Asylum von Pudel (Die Wahrheit über den Wahnsinn) ================================================================================ Kapitel 15: II.VI ----------------- Akt II: Enjoy the Aslyum Szene VI Es ist was faul im Staate Dänemark. Und nicht nur da. Farin sieht von seiner Originalausgabe Hamlets auf, die er, Rod sei Dank, doch noch in den Händen halten kann. Er sitzt im Gemeinschaftsraum – auf Wunsch seines Therapeuten – und liest, Rod sitzt unweit in einem Sessel und tut, was auch immer er tut, Farin hat sich nie erkundigt, vermutlich komponiert er. Und Bela streicht um seinen Sessel herum wie ein Aasgeier. Und definitiv keiner von der niedlichen Sorte. Selbst Farin bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Er kann nicht den Finger darauf legen, aber er hat auch das Gefühl, wenn er das tun könnte, würde alles explodieren. Vor allem Bela. Rod runzelt die Stirn und streicht unwirsch etwas auf seinem Zettel durch. Farin schließt die Augen. Am liebsten würde er sich in sein Zimmer verdrücken. Diese seltsame Atmosphäre behagt ihm ganz und gar nicht. Rod beginnt leise zu summen, die Augen krampfhaft geschlossen. Farin kommt der Ausdruck verbissener Unzufriedenheit bekannt vor, es will ihm nur nicht einfallen, woher. „Es gibt ja Leute, die leben in ihrer Traumwelt“, flötet Bela mit einem eindeutig herablassenden Blick in Richtung Rod, der begonnen hat, mit dem Fuß rhythmisch auf den Fußboden zu tappen. Farin fällt ein, woher er den Ausdruck kennt: Die verzweifelte Suche nach einem Wort, von dem er genau weiß, dass es existiert, das ihm aber partout nicht einfallen will, lässt ihn auch alles andere ausblenden. Vielleicht ist es die Entdeckung dieser weiteren Gemeinsamkeit, die ihn veranlasst, den Kopf langsam in Richtung Bela zu drehen. „Wer im Glashaus sitzt…“, sagt er, lässt den Satz unvollendet. „…sollte im Keller ficken!“, grölt einer der Alkoholiker. Bela wendet sich Farin zu, blitzschnell, es lässt ihn an eine zustoßende Kobra denken. Er stützt sich an den Armlehnen des Sessels ab und sieht ihm direkt in die Augen, während sein Gesicht sich Farins nähert, bis ihre Nasen sich berühren. „Ach, sieh an, du fängst an, Leute zu verteidigen! Fortschritt, Fortschritt, fragt sich nur, ob die Richtung die richtige ist!“ Farin lehnt sich so weit wie möglich in seinem Sessel zurück, Bela rückt nach. Farin schnappt nach Luft, die Nähe beginnt, mehr als nur unangenehm zu werden, schnürt ihm die Kehle zu. Farin beißt die Zähne zusammen, stößt Bela unbeholfen vor die Brust. Zuerst leicht, dann, als es nicht hilft, so hart, dass Bela zurückstolpert und sich gerade so vom Fallen bewahren kann. Spätestens jetzt ruhen alle Augenpaare auf ihnen, eher interessiert als ängstlich. Nicht nur körperlich aus dem Gleichgewicht gebracht, braucht Bela eine Sekunde, um sich zu fangen, ehe er beginnt, wie ein Rohrspatz zu schimpfen. Rod hebt den Kopf, betrachtet kurz und mäßig interessiert die Situation und murmelt leise: „Wo ist dein Problem, Bela?“ Womit er die ungeteilte Aufmerksamkeit des kleinen Energiebündels hat. „Wo mein Problem ist, fragst du?! Sag mal, was fällt dir eigentlich ein? Kommst hier rein und meinst dich in unser Vertrauen einkaufen zu können, kleiner Schnösel, du hast doch keine Ahnung von absolut nichts!!“ Es folgt eine Tirade der schönsten Schimpfwörter in allen möglichen Sprachen, sogar ein paar Spanische sind dabei, bemerkt Farin. „Das ist grammatikalisch falsch, Bela“, sagt er langsam, „Er kann nicht keine Ahnung von nichts haben…“ Bela holt noch nicht einmal Luft, er dreht sich einfach zu Farin um und adressiert den wahren Wasserfall von Beschimpfungen nun an ihn, „- und du Eisklotz von einem Burnout, bildest dir wasweißichwas auf dein Altjungferndasein ein, scheiße, aber deine Freundschaft kriegt man für Geld! Das ist doch Prostitution, Emotionalprostitution, du - verdammte - Nutte!!“ Farin fühlt etwas in sich aufsteigen, das er seit Jahren nicht mehr gefühlt hat: Wut. Grenzenlose, heiße, rote, brodelnde Wut, die ihn auf die Füße reißt, bereit, sich auf Bela zu stürzen. Dass er keine Chance hat, ist ihm egal, dass alle zusehen, dass Rod ihn aus großen Augen anstarrt, während er sich schon aus dem Sessel erhebt und die zwei Schritte zu Farin geht, alles hat kein Gewicht. Bis Rod ihm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter legt. Farin erstarrt zur Salzsäule, in ihm ist so viel Ablehnung gegen die Berührung, dass er nicht einmal mehr in der Lage ist, klar zu denken, geschweige denn, den beruhigenden Worten Rodrigos zuzuhören. Bela geht es ähnlich. Er verengt die Augen, als er die freundschaftliche Geste sieht, seine Kiefermuskeln treten hervor, so stark presst er seine Zähne zusammen – nur den Bruchteil einer Sekunde, dann ist Bela mit einem Satz bei Rod und reißt ihn von den Füßen. Ohne zu zögern, schlägt er auf ihn ein, sich nicht im Geringsten von Rods instinktiven Abwehrversuchen stören lassend. Farin starrt auf das Knäuel am Boden. Bela faucht unzusammenhängende Schimpfwörter, von Rod kommt kein Ton, noch nicht einmal als Bela ihm die Faust in den Magen rammt. Als die entsetzten Pfleger ankommen, hat Rod schon aufgehört, sich zu wehren. Vier Männer sind nötig, um den um sich tretenden und schlagenden Bela von Rod zu lösen; Farin sieht eine Frau mit rot- pinken Haaren etwas abseits von dem Haufen der Zuschauer anerkennend nicken. Alle stehen um Bela und die Pfleger herum, interessiert, begeistert, entzückt, begierig, wie alle Schaulustigen – nur ehrlicher. Farin hat nie wirklich realisiert, wo er sich befindet. Letzten Endes hatte der Kleine doch Recht, als er ihn bezichtigte, die Anstalt als Erholungsheim zu sehen. Aber jetzt und hier, zwischen begierigen Patienten und dem immer noch zappelnden und spuckenden Bela, hätte es nicht klarer sein können. Es wirkt beinahe wie Hohn, als eine Schwester – Farin erkennt die Schlüsselhüterin – schließlich eine Zwangsjacke bringt. Farin wendet sich ab und geht auf sein Zimmer. Er wüsste nicht, warum er sich das hier noch eine Sekunde länger antun sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)