Die Schandsage von Kita (Von Wahren Helden und anderen Halunken) ================================================================================ Kapitel 6: Die Flucht --------------------- Flieh' durch finstere Gänge, dunkle Gassen! Flieh' durch Wälder und sei frei! Ich komme nach, ich werd' dich finden, und dann bei dir sein! Ungeduldig hatten Rhow und die anderen den Einbruch der Nacht abgewartet und noch ehe der Mond am Himmel stand, waren sie zu dem alten Kloster aufgebrochen. Nun hockten sie im Schatten einer großen Eiche und blickten zu dem altertümlichen Gebäude, dass sich wie ein schwarzes Loch gegen den Horizont abhob. Cen deutete auf die Mauer und Rhow verstand, worauf er hinaus wollte: zwei Wachposten patrouillierten auf den Zinnen. Verbittert knirschte der Landstreicher mit den Zähnen. „Das alles kostet schon wieder Unmengen von Zeit! Wer weiß, was diese Kerle mit ihr anstellen!“ Er weigerte sich, den aufkommenden Vorstellungen nachzugeben und an den Gesichtern seiner Kameraden konnte er erkennen, dass es ihnen ähnlich ging. „Wir brauchen irgendein Ablenkungsmanöver“, brummte Flint und Cen nickte zustimmend. „Ja“, sagte Rhow, „aber wie willst du das anstellen? Ich meine, ohne den beiden Kollegen da oben als Zielscheibe zu dienen?“ Gerade als Flint zu einer Antwort ansetzen wollte, bekamen sie unerwartete Hilfe: auf dem Hügel unweit des Klosters stand eine weiß gekleidete Gestalt – die junge Frau, der Irima das Leben gerettet hatte – und sang mit atemberaubender Stimme ein Lied, so bezaubernd, dass nicht nur die Wachposten für einen Moment ihre Aufgabe vergaßen. Einzig Rhow erkannte den betörenden Gesang als die Chance, die sie brauchten. Er versetzte seinen Kameraden einen harten Stoß und zischte: „Los, das ist die Gelegenheit!“ Sofort hatten auch die beiden anderen wieder einen klaren Kopf und geduckt liefen sie los, immer auf den Geheimgang unter dem Busch zu. „Nun mach schon!“, zischte Flint, worauf Rhow angespannt antwortete: „Die verdammte Falltür klemmt!“ Cen beugte sich vor, um ihm zu helfen, doch in dem Moment gab das Tor mit einem lauten Knirschen nach und alle drei fielen in den dunklen Schacht. „Au… auf die Idee mal zu drücken bist du wohl nicht gekommen?“, brummte Flint, während er sich den Staub von den Kleidern klopfte. „Nein, tut mir Leid“, antwortete Rhow mürrisch, „meine Erfahrungen beschränken sich ausschließlich auf Falltüren mit dem Hinweis bitte ziehen.“ „Noch nie eine Galgenfalltür gesehn?“ „Die Erfahrung ist mir bisher zum Glück komplett erspart geblieben.“ Cen bedeutete ihnen, still zu sein, da sich vor ihnen im Dunkel die Umrisse einer Tür abzeichneten. „Vielleicht haben wir Glück“, flüsterte Flint, „und sie führt uns direkt zu Fräulein Irima.“ Rhow brummte nur: „Bei unserem Glück führt sie direkt ins Wärterzimmer…“ Es war nicht das Wärterzimmer. „Na toll. Die Kanalisation…“, murmelte Flint. „Besser als das Wärterzimmer“, gab Rhow kontra und trat in den stinkenden Tunnel hinein. „Was ist, kommt ihr nun?“ Seine Gefährten folgten ihm schweigend und gemeinsam stapften sie durch die knöcheltiefe, braune Brühe. Im Labyrinth der Gänge kam ihnen Rhows ausgeprägter Orientierungssinn zugute. Geschickt führte er sie ins Zentrum des Klosters, wo der hohe Turm bedrohlich thronte, in dem sich – nach Aussage der „Hexe“ – die der Ketzerei angeklagten Gefangenen befanden. „Wie machst du das bloß?“, fragte Flint beinahe neidisch. „Ich könnte nicht sicher sagen, ob wir nicht im Kreis gelaufen sind…“ „Deshalb“, antwortete Rhow ihm, „habt ihr ja auch mich dabei, damit wir nicht im Kreis laufen. So… wir müssten jetzt etwa unter dem Turm sein, wenn einer von euch eine Möglichkeit sieht, nach oben zu kommen, meldet euch…“ Flint deutete in die Richtung, von der er vermutete, dass sie von dort gekommen waren, und sagte: „Ich glaube, da hinten habe ich eine Leiter gesehen…“ Langsam hob Rhow das Falltor an und blickte durch den schmalen Spalt nach draußen. „Ich denke, wir können rausklettern, ohne gesehen zu werden“, flüsterte er, worauf Flint wisperte: „Wozu auch, bei dem Gestank würde man uns sogar bei völliger Dunkelheit finden…“ „Still jetzt!“, zischte der Vagabund und zog sich durch die Öffnung in den Klosterhof. Vor ihm wuchs der Turm als schwarzer Schatten in die Höhe und Rhows Blick wanderte zu den unzähligen vergitterten Fenstern. Ein Kinderspiel…, dachte er zynisch und seufzte leise. Als Cen den Eingang in die Kanalisation hinter sich verschlossen hatte, hasteten sie geduckt zu dem schweren Eisentor, das in den Turm führte. Kein Wächter war zu sehen, was Rhow ein wenig beunruhigte. Doch nachdem Flint versucht hatte, die Tür zu öffnen, sagte er: „Wozu ein Wächter? Es ist abgeschlossen. Was machen wir jetzt?“ Cen deutete auf eines der erleuchteten Fenster über ihnen. „Tolle Idee, Narbengesicht! Wenn wir in einer verschlossenen Zelle landen, werden wir sicher –“ „Nein, Flint, er hat Recht!“, unterbrach ihn Rhow, mit neu erwachtem Feuer in den Augen. „Sieh doch! Das Fenster ist unvergittert, vermutlich ist es ein Wärterzimmer.“ „Und… das hilft uns wie?“ Der Vagabund grinste ihn an. „Viele Schlüssel und – mit ein wenig Glück – nur ein-zwei Wärter… wir müssen nur schnell genug sein.“ Cen nickte und formte mit den Händen einen Korb, um eine Räuberleiter zu bilden. Rhow stellte sich neben ihn, tat es ihm gleich und sagte zu Flint: „Du bist der Stärkste von uns, du gehst rein und schaltest die Wache aus, bevor sie Alarm schlagen kann, ja?“ Flint runzelte die Stirn und trat mit seinem Fuß in die Stütze, die Rhows Hände bildeten. „Ob das eine gute Idee ist?“ „Es ist die einzige Möglichkeit, die wir haben“, flüsterte der Landstreicher und zusammen mit Cen katapultierte er den Riesen durch das erleuchtete Fenster. Sie hörten einen überraschten Aufschrei, ein dumpfes Geräusch, das Poltern eines umfallenden Stuhles und dann sank Stille über sie. „Hey!“ Erschrocken zuckten sie zusammen, doch dann erkannten sie Flints Gesicht im Fenster. „Kommt ihr jetzt? Fräulein Irima wartet sicher schon!“ Vorsichtig schlichen sie durch die schwach erleuchteten Gänge. Die Luft roch faulig und verbraucht und von den kahlen Wänden hallten ihre Schritte wie Donner wider. „Hast du irgendeinen Plan, wo wir sie suchen sollen?“, fragte Flint so leise er konnte, worauf Rhow den Kopf schüttelte. „Uns bleibt nichts übrig, als in jede Zelle einen Blick zu wagen…“ Flint blieb stehen. „Du scherzt wohl?“ „Ich wünschte, es wäre so…“ Er stoppte. „Vielleicht sollten wir uns aufteilen.“ An der nächsten Ecke trennten sie sich, mit dem Plan, sich so bald wie möglich wieder im Wärterzimmer zu treffen. Rhow stieg langsam die enge Wendeltreppe hoch. Langsam begann er zu verzweifeln, noch immer hatte er Irima nicht gefunden. Vielleicht hatten die anderen mehr Glück…, dachte er hoffnungsvoll, denn in dem Gang vor ihm waren nur mehr vier Zellen. Fast schon halbherzig blickte er durch die kleinen Fenster in den Türen und beinahe hätte er laut aufgeschrieen, als er sie schließlich entdeckte. „Irima!“ Die Brünette sah erschrocken auf. „Wer… Rhow?“ „Warte!“ Der Vagabund schob den schweren Riegel beiseite und stolperte hastig in die Zelle. Als er sie sah, hatte er das Gefühl eine unsichtbare Hand umklammere sein Herz. Ihre Haare waren zerzaust und ihre Augen blutunterlaufen, als hätte sie geweint. Ihre Handgelenke waren von den faserigen Tauen völlig wund gescheuert und auch ihre Knöchel waren zerschunden. Eine rostige Kette war um ihren Hals gelegt und fesselte sie an die kalte Wand. Besorgt kniete Rhow sich neben sie und machte sich an den Schlössern zu schaffen. „Wie geht’s dir? Haben sie… haben sie dir etwas angetan?“ Irima, die den Landstreicher immer noch fast ungläubig anstarrte, fasste sich und schüttelte stumm den Kopf. „Einer hat versucht… er hat versucht…“ Sie schwieg, doch ihr zerrissenes Kleid sprach Bände. Plötzlich jedoch brannte wieder das Feuer in ihren Augen. „Dem ist für ’ne Weile die Lust vergangen!“ Obwohl noch immer der Schock ihres Anblicks seine Gedanken umklammerte, fiel Rhow ein Stein vom Herzen und er lachte leise. „Wie ich dich kenne, wird der Mann die nächsten Wochen nur noch mit Fistelstimme reden können…“ Auch Irima schenkte ihm nun ein Lächeln. „Danke…“ Für einen kurzen Augenblick ließ Rhow von den Fesseln ab, um sie fragend anzusehen, doch dann flüsterte er: „Dachtest du, wir lassen dich hier zurück?“ Auf diese Frage bekam er keine Antwort, doch er glaubte, sie sowieso zu wissen. „Du dachtest, ich lasse dich hier zurück…“ Er schüttelte den Kopf. „Dummkopf…“ Endlich hörte er das vertraute Klicken und das Schloss sprang auf. „Komm her…“ Sie beugte sich etwas vor, damit er ihr die Fesseln abnehmen konnte. „Jetzt nicht bewegen… die Seile sind sehr fest gebunden, ich will dich nicht verletzen, wenn ich sie durchschneide.“ Sehr darauf bedacht, ihr nicht ins Fleisch zu schneiden, löste Rhow die Fesseln und half ihr auf die Beine. Sie zitterte. „Ich… meine Beine sind eingeschlafen…“ Rhow nickte nur verständnisvoll und stützte sie. „Komm, lass uns endlich aus diesem Loch verschwinden…“ Sie waren bis zur Treppe vorgedrungen, da hörten sie von weiter unten Geschrei. „Mist… ich denke, wir wurden entdeckt!“ Ohne weiter nachzudenken, hob er Irima auf die Arme und trug sie mit hastigen Schritten die Stufen herab. Auf halbem Weg zum Wärterzimmer kamen ihm Cen und Flint entgegen. Als sie Irima auf seinem Arm entdeckten, weiteten sich ihre Augen vor Erleichterung. „Du hast sie gefunden!“, rief Flint und schlug gleichzeitig einen ihrer Verfolger nieder. „Flint, nimm du sie! Wenn wir fliehen müssen, bist du sicher schneller als ich!“ Sie flüchteten ins Wärterzimmer und verrammelten die Tür hinter sich. „Los, raus aus dem Fenster!“, schrie Rhow. „Sie werden sicher nicht hier oben auf uns warten!“ Flint stieg zuerst aus der Öffnung und fing, unten angekommen, Irima auf, die zu ihm herab sprang. Rhow und Cen folgten ihnen und gemeinsam stürzten sie zu ihrem Fluchttunnel, als plötzlich lautes Gebell erklang. „Verdammt, sie haben die Hunde losgelassen!“, rief Flint und presste Irima fester an sich. „Sie werden sie nicht kriegen!“ Rhow war stehen geblieben und sah in die Richtung, aus der ihre Verfolger sich ihnen bedrohlich näherten. „Was tust du?“, brüllte der Riese ihn an, doch Rhow winkte nur ab. „Lauft endlich, verdammt! Flieht in die Wälder, dort werden sie euch auf Dauer nicht weiter verfolgen! Ich komme später nach!“ „Und wie willst du uns finden?“, schrie Irima fast verzweifelt, worauf Rhow sie breit angrinste. „Du vergisst wohl, mit wem du hier sprichst… jetzt lauft!“ Und mit diesen Worten lief auch er los, allerdings ihren Angreifern entgegen. „Rhow!!“ Irima versuchte, sich aus Flints Griff zu befreien, doch der packte sie fester und folgte Rhows Befehl. Wir bringen sie in Sicherheit, Rhow… versprochen! Es dämmerte bereits, als die drei im tiefen Wald endlich eine Verschnaufpause einlegten. Fröstelnd legte Irima die Arme um den Körper, doch als Cen ihr seinen Mantel umlegen wollte, schüttelte sie den Kopf. „Mir ist nicht kalt, Cen… ich mache… ich mache mir Sorgen um Rhow.“ Cen sah schweigend zur Seite und auch Flint wich ihrem Blick aus. Wie zuvor Irima hatten sie nun Rhow zurückgelassen. Und nun? Woher sollten sie wissen, ob der Vagabund den Häschern entkommen war? Wie lange sollten sie warten, ehe sie einen Fluchtversuch starteten? „Es ist doch wirklich zum Mäuse melken!“, knurrte Flint und trat einen Stein weg, der klackernd einen Abhang hinunter rollte. „Dieser verdammte Vagabund!“ Irima zog die Knie an den Körper und umschlang sie mit den Armen. Sie wusste, dass Flint es nicht böse meinte, sondern sich genauso Sorgen um ihren Begleiter machte, wie sie selbst, darum sagte sie nichts. Dafür legte Cen ihr nun doch den Mantel um. Erneut wollte sie protestieren, doch Flint sagte: „Fräulein Irima, wenn ich das so sagen darf, du siehst schrecklich aus! Dein Kleid ist völlig zerfetzt und wer immer das getan hat, kann froh sein, wenn ich ihn nicht in die Finger bekomme! Benimm dich einmal wie ein verängstigtes Weib und nimm den verdammten Mantel an. Und dann lasst uns auf Rhow warten und endlich von hier verschwinden.“ Doch sie sollten lange warten. Denn Rhow war die Flucht nicht gelungen. Nun saß er seit fast zwei Tagen in einem der finsteren Kellerlöcher, die die Wachen großzügig Zellen nannten und blickte aus dem kleinen vergitterten Spalt, durch den ein wenig Licht in den Kerker fiel. Dabei waren die Gitterstäbe völlig überflüssig, höchstens eine Maus hätte sich durch das kleine Kellerfenster quetschen können. Tja… das war’s dann wohl mit meinen Abenteuern…, dachte Rhow ein wenig melancholisch. Denn so viel hatte er schon begriffen, dass hier unten all jene eingesperrt waren, die über kurz oder lang den Weg zum Galgen beschreiten würden. Wehmütig dachte der Vagabund an all die Dinge, die er erlebt hatte, und wie immer, wenn er so in Gedanken schwelgte, begann er nach kurzer Zeit leise zu summen und schließlich sogar zu singen: „Ich schwamm mit Wellen auf hoher See, bis an den Horizont. Hab' fremde Menschen und Länder gesehen, jede Stunde hat sich gelohnt. Ich führte das Schwert mit eiserner Hand, irrte im Kriege umher. Habe die Schrecken des Kampfes erkannt, und feierte die Siege noch mehr! Ich habe unzählige Frauen gekannt, eroberte ihre Herzen. Ich hab' so manche Liebe entflammt, verursachte manche Schmerzen. Einmal bin ich den Rittern entfloh'n, zog mit den Piraten, nun sitz ich hier und ahne schon das Ende meiner Gräueltaten. Heh da! Der Henker kommt! Ich grüße euch ihr Brüder! Heh da! Der Henker kommt! Wir sehen uns nie wieder!“ Einiger seiner Zellennachbarn sahen neugierig auf und mehr als einer lauschte Rhows dunkler Stimme gebannt, in der so viel Traurigkeit mitschwang. Selbst einige der Wächter steckten interessiert den Kopf durch das schwere Eisentor, um zu hören, welcher der Todgeweihten noch so viel Unerschrockenheit besaß, sein eigenes Ende zu besingen. Bis schließlich einer von ihnen mit seiner Lanze unwirsch gegen das Gitter klopfte und Rhow anhielt, aufzuhören. Der Vagabund lachte. „Was wollt Ihr mir androhen, guter Mann? Den Tod?“ Einige der Gefangenen brachen in Gelächter aus, was der Wächter mit feindseliger Stimme zum Schweigen brachte. „Ruhe! Und du auch, Strauchdieb! Sonst wirst du mich kennen lernen!“ Rhow jedoch schüttelte nur mit einem mitleidigen Lächeln den Kopf. „Was glaubt Ihr, was Ihr mir noch zeigen könnt? Habt Ihr denn nicht zugehört? Ich war schon fast überall in diesen Landen, habe im Krieg gekämpft, für und gegen den König, habe viel verloren und viel gewonnen. Das einzig unbekannte Abenteuer, das mich noch erwartet, ist der Tod, mein Herr. Ihr könnt mir keine Angst mehr machen.“ Zustimmender Applaus ertönte von einigen besonders mutigen Häftlingen, die anderen brachen in unruhiges Gemurmel aus. Der Wächter schlug hart gegen die Gitterstäbe und versuchte um Ruhe zu kämpfen, doch er schaffte es nicht. Schließlich warf er Rhow einen giftigen Blick zu und knurrte: „Wenn du so abenteuerlustig bist, werde ich dafür sorgen, dass du dein letztes Abenteuer bald hinter dich gebracht hast!“ Wütend stapfte er davon und Rhow folgte ihm mit einem schweigenden Blick. Innerlich war er nicht ganz so ruhig, wie er vorgab zu sein, doch im Grunde hatte er dem Wärter die Wahrheit gesagt. Er fürchtete sich nicht vor dem Tod. Was er fürchtete, war das Sterben. Der Wächter hatte seine Drohung wahr gemacht, Rhow wurde am nächsten Morgen aus seiner Zelle gezerrt und sollte zum Henker geführt werden. „So viel Arbeit, nur meinetwegen? Ihr seid zu gut, mein Herr.“ „Schweig still, Vagabund!“, knurrte der Wärter und versetzte ihm einen harten Stoß in den Rücken, der ihn einige Schritte nach vorne taumeln ließ. „Dein großes Mundwerk wird dir schon noch vergehen!“ Obwohl die Sonne noch nicht sehr hoch stand, war es angenehm warm und leises Vogelgezwitscher tönte aus den Bäumen, vermischt mit dem Rascheln der Blätter im Wind. Wie friedlich es ist…, dachte Rhow, als er die hölzernen Treppen zum Galgen hinauf schritt. Eine kleine Menschenmenge hatte sich zu seinen Füßen versammelt, die dem Schauspiel beiwohnen wollte, und der Vagabund fühlte sich für einen Augenblick lang zurückversetzt in jene Tage, in denen er die Leute mit seinen Liedern verzaubert hatte. Als der Henker ihm die Schlinge um den Hals legte, schloss Rhow die Augen und ließ die Geräusche der Umwelt auf sich wirken. Die friedlichen Geräusche der Natur, die johlende Menge, ein Priester, der Worte aus der Bibel las, die Rhow nicht kannte, und schließlich das knarrende Holz unter ihm, als der Henker mit schweren Schritten zu dem Hebel schritt, der Rhows Leben beenden würde. Ich bereue nichts…, dachte er und atmete ein letztes Mal die frische Luft ein. Dann wurde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen und er fiel einen halben Meter, ehe er einen harten Ruck im Nacken verspürte. Ein Ruck, der ihm eigentlich das Genick hätte brechen müssen, es aber nicht tat. Stattdessen spürte Rhow einen mehr als harten Schlag, als er unsanft auf dem Boden unter ihm aufschlug und einige Sekunden benommen liegen blieb. Was war geschehen? Er blinzelte und kämpfte gegen eine aufsteigende Übelkeit an, die ihm der Aufprall auf den Kopf verursacht hatte. Er lag auf dem Boden unter dem Galgengerüst und rieb sich den schmerzenden Hals, um den noch immer die Schlinge lag, die er nach dieser Erkenntnis hastig abstreifte. Ist das Seil gerissen? Doch ein Blick auf das glatt durchtrennte Ende des Taus sagte ihm eindeutig, dass das kein Zufall gewesen war. Über ihm schien derweil die Hölle ausgebrochen zu sein, er hörte Kampfgeschrei und das Kreischen der auseinanderstürzenden Menge und mittendrin vernahm er eindeutig Flints wütendes Fluchen. Flint?? Rhow sah nach oben und plötzlich beugte sich ein Schatten über die Falltür. „Jetzt komm schon hoch, du verdammter Narr!“ Immer noch reichlich verwirrt griff Rhow nach der Hand, die sich ihm entgegenstreckte und ein weiteres Mal wurde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen, als der Riese ihn etwas brutaler als nötig gewesen wäre nach oben zerrte. Vom hellen Licht geblendet brauchte Rhow einige Sekunden, um sich zu sammeln, doch dann sah er einen Pfeil, der im verwitterten Holz des Galgens steckte. „Cen ist auch hier?“ Flint deutete auf einen Punkt irgendwo hinter ihm, wo Rhow den Bogenschützen schließlich nur deshalb ausmachen konnte, weil von der Brüstung immer wieder Pfeile auf ihre Gegner niedergingen. „Los, und jetzt nichts wie weg hier!“ Das ließ sich der Vagabund nicht zweimal sagen und so hasteten sie eilig davon. Lieder: - Die Flucht - Henkersmahlzeit Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)