Asylum von Pudel (Die Wahrheit über den Wahnsinn) ================================================================================ Kapitel 3: I.III ---------------- Akt I: Welcome to the Asylum Szene III Farin sitzt im Essenssaal. Es herrscht gedrückte Stimmung, möglicherweise, weil eine Vielzahl der Patienten unter Depressionen leidet. Vielleicht kommt es ihm auch nur so vor, weil er gerade seine Therapiestunde hinter sich hat. Er hasst es, über seine Probleme zu sprechen und er hasst es, wenn andere Menschen denken, sie wüssten mehr über seine Probleme als er selbst. Farin starrt auf seinen Teller. Er wird sich wohl daran gewöhnen müssen. Genauso wie an die labberigen Fischstäbchen. Er bemerkt gar nicht, wie Bela sich neben ihn setzt, ein Kunststück, das ihm im Nachhinein unmöglich erscheint, denn als er aufblickt, ist der seltsame Kauz schon mitten im schönsten Redefluss. „…Wette, du wurdest schon über die Patienten hier aufgeklärt?“ Farin umklammert die Gabel fester. Woher nur kommt dieser Drang, sie Bela ins Auge zu rammen, immer wenn der zu einem neuen Satz ansetzt? Für gewöhnlich hat er keine Gewaltfantasien. Wenigstens etwas, woran er nicht leidet. Bis jetzt, jedenfalls. „Ja. Der zuständige Arzt war gründlich.“ „Ah, aber sie lassen immer die Hälfte weg in der Sorge, sich politisch unkorrekt auszudrücken. Schau… das drüben sind die Alkis. Rotten sich immer zusammen. Es gibt nichts Kaputteres als die, außer vielleicht die Junkies, aber davon gibt’s hier wenige. Hatte selbst mal Probleme mit Drogen, wie das eben so ist, man wird unvorsichtig, wenn man gerade ein echtes Hoch hat… Naja, im Anfang dachten alle immer, klar, Sucht, da ist man halt down wenn das Zeug zu wirken aufhört… Egal. Dann haben wir ein paar Magersüchtige, nicht viele, die meisten sind in der Offenen… Du erkennst sie sicher…“ Bela deutet in Richtung einer jungen Frau, die vor ihrem Teller sitzt wie Farin früher vor seinen Mathehausaufgaben, „Gibt nicht viel, was gerissener ist als die, wenn’s ans Wiegen geht. Trinken literweise Wasser, essen Steine, wenn sie welche kriegen…“ Bela unterbricht sich einen Moment, um drei Fischstäbchen in sich hineinzuschlingen. Farin hat noch nie jemanden gesehen, der so schnell essen kann. Schließlich wendet er sich auch wieder seinem Teller zu, zu dem Schluss gekommen, dass das wohl die nützlichste Tätigkeit ist, die man ausführen kann, wenn einem gerade ein Ohr abgekaut wird. „Dann gibt’s die Autisten… Haben kaum Chancen, hier rauszukommen. Die sind hier nur, um einen möglichst geregelten Tagesablauf zu haben, weil sie sonst krepieren würden. Bei manchen gibt’s Besserung, aber selten soweit, dass sie ins echte Leben draußen entlassen werden können. Sind aber einige echt geniale Köpfe dabei…“ Für einen kurzen Augenblick glaubt Farin, an einer nichtexistenten Gräte im Fischstäbchen zu ersticken. „Ins echte Leben draußen“. Viel zu klar wird ihm auf einmal, wo er sich hier überhaupt befindet. Dass er, obwohl „drinnen“, doch außerhalb von allem steht, das ihm wichtig ist. Sein Job. Das Reisen. Die Freiheit. Mit einem Schlag verliert Farin jeden Hunger, den er nur ansatzweise besessen hat. Bela unterdessen plappert munter weiter. „…Klar, und die Schizos, die Stimmen hören und so weiter. Ist manchmal echt gruselig, wenn du mit einem von denen redest und der denkt plötzlich, du hättest was gesagt, was du gar nicht gesagt hast. Und wenn das, was du nicht gesagt hast, dann auch noch was Unfreundliches über seine Mutter war, dann renn, Baby, renn.“ Farin stützt den Kopf in die Hände und versucht krampfhaft, sich mit der neuen Situation anzufreunden. Oder zumindest damit zurechtzukommen, dass anstelle seines wohlverdienten Mittagskaffees nun ein unaufhörlich redender Manisch-Depressiver getreten ist und so schnell wohl nicht mehr weggehen wird. „Ich hatte das Problem mal, konnte danach keinen einzigen Kurs mehr besuchen, in dem er auch war, weil er mir direkt an die Gurgel wäre… Apropos! Welche willst du belegen?“ „Ich...“ Wenn Farin ehrlich ist, gehört die Kurswahl zu den so ziemlich letzten Dingen, an die er einen Gedanken verschwenden würde. Ist das, was die Ärzte therapeutische Maßnahme nennen, Farins Meinung nach doch nur ein anderer Ausdruck für Beschäftigungstherapie. Damit man das bisschen Verstand, welches man noch besitzt, nicht auch noch an die Langweile verliert. Natürlich wird er das nie laut preisgeben. Besteht doch die Gefahr, dass sein Gegenüber ihn von den Kursen und ihrer Wirkung überzeugen will, sämtliche der Angebote ins Kleinste filetiert und ihm auftischt. Zu seinem Leidwesen kann Farin gar nicht so schnell gucken (hören?) wie seine schlimmsten Visionen in die Tat umgesetzt werden. „Also, vom Häkeln würde ich dir abraten, da sind die ganzen depressiven Mittdreißiger Hausfrauen oder abgestürzten Karrieregirls, die sich jetzt als Hausfrauen versuchen wollen… Wenn man da nur reinkommt, wie die sich mit diesen gedämpften, müden, hoffnungslosen Stimmen unterhalten, das ist der reinste Albtraum! Also, ich meine, man braucht schon eine sehr stabile, gute Stimmung, um da… und du siehst mir eher so aus, als könntest du ein bisschen Aufmunterung vertragen, Sport oder so…“ „Mit anderen Worten, ich bin ein kränkliches Etwas, das etwas mehr Muskeln vertragen könnte?“ Eher würde sich Farin irgendwelche wichtigen Gliedmaßen abtrennen, als jemals einer Sterbensseele zu erzählen, dass sein Therapeut schon ähnliche Töne angeschlagen hat. Gesunder Geist im gesunden Körper. Von wegen. „Gott bewahre, nein! Du siehst nicht schwach aus, ich dachte nur, vielleicht macht Sport dich ein bisschen weniger steif und trocken und mies gelaunt als du es jetzt bist! Aber wenn das nicht dein Ding ist… Hätten wir da noch… Zeichenkurs – da bin ich drin -, Töpferkurs… Naja, jedem das Seine, nicht wahr… Dann gibt es noch den Musikkurs“, Belas Grinsen verbreitert sich, eine Sache, die Farin eigentlich für unmöglich gehalten hat, „da bin ich mal rausgeflogen, nachdem ich ein bisschen zu laut auf die Trommeln eingeschlagen habe… Da sind sogar einige aus dem Raum geflüchtet… Ach ja, und Lyrik.“ Es ist das erste Wort, das Farin wirklich aufhorchen lässt. Ohne, dass er selbst es bemerkt, lockert sich seine ganze Haltung, sitzt er nicht mehr wie ein Stock auf seinem Stuhl, sondern fast schon... normal. „Lyrik?“ „Ja... also, da sind die ganzen kleinen Hoffmanns und Poes drin... wenn du verstehst, was ich meine. Alles kleine Gruftis, wenn du mich fragst. Aber wer‘s mag. 'N paar von den Sachen sollen draußen sogar schon Beachtung gefunden haben. Schimpft sich dann Leidensbericht, verkauft sich millionen Mal, die Autoren scheffeln und scheffeln, kommen mit dem Erfolg nicht klar und landen dann wieder hier. Ironie des Schicksals.“ Farin schaltet geistig komplett ab. Zumindest startet er den Versuch. Zumal Belas Stimme doch wirklich ziemlich laut ist. Lyrik. Schreiben. Der berühmte Silberstreif am Horizont. Etwas, das zur Abwechslung wirklich gut klingt, Farin mit seinem alten Leben verbindet. Und während Bela weiter seine Ohren malträtiert, beschließt Farin, so ganz im Stillen, doch mal einen Blick auf die Kursliste zu werfen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)