Requiem of Sorrow von Lexi_ ================================================================================ Kapitel 1: Der Anfang --------------------- Es war ein kühler, grauer Morgen als ein junges Mädchen leise aus dem Haus schlich. Es hatte rostrote Haare, welche etwas länger als bis zu Schulter waren, graue Augen, lange, spitze Ohren und bäuerliche Kleidung. Sie kam aus einer Bauernfamilie, was man deutlich an ihrer Kleidung erkennen konnte. Dennoch trug sie einen Dolch bei sich. Das Mädchen blickte sich vorsichtig um, schulterte schließlich seinen Rucksack und ging auf das Dorfende zu. Sie warf einen letzten traurigen Blick zu ihrem Elternhaus und ging schließlich weiter. Ihr Weg führte sie durch einen Wald und zu einer riesigen Ebene. Sie war noch nie so weit gegangen; ihr Beruf hatte es ihr nie erlaubt. Aber jetzt hatte sie die Chance dazu. Sie war endlich frei und konnte machen, was sie wollte. Sie blieb mitten im hohen, saftig grünen und vom Morgentau genässten Gras stehen und blickte sich um: Rund herum Berge, welche die Ebene schützend umkreisten, ein dichter Wald im Osten, herabstürzende Wasserfälle und überall entfernt sah man kleine Rauchwolken in den Himmel steigen; anscheinend standen die meisten jetzt auf. »Dann wird meine Familie auch schon munter sein…«, dachte sich das Mädchen und ging lieber weiter, als dass sie von jemandem aus ihrem Dorf gefunden und zurückgezerrt wurde. Eigentlich war das, was sie gerade tat, recht gefährlich. Über den Wald im Osten erzählte man sich unheimliche Dinge; von Werwölfen die Nachts an einen heranschlichen und ihn grausam bei lebendigem Leibe zerrissen; oder von Dunkelelfen, die ihre schlafenden Opfer mit Alpträumen quälten, bis sie Selbstmord begingen. Aber das Schaurigste für das Mädchen waren immer noch die Geschichten über die Vampire: Sie kommen Nachts, mit ihren blutunterlaufenen Augen sehen sie jedes Leben selbst durch meterdicke Wände, mit ihren Krallen halten sie einen fest und schließlich rammen sie ihre unnatürlich langen Reißzähne in das Fleisch bis das Blut herausquillt, welches sie trinken. Wenn man überlebt, wird man selbst zum Vampir und muss selbst Menschen töten. Aber wenn nicht, wird die Seele nie Ruhe finden. Das Mädchen schauderte bei diesen Gedanken und bewegte sich mit schnelleren Schritten fort; noch vor Nachteinbruch wollte sie im nächsten Dorf sein. Der Himmel hatte sich im Westen schon rot gefärbt als das Mädchen in einer kleinen Stadt ankam. Es waren nur mehr wenige Leute unterwegs; darunter hauptsächlich Kinder die schreiend herumliefen und spielten. »Hoffentlich bekomme ich noch irgendwo Unterkunft,« dachte das Mädchen etwas bedrückt und steuerte auf den nächstgelegenen Gasthof zu. Als sie die schwere Holztür öffnete kam ihr ein unwohler Gestank von Alkohol, Rauch und Erbrochenem entgegen. Lieber wäre das Mädchen wieder nach draußen geflohen, aber wenn sie jetzt umdrehen würde wäre das feige, dachte sie sich und ging todesmutig hinein. Sie wurde von den besoffenen Männern angegafft und angelallt, doch sie ignorierte sie gekonnt und war nun am Tresen angelangt. Dahinter stand eine groß gewachsene, junge Frau mit blond-braunen Haaren; das Mädchen vermutete, dass die Frau eine Hochelfe war. »Was kann ich für dich tun?«, fragte die Frau mit einer rauchigen Stimme die das Mädchen etwas abschreckte, doch von alledem ließ sie sich lieber nichts anmerken. »Ich wollte fragen, ob Ihr vielleicht ein Zimmer habt?«, fragte das Mädchen schließlich und die Hochelfe nickte zustimmend: »Ja, so was haben wir. Kostet für eine Nacht 20 Silberlinge.« Das Mädchen stutzte bei so einem billigen Preis. Normalerweise, zumindest hatte sie es so von jemandem aus dem Dorf gehört, kostet eine Übernachtung an die 50 Silberlinge. Des Mädchens erstauntes Schweigen verunsicherte die Hochelfe, welche sagte: »Wieso so verwundert? Hast du zu wenig Geld bei dir?« Das Mädchen schüttelte den Kopf und erklärte: »Ich war nur erstaunt, dass eine Übernachtung hier nur 20 Silberlinge kostet. Ich habe gehört, dass es normalerweise an die 50 sein sollten.« Das Mädchen kramte ihren Geldbeutel aus dem Rucksack und legte der Frau 20 Silberlinge hin. »Wer hat dir denn so was erzählt?«, fragte die Frau interessiert und dennoch belustigt und nahm das Geld. »Jemand aus meinem Dorf.« Die Frau begann laut zu grölen und sagte unter Lachen: »Aus welchem Dorf kommst du denn? So einen Mist habe ich ja noch nie gehört!« Überrumpelt und auch etwas beleidigt sagte das Mädchen: »Ich komme aus Alrus.« »Aus Alrus? Das ist ja mal was Neues. Ich habe zwar schon von diesem Dorf gehört, aber nie jemanden selbst von dort gesehen. Man sagt sich, dass noch nie einer, der dort wohnt, auch nur in die Nähe der Ebene von Cyrel kommt.« »Das ist wahr. Es verstößt gegen unser Gesetz in die Ebene zu gehen.« »Dann hast du also das Gesetz gebrochen? Freiwillig?« »Ja.« »Und weshalb? Es soll dort ja sehr schön sein.« »Es war langweilig. Es gab einfach nichts mehr zu entdecken. Außerdem, wenn man jahrelang nur in einem Dorf lebt und nur einen einzigen Beruf ausüben kann, fühlt man sich ganz schön eingekerkert.« »Ich kann dich gut verstehen. Wie heißt du überhaupt?« »Ich heiße Juno. Und wie ist Ihr Name?« »Du brauchst mich nicht zu siezen. Ich bin Feyna.« »Freut mich, dich kennen zu lernen.«, lächelte Juno und Feyna erwiderte mit einem leichten Kopfnicken. Juno und Feyna unterhielten sich so lange, bis die meisten gegangen waren. Während sie über Gott und die Welt sprachen, musste Feyna immer wieder unterbrechen und den Gästen die Krüge voll füllen. Bei den Meisten wusste sie nicht einmal mehr, wie oft sie schon nachgeschenkt hatte. »Was für ein arbeitsreicher Tag.«, meinte die Hochelfe mit ihrer rauchigen Stimme während sie das Geld in ihren Beutel schob. »Warum gehen die Leute denn schon so früh?«, wollte Juno wissen, bekam aber zuerst nur einen überraschten Blick von Feynas Seite, doch dann meinte die Frau: »Das weißt du nicht? Was sagt man euch überhaupt in Alrus? Dieses Dorf liegt so nah am Ostwald, dass oft in der Nacht die Werwölfe, Vampire und Dunkelelfen in den Straßen herumlungern und nach Leuten, die noch nicht in ihre Häuser gefunden haben suchen, um sie dann zu fressen.« Juno schauderte etwas. Dann könnte sie also in der Nacht einfach so von einem Vampir angegriffen werden? Feyna sah Junos Entsetzen und meinte beruhigend: »Keine Angst, sie kommen nicht in die Häuser. Sie wissen, dass sie in unseren Häusern keine Chance hätten. Und dass sie es auch gar nicht dürfen.« Erst jetzt bemerkte Juno, wie wenig sie von der Welt wusste. Die ganzen Geschichten die ihr erzählt wurden waren bloß Lügen um die Leute abzuschrecken. Wut stieg in dem Mädchen hoch, ihre Muskeln spannten sich an und beinahe hätte sie die Theke in Brand gesetzt, wäre sie nicht von selbst daraufgekommen, als das von Alkohol verdunkelte Holz anfing zu verkokeln. Feyna starrte ungläubig auf die verkokelte Stelle und dann auf Juno. Das Mädchen selbst war geschockt, wohl eher, weil sie das teure Holz beschädigte als über ihre Fähigkeit. »Tut mir leid…«, sagte Juno mit leiser, schüchterner Stimme und sah Feyna an. Die Hochelfe aber entgegnete nichts, sah das Mädchen nur perplex an bis sie sich wieder zusammen riss und wissend schmunzelte. »Eine Feuerelfe also. Ich bin noch nie zuvor einer begegnet. Ich hatte eigentlich schon gezweifelt, dass es welche gibt.« Juno lächelte schüchtern und meinte später: »Tut mir Leid wegen der Theke. Ich wollte das nicht.« »Schon in Ordnung. Du weißt nicht, wie viele Gäste meine Theke schon mit Fackeln oder Kerzen anbrannten.«, erwiderte Feyna mit ihrer rauchigen Stimme als sie Juno zum Zimmer begleitete. »Wenn du was brauchst, komm einfach zu mir. Ich werde unten im Gasthof sein.«, sagte Feyna schon halb aus der Tür, »Ach ja, und lass dich von den Geräuschen der Nacht nicht beunruhigen.«, geheimnisvoll grinsend schloss die Hochelfe die Tür. Juno stand alleine in dem kleinen Raum der nur mit einem Bett und einem kleinen Nachttischchen eingerichtet war. Die braunen, aus schwerem Stoff gearbeiteten Vorhänge, die das Fenster verdeckten, waren von Motten durchlöchert. Das Mädchen wagte einen Blick nach draußen. Die Straßen waren von den wenigen Straßenlichtern, welche eigentlich Fackeln waren, schwach erleuchtet und dunkle Gestalten schlurften auf den steinigen Wegen. Einige hatten gebeugte Haltung und von ihrem gekrümmten Rücken standen Haarbüschel weg. Werwölfe…, dachte Juno erschaudernd und ihr fiel eine Person auf, die unter ihrem Fenster stand und hinaufstarrte. Es war ein Junge mit schwarzen, langen Haaren und pechschwarzen Augen, die ewig tief schienen. Lange stand Juno einfach da, dem Jungen in die Augen starrend, bis sie endlich den Blick löste und den Vorhang wieder vorzog. Sie hatte kein gutes Gefühl gehabt, als sie ihn ansah. Es hatte ihr ihre Eingeweide zusammengezogen und die Luft abgeschnitten. Schnell verdrängte sie den Gedanken und blies die Kerze, die den Raum erhallte, aus. Sie erwachte früh am nächsten Morgen. Die warmen Sonnenstrahlen, die durch die Löcher im Vorhang schienen, weckten sie. Juno richtete sich ihre Haare und ihre Kleidung, schulterte ihren Rucksack und ging hinunter in den Gasthof, wo Feyna gläserputzend hinter der Theke stand. Scheinbar waren schon Gäste da gewesen. Als die Hochelfe Juno bemerkte, stellte sie das Glas beiseite und wischte sich an ihrer Leinenschürze die Hände trocken. »Guten Morgen.«, grüßte sie mit ihrer rauchigen Stimme. »Guten Morgen.«, grüßte die Feuerelfe freundlich zurück. »Gestern Abend war Besuch für dich da.«, bemerkte Feyna, während sie sich das nächste Glas vornahm. »Wer war es denn?«, fragte Juno teils erschrocken, teils interessiert nach. »Es war ein Junge mit schwarzen Haaren. Sein Name war Rares, das ist eigentlich ein typischer Vampirname. Kennst du ihn?« Feyna sah zu Juno auf, welche grübelnd die Gastwirtin ansah. Doch dann fiel ihr wieder ihre Begegnung von gestern Abend ein. Stürmisch stützte sie sich mit den Armen an der Theke ab und meinte laut: »Ich kenne zwar keinen Rares, aber gestern Abend stand ein Junge vor meinem Fenster und starrte mich an.« Feyna seufzte. »Dann solltest du so schnell es geht von hier verschwinden. Dieser Rares scheint dich ins Visier genommen zu haben.«, die junge Frau wand sich während sie sprach von Juno ab und kramte in einer Holzkiste, »Wenn du hier bleibst, wird er heute Nacht wieder herkommen und dich holen.« Sie zog ein zusammengefaltetes Stück Papier hervor, faltete es auf und legte es auf den Tisch. Es war eine Karte von der gesamten Ebene Cyrel. Mit einem ihrer rauen Finger tippte sie auf einen schwarzen Punkt auf der Karte, von dem zwei dünne, schwarze Linien ausgingen. Direkt daneben war ein großer Wald eingezeichnet. »Hier sind wir gerade, in Angmar. Der Südliche Weg führt zurück nach Alrus, wobei er aber auf der Karte schon im Südwald endet. Der östliche führt durch den Ostwald nach Forlindom.«, sie fuhr die Linie mit ihrem Finger entlang, »Der Ostwald heißt übrigens Hirstaang Wald. Forlindom ist der letzte Knotenpunkt vor dem Ostwald, deswegen führen auch so viele Wege dorthin. Forlindom ist eine Wirtschaftsstadt, dort treffen sämtliche Rassen aufeinander. Du solltest dich aber vor den Orks in Acht nehmen, das sind ganz üble Leute.«, warnte sie, dann fuhr sie mit dem Finger den nördlichsten Weg ab zum nächsten Punkt, »Das hier ist Brodir, das letzte Dorf vor der Hauptstadt. Von Forlindom bis dorthin ist es nicht einmal eine halbe Tagesreise, deswegen müsstest du es bis zum Abend locker nach Eryn Vorn schaffen, zum Sitz des Königs. Dort wirst du dann entgültig sicher sein.« »Warum? Brodir liegt doch weit entfernt genug vom Ostwald.«, wunderte sich die ausgerissene Elfe. Feyna blickte von der Karte auf und sah Juno durchdringend an. »Weil Vampire Jäger sind. Sie verfolgen ihre Beute so lange, bis sie diese entweder kriegen oder verlieren. Und du bist nur in der Hauptstadt sicher, weil dort keine Nachtgeschöpfe hineindürfen. Wenn sich doch eines hinein wagt, wird es sofort getötet. Und jetzt geh, sonst bist du nicht mehr rechtzeitig aus dem Wald draußen.« Feyna schob Juno die Karte zu und ging von der Theke hervor. »Aber ist es im Wald denn nicht gefährlich?«, fragte das Mädchen ängstlich nach. Beruhigend legte Feyna ihre Hand auf des Mädchens Schulter und sprach: »Bei Tag wachen die Waldelfen über die Durchreisenden. Sie werden es nicht zulassen, dass jemals ein Reisender durch ein Nachtgeschöpf zu Schaden kommt. Aber du solltest die Elfen auch nicht herausfordern, sie haben die Kontrolle über alle Pflanzen.« Mit einem letzten Seufzen schob sie Juno aus dem Gasthaus hinaus und schloss die Tür. Bedrückt ließ sie sich auf eine der vielen Holzbänke sinken und stützte ihren Kopf mit der Hand ab. Juno hatte sich wirklich eine schlimme Zeit ausgesucht zum Reisen. Feyna konnte nur hoffen, dass das Mädchen nicht in eine Schlacht zwischen der königlichen Armee und den Nachtgeschöpfen kam. Kapitel 2: Der Hirstaangwald ---------------------------- Juno brauchte nicht viele Schritte zu tun, um in den Wald zu gelangen. Trotz der Worte von Feyna hatte sie Angst. Allein schon, wenn sie sich umsah. Die niederen Äste waren abgebrochen, auf den moosbewachsenen Steinen waren tiefe Furchen zu sehen und bei manchen Bäumen war die Rinde teilweise heruntergerissen. Hier und da lagen blutige Haarbüschel der Werwölfe auf dem Boden. Eine fast unerträgliche, drückende Stimmung herrschte in diesem Wald, nicht einmal ein Vogel wagte es zu singen. Stattdessen hörte man stetiges Knacksen, Rascheln, Hecheln. Wie als hätte sich alles Böse an diesem Ort gesammelt. Ein Wispern durchbrach die Stille. Die Elfe sah sich angespannt um, ein Schauer lief ihr über den Rücken. Wer war das? War es der Wind in den Blättern? War es eine Waldelfe oder gar Vampire oder Dunkelelfen? Juno wand ihren Blick zu ihrer rechten Seite, wo sie glaubte, eine Bewegung zu sehen. Tatsächlich. In ein paar Metern Entfernung stand eine Waldelfe, mit langem, blonden Haar, in dem ein paar wenige Zöpfe eingeflochten waren, auch rote und violette Strähnen hatte das Mädchen im Haar. Die Waldelfe trug ein hellgrünes, knappes Kleid. Am Oberkörper war es aus einem festeren Stoff gearbeitet und um ihre Taille war ein rotes Band gebunden. An den Füßen trug sie überknie lange Stiefel. Auf dem Rücken der Elfe war ein Köcher und in einer ihrer Hände war ein großer, weißer Bogen. Sanft lächelnd sah die Waldelfe zu Juno hinüber. »Wer bist du?«, fragte Juno langsam, doch die Waldelfe kicherte nur und verschwand wieder. Verwirrt blieb Juno stehen. Was wollte diese Elfe nur damit bezwecken? Wieder hörte sie ein Hecheln. „Ich sollte lieber weiter.“, dachte sie bange und setzte ihren Weg mit langsamen und ängstlichen Schritten fort. Der Wald war wirklich groß, es musste schon Mittag sein, und dennoch war sie noch nicht einmal in der Mitte des Waldes. Juno fragte sich, warum die Nachtwesen eigentlich im Ostwald waren. In der Geschichte steht nur geschrieben, dass sie von Königin Kianea hierher verbannt wurden, den Grund dafür hatte sie aber nie erfahren. In Alrus wurde sehr viel verschwiegen, wahrscheinlich wussten nicht einmal ihre Großeltern mehr, was wirklich in der Ebene von Cyrel geschah und geschieht. In Junos Magen krampfte sich alles zusammen, aber nicht aus Hunger, nein, es war dieser mordlüsterne, stechende Blick, den sie schon seit längerer Zeit in ihrem Rücken spürte. Sie blieb stehen und wandte sich um. Sie hatte Angst. Angst davor zu sehen, wer oder was hinter ihr stand. Junos Atem stockte, als sie sah, wer sie beobachtet hatte. Vor ihr stand nun ein ausgemergelter, geifernder Werwolf, sein Fell war struppig, er hatte viele kahle Stellen, an denen trockenes Blut klebte. Faule, scharfe Reißzähne blitzten hervor. Die Kreatur knurrte bedrohlich und setzte dazu an, sie anzugreifen. Juno wich zittrig zurück, kam von dem niedergetrampelten Pfad ab, stolperte über einen dicken Ast und landete rücklings in dem goldenen Laub. Der Wolf sah seine Chance und sprintete auf das Mädchen zu, welches sich schützend den Dolch vor den Kopf hielt. Juno sah nichts, sie hörte nur noch das Geräusch eines Pfeils, der die Luft durchschnitt und sich in Fleisch und Knochen bohrte. Ein jämmerliches Winseln, fluchtartige Schritte, dann war es still. »Ich hab dir doch gesagt, dass wir ihn gleich verjagen hätten sollen!«, zeterte plötzlich eine weibliche Stimme. Langsam sah Juno wieder auf und erblickte zwei Waldelfen vor sich stehen. »Es ist doch nichts passiert!«, verteidigte sich der Mann. »Aber es hätte was passieren können! Nur eine Sekunde später, und sie wäre tot!«, schalt die Frau. »Nein, er hätte sich sein Maul verbrannt.«, warf der Mann dann ruhig ein und deutete auf das Messer in Junos Hand. Es glühte weiß vor Hitze. Die Waldelfe starrte ungläubig auf Juno. »Du bist eine..«, sie zögerte kurz, »..Feuerelfe?« Juno nickte nur schüchtern und der Mann half ihr schließlich auf die Beine. »Vielen Dank, dass ihr mich gerettet habt.«, sagte die Feuerelfe schüchtern. Das Starren der jungen Waldelfe machte sie unsicher. »Astrania, starr sie nicht so an.«, murmelte der Mann ein wenig beschämt zu ihr. Juno lächelte einfach nur. »Wo bleiben meine Manieren, ich bin Robur, Patron der Reisenden. Und wie ist Ihr Name?«, setzte er charmant ein und machte eine höfliche Verbeugung. Die Feuerelfe machte einen schüchternen Knicks. »Mein Name ist Juno. Freut mich, Euch kennen zu lernen. Aber ich muss leider weiter, in die nächste Stadt.« Die beiden Waldelfen nickten nur, als wüssten sie, warum sie so schnell weitermusste. Juno wurde aber noch von den beiden bis an den Rand des Waldes begleitet, dann verabschiedeten sie sich voneinander. »Gute Reise, Herrin des Feuers.«, sagten Robur und Astrania wie aus einem Munde. Und genauso schnell wie sie gekommen waren, um sie zu retten, waren sie auch wieder verschwunden. Juno wandte sich um und tat die letzten Schritte aus dem Wald. Es war schon dunkel geworden, doch Forlindom war noch nicht in Sicht. Juno fing zu laufen an. Sie hätte sich nicht so lange aufhalten lassen sollen. Aber sie musste es schaffen. Sie musste es rechtzeitig in einen Gasthof schaffen, sie durfte sich nicht von Werwölfen oder Vampiren angreifen lassen. Endlich, sie war in Forlindom. Tiefe Nacht war hereingebrochen. Vorsichtig schlich sie durch die Gassen, auf der Suche nach einer Herberge. Juno wollte gerade um eine Ecke biegen, als sie eine schwarze Gestalt erblickte. Sofort wich sie wieder zurück und drückte sich an die Mauer. Ihr Herz raste und Angstschweiß rann ihre Stirn hinab. Vorsichtig lugte sie um die Ecke, um zu sehen, ob die Gestalt schon verschwunden war, da wurde sie von jemandem am Handgelenk gepackt und zurückgezogen. Die Person drückte Juno an sich, hielt sie mit einer Hand fest, mit der anderen hielt sie ihr die Augen zu. »Nicht hinsehen, sonst bist du verloren.«, flüsterte ihr eine männliche Stimme ins Ohr. Juno wurde panisch. Wer war das, der sie da an sich drückte und ihr die Augen zuhielt? »Wer bist du?«, fragte sie in die Dunkelheit hinein. »Schweig.«, war die einzige Antwort, die sie bekam. Einige Zeit standen sie so da, bis Juno spürte, dass sich der Griff des Mannes lockerte. »Die nächste Gasse links ist ein Gasthof. Beeil dich.«, wurde ihr ins Ohr geflüstert und ihre Augen wurden wieder geöffnet. Sofort wandte sie sich um. Sie wollte sehen, wer ihr geholfen hatte. Doch sie sah in die Dunkelheit, da war niemand mehr hinter ihr. Völlig erschöpft platzte sie in das Wirtshaus und schloss sofort die Tür hinter sich. Der Mann hinter der Theke näherte sich Juno mit ein paar Schritten. »Seit Ihr in Ordnung?«, fragte er vorsichtig. Juno nickte nur, zog mit zittrigen Händen ihren Geldbeutel hervor und bat um ein Zimmer für eine Nacht. »Was ist geschehen?«, fragte der Wirt schließlich und reichte ihr einen Krug Wasser. Dankend nahm ihn das Mädchen an und tat einen großen Schluck. »Ich bin einem Dunkelelf knapp entkommen.«, keuchte sie. »Wie habt Ihr das geschafft? Und wo ist es passiert?«, fragte der Wirt neugierig nach, »Von wo kommt Ihr?« Juno trank das restliche Wasser aus und ließ sich auf eine Holzbank sinken. »Ich komme aus Alrus. Aber ich bin heute Morgen von Angmar losgezogen.«, sagte sie schließlich. »Dann seid Ihr durch den Hirstaang Wald gegangen?« Juno nickte. »Sagt, wo ist Euch das passiert mit dem Dunkelelfen?«, fragte der Wirt weiter. »In der Gasse die diese schneidet.«, antwortete sie knapp. Der Wirt nickte langsam. Allmählich beruhigte sich das junge Mädchen und musterte den Wirt genauer. Er war schon älter, sie schätzte an die 60 Jahre. Etliche Narben zeichneten sein, von Falten übersäten, Gesicht. Sein Haar war grau und dünn, seine Finger aufgequollen vom vielen Bier, das ihm über die Jahre die Hände hinunterlief. Seine Augen waren Kastanienbraun und wässrig. Der Mann hatte sich einen Kinnbart wachsen lassen, welcher ihn noch älter aussehen ließ. Trotz seines alten Aussehens schien er noch sehr lebensfroh zu sein. Schließlich stand Juno auf. »Würdet Ihr mir mein Zimmer zeigen? Ich muss morgen noch in der Hauptstadt sein.«, bat sie den alten Mann freundlich. Dieser stand sofort auf und nickte nur. »Was sucht Ihr in der Hauptstadt?«, fragte er, während er sie die Treppen hinaufführte. »Ich will die Welt sehen.«, erklärte sie. »So, so. Dann habt Ihr Euch aber eine recht schwierige Zeit zum Reisen ausgesucht.«, seufzte der Wirt. »Wieso? Was stimmt nicht?«, wollte sie wissen und sah den Mann verwirrt an. »Wisst Ihr das denn nicht? Schon seit Monaten herrscht große Anspannung in der gesamten Ebene. Die Nachtwesen haben eine Kriegserklärung an König Branes abgegeben.« Erschrocken blieb Juno stehen. »Kriegserklärung? Wieso?« Juno stellte sich vor den Mann hin. Er sah sie nur traurig an. »Ihr müsst wissen, zwischen Licht- und Schattenwesen herrscht schon seit langer Zeit der Hass. Es hat immer wieder kleinere Auseinandersetzungen gegeben. Der erste Krieg liegt 540 Jahre zurück. Seitdem werden die Schattenwesen von uns Lichtwesen unterdrückt.«, der Mann schüttelte enttäuscht den Kopf. Er öffnete eine Zimmertüre und ließ Juno eintreten. »Hier ist Ihr Zimmer. Ich wünsche eine geruhsame Nacht.«, sagte er noch und schloss die Tür. Juno war verzweifelt. Jetzt wusste sie wenigstens, warum Feyna so bedrückt war, als diese sie aus dem Gasthaus geschoben hatte. Traurig seufzend setzte sie sich auf das Bett, welches jämmerlich zu quietschen und knarren begann. Was sollte sie nur tun? Weiterreisen, auf die Gefahr hin, dass sie zwischen die Fronten geraten könnte? Oder hier bleiben, bis sie Rares finden würde? Die Elfe stand von dem Bett auf, welches lautstark krächze, und ging hinunter in die Wirtskammer. Der Wirt hatte sie natürlich sofort bemerkt. »Könnt Ihr nicht schlafen?«, fragte er. Juno schüttelte den Kopf. »Habt Ihr ein Bad?«, wollte sie wissen. Vielleicht würde ihr das ja helfen. Der Wirt nickte und bat Juno ihm zu folgen. Er füllte einen Bottich mit Wasser und ließ sie dann alleine. Kapitel 3: Unfreiwillige Reise ------------------------------ Juno saß lange Zeit in dem langsam kälter werdenden Wasser. Sie hatte sich entschieden, weiterzureisen. Schließlich war sie nur in Eryn Vorn wirklich sicher. Aber was dann? Nach dem Krieg zurück auf die Ebene gehen und die anderen Dörfer erkunden? Sie seufzte. Das sollte sie erst entscheiden, wenn sie in Eryn Vorn war. Die Sonne war noch nicht einmal aufgegangen, da verließ Juno schon den Gasthof. Sie wusste, dass es sehr gefährlich war, aber sie wollte lieber früher als später gehen. Dem netten Wirt hatte sie das Geld auf ihr Nachttischchen gelegt, dort würde er es bestimmt finden. Die Gassen waren verlassen und die Fackeln erloschen. Es war kühl und feucht und die Wege rutschig. Der langsam verblassende Mond warf ein trauriges Licht auf die Stadt, es wirkte alles so einsam. Zitternd vor Kälte bahnte sie sich ihren Weg durch die Gassen, in ihrer Hand die Karte, die sie von Feyna bekommen hatte. Juno kam an vielen Gasthöfen vorbei, aber aus keinem war ein Laut zu hören. Sie war aus der Stadt und ging die Straße aus Kopfsteinpflaster entlang. Juno war sich sicher, dass sie richtig war, ein anderer Weg wäre nur aus Kies und Schotter. Sie war schon ungefähr eine Stunde unterwegs und die Landschaft änderte sich kein bisschen. Links und rechts von ihr grüne, hohe Wiesen, die sich bis an die Füße der Berge erstreckten. Das rothaarige Mädchen setzte seinen Weg im Eilschritt fort. Sie wollte weder von einem Wesen der Nacht gefunden werden, noch in eine Schlacht geraten. Plötzlich drang das helle Klirren von Rüstungen an Junos Ohr. Die Elfe war sich sicher, dass es eine Armee war. Erschrocken blieb sie stehen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, oder was die Soldaten mit ihr machen würden. Juno wandte sich um, sie wollte zurück zu Feyna. Aber sie kam nicht weit. Sie hatte sich umgedreht und sah nun einen Jungen vor sich stehen, einen Jungen mit pechschwarzen Augen und rußschwarzen Haaren. Rares. Er sah auf sie herab. Sein kalter, gefühlloser Blick ließ sie erschaudern. Sie wollte weg. Doch er hielt sie schon am Arm fest. »Juno, ich werde dir nichts tun. Du musst mir jetzt einfach nur vertrauen.«, sprach er zu ihr. Das Mädchen sah ihn nur verwirrt an. »Sie werden uns bald sehen, wir müssen uns verstecken.«, sagte er und zog sie in die Wiese hinein. Er drückte sie auf den Boden und legte sich neben sie auf die Erde. »Warum...«, setzte Juno an zu fragen, doch Rares unterbrach sie: »Sei still, sie dürfen uns nicht entdecken.« Schließlich kamen die Kämpfer vorbei. Doch sie waren alle nur mit einem mickrigen Dolch bewaffnet. Es waren bloß als Ritter getarnte Söldner, die die Bewohner der Dörfer holten und nach Eryn Vorn bringen sollen. »Die mache ich mit Leichtigkeit fertig.«, murmelte Rares bedrohlich und sprang hoch. Er griff die Männer an, die sofort ihre Dolche zogen und sich gegen den Vampir wehrten. Mit seinen scharfen, krallenähnlichen Nägeln schnitt er ihnen den Hals auf, genau in dem Zwischenraum von Oberkörperschutz und Helm. Da hatte selbst das Kettenhemd keinen Zweck. Jedoch schien er die Söldner unterschätzt zu haben. Sie hatten ihn schnell umzingelt und drohten mit ihren aus Silber gearbeiteten Dolchen. Rares wurde von hinten gepackt und gefesselt, er hatte absolut keine Chance zu entkommen. Juno konnte das nicht länger mit ansehen. Sie sprang auf, zog ihren Dolch und überraschte einen Söldner von hinten. Ihm stach sie den Dolch in den Hals, doch bekam ihn nicht mehr heraus. Die anderen ließen von Rares ab, bis auf den, der ihn gefesselt hatte. Sie überwältigten Juno und fesselten auch sie. Doch nicht ohne Hindernisse. Einem der Söldner biss sie in den Arm, dem Nächsten trat sie gegen das ungeschützte Schienbein. Ein Schlag in ihr Gesicht ließ sie zu Boden gehen. Juno wehrte sich noch immer, da bekam sie einen zweiten Schlag ins Gesicht. »Elende Schweine!«, brüllte Rares und versuchte vergebens von dem Mann loszukommen. Auch er wurde zum Schweigen gebracht, indem ihm der Söldner sein Knie in den Rücken rammte. Sofort wurde der Vampir bewegungsunfähig und sein Atem stockte leicht. Doch er war noch bei vollem Bewusstsein. Die anderen hatten es schließlich fertiggebracht Juno zu fesseln und führten sie zu dem Söldner, der Rares im Zaum hielt. »Eine Verräterin, Malu.«, sagte einer der Männer und warf Juno auf die Knie. »Zeig mir dein Gesicht, Untreue.«, forderte Malu streng. Widerstandslos hob sie ihren Kopf und sah ihn mit einem rebellischen Blick an. Ihre Unterlippe war ein kleines Stück geplatzt und aus ihrer Nase lief Blut. In ihrem gesamten Gesicht war Dreck. Der Mann musterte sie. »Haare aus Kupfer, Feuer in den Augen. Eindeutig eine Feuerelfe. Kein Wunder, dass so eine zur Verräterin wird.«, sagte er abwertend. Wutentbrannt stand Juno auf und wollte Malu treten, doch einer der Söldner zog sie an ihren Haaren wieder zurück. »Bringt die beiden nach Eryn Vorn und lasst sie in den Kerker werfen. Ich hoffe, die Elfe ist sich im Klaren, was Verrat bedeutet.«, meinte der Anführer kaltherzig und sah Rares und Juno herablassend an. Malu übergab einem anderen Söldner den Vampir und ging weiter in Richtung Forlindom. Alle folgten ihm, bis auf die zwei Söldner, die Rares und Juno in ihrer Gewalt hatten. Der restliche Weg nach Brodir war eine Qual für Juno. Sie war müde, hungrig und durstig. Kaum mehr konnte sie sich auf den Beinen halten. »Juno, du musst durchhalten.«, sagte Rares leise aufmunternd zu ihr. Der Söldner brachte den Jungen zum Stolpern und schrie ihn an: »Halt dein dreckiges Schandmaul, Kreatur!« »Hört auf!«, rief Juno verzweifelt. »Du hast auch nichts zu sagen, Verräterin!«, wurde sie darauf angeschrieen und zu Boden gestoßen. »Steh schon auf!«, schalt der Söldner sie an und zog sie unsanft wieder hoch. Die Sonne war schon aufgegangen, Rares hätte es nicht überlebt, wenn die Söldner nicht der Meinung gewesen wären, er müsse unbedingt öffentlich hingerichtet werden, und in eine Höhle gegangen wären. Das normale Tageslicht machte ihm nichts weiter aus. In Brodir wurden sie von allen Seiten angestarrt, überall wurde geflüstert. Sie durchquerten den großen Markt, den Ort, wo am meisten Leute waren. Sie alle sollten sehen, was mit Verrätern geschah. Die Söldner besorgten Pferde und einen Wagen, um schneller voran zu kommen. Ein Söldner lenkte die Pferde, der andere saß bei Rares und Juno im Wagen. Er ließ sie keine Sekunde aus den Augen. Verzweifelt sah das Mädchen zu Rares. »Was geschieht mit uns?«, fragte sie zitternd. »Sag’s ihr.«, erlaubte der Söldner und der Vampir antwortete: »Wir werden in den Kerker gesperrt und öffentlich hingerichtet. Mit Glück durch den Galgen. Andernfalls werden wir zu Tode gefoltert.« Der Söldner lachte. »Gefoltert werdet ihr so und so.«, sagte er mit einem bösen Grinsen, »Vor allem die Elfe.« Juno schauderte auf. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die dann langsam ihre Wangen hinunter rannen. Für sie war es hoffnungslos. Wäre sie doch in Alrus geblieben. »Reue kommt nach der Sünde.«, gackerte der Söldner. Er bekam einen stechenden Blick von Rares, welcher sich dann besorgt Juno zuwand. »Es tut mir leid. Ich hätte nicht so übermütig sein sollen.«, entschuldigte er sich bei Juno. Diese aber schüttelte den Kopf. »Nein, ich hätte nicht von zu Hause weglaufen dürfen.«, schluchzte sie leise. Der Söldner bei ihnen kugelte schon am Boden vor Lachen. Er fand es scheinbar sehr witzig. »Wir sind da!«, rief der andere Söldner über die Schulter zu ihnen. »Wurde auch schon Zeit! Hier wird es mir zu sentimental!«, rief der andere. Sie fuhren durch die Stadt, sie war überfüllt mit Händlern und Reisenden. Die Gebäude waren hoch und aus Stein, anders als die kleinen Häuser in den Dörfern. Schließlich fuhren sie am großen Platz im Zentrum der Stadt vorbei. Der Söldner deutete auf ein Podest aus Holz. »Siehst du das? Da wirst du bald hängen.«, sagte er schadenfroh zu Juno, »Wenn du nicht vorher beim Folterungs-Verhör stirbst.« Nach längerer Zeit des durch die Stadt Fahrens, waren sie am Kerker angekommen. Er war mit dem Schloss verbunden, war aber nicht direkt daran angebaut. Aus den kleinen Fenstern, die mit Gitterstäben verschlossen waren, sahen traurige Gesichter hinaus. In ihren Augen war keine Hoffnung mehr. Wahrscheinlich warteten sie alle nur noch darauf, gehängt oder verbrannt zu werden. Es war deprimierend. Dass so etwas zugelassen wurde, betrübte sie. Was musste das für ein Herrscher sein? Juno wurden ihre Haare auf Schulterlänge geschnitten, aber nicht ordentlich, sondern irgendwie. Unsanft wurde ihr das Gesicht gewaschen und sie bekam neue Kleidung. Eine braune Leinenhose, ein weißes Leinenhemd und spärliche Ledersandalen. In ihre Schulter wurde ein Symbol eingebrannt, das zeigte, dass sie eine Verräterin war. Mit Rares geschah Ähnliches. Seine langen Haare wurden fast ganz abgeschnitten, seine Reißzähne wurden geschliffen, genauso wie seine Krallen. Auch er wurde unter jämmerlichem Schreien gebrandmarkt. Schließlich bekam auch er dieselbe Kleidung wie Juno und die beiden wurden in eine Zelle geworfen. Rares warf sich an die Gitterstäbe, knurrte dem Wärter nach, rüttelte daran. Juno stand langsam auf und sah sich um. Vertrocknetes Blut klebte am Boden, Spinnweben hingen von der Decke und ein kleines Holzbett stand an der Wand. Spärliches Licht fiel durch das kleine Fenster in die Zelle. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen um genauer hinaussehen zu können. Die Sonne ging gerade unter. Es sah mit der Stadt im Hintergrund wunderschön melancholisch aus. »Das mit dem Schleifen hätten sie sich sparen können.«, sagte Rares, der jetzt am Bett saß und mit der Zunge über seine Reißzähne fuhr. Juno sah zu ihm. Seine Reißzähne waren wieder lang und spitz, als wären sie nie geschliffen worden. Auch seine Haare hatten wieder die alte Länge. »Wie ist das möglich?«, fragte sie ungläubig. »Wir Vampire sind für die Ewigkeit gemacht. Wir sehen immer gleich aus.«, erklärte er und deutete ihr an, dass sie sich neben ihn setzen sollte. Er sah ihr in die Augen. »Du hast wahrscheinlich absolut keine Ahnung, was hier vorgeht.«, sagte er leicht kopfschüttelnd. »Nein, ich habe absolut keine Ahnung.«, bestätigte sie ihm. »Hier haben wir genug Zeit, um dir alles zu erklären.«, sagte er und streichelte ihre Wange. »Der Wirt hat mir etwas von einem Krieg gesagt.«, sagte sie verwirrt, Rares nickte und meinte darauf: »Ich weiß. Ich habe dich zu diesem Wirt geschickt, weil ich wusste, er würde es andeuten.« »Was ist das für ein Krieg?«, wollte sie wissen. »Ein Krieg aus Hass und Trauer. Die Lichtwesen haben uns Schattenwesen schon immer unterdrückt.«, er setzte eine kurze Pause ein. Dann sprach er weiter: »Es fing alles mit dem Krieg vor 540 Jahren an. Niemand weiß mehr genau, weshalb er geführt wurde. Die meisten vermuten, dass es ein Krieg um Macht war. Der damalige König der Lichtwesen, Salin, schlug einen Kompromiss vor. Wir Nachtwesen durften in der gesamten Ebene sein, sogar Eryn Vorn war für uns offen. Aber wir durften Leute nur bei Nacht töten. Natürlich waren die Leute dann nur noch Tagsüber unterwegs. Also brachen wir die Regeln, um nicht zu verhungern. Es wurden immer mehr von uns getötet. Bis wir schließlich einen riesen Aufstand in Eryn Vorn machten. Wir töteten über die Hälfte der Bewohner. Aber auch wir wurden geschwächt.«, er legte eine Pause ein, er wollte Juno nicht überfordern. »Und dann?« Juno wollte alles wissen. Sie hatte endlich die Chance bekommen alles zu erfahren. »Wir entführten die Tochter, Serrava, der Königin Kianea während des Aufstandes und machten sie zu einer von uns. Die Königin verbannte uns in den Hirstaang Wald und ermordete sich selbst. Heute regiert Branes, der Bruder von Serrava, unserer Königin. Und sie hat die Kriegserklärung eingesandt. Die Unterdrückung war nicht mehr auszuhalten.«, erzählte er und sah Juno an. »Hast du das alles selbst miterlebt?«, fragte sie ungläubig. »Nein, nur den großen Aufstand und die Verbannung in den Wald.«, antwortete er leise. Schlüsselklirren war durch den Gang zu hören. Ein Wärter sperrte die Tür auf und sah zu Juno. »Mitkommen.«, befahl er. Verzweifelt sah sie zu Rares. Sie wusste, dass sie zum Verhör musste und stand auf. Stunden vergingen und Juno kam noch immer nicht zurück. Es war schon tiefste Nacht. Die ganze Zeit über hörte er ihre gequälten Schreie und das pfeifende Geräusch einer Peitsche. Verdammt noch mal! Er hätte sie da nicht mit reinziehen dürfen. Verzweifelt schlug er gegen die Wand. Er lauschte. Die Schreie hatten aufgehört. War das Verhör zu Ende? Rares hoffte es. Schritte. Schlüsselklirren. Das musste sie sein. Der Wärter sperrte die Zelle auf und stieß Juno unsanft hinein. Sie stand aber nicht auf, sondern blieb wimmernd liegen. Rares eilte zu ihr. Ihr Leinenhemd war am Rücken voller Blut, ihr Gesicht war schweißnass und um ihre Handgelenke war der Abdruck eines Seils, welches sie während des Verhörs aufrecht hielt. Ihr ganzer Körper zitterte vor Schmerz. »Mein Gott, Juno...«, murmelte er entsetzt. Vorsichtig nahm er sie an der Schulter und stützte ihr Genick mit dem Arm. »Juno, sieh mich an.«, bat er leise. Langsam und zitternd wanderte ihr Blick zu ihm. »Juno, ich kann deine Blutung stoppen, aber dafür musst du mein Blut trinken.«, meinte er sanft. Sie sah ihn nur entsetzt an. Nein, sie wollte kein Blut trinken. Schwach schüttelte sie den Kopf. »Juno, willst du wirklich unschuldig sterben?«, fragte er sie drängend, während er sich mit seiner scharfen Kralle vorsichtig das Handgelenk aufritzte. »Es sind auch nur ein paar Tropfen.«, versprach er ihr und ließ das Blut in ihren Mund tropfen. Juno sah gequält aus, als sie schluckte. Erleichtert lächelnd strich Rares ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Siehst du. War nur halb so schlimm, oder?« Juno sagte nichts darauf, sie war viel zu schwach dazu. »Komm, ich helfe dir aufstehen.«, sagte er und zog sie behutsam hoch. Langsam ging er mit ihr zum Holzbett und legte sie mit dem Bauch voran darauf. Sie durfte ihren Rücken nicht zu sehr anstrengen, sonst würde sie Gefahr laufen, dass die Wunden wieder aufrissen. »Schlaf ein wenig.«, sagte er lächelnd zu ihr und ging zum Gitter. Juno schloss ihre Augen. Sie war so müde. Rares sah den Gang entlang. Bis auf den Wärter war niemand zu sehen. »He, Wärter!«, rief er. Der kräftige Mann sah zu ihm. »Kannst du eine Schüssel Wasser und einen Schwamm entbehren?«, fragte er. Er musste Junos Wunden waschen und das Blut wegwischen. Der Wärter nickte, stellte aber eine Bedingung: »Aber nur, wenn du am anderen Ende der Zelle bleibst, bis ich die Tür wieder gesperrt habe.« Rares nickte versprechend. Er musste nicht lange warten, dann kam der Wärter mit einer Schüssel voll Wasser und einem Schwamm. Als die Tür wieder gesperrt war, holte Rares die Schüssel und setzte sich zu Juno auf das Bett. Vorsichtig schob er ihr Hemd weiter hinauf, um ihren Rücken ansehen zu können. Es sah grässlich aus. Fast ihr gesamter Rücken war übersät mit den tiefen, langen Schnitten. Er tunkte den Schwamm ins Wasser und drückte ihn über Junos Kreuz aus. Das ganze Blut wurde weggeschwemmt und die Schnitte waren besser zu sehen. Die Elfe hatte es natürlich gemerkt und war aufgewacht. »Was machst du da?«, fragte sie leise nuschelnd. »Ich wasche deinen Rücken. Dein Hemd soll schließlich nicht an deinem Rücken kleben bleiben.«, antwortete er treu. Juno lächelte sanft. »Danke, Rares.«, sagte sie noch, dann schloss sie wieder die Augen. Kapitel 4: Hoffnungsfunken -------------------------- Es vergingen weitere Tage, die die beiden im Kerker verbrachten. Die Richter hatten Juno wirklich keine Zeit zum Ausruhen gegeben, jeden Abend musste sie zum Verhör. Rares war wirklich verzweifelt. Junos gequälte Schreie rafften ihn dahin, er konnte es nicht ertragen zu wissen, was mit ihr geschah. Jedes Mal kam Juno blutüberströmt zurück in die Zelle, ihr Hemd hatte seine reinweiße Farbe längst verloren und gegen das Rot des Blutes getauscht. Juno war schon sehr schwach, und auch Rares Kräfte waren erschöpft. Es schien wirklich hoffnungslos. Rares hatte damals im Hirstaang Wald beobachtet, was mit dem Messer in Junos Hand geschehen war. Er hatte gehofft, dass Juno stark genug sein würde, um die Gitterstäbe genauso wie das Messer zum glühen zu bringen. So hätten sie ausbrechen können. Doch nun war die Elfe schon so schwach, dass sie nicht einmal mehr ordentlich sprechen konnte. Traurig sah Rares auf die schlafende Juno hinab. Er war sich nicht sicher, ob sie überleben würde oder nicht. Wirklich jedes Körperteil von ihr war verwundet. Selbst ihre Fußsohlen hatte man ihr aufgerissen. Ihre Handflächen waren verbrannt, genauso wie der Rest ihres Körpers. Es war die Nacht vor ihrer Hinrichtung. Juno war diese Nacht verschont worden und sie ruhte sich am Bett aus. Rares saß am Boden an die Wand gelehnt und starrte auf die gegenüberliegende Seite. Er war ausgemergelt, zu lange schon war er dem verlockenden Geruch von Junos Blut ausgeliefert. Er bereitete sich auf das Ende vor, jegliche Hoffnung hatte er verloren. Doch was war das gerade für ein Krachen und Klirren? Sollte die Hinrichtung etwa schon jetzt anfangen? Verwirrt und voller Sorge sah er auf den Gang hinaus. Man hörte Blut sprudeln und jämmerliches Röcheln. Dann eilige Schritte, das Bersten von Metall. Rares stand auf und ging näher an die Stäbe, als eine weibliche Person vor die Zelle trat. Es war eine Dunkelelfe, gehüllt in einen braunen Habit, die Kapuze tief in ihr Gesicht gezogen. »Rhodo, ich habe ihn gefunden.«, sagte sie zu dem anderen Wesen, welches sich ebenfalls unter einem Habit verbarg. »Tilia, was macht ihr hier?«, fragte Rares schließlich. »Dich befreien. Geh zur Seite.«, erklärte sie und Rhodo ließ die Verriegelung mit einem Hieb seiner schweren Tatze zerbrechen. Quietschend flog die Tür auf und Tilia zog an Rares Handgelenk. »Warte!«, befahl er der Frau und befreite sich aus ihrem Griff. Er ging zurück in die Zelle und hievte Juno auf seinen Rücken. Sofort musste er zu Boden gehen, er konnte ihr Gewicht nicht mehr tragen. »Rhodo, nimm sie mir ab.«, ächzte Rares und hielt sich mit all seiner restlichen Kraft zurück, Juno zu beißen. Der Wolf kam zu ihm gerannt und nahm Juno auf seinen Rücken. Tilia half Rares wieder auf die Beine. »Kannst du noch laufen?«, fragte sie ihn mit sorgenvoller Stimme. Der Vampir nickte langsam und sah auf Tilias Rücken, an dem ein kleiner Rucksack hing. »Was ist da drinnen?«, fragte er und die Dunkelelfe antwortete: »Da sind zwei weitere Habits drinnen. Für dich und für das Mädchen.«, mit ihrem Kopf nickte sie zu Juno, die schlaff auf Rhodos Rücken hing. »Sie ist doch das Mädchen, nach dem du gesucht hast?«, fragte Rhodo drängend. Rares nickte. Juno und Rares wurden in ihre Habits gezwängt und so schlichen sie durch den Kerker. »Wie seid ihr eigentlich unerkannt in die Stadt gekommen?«, wollte Rares wissen. Trotz des Habits durfte es ja wohl kaum zu übersehen gewesen sein, dass Rhodo ein Werwolf war. »Eigentlich dachte ich, dass du weißt, dass es hier einen geheimen Gang gibt, der vor die Stadtmauern führt. Wir müssen in diese Zelle.«, erklärte sie und sie bogen in eine verlassene Zelle ein, deren Tor ebenfalls aufgerissen und in der Wand ein Loch war. »Der Gang führt unter der Stadt durch, das heißt, wir könnten in jeden Keller dieser Stadt einbrechen. Ein Wunder, dass noch niemand darauf gekommen ist.«, meinte Tilia ruhig und schmunzelte dabei. »Beeil dich lieber, anstatt zu schwatzen, Tilia.«, brummte Rhodo argwöhnisch, »Schließlich haben wir nicht ewig Zeit, bis die Wachen uns nachkommen.« »Entschuldige.«, kicherte die Dunkelelfe darauf. Der Tunnel schien schon sehr alt zu sein, jedenfalls war er schon recht zerfallen und staubig. Es war ein einziges Labyrinth, in dem sich jeder andere verlaufen hätte, doch Tilia und Rhodo gingen zielsicher durch die Gänge. »Seid ihr sicher, dass wir richtig sind?«, fragte Rares, nachdem der Tunnel noch zerfallener und gefährlicher wurde. Weder Tilia noch Rhodo antworteten. Ebenso wenig würdigten sie ihn eines Blickes. Endlich. Eine kühle Brise fuhr Rares durch die Haare, und umschmeichelte sein schweißbenetztes Gesicht. Ein kleiner Lichtfleck am Ende des langen Tunnels tauchte auf. Die Sonne war wahrscheinlich schon aufgegangen, oder war es eine Täuschung von seinen Augen, die so lange schon in der Finsternis verharrten? »Wir sind gleich draußen.«, informierte Tilia. »Aber die Sonne ist noch nicht aufgegangen, wir haben noch ein paar Stunden zeit.«, fügte Rhodo noch an. Sie mussten sich also beeilen. Sie waren wieder unter freiem Himmel; es war eine sternklare Nacht. Nur ein paar Meter neben der kleinen Gruppe war das geschlossene Tor, das von zwei Männern bewacht wurde. Leise schlichen sie weiter Richtung Ebene, sich immer wieder hinter Felsen verbergend. Rhodo sah Richtung Osten, wo der Himmel schon heller wurde. »Wir müssen uns beeilen!«, befahl er, und die Gruppe rannte gezielt auf eine kleine Höhle zu. Sie waren schon weit genug weg, dass die Wachen sie nicht mehr sehen konnten. Die Höhle war voll mit Laub und Spinnweben. Scheinbar waren Rhodo und Tilia vor der Rettungsaktion hier drinnen gewesen. Behutsam ließ der Werwolf Juno von seinem Rücken in das weiche Laub gleiten. Die ganze Zeit über hatte sie geschlafen, so erschöpft war sie. »Hoffentlich hält das Mädchen durch, bis wir im Hirstaang Wald sind.«, meinte Tilia leise. Dann wandte sie sich wieder Rares zu, der erschöpft an der Wand lehnte. Vorsichtig näherte sie sich und kniete sich vor ihm hin. »Bleib von mir weg.«, fauchte er sie an. »Sei vernünftig, du musst etwas trinken!«, bat Tilia und bot ihm ihren Hals an. »Du weißt doch, dass es mir nichts ausmacht, wenn du mich beißt.«, erinnerte sie ihn. Bedrohlich knurrend sah Rares zu ihr auf. Tilia hatte recht. Er hatte sie schon oft gebissen, wenn er hungrig war, und nichts anderes da war. Alle Vampire machten es, dass sie von einem Dunkelelfen tranken, wenn alles andere knapp wurde. Es war schließlich die einzige Rasse, die immun gegen den Biss eines Vampirs war. Schneller als Tilias Augen es sehen hätten können, richtete sich Rares auf und packte sie unsanft an der Schulter. Mit seiner anderen Hand zog er ihren Kopf zur Seite und rammte anschließend seine Reißzähne in ihren Hals. Tilia japste vor Schmerz auf und vergrub ihre Finger in seinen Schultern. Grob zerrte er an ihren Haaren, dass sie aufhören sollte. Man konnte jeden einzelnen Schluck den Rares tat deutlich hören. Es waren lange, große Schlucke. Tilia wurde schwächer. Ihre Verkrampfung löste sich und ihre Hände rutschten langsam an Rares Körper entlang. »Hör auf...«, wisperte sie kaum hörbar. Doch erst, als ihre Arme kraftlos zu Boden hingen und ihr Kopf schwer auf Rares’ Schultern lag, löste er sich von ihr. Sanft legte er sie auf den Boden und strich über ihr aschgraues Haar. »Du bist ein bisschen zu weit gegangen, Rares.«, bemerkte Rhodo, der das Ganze beobachtet hatte. »Sie wird es überleben.«, versicherte der Vampir. »Wie geht es Juno?«, wollte er dann wissen und schleckte sich das Blut von den Lippen. »Sie ist noch nicht aufgewacht.«, antwortete der Werwolf knapp. Rhodo war nie sehr gesprächig gewesen, erinnerte sich Rares. »Dann sollten wir sie vielleicht wecken.«, schlug Rares vor und kniete sich neben Juno. Rhodo stand mühselig auf und schlurfte zu Tilia, deren Haut nun schon fast die Farbe von Schnee angenommen hatte. Vorsichtig strich Rares über Junos Wange; er hatte Angst, sie zu verletzen. »Rhodo, habt ihr eigentlich auch Brot oder so was mitgenommen?«, wollte Rares noch wissen. Der Werwolf nickte und warf ihm den kleinen Rucksack zu. »Wofür brauchst du es?«, wollte Rhodo anschließend wissen. Vampire aßen immerhin nur Blut, alles andere schmeckte für sie wie Erde. »Denk lieber nach, bevor du fragst.«, giftete Rares den Werwolf an und wandte sich wieder Juno zu. »Juno, wach auf.«, wisperte er verführerisch in ihr Ohr. Rhodo seufzte. Die Verführungsmasche kannte er schon lange von Rares. So bekam er immer, was er wollte. Es dauerte nicht lange, und Juno öffnete die Augen. Sofort wurde sie panisch. Heute sollten sie doch hingerichtet werden! »Beruhig dich.«, sagte er leise und streichelte weiterhin ihre Wange. »Dir wird nichts passieren, wir sind hier nicht mehr im Kerker, sondern in einer Höhle auf der Ebene.«, erklärte Rares langsam. Juno sah ihn verwirrt an. Er lächelte nur sanft. »Iss erst einmal etwas. Danach werde ich dir alles erklären.«, versprach Rares und reichte ihr ein Stück Brot, welches er ihr runtergerissen hatte. Nachdem die Sonne aufgegangen war, schlich sich die Gruppe wieder aus der Höhle. Diesmal musste auch Tilia getragen werden. Rares war wirklich grob zu ihr gewesen. »Fast hättest du sie leer gesoffen!«, wurde Rares von Rhodo getadelt. Aber er hatte nur mit den Schultern gezuckt und Juno auf seinen Rücken gepackt, die mittlerweile wieder mehr Kräfte hatte. Rhodo aber nahm Tilia und den Rucksack auf seinen Rücken. Rhodo und Rares machten einen großen Bogen um Brodir und der Hauptstraße. Es waren so viele Leute unterwegs. Sie alle wollten nach Eryn Vorn, um vor dem Krieg in Sicherheit zu sein. Die Gruppe machte auch einen Bogen um Forlindom; inzwischen ging langsam die Sonne unter. Der Vampir und der Werwolf hatten ein beachtliches Tempo vorgelegt, um schneller im Wald zu sein. Umso näher sie dem Wald kamen, umso ausgestorbener wirkte die Gegend. Aus dem sonst so fröhlich lauten Forlindom hörte man nicht mehr das Geschnatter der Mägde, keine Musik erklang und auch nicht das laute Grölen der betrunkenen Männer war zu hören. Stattdessen hörte man das Klirren von Waffen und das Schnauben der Rösser. Es wäre unbedacht gewesen, wenn sie durch Forlindom gelaufen wären. Rhodo und Rares schlugen einen anderen Weg ein. Sie machten einen großen Bogen um Forlindom, blieben dann auf diesem Kurs und rannten in den auslaufenden Ostwald hinein. »Juno, zieh den Kopf ein.«, sagte Rares mahnend. Erst als er spürte, wie sie ihren Kopf eingezogen hatte, lief er wieder los. Juno hörte nur hin und wieder ein Rascheln und spürte, wie ein Ast über ihrem Kopf vorbeiflog. Es war berauschend. Anstatt dass Rares der Atem ausging, atmete er ruhig weiter. Sie konnte nicht einmal wahrnehmen, dass sie überhaupt liefen. Die Gruppe lief eine Zeit lang; es musste schon mitten in der Nacht sein. Rares tippte sanft auf Junos Kopf und meinte: »Du kannst schon wieder aufsehen. Wir sind da.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)