Cruel Nature von Rhyo ================================================================================ Kapitel 25: Schimmer des Undenkbaren ------------------------------------ Schimmer des Undenkbaren Miho kommt ins Wohnzimmer, wo sie Shizuka sieht, die gerade vor dem Fernseher auf dem Sofa sitzt. Lächelnd setzt sie sich neben sie: „Was guckst du da?“ „Eine Quiz-Show“, antwortet Shizuka heiter; „Ich möchte mein Allgemeinwissen auffrischen!“ „Kann ja nicht schaden“, seufzt Miho; „Ich mache gleich das Abendessen, hilfst du mir?“ Shizuka nickt, ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden. Während Miho noch überlegt, ob sie Pfannkuchen oder lieber Hamburger zubereiten soll, fragt Shizuka völlig unerwartet: „Wo bleibt Keisuke eigentlich? Es ist schon Stunden her, dass er und Yuri losgegangen sind. Die brauchen doch nicht echt so lange, nur um ein paar Teile einzukaufen?“ Miho ist sprachlos und zuckt nur mit den Schultern. Sie ist auch besorgt, weiß aber, dass sie nichts tun kann, außer darauf zu warten, dass sie nach Hause kommen. „Miho?“, fragt Shizuka leise und stellt die Lautstärke des Fernsehers runter. „Ja?“ „Ich habe... schon länger das Gefühl, dass Keisuke und Yuri mir etwas verschweigen. Ich weiß zwar nicht genau was, aber es ist kein schönes Gefühl, dass die beiden Geheimnisse vor mir haben. Ich bin doch ihre Freundin!“ Sie sieht sehr traurig aus. Miho ist gerührt, aber sie hat ihren Bruder versprochen, nichts zu sagen. „Aber du bist nicht so, oder Miho? Du würdest bei sowas nicht mitmachen. Du würdest ganz sicher die Wahrheit sagen, wenn es etwas gibt, was ich wissen sollte, oder?“ Shizuka schaut sie durchdringend an, und Miho kann ihr nicht direkt in die Augen sehen. Warum muss er Shizuka das auch verschweigen? Sie würde ihn sicher nicht verurteilen, für das, was er ist. Miho merkt, wie sie es nicht mehr aushält. Zitternd legt sie ihre Hände auf Shizukas Schultern und blickt sie ernst an. „Ich sage dir die Wahrheit“, flüstert sie nervös. Shizukas Augen werden groß. „Keisuke ist kein Mensch mehr. In den Sommerferien wurde er in einen Vampir verwandelt. Yuri, Desmond, Luna, Sakito und ich wissen davon, sonst niemand. Es tut mir leid, dass wir es dir verheimlicht haben, aber das war nicht meine Idee!“ Miho versucht sich zu beruhigen und nimmt ihre Hände wieder von Shizukas Schultern runter. Deren Mund steht weit offen, und sie bringt keinen Ton heraus. Etwas beschämt sieht Miho zu Boden. Plötzlich fängt Shizuka an, zu lachen: „Miho! Du solltest Schauspielerin werden! Ich hätte es dir gerade fast abgekauft! Sowas absurdes!“ Miho ist geschockt. Das kann doch nicht wahr sein. Da sagt sie ihr die Wahrheit, und sie glaubt es einfach nicht. „Aber... Die Haare, die Zähne...“, fängt sie an, aber Shizuka unterbricht sie einfach: „Ich finde es nicht nett, dass du sowas sagst. Du wolltest mir doch die Wahrheit sagen?“ „Aber das ist die W....!“, ruft Miho, aber Shizuka hört nicht hin: „Wahrscheinlich weißt du es selbst nicht. Ihr haltet mich also wirklich für so dumm, so einen Unsinn zu glauben... Vampire gibt es nicht! Ebenso wenig wie Hexen und Drachen!“ „Du... Du glaubst also nicht an übernatürliche Dinge?“, fragt Miho kleinlaut. „Nein“, sagt Shizuka kurz; „Naja, vielleicht an Engel!“ „Engel?“ Shizuka sieht plötzlich verträumt aus: „Ich glaube an Engel, heilige Wesen mit breiten, leuchtenden Flügeln, die über uns fliegen und uns beschützen. Ich... wäre gerne ein Engel.“ Miho lächelt sie an: „Du kannst es mit Sicherheit schaffen, einer zu werden, wenn du immer versuchst, deinen Freunden zu helfen.“ „Aber sie machen es mir so schwer!“, sagt Shizuka verbittert; „Yuri und Keisuke tuscheln oft über irgendetwas, was ich nicht erfahren darf, oder sie schicken mich weg und haben Geheimnisse vor mir. Ich würde sie so gerne unterstützen, aber wie soll ich das machen, wenn sie mir nicht vertrauen?“ Miho streichelt ihr sanft den Kopf: „Hab ein bisschen Geduld. Vielleicht fällt es dir schwer, das zu verstehen, aber es ist oft viel zu schwer, gerade den besten Freunden etwas Wichtiges anzuvertrauen. Man hat Angst vor ihren Reaktionen, oder fürchtet sich vor Veränderungen.“ „Ich verstehe sehr wohl, wie das ist!“, ruft Shizuka überraschend laut. „Wenn das so ist“, fängt Miho an, doch plötzlich fällt ihr auf, dass in Shizukas grünen Augen Tränen glitzern. Oh nein, hat sie etwa etwas gesagt, was sie nicht hätte sagen sollen? Sofort steht Miho auf und holt eine Packung Taschentücher für Shizuka, die sie ihr schnell hinreicht, aber diese legt sie einfach auf den Tisch ohne sie zu benutzen. „Shizuka...“, flüstert Miho; „Gibt es da was, über das du mit mir reden möchtest?“ Sie antwortet nicht, sondern schüttelt nur heftig mit dem Kopf. Verunsichert beugt Miho sich zu ihr hinunter: „Du bist ganz sicher? Du kannst mit mir über alles sprechen, das weißt du...?“ „ICH WILL NICHT DARÜBER REDEN!!!“, schreit Shizuka plötzlich und Miho weicht fast ängstlich zurück. Mit dieser überraschend aggressiven Reaktion hat sie nicht gerechnet. „Okay“, sagt sie resignierend und eilt in die Küche. Nicht einmal Keisuke oder Sakito haben sie je so angeschrien, überlegt Miho gestresst, während sie ein Glas mit Cola füllt für Shizuka. Sie tut noch ein paar Eiswürfel hinein und bringt es ihr ins Wohnzimmer. Sie stellt es auf den Tisch und sagt leise: „Trink das.“ Doch dann bemerkt sie, dass das Mädchen sein Gesicht in den Händen vergraben hat und wahrscheinlich weint. Was habe ich nur angerichtet, denkt Miho panisch und setzt sich neben Shizuka, doch diese ignoriert Mihos sanften Berührungen und aufmunternden Worte scheinbar völlig. Diese Situation ist vollkommen neu für sie, sie musste noch nie ein jüngeres Mädchen trösten. Sie hatte immer nur ihre Brüder, und die haben nun wirklich selten mal geweint, und wenn, konnte sie sie schnell wieder aufbauen. Warum gelingt es ihr bei Shizuka nicht? Was hat sie nur? „Wenn ich irgendwas für dich tun kann...“, sagt sie schließlich bedrückt, aber noch bevor sie weiter sprechen kann, fällt Shizuka ihr in die Arme, um schließlich weiter zu weinen. Etwas verdutzt bleibt Miho regungslos sitzen, doch dann drückt sie sie fest an sich. Sie versucht, Shizuka zu beruhigen: „Alles ist gut... Ich bin da...“ „I-Ich...“, stottert Shizuka weinerlich; „Ich will mit jemandem darüber sprechen, aber es ist so... so schwer...“ „Nimm dir Zeit“, sagt Miho gelassen und drückt sie noch fester an sich. Sie beschließt, jetzt für Shizuka da zu sein, so wie sie für ihre Brüder da wäre. „Bitte mach schneller, irgendwie hört es nicht auf zu bluten!“, hetzt Yuri Keisuke, der einen verletzen Rotfuchs in den Armen trägt. Die beiden laufen gerade durch die Straßen von Logaly auf den schnellsten Weg nach Hause. Inzwischen ist es dunkel geworden, woran Keisuke sich allerdings nicht stört. „Tut mir ja leid“, entschuldigt sich Keisuke außer Atem; „Aber das Tier ist nicht gerade leicht!“ „Wenn wir ihn zusammen tragen, sind wir auch nicht schneller! Und ich habe ihn schon aus dem Wald getragen, also schaffst du das Stück auch noch!“ „Dass ich das nicht schaffe, habe ich nie gesagt“, grinst er, aber Yuri ruft: „Mach schneller!“ Hastig laufen sie durch die Wohnviertel, und hin und wieder nehmen sie dunkle, unheimliche Gassen als Abkürzung. Es sind fast keine Menschen mehr draußen unterwegs, aber jene die es doch sind, schauen entweder empört, verwirrt oder erschrocken auf die beiden Jugendlichen, welche sich darüber aber nicht aufregen, denn das Wohl des Tiers ist ihnen jetzt wichtiger. Ob sie es noch rechtzeitig schaffen? Der Fuchs hat sich schon seit einer Weile nicht mehr bewegt. Er wird doch wohl nicht schon tot sein? Keisuke wirft einen Blick auf das Tier in seinen Armen. Seine Augen sind geöffnet, aber weder gibt es Klagelaute von sich, noch macht es Anstalten, wegzulaufen. Und seine Wunde im Bauchbereich blutet immer weiter. Dieser Geruch... Er kann diesen verführerischen Geruch von Blut nicht viel länger ertragen... Aber er muss sich zusammenreißen, das weiß er. Nur dieser Durst, dieser unsagbare Durst... „Wir haben es gleich geschafft“, stöhnt er, und nach ein paar Minuten erreichen sie das Haus der Valleys. Kein Pferd im Vorgarten, und auch kein fremdes Auto in Sicht. Luna ist also nicht mehr da. War ja abzusehen, überlegt Keisuke, und Yuri rennt direkt auf die Haustür zu und klingelt mehrmals. „Eigentlich habe ich einen Schlüssel...“, sagt Keisuke, sieht aber selbst ein, dass er ihn mit dem Fuchs auf den Armen nur sehr schwierig aus seiner Hosentasche fummeln könnte. Nicht lange und Miho öffnet mit ernstem Blick die Tür. Kaum sieht sie den verletzten Fuchs, den ihr Bruder trägt, erschrickt sie und ruft: „Was?! Hast du einen Fuchs auf dem Arm?“ Genervt drängelt sich Keisuke an Yuri und Miho vorbei ins Haus: „Er ist verletzt! Miho, du arbeitest beim Tierarzt, du MUSST ihm helfen, bitte!“ „Ja, als Assistentin!“, erwidert sie verzweifelt; „Leg ihn erst einmal aufs Sofa!“ Im Wohnzimmer legt Keisuke das Tier ab und Miho greift zum Telefon. „Was machst du?“, fragt er sie. „Die Praxis hat um diese Uhrzeit schon geschlossen, also rufe ich Luna an und bitte sie, herzukommen!“, erklärt Miho schnell. „Wird sie ihm helfen können?“, will Yuri besorgt wissen. „Ich hoffe es“, stöhnt Miho und wählt eine Nummer; „Sie hat von der Anatomie solcher Tiere mehr Ahnung als ich, aber auch ein Laie sieht, dass dem Fuchs nicht mehr viel Zeit bleibt, wenn wir nichts tun. Yuri, könntest du oben Shizuka suchen und sie aufwecken? Wir wollen den Fuchs in mein Zimmer bringen.“ Yuri nickt und rennt unbeirrt aus dem Wohnzimmer, die Treppe hoch. „Luna, hör zu, wir haben hier einen Notfall!“, ruft Miho hektisch in den Hörer. Keisuke geht in den Flur und schaut sich seine Hände an, die voller Fuchsblut sind. Ohne darüber nachzudenken, was er da tut, leckt er sich genüsslich die linke Hand ab. Es schmeckt so gut, es ist wie als würde er warme Schokoladensoße von seiner Hand ablecken, nur schmeckt es anders als Schokolade, viel, viel besser. Und vor allen Dingen macht es gierig nach mehr! Doch Mihos unerwartetes Rufen unterbricht ihn: „Keisuke? Wo bist du?“ Erschrocken hört er auf, an seinen Fingern zu lutschen und sieht auf. Was hat er gerade getan? Er hat sich doch nicht wirklich das Fuchsblut von seinen Fingern geleckt? Wie makaber ist das denn? Etwas durch den Wind antwortet er: „Nur kurz im Badezimmer!“, wohin er danach wirklich verschwindet, um sich das Blut so schnell es nur geht abzuwaschen. Nachdem seine Hände sauber sind, riecht er nochmals an ihnen. Na also, die Erdbeerseife duftet auch wunderbar, aber sie bringt ihn nicht dazu, solche komischen, verrückten Dinge zu tun. Er trocknet sie ab und geht in den Flur zurück, wo Yuri steht. „Hast du dir die Hände gewaschen?“, fragt sie ihn und er nickt. „Das sollte ich auch machen“, lächelt sie und läuft an ihm vorbei ins Badezimmer. Doch schon nachdem er ein paar Schritte gemacht hat, bemerkt er, dass er immer noch nach Blut riecht. Wie kann das sein? Er hat sich doch gewaschen? Er schaut an sich herunter und sieht, dass sein Hemd ebenfalls blutbefleckt ist. Sofort will er sich umziehen, dieser grauenvolle, anziehende Geruch macht ihn noch wahnsinnig! Schleunigst eilt er die Treppe hoch und stürzt in sein Zimmer. Überrascht stellt er fest, dass Shizuka auf seinem Bett liegt. Er geht ein paar Schritte auf sie zu. Als sie ihn bemerkt, richtet sie sich auf: „Tut mir leid“, sagt sie und reibt sich die Augen; „Aber Yuri hat gesagt, dass ich in ein anderes Zimmer gehen soll, weil ihr einen schwer verletzten Fuchs dabei habt...“ Keisuke schaut sie etwas missbilligend an. Normalerweise mag er es überhaupt nicht, wenn jemand ohne zu fragen in sein Zimmer geht. In diesem Fall sieht er es Shizuka aber nicht nach. Trotzdem fragt er: „Du magst süße Tiere wie Füchse doch, oder nicht? Warum gehst du nicht mal nach unten?“ „Ich kann kein Blut sehen...“, sagt Shizuka leise. Seit wann das? Früher hat sie doch sogar ab und zu Horrorfilme zusammen mit ihm angeschaut. Wahrscheinlich hat sie ein Trauma von ihren toten Eltern, die in ihrem Zimmer in einer Blutlache lagen. Allein der Gedanke an diese Blutlache bring Keisukes Körper zum Beben. Er hat solchen Hunger nach Blut! Aber warum? Er hat doch erst kurz vor dem Trip in den Wald eine Konserve getrunken? Doch dann trifft es ihn wie ein Blitz: Hat er nicht. Er hat sie auf die Herdplatte gelegt, um sie aufzuwärmen, aber weil er Yuri ein Glas Cola gebracht hat, hat er vergessen, das Blut danach zu trinken! „Übrigens...“, sagt Shizuka, steht auf und streicht höflich die Bettdecke glatt: „Dein Hemd ist voller Blut... Das ist aber vom Fuchs, oder?“ Besorgt geht sie auf ihn zu, um es sich näher anzuschauen. Zitternd sieht Keisuke nochmals an sich herunter. Das ganze Blut springt ihm förmlich ins Gesicht, am liebsten hätte er, es würde ihn in seinen Mund fließen. Er spürt, wie sein Körper anfängt stärker zu beben, wie seine Reißzähne nach Blut verlangen. Und bevor er weiß, was er tut, hat er die verwirrte Shizuka schon zu Boden geworfen, er hält ihre Hände brutal fest und beugt sich langsam über ihren Hals. „Was machst du da?!“, ruft sie ängstlich und versucht voller Panik sich loszureißen, scheitert aber. Er hat keinerlei Kontrolle mehr über seinen Körper, diesem scheinbar unbezwingbarem, starkem Drang hat er einfach nichts entgegen zusetzen. Gierig nach Menschenblut versucht er, Shizuka in den Hals zu beißen, aber im letzten Moment reagiert sie, indem sie ihm ihren Fuß mit voller Wucht in den Bauch rammt. Keuchend geht Keisuke zu Boden, und Shizuka steht zitternd auf und rennt schließlich voller Angst aus dem Zimmer. Was hat er nur getan? Er hat versucht, seine beste Freundin auszusaugen. Schwer atmend hält er seine Hand an seinen schmerzenden Bauch. Dass sie so stark zutreten kann, hätte Keisuke nie gedacht. Und dass er dazu imstande wäre, ihr so etwas grässliches anzutun hätte er auch nie gedacht. Lass es doch bitte ein Traum gewesen sein, hofft er, aber der Schmerz sagt ihm ziemlich deutlich, dass es keiner war. Langsam richtet er sich auf und legt sich auf das Bett. Er ist so fertig... Er bemerkt nicht, dass Yuri das Zimmer betreten hat: „Keisuke?“ Keisuke antwortet nicht. Yuri... Das Mädchen, das einzige Mädchen, was er je ausgesaugt hat. Er hätte ihr Blut nie trinken dürfen. Wäre er nie auf den Geschmack von Menschenblut gekommen, wäre ihm die Szene vor einer Minute wahrscheinlich erspart geblieben. „Ist alles okay? Shizuka ist gerade weinend aus dem Haus gelaufen.“ Geschockt ruft er: „Was?!“ Yuri schaut ihn prüfend an: „Sag mir, was passiert ist!“ Keisuke nickt verstört: „Könntest du mir bitte vorher eine Blutkonserve aus der Küche holen? Wenn du nicht weißt, wo sie sind, kannst du Miho fragen...“ Auf Yuris fragenden Blick keucht er nur ein verzweifeltes: „Bitte!!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)