Cruel Nature von Rhyo ================================================================================ Kapitel 19: Die Seherin ----------------------- Die Seherin Nachdem Raito sich in das ordentliche, aber auch staubige Bett legt, beugt Samuel sich über ihn und krempelt ihm den Ärmel hoch. „So schlimm ist es jetzt nicht...“, sagt Raito schnell, aber Samuel winkt ab; „Die Wunde ist viel größer, als sie sein dürfte. Dieser Vampirjäger muss die Kugel mit Weihwasser kombiniert haben!“ Verena schlägt sich die Hand vor dem Mund und stößt einen erschrockenen Laut aus. So eine Reaktion ist nun wirklich ungewöhnlich für sie. Er sieht sie fragend an. „Weihwasser ist wie Gift für Vampire! Es ist so schon gefährlich, damit in Berührung zu kommen, aber Raito hat eine tiefe Wunde, so dass es direkt in den Körper gelangt!“ Sie hat Tränen in den Augen stehen, und auch Samuel sieht besorgt aus. Was ist denn auf einmal los? Eben waren sie noch alle zuversichtlich, das alles gut wird! Der Schuss wird Raito doch nicht töten können, Weihwasser hin oder her, er wurde nur in den Arm getroffen! Verzweifelt blickt Keisuke abwechselnd zu Raito, Samuel und Verena. „Ist schon gut, ihr müsst euch nicht so aufregen“, sagt Raito und hält sich die blutende Wunde fest. „Ich werde jetzt die Kugel rausholen“, entschließt Samuel, und schickt Keisuke und Verena raus, denn da müssten sie nicht zuschauen. Die beiden jüngeren Vampire warten also im Wohnzimmer, in dem die Luft sehr stickig ist. „Ich hole was zu trinken...“, sagt Verena und geht in die Küche. Keisuke ist sich sicher, dass Raito wieder gesund wird. Er muss einfach wieder gesund werden... Er bemerkt ein Bild mit Silberrahmen, das an der schmutzigen Wand hängt. Zwei Personen sind abgebildet. Bei näherer Betrachtung stellt Keisuke fest, dass es wohl ein Hochzeitsfoto ist, denn die Frau trägt ein weißes, langes Kleid und der Mann einen schwarzen Anzug. Das Paar umarmt sich und sieht sehr glücklich aus. Wer die wohl sind, fragt sich Keisuke. Er überlegt, einen Blick aus dem Fenster zu werfen, das von zerfetzten Gardinen „geziert“ wird, aber lieber setzt er sich wieder hin. Kurze Zeit später kommt Verena aus der Küche, mit zwei Teetassen in den Händen. Tee? Sie serviert in so einer Situation Tee? Keisuke schaut sie ungläubig an, und sie überreicht ihm stumm eine Tasse. Er blickt hinein und bemerkt, dass sie mit Blut gefüllt ist. „Ich trinke es gerne aus Tassen, dann kann ich mir einreden, dass es nur Tee ist, und nicht Blut, das einem Menschen entzogen wurde“, seufzt Verena. Keisuke hat ein bisschen Mitleid mit ihr, und nimmt einen Schluck. Es schmeckt fast genau so, wie die Konserven die er zu Hause hat, nur ist es wärmer. Da fällt Keisuke ein, dass er Verena nach neuem Blut fragen wollte, aber die Gelegenheit erscheint ihm ziemlich unpassend, denn das Mädchen starrt nur total besorgt in ihre Tasse. Sie hat sich ihm gegenüber gesetzt, so dass er sie ansehen kann, aber sie schaut nur nach unten. Wie soll er sie aufmuntern? Sie kennt doch die Zukunft, kann Keisuke ihr denn etwas sagen, was sie nicht weiß? Aber Moment mal, wenn sie die Zukunft kennt... „Verena...“, fragt Keisuke zurückhaltend; „Raito wird doch wieder gesund, oder?“ Sie vergräbt ihr Gesicht in den Händen: „Ich weiß es nicht! Ich kann es nicht sehen, ich kann nichts sehen...“ Keisuke spürt, dass es an der Zeit für ihn ist, irgendwas zu tun. Er stellt die Tasse auf den Tisch und ergreift Verenas Hand, und hält sie sanft fest. Sie schaut ihn an, ihre Augen sind mit Tränen gefüllt. Keisuke hat keine Ahnung, ob es hilft, ihre Hand zu halten, aber jetzt nur da zu sitzen wäre falsch. Verena schluchzt: „Ohne ihn... Wenn ihm etwas passiert, wenn er stirbt... Ohne ihn kann ich gar nichts, ohne ihn bin ich gar nicht...“ Sie kriegt keine ganzen Sätze zusammen. „Keine Sorge“, versucht Keisuke sie zu beruhigen, obwohl er selbst besorgt ist; „Ich bin mir sicher, dass er wieder gesund wird. Samuel... macht das schon.“ Verena wirkt nicht überzeugt. Leise spricht sie: „Ich brauche Raito... Er versucht mir zu helfen, damit ich wieder ein Mensch werden kann.“ Keisuke weiß, dass Verena sich in einen Menschen zurückverwandeln möchte, das hat sie ihm schon mehrmals erzählt. Auch, dass sie Raitos Hilfe dafür braucht. „Weißt du... Ich will wirklich kein Vampir mehr sein. Nicht nur, weil sie das Blut der Menschen trinken...“ Keisuke schaut sie fragend an, sagt aber nichts. „Du weißt, dass du als Vampir zum Beispiel nicht an Altersschwäche oder Krankheiten sterben kannst, oder?“ Keisuke nickt. Aber das spricht doch eher für ein Leben als Vampir, anstatt dagegen? Verena seufzt: „Der Gedanke, in diesem Sinne unsterblich zu sein, mag sich zuerst verlockend anhören. Aber das ist er nicht. Es ist schrecklich. Wir werden nie älter. Wir werden für ewig Jugendliche bleiben. Ich wünsche mir so sehr, dass ich wenigstens so alt gewesen wäre wie du, als Raito mich verwandelt hat.“ Sie hat nicht Unrecht. Keisuke ist 16, aber älter wird er nie werden. Zumindest nicht äußerlich. Es ist keine so starke Belastung für ihn, aber er versteht, dass Verena, die körperlich etwas jünger ist als er, verbittert ist, dass sie sich nicht weiter entwickeln kann. „Außerdem... Ich will diese Kraft nicht mehr haben. Als Mensch habe ich keine Kräfte, aber diese Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, ist ein Fluch!“ Keisuke versteht nicht genau, was sie damit meint: „Heißt das, du weißt schon, dass du kein Mensch mehr wirst?“ Verena schüttelt den Kopf: „Was das angeht, weiß ich fast gar nichts...“ Er bemerkt, dass er immer noch ihre Hand hält. Anstatt sie loszulassen, hält er sie noch ein bisschen fester: „Verena, falls Raito... sterben sollte... Ich verspreche dir, ich werde dir helfen, wieder ein Mensch zu werden!“ Voller Entschlossenheit lächelt er sie an. „Danke“, bringt sie hervor, und schon wieder glitzern Tränen in ihren Augen. Keisuke weiß, dass er sie jetzt umarmen würde, wenn der Tisch nicht zwischen ihnen wäre. Er fühlt sich aus irgendeinem Grund stärker als sonst. Als hätte er was, wofür er kämpfen muss... Wenn Raito diese Sache nicht überleben sollte. Verena lässt seine Hand los reibt sich die Augen: „Keisuke... Hast du auch einen Menschen ausgesaugt?“ Was, wieso fragt sie das denn jetzt? Er sieht sie stumm an. „Ich kann es spüren. Ich spüre, wie sich deine Aura seit unserem letzten Treffen verändert hat.“ Also weiß sie davon. Dass er Yuri ausgesaugt hat, Aber sie lebt noch, sie hat ihm ihr Blut sogar freiwillig angeboten. Nur warum muss ausgerechnet Verena davon wissen... Sie ist doch die einzige, die sich so verhält wie Keisuke, sie trinkt nie direkt von einem Menschen. „Tut mir leid“, sagt Keisuke bedrückt; „Es ließ sich nicht vermeiden...“ Eigentlich ist das eine Lüge, es hätte sich sehr wohl vermeiden lassen können. Bestimmt hätte er es geschafft, noch einen Tag ohne Blut auszukommen, selbst wenn es qualvoll gewesen wäre. Verena schüttelt den Kopf: „Ist schon in Ordnung. Ich bin glücklich, dass es nur einmal passiert ist, und dass du dir solche Mühe gibst. Du musst wissen, ich habe auch einmal jemanden ausgesaugt.“ Keisuke schaut sie überrascht an, damit hat er nicht gerechnet. Sie war immer so strikt dagegen, da konnte er sich sowas gar nicht vorstellen. „Ich habe nicht viel getrunken, damals, und ich habe ihn nicht getötet. Auch du, du darfst nie jemanden töten, Keisuke, ja?“ Sie sieht ihn ernst an. „Ja...“, antwortet Keisuke leise. Er hat ja nicht vorgehabt, jemanden umzubringen, aber was, wenn er sich in Lebensgefahr befindet? Und seinen Gegner zu töten, der einzige Ausweg ist um zu überleben? Keisuke verwirft diese Gedanken wieder. Dazu wird es wahrscheinlich nie kommen, also warum sollte er sich einen Kopf darum machen? Sie sitzen eine ganze Weile da und schweigen. Verena hat sich wieder beruhigt, ihre Augen sind trocken und sie starrt in ihre Tasse, aus der sie erst einen einzigen Schluck getrunken hat. Keisukes Tasse ist dagegen schon leer. Er weiß, dass sie sich große Sorgen um Raito macht, ihm geht es ebenso. Und dass Samuel immer noch nicht aus dem Zimmer gekommen ist, kann auch nichts Gutes bedeuten. Keisukes Hand verkrampft sich in seiner Jeanshose. Diese Vampirjäger waren echt gefährlich. Auch wenn sie am Schluss besiegt werden konnten, haben sie trotzdem Keisuke beobachtet und verfolgt um an Raito heranzukommen. Sollte er jetzt sterben... Dann wäre es Keisukes Schuld. Er sieht zu Verena. Muss es ihr nicht genauso gehen? Offensichtlich wusste sie, dass er verletzt werden würde, nur das Ausmaß war ihr unbekannt. Wahrscheinlich gibt sie sich auch die Schuld daran, dass es so weit gekommen ist. Sie atmet tief aus und nimmt ihre Tasse wieder, jedoch hält sie inne, bevor sie ihre Lippen berührt. Was hat sie denn auf einmal? Ihr ganzer Körper ist starr und mit angsterfülltem Blick scheint sie ins Leere zu schauen. „Verena?“, fragt Keisuke vorsichtig. Sie antwortet nicht. Er kann kaum vermuten, was nicht stimmt, da fällt ihr die Tasse aus der Hand und zerbricht mit lautem Klirren auf dem Boden. Verena springt auf, nimmt Keisukes Hand und zieht ihn mit sich. „Was... Was ist los?!“, fragt Keisuke geschockt. Ihr Verhalten macht ihm irgendwie Angst. Ist ihr etwas wichtiges eingefallen? Oder hat sie etwas gesehen? Als sie die Treppe hochlaufen, lässt sie seine Hand los: „Komm mit!“, ruft sie panisch. Er folgt ihr in Raitos Zimmer, in das sie ohne zu klopfen eindringt. „Was ist?“, fragt der genervte Samuel, der einen weißen Verband um Raitos Arm wickelt. Dieser schaut Verena stumm an. Keisukes Blick fällt auf das Bett, dessen grauer Bezug voller Blut ist. „Sie kommen“, sagt Verena, nun wieder etwas ruhiger; „Die Cursers kommen hierher.“ „Was sagst du da?!“, ruft Samuel aufgebracht; „Das ist unmöglich, wie sollen sie von diesem Haus wissen? Raitos Aura kann man nicht aufspüren, und unsere auch nicht, wenn wir in seiner Nähe sind!“ Verena nickt schnell, beharrt aber trotzdem auf ihrer Vision. „Vielleicht hast du dich ja geirrt?“, mischt sich Keisuke ins Gespräch ein. „Das Risiko können wir nicht eingehen“, sagt Raito und versucht, aufzustehen, doch er fällt fast sofort aufs Bett zurück; „Verdammt...“ Die anderen drei Vampire sehen ihn voller Mitleid an, und Raito schließt die Augen, um sich zu konzentrieren. „Ist schon gut, bleib liegen“, lächelt Samuel. Entschlossen geht der blonde Vampir zur Tür: „Wenn sie reinkommen, werde ich ihnen einen warmen Empfang bereiten.“ Keisuke zweifelt daran, ob er es alleine mit den Cursers aufnehmen kann. Verena fragt besorgt: „Und wenn Raid sich direkt hier rein teleportiert?“ „Versuch, es herauszufinden!“, drängt Samuel sie. Daraufhin schließt sie die Augen und alle sind still, um ihre Konzentration nicht zu stören. Doch schon nach einigen Sekunden öffnet sie die Augen wieder und seufzt: „Es klappt nicht. Ich kann nichts sehen... Gar nichts...“ Samuel nickt und wendet sich wieder Raito zu: „Kannst du ein Schattenwesen beschwören, das uns hilft?“ Aber Raito schüttelt den Kopf: „Dafür reicht meine Kraft nicht... Wir sind auf das eine angewiesen, das immer hier ist.“ Er streckt die linke Hand aus und murmelt etwas, was keiner versteht, zumindest Keisuke nicht. Plötzlich taucht ein großer, schwarzer Schatten auf, der wie ein Wolf aussieht. Zuerst erschrickt Keisuke, als das Schattenwesen einfach aus dem Boden kommt, aber er fängt sich schnell wieder, weil er weiß, dass diese Tiere auf Raitos und somit auch auf seiner Seite stehen. „Der bleibt bei dir“, entschließt Samuel kurz und Raito stimmt nickend zu. Unerwartet ist ein lautes Geräusch von unten zu hören, als wäre etwas explodiert. „Die Haustüre...“, flüstert Verena. Samuel nickt den anderen zu: „Ich gehe.“ Das schafft der doch niemals alleine, der hat doch schon gegen Raid alt ausgesehen. Und wer weiß, welche und wie viele Cursers jetzt angreifen? „Ich helfe dir!“, sagt Keisuke ängstlich, aber dennoch entschlossen. Er will jetzt nicht nutzlos sein, sondern irgendetwas machen, um Raito zu helfen. „Du? Du kannst doch gar nichts!“, knurrt Samuel sauer. Eigentlich hat er recht, aber... Keisuke möchte es zumindest versuchen. „Ist schon gut“, sagt Raito; „Wenn er mitkämpfen will, dann lasst ihn. Keisuke, in der untersten Schublade dort vorne ist ein Dolch. Ich schenke ihn dir.“ Ist das sein Ernst? Raito schenkt ihm eine Waffe? Keisuke weiß, dass er sie brauchen wird, und die Zeit drängt. Er huscht hinüber zur Kommode und öffnet die unterste Schublade. Neben ein paar Leinentüchern findet er das Messer und nimmt es heraus. Die Waffe ist für einen Dolch ganz schön lang, die messerscharfe Klinge schimmert silbern und der Griff ist perlenbesetzt. Das Teil scheint ganz schön wertvoll zu sein. „Jetzt los!“, hetzt Samuel, aber Verena wirft ein: „Wartet, ich komme auch mit!“ „Nein, bleib hier“, antwortet der Blonde kurz. „Aber...“, fängt Verena an, wird aber prompt von Samuel unterbrochen: „Jemand muss bei Raito bleiben!“ Damit meint er wohl, jemand außer dem großen Wolf, der in der Ecke des Schlafzimmers hockt. Jetzt reißt Samuel die Tür auf und rennt schnell nach unten, Keisuke folgt ihm, kann aber nicht so schnell laufen, weil seine Furcht ihn etwas zurückhält. Die beiden rennen ins Wohnzimmer, und sehen, dass die Haustür scheinbar weggesprengt wurde, zumindest klafft dort jetzt ein großes Loch. Auf dem Sofa sitzen zwei Personen, eine davon ist Frau mit langen, grauen Haaren und roten Augen, die ein altmodisches schwarzes Kleid trägt. Emily Halo. Die Königin der Cursers. Oh nein, warum nur ausgerechnet diese Frau. Diejenige, die Keisukes Fähigkeit gestohlen hat, die sich unsagbar viele Fähigkeiten angeeignet hat. Er hat im Stillen gehofft, nicht auf sie zu treffen. Sie lacht laut auf, als sie Keisuke und Samuel entdeckt und erhebt sich. „Ist das alles? Ich habe euch so viel Zeit gegeben, euch vorzubereiten, und dann kommt nur ihr zwei Unwürdigen? So eine Verschwendung von Zeit.“ Samuel funkelt sie zornig an, ohne etwas zu sagen, und sie spricht weiter: „Und wenn ich das sage, hat es besonderes Gewicht. Immerhin bin ich unsterblich.“ Sie wendet sich an die andere Person: „Nicht wahr, Sense?“ Keisukes Blick fällt auf den immer noch sitzenden Jungen neben Emily. Er muss noch ganz jung sein, bestimmt nicht älter als elf, und trotzdem identifizieren ihn seine silbergrauen Haare und roten Augen eindeutig als Vampir. Er nickt der Königin zu, und Emily kichert. „Ist er nicht süß? Wir haben es ihm zu verdanken, dass ich euch gefunden habe...“ Also ist der Kleine ein Curser? Keisuke ist geschockt. Seit wann benutzen die Curser denn Kinder? „Also hat er die Kraft, Vampire aufzuspüren?“, vermutet er laut. „Selbst wenn!“, ruft Samuel sauer; „Raitos Aura schützt ihn und die Vampire ihn seiner Nähe vor dieser Art von Lokalisation!“ Über die Aussage kann Emily nur gähnen: „Kann ja alles sein... Aber wir haben euch gefunden, oder nicht? Raito hat keine Kraft mehr, der Vampirjäger hat ihn so schwer verletzt, dass er sich erst regenerieren muss. Und wir haben die Zeit genutzt...“ Sie streichelt Sense den Kopf: „Warte draußen auf mich, Kind. Ich bin gleich hier fertig.“ Sense nickt und geht gemütlich durch das riesige Loch in der Wand nach draußen, bis er hinter einem Baum verschwindet. „Und jetzt zu euch...“, sagt Emily grinsend; „Von euch will ich eigentlich nichts. Aber ich kann wohl nicht davon ausgehen, dass ihr mich vorbeilasst, damit ich oben Raito umbringen kann?“ „Richtig geraten!“, ruft Samuel höhnisch, und erst jetzt sieht Keisuke, dass er eiserne Krallen an den Händen trägt. Das ist also seine Waffe... Aber wann hat er sie angezogen? Keisuke hat nicht mal mehr Zeit, darüber nachzudenken, da stürzt sich Samuel schon brüllend auf Emily, die ihm ihre Hände entgegenhält. Samuel duckt sich und greift mit seinen Metallklauen ihren Unterkörper an, aber es ist, als würde ihr schwarzes Gewand den Angriff abfedern, und nur das Kleid zerfetzt werden. Emily bleibt unverletzt und fängt an zu lachen: „Also SO einfach ist das jetzt nicht!“ Sie versetzt ihm einen harten Schlag auf den Kopf, sodass Samuel hinfällt und liegenbleibt. Das kann doch nicht sein, denkt Keisuke, das ist doch nicht wahr. Sie hat ihn durch einen Schlag mit bloßer Hand besiegt! Und Emily ist nun nicht gerade eine muskulöse Frau. „Oh, so ein Mist. Mein schönes Kleid.“ Sie sieht seufzend an sich hinunter, bevor sie sich Keisuke zuwendet und ihn überlegen anlächelt. Nein... Er hat keine Chance gegen sie... Sie ist VIEL stärker... Was soll er nur machen? Wieder ertönt ihre boshafte Stimme: „Du hast zwar eine Waffe in der Hand, aber du machst nicht den Eindruck, als würdest du mich ernsthaft aufhalten wollen.“ Sie geht einfach an ihm vorbei. Als wäre er nicht da. Aber Moment mal... Wenn er sie jetzt da hochgehen lässt, dann ist er wirklich nicht da! Dann ist er für Raito nicht da! Er muss etwas unternehmen... Emily ist inzwischen schon auf den Weg die Treppe hoch, als Keisuke sich umdreht und sie verfolgt. Dieser fällt das aber erst im Flur des Obergeschosses auf. „Oh, hast du es dir anders überlegt?“, fragt sie gelangweilt. „Ja... Töte mich doch, wenn du willst!“, schreit Keisuke und merkt, wie ihm die Tränen in die Augen steigen; „Aber vorher wirst du nicht zu Raito kommen!“ Ihm ist jetzt alles egal. Wenn sie ihn jetzt umbringt, dann ist er wenigstens sinnvoll gestorben, und konnte doch noch von Nutzen sein. Emily, sichtlich unbeeindruckt von Keisukes Worten, fängt einfach an zu lachen: „Du bist es nicht mal wert, von mir getötet zu werden!“ Sie richtet ihre Hände auf Keisuke, und bevor dieser weiß, was er jetzt am besten macht, fühlt er, wie sich etwas um seinen Körper schlingt. Schattenhafte Bänder, dick wie stahl, umfassen seine Arme, seine Beine, und seinen Brustkorb. Er fällt zu Boden. „Was hast du mit mir gemacht?“, fragt er verzweifelt. Unfähig sich zu bewegen liegt er da, das Atmen fällt ihm schwer. Die schwarzen Schlingen hindern ihn an jeder Aktion. Was macht sie jetzt? Wird sie ihn jetzt töten? Wahrscheinlich nicht... Lachend öffnet sie die Tür zu Raitos Schlafzimmer. „Nein!“, keucht Keisuke. Jetzt ist es zu spät... Keisuke kann vom Flur aus sehen, was im Schlafzimmer passiert. Der schattenartige Wolf springt Emily an, aber sie zerfetzt ihn kurzerhand in der Luft, und der Schatten löst sich auf. Nein! Wie kann das sein? Nur der Wolf hätte Raito beschützen können... Jetzt steht er ganz alleine da. „Tja, mein Lieber...“, flüstert sie; „Irgendwann ist es eben vorbei...“ Das darf nicht sein... Keisuke versucht vergeblich, sich zu befreien. Emily ist über Raito gebeugt und hält seine Hände fest: „Du wirst dir kein Helferlein mehr beschwören... Dein Leben ist nun zu Ende.“ Ein lauter Knall, offensichtlich ist die Kommode umgestoßen worden. „Du hast MICH vergessen!“, ruft eine ziemlich zornige Verena. Emily schaut sie überrascht an: „Du? Die Kleine Hellseherin? Hau ab, Mädel, hier spielen Erwachsene!“ Verena macht ein paar Schritte auf Emily zu, und bei jedem Schritt scheint die Erde zu erzittern. Ihre blutroten Augen leuchten hell und sie schreit: „WEG VON RAITO!!!“ Emily grinst und richtet ihre Hände auf Verena, wie sie es bei Keisuke gemacht hat, aber Verena ist schneller: Sie schlägt Emilys Hände einfach runter bevor diese ihre Kraft einsetzen kann. „Du wagst es!“, faucht Emily und zieht eine scharfe Nadelpfeile aus ihrem Kleid, mit dem sie anfängt, auf Verena einzustechen, aber diese kann absolut jeder Attacke ausweichen. Das ist also die wahre Kraft der Seherin, überlegt Keisuke, sie sieht jeden Angriff ihres Gegners voraus und kann sich dementsprechend dagegen verteidigen. Schließlich schafft Emily es trotzdem, Verena bis an die Wand zurückzudrängen. Gerade holt sie aus, um mit der Nadelpfeile anzugreifen, da hält Verena prompt ihre Hand fest. Ihre Hände zittern, sie atmet schwer. Und dann gibt Verena ihr mit der anderen Hand eine schallende Ohrfeige, die scheinbar so stark ist, dass Emily zu Boden fällt. Wow, denkt Keisuke, er hätte nie vermutet, dass sie so stark ist. Er merkt, wie sich seine Schlingen lösen. Zuerst nimmt er an, dass es daran liegt, dass Emily besiegt wurde, aber nein, Samuel ist hinter ihm aufgetaucht und entfesselt ihn. Keisuke bedankt sich und steht auf. Verena läuft zu Raito, der immer noch auf dem Bett liegt und sich gerade noch bei Bewusstsein halten kann. „Bist du in Ordnung? Hat sie dir etwas getan?“, fragt sie voller Sorge. Raito schüttelt den Kopf: „Danke... Du hast dich für mich eingesetzt.“ Keisuke schaut glücklich zu Samuel, der beruhigt seufzt: „Tja, jetzt müssen wir noch schauen, was wir mit der... Nein, Verena, VORSICHT!!!“ Keisuke dreht sich blitzschnell wieder um und sieht, dass Emily wieder aufgestanden ist, hinter Verena steht, und sie gerade mit der Nadelpfeile durchbohrt hat. „NEIIIIN!!!“, schreit Keisuke und will zu ihr laufen, doch Samuel hält ihn fest. „Nein, lass mich los!“ Verena steht immer noch vor Raitos Bett, und wird wieder und wieder von Emilys Waffe durchstochen. Keuchend fällt Verena auf das Bett, das Blut fließt aus all ihren Wunden. Nicht, denkt Keisuke, irgendwer muss ihr doch helfen! Er weiß nicht, was er machen soll. Samuel hält ihn mit aller Kraft fest. Sie beugt sich mit letzter Kraft über Raito und flüstert ihm etwas ins Ohr. Emily steht schwer atmend dahinter und sieht die beiden hasserfüllt an. Raito nickt Verena zu, und streichelt ihren Kopf, ihr silbernes Haar. Sanft legt sie ihren Kopf in seinen Schoß. „Das geschieht dir recht!“, krächzt Emily und bückt sich, damit sie mit einer kleinen Explosion ein Loch in den Boden schießen und dadurch verschwinden kann. Erst jetzt lässt Samuel Keisuke los, und dieser rennt ungehindert zu Verena. „Verena! Verena! Was ist los, wach auf!“, ruft er voller Verzweiflung. Raito legt seine Hand, die bis jetzt Verenas Kopf gestreichelt hat, auf Keisukes Hand: „Sie ist tot, Keisuke.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)