Asylum von Pudel (Die Wahrheit über den Wahnsinn) ================================================================================ Kapitel 11: II.II ----------------- Akt II: Enjoy the Aslyum Szene II Wenige Tage nach Belas erster Begegnung mit Rodrigo, während derer er beobachten kann, wie Farin immer mehr Zeit mit dem Chilenen verbringt und langsam auch immer mehr mit ihm redet, fasst er den Entschluss, Freundschaft mit Rod zu schließen. Um Farins Willen, der es nicht leiden kann, wenn die beiden sich in seiner Anwesenheit streiten. (Oder auch, wenn nur Bela streitet, denn Rod scheint die Taktik zu haben, völlig vernünftig zu bleiben und sich damit Farins Loyalität (soweit vorhanden) zu sichern.) Dann versichert er sich, dass sein heimlicher Zigarettenvorrat noch an seinem Platz unter einer losen Diele unter seinem Bett ist. Er hat ihn sich zugelegt, weil man jedes Mal, wenn man rauchen möchte, eine Schwester oder einen Pfleger um Erlaubnis und Zigarette bitten muss, und wenn gerade die Nichtrauchnazis Dienst haben, verweigern sie gern auch einmal die Herausgabe. Der Vorrat ist für ihn wertlos geworden – er raucht seit ein paar Monaten nicht mehr – besitzt aber für andere Patienten einen unschätzbaren Wert, und Bela hat ihn sich als letzten Trumpf aufgehoben. Beim Mittagessen setzt er sich sogar ohne zu klagen neben Rod. Farin beendet rasch seine Mahlzeit und ergreift ohne weiteres Wort die Flucht in sein Zimmer, wahrscheinlich in der Annahme, jetzt würde eine recht einseitige Zickerei folgen, wie er sie in den letzten Tagen wohl ein- oder zweimal zu oft hat mit ansehen müssen. Bela räuspert sich. „Du hast doch letztens nach dem Bild gefragt, dem Portrait von Farin, du weißt schon – möchtest du’s jetzt noch sehen? Ich hab ein bisschen grob reagiert, ich meine, ich war nicht sonderlich nett zu dir…“ es ist das einer Entschuldigung Nächste, was er sagen kann, ohne sich augenblicklich übergeben zu müssen. Rod sieht ihn an, vermutlich überlegend, ob Bela sich nur irgendeine Falle ausgedacht hat, in die er ihn jetzt lockt. Bela wartet, nervös mit den Beinen wippelnd. „Ja“, antwortet Rod schließlich, „gern.“ „Okay, dann schlage ich vor, dass wir, wenn du mit Essen fertig bist, hoch in mein Zimmer gehen, wir können ja auch ein bisschen quatschen – wenn du Lust hast, natürlich!“ „Warum die plötzliche Freundlichkeit?“ fragt Rod, die Reste der Lasagne auf seinem Teller zusammenkratzend. Er sieht Bela nicht an. „Oh, naja, ich dachte, es ist nur kontraproduktiv, wenn ich dich die ganze Zeit ärgere, und Reaktionen krieg ich auch nicht…“ Bela lässt den Satz unbeendet. Ein Schulterzucken und knappes Nicken sind die einzigen Antworten, die er bekommt. Rod ist schweigsam, aber auf vollkommen andere Art und Weise als Farin. Während der nämlich ständig um die richtigen Formulierungen ringt, um niemanden versehentlich zu beleidigen oder zu verletzen, und bei unübersichtlichen Situationen oft einfach nicht weiß, was er sagen soll und flieht, scheint Rod einfach nicht so besonders viel zu sagen zu haben – oder zu wollen. Bela mag beide Arten von Schweigsamkeit nicht so besonders, aber was will man machen. Nachdem Rod den letzten Bissen in sich hineingeschoben hat, springt Bela auf und macht sich mit einem „Komm mit!“ auf den Weg in sein Zimmer. Rod folgt ihm in gemächlicherem Tempo. Bela händigt ihm die heilige Mappe aus, verbeißt sich jeden Kommentar und auch das Wegschnappen, als Rodrigo zu den Aktbildern kommt, sondern wartet mit in die Unterlippe vergrabenen Zähnen auf die Reaktion. Die nicht stattfindet. Rod legt die Mappe einfach beiseite, nicht einmal sein Gesichtsausdruck weist auf irgendein Urteil hin. „Und?“ fragt Bela ungeduldig. „Schöne Bilder“, antwortet Rod, und es klingt weder halbherzig noch besonders interessiert, „Sah Farin wirklich so aus, als er hier hinkam?“ „Naja, er saß mir nicht Modell, ich habe mich mehr von meinen Eindrücken leiten lassen – und das war in erster Linie müde und alt und eben mit dieser Mauer um sich herum, die keinen an ihn heranließ. Ist also mehr eine Sache seiner Einstellung und Stimmung als seines Aussehens. Aber im Großen und Ganzen ist’s viel besser geworden! Er redet zwar immer noch nicht so besonders viel, aber das wird auch schon noch.“ Rod grinst. „Vielleicht solltest du ihn mal zu Wort kommen lassen.“ „Er hatte genug Zeit, als ich – als es mir nicht so gut ging! Da bin ich im Allgemeinen schweigsamer…“ Bela bricht ab, unsicher, wie viel er dem schweigsamen Kerl anvertrauen kann. Rod mustert ihn nur undurchdringlich. „Wie kam’s eigentlich zu deiner Agoraphobie?“ verlegt er sich schließlich darauf, Informationen aus ihm herauszukitzeln, um sich weniger schutzlos zu fühlen. Rod zuckt die Schultern. „Ich weiß nicht.“ Bela seufzt frustriert, beschließend, seinen letzten Trumpf auszuspielen. „Rauchst du?“ Bela weiß, dass Rod raucht, und der weiß, dass Bela es weiß. Rod beantwortet keine rhetorischen Fragen. Bela seufzt ein zweites Mal, kniet sich auf den Boden und kriecht unter sein Bett, nach den Zigaretten tastend. Mit einer guten Hand voll taucht er wieder auf, streicht sich den Staub aus den Haaren und lächelt Rod charmant an. „Ja, du rauchst, ich hab dich gesehen. Also, Schlötchen…“ Bela reicht ihm eine der Zigaretten mitsamt geklautem Feuerzeug, „erzähl mir doch wenigstens von deiner Kindheit.“ Rods Blick flackert nur kurz von Belas Gesicht zu der Zigarette, ehe er sie dankend annimmt. Bela weiß, dass Rod klug genug ist, um zu erkennen, dass er nicht ausweichend antworten und die Zigarette nehmen kann, ohne für den Rest seines Aufenthalts in der Klinik von Bela höchstpersönlich drangsaliert zu werden. Und ganz offensichtlich ist sein Verlangen nach einer Zigarette größer als seine Schweigsamkeit. Bela deutet es als Sieg und lächelt zufrieden. „Meine Eltern“, sagt Rod, während er sich die Zigarette anzündet und einen Zug nimmt, der ein bisschen zu tief ist, um nicht erleichtert genießend zu wirken, „gehörten zu der oberen Schicht in Chile. Zumindest, was das Geld anging, ich bin auf eine Privatschule gegangen, wir haben in einem ziemlich großen Haus gewohnt und so weiter…“ „Chile, da sind die Reichen noch weiter von den Armen entfernt als hier, oder?“ „Genau. Ich meine, nicht nur vom Geld her, auch mental. Alle Reichen sind der Ansicht, die Armen seien nur zu faul zum Arbeiten, ansonsten wären sie schließlich reich, und die Armen halten alle Reichen generell für Pinochets. – Also, unsere Familie war eine Ausnahme.“ „Das klingt wie eine Rechtfertigung“, wirft Bela grinsend ein. „Ist es nicht. In Wirklichkeit ist es ziemlich hart. Die Kinder auf der Schule sind nicht deiner Ansichten, und damit meine ich, sie verachten dich richtiggehend für deine Meinung, die Kinder der Armen wollen nichts mit dir zu tun haben, weil sie dich für einen Schnösel halten.“ „Bemitleidenswert“, flötet Bela und reicht Rod die zweite Zigarette. Vermutlich ist es Absicht, dass Rod beim Ausdrücken der alten Kippe einen Brandfleck auf Belas Bettgestell hinterlässt. „Und was hast du so gemacht in Chile, wenn du nicht mit Freunden unterwegs warst?“ Rod lässt sich Zeit damit, den Glimmstängel anzuzünden, und mustert Bela mit zusammengezogenen Augenbrauen über die Flamme des Feuerzeugs hinweg. „Klavier gespielt. Geige, Gitarre, Trommeln, alles, was mir so unterkam.“ „Echt?“ Bela ist einen Moment lang wirklich begeistert. „Dann gehst du wohl in den Musik-Kurs? Bist du denn gut?“ Rod wirft die Hände in die Luft. „Das kann ich nicht beurteilen.“ Es klingt widerlich bescheiden. Bela hält sich gerade so von einer Finger-in-den-Hals-Geste ab und versteckt die zuckenden Hände unter seinen Beinen. „Und“, fragt Bela, bemüht, gelangweilt zu klingen, „worüber unterhältst du dich mit Farin so, Musik? Chile?“ Rod bläst ihm Rauch ins Gesicht. „Ja, hauptsächlich. Also, wir reden größtenteils über unsere verschiedenen Erfahrungen in Chile, ist echt interessant, von einem… Touristen, Ausländer, zu hören, was für einen Eindruck das Vaterland auf ihn gemacht hat. Er war Journalist, wusstest du das?“ Bela wusste es nicht. „Ja“, knirscht er zwischen geschlossenen Zähnen, „der Job, der ihm zum Verhängnis wurde, huh? Ist nie gut, etwas zu sehr zu lieben.“ „Naja. Ich finde Liebe immer gut. Solange man sie einigermaßen unter Kontrolle hat. Ich meine, ich liebe meine Musik auch, ohne dass ich irgendwie darunter leiden muss.“ Bela rümpft die Nase. „Kontrollierte Liebe. Sowas hab ich ja noch nie gehört.“ „Das glaub ich dir auf Anhieb“, erwidert Rod mit einem kleinen, höflichen Lächeln. Bela schlägt in seiner Fantasie längst munter auf den Chilenen ein, als ein Klopfen an der Tür ihn wieder in die verrauchte Realität holt. Farin steckt den Kopf in das Zimmer, erfasst mit einem ungläubigen Rundblick die Situation – die beiden Streithähne scheinbar so friedlich über Zigaretten und Vergangenheit vereint, schweigend nebeneinander – und macht auf dem Absatz kehrt, im Gehen noch etwas wie „Twilight Zone“ murmelnd. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)