und anschließend auf Englisch gab. Endlich rollte die Maschine und ich konnte mir nicht verkneifen immer mal wieder einen verstohlenen Blick aus dem Augenwinkel auf diesen Mann zu werfen. Als das Flugzeug begann abzuheben breitete sich ein leichtes Kribbeln in meinem Bauch aus und ich merkte wie sich der Druck in meinen Ohren verstärkte, bis ich das Gefühl hatte, dass sich kleine Bläschen aus meinem Gehörgang wölbten. Ich öffnete und schloss meinen Kiefer und musste dabei wohl aussehen wie ein Fisch auf dem trockenem, welcher vergeblich versucht Wasser in seine Kiemen zu pressen. Aber immerhin half es, schließlich wandte ich diese Methode schon seit etlichen Jahren erfolgreich an. Nun fiel mir allerdings auf, dass mein Sitznachbar mich amüsiert anlächelte, leicht verlegen wandte ich meinen Blick ab und sah aus dem Fenster. Unter und wurden die Häuser immer kleiner und ich konnte sehen, wie wir in immer dichtere Wolken eintauchten, bis wir schließlich mitten drin waren. Dies währte allerdings nicht lange und schon bald flogen wir über den Wolken dahin und die roten Lämpchen mir dem Zeichen für die Gurte erloschen. Erleichtert öffnete ich meine Schnalle, endlich war ich richtig unterwegs. Lange Flüge wirkten schon immer einschläfernd auf mich und so legte ich meinen Kopf zurück an die Lehne. Allerdings stellte ich schon bald fest, dass diese Position nicht sehr bequem war und so holte ich meine aufblasbare Nackenstütze aus meinem Handgepäck. Als ich diese aufblies spürte ich wiederum diesen belustigten Blick meinem Platznachbarn auf mir, ignorierte dies jedoch und lehnte mich zufrieden an meine Nackenrolle. Wie erwartet dauerte es nun nicht lange und ich war eingeschlafen. Als ich meine Augen leicht öffnete erkannte ich, dass es in der Flugkabine dunkel war, lediglich ein paar kleine Notleuchten erhellten den Gang, Ich konnte das gleichmäßige Atmen der anderen Passagiere hören und war mir sicher, dass es mittlerweile ziemlich spät sein musste. Ich blinzelte zu meinem Nachbarn und mir lief es kalt den Rücken herunter, sein Gesicht war blutverschmiert und seine Augen leuchteten in einem hellem gefährlichem Rot. Ich spürte mein Herz aussetzen, ich war so gut wie tot. Er nahm eine meiner Haarsträhnen in seine Finger und roch an ihnen. Nun stellte ich auch fest, dass ich nicht das Atmen der anderen Passagiere hörte, sondern dass es sein gleichmäßiges Schnaufen war. Nun nahm er mein Gesicht in seine Hände, legte seine kalten Lippen auf meine und küsste sie sanft. Im nächstem Moment drehte er meinen Kopf leicht und neigte ihn zur Seite, seine kalten Lippen strichen über meinen Hals und ich konnte fühlen wie sie sich öffneten um sich an meine Haut zu schmiegen. Er stieß seine Zähne in mich, doch es tat nicht weh.... Erschrocken öffnete ich meine Augen. Es war tatsächlich dunkel geworden, alles war genau wie in meinem Traum, nur mein Nachbar, der war anders. Seit Gesicht war zwar in meine Richtung gewand und ein verführerisches Lächeln umspielte seine Lippen, allerdings war er nicht blutverschmiert. Zudem konnte ich den Steward sehen. Alles war okay und trotzdem fühlte ich mich nun mehr denn je wie ein Grillhähnchen, welches sich lecker auf einem Teller rekelt. Ein leises Pling erklang und das Licht in der Kabine wurde heller. Ich richtete mich etwas auf und entfernte meine Nackenrolle. Die freundliche Stimme des Stewards erklang und wies darauf hin, dass wir schon bald in den Landeflug übergehen würden und dass es angebracht sei sich nun anzuschnallen. Ich legte den Gurt an und sah verstohlen zu dem Geschäftsmann, zu meiner Erleichterung hatte er nun den Blick nach vorn gerichtet und starrte mich nicht weiter an. Schließlich war es schon schlimm genug, dass er gut aussah, gut roch und unwiderstehlich wirkte, da musste er mich nicht noch die ganze Zeit wie einen hungriger Wolf ansehen. Endlich gingen wir in den Sinkflug und landeten bald darauf. Im Flughafen angekommen stürzte ich schon fast zum Gepäckband und schnappte meine Tasche als sie an mir vorbeirollte. Ich wollte möglichst schnell eine möglichst große Entfernung zwischen diesen Kerl und mir bringen. Ich hatte auch schon eine Idee wie ich dies wenigstens für die nächsten Minuten auch ganz sicher schaffen konnte. Als ich die Damentoilette betrat kam mir der recht angenehme Duft von Seife entgegen, es roch sauber und gepflegt. Das musste man dem Flughafen in New York lassen, Hygiene wurde groß geschrieben. Nach einem kurzem Aufenthalt in der Damentoilette machte ich mich auf in Richtung Wartezone um dort etwas zu essen zu finden. Zwar war es mitten in der Nacht, doch trotzdem meldete sich so langsam mein Magen. Immer darauf bedacht dem Fremden nicht zu begegnen schlurfte ich durch die große Halle. Zwar waren trotz der späten Stunde noch viele Menschen hier, diese saßen aber meist auf den Wartebänken und dösten oder flüsterten miteinander. Die wenigsten waren so wie ich aktiv und noch weniger waren im Moment auf der Jagd nach etwas essbarem. Es gab mehrere Cafés und Snackbars, aber irgendwie wollte mir nichts so richtig zusagen. Nach einigen Minuten der Suche bestellte ich mir schließlich ein Sandwich und einen Coffee to Go und begab mich mit meiner Beute zurück in den Warteraum. In diesem Moment war ich wirklich froh, dass das Nachtfluggesetz hier so locker war, ansonsten hätte ich noch verdammt lange warten können bis sie die nächste Maschine beladen hätten. Aber so könnte ich nachdem ich gegessen hatte schon mein Gepäck zum Band bringen und anschließend einchecken. Bequem ließ ich mich in meinen Sitz sinken und atmete tief durch. Ich legte den Kopf zurück und schloss die Augen, aus irgendeinem Grund waren die Sitze in dieser Maschine bequemer als die der letzten. Endlich bezog die Stewardess ihren Platz am Anfang der Kabine und begann und durch ein Mikrofon hindurch Sicherheitsvorschriften zu erklären. Endlich leuchteten die Gurtzeichen, endlich hoben wir ab. Nach kurzer Zeit war ich eingedöst, wurde allerdings wach sobald die Sonne begann ihre Strahlen nach den Wolken auszustrecken und ein neuer Tag begann. Zwar war dieser Flug wesentlich kürzer als der letzte, doch reichte die Dauer aus, dass die Sonne sich ziemlich weit in ihrer Bahn fortbewegen konnte. Als wir in Seattle landeten war nicht mehr viel von der Sonne zu sehen, eine dichte Wolkendecke überlagerte die Erde und ließ den Strahlen aus Licht keine Chance hindurchzudringen. Schnell holte ich mein Gepäck und verließ den Flughafen. Ich suchte mir einen Bankautomaten und hob etwas Geld ab. In diesem Moment war ich froh, dass ich mein Konto hier in den USA behalten hatte, meine Großmutter hatte es mal mit mir eröffnet und mir jeden Monat ein wenig Geld überwiesen, auch zu den Zeiten, wenn ich nicht bei ihr war. Aber so hatte ich nun wenigstens ein paar finanzielle Möglichkeiten und stand nicht ohne alles da. Schnell fand ich ein Taxi, welches mich zum Hauptgebäude der Versicherung fuhr. Dort angekommen suchte ich denjenigen, welcher mir in dem Schreiben als mein Ansprechpartner genannt wurde, einen Bob Miller. Schnell fand ich besagten Mr. Miller, welcher mir auch großzügig Zeit zwischen seinen ansonsten enggestrickten Terminen einräumte. Zu meinem Erstaunen ging alles schneller als ich dachte, ich musste beweisen, dass ich auch wirklich Jessica Valentine bin und ihnen meine Kontodaten geben. Anscheinend war meine Großmutter eine gute Kundin gewesen, wie ich mich erinnern konnte hatte sie auch für alles mögliche Versicherungen abgeschlossen. Die Versicherungssumme betrug 200.000$ und sollte nun bar auf mein Konto übergehen. Zudem hatte ich knapp 10.000$ zur Verfügung um eine angemessene Beerdigung auszurichten. Im Schreiben hieß es zwar, dass ich solle der Beerdigung beiwohnen und sie nicht ausrichten, aber irgendwie war ich auch froh, dass ich ein wenig darüber entscheiden konnte, was nun mit dieser lieben Frau passieren sollte. Ich wusste, dass dies noch einige unangenehme Gänge werden würden, aber da musste ich nun durch. Als ich das Versicherungsgebäude verließ war es bereits Mittag. So nahm ich mir das nächste Taxi und ließ mich zu der Adresse des Notars fahren. Zu meinem Glück war diese nicht weit entfernt und nun hoffte ich noch darauf, dass der Notar es verstehen würde, dass ich ohne Termin kam. Ich betrat das Gebäude und merkte sofort wie gut dieses klimatisiert war. Hinter einem kleinem Empfang saß eine Sekretärin mittleren Alters mit ordentlich zusammengebundenen Haaren und einer kleinen Lesebrille auf der Nase. Sie sah kurz auf und saß ein bisschen mürrisch aus, so als habe ich sie in ihrer Ruhe gestört. “Verzeihen Sie”, begann ich freundlich “ich möchte gern Mister Charlston sprechen, habe aber keinen Termin”, sie wollte gerade den Mund öffnen um mich sehr wahrscheinlich abzuweisen, da öffnete sich die dunkle Holztür zu meiner Linken und ein älterer Herr in einem grauem Anzug erschien “Ich bin Mister Charlston, kommen Sie herein”. Ich folgte ihm in sein Büro. Es sah edel aus und hatte an allen Wänden große Regale voll mit Büchern stehen. Der Schreibtisch war groß und wirkte massiv und schwer. Mr. Charlston ließ sich hinter diesem nieder und bot mir mit einer Handbewegung an mich zu setzten. Ich nahm das Angebot an “Danke”, sagte ich leise. “Sie sind also Miss Valentine, Ihre Großmutter hat mir bereits viel über Sie erzählt und sie hat mir dies für Sie gegeben....”, bei seinen Worten wurde mir der Hals eng und ich spürte wie sich heiße Tränen in meinen Augen zu sammeln begannen. Ich konnte sie nicht aufhalten und wischte sie mir hastig mit einem Ärmel aus dem Gesicht. Mister Charlston sah mich voller Beileid an und holte einen kleinen Umschlag aus dem Schreibtisch. In feiner Schrift mit schwarzer Tinte stand darauf nur ein Wort geschrieben »Testament«, wieder schluckte ich, konnte die Tränen jedoch besser beherrschen. “Ihre Großmutter war sehr führsorglich, sie hat sogar überall Ihre neue Adresse genannt, weshalb wir Sie auch erreichen konnten.”, seine Stimme klang leise und ruhig. Er ließ mir einen Moment Ruhe, bevor er leise sagte “Ich beginne nun mit der Testamentsverlesung des Schriftstückes von Rosemarie Valentine,”, er sah kurz zu mir und fuhr fort als ich nickte, ich musste es hinter mich bringen “Hiermit möchte ich Rosemarie Valentine, dass mein gesamter Besitz in Form meines Hauses, meiner Ländereien, meiner Lebensversicherung, meines Geldes und aller anderen materiellen Dinge in den den Besitz meiner Enkelin Jessica Valentine übergehen.”. Es entstand eine Pause in der sich ein unangenehmes, drückendes Schweigen ausdrückte. “Nehmen Sie dieses Testament und somit den letzten Willen Ihrer Großmutter an?”, fragte er in geschäftsmäßigem, aber trotzdem menschlichem Ton. Ich nickte schwach, woraufhin er mir ein Formular über den Tisch schob. Ich setzte meine Unterschrift darauf. Ab jetzt gehörte mir alles was meine liebe Großmutter aufgebaut hatte. Aber was sollte ich tun? Ich konnte das Haus unmöglich verkaufen, vor allem jetzt nicht, da dies mein Erbe war... Der Notar überreichte mir sämtliche Papiere und übertrug meinen Namen in diese. All dies geschah ohne viele Worte. Er verstand meinen Schmerz. Als ich ging nahm ich die unfreundliche Sekretärin gar nicht wahr. Ich versuchte nur meine Tränen zu unterdrücken. Ich musste mich schließlich um eine Beerdigung kümmern. Dazu musste ich zunächst nach Forks, dort hatte man sie hingebracht und sie war auch dort im Krankenhaus verstorben. Ich würde sie allerdings in Queets beerdigen. Was nun aus meinem Leben werden sollte wusste ich nicht, aber ich war mir ziemlich sicher, dass sich ab jetzt alles verändern würde. Ich brauchte nicht lange um festzustellen, dass ich wohl nie wieder nach Deutschland zurückkehren würde. Immerhin hatte ich ja schon die doppelte Staatsbürgerschaft und musste mich um nichts kümmern, was eine Aufenthaltsgenehmigung anging. Aber was tatsächlich passieren würde stand noch in den Sternen. Ich wusste nur, dass ich nun das tun musste, was wohl jeder getan hätte: Geld ausgeben. Ich brauchte zunächst einen fahrbaren Untersatz und den fand ich relativ schnell bei einem Motorradhändler. Es sollte eine Kawasaki Ninja ZX-10R ganz neu 2009 auf den Markt gekommen in der Farbe Ebony sein, dazu ein passender Helm und eine Montur, die mich bei eventuellen Stürzen schützen sollte. Mein weniges Gepäck verstaute ich Taschen, welche über den Tank gehangen und befestigt wurden. So machte ich mich auf den Weg nach Forks um mich um die Beerdigung um des wohl wichtigsten Menschen in meinem Leben zu kümmern.... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)