Die Schandsage von Kita (Von Wahren Helden und anderen Halunken) ================================================================================ Kapitel 4: Geisterschiff ------------------------ Dann ein Feuer in der Nacht, das Schiff in Flammen - lichterloh! "Seht, es ist erneut erwacht, ein Mahnmal, eine Warnung wohl!" Es leuchtet hell, es leuchtet weit, es ist nicht zu übersehen und kein anderer Kapitän sah seither sein Boot zugrunde gehen. „Hey…“ Irima drehte sich um. „Was machst du hier?“, fragte sie. Langsam stellte Rhow sich neben sie an die Reling und blickte stumm auf die ruhige Oberfläche hinaus. „Ich wollte mich entschuldigen. Für das, was ich gesagt habe…“ „Ach, du meinst das dumme Weib? Schon vergessen, von mir kamen auch nicht nur nette Betitelungen…“ Einige Sekunden schwieg Rhow, dann meinte er: „Danke… Hála hat mir erzählt, dass du versucht hast, mich aufzuhalten…“ Irima lachte leise. „Aber nur halbherzig. Schließlich wärst du trotzdem fast über Bord gegangen… weiß nicht, ob ich dich wirklich bedauert hätte, du wärst es ja schließlich selber schuld gewesen.“ „Ich weiß, ich bin ein Narr. Aber als ich ihre Stimmen gehört habe… es ist einfach über mich gekommen…“ Die Frau neben ihm nickte. Einen Moment lang zögerte sie, dann fragte sie: „Melissa… wer ist sie?“ Rhow zuckte erschrocken zusammen. „Was? Hab ich… hab ich diesen Namen gesagt?“ „Ja… und es klang… als würde sie dir sehr viel bedeuten…“ „Ja… ja, das tut sie…“ Als sie den traurigen Ausdruck in seinen Augen sah, erkannte Irima, dass sie zuviel gesagt hatte und wandte sich zum Gehen. Sie hatte sich erst ein paar Schritte von ihm entfernt, da hörte sie ihn mit sanfter Stimme leise singen. „Die Sonne, die Sterne tragen Kunde von dir, jeder Lufthauch erzählt mir von dir. Jeder Atemzug, jeder Schritt trägt deinen Namen weit mit sich mit...“ Sie schluckte. Wieder dieser traurige Klang, der sie zu Tränen rührte. Ganz in Gedanken blickte Rhow aufs Meer hinaus und bemerkte gar nicht, dass Irima ihn immer noch schweigend beobachtete. Die verschwand schließlich mit einem leisen Seufzen unter Deck und ließ den Vagabunden allein an der Reling stehend in die Ferne starren. Erst spät in der Nacht stieg Rhow unter Deck und legte sich in seine Koje. Ich hab lange nicht mehr an sie gedacht… sehr lange… so lange, dass ich sie schon fast vergessen hatte. Er runzelte die Stirn. Sie ist ihr so verdammt ähnlich… Mist! Zwei Tage später sollte das erst so gute Wetter bedrohlich umschlagen. Schon in den frühen Morgenstunden frischte der Wind auf, die Wellen wurden stärker und das Schiff schaukelte im wilden Wasser hin und her. „Gott… ist mir schlecht…“ Es war schwierig zu sagen, wessen Gesichtsfarbe ungesünder aussah, Flints oder Cens… beide standen weiß wie die sprichwörtliche Wand über die Reling gebeugt, einen grünlichen Schimmer um die Nase, und brachen um die Wette. Hála stemmte sich mit aller Macht gegen das Steuer, während Rhow und Irima alle Mühe damit hatten, die Segel zu bändigen. „Wie kann das bloß in so kurzer Zeit so stürmisch werden?!“, schrie Irima durch das Unwetter. Ihre Haare waren schwer vom Wasser und hingen ihr in Strähnen in die Augen. Auch Rhow konnte kaum etwas sehen durch die blonden Zotteln, die ihm im Gesicht klebten, der dichte Regen tat sein übriges. „Das ist das Meer, es kann sich in Sekundenschnelle von deinem besten Freund in deinen ärgsten Feind verwandeln!“, brüllte er zu ihr zurück. „Du klingst, als hättest du Erfahrung damit! Warst du schon mal auf dem Meer?!“ „Was?!“ „Ob du schon mal auf dem Meer warst!!“ „Ich versteh dich nicht!!“ Irima gab auf. „Ach, vergiss es, nicht so wichtig!!“ In Wahrheit hatte Rhow sie sehr wohl verstanden. Ja, er hatte Erfahrungen mit dem Meer gemacht, doch diese Erfahrungen waren Teil eines Lebensabschnittes, an den er nicht mehr denken wollte. Sie waren zu schmerzvoll, auch wenn sie schon Jahre zurücklagen. „Verdammt, ihr zwei, hört endlich auf zu kotzen und helft uns mal!!“, schrie Hála durch den Wind und klang dabei mehr verzweifelt als wütend. Das Schiff war so konstruiert, dass man es mit nur sechs Mann steuern konnte, doch im Moment waren sie nur zu dritt – Gwen war auf ausdrücklichen Befehl ihres Vaters unter Deck geblieben – und konnten jede helfende Hand gebrauchen. Sie würden sonst mit Mann und Maus untergehen. Mit sichtbarer Überwindung entfernte Cen sich von der Reling und griff nach einem der lose im Sturm flatternden Taue. Es dauerte einige Sekunden und alle Übelkeit war der Anstrengung gewichen, die der Kampf gegen den Wind mit sich brachte, der an den Segeln riss als wollte er sie für sich beanspruchen. „Das hat keinen Sinn!“, schrie Hála. „Es wird die Segel zerfetzen, wir müssen sie einholen!!“ Ein Blick in die Takelage ließ Irimas Herz einen angstvollen Satz machen. „Da hoch?“ Selbst durch den dichten Regen konnte Rhow ihr plötzlich käseweißes Gesicht erkennen und rief: „Flint!! Beweg dich endlich her und hilf und mit den verdammten Segeln!!“ Der Riese bewegte sich schwankend auf ihn zu und ergriff das Tau, das der Vagabund ihm entgegenhielt. „Was soll ich damit?“ „Festhalten!“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren drehte Rhow sich um und begann hoch in die Segel zu klettern. „Ist der verrückt?!“, schrie Flint gegen den Sturm und Irima nickte nur. Kalter Regen peitschte Rhow ins Gesicht, als er sich über einen der Querbalken beugte, um das Hauptsegel einzuholen. Fast hätte der reißende Wind ihn von der Rah geschleudert, doch die Sicherungsleine, die er sich vorsichtshalber um die Taille gebunden hatte, hatte das verhindern können. Mist… wir hätten die Segel schon viel früher bergen müssen… wenn dieser Sturm sie nicht zerfetzt, können wir wirklich von Glück reden!, dachte er bitter. Die eine Hand fest um den Mast geklammert, streckte der Vagabund die andere nach den Segeln aus, in dem Versuch, die Leinen im Alleingang einzuholen – was er natürlich nicht schaffen konnte. „Hála!!“, schrie er gegen den Sturm. „Versuch das verdammte Schiff in den Wind zu stellen, wir werden noch mit dem ganzen verwünschten Kahn kentern!!“ Der Kapitän schrie nur zurück: „Was glaubst du eigentlich, was ich hier die ganze Zeit versuche??“ Rhow schalt sich in Gedanken selbst. Natürlich wusste Hála, was er zu tun hatte – er war ein Fischer und auf dem Wasser groß geworden! Ein Blick, um die Lage an Deck zu peilen, und er rief: „Cen! Lass Irima, hilf Hála!“ Gerade, als Cen diesen Befehl befolgen wollte, brüllte Flint gegen die tosende See: „Was will der schon groß tun, lass mich das machen! Das hier erfordert Muskeln!“ „Nein, Flint, du –“ Im selben Moment, in dem Flint sich mit Hála gegen das Steuer stemmte, erfasste eine scharfe Windböe das Schiff und ein harter Ruck durchfuhr den gesamten Kahn, ehe er sich bedrohlich zur Seite neigte. Doch dank Flints Kraft konnten sie den Bug in den Wind drehen, ehe sie kenterten. „Puh… das war knapp, was Leute?“, ächzte Flint und blickte hoch in die Segel, wo Rhow bis vor wenigen Sekunden noch gewesen war. Der Riese blinzelte überrascht und glaubte schon, einer optischen Täuschung zum Opfer gefallen zu sein, doch Rhow war nicht mehr da. Als ihm das klar wurde, erinnerte er sich an den Schrei, den er im dröhnenden Orkan dumpf vernommen hatte, und einen Augenblick lang setzte sein Herz panisch aus. Doch dann hörte er den Vagabunden schimpfen: „Dieser verdammte Idiot mit seinem erbsengroßen Spatzenhirn! Lässt einfach die Sicherheitsleine los, wie kann man nur so unterbelichtet sein?!“ Erleichtert machte Flint ihn etwa 3 Meter über dem Deck an einer Leine baumelnd aus, die von Irima und Cen gehalten wurde. Irima rief: „Was erwartest du denn, wenn du niemandem sagst, dass das deine Sicherheitsleine ist, du Schwachkopf?!“ Cen nickte nur zustimmend und Rhow zeterte zurück: „Ihr habt’s doch auch geschnallt!“ „Ja, als ich gesehn hab, dass du nach unten und gleichzeitig die Leine nach oben rast! Sei froh, dass Cen und ich so gute Reflexe haben!!“ „Jetzt lasst ihn in Gottes Namen endlich runter und schnappt euch die Schoten“, brüllte Hála verzweifelt gegen den Sturm, „die Segel werden sonst noch völlig zerfetzt!“ Gerade wollte Irima etwas erwidern, als ein leuchtend goldener Schimmer auf den Segeln erschien. Im selben Moment, in dem Rhow ein überraschter Aufschrei entfuhr, ließ Cen mit einem erschrockenen Keuchen die Leine los – was Rhow einen weiteren Schrei entlockte – und zeigte mit vor Schreck geweiteten Augen auf die See unmittelbar vor dem Bug. Nicht weit entfernt von ihnen war plötzlich wie aus dem Nichts ein Schiff aufgetaucht und in Flammen aufgegangen. „Was… was ist da passiert?“, flüsterte Irima alarmiert. „Es muss auf Grund aufgelaufen sein“, stöhnte Rhow, der sich langsam wieder aufrichtete. „Wir müssen endlich aus diesem Sturm raus, sonst ergeht es uns genauso wie diesen armen Seelen da vorne…“ „Aber“, begann Irima, „wollen wir denn nichts tun?“ Rhow musterte sie mit einem traurigen Blick. „Wir können froh sein, wenn wir selbst dieses Unwetter überleben…“ Er packte eins der Taue und sah sie auffordernd an. „Los, bringen wir diesen Kahn ins Trockene!“ Mit vereinten Kräften schafften sie es, die sehr in Mitleidenschaft gezogenen Segel zu raffen und ihren Kurs soweit zu ändern, dass sie nicht wie das andere Schiff auf Grund laufen würden. Dann geschah das Seltsame: so schnell wie es aufgetaucht war, verschwand das unglückliche Schiff auch wieder. „Das ist… unheimlich“, flüsterte Irima, durch den wütenden Sturm kaum vernehmbar. Rhows Blick ging in dieselbe Richtung und er meinte nur: „Die See hat sie einfach verschluckt…“ Ja… Geschichte ist ein unaufhörlicher Kreislauf… früher oder später wiederholt sich alles…Er seufzte leise, doch Irima bemerkte seine Geste und runzelte fragend die Stirn. Irgendetwas war an Rhow, das ihr Kopfzerbrechen bereitete. Ein Geheimnis, eine Geschichte aus seiner Vergangenheit, irgendein Vorfall, der ihm diese traurige Stimme verlieh, wann immer er seine wunderschönen Lieder sang. Irgendwie hatten sie es schließlich geschafft, ihr Schiff aus dem Sturm zu manövrieren und lagen nun im seichten Wasser vor der Küste vor Anker. In der Ferne konnten sie zusehen, wie sich das Gewitter langsam auflöste, die schwarze Wolkendecke aufriss und dahinter der blaue Himmel zum Vorschein kam. Ein Anblick, über den sie sich nicht lange erfreuen konnten, den schon bald zog dichter Nebel auf. Durch die weißen Schwaden hindurch lenkte Rhow ein kleines Beiboot zum Strand, um mit Cen zusammen nach Überlebenden des Schiffunglücks zu suchen. Eine Weile durchstreiften sie die Gegend, doch nicht einmal Spuren zersplitterten Holzes ließen auch nur im kleinsten Ansatz auf ein Unglück schließen, wie sie es wenige Stunden zuvor beobachtet hatten. Fragend sah Rhow zu Cen, doch auch der zuckte nur nichts ahnend mit den Schultern. „Und?“, fragte Irima besorgt, doch die beiden Männer schüttelten nur den Kopf. „Nichts… und ich meine gar nichts. Nicht mal ein Holzsplitter! Als wäre gar nichts passiert! Ich versteh das nicht…“ „Das war das Geisterschiff!“ „Gwen?“ Wie immer war Flint bei der bloßen Erwähnung des „G-Wortes“ erschrocken zusammengezuckt. „Geister…schiff?“ Das Mädchen nickte. „Ja. Vor vielen Jahren haben Piraten ein Schiff hier auf die Klippen gelockt, es ist untergegangen und hat die gesamte Besatzung in die Tiefen der See gezogen.“ Irima hob fragend eine Augenbraue. „Für ein Kind in deinem Alter redest du ganz schön hochgestochen, findest du nicht?“ Gwen streckte ihr frech die Zunge raus und antwortete: „Ich erzähle die Geschichte nur so, wie sie die Fischer im Dorf erzählen.“ Nachdenklich kratzte Rhow sich am Kinn. „Das Geisterschiff…“ „Das war klar“, spöttelte Flint, „du kennst natürlich alle Geistergeschichten, nicht wahr?“ Rhow überging seine Bemerkung und meinte: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich an diesen Ort noch einmal zurückkehren würde…“ „Was?“ Überrascht sahen seine Reisegefährten ihn an. „Du warst schon einmal hier?“ Der Vagabund nickte. „Ja… vor ziemlich langer Zeit… Dass es mich noch einmal hierher verschlagen würde…“ Wieder bemerkte Irima, wie sein Blick in die Ferne wanderte und an einem Punkt verweilte, der für alle anderen unerreichbar war – und vielleicht auch für ihn selbst. „Rhow? Alles… alles in Ordnung?“ „Was?“, schreckte Rhow aus seinen Gedanken auf, ehe er sich wieder fing und lachte. „Oje, da schwelge ich doch tatsächlich in alten Erinnerungen… dabei ist das wirklich schon eine kleine Ewigkeit her… jedenfalls“, er stemmte die Hände in die Seite, „sind wir am Ziel… wir haben das andere Ufer erreicht.“ Flint zuckte zusammen. „Kannst du das nicht anders ausdrücken? Ich hoffe, dass mir noch etwas Zeit bleibt, bevor ich das andere Ufer erreichen werde…“ Der Landstreicher brach in schallendes Gelächter aus. „Ich kann’s immer noch nicht glauben, dass ein Riese wie du an Geister glaubt!“ Flint packte ihn am Kragen und knurrte: „Wenn du nicht an Geister glaubst, wie erklärst du dir dann das Schiff?“ Rhow seufzte und meinte nur: „Was soll ich dir darauf sagen…? Ehrlich gesagt, ist es mir egal, was uns da heute vor dem Riff gerettet hat… das Ergebnis ist, was zählt.“ Mit einem weiteren Knurren ließ Flint ihn los und stapfte davon. Nachdem Rhow seine Kleider geordnet hatte, wandte er sich an Hála und seine Tochter. „Was macht ihr jetzt? Eure Mannschaft ist weg, wie kommt ihr wieder nach Hause?“ Hála lachte. „Das ist kein Problem… man braucht sechs Leute zum segeln. Aber wir können uns auf dem Heimweg von der Strömung treiben lassen.“ „Und was macht ihr“, warf Irima ein, „wenn ihr wieder in ein Unwetter geratet?“ Der Fischer lächelte sanft. „Ich vertraue darauf, dass wir sicher nach Hause kommen.“ Irima wollte etwas erwidern, doch Cen legte ihr mit einem stummen Kopfschütteln die Hand auf die Schulter und hielt sie davon ab. Lieder: - Dein Anblick - Geisterschiff Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)