Cruel Nature von Rhyo ================================================================================ Kapitel 7: Café "Lexy" ---------------------- Café „Lexy“ Eine Stimme dringt durch das Treppenhaus, so laut, dass sie in Keisukes Zimmer zu hören ist: „Keisuke!!! Du hast Post!“ Post? Von wem? Er unterbricht sein Computerspiel und schaltet den Bildschirm aus. Nach den traurigem Ereignis vor ein paar Tagen hat er sich nur noch damit abgelenkt. Shizuka hat sich noch nicht bei ihm gemeldet, und wenn er bei ihr anruft, kann er höchstens mit dem Anrufbeantworter sprechen, was auch nicht gerade hilfreich ist. Er steht auf und geht aus dem Zimmer. Miho wartet unten am Treppenabsatz mit einem Brief in der Hand. Keisuke hat ihr erzählt, was bei Shizuka passiert ist, allerdings verschwieg er, dass Vampire im Spiel waren. Sie soll sich ja keine Sorgen machen, nein, sie hat wirklich schon genug Probleme. „Dich bekommt man ja kaum noch zu Gesicht!“, sagt sie lächelnd. „Kann schon sein...“, antwortet er mit gedämpfter Stimme. Er weiß, dass es Miho keineswegs kalt lässt, das Shizukas Eltern getötet wurden, immerhin haben die beiden ihr damals sehr viel Arbeit abgenommen, nach dem Tod von Keisukes Eltern... Er seufzt. Es werden viel zu viele Kinder zu Waisen, stellt er fest. „Also hier ist ein Brief für dich. Ein Absender steht nicht drauf.“ Er nimmt den Brief und sieht ihn sich an. Der letzten Brief, den er bekam, war von Verena. Ob dieser auch von ihr ist? Vielleicht weiß sie ja durch ihre Gabe, was passiert ist, und will mit ihm sprechen. Oder er ist von jemand ganz anderem. Auf der Rückseite des Umschlags steht „Für Keisuke“ geschrieben, jedoch ist die Handschrift ihm völlig unbekannt. Miho ist schon wieder in der Küche verschwunden, als Keisuke den Brief öffnet. Er setzt sich auf die Treppe, um ihn zu lesen: „Keisuke, entschuldige, dass ich mich nicht bei dir gemeldet habe. Ich habe in letzter Zeit eine Menge Stress. Und ich muss etwas loswerden, ich muss dir etwas sehr wichtiges sagen. Es liegt mir am Herzen. Kommst du heute Nachmittag um 17:00 Uhr in das Café 'Lexy' ? Ich möchte dich dort treffen. Ich werde da sein. -Shizuka“ Was, der Brief ist von ihr? Warum schreibt sie ihm denn einen Brief anstatt einfach anzurufen? Keisuke weiß, dass sie seine Telefonnummer auswendig kennt. Hat sie irgendwelche Probleme? Oder... Er sieht sich den Brief genauer an. Irgendwas ist da faul. Diese Art zu schreiben, und sich so gewählt auszudrücken, das ist untypisch für sie. Auch die Handschrift... Ist das wirklich ihre? Keisuke ist sich nicht sicher. Das Café, was im Brief erwähnt wird, kennt er auch nicht. Er faltet den Brief zusammen und verschränkt die Arme vor dem Kopf. Was soll er tun? Ist das wieder eine Falle? Dann sollte er lieber nicht darauf eingehen... Aber wenn nicht? Dann würde er seine beste Freundin in Stich lassen, jetzt, wo sie seine Hilfe so dringend braucht. Und anscheinend will sie ihm etwas sehr wichtiges sagen. Er muss einfach hingehen. Er will Shizuka nicht enttäuschen, erst recht nicht, nachdem was sie gerade durchgemacht hat. Die Neugier lässt ihm keine Ruhe. Ein Blick auf die Uhr verrät Keisuke, dass es kurz nach zwei ist. Er betritt die Küche, in der seine Schwester das Geschirr abspült „Miho?“ Sie dreht sich zu ihm um: „Ja? Hast du den Brief gelesen?“ „Ähm, ja...“, sagt er zögerlich; „Es ist eine Einladung von Shizuka... Ich soll mich in einem Café mit ihr treffen.“ Miho kichert etwas: „Nur ihr beide? Ist das ein Date?“ Nicht zu glauben! Wie kann sie jetzt sowas sagen? Keisuke und Shizuka sind nur gute Freunde, nicht mehr. Und jetzt gibt es sowieso wichtigere Dinge! „War doch nur ein Scherz, du musst mich nicht gleich so böse anschauen“, lächelt sie. Anscheinend hat sie heute wirklich gute Laune. „Ich fände es ja schon toll, wenn wenigstens mein kleiner Bruder eine Freundin hätte, wenn ich schon niemanden finde...“ Keisuke beschließt, nicht weiter darauf einzugehen, und fragt stattdessen: „Das Café, wo sie mich treffen will, heißt 'Lexy'. Weißt du, wo das sein könnte?“ „Lexy, Lexy... Ist das nicht das Café mit den vielen Blumen, wo immer die ganzen Senioren hingehen? Es ist rechts neben Schneiders Tierhandlung.“ Ein Café für Senioren? Ausgezeichnete Wahl, Shizuka... Nein, das passt jetzt wieder zu ihr. „Wo die Tierhandlung ist, weiß ich. Danke, Miho.“ Sie nickt. „Ach ja, übrigens habe ich jemanden zum Abendessen eingeladen. Eine junge Medizinstudentin, ich habe sie gestern auf der Arbeit kennengelernt. Ich würde es toll finden, wenn du ihr nicht an den Kopf werfen würdest, dass du ein Vampir bist, ja?“ Wenn es weiter nichts ist... Um halb fünf schaut Keisuke ein letztes Mal in den Spiegel. Er hat sich wirklich hergerichtet für sie. Warum eigentlich? Es ist doch nur Shizuka, die über etwas reden möchte. Er beschließt, sich auf den Weg zum Café zu machen, er will ja nicht zu spät kommen. Nach etwas mehr als einer halben Stunde steht er bei Schneiders Tierhandlung, und daneben befindet sich wirklich ein unauffälliges Café mit gestreiften Markisen und dem Schriftzug: „Lexy“. Vor dem Eingang stehen ein paar Tische, an denen alte Damen sich bei Kaffee und Kuchen unterhalten. Keisuke geht an ihnen vorbei in das Innere des Ladens. Das Café hat eine sehr düstere Atmosphäre. Auch hier stehen viele Tische, aber sie sind allesamt verstaubt und Gäste sitzen auch keine an ihnen. Shizuka scheint noch nicht da zu sein. Keisuke setzt sich an einen Tisch in der Ecke. Es ist typisch für sie, zu spät zu kommen. Das war schon immer so, wenn sie sich verabredet hatten. Er war tierisch besorgt um sie und später stellt sich heraus, dass sie sich nur mal wieder beim Telefonieren verquatscht hatte. Ein älterer, korpulenter Herr reißt Keisuke aus seinen Gedanken: „Hallo, junger Mann. Was kann ich Ihnen bringen?“ Der Mann hat ein sehr freundliches Gesicht, und irgendwie kommt er Keisuke bekannt vor. Aber das ist wahrscheinlich nur ein Zufall. Keisuke bestellt einen Kakao, den er nach ein paar Minuten auch an den Tisch gebracht bekommt. „Möchten Sie sofort bezahlen?“, fragt der ältere Herr. „Hmm... Ja, warum eigentlich nicht“, antwortet Keisuke schulterzuckend. Keisuke wartet und wartet. Zehn Minuten, zwanzig Minuten, dreißig Minuten... Die alte Standuhr neben der Theke macht ihm immer wieder deutlich, wie lange Shizuka sich verspätet. Langsam beschleicht Keisuke das Gefühl, dass da was nicht stimmt. So lange nicht aufzutauchen, ist selbst für Shizuka ungewöhnlich. „Kann ich Ihnen noch etwas bringen?“, fragt der alte Mann. „Nein...“, antwortet Keisuke; „Haben Sie vielleicht ein Mädchen mit schwarzen Haaren gesehen? Sie ist ungefähr so alt wie ich. Ich wollte mich hier mit ihr treffen, aber sie kommt einfach nicht.“ Der alte Herr fängt an zu lachen: „Meinst du das Ernst, Junge? Ein Mädchen mit schwarzen Haaren? Die ist doch schon die ganze Zeit da!“ Keisuke ist verwirrt: „Wie, die ganze Zeit? Wo denn?“ Der Mann zeigt auf eine alte Tür an der hinteren Wand des Raumes: „Da unten sind auch noch Gäste! Sie hat sich schon dahingesetzt, bevor du hier hineingekommen bist.“ Keisuke betrachtet die Holztür. Er hat angenommen, der Bereich hinter ihr wäre privat und nicht für Gäste. Und anscheinend wartet Shizuka schon total lange da! Er bedankt sich bei dem Mann und öffnet die knarrende Holztür. Eine Steintreppe führt in eine Art beleuchteten Keller. Langsam steigt er die Treppe hinunter und sieht sich um. Hier stehen ein paar alte Tische und Stühle, aber es ist kein einziger Mensch zu sehen. Was soll das denn? Der alte Kerl wird ihn doch nicht angelogen haben? Keisuke macht ein paar Schritte vor: „Shizuka? Bist du hier irgendwo?“ Plötzlich erklingt ein lauter Knall hinter ihm, gefolgt von einer Männerstimme: „Ihr Vampire seid wirklich dumm.“ Keisuke dreht sich blitzschnell um. Hinter ihm steht ein junger Mann mit schwarzen Haaren. Reflexartig rennt Keisuke auf die andere Seite des Raumes und versteckt sich hinter einem Tisch. „Was willst du von mir?“, ruft er verzweifelt. „Ich will nur die Brut des Teufels auslöschen. Und naja – das schließt dich mit ein.“ Wie konnte Keisuke nur so dumm sein. Es ist also doch eine Falle, und er ist voll hinein getappt. Aber warum will dieser Typ ihn töten? Er hat ihm doch nichts getan! Keisuke hört die Schritte des Unbekannten, der auf ihn zukommt. „Wer... Wer bist du?“, fragt er, obwohl er weiß, dass es ihm nicht weiterhelfen wird, wenn er den Namen seines Mörders kennt. „Du kennst mich nicht?“ Der Mann bleibt stehen. „Du bist ein Vampir, und trotzdem kennst du mich nicht? Ich bin Epheral Locover, der Präsident der Provitas!“ Das alles sagt Keisuke nichts. „Was ist 'Provita'?“ Ihm ist bewusst, dass er die Fragen nur stellt um Zeit zu schinden, und nicht, weil es ihn wirklich interessiert. „Hmm... Also entweder bist du extrem dumm, oder du bist noch nicht lange ein Vampir. Beides macht es mir sehr viel einfacher. Und jetzt halt still!“ 'Halt still'? Langsam wendet Keisuke seinen Kopf nach hinten, und sein Herz pocht mit solcher Kraft, dass ihm schlecht davon wird. Epheral Locover steht hinter ihm, mit einem langen, schwarzen Gewehr in beiden Händen, welches er Keisuke direkt an den Kopf hält. In Epherals Augen ist nur eins zu sehen: Purer Hass! Keisuke weiß, dass er ihn jetzt jeden Moment töten wird. Er wird abdrücken, und dann wird Keisuke sterben. Ihm schießen Tränen in die Augen. Shizuka, Sakito, Miho, Mama und Papa... Plötzlich fängt die Erde an zu beben. Mit einem lauten Krachen fliegt die Holztür auf und es betritt eine weitere Person den Raum. Epheral richtet seine Waffe jetzt auf diese Person, was Keisuke die Gelegenheit gibt, hinter die andere Seite des Tisches zu rutschen und zu sehen, wer da reingekommen ist. Ein junges Mädchen steht vor ihnen, mit langen orangenen Haaren und blutroten Augen. Ist sie etwa ein Vampir? Dann fallen Keisuke die Ohren des Mädchens auf, die wie die eines Fuchses oder einer Katze aussehen. Ihr blassroter Kimono leuchtet wie ihre Augen, und mit hallender Stimme spricht sie: „Ich bin die heilige Fuchsgöttin Kitsune! Ich verbiete die Anwendung von Gewalt in meinem Bereich!“ Fuchsgöttin? Keisuke dachte, dass es nur ein Mädchen ist, dass sich komisch anzieht. Aber so wie sie am ganzen Körper leuchtet und wie ihre Stimme ein Echo erzeugt, könnte es sein. „Ich glaube nicht an alte Märchen!“, ruft Epheral; „Du bist doch eine Dienerin der Vampire...“ „Ich bin die heilige Fuchsgöttin! Wenn du mir nicht glaubst, sehe die Kraft, die in meiner linken Hand steckt!!“ Mit diesen Worten hält sie ihre Hand hoch. Keisuke betrachtet sie gespannt, aber für ein paar Sekunden scheint nichts zu passieren. Und dann... Ein dumpfer Knall sowie ein kurzer Aufschrei: Die Fuchsgöttin hat Epheral eine Sprühdose an den Kopf geschleudert! „Jetzt oder nie!“, schreit sie, nimmt Keisukes Hand und zerrt ihn nach draußen. Ohne zurückzublicken rennen die beiden aus dem Café zu einem Parkplatz weit hinter den Gebäuden der Innenstadt. Außer Atem setzt Keisuke sich hin. Seine Retterin ist ebenfalls erschöpft: „Gerade nochmal gutgegangen!“ Er blickt sie an: „Warum hast du mich gerettet, Fuchsgöttin Kitsune?“ Plötzlich verfällt sie in einen Lachkrampf: „Was? Hahaha, Fuchsgöttin Kitsune? Du bist echt blöd! Hast du mir das abgekauft? Habe ich so gut gespielt?“ Keisuke kommt sich im nächsten Moment wirklich dumm vor. Selbstverständlich gibt es keine Fuchsgötter, das sind alles nur alte Mythen. „Mein Kimono ist so präpariert, dass ich nur an diesem Faden ziehen muss, damit er leuchtet. Das ist eine tolle Erfindung, oder? Ich habe sie einem Wissenschaftler abgekauft, der dringend Geld brauchte. Ich kann damit Leute erschrecken, wenn ich will.“ Keisuke sieht sie etwas ungläubig an: „Macht es dir Spaß, Leute zu erschrecken?“ „Aber klar!“, antwortet sie bestimmt. „Und wie hast du das mit deiner Stimme gemacht?“, will er wissen. „Was habe ich denn gemacht? Ich habe eine sehr laute Stimme. Das kann ich natürlich zu meinen Vorteil einsetzen, hihi!“ Dieses Mädchen ist irgendwie verrückt, aber sie hat auch etwas süßes an sich. „Weißt du... warum dieser Typ mich töten wollte?“ „Er ist ein Vampirjäger“, erwidert sie gelangweilt; „Ich glaube, sogar ihr Anführer. So unvorsichtig wie du bist, war es ja klar, dass sie dich kriegen. Aber zum Glück ist er auf meinen Trick mit der linken Hand reingefallen; in der Zeit, wo ihr auf die Linke geachtet habt, habe ich mit der Rechten ein Antiflohspray nach ihm geworfen! Cool, oder?“ Keisuke schaut sie entsetzt an. Sie weiß, dass er ein Vampir ist? Und Vampirjäger jagen ihn? Wenn sie darüber Bescheid weiß, dann... „Du bist auch ein Vampir, oder?“ „Nö, voll daneben“, lautet ihre kurze Antwort. Seltsam, bei ihren blutroten Augen hatte er das angenommen. „Ich würde gerne wissen, warum du mir geholfen hast“, fragt Keisuke ein wenig depressiv. Sich von einem kleinen Mädchen das Leben retten lassen ist schon ein bisschen peinlich. „Weil ich immer versuche, anderen zu helfen. Ist doch ganz klar!“ Ist das wirklich so klar? Sie hat ohne Zweifel ihr Leben riskiert. Keisuke weiß nicht, ob er für einen völlig fremden Menschen auch dazu in der Lage wäre. „Dieses Café gehört übrigens meinen Eltern! Und ich habe keine Ahnung, wer dieser komische alte Mann war, der am freien Tag meines Vaters einfach das Café geöffnet hat!“ Es gehört ihren Eltern? Der alte Mann dort hat Keisuke auch in die Falle gelockt. Dem kann man also auch nicht trauen... „Also, ich gehe dann nach Hause!“, ruft das Mädchen munter. „Warte! Wie heißt du?“, fragt Keisuke. Sie dreht sich um und lächelt ihn an: „Ich bin Yuri. Yuri Monou. Freut mich dich kennenzulernen, Keisuke!“ Mit diesen Worten verschwindet sie blitzschnell zwischen den Autos. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Er bleibt noch eine Weile dort sitzen, und denkt nach. Wieso trachtet ihm alle Welt nach dem Leben? Er hat doch nichts schlimmes getan. Das ist wirklich ungerecht... Bald wird es wieder Ärger geben, da ist er sich sicher. Vielleicht wäre es besser gewesen, sich nicht in einen Vampir zu verwandeln. Aber dann hätte ihn die Krankheit dahingerafft... So hat er wenigstens noch eine Chance, zu überleben. Nach einer Weile steht er auf und beschließt, nach Hause zu gehen. Plötzlich muss er sich fragen, woher Yuri denn seinen Namen weiß?! Beängstigend... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)