Die Schandsage von Kita (Von Wahren Helden und anderen Halunken) ================================================================================ Kapitel 2: Der Sumpf -------------------- In klaren Vollmondnächten, Hört man das Volk berichten, Gestalten steigen aus dem Moor, Tanzen herum und singen im Chor, Von ihren Schicksalsqualen - Im Turm die Glocken schlagen! Schon nach wenigen Tagen war klar, dass Rhow nicht der einzige war, der ein Auge auf Irima geworfen hatte, auch Flint zeigte deutlich Interesse. Selbst der Schweigsame schien nicht abgeneigt zu sein, was er jedoch nicht so offensichtlich kundtat wie die beiden anderen. Zwischen denen gab es mehr als nur einen unangenehmen Zwischenfall, was Irima stets mit einem genervten Augenrollen kommentierte. So vergingen zwei Wochen, in denen die kleine Gruppe sich immer mehr der Landesgrenze näherte, ohne auch nur einen Hinweis auf den Dieb zu finden. Im Laufe der dritten Woche erreichte ihre Laune den absoluten Tiefpunkt, als sie an den großen Sumpf kamen, der sich kurz vor der Grenze über den Horizont erstreckte. Missmutig stapften sie durch den Morast, sehr darauf bedacht, keinen falschen Schritt zu tun – es könnte ihr letzter sein. Als es gegen Abend zu gefährlich wurde weiterzureisen, suchten sie sich einen Platz, an dem der Boden fest genug war, um Rast zu machen. Nachdem Rhow ein Feuer entzündet hatte, saßen sie schweigend um die knisternden Flammen herum und starrten Löcher in die Luft. Dann, ganz in Gedanken versunken, begann Rhow leise zu singen. „Angst und Dunkel um mich her, weh’ – mir wird das Herz so schwer, dass ich Heim und Weib verlassen musst’, das vergess’ ich nimmermehr! Feuerschein in tiefster Nacht, warten auf den Tag der Schlacht. Trübe Augen unterm Sternenzelt, blicken wie erfror’n und leer, tragen Kunde von der Macht der Welt – Last der Menschen schwarz und schwer! Weit, so weit, wo die Sonne den Morgen grüßt. Weit, so weit, wo die Sehnsucht wohnt. Wo dein Mund mir lacht, bin ich jede Nacht, wenn die Seelen wandern geh’n.“ Als Rhow auffiel, dass er nicht nur in Gedanken, sondern laut gesungen hatte, verstummte er augenblicklich. „Entschuldigt bitte...“, murmelte er und stand auf. Die anderen sahen ihm schweigend nach. Irima schluckte. „Das war... wunderschön...“ „Das... das ist wahr“, stimmte Flint ihr widerwillig zu. Innerlich fluchte er leise, denn auch ihn hatte Rhows traurige Stimme berührt. Schweigend erhob sich der Bogenschütze und blickte stirnrunzelnd in die Richtung, in der Rhow verschwunden war. Dann folgte er ihm. Rhow erschrak, als der Schweigsame ihn hart am Arm packte. Ohne ein Wort zu sagen, aber mit vorwurfsvollem Blick, zog er ihn zurück zu ihrem Lager. „Hey, was soll das?“, versuchte Rhow zu protestieren, doch der Schütze drückte ihn gewaltsam auf seinen Platz am Boden. „Was soll das?“, wiederholte der Vagabund erbost, doch Irima antwortete anstelle des Schützen: „Der Sumpf ist gefährlich! Kennst du denn nicht die Geschichten? Immer wieder versinken hier Menschen.“ Flint nickte und erschauderte. „Ja, und in klaren Vollmondnächten steigen sie aus dem Moor, tanzen und singen und erzählen von ihren Schicksalsqualen! Und dazu schlagen die Glocken der alten, zerfallenen Kirche!“ Rhow lachte laut auf. „Was denn, ein Kerl wie du hat Angst vor Geistern? Das sind doch nur Geschichten, die Eltern ihren Kindern erzählen, damit sie nachts nicht im Sumpf herumlaufen!“ „Das sagst du!“, ereiferte sich Flint. „Aber was ist mit den Menschen, die die Geister gesehen haben?“ Der Landstreicher zuckte mit den Schultern. „Wer weiß? Vielleicht hat ein Säufer sich her verirrt und zur Abwechslung mal keine weißen Mäuse, sondern weiße Frauen gesehen?“ Irima kicherte leise. „Oder die Liebespärchen, die ein kleines Abenteuer suchen... soll’s ja geben.“ Gerade, als Flint ihnen zustimmen wollte, begannen nicht weit von ihnen die alten Glocken zu läuten. Panisch sprang Flint auf und sah sich hektisch um. „Oh nein, jetzt geht es los! Gleich werden die Geister kommen!“ Obwohl Rhow nicht an Geister glaubte, wurde auch er unruhig. Trieb sich etwa jemand in dem baufälligen Gebäude herum? Nur Irima und der Schweigsame blieben gelassen. „Jungs, kriegt euch wieder ein! Es gibt keine Geister!“ „Und wie erklärst du dir das Läuten? Ist das vielleicht der Wind??“, rief Flint aufgebracht. Langsam stand Rhow auf und drehte sich in die Richtung der alten Kirche. „Nein. Aber vielleicht ist es ja unser Dieb.“ „Und wieso um alles in der Welt sollte unser Dieb die Glocken läuten?“, fragte Irima spöttisch. Rhow grinste sie an. „Vielleicht will er mit seinen Kumpanen in Kontakt treten. Was wäre denn wohl besser als Versteck geeignet, als ein baufälliger Turm, um den sich unzählige Gruselgeschichten ranken, dass sogar Männern wie Flint die Knie schlottern? Und wenn dann auch noch die Glocken läuten... wer würde sie da schon suchen?“ Die Frau kratzte sich am Kinn. „Da ist was Wahres dran... vielleicht sollten wir das überprüfen.“ „Was?“, rief Flint voller Panik. „Ihr wollt doch nicht wirklich in diese Ruine, oder?“ Als Antwort dazu schulterte der Schweigsame seinen Bogen und ging voraus. Aus der Nähe betrachtet wirkte das alte Bauwerk sogar noch baufälliger. Die Kirche war vollständig zerstört, einzig der Turm stand noch. Das Mauerwerk war überwuchert von Blattwerk und Sträuchern und lange Risse zogen sich über die kalten Steine. Das hölzerne Tor hing lose in den Angeln und schwankte knirschend im Wind. „Na, dann wollen wir doch mal!“ Mit langsamen Schritten trat Rhow unter dem Torbogen hindurch und stand nun am Fuße einer extrem baufälligen Treppe. Skeptisch musterte er die brüchigen Stufen und meinte: „Also, alles was recht ist, mich kriegen da keine zehn Pferde hoch! Dieses Ding bricht mir sonst unter den Füßen zusammen!“ Irima grinste ihn neckisch an. „Zu schwer, hm? Dann werde ich wohl gehen müssen. Aber erwartet nicht, dass ich dann drei Viertel der Belohnung an euch abtrete!“ Doch bevor sie einen Fuß auf die Stufen setzen konnte, hielt Rhow sie zurück. „Warte! Das ist zu gefährlich! Wenn sie einstürzt, können wir dir nicht mehr helfen!“ „Ich finde es ja süß, dass du dir solche Sorgen um mich machst, aber glaub mir, ich kann wirklich auf mich aufpassen.“ „Vergiss es!“, widersprach Rhow. „Der ganze Turm könnte einstürzen.“ „Hör mal, wie glaubst du denn, ist unser Dieb da rauf gekommen? Siehst du noch einen anderen Weg außer der Treppe?“ Rhow schüttelte den Kopf. „Ich glaube mittlerweile nicht mehr, dass unser Dieb hier ist. Diese Kirche ist zwar als Versteck gut geeignet, aber in den Turm zu steigen wäre glatter Selbstmord.“ „Ha! Und wer läutet jetzt die Glocken?!“, rief Flint triumphierend, bis ihm aufging, dass es ja dann doch die Geister sein mussten und er erschauderte. Doch der Schweigsame deutete grinsend nach oben. Die anderen erkannten, was er ihnen sagen wollte: nicht nur waren im oberen Teil des Turmes einige große Fenster, auch war ein großes Stück der Mauer herausgebrochen, so dass die Glocke im Wind hin und her schwang und ihr unheimliches Läuten verbreitete. „Also doch der Wind… So viel zu deinen Geistern, Flint!“, lachte Irima. Lachend, aber auch enttäuscht über die erneute Pleite, verließen sie das Gemäuer. Flint seufzte. „Jetzt sind wir wieder keinen Schritt weiter gekommen. Wenn das so weitergeht, werden wir diesen verdammten Dieb niemals erwischen.“ Rhow verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sagte gelassen: „Nicht so pessimistisch, bitte. Wir finden ihn. Früher oder später. Auch, wenn mir früher lieber wäre als später...“ Der Schweigsame stimmte ihm nickend zu und ging an ihm vorbei. Plötzlich gab der Boden unter ihm nach und er brach mit einem spitzen Schrei ein. Irima und Rhow hatten blitzschnell reagiert und ihn am Arm gepackt, ansonsten wäre er mehrere Meter tief gestürzt. „Gut... festhalten!“, ächzte Rhow und zusammen versuchten sie, den Schützen aus dem Loch zu ziehen, doch erst mit Flints Hilfe schafften sie es. Neugierig blickte Irima in die fast vier Meter tiefe Grube. „Was mag das sein?“ „Eine Gruft“, meinte Rhow. „Dort unten liegen vermutlich die Leichen von denen, die sich ein Grab nicht leisten konnten, oder durften. Ihre toten Körper hat man in diese Grube geworfen und dort verrotten sie nun. Dass die Holzabdeckung irgendwann morsch wird, ist klar.“ Er grinste den Schützen an. „Hast noch mal Glück gehabt. Wäre sicher nicht sonderlich gemütlich da unten gewesen.“ „Danke“, murmelte der Schweigsame und erntete dafür erstaunte Blicke der anderen. „Du... du sprichst! Du kannst also doch reden!“, rief Rhow überrascht. „Wieso hast du bisher den Mund nicht aufgemacht? Ich meine, du hättest uns doch wenigstens deinen Namen verraten können?“ Doch der Schütze hatte offenbar nicht vor, seine bisher gehaltene Tradition des Schweigens ein weiteres Mal zu brechen und machte sich stumm auf den Weg zurück in ihr Lager. Missmutig verzog der Landstreicher die Miene und stemmte die Hände in die Seite. „Wie unhöflich!“ Auch weitere Versuche, den nun wieder Schweigsamen zum Sprechen zu bewegen, scheiterten kläglich und so legten sie sich schließlich zur Ruhe, um wenigstens den letzten Rest der Nacht noch zu rasten. Am frühen Morgen wachten sie mit den ersten warmen Sonnenstrahlen auf und reckten sich verschlafen. „Und, sind dir im Schlaf noch irgendwelche Geister erschienen?“, neckte Irima Flint, der daraufhin ein unverständliches Grummeln von sich gab und beleidigt abzog. Rhow legte seiner Erwählten den Arm um die Schulter. „Endlich allein...“, lachte er und wurde von der jungen Frau unsanft beiseite gestoßen. „Lass den Quatsch!“, knurrte sie. „Schlimm genug, dass du heute Nacht deine Finger nicht bei dir lassen konntest!“ Rhow blinzelte. „Was?“ „Tu nicht so unschuldig, denkst du, ich hab das nicht mitbekommen?“ Der Vagabund hob abwehrend die Hände. „O nein. Nein! Ich hab nichts getan! Das schwöre ich dir, bei allem, was mir heilig ist!!“ „Oh, da kann ich sicherlich was drauf geben. Wie viel ist das Wort eines Landstreichers wohl wert?“ Augenblicklich verfinsterte sich Rhows Miene. „Ach, glaub doch, was du willst!“ Und damit stapfte er wütend davon. Irima fuhr sich durch die langen Haare. „Idiot!“, dachte sie, löschte die Glut und folgte ihm. „Du hast Fräulein Irima belästigt?!“ Flint verpasste Rhow einen harten Stoß vor die Schulter und funkelte ihn kampfeslustig an. Doch Rhow konterte: „Pah, was soll das werden? Schiebst du jetzt deine unkontrollierten Triebe auf mich, oder wie?“ „Was?“, ereiferte sich Flint. „Ich hab sie nicht angerührt!“ „Ja, genauso wenig wie ich!“, rief der Vagabund. „Aber das Wort eines Landstreichers zählt ja nicht!“ „Hey, bist du etwa eingeschnappt?“, fragte der Riese, diesmal sichtlich überrascht. „Nein, wieso?! Ich lass mich nur nicht beschimpfen, schon gar nicht für etwas, das ich nicht getan habe!“ Flint kratzte sich am Kopf. „Aber... dann bleibt ja nur noch... Hey, Narbengesicht! Was fällt dir ein, Fräulein Irima anzufassen?!“ „Cen!“ „Was?!“ „Mein Name ist Cen. Merk ihn dir, du zu groß geratener Affe! Und ich hab mich ihr nicht einmal genähert.“ Mehr sagte er nicht, sondern ging weiter seines Weges. „Aber...“ Die Augen voller Grauen sah Flint zurück zu ihrem Lagerplatz. „Wenn das keiner von uns war... ... ...“ Er schluckte, doch bevor er noch etwas hinzufügen konnte, klopfte Rhow ihm auf die Schulter – was nicht ganz einfach war, bei dem Größenunterschied. „Denk lieber nicht darüber nach. Auf dem Rückweg müssen wir hier nämlich noch mal durch...“ Lieder: - Klagelied - Der Sumpf Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)