Unlimited Love von DrShibe (Liebe kennt keine Grenzen) ================================================================================ Kapitel 2: Kiku --------------- Es ist ein Morgen, der genauso ist wie er gestern war. Und wie er morgen sein wird. Es durchströmt mich. Diese Kälte, kalt wie Eis, kälter. Viel kälter, so viel kälter. Es verursacht Schmerzen, tief in mir drin, es ist so. Nicht weil ich es spüre, sondern weil ich es weiss. Kälte verursacht Schmerzen, diese Kälte sollte mich umbringen ich weiss es. Ich spüre wie meine Fingerspitzen langsam abfrieren. Ich sehe die Bäume, ihre Blüten sind so wunderschön. Ich friere im April. Die Kirschbäume blühen, ihre Blütenblätter streifen über mein Gesicht. Die Pflaumenbäume blühen auch. So wunderschön. Es ist so kalt. Wie können diese Bäume blühen, in meiner Gegenwart müssten sie sofort verwelken, nein die Blüten müssten einfrieren. Mein Herz es ist nicht so kalt wie Eis, es ist noch viel kälter. Bald hat es den absoluten Nullpunkt erreicht. Es friert meinen ganzen Körper ein. Mein ganzer Körper ist steif, unbeweglich. Ich darf nicht die Möglichkeit haben mich zu bewegen. Ich darf nicht die Möglichkeit haben zu fühlen. Es ist mir verboten. Aber es gibt sowieso kein Gefühl, für welches es sich zu fühlen lohnt. Es darf nichts geben ausser der Kälte. Vorher war da etwas anderes. Da war Wärme in meinem Herzen, glaube ich zumindest. Aber es muss so sein. Ich sehe auf den Blumenstrauss in meiner Hand. Die Blumen passen nicht in diese Jahreszeit. Es sollte sie nicht geben. Sie sind wie ich. Früher fand ich diese Blüten unheimlich, ich fand Chrysanthemen immer unheimlich. Jeder der Gäste hält eine Blume in der Hand, nur wenige einzelne haben einen Strauss bekommen. Ich habe noch drei andere Blumen hinein versteck, ein Adonisröschen, eine Eibenblüte und eine Dotterblume. Es ist meine Nachricht an ihn. Ich weiss, dass er der Blumensprache mächtig war. Vielleicht kann er sie auch jetzt noch lesen, da wo er jetzt ist. „Itoe, möchtest du noch einige Worte sagen?“, beim Klang meines Namens zucke ich unwillkürlich zusammen. Wie immer wenn ihn Jemand ausspricht. Ich merke jetzt, dass ich mich an Tsuyoshis Anzug klammere. Er hat nichts dagegen gesagt. Vielleicht hat er auch nichts gemerkt, vielleicht ist er genauso taub wie ich. Ich trete zwei Schritte nach vorne und sage nichts, stelle ihm nur eine Frage. „Warum? Warum hast du mir nichts gesagt?“ Dann werfe ich den Strauss in das tiefe Loch und trete wieder zurück, stehe wieder neben Tsuyoshi und fasse wieder nach seinem Arm, er lässt es geschehen. Weitere Menschen treten hervor, Menschen deren Gesichter ich nicht kenne. „Warum?“, frage ich jetzt auch ihn. Aber er antwortet mir nicht. Natürlich nicht. Es wäre nicht richtig, jetzt nicht. Aber später, später will ich es wissen. Ich weiss nicht wie lange wir so nebeneinander dort stehen. Einfach so, ohne etwas zu hören, ohne etwas zu merken. Ich spüre wieder nur diese Kälte, als gäbe es keine Wärme auf der Welt, ohne ihn. Ich sehe auf das Bild, welches hinter dem Loch aufgestellt ist. Ohne dich hat diese Welt keine Wärme. Ohne dich ist meine Welt kalt. Ich liebe dich noch immer, Hotaru. Auch wenn du jetzt nicht mehr hier bist. Nicht mehr bei mir bist, obwohl du es mir verschwiegen hast. Mir das wichtigste verschwiegen hast. Ich habe gestern gewartet, die ganze Zeit. Aber du bist nicht gekommen. Du hast mich nicht abgeholt. Und dann, als ich alleine in die Schule gekommen bin, da hat man es überall umhergeflüstert. „Hotaru, er ist tot.“, sie haben es umher getuschelt wie irgendwelcher Klatsch. „Was wohl jetzt mit Itoe los ist?“ Jemand hat mich abgeholt und zusammen mit Tsuyoshi in ein Krankenhaus gebracht. Wir haben nichts mehr gesehen, ausser einer abgedeckten Leiche. „Hotaru ist in der Nacht verstorben.“, klärte man uns auf: „Er hatte einen Herzinfarkt.“ Ich sah den Arzt verständnislos an: „Herzinfarkt?“ Ich sehe hinüber zu Tsuyoshi, er scheint auch geschockt, wenn auch wesentlich weniger als ich. „Wussten sie nichts von seiner Herzinsuffizienz?“, fragte der Arzt erstaunt: „Er hat sie als seine besten Freunde angegeben.“ „Ich wusste davon.“, sagte Tsuyoshi: „Aber er hat mir nicht gesagt, dass es schlimmer geworden ist.“ „Er wollte sie wohl nicht beunruhigen, aber seit letztem Sommer haben sich die Zahl seiner Anfälle erheblich gesteigert.“ „Anfälle?“, ich sah immer noch verständnislos von einem zum anderen. „Würden sie ihre Freundin bitte darüber aufklären?“, bittet der Arzt Tsuyoshi. „Sie ist nicht meine Freundin, sie war ein halbes Jahr lang mit Hotaru zusammen.“, antwortet Tsuyoshi. Hotaru ist tot. Erst jetzt sehe ich die Endgültigkeit in diesem Satz. Hotaru wird nie mehr zu mir zurückkehren. Ich werde nie mehr sein Lächeln sehen. Ich werde ihn nie mehr sehen. „Hotaru.“, flüstere ich leise, die Tränen fliessen erst jetzt. Erst jetzt beginne ich zu trauern. „Tsuyoshi.“, flüstere ich leise: „An dem Tag, als er mir gesagt hat, dass er mich liebt. Hatte er davor einen Anfall?“ Er sieht zu mir hinunter: „Ja.“, flüstert er. „Warum gerade dann?“, frage ich weiter. „Er hat mit sich selbst eine Wette gestellt. Wenn er den nächsten Anfall hat, wird er das Mädchen, das er mag fragen ob es mit ihm zusammen sein will.“, hat Tsuyoshi darauf geantwortet. „Oh“, sage ich überrascht. Wieder kommen mir die Tränen. „Tsuyoshi?“, flüstere ich leise. „Was ist?“, antwortet er. „Darf ich mich an dich lehnen?“, frage ich schwach. „Ja.“, antwortet er, ebenfalls flüsternd. Wir sind beide bloss noch Kinder, ich merke es in diesem Moment. Ich lehne mich an ihn und er legt einen Arm um mich. Wir weinen beide. Wir haben beide verloren, vielleicht wird man in dem Augenblick erwachsen, wenn man realisiert hat, wie sehr man etwas Wichtiges verloren hat. Jetzt stehen wir beide nebeneinander an seinem Grab. „Es ist ein Wunder wie lange er durchgehalten hat.“, flüstert es hinter uns. Mich durchzuckt es erneut, Tsuyoshi sieht zu mir hinunter. „Wieso reden die Leute über Wunder, wenn ein sie am Grab eines 15-jährigen stehen?“, frage ich ihn leise. „Du kannst von den Menschen kein Feingefühl erwarten, Itoe.“, flüstert er zurück. Wir schweigen wieder, niemand hat unsere Unterhaltung mitbekommen. Zeit vergeht, oder auch nicht... Was interessiert es mich noch. Nachdem der Letzte nach vorne getreten ist und etwas gesagt hat, drehe ich mich einfach um. Ich finde es sollte regnen, dieses Wetter passt nicht zu meiner Stimmung. Die Sonne scheint, als gäbe es kein Morgen, vielleicht gibt es ja auch nicht. Ich renne durch die Strassen, man schaut mir nach. Ich bin vollkommen schwarz angezogen. Ich konnte ihm nie sagen, dass ich ihn liebe. Wie sehr ich ihn Liebe. „Mama, Mama! Das Mädchen da macht mir Angst.“, höre ich ein kleines Mädchen sagen. „Geh nicht auf sie zu, das ist so eine Gothic.“, sagt die Mutter ängstlich. Ich halte an und sehe den ängstlichen Gesichtsausdruck der Mutter und beginne hysterisch zu kichern. Die Augen des Mädchens weiten sich vor Schreck. Ich gehe einen Schritt auf die beiden zu, sie weichen vor mir zurück: „Ich bin kein Gothgirl, ich komme gerade von der Beerdigung meines festen Freundes. Hat sie das jetzt beruhigt?“, flüstere ich ihr bedrohlich zu. „Beerdigung? Mama, was ist das?“, fragt das kleine Mädchen. Die Mutter sieht beschämt zu Boden: „Mein herzliches Beileid.“ „Beileid bringt ihn auch nicht zurück, sparen sie sich das!“, fauche ich sie an. Schon wieder beginne ich zu weinen. Nichts bringt ihn zurück, rein gar nichts. Er konnte mir nie sagen, ob er mich liebt. Er hatte nie die Möglichkeit auf meine Liebe zu antworten. „Hotaru, Hotaru, Hotaru...“, ich kann nicht aufhören seinen Namen zu flüstern, wie ein Gebet: „Hotaru, Hotaru, Hotaru...“ Ich renne und renne immer weiter, mein Körper ist es sich gewöhnt. Er liebt es zu rennen, wenn die geschmeidigen Muskeln in meinen Beinen sich an und wieder abspannen. Ich will nur noch rennen, nichts denken: „Hotaru, Hotaru, Hotaru...“, meine Lippen bewegen sich weiter. Und dann komme ich an die Kreuzung, an unsere Kreuzung. Ich sehe hinauf zu dem Kirschbaum, unter dem er immer gewartet hat, nur gestern nicht. „Hotaru...“, flüstert meine Zunge. Ich kann meinen Körper nicht davon abhalten an ihn zu denken, mein Verstand lässt sich durch Vernunft kontrollieren, aber meine Beine, meine Arme, meine Brust, mein Herz, alles lebt für ihn. Warum habe ich es ihm nie gesagt, dass es so ist. Besonders jetzt nach seinem Tod, nach dieser Endgültigkeit. „ES IST ALLES SO UNGERECHT!“, ich schreie so laut, dass die Vögel aus den Bäumen aufschrecken. Ich schlage mir die Hände vor den Mund, aus dem stummen Weinen wird ein gequältes Schluchzen: „Ich würde alles dafür geben ihm zu sagen wie sehr ich ihn liebe, ich würde meine Seele dafür geben, um seine Antwort darauf zu hören. Nur um noch einmal seine Stimme zu hören.“ Wenn ich nicht bald aufhöre zu weinen, werde ich bald keine Tränen mehr haben. Aber ich will hier unter unserem Kirschbaum trauern, nicht an seinem Grab. Ich habe keine Verbindungen zu diesem Ort. Ich lege eine Hand auf die Rinde des Kirschbaums. „Ich wusste, dass du hier bist.“, höre ich Tsuyoshis Stimme. „Ich bin auf ziemlichen Umwegen hierher gekommen.“, flüstere ich. Ich spüre seine Hand auf meiner Schulter: „Aber deine Beine haben dich auch hierher geführt?“ „Dich also auch?“, frage ich zurück. „Er hat diesen Baum geliebt.“, sagt Tsuyoshi. „Warum?“, frage ich ihn leise. „Äh, weil er schön ist?“, sagt er verwirrt. „Du weisst, dass ich nicht das gemeint habe.“, flüstere ich mich und klammere mich schon wieder an ihn. „Ich glaube er wollte dich beschützen.“, flüstert er: „Und als ihr noch nicht zusammen wart, hatte er furchtbare Angst dich zu fragen, weil er das Gefühl hatte, du wirst ihn abblitzen lassen, weil er krank ist.“, hat er gesagt. „Er war ein Idiot.“, flüstere ich „Stimmt, aber wir beide haben diesen Idioten sehr gern gehabt.“, sagt er. „Ich habe es ihm nie gesagt.“, flüstere ich. „Was?“, fragt er erstaunt. „Wie sehr ich ihn geliebt habe.“, flüstere ich. Er sagt nichts. Lange herrscht das Schweigen. „Ich kann dich nicht trösten.“, flüstert er: „Aber ich kann versuchen dir Halt zu geben. Du weisst ich habe dich nie sonderlich gemocht. Aber das nur weil du mir Hotaru weggenommen hast, alles in seinem Leben drehte sich nur noch um dich. Aber du bist jetzt die Einzige, die mich verstehen kann und ich wahrscheinlich auch der Einzige der dich versteht.“ „Ich mochte dich auch nie.“, flüstere ich: „Aber als ich merkte wie sehr Hotaru dich mag, da ist mir klar geworden das du kein schlechter Mensch bist. Ich werde alles versuchen, um dich aufzufangen wenn du nicht weiter kannst. Ich hoffe das du für mich dasselbe tun wirst.“ „Ich werde alles Erdenkliche tun um dich wieder aufzurichten, um Seinetwillen.“, antwortet er. Ich lege meine Hand auf seine Brust: „Weisst du was seltsam ist? Wenn ich Hotaru wieder zurückbekommen würde, wüsste ich nicht wie viele Menschenleben ich dafür aufs Spiel setzen würde. Seltsam wenn man die Gleichheit aller Menschen betrachtet.“ „Menschen sind von etwas höherem ausgesehen gleichwertig, aber wenn man durch die Augen eines Menschen sieht, der fühlt und liebt, der hasst und dem etwas gleichgültig ist. So kann man nie behaupten alle Menschen sind gleichwertig. Nicht dass sie wertvoller sind, aber wenn sie gehen würden würde es einfach mehr Schmerzen für das Herz bedeuten, das Herz glücklich machen, oder ihm völlig einerlei sein. Wie schon gesagt, du kannst nicht einfach die Menschheit als grosse graue Masse sehen.“, antwortet er. „Du bist klüger als ich geglaubt habe.“ „Ich habe noch einiges mehr zu bieten von dem du nichts weisst.“, sagt er etwas fröhlicher. „Du, Tsuyoshi?“, frage ich ihn. „Was ist?“, antwortet er überrascht. „Danke.“, sage ich schwach. „Ich danke dir.“, antwortet er ruhig und umarmt mich sanft. Es ist gut dass er da ist, er versteht mich, er weiss wie ich mich fühle. Den nächsten Tag gehe ich nicht in die Schule. Den übernächsten auch nicht. „Itoe, gehst du morgen wieder in die Schule?“, fragt mich meine Mutter. „Nenn mich nicht so.“, flüstere ich und gehe leblos an ihr vorbei. „Bitte, du kannst nicht ewig nur trauern, dass Leben und die Liebe geht weiter, auch wenn so etwas Schreckliches passiert.“, sagt sie. „Sei still.“, sage ich schwach. „Wie redest du mit deiner Mutter?“, fragt sie entrüstet. „Wie redest du mit einer Mutter?“, frage ich sie eintönig. „Du weisst dass ich nicht das gemeint habe!“, schreit sie. „Man schreit sein eigenes Kind nicht an.“, sage ich energielos. „Du bist nicht mein Kind.“, schreit sie und schüttelt den Kopf: „So wie du jetzt bist, bist du nicht meine Tochter.“ „Von mir aus.“, sage ich gleichgültig und gehe in mein Zimmer. Es ist leer, nur ein Bett, ein Schreibtisch und ein Schrank stehen noch darin. Der Schrank ist fast leer, die meisten meiner Kleider fand ich hässlich. Zu hell, zu viele Rüschen, zu mädchenhaft. Ich trage nur noch dunkle Kleider, schmucklos, einfach. „Itoe! Du wirst morgen in die Schule gehen, hörst du?“, schreit mein Vater sobald er von der Schule nach Hause kommt. „Wenn du meinst.“, flüstere ich teilnahmslos. „Ja, meine ich. Und jetzt räumst du bitte die Kleider wieder in deinen Schrank, hast du mich verstanden?!“, schreit er weiter und bevor ich antworten kann schreit er schon wieder: „Die sind alle noch neu! Du wirst sie nicht einfach wegwerfen! Ist dir das klar?!“ „Du musst mich nicht anschreien, ich verstehe dich gut...“, flüstere ich ruhig. „Wenn man dich nicht anschreit reagierst du gar nicht, man muss dir immer alles drei Mal sagen!“, schreit er weiter. „Sei still.“, sage ich leise. „Sag mir nicht ich soll still sein!“, schreit er. Ich knalle ihm die Türe vor der Nase zu. Er soll mich in Ruhe lassen, genauso wie alle Anderen auch. Dann gehe ich morgen wieder in die Schule, wenn er mich dann in Ruhe lässt, es wird eh niemand mit mir reden wollen. In der Highschool wird es dann wohl auch nicht anders sein. Sie werden mich in Ruhe lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)