Asylum von Pudel (Die Wahrheit über den Wahnsinn) ================================================================================ Kapitel 14: II.V ---------------- Akt II: Enjoy the Aslyum Szene V Bela huscht durch die Flure wie das personifizierte Unheil. Pfleger drehen sich nach ihm um und schauen ihm hinterher, nichts Gutes ahnend. Aber es gibt keine Vorschrift, die ihm das Umherstreifen verbietet, und so kann er ungehindert an sämtlichen Kursraumtüren rütteln. Eigentlich hat er nicht vor, irgendeinen Streich zu spielen, aber den Ruf wird er wohl nie mehr loswerden, also kümmert er sich nicht darum und sucht weiter nach Farin. Als er aus dem Musikzimmer leise Klänge eines Klaviers hört, hält er einen Moment lang inne, sich zur Tür neigend. Er selbst durfte nie in das Zimmer. Die Schwester hütet den Schlüssel wie eine Glucke und schließt den Raum nur Leuten auf, die auf keinen Fall in einem Wutanfall das heilige Klavier oder eines der weniger heiligen Instrumente zerstören könnten. Dementsprechend schwermütig ist auch die Tonlage. Bela tippt auf einen der Depressiven. Farin jedenfalls nicht. Er will sich gerade abwenden, als er dessen Stimme hört, nicht übermäßig dramatisch, aber durchaus ergreifend. Er singt. Und das nicht einmal schlecht. Gegen die relativ hohe Stimme kann er nichts tun, aber er hält die Töne und singt sogar ziemlich klar. „Gloomy Sunday… My hours are slumberless…“ Belas Englisch ist nie besonders gut gewesen, aber die düstere, leidgetränkte Stimmung kennt er umso besser. Er muss den Text nicht verstehen, um zu wissen, worum es geht. Und es überrascht ihn, dass Farin es schafft, solche Gefühle auszudrücken, ausgerechnet Farin, der sonst doch gar keine Gefühle ausdrücken kann. Bela schleicht näher zur Tür, um mehr zu hören, und sieht, dass sie nur angelehnt ist. Durch den Spalt sieht er die hochgewachsene Gestalt am Klavier lehnen, die Augen geschlossen vor Konzentration oder Ergriffenheit, Bela kann es nicht sagen. Zeitweise verfällt Farin in Summen, um Stücke des Textes zu überbrücken, die er nicht kennt. Vom Klavier kommt Rodrigos dunkles Lachen, und er springt ein, um Farin auf die Sprünge zu helfen: „Little white flowers will never awaken you…“Der Blonde lächelt halb verlegen, halb dankbar und singt weiter: „Not where the black coaches sorrow has taken you…“ Es zieht Bela förmlich in den Raum, die Fragen, die ihm auf der Zunge liegen, sind kaum auszuhalten, und dennoch, er bleibt, regungslos vor der Tür. Sicher ist das hier eine gute Übung für irgendetwas im realen Leben, was er sowieso nie kennen lernen wird. „My heart and I have decended to end it all“, Farin umklammert den Rand des Klaviers so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten. Bela weiß noch immer nicht, was er von alledem halten soll. Farin und Rod kennen das Lied offensichtlich; Bela hat es noch nie gehört. Die beiden sind in dem Zimmer, und er steht draußen. Ein einzelner Gedanke flammt auf und lässt ihn allen Widerstand vergessen, die Tür ganz aufschieben und ins Zimmer platzen: Ich werde das nicht still ertragen! „Faaarin, mein Freund, ich wusste gar nicht, dass du singen kannst! Hier seid ihr also! Ich hab euch die ganze Zeit gesucht… Naja, ich hab Farin gesucht. Was ist das für ein Lied? Da will man sich ja gleich aus dem Fenster stürzen, wenn man das gehört hat!“ Farin reagiert überhaupt nicht, abgesehen davon, dass er aufhört zu singen. Er hält die Augen geschlossen, die Finger um die Kante des Klaviers geschlungen. Rod mustert Bela schweigend, der sich umso ausgeschlossener fühlt und diesmal drängender fragt: „Was hat es mit dem Lied auf sich?“ Farin holt Atem, lächelt sein farbloses Lächeln und sagt: „Nur eine Erinnerung, nichts weiter.“ Es ist wie mit dem „Nichts, nichts“ der Pfleger, denkt Bela frustriert, wie könnte man schon widersprechen? Rods stillschweigende Anwesenheit treibt ihn fast zur Weißglut, wirkt auf ihn, als mache der Chilene sich im Stillen darüber lustig, dass er nicht dazu gehört, und was ihm im ersten Moment als schwachsinniger Fluchtplan erscheint – Bela flüchtet nie! – ist auf den zweiten Blick schließlich doch noch ausbaufähig zu einer guten Idee. Die Flucht nach draußen, Farin an seiner Seite, Rod sicher hinter von ihm selbst verriegelten Türen. „Naja, wie auch immer, Farin, heute ist der letzte schöne Herbsttag! Guck mal nach draußen, die Sonne scheint, und das Laub glüht regelrecht vor lauter Farben, hast du nicht Lust auf einen Spaziergang draußen, nur um die…“, er zögert, auf das Klavier deutend, „…niederdrückende Stimmung loszuwerden!“ Und den niederdrückenden Pianisten gleich dazu, fügt er in Gedanken hinzu und vergisst nicht das strahlende Lächeln in Richtung Sänger, nur für den Fall, dass Farin sich vielleicht heute davon überzeugen lässt. „Nein“, antwortet Farin langsam, „nein, ich will die Stimmung nicht loswerden.“ „Alter Masochist“, murmelt Bela und verlegt sich dann darauf, ‚freundschaftliche‘ Scherze auf Rods Kosten zu machen. „Hey, wie haben sie dich eigentlich hergekriegt? Im Viehtransporter? Lastwagen? Transportables Haus? Narkotisiert?“ Rod lächelt leicht. „Oh, man hat mich… überredet. Nein, abgelenkt trifft es eher.“ Bela fällt es nicht allzu schwer, sich Rod auf dem Rücksitz einer Limousine zwischen zwei äußerst gutaussehenden Schwestern vorzustellen, die ihr Möglichstes tun, um ihn davon abzulenken, dass er sich nicht in seinen eigenen vier Wänden befindet. Er hebt eine Augenbraue. „A-ha“, macht er gedehnt, „deine Mami hat Nutten bestellt, die dich begleitet haben?“ „Ich habe mich selbst einweisen lassen“, antwortet Rod unbewegt, und Bela fragt sich, was man wohl alles tun müsste, um ihn zur Weißglut zu treiben. …Wahrscheinlich müsste man ihn nur mal aus der Tür schubsen. Bela bleibt keine Zeit dafür, seinen gerade gefassten Plan weiter zu überdenken, denn in diesem Moment trifft eine Schwester ein – und nicht nur irgendeine, sondern die, die sich seit Jahren (Genaugenommen seit sie Bela hat trommeln sehen) weigert, ihm den Schlüssel für das Musikzimmer auszuhändigen, und macht in furchtbar kurzer Zeit ein furchtbares Theater. (Bela ist beinahe neidisch.) „DU!“, kreischt sie, kaum dass sie Bela entdeckt hat, „raus! Auf der Stelle! Wie oft soll ich es noch sagen, das Musikzimmer ist NICHT für Gestörte!“ Peinlich berührtes Schweigen. Bela setzt dazu an, etwas zu sagen, als die Schwester tief Luft holt und sich leise korrigiert: „Bipolar… Gestörte. Meinte ich.“ Bela grinst. Er mag die Schwester, ihr Temperament ist durchaus liebenswert, auch wenn sie für seinen Geschmack ein klein wenig zu resolut ist. Besonders, was diesen einen Schlüssel angeht.„Okay, okay, Schwester Paulsson, Ihrer geistigen Gesundheit zuliebe“, sagt er schließlich gut gelaunt, indem er an ihr vorbeigeht, nicht ohne ganz leicht ihre Schulter zu streifen. Zu dumm, dass Schwestern tabu sind. Rod drückt ihr im Vorbeigehen den Schlüssel in die auffordernd ausgestreckte Hand, im Ausgleich steckt sie ihm ein Buch zu. Bela runzelt die Stirn. Was auch immer das war, um legal zu sein, war die Übergabe zu unauffällig. Aber für etwas wirklich streng zu Bestrafendes doch ein bisschen zu öffentlich. Er ist kurz davor, einfach zu fragen, da drückt Rod es schon Farin in die Hand, der es kurz verwirrt mustert. Dann leuchten seine Augen auf. „Danke“, sagt er schlicht, kein bisschen enthusiastisch, aber Bela kennt ihn gut genug, um zu wissen, dass es das Aufleuchten der Augen ist, worauf es ankommt. Sie machen sich auf den Weg in den Gemeinschaftsraum, Bela wirft noch ein „Ah, Schwester Paulsson, Sie sind ja bestechlich!“ über die Schulter, als er sich den Ablauf zusammengereimt hat: Farin heult sich bei Rodrigo aus, Rodrigo kann nicht nach draußen, also besticht er die Schwester, die ihm das Buch kauft. Den kurzen Weg zum Gemeinschaftsraum nutzt Bela, um sich selbst rasend bis hin zu detailreichen Mordvisionen zu machen. Farin und Rod gehen ganz selbstverständlich nebeneinander her. Für ihn reicht die Breite des Ganges nicht mehr, er trottet hinter ihnen her wie ein braver Hund, Rod achtet sowieso nicht auf ihn und Farin hat nur Augen für das Buch, das beschissene Buch, das Rod ihm geschenkt hat! Er hat das Bedürfnis, seinen oder Rods Kopf gegen die Wand zu schlagen, bis außer den Haaren nichts mehr übrig ist. Und irgendwo im Hinterkopf flucht er über sich selbst. Scheiße. Solche Gewaltfantasien hatte er seit Monaten nicht mehr, seit Jahren. Scheiße. Stillschweigend schiebt er Rod die Schuld zu, als sie im Gemeinschaftsraum ankommen. Farin ist längst in seinem Buch versunken. Und Bela weiß ganz genau, wenn er noch eine Sekunde länger hierbleibt, wird es einen Toten geben. Oder Ausgesperrten. „Schön“, faucht er, „wenn ihr mich nicht mehr braucht, ich gehe!“ Er vergisst nicht, die Tür zu knallen, wie sich das für einen dramatischen Abgang gehört. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)