Winter von Pudel (für Belchen) ================================================================================ Kapitel 1: Oneshot ------------------ Winter Es schneit und schneit und schneit. Schon seit zwei Wochen. Die Temperaturen sind im sprichwörtlichen Keller. Vielleicht sogar Bunker. An den Fenstern eine Wiese von Eisblumen. Bela beobachtet den Weg, den sein kondensierender Atem nimmt. Der Drummer liegt unter einem Berg aus Decken. Genau genommen drei. Ein dickes Federbett (gesponsert bei Oma), sein mehr oder minder ergrauter Sommerbezug und die Batmandecke, von der er sich eigentlich geschworen hatte, sie nie aus der Schutzverpackung zu nehmen. Außerdem trägt er noch diesen wirklich hässlichen Schlafanzug, einen schwarzen Wollpullover und jene Krankheit von Stricksocken, die Jan in mühseliger Handarbeit zustande gebracht hat, und die Bela allein deswegen zu würdigen wissen muss. Trotzdem ist Bela, als wären ihm schon alle Gliedmaßen abgefroren, plus Nase, als wäre sämtliches Blut in seinen Adern zu Eis erstarrt, jeglicher Bewegung entbehrend, seine Zehen längst abgefallen. Jeder Atemzug schmerzt in seinen Lungen gleich hundert kleiner Nadelstiche und er verflucht sich zum x-mal selbst dafür, seinen Schal an diese kleine Rothaarige neulich auf dem Konzert abgegeben zu haben, nur in der Hoffnung, auf ein wenig Gefummel. Was dann noch nicht mal der Fall gewesen war. Draußen heult der Wind mit dem Hofhund um die Wette. Bibbernd versteckt der Schwarzhaarige seine Nase unter die Decken. Die Wohnung ist so billig wie undicht. An allen Ecken und Enden zieht es und steht man länger als drei Minuten auf dem Flur, ist eine Genickstarre garantiert. Die Zähne unkontrollierend auf einander schlagend, geht Belas Blick zum Fußboden. An sich schon eine Anstrengung sondergleichen. Wenige Zentimeter neben dem Bett steht ein bäuchige Flasche mit nicht wirklich bestimmbaren Inhalt. Irgendwo im Hinterkopf meint Bela sich zu erinnern, das es Selbstgebrannter von Noppers Großeltern ist. Die Versuchung ist groß. Ein wenig Wärme. Selbst wenn es nur Illusion ist. Jedoch, er kann sich nicht durchringen, seine Hände der wärmenden Decken zu entziehen und der beißenden Kälte auszusetzen. Vier Tage nun schon sitzen er und Jan ohne Kohlen da. Zum Anfang fanden sie es beide noch nicht sonderlich schlimm, wärmten sich mit Grog oder Tee (irgendwoher hatte Jan sogar eine Wärmflasche besorgt), machten ihre Witze darüber. Als Bela aber gestern drauf und dran war, die Büchersammlung des Blonden zu verfeuern eskalierte die Situation beinah. Und das lag nicht nur daran, dass sich der Jüngere im Gegenzug an seine Comics gütlich tun wollte. Was als (zugegebner Maße recht übler) schlechter Scherz begann, endete mit den schlimmsten Vorwürfen und jenen entscheidenden Satz, den Bela stets den K.o. Schlag versetzt und ihn dazu veranlasst seit gestern Abend nicht mehr aus seinem Bett aufzustehen. Und immerhin ist der Nachmittag schon lange rum, selbst für seine Verhältnisse also eine ordentliche Leistung. „Dann such dir endlich einen Job!“ So unpunkig und spießig wie eben nur möglich, bergen diese sechs Worte dennoch eine unwiderlegbare sowie unbequeme Wahrheit in sich. Als alleiniger „Verdiener“ kommt Jan nicht nur für die Miete auf, die, wenn auch spottbillig, für ihre Verhältnisse doch exorbitant ist, nein, er kümmert sich auch noch um die komplette Verpflegung. Ob das nun in Form von Kostgeld geschieht oder kleineren Spenden seiner Mutter. (Vorzugsweise in Form von Metropackungen Fischstäbchen und Kartoffelpüree.) An Kohlen oder gar anderen Luxus ist da gar nicht mehr zu denken. Und wenngleich Bela auch sonst mit seinem Schnorrerdasein ganz gut klar kommt, normaler Weise sind ihm Gewissensbisse fremd, so hat der Streit gestern ihn doch ein wenig wachgerüttelt. Oder eher ganz, ganz sanft geschubst. Denn um wirklich einen konkreten Plan zu fassen, vielleicht sogar schon ein Entschuldigung für den Blonden im Kopf vorzuformulieren, reicht es dann doch nicht. Erstens besitzt auch Bela so etwas wie Stolz. (Ist Jan heute früh doch ohne ihn eines Blickes oder Wortes zu würdigen zur Arbeit in die Fabrik gegangen.) Und zweitens ist es immer noch viel zu kalt, um überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. In seiner Fantasie am schönsten und wärmsten Strand liegend den er sich vorstellen kann, (zu seiner eignen Schande muss Bela feststellen das er selbst in seiner Vorstellung nicht weiter als wie bis zur Nordsee kommt- oh schnöde Welt), dämmert er langsam weg, bzw. einer Kältestarre hin. Allein das laute Knallen ihrer Wohnungstür rettet Bela vor einem eisigen Schneewittchenschlaf. Während all seine Körperfunktionen bis eben noch auf Sparflamme liefen um Energie zu sparen, ähnlich einer Kröte in Winterruhe, legt sein Herz nun einen Sprint hin, dass der Schwarzhaarige Angst hat, dass es jeden Moment einfach so stehen bleibt oder zerspringt. Kann doch niemand anderes als Jan ihre kleine Zwei- Zimmer- Wohnung betreten haben. Kurz überlegt Bela ganz unter den Decken zu verschwinden, in der Hoffnung das der Blonde ihn nicht sieht, sollte er doch den Weg in sein Zimmer finden, jedoch verwirft er diesen Gedanken sofort. Das ist selbst ihm ZU kindisch. Deswegen verlegt sich der Drummer darauf, einfach so zu tun als ob er schläft. Nicht wirklich erwachsener aber immer noch besser als sich einem lachenden Jan ausgesetzt zu sehen, wenn er ihn dann doch entdecken sollte. Ganz und gar seinem Gehör überlassen, versucht Bela krampfhaft alle Geräusch richtig zuzuordnen. Das Quietschen ist die Tür des Vorratsschrank (schließlich brauchen sie ja keinen Kühlschrank), gefolgt von einem abgrundtiefen Seufzen (weil wahrscheinlich mehr als nur gähnende Leere in den einzelnen Fächern herrscht) und Zuknallenlassen der Gleichen. Das laute Knarren was darauf folgt, kommt von den Dielen, beziehungsweise von der einen Diele die genau vor seinen Zimmer liegt. Mit angehaltenem Atem lauscht der Ältere wie sich die Tür zu seinem kleinen Reich öffnet. Ungedacht leise, zumindest hört er relativ wenig, schleicht Jan zu ihm. Schon ein Unding. Etwas, womit Bela absolut nicht gerechnet hat. Das nächste Unding, was beinah schon an der Grenze zum Phänomenalen liegt aber ist, dass Jan die Decken anhebt, zu ihm ins Bett kriecht. Bela ist geschockt und mehr als froh, dass er im Moment „schläft“. Noch nie ist Jan nach einem Streit von sich aus zu ihm gekommen. Jedenfalls nicht, wenn er sich im Recht sieht und es auch ist. Und schon gar nicht kuschelt er sich an, fährt mit der Hand, sanft um Bela ja nicht zu wecken, durch sein Haar. Flechtet einzelne Strähne lose zusammen, so, wie er es immer nur dann tut, wenn er einen seiner seltenen romantischen „Anfälle“ hat, wie der Ältere sie gerne nennt. Vollkommen verwirrt kann Bela nicht anders als seine Augen zu öffnen, sich dem überraschten und auch ein wenig ertappten Gesicht des Anderen gegenüber sehend. „Hey…“ Jans Stimme ist ungewohnt tief. Nichts erinnert an den Frosch, wie Bela ihn gerne manchmal nennt. Die Unsicherheit scheint aus jeder Pore des Jüngeren zu schimmern. „Hey…“ Bela selbst ist nicht besser. Ihn überfordert die Situation ungemein. Mit einem wütenden, schreienden Jan, ja damit hat er gerechnet. Dafür hätte er auch einen Plan. (Bela ist ein Meister der hohen Kunst der Ignoranz.) Aber so einen sanfter, fast schon sensibler Riese? Das ist etwas ganz anderes. Zwar ist der Drummer selbst kein Gefühlstrampel, jedoch wenn Jan dann einmal wirklich alle Mauern fallen lässt, wirkt er auf ihn so schrecklich zerbrechlich, das Bela wahnsinnige Angst hat, auch nur ein falsches Wort zu sagen. Eine Geste zu geben, die so vielleicht gar nicht gemeint war, Jan aber trotzdem zu tiefst verletzen würde. „Ich… also… ich… ist dir sehr kalt?“ Ein dämliche Frage. In jeder anderen Situation hätte Bela den anderen ausgelacht oder jedenfalls einen dummen Spruch von sich gegeben. Nun jedoch schüttelt er den Kopf, obwohl es eine glatte Lüge ist. Aber er will nicht jammern. Außerdem klagt Jan auch nicht. Wo es ihm doch noch schlimmer gehen muss als ihm selbst. Nur mit Jeansjacke von der Fabrik bis hier her mit dem Fahrrad zufahren. „Das mit gestern… das tut mir leid. Das musst du mir wirklich glauben, Bela. Weißt du, ich war eigentlich gar nicht auf dich wütend. Also nicht wirklich.“ Eisarme schlingen sich um seine Mitte, ziehen Bela näher an den noch kälteren Körper. Es macht ihm nichts aus. Ganz im Gegenteil. Freudig schmiegt er sich an seinen Gitarristen, verwinkelt ihre Beine so miteinander, dass Jan nicht mehr fliehen könnte, selbst wenn er es will. Reine Vorsichtsmaßnahme. „Und was war dann der Grund?“ Die Antwort ist knapp, wie unverständlich für Bela. „Ich.“ Das Fragezeichen muss ihm förmlich im Gesicht geschrieben stehen, denn fast sofort fängt sein Großer mit einer Erklärung an, von der er gleich merkt, das sie ihm nicht leicht fällt. „Weißt du… damals als wie ganz neu in Frohnau waren… also wir sind auch im Winter umgezogen. Und wir hatten nichts. Rein gar nichts. Keine Möbel. Kein Geld. Überhaupt nichts. Es war nicht ganz so schlimm wie jetzt, wir hatten ja diese eine mobile Gasheizung aber… ich hab mir damals geschworen… ich wollte nie wieder so hausen…“ Schmerzhaft bemerkt Bela sehr wohl die Wortwahl seines Freundes. Nicht wohnen sondern hausen. Bis jetzt hat der Schwarzhaarige eher wenig von der anscheint nicht ganz so angenehmen Kindheit des Anderen erfahren. Das meiste ohnehin nur von Julia. Doch das was sich ihm gerade eröffnet… damit hat Bela nicht gerechnet. Nicht in dem Ausmaße. „Und ich wollte auch… also im Grunde… ich meine… ich wollte da auch niemanden mit runter ziehen. Ich will DICH nicht herunterziehen. Immerhin… also ich meine-“ “Dummkopf. Dummkopf, Dummkopf, Dummkopf.“ Ohne Jan auch nur die Chance auf ein Replik zu geben, dirigiert Bela dessen Kopf zu sich nach unten, versiegelt die fast schon ein wenig blauen Lippen mit denen seinen. Den Knoten in seiner Brust, versucht er zu verdrängen. Eine halbe Ewigkeit liegen sie so da, sich küssend, gegenseitig Wärme schenkend, bevor Bela als Initiator der Liebkosung diese auch wieder bricht. Es ist einer der wenigen Male wo der Drummer ganz ruhig, beinah souverän ist, als er leise spricht: „Selbst wenn ich unter einer Brücke schlafen müsste, in einer Höhle, Sahnis Wohnung- solange DU bei mir bist, ist mir das vollkommen egal. Verstehst du Jan? Es ist mir EGAL. Pöh… dann frier ich halt ein wenig. Was ist schon dabei? Ist noch niemand von gestorben. Und außerdem ist das eh nur solange bis wir unser eigenes Schloss mit den Groupies davor haben…“ Es ist Belas reinste Absicht, in den absoluten Nonsens zu verfallen, nur noch Hirnschwund zu produzieren. Allein das kleine Grinsen, was er von Jan geschenkt bekommt, sagt ihm das er auf dem richtigen Weg ist. Dessen spontane „Reißen- wir- Decke- hoch- hangeln- uns- über- den- Bettrand- und- lassen- kurz- Bela- noch- mehr frieren- Aktion“ ebenso. „Ich hab ganz vergessen!“ Ein riesige Schachtel wird dem Drummer unter die Nase gehalten, deren Inhalt nicht mehr ganze so perfekte Pralinen sind. Wohl Ausschussware aus der Schokoladenfabrik in der Jan für einen Hungerlohn arbeitet. Freudig macht sich Bela über das Süße her, beißt sich bei der ersten beinah einen Zahn aus, weil sie ob der Außentemperaturen schon so hart ist. Sich davon die Laune aber nun wirklich nicht verderben lassen wollend, zweckentfremd er die zweite eben kurzerhand als Bonbon. Das alles unter dem Blick des Jüngeren, der ihm schon wesentlich besser gefällt als zu beginn ihrer kleinen Unterhaltung. Der Knoten in Belas Brust hat sich längst in Luft aufgelöst. Und kalt ist ihm eigentlich auch gar nicht mehr. Sein Jan lag bei ihm und er hat Schokolade. Wer brauch da schon Nordseestrand? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)