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Resurrection, damnit!

von

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Prolog

Viele unbekannte Gesichter, nur eines stach hervor. Eine mädchenhafte Frau mit blutrot geschminkten Lippen. Ihre Haut, weiß wie Schnee, bildete einen starken Kontrast zu ihrem Haar, das schwarz war wie Ebenholz. Seishirou steckte die Hände in die Manteltaschen -- merkwürdig, die leere Zigarettenschachtel war immer noch da. Er zerdrückte sie, nahm sie aus der Tasche und warf die zerknüllte Schachtel in die Luft.

Die junge Frau schürzte die Lippen. "Mein Liebstes." Sie breitete die Arme aus.

Er ließ sich von ihr drücken. Ihre Berührung war sanft, ihr Körper war weich. Sie roch nicht nach Kirschen oder Kamelien. Sie roch nach Frost und die Kälte schmerzte in den Nasenflügeln.

Seishirou runzelte die Stirn. Wieso war es immer noch nötig zu atmen?

"Es tut mir leid, mein Liebstes." Sie lächelte. "Aber..." Ihr Blick fiel auf die anderen Personen und ihre Augen begannen zu strahlen.

"Mutter?"

"Lass dich erstmal zeigen. Das sind deine Vorfahren." Sie deutete auf die Menschenmenge. Die meisten Gesichter zeigten reines Desinteresse. Einige jedoch wirkten kritisch. Die älteste Person, eine Dame, die Seishirou knapp über den Bauchnabel reichte, stand vor der Menge und stützte den Kopf auf ihren Stock. Sie sah aus wie eine Wurzelhexe.

Seishirou lächelte und nickte seinen Ahnen zu. Verwandte waren es wohl nur bedingt. "Es ist mir eine Ehre."

"Schade", sagte seine Mutter.

Seishirou wandte sich ihr zu. "Freust du dich denn nicht, mich wiederzusehen?"

"Die Freude wäre größer, wenn du bleiben dürftest." Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. "Aber das darfst du leider nicht."

Da er keinen physischen Körper mehr hatte, war es schwer zu sagen, ob er normal schaute oder überrascht. Letztendlich konnte er so oder so nichts vor den ehemaligen Sakurazukamori verbergen. Es wäre also nicht weiter schlimm gewesen. Irrititation hatte er in den letzten Monaten kennen gelernt. Es war ihm daher auch nicht neu und verwirrte ihn nicht noch zusätzlich.

"Die Art und Weise deines Todes war ungültig", sagte die alte Dame. Der allererste Sakurazukamori? Alle anderen schienen nicht älter als vierzig, fünfzig. Sie war die einzige, die offensichtlich weit über siebzig war. Er hatte natürlich Legenden gehört, zuhauf. Aber ob es der Wahrheit entsprach? Nie hatte er sich das gefragt. Er würde jetzt nicht damit anfangen und dennoch, kindliche Neugierde nagte an seinen Nerven.

Seishirou verbeugte sich vor ihr.

Sie schnalzte mit der Zunge. Das Geräusch hallte durch... das Nichts? Es war nicht dunkel, aber es war auch nicht hell. Schwer zu sagen, ob es ein Raum war, eine Zeit, oder tatsächlich das Nichts. "Kind, ahnst du, was berichtigt werden muss?"

Berichtigt... "Ich muss gestehen, leider tue ich das nicht."

Ein neuerliches Schnalzen. Etwas in der Ferne -- oder Nähe -- zerbrach. Dann raschelte es.

"Verzeih", sagte seine Mutter zu der Dame. "Er ist ein dummer Junge." Sie lachte.

"Es wundert mich nicht, Setsuka." Die Älteste nickte. "Nun?" Sie sah herauf zu Seishirou.

Er kniete vor ihr nieder.

"Aber ein guter Junge", sagte einer der Männer. Es waren weit weniger als Frauen anwesend. Seishirou war nicht überrascht.

"Das täuscht." Seine Mutter lehnte sich an ihn. "Oh ja."

"Eine Bittstellung fehlte", sagte die Älteste. Ihre Augen lagen ruhig auf Seishirou. Er fühlte sich zwar nicht fixiert, aber etwas an ihrem Blick sagte ihm, dass sie mächtiger war als alles, dass er lebend je angetroffen hatte. "Wir möchten dich bitten, sie nachzureichen."

"Eine Bittstellung?"

"An den, den du liebst."

Seishirou lächelte breiter. "Als Sakurazukamori..." Er verstummte. Der Mann, der zuvor gesprochen hatte, prustete. Die Menge fing an zu lachen.

"Seid still!" Sie musste die Stimme nicht heben, um die anderen zum Schweigen zu bringen. "Töricht", murmelte sie und machte einen Schritt auf Seishirou zu. Sie legte ihre Hand auf seine Stirn. Ihre Haut war heiß und trocken wie Sandpapier. "Nun, mein Kind, wir werden dich noch einmal auf die Erde zurückschicken, damit du die Bittstellung einholen kannst. Dann erst wirst du bleiben dürfen."

Etwas tropfte auf den Boden, wenn man den Untergrund jenes Ortes als solchen bezeichnen wollte. Seishirou sah an sich herab. Aus seiner Brust quoll Blut.

"Da dein Körper zerstört wurde, haben wir einen anderen gefunden, der in einer besseren Verfassung ist."

"Sehr freundlich von Ihnen." Seishirou wagte es nicht, das Blut in seinem Mund auszuspucken. Stattdessen ließ er es herausfließen. Die Schmerzen waren wiedergekehrt. Die Schmerzen. Diese allerletzten Schmerzen. Angesicht zu Angesicht mit ihm waren sie Seishirou nicht schlimm erschienen. Ihre volle Tragweite begriff er erst jetzt.

"Du wirst ihn bitten, dich zu töten. Willigt er ein, wirst du hierher zurückkehren; dazu ist es nicht notwendig, dass der Mord an dir ein weiteres Mal ausgeführt wird." Die Älteste stieß ihn zurück. "Viel Glück."

Seishirou fiel.

Die W-Fragen

Seishirou blinzelte seine verklebten Lider mühsam auseinander. Die Sonne schien in einem dunklen Orange. Der Kachelboden, auf dem er lag, hatte ein verschnörkeltes grünes Muster auf seinen Platten. Zwischen den sparsam verteilten Schlitzen im Geländer konnte er Häuser, große und kleine, entdecken. Der Tokyo Tower ragte über sie alle heraus. Der neue Körper war wohl auf einem Dach in der Nähe der Rainbow-Bridge verstorben. Seishirou gähnte und sprang auf das breite Mamorgeländer. Kurz wankte er, die Welt drehte sich im Kreis. Er schloss die Augen und verharrte. Dann ließ das Schwindelgefühl endlich nach.

In Tokyo war es laut. Es schien ihm seit seinen letzten Sekunden noch viel lauter geworden zu sein. Oder lag es daran, dass dieser Körper bessere Ohren besaß? Vielleicht war er jünger geworden. Er wollte nicht an sich herabsehen -- sein Nacken fühlte sich steif an. Er musste lange gelegen haben, oder möglicherweise war Steifheit nur eine Begleiterscheinung von Wiederbelebungen im Allgemeinen. Es war zu erwarten, dass dazu keine Antwort gefunden werden konnte.

Seishirou sprang von dem Geländer herunter und ging durch die offene Tür, die ins Innere des Gebäudes führte.

Alles schien riesig. Die Türen waren mindestens sechsmal so hoch wie er, auf die Treppenstufen passte er bequem dreimal, wenn er auch das Gefühl hatte, dass es ihm in seinem vorigen Körper nicht so vorgekommen wäre.

Hatte man ihn in den Körper eines Kindes gesteckt? Das wäre amüsant, solange es alt genug war um zu sprechen. Um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, verzichtete Seishirou auf einen sofortigen Test.

Im Eingangsbereich stand ein Kinderwagen mit hellblauem Verdeck, direkt neben den Treppen. Womöglich war das der Kinderwagen seines neuen Körper gewesen, als dieser noch gelebt hatte? Wie passend wäre es, dachte er, wenn dies der Körper eines ermordeten Kindes ist.

Die Eingangstür wurde geöffnet und Seishirou schlüpfte hindurch. Es war noch etwas dunkler geworden, das Orange der Sonne hatte einen lila Stich bekommen. Nichtsdestotrotz war es angenehm warm.

Er schlenderte die Straße entlang. Der Körper fühlte sich mit jedem Schritt passender und einfacher zu koordinieren an. Als er sich dazu bereit fühlte, die Muskeln weicher geworden waren und ihm nur wenige Leute entgegen kamen, setzte Seishirou zu einem Sprint an.

Er war schnell. Das Bremsen fiel ebenso leicht wie das Laufen. Seishirou nickte anerkennend. Nun musste nur noch ein Spiegel gefunden werden, oder etwas anderes, in dem er sich reflektieren lassen konnte um sich endlich zu betrachten. Die Geschäfte hatten oft genug Glastüren, doch in den Straßen, die er abwanderte, fand er keine solcher Art.

Er hob den Kopf und sah, dass die Straßenlaternen weit über ihm angingen. Es wurde langsam Nacht. Hatten seine Ahnen ihm ein Zeitlimit gegeben? Er konnte sich an nichts dergleichen erinnern. Wohl eher nicht. Wozu auch, wenn die Erde mit aller Wahrscheinlichkeit bald unterging. Das würde die Sache so oder so frühzeitig beenden, falls sich das Problem nicht lösen ließ.

Immer wieder bekam er einen Tritt in die Rippen. Die Menschen um ihn herum murmelten nicht "Verzeihung", nicht einmal ein saloppes "Sorry", sie liefen stur weiter, wohin sie auch wollten. Die jungen, kichernden Mädchen zur Nachhilfe, die seufzenden Büroangestellten noch längst nicht nach Hause, oder auf einem viel zu langen Nachhauseweg. Von der angespannten Atmosphäre eines drohenden Untergangs war nicht viel zu spüren. Tauben und andere Vögel zwitscherten schief und wenn sich Wolken über die Sonne schoben, dann konnte man meinen, dass irgendetwas in der Luft lag. Etwas, das sich nicht genau beschreiben ließ, aber das doch allen für den Moment den Atem raubte und die Zeit stillstehen ließ. Diese Momente waren, was sie waren. Momente, kurz und vergänglich wie... der Tod, dachte Seishirou und griente.

Er drückte sich an die Wände der Gebäude. Das half ein wenig. Er wurde nicht mehr gar so häufig von Schuhen hin- und hergekickt wie ein Ball. Auf der anderen Seite des Gehwegs war die Straße und dort wollte er nicht enden. Wenn er nun in dieser neuen Gestalt starb, bevor er seine Bitte hatte stellen können? Er ahnte, wohin ihn der Todesweg dann führen würde. Nicht über den Jordan, nicht zum Ort seiner Ahnen und auch gewiss nicht in den Himmel oder die Hölle. Er selbst hatte oft genug verlorene Seelen losgeschickt auf ihren Weg ins unermüdliche Verderben. In der Hölle hatte man nun einmal wenigstens Gesellschaft und musste nicht bis in alle Ewigkeit darüber nachdenken, was man im Leben alles falsch gemacht hatte.

Seishirou bog um die Ecke. Auf der anderen Straßenseite entdeckte er ein Spielzeuggeschäft. Viele glitzernde, rotierende, hüpfende, quäkende Gerätschaften waren hinter den Scheiben zu sehen. Und auch er würde sich dort sehen können!

Er sah sich achtsam um und überquerte den Zebrastreifen ohne überfahren oder zertreten zu werden. Ein Wunder, wo er den meisten Leuten kaum bis zu den Knien reichte. Dass sie ihn allerdings nicht ansprachen, wenn er tatsächlich ein kleines Kind war, schien ihm verdächtig. Doch das Glas war in greifbarer Nähe. Die Frage würde sich in wenigen Augenblicken geklärt haben, wenn reflektiert wurde, als was er die Bitte an Subaru stellen musste.

Tokyo war riesig, aber er hatte den Stadtplan fest in seinem Gedächtnis verankert. Nie würde er ihn vergessen können. Aber doch schien es ihm seiner Umstände wegen als beinah unmöglich, Subaru in weniger als drei Tagen ausfindig machen zu können und das auch nur, wenn er wenig schlief (an was er gewöhnt war).

Seishirou wartete, bis ein Kind mit seiner Mutter das Geschäft verlassen hatte und ihm nicht mehr die Sicht auf sich selbst in der Scheibe versperrte.

Schwarz und glänzend; große, goldene Augen; die Extremitäten zur Hälfte weiß, wie gepinselt. Seishirou setzte sich und starrte sein Spiegelbild an. Die Konturen waren klar, die Details brauchte er nicht zu sehen. Er legte den Kopf schief und entblößte spitze Zähne.

"Miau?"

Nekozukamori

Mäuse zu essen kam als Option nicht in seinem Gedankengut vor. Seishirou verdrehte probeweise den langen Katzenschwanz von dem ein Stück fehlte. Das war wohl beim Tod der Katze passiert. Oder früher, bei einem Angriff eines gewissen natürlichen Feindes...

Seishirou bedauerte es, dass Katzen nicht grinsen konnten ohne lächerlich zu wirken, als ob sie gähnten. Er starrte stoisch seine Reflektion an. Innerlich hatte er sich schon darauf vorbereitet, als Kind wiedergeboren zu sein. Das wäre einfach gewesen. Er hätte einen netten alten Herrn darum bitten können, ihn zum CLAMP Campus zu bringen, dort hätte er die Himmelsdrachen um den Finger gewickelt -- "wo ist mein Papa?!", hätte er gesagt und wenn ihn der Kamui der Himmelsdrachen gefragt hätte, wie denn der Herr Papa hieße, ja dann hätte er "Subaru!" gewimmert -- und schon wäre der erste Teil des Problems gelöst gewesen. Nun war er aber kein Mensch. Er konnte nicht sprechen. Das einzige, was aus seinem Maul kam, war ein zaghaftes Miauen oder Fauchen. Die Stimmbänder wollten ihm noch nicht recht gehorchen, teilweise hörte sich letzteres deswegen wie ein Aufstoßen an. Das würde er sich mit der Zeit beibringen können. Wenn er nicht verhungerte, bevor er Subaru fand. Wie gesagt, Mäuse waren keine Option und Ratten, obwohl sie in Tokyo wohl häufiger vorkamen als die harmlosen Mäuschen, erst recht nicht. Das betrachtete er auf mehrere Arten und Weisen als Kannibalismus.

Seishirou riss sich von seinem Spiegelbild los und tappte den Weg entlang. Immer weniger Menschen kamen ihm entgegen. Die Umgebung war nicht mehr in orangenes, sondern in ein dunkles Lila getaucht. Die Nacht war angebrochen und scheinbar entschlossen, besonders dunkel zu werden. Schwarz wie sein Fell war, musste er sich wenigstens nicht daran gewöhnen, nachts aufzufallen. Abgesehen davon, natürlich, dass nachts alle Katzen schwarz sind.

Andere seiner (neuen) Art kreuzten seinen Weg. Die meisten schenkten ihm keine Aufmerksamkeit. Ein Kater fauchte, sprang auf die Straße und wurde beinahe überfahren. Seishirous linkes Ohr zuckte und er beobachtete neugierig, wie sich der graugestreifte Kater ängstlich aufrichtete und sich den Weg in die Sicherheit mit angestrengter Eleganz bahnte. Als Katzen noch seine Patienten gewesen waren, hatte er sie für ihre geschmeidigen Bewegungen bewundert. Sie waren nicht seine Lieblingstiere gewesen, solcherlei war ihm fremd... zum größten Teil. Aber nun, da er selbst als Katze die Bewegungen seiner Vorder- und Hinterbeine in einen gleichmäßigen Rhythmus bringen musste, fiel ihm erst auf, was für einen Vorteil die Tiere gegenüber den Menschen hatten. Solange es um Bewegung ging. Beim Sprechen versagten sie auf voller Linie. Letztlich war beides nicht von größerer Bedeutung, denn so schön flüssig er sich jetzt auch durch die engsten Ritzen bewegen konnte und so sicher er auf seinen Pfoten landen würde, wenn er fiel, die Ausdauer um durch ganz Tokyo zu laufen fehlte ihm. Eine gesunde Katze hätte sie womöglich besessen, aber dies hier? War eine Katze, die von den Toten auferstanden war, mit einer Seele, die einem Menschen gehört hatte. Körper und Geist gehörten nicht zusammen und das machte sich bei jedem Gedanken, den Seishirou mit Mühe fasste, deutlich bemerkbar. Kompliziertere Denkvorgänge fielen ihm schwerer als zuvor, an mehrere Sachen gleichzeitig zu denken schien schier unmöglich, genauso wie glitzernden oder sich rapid bewegenden Einheiten zu entziehen. Alles was huschte und glänzte zog seine Aufmerksamkeit auf sich und immer wieder blieb er fasziniert stehen, lauschte und beobachtete Windspiele und rollende Murmeln.

Die Aufmerksamkeitsspanne seiner selbst war noch nie besonders extensiv gewesen. Dennoch war es frustrierend zu sehen, dass sie, wenn sie weiter schrumpfte, ihn zum Halt zwang. Das Windspiel über ihm flackerte im Licht der Straßenlaterne. Hinter den grünen Glasstücken verbarg sich eine Kerze, deren Flamme sanft vom Abendwind hin- und hergeweht wurde.

Ein Bellen riss ihn aus seinen suchtgesteuerten Gedanken. Aus Reflex machte er einen Katzenbuckel, fauchte und drehte sich zu dem Hund um. Es war ein großer Hund, mit grauem Fell. Er ähnelte einem Husky. Obwohl er eine feste Form hatte, erkannte Seishirou doch auf den ersten Blick, dass diese nicht aus Fleisch und Blut bestand. Selbst als Katze hatte er also sein Innerstes nicht verlieren können. Das mochte Glück gewesen sein.

"Nanu?" Das Herrchen -- nein, Frauchen des Hundes, hockte sich neben diesen auf den Boden und starrte Seishirou mit großen Augen an. "Du kannst Inuki sehen?" Sie streckte die Hand aus, um ihn zu kraulen.

Ein Himmelsdrache, dachte Seishirou, auch wenn ihm ihr Name nicht bekannt oder dank des Katzengedächtnisses momentan entfallen war. Er ließ sich streicheln. Das war eine Chance und eine Gefahr zugleich. Eine Katze, die einen Geisterhund sehen konnte? Auffällig. Womöglich nahm sie ihn mit zu den anderen Mitgliedern ihres Teams. Das war gut. Womöglich würde das Ganze aber auch in einer brenzligen Situation enden...

Seishirou schnurrte und legte den Kopf zur Seite. Das Mädchen kicherte und hob ihn hoch. "Was für eine süße Mieze!", hörte er sie sagen. Sie presste ihn an sich. Ein zierliches Ding. Sie konnte nicht viel älter als dreizehn sein. Andererseits hatten die Erddrachen auf ihrer Seite Nataku und dessen geistiges Alter war, Statur hin oder her, weitaus fraglicher. Beide waren für die Tragweite dieser Mission nicht geeignet, mochten sie auch die nötigen Mächte besitzen.

Der Hund kläffte und sprang um das Mädchen herum. "Pst, Inuki, du machst der Mieze Angst! Na", wandte sie sich wieder an Seishirou, "hast du dich verlaufen?"

Seishirou miaute kläglich.

"Oh!" Sie verzog das Gesicht. "Oder hast du vielleicht gar kein Zuhause?" Das Mädchen presste ihr Gesicht in sein Fell. Ihr Atem war warm und ihm stellten sich die Nackenhaare auf. Er fuhr die Krallen aus und wieder ein.

"Was meinst du, Inuki, sollen wir sie mitnehmen?" Der Hund bellte zweimal, dann hechelte er. "Hm. Finde ich auch!"

Was ihn wirklich ärgerte war, dass er offensichtlich nicht einmal die Sprache der Tiere verstand, obwohl er nun doch selbst eines war. Den Kater hatte er auch nicht verstanden. Dass es keine Sprache der Tiere gab, oder dass sich die Arten untereinander nicht verständlich machen konnten, schien ihm absurd. Diese Wiedergeburt zeigte ihre Schwachstellen schneller auf, als es ihm lieb war.

"Du bist soooo süß!" Das Mädchen quietschte. "Ich muss dich unbedingt Kamui und Sorata zeigen."

Wenigstens gab es auch ein paar wenige positive Seiten.

We Are Family!

Als erstes wurde er einer jungen Frau mit langen, schwarzen Haaren vorgestellt. Von hinten hatte sie ihn an seine Mutter erinnert, von vorne betrachtet war ihr strenges Gesicht das genaue Gegenteil von der vorig assoziierten Person. Das Mädchen sprach die andere mit "Arashi" an und hob ihr Seishirou ins Gesicht. Er streckte die Pfoten nach dem verbittert wirkenden Gesicht aus und berührte kurz die Wangen.

Die junge Frau wich zurück. "Sie ist wirklich niedlich", sagte sie trocken. "Hast du Sorata gesehen? Er wollte heute einkaufen gehen, aber er ist noch nicht wieder zurückgekehrt."

"Machst du dir etwa Sorgen?"

"Yuzuriha!" Arashi errötete.

Seishirou hob den Kopf. Seine Ohren zuckten. Also hieß das Mädchen Yuzuriha. Er hatte den Namen schon einmal gehört und fand nach angstrengtem, langem Grübeln auch ihren Nachnamen in seinem Gedächtnis wieder. Yuzuriha Nekoi. Ihren Geisterhund Inuki konnte sie als Waffe benutzen -- ein Hund, zugleich ein Schwert. Beeindruckend, für ihr Alter. Seishirou presste die Hinterbeine gegen ihre Rippen und versuchte sich abzustoßen. Jetzt wo er an seinem Bestimmungsort war, musste er nicht mehr herumgetragen werden. Die andauernd auf ihn einströmende Körperwärme und das gelegentliche Kraulen, das ihm immer wieder ein Schnurren entlockt hatte, war zutiefst unzufriedenstellend gewesen. Abstoßend kam in seinem Wortschatz nicht vor.

Yuzuriha drückte ihn fester an sich. "Was hat sie denn bloß?"

"Du solltest ihr ihren Freiraum lassen", sagte Arashi. "Katzen mögen es nicht, eingesperrt zu sein." Ihr Blick lag fest auf Seishirou.

Er wollte nicht sagen, dass ihn ein Gefühl beschlich, aber er hatte die Ahnung, dass sie auch von sich selbst sprach und nicht nur von richtigen Katzen. Seishirou atmete auf, als Yuzuriha ihn auf dem Boden absetzte. Er schnüffelte in der Luft. Zigarettenduft, wenn auch nur schwach. Subaru war hier gewesen. Aber jetzt nicht. In diesem Moment war er woanders. Seishirou hoffte, dass ihn sein Instinkt nicht betrug -- Subaru war trotzdem ganz in der Nähe. Es fragte sich nur, wo genau. Jetzt loszulaufen war sinnlos, Yuzuriha würde ihn wieder einfangen, wenn er sich zu schnell bewegte, musste er sich womöglich mit einem verspielten Hund herumschlagen. Für beides hatte er weder Zeit noch Nerv.

Inuki beobachtete ihn schon jetzt interessiert. Der Hund kam auf ihn zu und stupste ihn mit der feuchten Schnauze in die Seite. Seishirou machte stolpernd ein paar Schritte zurück und stieß gegen Arashis Bein. Er miaute eine Entschuldigung.

Dann betrat jemand das geräumige Wohnzimmer, den er kannte. Sorata Arisugawa. Er hatte fünf große, offensichtlich allesamt schwere Tüten unter den Armen und strahlte über beide Ohren. "Könnt ihr mir mal helfen, Mädels?"

"Klar", sagte Yuzuriha.

Arashi machte einen Fingerzeig auf Seishirou. Er rollte den Schwanz ein und wartete ab, was sie sagen würde.

"Wir haben Familienzuwachs bekommen."

"Nanu?" Sorata blinzelte.

Seishirou schwenkte seinen Schwanz hin und her und legte seine Ohren an.

"Yuzuriha hat sie mitgebracht. Ich nehme an, du willst sie behalten, oder?"

Yuzuriha errötete. "Na ja. Irgendwie schon, ja!" Sie nickte knapp. "Sie sieht so mitgenommen und dürr aus. Und so einsam..."

Sorata zuckte mit den Schultern und stellte die Tüten auf dem Sofa ab. "Mir soll's recht sein." Er hockte sich auf den Boden und streckte die Hand aus.

Seishirou ließ sich von ihm kraulen. Es war ärgerlich, dass er ihn dadurch nicht mehr komplett sehen konnte, weil Soratas Hand ihm die Sicht versperrte, aber jede andere mögliche Verhaltensoption wäre auffällig gewesen. Wenn Yuzuriha auch naiv sein mochte, er wusste, dass es Sorata nicht war und von Arashi erwartete er auch nicht weniger.

"Was für ein hübsches Ding. Ist es eine Katze oder ein Kater?"

"Ich weiß nicht so genau", sagte Yuzuriha. "Damit kenn ich mich nicht gut aus."

Seishirou leckte sich die Pfoten sauber und strich danach mit dem feuchten Vorderbein über seinen Kopf, um auch diesem Teil seines Körpers etwas Katzenwäsche zukommen zu lassen. Über was sie sich nun unterhielten interessierte ihn nicht.

Sorata legte den Kopf schief. "Ich auch nicht. Wir sollten sie sowieso zum Tierarzt bringen."

Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben -- definitiv aber in diesem zweiten Leben -- lief Seishirou ein Schauer den Rücken hinunter. Hätte man eine Katze wie diese zu ihm in die Klinik gebracht... sie hätte seinen nächsten Auftrag nicht überlebt.

Er unterdrückte den Reflex zu fauchen mit aller Mühe, die er aufbringen konnte. Langsam aber sicher wurde er müde. Er wollte sich nicht in der Wohnung umsehen, er wollte sich einrollen und wenigstens zwei Stunden schlafen. Es war wichtig, die Umgebung zu erkunden, noch wichtiger, Subaru zu finden, aber all das wäre unmöglich, wenn er nicht wach dabei war.

"Hätte ich das gewusst, hätte ich Katzenfutter mitgebracht." Sorata seufzte und stand auf. "Aber ein bisschen Wurst wird ihr auch nicht schaden, oder?" Er kramte in einer der Tüten und zog eine Plastikverpackung hervor. Seishirou konnte von der Position am Boden nicht erkennen, was genau sie beinhalten sollte, aber er wusste, er würde es in wenigen Sekunden ohnehin erfahren.

Er ging zwei-, dreimal im Kreis und legt sich dann auf den Boden. Sorata legte ihm zwei dicke Scheiben Fleischwurst vor die Nase. Seishirou schnupperte daran und befand, dass sie in gutem Zustand waren. Sein Magen rumorte.

Zu essen klappte nicht auf Anhieb. Er biss sich auf das Zahnfleisch und die Zunge. Erst nach fünf Anläufen schaffte er es, die längeren, spitzeren Zähne richtig einzuschätzen und die Wurst zu zerkauen, statt seinen eigenen Mund. Sie schmeckte salzig. Er war dankbar, als Yuzuriha ihm ein Schälchen mit Wasser hinstellte. Es schmeckte leicht kalkig.

Er riss das Maul auf und gähnte, dann schloss er die Augen. Die Ohren hatte er achtsam aufgestellt, falls sie noch mehr über ihn diskutieren wollten. Es stellte sich als unnötig heraus, als die drei Himmelsdrachen sich in die Küche verzogen, um die die Tüten auszupacken.

Sein Brustkorb hob und senkte sich in einem ruhigen, gleichmäßigen Rhythmus. In der Wohnung war es warm, der Teppich unter ihm war weich. Die Himmelsdrachen lachten in der Küche miteinander. Er schlief ein.

Doktor Shirota

Noch bevor man ihn der gesuchten Person gezeigt hatte, war er in einer Tierarztpraxis aufgewacht. Er lag auf einem metallenen Tisch und faltige, trocken-raue Hände hoben ihn hoch.

"Na", sagte der Arzt, "dann wollen wir doch mal sehen, mit was wir es hier zu tun haben."

"Eine Rassekatze ist es nicht, oder?", sagte Yuzuriha.

Seishirou gähnte dem Arzt ins Gesicht. Er lächelte. "Nein, ein ganz gewöhnlicher, handelsüblicher Mischling." Der Arzt stierte Seishirous Körper an. Nach kurzer Zeit -- Seishirou hatte auf die Uhr gesehen, weil es ihm wie eine Ewigkeit vorkam -- nickte er. "Eine Katze."

"Das wussten wir schon vorher", sagte Sorata.

Der Arzt lachte und setzte Seishirou wieder auf dem kühlen Tisch ab. "Es ist kein Kater. Es ist eine Katze."

"Oh", machten Sorata und Yuzuriha.

Seishirou miaute und versuchte an sich herabzusehen. Er hob die Hinterbeine an und saß nur noch auf seinem Hinterteil. Den Kopf zu strecken war anstrengend, aber die Zitzen waren eindeutig. Er war eine weibliche Katze. Und dass der Arzt nach einer Spritze griff, gefiel ihm ganz und gar nicht.

"Sie haben die Kleine also auf der Straße gefunden?" Der Arzt versperrte ihm die Sicht, aber seine Reaktion ließ Seishirou ahnen, dass Yuzuriha genickt hatte. "Dann werde ich sie gleich mal komplett durchchecken. Sie scheint ja recht gepflegt zu sein. Wahrscheinlich gehört sie jemandem oder wurde ausgesetzt. Viele Tiere werden in letzter Zeit mitten in Tokyo allein gelassen um sie loszuwerden. Die Krise greift um sich."

Wegen dem drohenden Weltuntergang, dachte Seishirou und fragte sich, ob die beiden Himmelsdrachen den gleichen Gedanken hatten. Yuzuriha womöglich nicht, sie war jung und unschuldig. Daher also höchstwahrscheinlich an Wirtschaft und Politik nur mäßig bis gar nicht interessiert, wie ein Großteil der Weltbevölkerung unter zwanzig Jahren.

"Flöhe hat sie keine", sagte der Arzt, während er Seishirous Fell durchkämmte.

Es war recht angenehm aber inzwischen war er wach und einigermaßen erholt. Den Schnurrreflex wandte er gekonnt ab.

"Sterilisiert ist sie allerdings noch nicht."

Seishirou fauchte und fuhr die Krallen aus. Auf einen Eingriff dieser Art war er nicht vorbereitet und nicht geneigt, ihn durchführen zu lassen.

"Nein, lassen Sie das!" Yuzuriha hob ihn hoch. "Das... das ist Tierquälerei." Sie drückte ihn fest an ihre Brust. Seishirou war ihr mäßig dankbar.

"Sie scheint mir kein Stromer zu sein", sagte Sorata.

Nein, er hatte tatsächlich nicht das Bedürfnis, Tokyo auf vier Pfoten zu erkunden und er würde sich sicherlich auch nicht schwängern lassen.

Der Arzt zuckte mit den Schultern. "Na fein, zwingen kann ich niemanden dazu. Sie können aber jederzeit wiederkommen, wenn Sie es sich noch einmal anders überlegen. Doktor Shirota ist immer für alle seine kleinen und großen Patienten da." Er bedachte Seishirou mit einem sanften Blick, aus dem Seishirou meinte herauslesen zu können, dass er das Geld auch dringend brauchte. Als Tierarzt, das wusste Seishirou aus Erfahrung, war man abhängig von Kastrationen und Sterilisationen; von verrückten Tierliebhabern, denen selbst die teuerste OP nicht zu kostspielig war, um Minz und Maunz vor dem sicheren Tod zu retten. "Sonst scheint es der Kleinen gut zu gehen. Sie wirkt etwas erschöpft, aber körperlich schein alles okay zu sein. Kommen Sie nächste Woche noch einmal vorbei, damit ich sehen kann, wie sie sich entwickelt hat, ja?"

Seishirou ließ ein Schnurren erklingen, als Yuzuriha sich bei dem Arzt bedankte und mit Sorata die Klinik verließ.

Die Sonne schien hell, aber noch leicht türkis vom Himmel herab. Es musste Vormittag sein. Also hatte er nicht komplett verschlafen? Seishirou konnte nur mit Sicherheit sagen, dass er den Schlaf dringend gebraucht hatte um den Körper so gut es ging zu regenerieren. Dieser Doktor Shirota hatte aus gutem Grund nicht herausfinden können, warum "sein kleiner Patient" leicht benommen über seine Platte getorkelt war. Welcher Arzt würde auch die Vermutung anstellen, dass sein Patient mit einer anderen Seele aus dem Reich der Toten zurückgekehrt ist? Seishirou selbst hätte es nicht getan, Onmyouji hin oder her.

"Du, Sorata?", sagte Yuzuriha.

Seishirou spitzte die Ohren und verhielt sich ruhig. Yuzuriha trug ihn noch immer, obwohl ihr Griff sich inzwischen gelockert hatte, da die Gefahr einer Sterilisation nicht mehr schwer in der Luft lag.

"Ja?"

"Ich glaube, wir sollten Subaru die Katze geben."

"Subaru!?" Sorata blieb stehen. "In dem Zustand? Der kann sich nicht mal um sich selbst kümmern!"

Irgendwie war es Seishirou, als ob Sorata ein "außerdem" auf der Zunge lag. Zu seiner Enttäuschung sprach Sorata es nicht aus. Seishirou konnte sich ungefähr vorstellen, in welchem Zustand Subaru sich gerade befand. Es war mehr oder weniger seine Absicht gewesen, ihn an diesen Punkt zu bringen. Das änderte nichts daran, dass er ihn unbedingt sehen musste -- und wenn er dazu zu seinem Schmusekätzchen degradiert werden musste, dann sollte es so sein und nicht anders.

Der offizielle Nachfolger

Sorata hatte gegen Yuzurihas wie eine Bombe einschlagende Argumente keine Chance gehabt und da sich Yuzuriha ein wenig davor zu fürchten schien, Subaru unter die Augen zu treten, wurde auch Sorata dazu ernannt, Subaru sein neues Haustier übergeben zu dürfen. Kurz hatte es eine Diskussion gegeben, ob Kamui nicht der richtige dafür wäre. Seishirous Fauchen, als der Kamui der Himmelsdrachen die Küche betreten hatte, ließ diese Möglichkeit aber ziemlich schnell ins Nichts trudeln. Immerhin, den möglichen Retter der Welt zu zerkratzen und nach seinem Tod noch seine Seite zum Sieg zu führen, das hätte ihm erst mal jemand nachmachen müssen...

Seishirou ließ sich nur bis vor die Tür tragen, dann fuhr er die Krallen aus (eine gar nicht so einfache Sache -- schiere Feinmotorik war vonnöten -- besonders da zu einem neuen Körper offenbar keine Anleitungen mitgeliefert wurden). Sorata fluchte leise und klopfte an. "Was Yuzuriha da nur eingefallen ist." Er schüttelte den Kopf.

Subaru rief nicht herein. Man hörte auch keine Geräusche. Seishirou spitzte die Ohren und kratzte an der Tür.

"Tja", sagte Sorata. Er seufzte, holte tief Luft und betrat den stockdusteren Raum ohne Erlaubnis des Insassen.

Ja, Insasse war das treffende Wort. Subaru saß auf einem Sessel, der Seishirou riesig vorkam, gekrümmt wie eine alte Hexe. Das grüne Auge war mit einem milchigen Schleier verdeckt. Subaru starrte seine blassen Hände an. Die Male waren verschwunden.

Seishirou wusste, er sollte maßlos erleichtert sein. Die Male hätten ihn verraten können. Stattdessen fühlte er, wie etwas Schweres sich in seinen Magen legte, sich dort einnistete. Hinter seiner Stirn pochte es und seine Pfoten juckten. Er fuhr die Krallen ein und wieder aus.

Sorata hob ihn hoch und setzte ihn nach einigen Sekunden auf Subarus Schoß ab. "So", sagte er. Sorata schob die Brauen zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust. "Das war nicht meine Idee. Wenn du sie nicht willst, äh, ich lass einfach die Tür offen. Dann wird sie schon von allein irgendwann gehen." Er räusperte sich und beugte sich zu Subaru herunter.

Subaru legte eine kalte Hand auf Seishirous Nackenfell, das sich sofort aufstellte. Er machte einen Buckel. Seine Augen fühlten sich kalt und hart an. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit in der Sorata ihn mit einem skeptischen Blick bedachte, ehe sich Seishirou aus dem Reflex befreien konnte und in Subarus Schoß einrollte.

Es war kalt. Und ungemütlich. Es war definitiv kein Ort für eine Katze. Seishirou miaute zaghaft. Vielleicht konnte er an Subarus weiches Herz appellieren. Etwas klackte. Sorata hatte den Raum verlassen und wohl doch die Tür verschlossen, anders als angekündigt.

Die Wände schienen den Sessel zwischen sich einkerkern, verquetschen zu wollen. Seishirou hob den Kopf und sah Subaru an. Sein Blick hatte sich nicht geklärt, aber sein Mund stand einen Spalt offen.

Seishirou versuchte es erneut. "Miau?"

Subaru packte ihn und zog ihn in Augenhöhe. Seishirou strampelte, streckte alle Viere von sich, die Krallen scharf zu voller Länge ausgefahren, die Ohren angelegt. Der Ausdruck in Subarus Augen veränderte sich nicht.

Sein Tod musste ihm wirklich nahe gegangen sein. Seishirou hatte keine Zeit seinen vermeintlichen Sieg auszukosten. Mit einem schnellen Griff packte Subaru mit der noch freien Hand alle vier Beine und hielt sie zusammen. Er kniff die Augen zusammen. "Ich muss... dorthin."

Sein Atem roch nach Kirschwasser. Er war betrunken! Und Seishirou erkannte den Zustand wieder. Subaru trauerte nicht. Ganz im Gegenteil.

Ein kalter Luftzug riss an seinem Fell. Gleißendes Licht blendete seine Augen. Ein stechender Schmerz machte sich von der Mitte seiner Wirbelsäule aus in seinem ganzen Körper breit. Seishirou röchelte. Die Welt drehte sich selbst in völliger Dunkelheit. Er lag dicht an der Wand. Der Sakurazukamori hatte ihn dagegen geschmissen.

Zurück nach Hause

Es sah alles noch aus wie immer. Nur dass ihm jetzt der raue Stoff des Sofas auf eine ganz neue Art und Weise gefiel. Seishirou ließ seine Krallen in ihn sinken und zupfte behäbig und satt die einzelnen Fäden heraus. Sie verfingen sich in seinem Fell, aber das störte ihn nicht. Im Gegenteil; sich zu putzen war eine sehr entspannende Tätigkeit. Er rollte sich auf den Rücken und ließ den Schwanz langsam Kreise in die Luft malen. Inzwischen konnte er seinen neuen Körper beherrschen. Die Katzengedanken waren noch immer störend. Es hatte aber auch etwas Gutes, immer auf den vier Tatzen zu landen. Ob er wohl als Katze nur noch acht Leben hatte, weil eines verbraucht war? Oder womöglich war sie schon öfter gestorben, bevor er in den Körper gefahren war? Vielleicht lag darin der Grund, für die mehreren Leben einer Katze. Dass immer wieder ein neues Bewusstsein in den Körper einfloss, bis der Körper davon so zerstört war, dass es nicht mehr weiterging.

"Katze?" Subarus Stimme drang von der Haustür bis ins Wohnzimmer.

Seishirou miaute, um ihn zu sich zu locken. Das gelang ihm sogar. Anfangs war das schwerer gewesen. Da hatte er Subaru kratzen und beißen müssen, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Inzwischen lebten sie seit drei Monaten zusammen im Sakurazukamori-Anwesen und hatten sich aneinander gewöhnt.

Seishirou schnurrte bei dem Gedanken. Das wäre in seinem Menschenleben nie gegangen. Zumindest war er davon ziemlich überzeugt. Genaues sagen konnte man dazu aber nicht, das war ihm selbst klar, und manchmal, wenn er nachts Katzenträume träumte, dann stellte sich in diesen diese Frage und wurde doch nie beantwortet. Es war frustrierend.

Subaru ließ sich neben ihm auf die Couch sinken. Er starrte auf den zerkratzten Stoff. "Du sollst das nicht machen."

"Miau!" Seishirou sprang in Subarus Schoß und rollte sich dort ein.

Subarus Hand war kalt, als er sie auf Seishirous Rücken legte und ihn träge kraulte. Blut verklebte Seishirous Fell. Er schüttelte sich und fauchte leise.

"Ob er wohl sauer wäre, wenn er das sehen würde?"

Seishirou miaute; das bedeutete: nein. Natürlich konnte Subaru ihn nicht verstehen, soweit war er schon längst gekommen. Aber den Reflex zu antworten abzuschalten war überraschend schwierig.

Subaru hob ihn hoch, vor sein Gesicht und starrte ihn an. An den Tatzen hingen immer noch Couchfäden. Seishirou schüttelte die Pfoten, um sie loszuwerden. Es funktionierte nicht wirklich.

Subaru schmunzelte und zog die Fäden heraus. Ohne dass er es hätte kontrollieren können, schnurrte Seishirou. Er war auf dem richtigen Weg!

Jeder verrät sich einmal

Es wäre zu schön gewesen, wenn alles bis ans Ende glatt gelaufen wäre. Subaru hatte ihm einen Kratzbaum gekauft – oder von Yuzuriha aufgedrängt bekommen, genau wusste Seishirou das nicht. Er hatte nur ein Gespräch von ihr, Kusanagi und Subaru mithören können, bei dem der (scheinbar ehemalige) Erddrachenkollege darauf hingewiesen hatte, dass das Sofa weniger schlimm aussehen würde, wenn so ein Baum vorhanden wäre.

Subaru hatte jeden Tag eine andere Dose Katzenfutter mitgebracht, bis Seishirou das von ihm favorisierte gefunden hatte. Danach schenkte ihm Subaru jeden Tag von seiner Lieblingssorte eine oder zwei Dosen. Hin und wieder vergaß er das Füttern aber auch komplett, schloss die Tür hinter sich ab. Dann verzichtete Seishirou auch darauf, den Baum statt des Sofas zu zerkratzen und krallte sich tief in das Möbelstück bis breite Fetzen an den Armlehnen herunterhingen.

Dafür wurde er nicht ausgeschimpft. Im Gegenteil – nun, vielleicht hätte er Ärger dafür bekommen, wäre nicht gerade als Subaru den Saustall entdeckte, etwas viel Auffälligeres geschehen. Das war nicht abzusehen gewesen. Woher auch? Das Anwesen der Sakurazukamori war seit Jahrhunderten gut durch viele Zauberbanne geschützt. Dass sich ein Rachegeist einschlich, musste Subarus Schuld gewesen. Ließ die Kraft des aktuellen Sakurazukamori nach, so war es wenig erstaunlich, wenn Gegner ins Anwesen eindringen konnten.

Zuerst mochte Subaru vom Anblick seiner toten, durchsichtigen Großmutter so durcheinander gewesen sein, dass er das auflodernde Feuer nicht bemerkte. Als aber die gute Geistergroßmutter nicht mehr bekümmert dreinblickte, sondern sich zu Seishirou umwandte und ihre Hand hob, entwickelte sich etwas in Seishirous Leib, das er seit Wochen nicht mehr gefühlt hatte.

Magie stieß in spitzen Scherben aus ihm heraus, heiß wie eine Woge Lava. Die Großmutter schrie wie am Spieß und löste sich in rotem Rauch auf.

Seishirou tappte zwei Schritte zurück und stolperte über seine eigenen Tatzen. Er plumpste auf sein Hinterteil. Sein Schwanz verfing sich zwischen seinen Hinterbeinen. Dann war Subaru mit drei großen Schritten bei ihm und hob ihn hoch.

„Du bist keine normale Katze“, sagte er.

Gut erkannt, dachte Seishirou. Hätte ihn das plötzliche Aufbrechen seiner magischen Kräfte nicht irritiert – und noch mehr das plötzlich gleich darauf folgende Ableben derer – vielleicht hätte er nicht nervös die Krallen ausgefahren und über Subarus Hände geschabt. Ob Subaru die Idee dann verworfen hätte, ihm einen Test zu unterziehen, war unwahrscheinlich. Aber im Nachhinein malte sich eine hilflose Katze wohl gerne Möglichkeiten aus, die nicht zu ihrem Untergang führten.

Er jammerte kläglich, als Subarus Daumen in seinen Leib pressten. Seishirou konnte sich denken, was er vorhatte.

Subaru öffnete die Tür zum Schlafzimmer, ging durch die nächste Tür und warf ihn auf den Boden. Seishirou landete auf seinen vier Tatzen und fauchte, sprang Richtung Tür, prallte aber am Bannkreis ab. Er segelte über die Steinplatten. Nur torkelnd kam er wieder auf die Beine. Das Miauen blieb ihm im Halse stecken, als er in Subarus kalte Augen sah. Eines glänzte noch immer weiß. Nicht, wie er es geplant hatte. Nicht, wie er es mit ihr abgemacht hatte.

Warum ihm das ausgerechnet in diesem Moment einfiel, konnte er auch nicht sagen. Ihm blieb nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Im nächsten Moment wurde es nämlich schon schwarz um ihn herum.

„Du bleibst erst einmal hier.“
 

Das Reinigungsritual würde einige Tage dauern, jetzt, da Subaru tötete. Seishirou miaute leise. Es rauschte in seinen Ohren und er fiel in einen tiefen Schlaf.

Das Ritual

Als die Tür sich wieder öffnete, gab es einen Grund zur Freude: Subarus Glasauge war einem echten gewichen, das golden schimmerte, ein Anflug von Amüsement in der schillernden Iris. Seishirou wusste nicht, wie lange er bewusstlos gewesen war. Der zweite Gedanke, der ihm kam, galt Subarus Kleidung. Doch auch dieser Gedanke floss davon, ehe er ihn greifen konnte. Auch mit scharfen Krallen kam man da nicht weiter.
 

Um ihn herum war ein Kreis gezogen worden. Er leckte an der Kreidespur. Es schmeckte trocken und das war seine Zunge nach zu langer Zeit ohne Wasser oder Nahrung ohnehin schon. Abgesehen davon entdeckte er außerhalb des Innenkreises noch einen zweiten Kreis. Vorsicht ist auch die Mutter der Magie, dachte er, bevor auch dieser Gedanke erlosch ohne gedacht zu werden.

Unter den ganzen ätherischen Ölen konnte Seishirou immer noch den Duft von Blut wahrnehmen. Entweder hatte Subaru vor, das Beschwörungsritual mit schwarzer Magie durchzuführen, oder er war schon so tief in den Sumpf der Auftragsmorde gefallen, dass sich das Blut nie mehr gänzlich abwaschen ließ.

Es machte keinen großen Unterschied, abgesehen davon, dass Seishirou im letzten Fall womöglich Glück haben könnte; dass Subaru die reine Seele fehlte, um den Zauber durchzuführen und dass er, Seishirou, weiter sicher in seinem Katzenversteck leben konnte.

Ein dummer Gedanke, fiel ihm ein. Wenn Subaru ihn zum Sprechen brachte, könnte er ihn doch erledigen, für was er zurückgeschickt worden war. Andererseits, wenn Subaru gerade erst das Auge erhalten hatte… da war es riskant, ihn gleich darum zu bitten umgebracht zu werden. Die Wunde war, wortwörtlich, wieder aufgerissen worden. Zwar willentlich, aber dennoch. Subaru war ja noch nie der stabilste unter den Himmelsdrachen gewesen.

Ihm sträubten sich die Haare. Jedes einzelne stellte sich auf. Der Buckel, den er aus Reflex machte, war nur halb so krampfhaft wie die Zuckungen unter denen er eine Sekunde später litt.

Subaru hatte begonnen, den nötigen Spruch aufzusagen. Seishirou wand sich am Boden. Ein uralter Steinboden, und seine kleinen Krallen schabten Striemen in ihn als wäre es nichts als weiches Fleisch.

Er hörte Subaru scharf einatmen. Als Seishirou aufsah, lag Subarus Stirn in tiefe Falten.

„Was?“, fauchte Seishirou. Er blinzelte. Keine Katzenlaute waren aus seinem Mund gekommen. Es war aber auch nicht die Stimme gewesen, die er von seinem menschlichen Körper her kannte.

Subaru schien seine Fassung zurück gewonnen zu haben. Er setzte sich aufrecht hin, die Hände flach auf über die Knie gelegt. „Wer bist du?“

Seishirou stellte sich wacklig auf zwei Beine. Schon nach so kurzer Zeit war es ungewohnt das Gleichgewicht auf zwei statt auf vier verteilen zu müssen. Er blickte an sich herab. Seine Hände waren zart und weiß, wie die seiner Mutter. Lange schwarze Locken fielen über seine weiche, weibliche Brust. Etwas an seinem Kopf zuckte. Er fuhr an seinem Gesicht hinauf – junge Haut, runde Wangen – keine menschlichen Ohren waren zu finden, doch als er weiter hinaufreichte spürte er zitternde Katzenohren, die sich sofort anlegten, als er die zarten Spitzen mit den Fingern nachfuhr. „Ein Katzengeist?“

Subaru hob die Augenbrauen. „Ja. Dein Name.“

Seishirou grinste und verschränkte die Arme vor der Brust. Ein Katzenschwanz legte sich schwingend um seinen rechten Oberschenkel. „Das Ritualgewand steht dir immer noch so gut wie früher, Subaru-kun.“

Subarus Gesichtszüge entgleisten, fielen ihm wie Bauklötze herunter. „Seishirou?“

Seishirou legte den Kopf zur Seite. Seinen Katzengeruchssinn hatte er scheinbar auch behalten. Er konnte den Angstschweiß riechen. Er verengte die Augen und lächelte breiter, dann machte er einen Knicks. „Schön dich wiederzusehen.“

Wiedersehen

Für einen Moment sah es ganz danach aus, dass Subaru aus dem Raum stürmen würde. Dann wurde er kalkbleich und sein Mund klappte auf und zu wie bei einem Koi-Karpfen. Seishirou leckte sich über die Lippen. Ein Fisch, ja, darauf hätte er jetzt gut Lust. Genau konnte er es nicht einschätzen, aber er hatte schon zu lange kein Futter mehr bekommen. Sein Grinsen wurde etwas spitzer. „Wie lange war ich hier drin?“

„Drei Tage“, sagte Subaru und knetete den Stoff seines Gewands.

„Meine Güte.“ Seishirou schüttelte den Kopf. „Wolltest du nicht einmal im Zoo arbeiten? Gut, dass man dich auf den richtigen Weg gebracht hat.“ Auch wenn er es jetzt auf interessante Art und Weise heimgezahlt bekam, dass Subarus Berufswahl aus dessen Händen gerissen worden war.

Subaru schob die Brauen zusammen. „Hattest du etwas mit dem Geist zutun?“

„Deine werte Großmutter?“ Seishirou schüttelte den Kopf.

Subaru atmete hörbar aus. „Hatte ich auch nicht erwartet“, murmelte er, gab aber nicht laut zu, dass Seishirou keinen hinterhältigen Angriff auf ihn geplant hatte. Seishirou schürzte die Lippen. Es wäre wohl zuviel verlangt gewesen, den vorurteilsbelasteten Schuldspruch offiziell zurückzunehmen.

Vielleicht half ein wenig Schieben. „Wenn ich nicht ganz falsch liege, war das nicht einmal ein Geist, oder?“

Subaru nickte. „Ein Fluch.“ Noch immer knetete er den Stoff. Seine Fingerknöchel waren weißer als sein Gesicht. „Jemand hat dieses Haus angegriffen, aber die Signatur… das kann nicht sein.“ Er schnaubte, den Blick auf den Boden gewandt.

„Wieso, zu wem gehörte denn die rachsüchtige Großmutter?“ Er hatte seine eigene Theorie aufgestellt, aber da er seine Ideen nur mäßig miteinander verknüpfen konnte, weil sein Gehirn auch in dieser menschlichen Katzengeistgestalt nicht dafür angelegt war, betrachtete er sie als fragwürdig. Ein paar Fakten ließen sich leicht zusammentragen: Es musste von einer sehr mächtigen Person kommen. Dass seine Magie reagiert hatte, obwohl sie eigentlich hätte versiegelt sein müssen, ja, ein Teil in Form des Auges, das Subaru nun trug (es stand ihm ausgezeichnet!), sogar noch auf dieser Welt verweilte, sprach ganz dafür. Auch, dass diese Person das Aussehen des zwölften Sumeragi-Oberhaupts gekannt hatte, ebenso wie den Standort des Sakurazukamori-Anwesens, waren klare Indizien für einen Profi. Sicher kein anderer Onmyouji. Alle anderen Clans hatten vielleicht die Hälfte der Kraft, die bei Mitgliedern des Sumeragi- und Sakurazukamori-Clans völlig normal, sogar Voraussetzung für den Amtsantritt war. Und wenn man bedachte, dass durch die Fusion der Clans keine wirklichen Feinde selbiger übrig geblieben waren, dann konnte der Angreifer nur einer von zwei Gruppierungen angehören… den Himmels- oder den Erddrachen. Dass die Himmelsdrachen Subaru angreifen würden war wenig überzeugend – deren Kamui hätte das nicht zugelassen. Insofern man ihn darüber informiert hätte…

Da Subaru nun zu den Erddrachen gehörte und dort außer Kamui keiner Interesse am Belang der anderen Mitglieder hegte, war auch das unwahrscheinlich. Es musste aber jemand von ihnen sein. Als Katze hatte er natürlich nicht alles mitbekommen.

Subaru musste all das auch erkannt haben. Hatte er daraus die selben Schlüsse gezogen? „Oder willst du es mir lieber nicht sagen?“

Nach einem tiefen Atemzug hob Subaru den Kopf. „Wenn du wirklich der bist, der du vorgibst zu sein, dann… will ich das nicht.“ Der Anflug eines Lächelns war für Sekundenbruchteile zu erkennen gewesen.

Seishirou blinzelte ein paar Mal. Er lehnte die Schultern zurück. „Wie auch immer. Was gedenkst du nun zu tun?“
 

Was als nächstes kam, hatte er nicht erwartet; Subaru stand ruckartig auf und betrat den gezogenen Bannkreis. Mit wenigen, langen Schritten war er bei ihm angelangt. Seishirou öffnete noch den Mund, aber Subarus Hand an seiner Wange brachte ihn zum Verstummen. Die Nackenhaare stellten sich ihm auf, aber es war nicht unangenehm. Sein Katzenschwanz tanzte unkontrollierbar hinter seinem Rücken.

„Wieso? Ich verstehe nicht.“

„Das ist eine sehr lange Geschichte.“ Jetzt war sicher nicht der richtige Zeitpunkt, um sie zu erzählen. Subaru sah immer noch aus wie Kalkstein. „Und sie würde dich nur unnötig aufregen.“

Subarus Daumen strich über die Stelle, wo ein normaler Mensch Ohren gehabt hätte. „Das ergibt keinen Sinn.“

Seishirous Blick fiel unvermittelt auf sein altes Auge. Der Hohn ließ ihn die Stirn runzeln.

„Du“, krächzte Subaru. „Du wirst so bleiben.“

Seishirous Augen weiteten sich. „So?“ Nicht die schlechteste Idee. Wenigstens konnte er die Bitte formulieren und nicht nur klägliches Miauen von sich geben. Ob das zwingend für die Kommunikation von Vorteil wäre, musste sich erst noch zeigen, aber grundsätzlich war es wohl ein Vorteil. Seishirou seufzte.

„Fürs Erste“, sagte Subaru, legte einen Arm um Seishirous Taille und zog ihn dicht an sich heran.

Seishirou konnte an seiner Stirn Subarus Herz pulsieren fühlen, selbst durch den dicken Stoff des Gewands. „Subaru-kun?“

„Noch mal lass ich dich nicht gehen.“
 

Und das verkomplizierte die ganze Angelegenheit wieder über alle Maßen.

Regeln

Auch wenn es eine Weile gedauert hatte, letztendlich hatte Subaru doch von ihm abgelassen. In der Zwischenzeit war Seishirou heiß geworden von der auf ihn einströmenden Körperwärme. Normalerweise waren Menschen, die ihm dermaßen nahe kamen, schon kalt.
 

Seishirou sinnierte darüber nach, während Subaru am Herd stand und Wasser aufkochte um Tee zu machen. Seit sie den Beschwörungsraum verlassen hatte, war Seishirous Hoffnung auf eine baldige Lösung seines Problems ins bodenlose gesunken. Besonders, da diverse Katzeneigenschaften immer noch durchschimmerten. Was eine Untertreibung enormen Ausmaßes war. Als es ihn an den Katzenohren gejuckt hatte, hatte er sich spontan den Handrücken abgeleckt und hatte über das weiche Fell gestrichen.

Subaru hatte die Brauen hochgezogen, aber nichts dazu gesagt. Wenn er gewusst hätte, wie sehr es Seishirou nach Futter verlangte, hätte er vielleicht doch einen Kommentar abgegeben. Lust auf Tee hatte er definitiv nicht. Das Wasser, das Subaru ihm bisher in seinem Napf hingestellt hatte, war völlig zufrieden stellend gewesen. Seishirou war sich nicht einmal sicher, ob seine für Katzen typisch empfindliche Zunge heißen Tee überhaupt vertragen würde. Gespannt sah er zu, wie Dampf in die Höhe stieg und Subarus Gesichtskonturen verschleierte. Er wirkte gelassen, wären die geröteten Wangen nicht gewesen. Die konnten natürlich auch von der Hitze des Herds kommen, allerdings war es auffällig, dass Subaru ständig mit den Fingerspitzen in die Ärmel seines Gewands fuhr und seine Arme kratzte.
 

Subaru nahm zwei Tassen heraus und hing zwei Teebeutel hinein. Früher hatten sie immer richtige Blätter benutzt, aber es hatte sich schließlich vieles geändert.
 

„Wie stellst du dir denn unser Zusammenleben vor?“, fragte Seishirou, als Subaru ihm die Tasse reichte. Irgendwann mussten sie ja darüber reden und das Schweigen machte ihn zugegebenermaßen leicht nervös. Er schob das auf seine Katzeneigenschaften. Normalerweise wäre er längst vom Stuhl gesprungen und hätte sich im Garten eine bessere Beschäftigung gesucht, oder wäre Subaru so lange um die Beine gestromert, bis dieser mit ihm gespielt hätte. Das kam rein größentechnisch jetzt nicht mehr in Frage.
 

Subaru räusperte sich und lockerte den Gürtel seines Gewands. „Du verlässt das Haus nicht.“
 

„Nicht mal aufs Gelände darf ich?“ Seishirou schmunzelte und sah dem Wasser beim Verfärben zu. Dann schloss er die Augen und schüttelte den Kopf. „Als ob es nicht schon Tierquälerei genug gewesen wäre, mich stunden- oder gar tagelang, das weiß ich gar nicht so recht, in diesem Raum einzusperren.“
 

„Es waren Tage“, sagte Subaru, „und wenn du eine Katze bekommen hättest, wäre sie schon längst tot. Ist es nicht so?“
 

Seishirou schob die Unterlippe vor. „Nun… nicht zwingend.“
 

„Es ist so.“
 

Seishirou hob den Kopf. Subarus Mienenspiel verriet nicht viel, und Seishirou wandte den Blick wieder ab. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er den dampfenden Tee in seiner Hand. Seine Krallen kratzten über die Oberfläche der Tasse und hinterließen Spuren.
 

Subaru hatte seinen Tee bis jetzt auch noch nicht angerührt, nahm nun aber einen Schluck ehe er fortfuhr. „Es ist keine Tierquälerei. Jemand hat versucht den Sakurazukamori anzugreifen. Deine Magie mag ja als Schutzreflex funktionieren, aber du hast keine Kontrolle darüber. Richtig?“
 

Auch wenn die Wahrheit ihm widerstrebte – Seishirou nickte.
 

„Dann bist du im Haus sicherer.“
 

Seishirou schnaubte und zog eine Augenbraue nach oben. „Der Angreifer scheint fähig gewesen zu sein. Fähig genug, um Toten ihre Ruhe zu lassen.“ Beinahe hätte er „anders als du“ angefügt, unterließ es aber. Es war ganz sicher nicht klug, Subarus Nerven auf einen Schlag überzustrapazieren. Abwarten und Tee trinken; er nippte an seiner Tasse und verzog das Gesicht. Viel zu heiß. Er stellte die Tasse weg und verschränkte die Arme vor der Brust. Das war dank der neu hinzugekommenen Fettpolster noch immer ungewohnt, aber wenn Subaru ihn tatsächlich in dieser Form belassen wollte, musste er sich ja irgendwann daran gewöhnen.

Eine warme Hand strich über seine Wange, und schlanke Finger streichelten seinen Hals. Seishirou erschauderte unwillkürlich. „Subaru-kun?“, fragte er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.
 

„Du lebst. Ich kann deinen Puls spüren.“ Subaru presste die Finger in seinen Hals.
 

Es war kein unangenehmes Gefühl, und doch irritierte es Seishirou. Er legte die Ohren dicht an den Kopf an und blickte zu Subaru auf, der sich über ihn gebeugt hatte. So fühlte es sich also an, wenn der Sakurazukamori über einem ragte. Seishirou schmunzelte. „Also gut. Ich werde im Haus bleiben. Gibt es sonst noch irgendwelche Regeln, Herrchen?“
 

Subaru zog die Hand zurück, als ob er sich verbrannt hätte.
 

„Ich bin dein Haustier, Subaru-kun. Also bist du folgerichtig auch mein Herrchen.“
 

„Katzen sind eigenwillige Tiere.“
 

„Nicht wenn sie ihre Besitzer mögen.“ Auch wenn es nur für den Bruchteil einer Sekunde sichtbar gewesen war, der naive Ausdruck von Hoffnung war in Subarus Augen zurückgekehrt. Seishirou spürte einen Stich in der Brust, konnte ihn aber nicht sofort zuordnen und wurde im nächsten Moment abgelenkt ohne Zeit dazu zu haben, darüber nachzudenken. Subaru hatte die Hand in seinen Nacken gelegt und ein Büschel langer Haare gepackt. Seishirou schnappte nach Subarus Arm und krallte sich in das weiße Gewand. Er roch Blut, als er Subarus Arm aufritzte und die Flüssigkeit in den Stoff sickerte.
 

Subaru lächelte besonnen. „Ich muss jetzt arbeiten“, sagte er. Dann verschwand er in einem Rausch pinker Blütenblätter.
 

Seishirou atmete zischend aus. Dass er den Atem angehalten hatte, war ihm nicht bewusst gewesen.

Es liegt im Auge des Betrachters

In Ermangelung von Ablenkungsmöglichkeiten und der Tatsache, dass er Kopfschmerzen bekam, sobald er versucht gründlich über alles nachzudenken, beschloss Seishirou durch das Anwesen zu streifen und das Zimmer zu besuchen, in dem seine Mutter einst gewohnt hatte. Obwohl er genau wusste, wo es war und obwohl es auch nicht lange dauerte um dorthin zu gelangen, blieb er doch lange Zeit vor der Tür stehen. Erst nach einigen Minuten schob er die Tür zur Seite auf und betrat den Raum. Die Zeit hatte keine Zeichen hinterlassen. Keine Spinnweben, kein Staub, kein feucht-modriger Geruch, wie man es vielleicht erwartet hätte bei einem Raum, der seit vielen Jahren nicht mehr genutzt oder geputzt worden war.
 

Die Einrichtung war spärlich. Ein Kleiderschrank, eine Kammer zum Verstauen des Futons und Bettzeugs und ein großer Spiegel. Mehr war nicht zu sehen. Wenn er aus dem Fenster blickte, sah er den verschneiten Teil des Gartens. Ihm war für einen Moment, als könne er noch die Blutspuren von damals im Schnee entdecken. Es stellte sich als eine Trügung dar, nachdem er einmal geblinzelt hatte.
 

Seishirou öffnete den Schrank und strich mit den Fingern über die Kimonos seiner Mutter. Alle hatten bunte Blumenmuster in kräftigen, dunklen Farbtönen. Von Pastell hatte sie nie viel gehalten.

Sein Katzenschwanz schwang schwer in der Luft hin und her. Seishirou nahm einen der Kimonos aus dem Schrank und trug ihn zum Spiegel. Er neigte den Kopf zur Seite, dann legte er den Kimono auf den Boden und zog sich das schwarze Hemd und die schwarze Hose aus – schwierig, wenn der Schwanz und die Ohren ständig zuckten und man noch nicht ganz heraus hatte, wie diese Körperteile zu kontrollieren waren.
 

Er horchte auf, als er ein Knarren zu hören meinte. Es stellte sich als Meise heraus, die sich auf dem Fenstersims niederließ und ihn beobachtete. Seishirou grinste.

Dann betrachtete er seine nackte Gestalt im Spiegel. Seine Haut war blass, was durch die pechschwarzen Haare noch verstärkt wurde. Nur seine durch die Kälte hervorstehenden Brustwarzen stachen mit ihrem Pinkton heraus. Sein Blick wanderte weiter nach unten. Aus dem Augenwinkel sah er, dass seine Katzenohren zuckten.

Zwischen seinen Beinen befand sich nur eine dünne Schicht grauer Schamhaare. Die Katze war wohl doch jünger gewesen als vermutet, als er ihren Körper übernommen hatte. Er wandte sich um und betrachtete sein Steißbein aus dem der Katzenschwanz spross. Er schwang ihn einmal nach oben und ließ ihn dann wieder nach unten sinken. Rein Gleichgewichtstechnisch war er von Vorteil. Aber da Subaru ihm den Ausgang ja gesperrt hatte, gab es nicht viele Gelegenheiten, bei denen er seinen Gleichgewichtssinn brauchen würde.
 

Seishirou hob den Kimono auf und streifte ihn sich über. Ihn anzuziehen kostete viel Energie, da er sich stärker konzentrieren musste als er es in Erinnerung hatte. Katzen zwängten sich für gewöhnlich nicht in traditionelle Kleidungsstücke. Wozu auch, wenn man ein schönes Fell hatte?
 

Es dauerte eine ganze Weile, wenn er auch nicht wusste, wie lange genau, da keine Uhr im Raum war und er selbst auch keine trug. Er strich die Falten glatt und zupfte seine Haare aus dem Kragen. Dann drehte er sich um und betrachtete sich erneut im Spiegel.
 

Seine Ohren zuckten, bevor er sich genauer ansehen konnte. Er blickte zur Seite. Subaru stand neben ihm. Er trug immer noch das weiße Ritualgewand, nur war von der Originalfarbe nicht mehr viel zu sehen. Er war über und über mit Blut besudelt. Selbst in seinen Haaren hing es, tropfte auf seine Schultern.
 

Seishirou blinzelte und trat automatisch einen Schritt zurück. Sein Blick wanderte über Subaru, der komischerweise aufrechter stand als sonst. Seine Miene war hart und sein Auge kalt. Das Auge jedoch, das Seishirou ihm überlassen hatte, schien mit Leidenschaft zu glimmen. Seishirou presste die Lippen zusammen. Am liebsten hätte er einen Katzenbuckel gemacht; auf zwei Beinen ging das aber nur schwer und in einem Kimono war es fast unmöglich.
 

Subaru runzelte die Stirn. „Was ist das?“
 

Seishirous Augen weiteten sich. Dann sah er an sich herab. „Oh.“ Er drehte sich zum Spiegel um. „Der Kimono gehörte meiner Mutter. Ich wollte wissen, ob ich ihr ähnlich sehe.“ Wenn er sich jetzt so betrachtete, konnte er da nur zu Teilen zustimmen: der zierliche Körperbau und das mädchenhafte Gesicht sowie die dunklen Haare und die weiße Haut erinnerten ihn stark an seine Mutter. Allerdings waren seine Haare gewellt, wo ihre völlig glatt gewesen waren. Auch hatte er nicht ihre herzförmigen Lippen. Wahrscheinlich, weil es letztendlich nicht sein Körper war, auch wenn seine Seele die Gestalt nachhaltig beeinflusste.
 

Er wandte sich wieder zu Subaru um. Seishirou konnte den Blick kaum von Subarus Hals lassen. Über seine Schläfen lief das Blut herunter und sprang ein gutes Stück weiter nach unten, wenn seine Halsschlagader pulsierte. „Du siehst schön aus“, flüsterte er.
 

Subaru verzog das Gesicht. „Du hattest eine Mutter?“
 

Seishirou hob eine Augenbraue an. „Auch ich wurde einmal ganz normal geboren. Der Biologie können wir uns alle nicht erwehren.“ Er schmunzelte und trat an Subaru heran, streckte die Hand aus und legte sie auf seine Brust, wo ein großer Blutfleck ein Mandala auf dem Gewand hinterlassen hatte.
 

„Und… siehst du ihr ähnlich?“
 

„Mhm.“ Seishirou lachte. „Sie hatte natürlich weder solche Ohren, noch einen Katzenschwanz.“ Er deutete auf die tierischen Zugaben.

„Ich hab eine spezielle Mischung im Bad. Es ist zwar getrickst, aber danach wirst du das Gewand wieder zu Ritualen benutzen können, die eine rituelle Reinigung voraussetzen. Und dich kriegen wir auch wieder porentief rein.“ Er ergriff Subarus Hand, die nass und warm vom Blut war. „Falls das für dich in Frage kommt… zu schummeln.“
 

Subaru nickte, obwohl er die Augen zusammenkniff. Er seufzte. „Wenn ich dein Auge nicht hätte, könnte ich nicht glauben, dass es wirklich du bist.“
 

„Wieso, was lässt es dich denn sehen?“ Er hielt inne, gerade dabei, Subaru aus dem Raum zu führen. Er sah ihn nicht an, wartete aber angespannt die Antwort ab.
 

„Es ist weniger ein Sehen. Die Energie, die von dem Auge ausgeht ist die gleiche, die von dir ausgeht. Wie eine Kopie.“
 

„Hm.“ Seishirou lächelte ihn an. „Wir sollten dich waschen.“
 

Ohne Vorwarnung zog Subaru ihn an seine Brust. Seishirou spürte, wie das halb angetrocknete Blut sich auf seiner Wange und Stirn verteilte. Subarus Herz schlug gleichmäßig und ruhig. Seishirous setzte für einen Schlag aus.
 

„War sie vor dir das Oberhaupt des Clans?“
 

Seishirou wagte es nicht den Mund zu öffnen. Wer wusste schon, von welcher Person das Blut stammte. Auf die Schleimhäute wollte er es nicht bekommen.
 

„Hast du sie getötet?“ Subaru lockerte die Umarmung.
 

Seishirou lehnte sich zurück. „Sie hat mich darum gebeten.“ Er zog an Subarus Hand. Das war kein Gespräch, das er jetzt führen wollte. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, noch nicht. Ob Subaru unter Schock stand von dem Mord, den er eben erst begangen hatte oder ob er aus anderen Gründen in einer komischen Stimmung war, Seishirou wollte unter keinen Umständen riskieren, die Situation zu verschärfen. Abgesehen davon entfleuchten ihm alle klaren Gedanken, weil ihn Subarus weiche, blutbefleckte Haut mehr ablenkte als ein glitzerndes Windspiel.
 

Er war wunderschön.
 

Subaru starrte zu ihm herab. Seishirou zog erneut an seiner Hand. Endlich folgte Subaru ihm. Seishirou stellten sich die Nackenhaare auf und sein Schwanz, gut verborgen unter dem Kimono, zuckte nervös. Die Ohren legten sich ganz automatisch an, nur eines klappte immer wieder hoch um zu horchen.

Er würde sich auch waschen müssen. Der Kimono wäre ruiniert, wenn das Blut erst einmal richtig eintrocknete und sich in die Fasern sog und festsetzte.
 

Dankbar dafür, dass Subaru geschwiegen hatte, bis sie das Badezimmer erreichten, öffnete Seishirou die Tür und ließ ihm heißes Wasser ein.

Die Salbung

Im Bad roch es vor allem nach Gewürzen, ganz wie er es noch aus seiner Erinnerung kannte, obwohl der Geruch nicht so intensiv war wie damals. Auch das Mobiliar stand noch am selben Fleck. Die niedere Bank mit den schmalen Streben, unter der man Kohlen zünden konnte war ebenfalls noch vorhanden. Seishirou nickte sich selbst zu und drehte sich herum.
 

Subaru sah zu ihm herunter. Seine Miene war nicht zu deuten, aber die dunklen Stellen unter seinen Augen verrieten zumindest eines: er war erschöpft.

Seishirou lächelte leicht. Auch etwas, an das er sich erinnern konnte. Die schwere Müdigkeit in den Gliedern. Die Kopfschmerzen, durch Überanstrengung der Muskeln und Augen. Subaru war noch nicht an diesen Lebensstil gewöhnt. Natürlich wusste er, was ein Onmyouji zu tun hatte, er wusste, dass es anstrengend war, das alles kannte er wohl – aber die Morde, die er zu erledigen hatten, machten ihm wohl doch zu schaffen.
 

Mit einem warmen Gefühl in der Brust trat Seishirou auf ihn zu und legte die Hand an den Obi des Gewands. Er blickte auf. Subaru erwiderte seinen Blick nicht. Seishirou zog an dem Gürtel um ihn zu lockern und löste dann die komplizierten Knoten. Der Obi fiel zu oben. Das Gewand öffnete sich.
 

Seishirou legte die Hand auf Subarus nackte Brust und schob ihm den Stoff über die Schultern. Er konnte Subaru unter seinen Fingern zittern spüren, obwohl davon nichts zu sehen war. Womöglich bekamen seine Augen davon aber auch nichts mit, weil er sie nicht von Subarus lassen konnte. Inzwischen sah Subaru ihn direkt an. Seishirou war sich nicht sicher, ob ihm nun mulmig war oder ob er angenehm überrascht war von weicher Subarus Haut, die gut zu dem tiefroten trocknenden Blut passte. Unter dem Kimono schwang Seishirous Schwanz hin und her und schleifte dabei über die Kacheln.
 

Seine Ohren zuckten, als Subaru die Hände ausstreckte und ihn näher heranzog. Seishirou neigte den Kopf und blinzelte. Sein Blick wanderte über den nackten Körper, dann wieder herauf. „Was ist?“
 

„Du… bist schmutzig geworden. Entschuldige.“ Der wehmütige Ausdruck kam zurück in Subarus Gesicht und auch in seine Tonlage.
 

Seishirou schmunzelte. „Nicht weiter schlimm.“ Er hob Subarus Gewand auf und trug es zu der Bank. Er breitete das Gewand darüber aus, sodass es keine Falten warf. Dann ging er zum Spiegelschrank, der über dem Waschbecken hing und öffnete ihn. Viele Fläschchen, allesamt unbeschriftet, standen genau so da, wie damals, als er das Bad zum allerletzten Mal genutzt hatte.

Er nahm ein kleines weißes Döschen aus der hintersten Ecke des obersten Regals (er musste sich strecken). Nachdem er den Deckel abgenommen und an den kleinen kristallenen Körnchen geschnuppert hatte verstreute er den Inhalt großzügig über dem verschmutzten Stoff. Das Döschen leerte sich dank eines simplen, sehr alten Tricks nie. Es hatte ihm unzählige Male gute Dienste geleistet.
 

Als er damit fertig war ging er zur Badewanne, die schon zur Hälfte gefüllt war, und kippte noch weit mehr von den Kristallen in das heiße Wasser. Stechender Dampf stieg auf. Er schlug die Hand über Mund und Nase und verfluchte den guten Geruchssinn der Katzen zu eigen war.

Hustend trat er ein paar Schritte zurück ohne viel dabei zu sehen. Er stieß gegen etwas. Wie sich beim Aufblicken herausstellte war es Subaru.
 

„Was ist das?“
 

„Keine Sorge, ich will dich nicht vergiften.“ Er lachte, atmete mehr von dem scharfen Dampf ein und hustete erneut. Nur langsam verzog sich die Dunstwolke, aber mit der Zeit würde es erträglich werden und schließlich angenehm. Hoffentlich. Früher war es so gewesen, aber unter Umständen war seine Nase jetzt einfach zu empfindlich um die Trickreinigung zu genießen.
 

„Eine Art Salz, oder?“ Subarus Hände lagen immer noch auf seinen Schultern. Seishirou spürte ihre warme, sanfte Schwere, die langsam aber sicher den Kimono über seine Arme schob. „Es riecht zumindest danach.“
 

„Stimmt“, sagte Seishirou und ließ es zu, als Subaru die Hände an seinen Obi legte und ihn, ganz wie Seishirou es davor getan hatte, entkleidete. Der Kimono raschelte dumpf, als er auf dem Boden auftraf. Obwohl es warm, geradezu schwül war, bekam Seishirou eine Gänsehaut. „Kein gewöhnliches Salz und deswegen auch weitaus fähiger. Allerdings habe ich nie ganz herausbekommen, aus was es zusammengesetzt ist. Thymian scheint auf alle Fälle mit dabei zu sein.“
 

Subaru nickte. Seine Wangen waren gerötet. Die Badewanne war gefüllt.
 

Seishirou lehnte sich vor und drehte den Wasserhahn zu. Er konnte sein Spiegelbild im Stahl erkennen. Die eine Gesichtshälfte war rot, die andere – auch, allerdings nicht weil sein Blut innerlich kochte, sondern weil sie äußerlich mit dem Blut eines Fremden beschmiert war. Seishirou schüttelte sich und setzte sich auf den Rand der Wanne. Sein Katzenschwanz spritzte heißes Wasser in Subarus Richtung einige Spritzer trafen wohl auch. Subaru zuckte immerhin leicht.
 

Seishirou tauchte eine Hand in das Wasser. „Die Temperatur ist in Ordnung.“ Wenn der Dunst ihn nicht so benebelt hätte und der störende Unwille auch nur in die Nähe von Wasser zu kommen ihn nicht abgelenkt hätte, dann hätte er mehr als ein oder zwei Gedanken daran verschwendet, wie grotesk die Situation eigentlich war. Er schielte in Subarus Richtung, sah dann an sich herab.
 

Der unbekannte neue Körper fühlte sich nicht falsch an, noch schämte er sich. Das war eine Emotion, die er nicht kannte und da hätten ihm wahrscheinlich ausnahmsweise selbst seine Mutter und auch Hokuto zugestimmt. Dass Subaru ihn aber ausgezogen hatte und sich hatte ausziehen lassen, das war etwas ganz anderes.
 

Subaru atmete tief ein und setzte zu sprechen an, sagte aber nichts. Er hob ein Bein und stieg in die Wanne. Seishirou drehte sich auf dem Rand um und ließ die Beine ins Wasser hängen. Seine Ohren spitzten sich und sein Schwanz peitschte hin und her. Sein Magen rebellierte. Er schluckte ein wütendes Fauchen und ließ sich in die Wanne sinken.
 

Er saß Subaru gegenüber. Die verklebten Haare fielen in sein Blickfeld. Er rutschte näher heran und legte die offenen Hände aneinander um eine Schale für eine Portion Wasser zu machen. Er schüttete es über Subarus Kopf aus, der reflexartig die Augen schloss und den Kopf an Seishirous Schulter senkte.
 

Seishirou massierte das Wasser und die kleinen Kristalle in Subarus Kopfhaut ein. Das Blut schien in die Kristalle zu kriechen, die größer wurden und wie Perlen ins Wasser rollten. Er versuchte gleichmäßig zu atmen, aber die Hitze erschwerte den Versuch. Zittrig atmete er aus, dicht an Subarus Ohr. Subarus Arme schlangen sich um seine Taille ohne wirklichen Körperkontakt herzustellen. Seishirou atmete leise aus.
 

Auch Subaru hat in einer Handschale einen kleinen Kristallsee geholt. Seishirou schloss die Augen und ließ zu, dass Subaru ihm das Gesicht wusch. Er konnte spüren, wie die kühlen Perlen zwischen Subarus heißen Fingern entstanden und schließlich mit einem leisen Klatschen zurück ins Wasser fanden.
 

Er hatte nur ein paar Sekunden, in denen er realisierte, dass Subarus Atem ganz nah war. Er riss die Augen nicht auf, nahm nur einen tiefen Atemzug. Subarus Lippen waren weich, warm und feucht. Seishirou ließ den Mund leicht geöffnet. Subarus Zunge schmeckte bitter und Seishirou war, als könne er die Asche einer Zigarette neben einem Opfer in der Luft tanzen sehen. Er schlang die Arme um Subarus Hals, Subaru schlang die Arme um seine Hüften, und sie zogen sich dicht aneinander heran.
 

Das Wasser plätscherte und zwischen ihnen bildeten sich Perlen, die geräuschlos in die Tiefe sanken und ihren Körpern Platz machten.
 

Seine Mutter hatte ihn geküsst. Subaru sorgte dafür, dass die Kontakte in seinen Nerven nicht mehr funktionierten. Hinter den geschlossenen Lidern sah er Lichtblitze. Seine Krallen fuhren aus und strichen über Subarus Nacken ohne Kratzer zu hinterlassen. Seishirou legte den Kopf zur anderen Seite und genoss, wie Subaru mit einer leichten Handbewegung seine Haare zur Seite schob und eine Schulter entblößte. Subaru massierte sie mit sanft kreisenden Bewegungen.
 

Mit geschwollenen Lippen hauchte er noch einen Kuss auf Subarus Mund, als dieser den Kopf zurückzog. Seishirou öffnete die Augen und sah, dass Subaru ihn mit glasigen Augen taxierte.
 

„Entschuldige“, wisperte Subaru.
 

Etwas in Seishirous Unterleib pochte heftig. Seine Ohren rotierten beinah. Er rollte den Schwanz ein und schüttelte mit einem schiefen Lächeln und hochgezogenen Brauen den Kopf. Er öffnete den Mund um etwas zu entgegnen –
 

Subaru zog ihn so dicht an sich heran, dass der Atem aus seiner Lunge gepresst wurde. Seishirou schnappte nach Luft und atmete warme Feuchte ein, als sich Subarus Lippen erneut über seinen schlossen.

Das erste Mal

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Der Ausreißer

Die folgenden Tage waren vergangen, ohne dass etwas Auffälliges geschehen war. Den Fragen nach dem Angreifer und ob Subaru schon etwas Neues herausgefunden hatte, wurde keine Beachtung geschenkt. Nicht mal zum Dank dafür, dass das Ritualgewand tatsächlich wieder mehr als nur porentief rein geworden war. Statt ihm zu antworten hatte Subaru die Flucht nach vorn ergriffen und ihn geküsst.
 

Seishirou gewöhnte sich schneller an den ständigen Körperkontakt, als er sich an den Katzenkörper gewöhnt hatte. Sie schliefen jeden Tag miteinander und in den ersten paar Tagen verlor Seishirou das Zeitgefühl. Subaru kam nach Hause, schlief mit ihm, ging wieder, kehrte zurück, und schlief wieder mit ihm. Vielleicht musste Subaru nachholen, was er bisher verpasst hatte im Leben.
 

Vielleicht mussten sie es beide.
 

Seishirou betrachtete sich nachdenklich im Spiegel. Subaru hatte darauf bestanden, dass eine Katzenwäsche nicht ausreichte. Obwohl es Seishirou jedes Mal schauderte, wenn er sich unter die Dusche stellte, zog er es dennoch durch. Letzten Endes hatte er danach wenigstens das Gefühl, wirklich sauber zu sein, auch wenn das Wasser sich scheußlich auf den fellbesetzten Ohren und dem Schwanz anfühlte.
 

Die Haut zwischen seinen Beinen war stark gerötet und geschwollen. Er grinst sein Spiegelbild kopfschüttelnd an. „Die Jugend von heute kennt weder Maß noch Anstand“, murmelte er und zog sich einen Kimono seiner Mutter über. Unterwäsche trug er keine – das vertrug sich mit seinem Schwanz nicht gut, wie er herausgefunden hatte. Da Subaru ihn nicht rauslassen wollte, und Subaru auf die Bitte, ihm dann doch wenigstens Unterwäsche zu kaufen peinlich berührt reagiert hatte, hatte Seishirou sich für den einfachsten Weg entschieden.
 

Die Kimonos seiner Mutter passten ihm wie angegossen. Er machte sich auch nicht jedes Mal die Mühe, den Obi korrekt zu binden. Subaru schob ihm oft genug einfach den Stoff über die Hüften, wenn er heimkam und sie sich nach zwei kurzen Blicken plötzlich in der Horizontalen wieder fanden.
 

Er öffnete das Kippfenster und verließ das Badezimmer. Zwar wusste er nicht genau, was Subaru heute arbeiten musste, aber die Ankündigung hatte „warte nicht auf mich mit dem Essen“ gehießen. Es würde also noch eine Weile dauern, bis sein Herrchen zurückkehrte…
 

Seishirou ließ sich auf den Fenstersims sinken und starrte nach draußen. Immer noch war der Garten voller Schnee. Über Nacht war sogar noch mehr hinzugekommen. Das lag wohl weniger an der Jahreszeit als an der Beschaffenheit des Hauses, dachte er und lehnte die Stirn an die kühle Fensterscheibe.
 

Noch immer hatte er keinen guten Plan, wie es weitergehen sollte.
 

Subaru hatte ihm zum Nachdenken auch keine Zeit gelassen. Meist schlief Seishirou, solange Subaru weg war und erwachte, wenn er Essen roch oder merkte, dass ihn jemand entkleidete. Seltener war er früher aufgewacht. Dann hatte er sich um die Wäsche gekümmert. Den Rest besorgte das Haus ja letztendlich selbst: Essenreste auf Tellern und in Töpfen verschwanden kurioserweise nach ein paar Stunden. Seishiriou ahnte, was es damit auf sich hatte, war aber nie so sehr daran interessiert gewesen das Geheimnis ganz zu lüften.
 

Und jetzt, mit der Gehirnkapazität einer Katze und der Unfähigkeit Magie zu wirken, hatte er dazu auch nicht mehr die nötigen Fähigkeiten.
 

Er seufzte und fuhr die Krallen aus, kratzte über die Scheibe und sah zu, wie sich der Schaden von allein reparierte. Dieses Haus trieb ihn noch in den Wahnsinn. Einen klaren Gedanken zu fassen, wenn man nicht einmal an die frische Luft durfte, war für ein Tier scheinbar noch schlimmer als für einen Menschen.

Aber auch darüber mit Subaru zu diskutieren lohnte nicht.
 

Seishirou sah sich um. Ein Bücherregal stand in der Ecke. Es gab keinen Fernseher. Zwar eine Couch, ziemlich groß, und einen Couchtisch, auf dem eine Schale mit Süßigkeiten stand, von denen er immer mal wieder gerne naschte, aber Beschäftigung gab es keine. Nicht mal Mäuse oder Ratten, denen er hätte nachjagen können.
 

Draußen hüpften bunte Vögel durch den Schnee. Sie stachen mit ihren grellen Farben wie Tintenkleckse auf weißem Papier heraus. Seishirou neigte den Kopf. Seine Ohren zuckten. Er befeuchtete die Lippen und linste zur Terrassentür.
 

Subaru war nicht da. Er würde so schnell nicht zurückkehren. Niemand würde etwas mitbekommen. Das Schutzschild des Hauses war seit dem ersten Angriff aufgefrischt und Subaru achtsamer geworden.
 

Seishirou erhob sich, legte die Hand auf die Klinke und drückte sie herunter.
 

Eiskalte Luft peitschte in sein Gesicht. Er lächelte und schloss die Tür hinter sich. Es waren genug Menschen in dem Garten vergraben. Deren Einfluss musste nicht unbedingt ins Haus gelangen. Soviel Vorsichtsmaßnahmen waren gerade noch vertretbar. Hätte er seine Magie noch besessen, hätte er die Türe offen stehen lassen.
 

Er setzte sich unter den blühenden Kirschbaum in den Schnee. Es dauerte nicht lange bis die bunten Vögel sich ihm näherten. Er zog die langen Ärmel über seine Hände um die Krallen zu verbergen. Er wollte sie nicht jagen. Blutspuren hätten ihn nur verraten.
 

Die Rinde des Baums war warm. Das letzte Mal, als er die Essenz der begrabenen Seelen gespürt hatte, kurz bevor er zur Rainbow Bridge aufgebrochen war, waren sie in heller Aufregung gewesen. Nun schienen sie in einem sanften Rhythmus zu schweben. Einige schienen zu schlafen.
 

Hokutos Essenz war deutlich vernehmbar.
 

Eine Blüte fiel hinab. Er öffnete die Hand und fing sie auf. Sie war heller als die anderen, die noch an den Ästen hingen. Er strich mit dem Daumen über die Blütenblätter.

Hokuto war wohl zufrieden damit, wie die Dinge nun liefen. Seishirou schnaubte, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen. Ja, das wunderte ihn nicht. Wäre sie noch am Leben, dachte er, würde ich mich jetzt wohl vor zu Catgirls passenden Verkleidungen kaum retten können. Er lachte leise und zerdrückte die Blüte in der Hand.
 

Dann schloss er die Augen und horchte. Zunächst störte es ihn, dass die Vögel sich auf seiner Schulter und seinen Beinen niederließen – sein Jagdinstinkt hielt ihn dazu an, sie zu packen und zu zerreißen, doch er beherrschte sich – er fand aber schon nach kurzer Zeit zur Ruhe.
 

Ja, Hokuto wäre entzückt gewesen. Womöglich auch etwas entsetzt, im rein positiven Sinne, dass ihr lieber Bruder eine ausgewachsene Libido besaß. Seishirou schmunzelte bei dem Gedanken, obwohl die Kälte sich langsam in seine Glieder und Knochen fraß. Selbst seine Schädeldecke schien zu frieren. Er schüttelte sich um sich aufzuwärmen.
 

Ein heiseres Kreischen. Heißer, tiefer, ziehender Schmerz durchzuckte seine linke Schulter. Ein Vogel zwitscherte. Seishirou öffnete die Augen. Der Vogel fiel tot zu Boden.
 

Aus seiner Schulter kam ein Schwall Blut. Er sog scharf den Atem ein und stützte sich mit dem unverletzten Arm ab. Als er sich umwandte, sah er ein kleines Wesen aus Ton mit sternförmigem Körper. Statt Augen hatte es eine einzige große Zunge. Statt Händen hatte es Klingen. Von diesen tropfte Blut.
 

Seishirou wich zurück, versuchte auf die Beine zu kommen und fiel über eine Wurzel. Er fluchte und stierte den Eindringling an. „Wie schafft man es mehr als einmal in das Reich der Sakurazukamori einzudringen?“
 

Die kleine Figur streckte die Zunge heraus. Zähne wie von einem Hai wurden entblößten. Die Figur setzte zum Sprung an. Seishirou duckte sich, drehte den Kopf weg.
 

Eine warme Magiewelle brodelte direkt vor ihm, traf ihn aber nicht. Er blinzelte und sah Subaru vor sich stehen. Die Figur zerbrach in viele tausend Scherben, die zu Staub wurden und sich schließlich in Luft auflösten. Ein Stück Papier blieb zurück. Bevor Seishirou einen Blick darauf werfen konnte, schnappte Subaru danach und stopfte es in seine Manteltasche.
 

Dann drehte sich Subaru um. „Ich habe dir gesagt, du sollst das Haus nicht verlassen.“ Seishirou hätte einen gequälten, traurigen, mitleidigen Blick erwartet. Subaru sah mit Hass und Enttäuschung in den Augen zu ihm herab.
 

Seishirou sank tiefer in den Schnee. Subaru packte ihn und zog ihn auf die Beine, schob ihn zurück ins Haus und knallte die Türe zu. Das Glas splitterte und regenerierte sich sofort wieder.
 

Seishirou setzte sich auf den Heizkörper. Er hielt die Wunde. Vor Schmerz pochten Muskeln und Fleisch. Seine Nerven explodierten unter der Belastung. „Ich weiß, was du gesagt hast. Aber ich bin eine Katze. Ich brauche nun mal Auslauf.“
 

„Sieh dich an! Sieh nur, wie du aussiehst!“ Subaru deutete nicht etwa auf die verletzte Schulter, er zeigte auf den Boden, wo eine breite Blutspur Seishirous Weg markierte.
 

„Ich hat in meinem Leben schon schlimmere Verletzungen. Einmal, da wurde mir ein Auge ausgestochen.“
 

„Halt den Mund.“ Subarus Kopf schien zu kochen. Adern standen an seiner Stirn hervor. Er war wütend. Er war ernsthaft wütend. Seishirou beobachtete ihn mit unverhohlener Bewunderung. Natürlich hatte er Subaru schon oft mit schlechter Laune erlebt, aber nie in dermaßen in Rage. Subaru wandte sich ab und ging ins Bad.
 

Kurze Zeit später kehrte er mit Desinfektions- und Verbandsmaterial zurück. Er sprach kein Wort, während er Seishirou verarztete. Nicht mal, als Seishirou ihn darauf hinwies, dass er den Verband falsch anlegte. Obwohl er den guten Rat befolgte, was Seishirou mit hochgezogenen Augenbrauen quittierte.
 

Erst als die Wunde vollständig versorgt war und Subaru die Utensilien beiseite gelegt hatte, schien er wieder seine Stimme zu finden. „Du wirst nie wieder dieses Haus verlassen.“
 

Seishirou seufzte. „Subaru-kun.“
 

„Gib mir deine Hände.“
 

Seishirou zog eine Augenbraue hoch. „Wozu?“
 

„Gib sie mir einfach.“ Subaru lächelte. Dann streckte er seine Hände aus. Seishirou versuchte noch, seine eigenen wegzuziehen, aber die Verletzung hatte ihn lahm gemacht. Er zuckte zusammen, als Subarus Finger sich um seine Handgelenke schlossen.
 

Seine Augen weiteten sich, als ihm klar wurde, was Subaru aller Wahrscheinlichkeit nach vorhatte. „Nein“, flüsterte er. Dann, bestimmter, lauter: „Nein, Subaru-kun.“ Er lachte, fassungslos. Dann drehte er sich abrupt weg.
 

Subarus Griff war beeindruckend eisern. Seishirou wand sich, versuchte das Stechen in seiner Schulter zu ignorieren. Er spürte, wie der Verband einnässte. Er fauchte, als Subaru ihn dicht an sich heranzog. Subaru hielt ihn mit einem um die Taille geschlungenen Arm fest. Die andere Hand lag flach über Seishirous. Seine Handrücken rissen auf. Er konnte es nicht sehen, aber er spürte den schneidenden Schmerz, der ihn für einen Moment sogar seine Schulter vergessen ließ.
 

„Nein, Subaru. Nein.“ Er versuchte nach ihm zu treten, doch es war schon zu spät. Subaru nahm seine Hand zurück, legte jetzt auch den anderen Arm um Seishirous Taille. Subaru presste das Gesicht in Seishirous Nacken. Seishirou betrachtete zitternd die Pentagramme. „Was fällt dir eigentlich ein?“ Er schoss herum und starrte Subaru mit verengten Augen an.
 

„In diesem Haus gibt es keine Handschuhe, außer die, die ich immer bei mir trage. Falls du also noch einmal versuchen solltest, das Haus zu verlassen, werde ich es sofort merken.“ Subaru ließ ihn los und stand auf. „Leg dich jetzt hin und ruh dich aus. Ich habe noch etwas zu erledigen.“
 

Seishirou schüttelte ungläubig den Kopf. Nur schwer konnte er sich von dem Anblick der glühenden Pentagramme lösen. „Bist du wahnsinnig geworden?“
 

„War das nicht genau deine Absicht?“ Subaru beugte sich noch einmal herunter und küsste ihn.
 

Seishirou starrte ihn mit gerunzelter Stirn an. Dann verschwand Subaru in einem roten Blütenrausch. Seishirou blickte die leere Stelle an, wandte sich wieder den Pentagrammen zu und strich ihre Konturen nach. Subaru hatte genau die gleiche Technik angewandt, die er vor Jahren bei Subaru benutzt hatte. Subarus Magie mochte etwas reiner sein, aber das war daran auch schon der einzige Unterschied.
 

Auf wackligen Beinen fand Seishirou ins Schlafzimmer. Er legte sich ins Bett, rollte sich zusammen, die Ohren angelegt, und zog die Decke über den Kopf. Im schwülen Dunkel leuchteten die Pentagramme auf.

War das hier wirklich Teil seines großen Plans gewesen? Sein Plan hatte von Anfang an nicht so funktioniert, wie er sich das – wenigstens bewusst – ausgemalt hatte. War das nun der Preis, den er dafür zahlen musste? Er hatte den Tod durch Subarus Hand gewählt und anscheinend war dadurch kein bisschen seiner Schuld abgegolten.
 

Er rieb sich die Stirn. Er musste schlafen. Die Müdigkeit saß ihm ebenso tief in den Knochen wie die Kälte und der Schmerz.

Wenn sich Subaru tatsächlich soviel von ihm abgeguckt hatte, dann konnte er die Hoffnung begraben, jemals seine letzte, von seinen Ahnen gestellte Aufgabe erfolgreich auszuführen.
 

Seine Augen brannten vor Erschöpfung. Er fiel in einen traumlosen Schlaf und ließ das Haus an seiner Wunde arbeiten.

Dieb

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Cosplay

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Feenglanz!

Unter anderen Umständen hätte es ihn mehr gewundert, dass er allein im Bett aufwachte. Verwunderlicher fand er nur, dass ihm der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee in die Nase stieg. Er schlug die Bettdecke zurück und setzte sich auf. Das Nachtkleid hatte rote Streifen auf seiner Haut hinterlassen. Er schob es sich von den Schultern und warf es auf den Boden. Es war nicht nur verschwitzt, es klebten auch genügend Körperflüssigkeiten daran, die definitiv nicht ihm gehörten. Er verzog das Gesicht und beugte sich vor um die oberste Schublade zu öffnen. Nach ein wenig Fummelei im Dunkeln erwischte er die dünnen langen Haarnadeln. Er ließ sich zurück in die Kissen sinken, nahm eine Haarnadel in den Mund und drehte seine langen Haare mit den Händen ein. Als er mit dem Hochsteckwerk zufrieden war streckte er sich.
 

Die Tür schob sich Stück für Stück auf. Seishirou legte die Stirn in Falten.
 

Subaru betrat das Schlafzimmer. Er trug ein Tablett auf den Armen. Seishirous Augenbrauen schossen in die Höhe. Er fand nicht die nötige Verschlagenheit, um Subaru deswegen auszulachen. Er schüttelte einfach nur den Kopf und ließ Subaru das Tablett auf dem Bett abstellen.

Zwar war auch Reis dort zu finden, doch in einer Schale befand sich Wasser, in einer anderen Katzenfutter. Seishirou spürte seine Katzenohren wackeln. Er sah zu Subaru auf. Das Lächeln, das ihm entgegenstrahlte, schaffte es gerade noch so, ihn aus der Bahn zu werfen. Langsam gewöhnte er sich wohl daran. Friede, Freude, Eierkuchen. Und hin und wieder etwas zuviel Bitterstoffe.
 

Er ließ sich von Subaru küssen und rutschte zur Seite um ihm Platz zu machen. „Guten Morgen“, sagte Seishirou und konnte die Augen nicht von Subarus überglücklichem Gesicht lassen. Er kaute auf seinen Lippen und wandte sich nur zaghaft mit den Händen dem Essen zu. Die Augen ließ er bei Subaru.
 

Es dauerte nicht lange, bis Subaru dies bemerkte, obwohl er sich verdächtigerweise Zeit ließ um zu reagieren. Seishirou war aber nicht entgangen, dass Subaru kurz zu ihm herüberschielt hatte. Als sich Subaru endlich zu einem Kommentar herabließ, hatte Seishirou schon fast den Entschluss gefasst, doch mit dem Frühstücken anzufangen.
 

„Geht es dir gut?“
 

Seishirou zog die Schultern hoch und seufzte. „Ich… fühle mich etwas wund, aber das war zu erwarten nach dieser Tortur.“
 

Subaru errötete. „Das tut mir leid. Obwohl es das wohl nicht sollte“, fügte er leise hinzu. Er goss sich eine Tasse Tee ein.
 

Seishirou blickte unverhohlen das Zuckerstück an, das Subaru aus einem kleinen Gefäß hervorgezaubert hatte. Als Subaru es ihm unter die Nase hielt, zuckte er reflexartig ein Stück zurück. Er sah zu dem Zuckerstück und wieder zu Subaru zurück. Schließlich senkte er den Blick und neigte den Kopf um an dem Zucker zu lecken. Er erwischte dabei, nicht völlig mit Absicht, auch Subarus Fingerspitze. Subarus Schaudern durchzuckte auch seinen Körper bis in die Schwanzspitze. Er schleckte den Zuckerwürfel auf und ließ ihn auf der Zunge zergehen.
 

Als er wieder aufsah, war Subarus Gesicht erstaunlich gelassen. Nur seine Ohren verrieten, dass er entweder peinlich berührt, oder leicht erregt war. Seishirou schmunzelte und schluckte die Überreste der Zuckerkristalle herunter. Letztendlich war nicht wichtig, ob es nun das eine, das andere, oder gar beides war, dass Subaru erröten ließ. Es war immer nett, ihm dabei zuzusehen und die Gelegenheit dazu hatte er immer seltener.
 

„Was hat er gestern noch zu dir gesagt?“
 

„Das hast du noch mitgekriegt?“ Subaru nippte an seinem Tee.
 

Seishirou nickte und schnappte sich noch ein Stück Zucker. Er schob die Lippe vor, als Subaru den Deckel wieder auf das Gefäß legte. Gut, würde er sich eben mit dem Futter begnügen. Er knirschte mit den Zähnen und hob die Schale an den Mund. „Ist es wieder etwas, das du mir nicht mitteilen wirst? Ja, wahrscheinlich.“
 

„Er hat sich nur gewundert, dass ich… wir nicht verhüten.“
 

„Verhüten“, sagte Seishirou.
 

„Wegen… er hat sich gefragt, ob du nicht schon längst“, Subaru stockte, „schwanger bist.“
 

Seishirou stellte die Schale wieder zurück aufs Tablett. „Schwanger.“
 

„Hör doch bitte auf zu wiederholen, was ich sage!“ Subaru legte die Essstäbchen beiseite, die er gerade auseinander gebrochen hatte.
 

Seishirou schnaubte. „Ich bin ein Katzengeist.“
 

„Ja, aber ein Katzenmädchen und dein Körper scheint voll funktionstüchtig zu sein.“
 

„Das mag ja so sein, aber wir gehören nicht der gleichen – Spezies ist das falsche Wort… spirituellen Ebene an.“ Er schüttelte den Kopf. „Lass dich von ihm nicht aufziehen.“
 

„Das heißt, du kannst nicht schwanger werden?“
 

„Ja.“ Er hatte von Anfang an keinen großen Hunger gehabt, aber wenn er jetzt die Schale mit Futter ansah, wurde ihm regelrecht schlecht. Er hatte keine Ahnung, ob das im Bereich des Möglichen lag. Nur, dass wenn dies der Fall war, er in großen Schwierigkeiten wäre. Die, die sich bis jetzt angesammelt hatten, reichten ihm eigentlich voll und ganz. Er biss sich auf die Unterlippe.
 

„Seishirou!“
 

„Danke für das Frühstück am Bett.“
 

„Du hast noch gar nichts angerührt.“
 

„Lass uns jetzt nicht mehr darüber reden. Erzähl mir lieber, ob du was in Sachen Angreifer herausgefunden hast.“
 

„Du weißt es nicht.“
 

„Nein, natürlich nicht. Du sagst mir ja nichts.“
 

„Was? Nein. Das meine ich nicht!“ Subaru packte ihn am Oberarm. „Ob du schwanger werden kannst. Du bist dir nicht sicher.“
 

Er versuchte ihn abzuschütteln, aber Subaru zog ihn nur näher heran.
 

„Du verhältst dich schon seit ich das Ritual durchgeführt habe wie eine rollige Katze.“
 

Seishirou blinzelte ihn an. „Wie bitte.“
 

„Du bist auf mich zugekommen!“
 

„Beruhig dich wieder.“ Er fuhr die Krallen aus und zog tiefrote Linien über Subarus Hand. Der zog diese blitzschnell zurück. „Es ist völlig belanglos und es ist nicht möglich. Und jetzt erzähl mir, ob du Neuigkeiten bezüglich der Attacke hast.“
 

Subaru starrte ihn sekundenlang nur an. Seishirou biss die Zähne zusammen und hielt sich so selbst davon ab, als erster wieder das Wort zu ergreifen. Seine Ausdauer wurde nicht belohnt. Subaru wandte sich ab und nahm die Essstäbchen wieder auf. „Iss“, sagte er.
 

Seishirou atmete tief ein und nickte. „Meinetwegen.“
 

*
 

Das Frühstück verstrich in eisigem Schweigen. Seishirou hielt sich seinerseits zurück, Subaru seine Hilfe beim Abräumen anzubieten. Als er keine Schritte mehr hörte, rollte er sich aus dem Bett und fischte sich blind eins der Kleider aus den Tüten, die Yuuto mitgebracht hatte. Es war ein mitgrünes, knielanges Kleid. Hinten war ein Loch für einen Katzenschwanz freigelassen. Er fand auch passende Unterwäsche für Katzenmädchen. Cosplayer hatte er während seiner Arbeitszeit viele gesehen. Genug seiner Zielpersonen hatten etwas für kostümierte junge Frauen übrig gehabt. Ironie des Schicksals, dachte er und zog sich das Kleid über den Kopf und einen Slip in der gleichen Farbe über die Beine.
 

Er fühlte sich ein wenig, als wäre er einmal in einen Farbtopf getunkt worden. Als Sakurazukamori war es, gelinde ausgedrückt, nicht weise, sich bunte Kleider auch nur anzusehen. Geschweige denn, sie zu tragen. Er drehte sich einmal im Kreis und ließ den weichen Stoff des Kleids um seine Beine streifen. Es hatte etwas für sich. So mussten sich Singvögel im Käfig fühlen. Schön anzusehen, fähig zu fliegen, aber dennoch letzten Endes eingesperrt und daran war auch nicht zu rütteln.
 

Ohne dass es von Bedeutung gewesen wäre strich er die Falten im Kleid glatt und verließ das Schlafzimmer, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Hungrig war er sicherlich noch nicht, aber da es nichts Besseres zu tun gab und Trinken stets gesund war, ging er in die Küche. Ein Glas Wasser war sich schnell eingeschenkt. Solange Subaru nicht da war, machte es keinen Unterschied, woraus er trank. Und wenn er doch da gewesen wäre, hätte Seishirou zu gerne miterlebt, wie Subaru seine neu gewonnene Macht auskostete. Oder es wenigstens versuchte.
 

Streitsüchtig, dachte er. Ja, er war wohl gerade streitsüchtig. Nicht grundlos, wenn er an die viel zu knapp gehaltene Diskussion bezüglich des Angreifers zurückdachte. Und dann noch Subarus völlig verrückte Idee… er seufzte und leckte einen Tropfen vom Glas ab, der dabei war, gen Boden zu rollen. Etwas Buntes blitzte vor seinen Augen auf.
 

Er blinzelte.
 

„Er kann uns sehen!“, flüsterte eine weiche, hohe Stimme.
 

„Meinst du?“, flüsterte eine andere, nicht gar so weiche, aber ebenso hohe Stimme.
 

Die Lichtblitze wurden deutlicher, verschwammen aber gleichzeitig. Seishirou krauste die Stirn und stellte das Glas weg. Er streckte die Hand nach den Lichtquellen aus – eine pink, eine orange.
 

„Er kann uns wieder sehen!“, quietschte das pinke Licht.
 

Die Lichtkegel verformten sich. Umso länger er hinsah, desto mehr zweifelte er seinen gesunden… ja, Katzenverstand? Er zweifelte das bisschen Verstand an, welcher Art auch immer es war.

Dünne Flügel, von denen sanft bunter Staub herunterfiel. Flügel, die schnell schlugen, wie die eines Kolibris. Sie trugen winzige Wesen, eindeutig weiblich, schwebend in der Luft. Langsam konnte er Gesichter ausmachen. Sie kamen ihm vage bekannt vor. Er schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück, lief aber prompt in die Küchenzeile.
 

„Sei-chan!“, rief das pinke Licht erneut. „Erkennst du uns etwa nicht mehr?“
 

„Sollte ich?“
 

Das orangene Licht hüstelte. „Nach so langer Zeit… wohl eher nicht. Besonders mit diesem verdrehten Körper, den du da jetzt hast. Wie bist du da überhaupt drangekommen?“
 

„Ja, wie bist du in so eine missliche Lage geraten?“, sagte das pinke Licht.
 

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, ihr seid Feen.“
 

„Das sind wir ja auch.“ Das orangene Wesen deutete auf sich. Inzwischen waren die Konturen klar erkennbar. Die beiden… Feen waren etwa so groß wie seine Handfläche. Definitiv nicht zu übersehen. Halluzinierte er? Wenn ja, weshalb?
 

„Ich bin Msha“, sagte das pinke Wesen. „Das ist Ersha“, sagte sie und deutete auf das andere.
 

„Ersha und Msha. Sollte zu merken sein.“ Er setzte sich auf den Küchentisch. „Gibt es einen bestimmten Grund für euer Erscheinen, oder darf ich mich jetzt zu den Glückseligen zählen, die ihren Verstand verloren haben?“
 

„Sei doch nicht doof“, sagte das Wesen, das sich als Msha vorgestellt hatte. „Wir sind immer da. Waren es schon lange, bevor die Sakurazukamori hier ihre Lager aufgeschlagen haben.“
 

„Du hast uns einst sehen können, als Kind“, warf Ersha ein. Sie runzelte die Stirn und flog dicht an sein Gesicht heran.
 

Seishirou unterdrückte den Drang zurückzuweichen und ließ die Fee seine Lippen berühren. Er zuckte zusammen, ertappt von der unerwarteten Wärme ihrer Hände. „Als Kind.“
 

„Nur wer reinen Herzens ist, kann uns Feen sehen.“
 

Einige Fragen schossen ihm durch den Kopf, doch die einzige, die er tatsächlich stellte, war die, die ihn am meisten beschäftigte. „Warum kann ausgerechnet ich euch dann – wieder, wenn ihr die Wahrheit sagt – sehen? Sollte der aktuelle Sakurazukamori nicht viel eher dazu imstande sein?“
 

„Oh nein“, sagte Msha und schüttelte sich. „Er ganz sicher nicht.“
 

„Ich kann sehen, dass auch er als Kind einmal dazu in der Lage gewesen wäre, aber heutzutage? Nein, gewiss nicht.“
 

Die Neuigkeit ließ sich schwer verdauen. Er kaute daran wie an einem zähen Stück Fleisch. Sie hatte eindeutig gesagt als Kind. Aber hätte Subaru dazu nicht auch als Heranwachsender fähig sein müssen? Allerdings hatten die Feen wohl kaum ein menschliches Zeitgefühl inne, daher schob er ihren Kommentar als unwichtig beiseite. Wahrscheinlich hatte sie nur darauf hinauswollen, dass Subaru zu einem früheren Zeitpunkt, der einige Zeit zurück lag, dazu fähig gewesen war. Nicht zwingend nur als Kind.
 

Was viel wichtiger war: Sie hatte seine eigentliche Frage nicht beantwortet. Wieso war er plötzlich wieder in der Lage, Feen zu sehen?
 

Gerade als er nach ihr greifen wollte, flog die Fee ein Stück zur Seite. Sie bleckte die Zähne. Er blinzelte angesichts der erstaunlich scharf wirkenden Spitzen. Es war wohl nicht gescheit, sich mit ihnen anzulegen. Seishirou nickte und öffnete die Hand. Beide Feen nahmen darauf Platz, obwohl sie gemeinsam fast etwas zu groß waren.
 

„Du hast dich sehr verändert, Seishirou“, sagte Ersha und umarmte seinen Daumen. „Nicht nur äußerlich. Wobei das Äußerliche ganz neu ist.“
 

Msha ergriff das Wort: „Aber das Innere kommt mir bekannter vor als an jedem vergangen Tag zuvor.“
 

Seishirou seufzte tippte die pinke Fee mit dem Zeigefinger an. „Wieso habt ihr Kontakt zu mir aufgenommen?“
 

Beide Feen zuckten die Schultern. „Wir haben niemanden zum Reden mehr. Die anderen Feen sind alle gestorben. Eigentlich können wir das ja nicht, aber als der erste Kekkai fiel, fielen auch viele unserer Schwestern.“ Die Feen nickten bedächtig.
 

„Verstehe“, murmelte Seishirou. Die Kekkai waren die Schutzwälle Tokios. Nicht weiter verwunderlich, dass bei der Zerstörung dieser auch die Mythenwelt Japans in Gefahr war und zu genau dieser gehörten die kleinen Leuchtwesen wohl eindeutig. „Und ihr seid die einzigen beiden, die übrig geblieben sind?“
 

„Ja“, antworteten sie in einem Atemzug. „Deswegen haben wir gewartet… und dich jetzt angesprochen.“
 

„Msha!“, ermahnte Ersha ihre Gefährtin. „Nicht so schnell.“
 

„Aber wir haben keine Zeit“, wisperte Msha zurück. „Sei-chan, wir brauchen deine Hilfe!“
 

„Ich muss eigenhändig dutzende eurer Schwestern getötet haben, als ich die beiden Kekkais zur gleichen Zeit zu Fall brachte. Jetzt wollt ihr meine Hilfe?“ Er schnaubte amüsiert. „Ich glaube kaum.“
 

„Doch. Du musst mit ihm reden!“
 

„Mit wem, Subaru?“ Seishirou schüttelte den Kopf. „Er hört nicht auf mich.“
 

„Eine bessere Chance haben wir nicht“, sagte Ersha.
 

Obwohl ihre Gesichter klein waren, konnte er doch den giftigen Blick erhaschen, den Msha Ersha zuwarf. Er grinste leicht und setzte die Feen auf der Anrichte ab. Dann öffnete er den Kühlschrank und suchte nach etwas Süßem. Es war aber nichts dergleichen zu finden. Er schürzte die Lippen und verließ die Küche.
 

Bevor er mit beiden Beinen im Wohnzimmer stand, hatten ihn die zwei Feen schon eingeholt. Sie schwebten mit verschränkten Armen vor ihm. Ihre Flügel flatterten wild in der Luft, sodass er sogar hörte, wie sie schlugen. Seishirou verdrehte die Augen und machte es sich im Sessel bequem. Die Feen nahmen auf seinen Schenkeln Platz. Er schlug mit dem Schwanz nach ihnen, aber sie ließen sich nicht vertreiben.
 

„Gut“, sagte er. „Wie meint ihr soll ich Subaru davon überzeugen können, euch zu schützen? Wenn ihr tatsächlich die letzten in Japan sein solltet, ist es doch ohnehin nicht nötig, oder?“
 

Beide Feen atmeten zugleich zischend ein und fassten sich an die Brust.
 

„Ja, ihr lebt ewig, aber ohne die Fähigkeit euch fortzupflanzen… oder ist doch eine von euch beiden männlich?“ Er schmunzelte und fuhr behäbig seine Krallen aus um sie zu inspizieren. Subaru hatte ihm schon vor Tagen eingebläut, sie nicht an der Einrichtung zu schärfen, aber da Subaru ihn behandelte wie ein Haustier, würde er sich auch wie eines verhalten. Mit Katzeninstinkt ausgestattet war er wirklich nicht darauf ausgelegt stets zu gehorchen, auch wenn er Subaru dieses Versprechen mehr oder minder gemacht hatte.
 

Er schob die Krallen unter den harten Stoff der Armlehnen und riss tiefe Schlitze hinein. Zufrieden betrachtete er sein Werk. Er hörte nur, wie die Feen nebenher leise diskutierten. Wenn sie flüsterten, verstand er trotz seines besseren Gehörs kein Wort. Er lehnte den Kopf zurück und wartete geduldig ab, bis die beiden sich geeinigt hatten.
 

Beide Feen nickten sich zu und wandten sich wieder an ihn. Er legte den Kopf schief. „Also?“
 

„Zunächst möchte ich sagen, dass wir uns sehr wohl fortpflanzen können. Wie du schon erwähntest, wir sind mystische Wesen und bei uns läuft es etwas anders ab als bei gewöhnlichen Menschen“, sagte Msha.
 

Ersha räusperte sich. „Was im Übrigen auch für dich gilt. Es tut uns sehr leid das zu sagen, aber wir sind nicht umhin gekommen euch heute Morgen zu belauschen.“
 

Er runzelte die Stirn, obwohl er sehr genau wusste, worauf die Fee hinauswollte. Es war kein Thema, das er gewillt war anzuschneiden. Andererseits war das andere Thema, das die beiden im Sinn hatte, auch keines, das er diskutieren wollte. Er entschied sich dafür zunächst zu schweigen und Ersha Gehör zu schenken. Im Nachhinein konnte er ihre Ausführungen immer noch kommentieren.
 

„Ich denke, du bist dir nicht sicher. Hast du ja auch gesagt“, sagte Msha. „Aber du kannst schwanger werden. Ist gar kein Problem.“
 

Ersha nickte. „Unter Umständen bist du es sogar schon.“
 

Galle stieg ihm in den Mund. Er schob den bitteren Geschmack auf der Zunge umher ehe er schluckte, in der Hoffnung, dass der Ekel seine Gedanken ablenken würde. Das gelang sogar für den Moment. Aber dann war der Geschmack weg und sein Hirn fing an zu arbeiten.
 

„So wie ihr gleich losgelegt habt“, sagte Msha und kicherte, ohne die Hand vorzuhalten. „Du warst doch lang genug Tierarzt!“
 

„Ja, war ich. Der Penis meines Partners hat aber nicht die nötigen… Eigenschaften, um die Befruchtung bei einer Katze zu ermöglichen.“
 

„Du bist aber keine Katze“, warf Ersha ein, „sondern ein Katzengeist – ein Katzenmädchen – halb Mensch, halb Geist, halb Katze. Du bestehst zu großen Teilen aus potenter Magie, was ja auch der Grund dafür ist, dass du sie zwar nicht willentlich einsetzen kannst, sie aber sehr wohl in der Lage ist, dich wenn nötig zu schützen.“
 

„Nicht besonders gut, aber na ja“, sagte Msha. „Auf alle Fälle, um alle Zweifel auszuräumen, du kannst schwanger werden. Oder wäre trächtig in dem Fall das bessere Wort?“
 

„Ich denke nicht“, sagte Ersha leise.
 

Seishirou knirschte mit den Zähnen. Er konnte sich weder mit schwanger noch mit trächtig identifizieren. Allerdings glaubte er nicht daran, dass die Feen ihn belügen würden. Soweit er von dieser Art Wesen Bescheid wusste waren Naturgeister dazu nicht in der Lage. Zumindest nicht solche von so niederem Stand, die keine weitere Bedeutung hatten außer da zu sein. Weit unten in der mystischen Nahrungskette und ohne besondere erwähnenswerte Fähigkeiten.
 

Er atmete tief durch und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

„Wirst du es Subaru-chan sagen?“ Msha streckte die Arme nach seinen Fingern aus.
 

Er hob die Hand in ihre Richtung und ließ zu, dass sie seinen Zeigefinger umklammerte. „Nein. Er hält genauso Informationen vor mir zurück und da es bisher keine Anzeichen dafür gibt, dass ich tatsächlich“, er stockte, überlegte kurz und beschloss, jegliches Wort wegzulassen, „sehe ich dafür auch keinen Grund.“
 

„Wie du mir, so ich dir? Ziemlich kindisch.“
 

„Das muss ich mir nicht von jemandem sagen lassen, der nicht höher ist als meine Elle lang.“ Seishirou warf einen Blick nach draußen, in den schneebedeckten Garten. „Die Kekkais also.“
 

„Wirst du uns helfen?“
 

„Ich glaube schon“, sagte er und seufzte. Es gab genauso wenig einen Grund, Subaru von seiner Fruchtbarkeit zu berichten, wie es einen Grund gab, den Feen nicht beizustehen. Auch wenn er keine Idee hatte, wie er dies bewerkstelligen könnte. Wenigstens hätte er nun etwas, mit dem er sich beschäftigen konnte. Daran hatte es ihm ja lange gemangelt. Er konnte zwar immer noch nicht das Anwesen verlassen, aber er hatte nun Gesprächspartner gefunden. Sehr kleine, aber auch er befand sich ja nicht in einem Körper, der besonders ehrfurchtsvoll anzusehen war.
 

Er ließ die Feen an seinem Oberkörper hinaufschweben und auf seinen Schultern, eine links, die andere rechts, niedersinken. „Nehmt es mir aber nicht übel, wenn mein Einfluss auf ihn nicht ausreicht.“
 

„Oh, das wird er bestimmt!“ Msha drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
 

Ersha seufzte. „Wenn nicht, dann müssen wir uns eben etwas überlegen.“
 

„Das sollten wir hinkriegen“, sagte Seishirou. Immerhin hatte er früher Menschen beschattet und ermordet. Abgesehen davon hatte Subaru nun etwas, dass ihn wohl eher davon abhalten würde, Kekkais zu zerstören, was zum Untergang der Welt führen würde. Frustrierend an dieser Taktik war nur, dass Seishirou sich dadurch von seinem eigentlichen Ziel distanzieren musste. Wenn er Subaru mit dem Argument kam, dass er diese für sie beide neu erhaltene Chance schützen musste, dann konnte er sich kaum ausmalen, wie eine Reaktion ausfallen würde, wenn Subaru schließlich die Wahrheit erführe. Aber bis dahin war noch Zeit. Hoffte er.
 

Er hatte keine Ahnung, wann der Tag des Versprechens war, wusste nur um dessen Existenz. Er hatte sich auch nicht weiter erkundigt, in der Annahme, dass er zu diesem Zeitpunkt schon tot wäre. Es lief rein gar nichts nach Plan.
 

„Was machen wir denn solange?“ Msha legte den Kopf an seine Wange.
 

Seishirou erhob sich langsam – um den Feen Zeit zu geben, sich darauf vorzubereiten, sodass sie nicht von seinen Schultern fallen würden – und ging auf einen alten Schrank in der Ecke des Zimmers zu. „Spielen Feen Mahjong?“
 

*
 

Die Steine waren über das ganze Bett verstreut als Subaru zurückkam. Er hob eine Augenbraue und rieb sich die Stirn. Seishirou beachtete ihn nicht weiter. Etwas Unangenehmes zog immer noch eine Spur in seinen Gedanken, die sich unglücklicherweise auf seine Brust ausbreitete. Sein Herz, dachte er und schnaubte.
 

Wie auch immer.
 

„Hör auf zu schummeln“, sagte Seishirou zu Msha, die gerade versucht hatte, einen ihrer Steine zu verstecken, indem sie ihn hinter ihren leuchtenden Körper zu schieben versucht hatte.
 

„Mit wem redest du?“ Subaru war in wenigen Schritten an seiner Seite.
 

Seishirou hob den Kopf und deutete auf die beiden Feen, die ihm gegenüber auf dem Bett saßen. Dann klappte er den Mund wieder zu, ohne etwas gesagt zu haben. Richtig. Er konnte sie ja nicht sehen. Der gekrausten Stirn zu urteilen hatten die Feen in der Hinsicht Recht gehabt. Seishirou zuckte mit den Schultern.
 

Eine blutige Hand schwebte plötzlich direkt vor seinem Gesicht. Seishirou wich zurück. Er schluckte einen Anflug von – er wusste nicht genau was herunter, nur dass er es loswerden musste, bevor er etwas sagte – und räusperte sich leise. „Wasch dir die Hände.“
 

„Bitte?“
 

„Die Hände.“ Er blinzelte und fing an, die Spielsteine zusammenzusammeln. Jetzt war keine Zeit mehr zum Spielen. Die bedeutungsschwangeren Blicke, die die Feen ihm zuwarfen waren leicht zu deuten. Er kaute auf seiner Unterlippe während er den Karton näher zu sich heranzog um sich nicht immer strecken zu müssen.
 

Als er alles fertig eingeräumt hatte, stand Subaru immer noch mit blutverschmierten Händen vor dem Bett. Seishirou runzelte die Stirn. „Stimmt etwas nicht?“
 

„Ja.“ Subaru setzte sich auf die Bettkante. „Hast du… fühlst du dich… bist du in Ordnung?“
 

Seishirou drückte den Deckel auf den Karton. „Ah. Du meinst wegen meiner imaginären Freunde. Irgendwie muss ich mich ja bei Laune halten, da du mich als Haustier und ich nehme an „Spielzeug“ trifft es ganz gut, hier eingesperrt hältst.“ Er winkte ab. „Mach dir darum keine Sorgen.“
 

„Wieso bist du vor dem Blut zurückgeschreckt?“
 

„Was?“
 

„Du hast mir noch vor kurzem gesagt, dass Blut mir steht. Du hattest keinerlei Problem damit, darin zu baden. Du hast es geradezu genossen.“ Subaru verzog das Gesicht. Er sah kein bisschen niedlich aus, obwohl dennoch etwas in seinem Ausdruck es schaffte, Seishirou zu faszinieren. Subaru streckte die Hand erneut aus.
 

Seishirou sprang auf und räumte den Karton weg. Subaru folgte ihm ins Wohnzimmer.
 

„Seishirou.“
 

„Ich bin nicht zurückgeschreckt.“
 

„Du wirktest geradezu panisch.“ Subaru packte ihn an der Hüfte und drehte ihn mit einer Kraft, die Seishirou ihm nicht direkt zugetraut hätte, herum. „Wieso?“
 

„Ich weiß es nicht. Instinkt.“ Ihm wurde schlecht als er den sich ausbreitenden Fleck auf dem grellbunten Kleid sah. Blut hatte ihn nie gestört, nicht soweit er sich erinnern konnte. Er wand sich aus Subarus Griff, als ob er mit kaltem Wasser überschüttet worden wäre. Es gelang ihm aber nicht, sich zu befreien. „Lass sofort los, Subaru.“
 

„Nein“, sagte Subaru schlicht und packte auch mit der anderen Hand zu.
 

Seishirou fauchte. „Sofort!“ Zwei Lichtkugeln ließen Subarus verwirrtes Gesicht verschwimmen. Ja. Die Feen. Er hatte sie schon fast wieder vergessen.
 

„Beruhig dich“, sagte Ersha. „Nichts in dieser Flüssigkeit ist ansteckend. Nicht mehr.“
 

„Wieso sollte mich das interessieren?“ Es war schließlich nicht so, als ob er besonders am Leben hing. Würde er todkrank, es wäre umso einfacher, Subaru um einen schmerzfreien Tod zu bitten.
 

Subaru schüttelte ihn. „Mit wem redest du?“
 

„Würdest du bitte damit aufhören!“
 

Er erinnerte sich eine Sekunde später nicht daran, was genau passiert war. Subarus Hemd hatte zwei tiefe Kratzspuren. Blut trat aus zwei ebenso tiefen Wunden in seiner Haut. Seishirou schlang die Arme um sich und sank zu Boden, achtete aber darauf, nicht die blutbefleckten Stellen seines Kleides zu berühren.
 

Subaru schüttelte den Kopf und betastete die Kratzspuren. „Was ist mit dir los, Seishirou?“ Wenn er Schmerzen hatte, dann zeigte er es nicht.
 

Seishirou hatte auch nicht den Nerv, danach zu fragen. Obwohl ihm alles recht gewesen, um von sich selbst abzulenken. Er öffnete den Mund und sah an sich herab. Ihm war, als ob er sich gleich erbrechen müsse. Er schloss die Augen und zählte bis zwanzig. Dann öffnete er sie wieder.
 

Er konnte Subarus Knie sehen und hob den Kopf. „Ich weiß es nicht. Wasch dir jetzt die Hände. Sofort“, fügte er gehetzt an, als Subaru erneut die Hand nach ihm ausstreckte. Als ob sein Herz viel zu heftig kontrahieren würde und verkrampfen würde angesichts der Tatsache, dass die schmutzigen Hände in Kontakt mit seiner Haut kommen könnten.
 

Es hatte ihn niemals geschert. Er wusste, was er tun musste, damit es keine Auswirkungen hatte. Woher kam diese… ja, es war wohl, wie Subaru es genannt hatte: Panik. Seishirou stützte sich auf Subarus Schulter und schob sich vom Boden. Er musste aus diesem Kleid raus.
 

Auf wackligen Beinen ging er ins Badezimmer. Subaru war direkt hinter ihm und obwohl er sicher war, dass es ein leichtes gewesen wäre, ihn zu überholen, tat Subaru es nicht. Möglich, dass er die Befürchtung hatte, Seishirou würde ohnmächtig. Auch wenn es ihm nicht gefiel, er zog die Möglichkeit der Ohnmacht ebenso in Betracht.
 

Endlich erreichten sie das Badezimmer. Seishirou ließ sich auf der Toilette nieder und atmete einige Male tief durch. Direkt neben sich hörte er am Waschbecken das Wasser rauschen.

Er zog und zerrte an dem Kleid, war aber aus irgendeinem Grund nicht in der Lage, hinauszuschlüpfen. Er fauchte, frustriert unter anderem auch davon, dass sein Herz heftiger schlug denn je zuvor.
 

„Hier. Meine Hände sind sauber“, sagte Subaru und brachte sie in Seishirous Blickfeld. Seishirou nickte und ließ sich widerstandslos von dem Kleid befreien. Er seufzte tief, als er es los war. Erst dann sah er wieder zu Subaru auf.
 

Subaru war bleicher als sonst, wirkte aber nicht traurig oder traumatisiert. Nur neugierig, wenn Seishirou das Stirnrunzeln richtig deutete. Etwas, das ihm nicht gefiel. Ganz abgesehen von seiner eigenen Lage, die ihm gerade noch weniger gefiel als die letzten Wochen ohnehin schon.
 

Ja. Es waren ja inzwischen schon Wochen. Seishirou zitterte und schlang erneut die Arme um sich. Ganz ohne Bekleidung war es doch relativ kühl. Er ließ sich noch einen Moment von Subaru beobachten, dann wandte sich Subaru um und lief Richtung Tür.
 

Wenige Zeit später kehrte er mit einem Badetuch zurück, soweit Seishirou es aus den Augenwinkeln erkennen konnte.
 

„Lehn dich vor“, sagte Subaru.
 

Seishirou ließ sich in Subarus Arme sinken und akzeptierte, von ihm in das Badetuch eingewickelt zu werden. So konnte er sich schlecht bewegen, aber das störte ihn kaum. Wenigstens war er nicht mehr mit Blut besudelt. Er konnte noch immer nicht begreifen, wieso ihn dies plötzlich aus dem Konzept brachte. Er hatte sein ganzes Leben lang aus verschiedenen Gründen damit zu tun gehabt.

Langsam schmiegte er den Kopf in Subarus Halsbeuge und roch an dessen Haar. Der Geruch von Zigaretten und Abgasen hing ihm nach. Seishirou verzog das Gesicht und versuchte Subaru mit einem leichten Stoß in die Rippen dazu zu bringen, ihn wieder loszulassen. Es funktionierte nicht. Weil ja sowieso nie irgendetwas funktionieren wollte in diesem zweiten Leben.
 

Seishirou stöhnte und ließ sich wenig bereitwillig ins Wohnzimmer tragen. Subaru setzte ihn auf dem Sofa ab und verschwand. Seishirou vermutete, dass ihn sein Weg in die Küche führte, was ihm unter den gegebenen Umständen ganz recht war. Er konnte und wollte sich jetzt nicht mit Subarus Sorgen und Mutmaßungen beschäftigen. Davon hatte er selbst genug, die ihn mit Leichtigkeit beschäftigt halten würden – für die nächsten paar Tage, befürchtete er.
 

Aber Ablenkung kam, sobald er Subaru eine Tür öffnen hören konnte. Msha und Ersha landeten auf dem Couchtisch und streckten ihre Köpfe in seine Richtung. Seishirou blickte zunächst durch sie hindurch. Als sie aber begannen ihn zu rufen, wandte er sich ihnen zu, auch wenn es ihm widerstrebte. Er musste seine Gedanken ordnen. Nicht noch durch leuchtende Wesen abgelenkt werden.
 

Msha schwebte vor sein Gesicht. „Das ist nicht gut.“
 

Ersha folgte ihr. „Du wirst es bald merken und er noch eher, fürchte ich.“ Sie setzte sich auf seine Knie, die er an den Körper herangezogen hatte.
 

„Was soll er bald merken? Dass ich scheinbar neuerdings allergisch auf Blut bin? Ich glaube, das hat er schon erkannt.“ Er versuchte zu lächeln, wurde aber von einem erneuten Zittern überrascht und zog das Badetuch enger um sich.
 

„Du weißt, dass ich das nicht meine.“
 

„Was meinst du denn dann?“
 

„Ich frage dich zum letzten Mal, mit wem redest du?“ Subaru setzte mit unnötigem Nachdruck ein beladenes Tablett auf dem Tisch ab.
 

Seishirou zuckte zusammen. „Was?“
 

„Rede mit mir und stell nicht ständig Gegenfragen.“ Subarus Wangen erröteten. „Wieso bist du erschrocken?“
 

Seishirous Blicke wanderten zu dem Tablett. Subaru hatte Tee gekocht und eine ganze Schale voller Zuckerwürfel bereitgestellt, ohne Deckel. Seishirou wandte sich mit einiger Mühe ab, als Subaru die Hand an seinen Oberarm legte und sanft rieb.
 

„Was stimmt hier nicht? Ist das ein Trick?“
 

„Nein“, sagte Seishirou und konzentrierte sich wieder auf die Zuckerwürfel.
 

Er hörte Subaru seufzen, dann streckte dieser den Arm und holte die Zuckerdose. Seishirou nahm die zwei Zuckerstücke, die ihm Subaru auf einmal in den Mund schob, mit einem schmalen Lächeln an. Sein Kopf fühlte sich schlagartig klarer an. Vielleicht war er wirklich nur unterzuckert gewesen. Das war keine gute Erklärung für seine Reaktion, aber es war eine, und das reichte ihm persönlich gerade vollkommen. Er wollte es nicht im Beisein Subarus ergründen. Wie auch immer das Ergebnis ausfiel, er wollte es lieber in der Hinterhand haben, um Subaru damit unter Umständen zu beeinflussen. Dafür gab es nun ja noch einen weiteren Grund.
 

Seishirou blickte zu den Feen, die sich in die Teetassen gesetzt hatten. Er schüttelte den Kopf und befeuchtete sich die Lippen. Irgendetwas musste er wohl sagen. Dass er völlig verstört war würde ihm Subaru nicht abkaufen. Dazu hatte er inzwischen zuviel Erfahrung. „Ich gebe zu, dass ich überreagiert habe.“
 

„Überreagiert“, sagte Subaru. Er legte beide Hände an Seishirous Wangen. „Überreagiert, wirklich?“
 

„Ich kann dir nichts weiter sagen. Möglich, dass es an diesem Körper liegt.“
 

„Das ergibt keinen Sinn.“ Subaru seufzte. „Wie hast du dich denn… gefühlt?“
 

Die Grimasse, die Subaru schnitt, gefiel Seishirou ebenso wenig wie der Inhalt des Gesagten. Trotzdem, zu lügen würde ich nicht weiterbringen und er fühlte sich auch nicht imstande, etwas zu erfinden oder Subaru irgendetwas vorzuspielen. Ihm war noch immer kalt. Er holte tief Luft. „Nun, Übelkeit, Herzrasen, Zittern“, sagte er und dachte noch, dass es sich wie eine Grippe anhörte, wenn er es so herunterrasselte.
 

„Eine Panikattacke“, sagte Subaru und lehnte sich zurück. „Das…“
 

„Nein.“
 

„Doch.“
 

Alles in ihm sträubte sich dagegen. Doch es war schlüssiger, als seine eigene Grippediagnose, wenn man davon absah, dass es keinen Anlass für eine solche Attacke gegeben hatte. „Blut ist für mich wie eine zweite Haut.“
 

„Ich hatte hin und wieder mit Menschen zu tun, und auch Geistern, bei denen erst viele Jahre später eine posttraumatische Störung aufgetreten ist.“
 

Seishirou lachte. Subaru meinte es ernst.
 

„Darf ich in deinen Geist eindringen?“
 

Seishirou presste die Lippen zusammen und schluckte die nunmehr flüssigen Zuckerwürfel herunter. „Beschränken wir es beim Eindringen aufs Körperliche.“
 

„Seishirou, ich bitte dich. Ich muss es wissen.“
 

„Du weißt alles, was du wissen musst.“
 

„Das glaube ich nicht. Selbst wenn, es ist nicht alles, was ich wissen will.“ Subaru zog ihn dicht an sich heran. „Ich kann es auch tun, wenn du es nicht willst.“
 

Seishirou grinste. „Du wirst nur zu Schaden kommen. Das wäre wirklich schade.“
 

„Das ist meine Entscheidung, nicht deine.“
 

„Dann frag mich nicht und triff sie.“ Für einen Moment starrte er nur in Subarus Augen. Alle Muskeln in seinem Körper verkrampften sich. Er bereitete sich darauf vor, dass Subaru seinen Geist in Kürze angreifen würde.
 

Er tat es nicht.
 

Subaru beugte sich vor und küsste ihn sanft auf die Lippen. Seishirou schloss die Augen, mehr aus Gewohnheit als aus einem Gefühl heraus – er biss sich auf die Zunge, Subaru machte „sch“ – und ließ sich in die Umarmung sinken. Dicht an Subarus Körper konnte er sich aufwärmen.
 

„Ich werde es nicht tun, bevor du mir nicht die Erlaubnis dazu gibst. Sollte es allerdings noch einmal passieren und du verfällst in einen schlimmeren Zustand als dieses Mal, dann werde ich mich wohl oder übel dazu überwinden müssen, es ohne dein Einverständnis zu tun.“ Subaru packte ein Bündel Haare in seinem Nacken. „Ja, Seishirou?“
 

„Ja“, fauchte er zurück. Als Subaru ihn losließ, flüchtete eine Hand sofort in seinen Nacken und die mit Sicherheit gerötete Stelle zu massieren. Lange Haare fügte er zu seiner Liste unangenehmer Eigenschaften dieses Körpers hinzu.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Sichlor
2009-08-25T22:40:14+00:00 26.08.2009 00:40
Mir gefällt die Geschichte wirklich gut. ^^
Die Idee ist außergewöhnlich und kreativ (ich kenne keine andere vergleichbare Subaru/Seishirou-Fanfiction, obwohl ich schon viele gelesen habe). Dein Schreibstil ist auch schön.

Es gefällt mir, dass die ganze Geschichte aus Seishirous Perspektive erzählt ist. Es ist lustig, wie er als Katze seine Umgebung wahrnimmt. Außerdem weiß der Leser dadurch nicht, was in Subarus Kopf vorgeht. Das macht das Ganze noch interessanter und man kann schön spekulieren. Ich frage mich, ob er etwas ahnt. Ich habe schon den Eindruck, dass ihm an der Katze irgendetwas auffällt.

Aber wieso meint Seishirou, auf dem richtigen Weg zu sein? Er wollte doch umgebracht werden? Und wenn Subaru ihn ins Herz schließt, dann wird er ihn wohl kaum töten wollen.

Auf jeden Fall sind die beiden echt niedlich. ^-^ Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.



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