Träume von LorenorMidori ================================================================================ Prolog: -------- „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum.“ Farin Urlaub musste schmunzeln. Das kunstvolle Graffiti an einer Hauswand in Hamburg spiegelte genau sein Leben wider. Sein Traum war es immer, Musik zu machen. Obwohl sein ehemaliger Musiklehrer ihm dringlichst davon abgeraten hatte. „Jan“, hat er gesagt, „egal, was du später mal machst – mach nichts mit Musik.“ Selbstironischerweise bezeichnet sich Farin bis heute als eher unmusikalisch, zumindest im Vergleich zu Rod. Er hatte alles erreicht, wovon er als Jugendlicher immer geträumt hatte. Unmengen von Leuten kauften die Konzerttickets und wollten ihn und seine Freunde spielen sehen. Aus einer Band wurden sogar zwei. Seine Texte brachten die Fans zum Lachen, Weinen, Ausrasten, Glücklich sein, zu allem, wozu ein Mensch in der Lage zu fühlen ist. Sein Gesicht zierte Tausende Plakate, Poster, Fotos und fast jeder in diesem Land kannte seinen Namen. Farin Urlaub. Seine Band war eine der erfolgreichsten in Deutschland. Die Ärzte. Während er so gedankenversunken die Straßen entlang schlenderte, bemerkte ein seltsames Vibrieren in seiner Hosentasche, das ihn leicht erschrak. Er nahm es heraus und schaute aufs Display: „eingehender Anruf Bela.“ Farin zog eine Augenbraue hoch und nahm den Anruf seines besten Freundes entgegen. „Scheiße, Jan, du bist bestimmt nich´ mehr daheim, oder?“ Bela klang irgendwie leicht nervös. Ohne ein Wort zu sagen hielt Farin das Mobiltelefon einige Sekunden in Richtung der vorbeifahrenden Autos, um dann Bela zu antworten: “ Wonach hat sich das deiner Meinung nach angehört? Bin eigentlich in so ´ner Viertel Stunde bei euch. Wieso, wat is´ ?“ „Ach, eigentlich wollt´ ich ja, dass du die Demo-CD mitbringst, die ich dir letztens vorbeigebracht hab…“ Farin war etwas irritiert. „Hä, hast du nicht ein Original davon?“ „ Doch, natürlich. Aber du darfst jetzt dreimal raten, wo die CD ist und wo ICH bin.“ „Ach Mensch, Felse…“ Eigentlich war Belas permanente Schusseligkeit ja eine irgendwie niedliche Angewohnheit des immer überdrehten und gut gelaunten Drummers, aber wenn es um die Aufzeichnungen für ein neues Album geht kann genau diese Angewohnheit dazu führen, dass die Aufnahmearbeiten verzögert werden und zum Teil ganz zum Erliegen kommen. Für Farin als Perfektionisten ist dies völlig unverständlich, so sehr er Bela auch mag. „Tjaa…“ Farin versuchte seinen Ärger herunterzuschlucken, um den Stress mit Bela nach Möglichkeit erst bis zu den eigentlichen Songaufnahmen hinauszuzögern. „Ick würde sagen, du packst deinen Zuckerarsch in deine Karre, fährst heim und bringst die CD wieder mit ins Studio. Oder verzichtest darauf, dass die Songs eventuell aufs Album kommen. Was ich bei dem einen ja irgendwie sehr schade fände… du weißt schon, welchen ick meine.“ Farin musste innerlich grinsen, da er genau wusste, dass genau diese Worte den „faulen Stinkstiefel“ Bela B. dazu bewegen würden, entgegen seiner Faulheit wieder nach Hause zu fahren und die Demo-CD einzustecken.“ Bela atmete hörbar aus. „Ick weeß, ick weeß…. Gib mir ´ne halbe Stunde, dann bin ich wieder bei euch.“ „So ist´s brav!“ rief Farin und lachte. Sie verabschiedeten sich voneinander und Farin setzte seinen Weg nun zügiger fort, um Bela nachher Vorhaltungen machen zu können, dass er den Arbeitsprozess um so und so viele Minuten verzögert hat. Kleine Neckereien haben noch jede Freundschaft am Leben erhalten. Kapitel 1: ----------- KAPITEL 1 Farin betrat das Studio und grüßte freundlich jeden, dem er begegnete. Ab und an blieb er auf ein Schwätzchen stehen, tauschte Neuigkeiten aus und verbreitete gute Laune. Die Aufnahmen zu einem neuen Album waren für ihn stets etwas Magisches, ein neues Baby der Band und ein weiterer Meilenstein in der Musikgeschichte. Dann konnte er all seine Sorgen vergessen, er konnte sich ganz auf das konzentrieren, was er so sehr liebte: die Musik. Er platzte innerlich schier vor Vorfreude und nahm sich vor auch die nächsten zwei bis drei Monate in vollen Zügen zu genießen. Im Proberaum angekommen, lief er zielstrebig auf den Gitarrenkoffer zu, der seine heißgeliebte Black Hawk enthielt. Liebevoll nahm er das Instrument mit dem markanten Totenkopf heraus und säuselte: „Na, meine Kleene? Haste mich vermisst? Ick dich ooch.“ Er hatte sein Equipment bereits im Vorfeld hier deponiert, da er befürchtete, bei einer spontanen Hinfahrt etwas zu vergessen – so wie etwa gewisse Schlagzeuger. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Knarren, als Rod González den Raum betrat, mit einem dampfenden Pappbecher in der Hand. „Hey, Jan, schön dich zu sehen! Wie geht´s dir?“ Rod stellte den Becher auf einem Verstärker ab, um Jan herzlich zu umarmen. „Allet dufte, kann nicht klagen. Und selbst? Mensch Alter, du siehst ja geil aus!“ Rod sah an sich hinab und lächelte etwas verlegen. Er hatte gerade zwei Wochen Heimatbesuch hinter sich und das Wetter dort war blendend. „Ooch, ´n bisschen Familie besuchen. Eine Cousine hatte letzte Woche Geburtstag und so. Kann mich auch grad über nix beschweren. Außer dass es in Chile dann doch etwas zu heiß war stellenweise… Dirk is´ nochmal abgezischt, ´ne?“ Farin rollte mit den Augen und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Das Drumset war bereits vollständig aufgebaut worden. Farin wies mit dem Daumen über die Schulter gerichtet darauf und sah Rodrigo fragend an. „Das war Felse. Der war doch tatsächlich heute Morgen schon hier!“ Rod zuckte die Schultern. „Der war WAT??! Hat er irgendwie krank ausjesehen oder so? Kann ich ja fast nicht glauben…“ Farin konnte sich beim besten Willen nicht erklären, weshalb der sonst chronisch zu allen Terminen zu spät kommende Bela seit heute früh im Studio war. Insgeheim hoffte er, dass das keine spontane Anwandlung war, sondern auch in Zukunft so bleiben würde. „Nee, eigentlich nicht, aber irgendwie… war er schon komisch… so ruhig. Vielleicht weil er nicht richtig ausgeschlafen hat, ich meine es muss doch einen Grund dafür geben, warum er bereits so früh hier anzutreffen war.“ Farin und Rod tauschten einen unwissenden Blick aus. „Ich hoffe, dass mit ihm alles okay ist… wirklich gesprochen hab ich jetzt auch nicht mit ihm. Ist überall herum gewuselt, aufgedreht wie noch was.“ Rod starrte an Farin vorbei an die gegenüberliegende Wand. „Ach, mach dir da mal keine Sorgen“, beschwichtigte Farin.“ Du weißt doch, wie er ist. Seine Nervosität bei Albumaufnahmen kennt fast keine Grenzen. Er hat sich all die Jahre nicht verändert…“ Rod sah zu seinem Erstaunen einen verträumten Gesichtsausdruck auf Farins Gesicht, als dessen Blick mit einem Lächeln auf den Lippen in die Ferne schweifte. Es war eigentlich nie Farins Art, seine Gefühle offen zu zeigen. Aber wenn es um Bela ging, war irgendwie immer alles anders. Sämtliche Regeln und Richtlinien verschwammen dann oder nahmen andere, teilweise bizarre Formen an. Aber Rod konnte dies verstehen. Die beiden Männer, die unterschiedlicher nicht sein konnten, waren seit fast 30 Jahren miteinander befreundet. Sie haben möglicherweise mehr Höhen und Tiefen erlebt als so manches Ehepaar, als das sie ja inoffiziell bei Fans und Crew gelten. Einmal hatte sich Rod mit einem Mitglied des Racing Teams unterhalten und erfuhr ganz andere, neue Verhaltensweisen, wenn Farin mit seinem FURT unterwegs war. Rod nannte dies scherzhaft den „Bela-Faktor“. In der Tat ist Farin viel ausgeglichener und ausgelassener, wenn sein Sparringspartner dabei ist. Aber natürlich würde Farin Urlaub das nie-niemals in der Öffentlichkeit zugeben. Natürlich wurde aus Belas angekündigten dreißig Minuten über eine Stunde. Farin empfing ihn im Proberaum mit einem recht säuerlichen Gesichtsausdruck. Zumindest Rod freute sich über Belas Rückkehr. Bela konnte sich damit herausreden, dass er versehentlich die CD verlegt hatte und zu allem Überfluss auch noch die Nachbarin mit einem Wasserschaden aufwartete, der Belas Hilfe beanspruchte. Belas Hilfsbereitschaft und Fürsorge waren in der Band schon längst legendär. Daher wurden ihm solche Eskapaden meist schnell verziehen. Es sei aber nichts Ernstes, und der Klempner sei nach weniger als einer viertel Stunde eingetroffen. Farin brauchte ihm nur kurz in die Augen zu sehen, um festzustellen, dass er log. Kapitel 2: ----------- KAPITEL 2 Den Tag verbrachten die drei Musiker damit, sich gegenseitig ihre Demos vorzuspielen und eine grobe Vorauswahl zu treffen. Danach verabredete man sich für abends bei Italiener, um noch die weitere Arbeitsplanung zu besprechen und ein wenig über alte Zeiten oder aktuelle Erlebnisse zu plaudern. Bela machte allgemein einen ruhigen und zurückhaltenden Eindruck, versuchte dies aber durch gelegentliche Witze und Beiträge zu kaschieren. Farin suchte vergebens nach einem passenden Moment, ihn zu fragen, was ihn beschäftigt und warum er so einen niedergeschlagenen Eindruck macht. Aber dieser Moment schien etwas Besseres vorzuhaben, da er sich partout nicht einstellen wollte. Farin begann langsam unkonzentriert und ungeduldig zu werden, war er doch von Natur aus ein neugieriger Mensch, der alles an Informationen aufsog wie ein Schwamm. Gerade plauderten sie angeregt über Erlebnisse der letzten Tour… „… und dann meinte ich spontan zu Jan: Hey, wir bringen den jetzt total aus dem Konzept! Ich hab da auch schon ´ne Idee und so, hab ihm die Kostüme gezeigt, und dann hat der Jute sich erstmal in die Hose gekackt vor Lachen…“ Bela lachte endlich mal ausgiebig, als er Rod die Geschichte erzählte, wie sie auf die Idee kamen, jedes Mal bei „Dinge von denen“ wie zwei Halbaffen in kranken Klamotten auf der Bühne rumzurennen. Farin musste laut auflachen. “Haha, hey, ich dachte echt, das kann er jetzt doch nicht ernst meinen! Die da unten vor der Bühne müssen uns doch für VÖLLIG bescheuert halten, sofern sie det noch nich´ vorher schon getan haben… Ich fand´ s aber genial und war total ungeduldig, weil ich unbedingt dein Gesicht dabei sehen wollte… ich mein, wie lange hat dein Lachkrampf gedauert? Fünf Minuten? Zehn?“ „Du, der ging das ganze restliche Konzert über“, antworte Rod schmunzelnd. „Mensch, ihr zwei seid doch echt…" „Daran siehste mal, wie sehr uns deine Freude bei Konzerten am Herzen liegt“, meinte Farin mit einem Seitenblick auf Bela. Dieser sah Farin kurz erschrocken an, senkte dann aber den Blick und tat so, als ob er sich wieder seinem Teller widmen wolle. Farin jedoch ließ ihn nicht aus den Augen, folgte seinem Blick, versuchte in seine Gedanken einzudringen, sie zu erforschen und herauszufinden, was ihn so quält, und wieso er nicht der Bela sein kann, den Farin so sehr und über alle Maße schätzte… Rod entging dies natürlich nicht, als just in diesem Augenblick sein Handy klingelte. Bela und Farin wandten ihm ihre Blicke zu, als Rod aufs Display schaute, entnervt ausatmete, eine Entschuldigung murmelte und den Anruf entgegennahm. Allzu lange dauerte das Gespräch nicht, und als Rodrigo das Handy wieder weglegte, meinte er mit schuldbewusster Mine: “ Sorry, Jungs, aber ich fürchte es gibt ein Problem, das meiner körperlichen Anwesenheit bedarf. Jemand hat grade versucht bei mir einzubrechen, und meine Nachbarn waren so freundlich mich zu verständigen. Hoffentlich sind die Bullen schon da.“ „Na, dann würden sie sich zumindest mal nützlich machen“, meinte Farin sarkastisch und verdrehte die Augen. Bela zuckte bloß mit den Schultern und meinte: „Tja, Junge, kann man nichts machen. Wollen wir hoffen, dass nichts beschädigt wurde.“ „Ach, was gibt´s bei mir schon zu holen“, erwiderte Rod scherzhaft, „ihr streicht ja eh die meiste Kohle ein, von dem Gehalt kann ich mir doch gar keine Wertgegenstände leisten – ganz zu schweigen von Sicherheitsschlössern“. Er zwinkerte mit einem Auge, und seine Freunde mussten lachen. Eine Anspielung auf den Running Gag, dass Rod ja viel weniger reich sei als Bela und Farin und von ihnen mehr oder weniger unterdrückt würde. Bela und Farin beschlossen ebenfalls zu gehen, beglichen die Rechnung und so verließen alle drei das Lokal. Sie verabschiedeten sich voneinander, als Farin Bela vorschlug, ihn ein Stück des Weges zu begleiten. Bela machte einen weniger begeisterten Eindruck, als Farin seine Antwort abwartete. „Pffff… nee, du, lass mal, das ist doch die ganz entgegengesetzte Richtung, mach mal extra wegen mir keinen Umweg.“ „Doch, extra wegen dir.“ Farins Tonfall ließ keinen Widerspruch zu, und er sah Bela herausfordernd in die Augen. Bela erwiderte diesen Blick zunächst, schlug dann aber die Augen nieder und starrte auf den Asphalt. Die Sonne war schon vom Himmel verschwunden, der Boden von leichtem Regen nass. „Willste hier Wurzeln schlagen oder was?“ fragte Farin, lief ein paar Schritte und blickte über die Schulter Bela an. Dieser wandte sich ab und sträubte sich mit jeder einzelnen Faser seines Körpers, Farins Aufforderung zu folgen. „Weißt du… ehrlich gesagt… möchte ick jetzt lieber alleine sein…“ Belas Stimme war leise und tonlos, doch die negativen Gefühle Belas überschlugen sich in ihr. „Du bist doch schon den ganzen Tag über allein. Sprichst kaum ein Wort, lachst nicht, bist geistig irgendwo, wo ich dich nicht finden kann…“ Farin war inzwischen an Bela herangetreten, bis er nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt vor ihm stand. Seine Augen suchten die seines älteren Bandkollegen, doch Bela hatte den Blick unbewusst auf Farins Schuhe gesenkt. Er sagte kein Wort. „Ich will dir doch nur helfen. Ich will nicht, dass du so traurig bist und dich von mir… von uns abwendest. Ich bin doch dein bester Freund, oder?“ Mit sanfter, einfühlsamer Stimme war es Farin möglich, zu Bela vorzudringen. Langsam hob er seinen Blick, ließ ihn an Farin entlang gleiten, bis sich ihre Augen schließlich fanden und einander festhielten. Bela atmete hörbar aus, dann sagte er endlich: „Also schön, überredet. Danke.“ Der größere lächelte so freundlich er nur konnte, nickte, sagte weiter nichts. Ihre Verständigung brauchte schon lange keine Worte mehr, sie kannten die Gedanken des anderen, noch bevor er sie selbst dachte. Sie wussten genau voneinander, wie es ihnen ging. Sie waren wie Yin und Yang, sie brauchten einander um selbst zu existieren. Gemächlichen Schrittes bahnten sich die beiden ihren Weg durch die Dunkelheit. Kapitel 3: ----------- KAPITEL 3 Der Weg war spärlich beleuchtet, ab und an begegneten sie anderen Nachteulen, Diskoheimkehrern, Pärchen, einsamen Wanderern. Sie wechselten kaum ein Wort miteinander, sondern genossen die Anwesenheit des anderen, die gemeinsame Zeit, die Atmosphäre, die sich um sie herum aufgebaut hatte. In diesem Moment gab es nur sie beide, ihre unerschütterliche Freundschaft zueinander. Farins Lippen waren stetig mit einem leichten, glückseligen Lächeln umspielt, während der etwas kleinere Bela gedankenversunken neben ihm her ging. Farin wandte seinen Kopf nach links, um Bela für einige Zeit zu betrachten. Die Zeit hatte ihre Spuren hinterlassen, und auch vor der Besten Band der Welt (auuuuus Berlin!) machte sie nicht Halt. Die eine oder andere Furche zierte Belas Gesichtszüge und er war stolzer Besitzer eines Wohlstandsbäuchleins geworden, jedoch strahlte er mit der Zeit immer mehr eine gewisse, ganz besondere Aura aus, die Farin nicht in Worte zu fassen vermochte. Er konnte sich nicht erklären, was ihn so sehr an Bela faszinierte, dass seine Präsenz ihm beinahe den Atem raubte, dass sein Verstand nur auf ihn fixiert war und ihm zum wichtigsten Menschen in Farins Leben werden ließ. Als Bela damals diesen… Unfall hatte, war Farin fast durchgedreht vor Sorge, bis vom Krankenhaus endlich die Entwarnung kam, dass Bela keine lebensbedrohlichen Verletzungen davongetragen hat. Zehn lange Jahre sind seitdem vergangen. Für Farin Urlaub eine gefühlte Ewigkeit. „Wie lange wir schon nicht mehr einfach so miteinander spazieren gegangen sind…“ sagte er plötzlich in die Stille hinein, wurde sich jedoch erst hinterher bewusst, dass er seine Gedanken versehentlich laut ausgesprochen hat. Zu seinem Glück verbarg die Dunkelheit jedoch seine leichte Schamesröte vor Bela. Möglicherweise war dies einer Gründe, aus dem Bela die Finsternis so liebte – weil man seine wahren Gefühle vor anderen verbergen kann. „M-hm“. Bela sah auf und ließ seinen Blick umherschweifen. Sie waren bisher weiter gegangen, als er vermutete. Er sah etwas unsicher zu Farin hinauf, öffnete den Mund in dem plötzlichen Impuls, etwas sagen zu wollen, ließ es aber bleiben. Farin schien dies nicht zu bemerken. Sie erreichten eine Art kleinen Platz mit Blick auf die Elbe. Nachts, wenn alle Lichter der Hafenanlage strahlten, war der Anblick wunderschön. Ein Schiff fuhr gerade vorbei, von weiter Ferne ertönten Rufe, am anderen Ufer war die Stadt Hamburg zu sehen, und obwohl sie einige hundert Meter entfernt war, konnte man die wichtigsten Gebäude an großen Leuchtreklameschildern ausmachen. Farin ließ sich auf einer Bank nieder, von der man die Elbe überblicken konnte, mit dem kleinen Waldstück im Rücken. Bela setzte sich neben ihn, und sie betrachteten beide fasziniert, was sich ihnen bot. Viele Städte entfalteten ihre wahre Pracht erst nach Anbruch der Dunkelheit, das wussten sie beide, deshalb genossen sie für eine Weile einfach die Aussicht. Farin bemerkte nach einiger Zeit, dass Bela den Blick auf ihn gerichtet hatte, als ob er auf etwas wartete. Farin sah ihm direkt in die Augen und wartete, bis Bela erzählte, doch stattdessen griff dieser in die Innentasche seiner Jacke und holte einen baumelnden Gegenstand hervor, den Farin zunächst nicht identifizieren konnte. Bela hielt Farin den Gegenstand entgegen, und dann erkannte der Blonde, dass es sich um eine Kette handelte, an deren langem Ende ein Anhänger baumelte. Merkwürdigerweise kam Farin diese Kette seltsam bekannt vor… „Erinnerst du dich?“ fragte Bela in die Stille hinein und ließ die Kette leicht hin und her schwingen. Das schwache Licht der Laternen spiegelte sich auf dem Anhänger wider. Farin dachte angestrengt nach, doch wollte es ihm nicht einfallen, woran er sich erinnern sollte. Bela wartete seine Antwort nicht weiter ab. „Die haben wir vor ungefähr einem halben Jahr zusammen gekauft. Ich hab dich eines Nachmittags angerufen, ob du nicht Lust hättest, mich in die Stadt zu begleiten, da ich etwas zu erledigen hätte, und du hattest Ja gesagt. Also hast du mich von daheim abgeholt, und wir haben einige Juweliere unsicher gemacht.“ Farins Erinnerung kam zurück, und er schämte sich ein wenig dafür, dass er so lange gebraucht hatte. Und nun fiel ihm auch wieder ein, für wen diese wundervolle Kette bestimmt war. „Warum erzählst du mir das alles? Was hat es mit dieser Kette auf sich?“ wollte Farin nun wissen, da er sich denken konnte, dass die Kette, Belas Erzählung und seine Traurigkeit in unmittelbarem Zusammenhang zueinander standen. „Heute morgen, als ich aufgestanden bin… lag die Kette auf dem Küchentisch. Unter der Kette befand sich ein Zettel, doch den habe ich aus… Wut… verbrannt.“ Belas Stimme nahm wieder diesen niedergeschlagenen, unendlich traurigen Tonfall an, was bei Farin ein schmerzhaftes Gefühl auslöste, denn er hasste es, seinen Freund so leiden sehen zu müssen. Eigentlich wollte er gar nicht mehr wissen, was passiert ist, da er wusste, dass er deswegen wütend werden würde. Dieses gottverdammte Miststück! Jetzt bekam Farin auch noch ein schlechtes Gewissen, weil er Bela unwissentlich an den Ort – sein eigenes Zuhause – zurück geschickt hat, dem er für die Albumaufnahmen dankbarerweise entfliehen wollte. Doch Bela redete erbarmungslos weiter. „Sie hat jetzt ´nen andern. Schon seit einiger Zeit. Als ich mit Los Helmstedt unterwegs war. Sagte, sie will keinen Mann an ihrer Seite, der nie daheim ist und nie Zeit für sie hat, weil ihm die Musik und die Band wichtiger sind.“ Das hätte sie doch eigentlich von Anfang an wissen müssen, dachte Farin bei sich. Aber er wusste schließlich selbst nur zu gut, wie das ist. „Deshalb kam ich heute auch später als ich gesagt habe. Ich war wieder zu Hause, und … es roch noch nach ihr, ihre Sachen lagen teilweise noch herum… das hat mich eben einfach mitgenommen. Ich dachte, ich könnte mir das ersparen, indem du einfach die CD mitbringst, anstatt dass ich extra nochmal nach Hause muss… wenn es mir deswegen nicht so schlecht gehen würde, hätte ich die CD natürlich nicht vergessen… irgendwie ist das alles ein verschissener Teufelskreis.“ Bela atmete tief aus, ein langes Seufzen entfuhr seinem Mund. Je mehr er erzählte, desto mehr Mitleid rief er in Farin hervor. „Ach ja, und das übliche, dass es ihr Leid tut, dass es trotzdem eine sehr schöne Zeit war und dass sie nichts bereut…“ „Hast du ihr Geld gegeben?“ fragte Farin wie aus der Pistole geschossen. Er wusste, dass Bela für diese Welt viel zu naiv und leichtgläubig war. Bela lachte jedoch nur leise und verneinte. „Selbst jemand wie ich lernt irgendwann aus seinen Fehlern.“ Er beobachtete Farin, wie dieser mit saurem Gesichtsausdruck auf die Elbe starrte. Tatsächlich musste dieser seine Wut unterdrücken und sich in Selbstbeherrschung üben. Wie konnte sie ihm das nur antun?? Ausgerechnet ihm, dem Sensibelchen der Band, dessen Gefühle für Farin seit jeher ein offenes Buch sind. Bela betrachtete den Anhänger, ließ die Kette zwischen seinen Fingern hindurch gleiten. „Hätte ich sie doch bloß dir geschenkt. Da wüsste ich zumindest, dass sie gut aufgehoben ist.“ Farins Augen weiteten sich, als Bela das sagte. Er wandte seinen Kopf und sah Bela an, der seinen Blick immer noch auf den Anhänger gerichtet hatte. Ebenfalls war er irritiert, als er bemerkte, dass Bela seine Hand unbewusst auf Farins gelegt und sein Handgelenk leicht umklammert hielt, suchend nach Halt und Hilfe. Ein sonderbares Gefühl stieg in Farin hoch, sein Herz begann merkwürdigerweise zu pochen. Was zur Hölle meinte Bela damit? Warum hatte er das gesagt? Und warum diese zärtliche, innige Berührung? Der blonde Hüne konnte auf das alles keinen Reim machen, wagte aber nicht nach der Bedeutung zu fragen. Zum ersten Mal seit langer Zeit verschlug es Farin Urlaub die Sprache. Kapitel 4: ----------- KAPITEL 4 Bela drehte seinen Kopf nach rechts, um Farin anzublicken, im schwachen Schein der Laternen, und er glaubte, tatsächlich so etwas wie ungläubiges Staunen in Farins Augen zu erkennen. Farin schien zu bemerken, dass er gerade relativ dumm aus der Wäsche zu gucken schien, und wandte seinen Kopf schnell wieder geradeaus, gleichzeitig zog er seine Hand ruckartig zurück. „Was hast du?“ fragte Bela vorsichtig, denn nun schien Farin derjenige zu sein, der sich unwohl fühlte. Farins abrupte Reaktion irritierte ihn ein wenig. Es war doch nicht das erste Mal, dass sie einander so nahe waren! „Geht´s dir jetzt wenigstens ein bisschen besser?“ setzte Farin schnell ein, um vom Thema abzulenken, denn er hatte Panik davor, diese Unterhaltung fortzuführen. Seine Gefühle waren ihm von einem Moment auf den nächsten fremd, er haderte mit sich selbst. Die ganze Situation kam ihm merkwürdig fremd und absurd vor. Belas Nähe schien ihm auf einem Mal unerträglich, und das was er eben noch so genossen hat, die traute Zweisamkeit, die Intimität, quälte ihn jetzt, und er suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, Bela und dem Gespräch zu entrinnen. All seine Gedanken waren darauf ausgerichtet, zu fliehen, und diesmal konnte er keine Rücksicht auf Bela und seine momentane Stimmungslage nehmen. Er musste etwas unternehmen, bevor die ganze Angelegenheit außer Kontrolle geriet. „Ja, ich denke schon… sag mal, Jan, was hast du denn auf einmal? Du bist ja total aufgekratzt!“ Bela verstand die Welt nicht mehr. Gerade saßen sie noch gemütlich zusammen und er hatte sich endlich dazu durchgerungen, sich seinem besten Freund anzuvertrauen, obwohl es ihm eigentlich total beschissen ging, und jetzt machte Farin den Eindruck, als ob… ja, welchen Eindruck machte er eigentlich? Irgendwie schien er sich unwohl in seiner Haut zu fühlen. Bela wusste aus langjähriger Erfahrung, dass er jetzt ganz behutsam vorgehen musste, um Farin nicht aufzuregen oder zu verletzen. Doch dazu kam es nicht mehr. Mit einem Ruck stand Farin auf und blickte sich nach allen Seiten um, als ob er einen Fluchtweg suchen würde oder nach jemanden, der ihn endlich von seinem Leiden erlöst. Doch dieser Jemand ließ ihn im Stich, indem er nicht kam. Dann sagte er zu Bela: „Es is´ schon ziemlich spät, ich glaub es is´ besser wenn wir jetzt nach Hause gehen. Morgen werden die ersten Songs eingespielt, da will ich fit sein. Lass uns gehen.“ „Farin, es ist erst halb zehn…“ Also manchmal benahm er sich echt komisch. Zugegeben, Farin war kein Nachtmensch und ging allgemein eher zu Bett als Bela, aber irgendwie… Bela war ein wenig enttäuscht, dass seinem besten Freund die Aufnahmen plötzlich wichtiger waren als ihre Zweisamkeit, und dass er gerade jetzt, wo sie sich endlich nach so langer Zeit wieder so unsagbar nahe waren und ihre gemeinsame Zeit genießen konnten, ohne von anderen Einflüssen gestört zu werden, dieser vertrauten Nähe entsagte und Bela quasi im Regen stehen ließ. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass Farin sich verändert hatte. Urplötzlich, ohne dass Bela die Gelegenheit hatte, etwas davon mitzubekommen. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, seit wann diese Veränderung in Jan Vetter vorging und weshalb. Lag es daran, dass ihr Kontakt in den letzten Jahren abgeflaut ist und sie sich unfreiwillig entfremdet hatten? Vorher hatte Farin nie etwas gegen Belas Berührungen einzuwenden gehabt… Bela konnte nicht zu ihm vordringen, er wusste, dass Farin das unter keinen Umständen zulassen würde, so wie er sich im Moment verhielt, und es schmerzte ihn. So sehr, dass er in Farins Vorschlag einwilligte und den Kampf waffenlos aufgab. Aus Freude wurde Enttäuschung, aus Glückseligkeit wurde Schmerz. Bela wusste, dass Farin schon immer mit seinen Gefühlen spielte und ihn auch gerne mal bewusst leiden ließ, und genau das machte ihn für Bela so anziehend, denn er war sich immer bewusst, dass Farin ihn trotzdem sehr mochte. Aber gerade jetzt dieser Bruch, nach einer so langen Zeit der Trennung, war für Bela wie ein Stich ins Herz. Gerade wünschte er sich noch, dass die Zeit still stehen möge, doch nun wünschte er sich, dass er sich Farin niemals anvertraut hätte. Und für diesen Gedanken hasste er sich. Ohne ein weiteres Wort stand Bela auf und sie gingen weiter des Weges. Nach einer Weile erreichten sie ohne auch nur ein einziges Wort miteinander gesprochen zu haben Belas Auto und blieben stehen. Sie standen sich zwar gegenüber, doch ihre Blicke mieden einander. Eine unerträgliche Stille baute sich auf, die durch nichts und niemanden durchdrungen werden konnte. Belas Enttäuschung spiegelte sich allzu deutlich in seinen hellen Augen wider, und Farin fühlte sich noch unwohler als zuvor. Wenn es nicht bereits dunkel geworden wäre und wenn sie einander angesehen hätten, hätten sie dies auch bemerken können. „Du kommst doch klar, oder?“ fragte Farin nach einer gefühlten Ewigkeit vorsichtig, darum bemüht, seine eigenen Emotionen zu verschleiern. „Klar“ antwortete Bela kurz und knapp, wobei er vermied seinem angeblichen besten Freund in die Augen zu sehen. Ich brauche dich nicht. Ich komm allein zurecht. Ich habe dich wahrscheinlich nie wirklich gebraucht, genoss es aber, wenn du dich um mich kümmertest und mich umsorgtest, für mich da warst. Doch anstatt mir Aufschluss über deine Gefühlswelt zu geben, lässt du mich ahnungslos im Dunkeln tappen. Vielleicht ist das Absicht. Vielleicht ergötzt du dich insgeheim an meinem Leid, fragst und quetscht mich aus, ohne Rücksicht auf Verluste, und du gibst nicht eher nach, bis du dein Ziel erreicht hast. Wie ein Voyeur, der auf sadistische Art und Weise andere immer und immer wieder ihre negativsten Gefühle und Erlebnisse aufkochen lässt, weil du zu fein oder zu intelligent bist, mit deinem eigenen Leben klar zu kommen und deshalb Befriedigung am Leid anderer suchst. Weil du Angst vor dem hast, was du bist. „Hey, Dirk… ist wirklich alles in Ordnung?“ Farin klang jetzt wie der alte Farin, wie der unveränderte Farin von damals. Besorgt sah er Bela in die Augen, und es schien, als habe er Angst vor der Antwort. Bela war so sehr in seinen inneren Monolog vertieft, dass er gar nicht bemerkte, was Farin da sagte. Schnell sah er auf, beschwichtigte Farin, dass er sich wirklich keine Sorgen zu machen brauchte und versuchte verbissen, ihn nicht zu hassen. Jetzt spielt er schon wieder mit mir. Zuerst kann er gar nicht schnell genug von mir loskommen, und jetzt sorgt er sich wieder um mich. Bela sah Farin fest in die Augen, seine innerliche Unruhe war deutlich zu erkennen. Farin sah ihn verblüfft an, denn Belas Emotionen schienen ruckartig von niedergeschlagen in… hey, Moment mal, er war doch nicht etwa sauer?! „Weißt du, Jan“, intonierte Bela langsam und gedehnt, aufs Äußerste bemüht seine Selbstbeherrschung nicht zu verlieren, „manchmal bist du einfach nur ein riesengroßes Arschloch.“ Farin war dermaßen überrascht, dass ihm unkontrolliert der Kiefer herunter klappte. Bela interessierte es nicht, wie Farin diesen Satz aufnahm, er drehte sich mit einem letzten, bitterbösen Blick um und fuhr nach Hause. Farin sah ihm aufs Äußerste verwirrt nach, blieb noch einige Sekunden stehen, machte auf dem Absatz kehrt und trat völlig durcheinander selbst den Heimweg an. Kapitel 5: ----------- KAPITEL 5 Farin steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Langsam zog er sich seine Jacke aus, schloss die Tür hinter sich und betrat das Wohnzimmer, wo er die Jacke achtlos über eine Couchlehne warf. In der Einsamkeit und Dunkelheit der Nacht stand er da, stemmte die Hände in die Hüften und atmete tief aus. Was für ein seltsamer Tag. Und der Abend erst. Ziellos lief er umher und bemühte sich, seine Gedanken und Gefühle zu ordnen. Was in aller drei Teufels Namen war da bloß vorhin geschehen? Was hatte er getan? Er wollte das nicht. Er wollte nicht aufstehen und gehen. Er wollte nicht, dass Bela seine Hand von ihm nimmt. Im Gegenteil. Die Nähe zu dem auf der Bühne wilden, doch im Privatleben eigentlich sanften Schlagzeuger, diese Vertrautheit, diese Intimität, waren noch nie so unglaublich intensiv wie in diesem Moment. Farin brauchte einige Zeit, um sich dessen bewusst zu werden und diese fremdartigen und doch bekannten Gefühle zu verinnerlichen. Doch er fürchtete sich vor dem Gefühl, das in diesem Moment in ihm aufkeimte, fürchtete sich. Er hatte Angst vor dieser Veränderung, wusste nicht woher sie so plötzlich kam, und ob er sich dadurch verändern würde. Alles was er bisher über Bela gedacht und für ihn empfunden hatte schien falsch und unbedeutend zu sein. Von jetzt auf nachher. Hervorgerufen durch eine lange Zeit der räumlichen Trennung und dem Bewusstsein, dass ihm dieser Mensch wirklich fehlte. Noch nie in Belas Gegenwart hatte er so empfunden, so… komisch. Es war irgendwie anders als bisher. Er hob seine linke Hand, wo Bela ihn berührt hatte, und glitt mit den Fingern der anderen Hand über das Handgelenk. Fast war es, als könne er Belas Hand immer noch auf seiner spüren, die Wärme, die von ihr ausging. Die Wärme seiner Worte, der sanfte, ruhige Ton, die angespannte, doch wunderschöne Stimmung. Farin wünschte sich jetzt, dass dieser Augenblick immer noch fortdauern und niemals zu Ende gehen würde. Wie gerne hätte er die Zeit bis zu jenem Augenblick zurückgedreht… Belas Hand genommen, ihm tief in seine wunderschönen Augen gesehen, ihn getröstet, ihn umarmt, ihm gesagt: du musst nicht um sie trauern. Du hast mich. Für immer. Farins Herz, das während dieser unerfüllten Fantasien laut und heftig schlug, machte einen Satz und blieb beinahe stehen, als sein Verstand wieder einsetzte. Die Bilder waren aus seinem Kopf verschwunden, er sah wieder schemenhaft die Einrichtung seines Wohnzimmers. Er schwitzte leicht. Und das, obwohl es angenehm kühl war. Farin musste schlucken. ACH.DU.SCHEISSE. Er lief einige Schritte bis zur nächsten Wand und schlug seinen Kopf dagegen. Ruhig bleiben. Nicht aufregen. Das ist mit Sicherheit ein situationsbedingter Impuls. Hervorgerufen durch Mitgefühl. Weiter nichts. Dein ganzes Leben lang hast du Frauen geliebt, geistig und körperlich. Du bist fast dein ganzes Leben mit ihm befreundet, da ist es doch wohl verständlich, dass es dich runterzieht, wenn es ihm schlecht geht. Das ist eine stinknormale, rein platonische Freundschaft. Er dachte an den Heiratsantrag, den Bela ihm scherzhaft voriges Jahr auf der Bühne gemacht hat. Und daran, dass er ihn angenommen hatte. Nur im Scherz. Verdammtes Herz, hör endlich auf zu pochen! Zielstrebig durchquerte Farin – immer noch im Dunkeln – den Flur seines Hauses, lief bis ins Bad, drehte den Wasserhahn auf und klatschte sich mehrere Male eiskaltes Wasser ins Gesicht. Dann hob er langsam den Kopf. Belas böse Worte von vorhin waren längst vergessen. Das Mondlicht schien sanft durch das Fenster, und Farin betrachtete sich eingehend im Spiegel über dem Waschbecken. Wassertropfen rannen sein Gesicht hinab, sammelten sich an seinem Kinn, tropften hinab. Morgen ist das alles bestimmt wieder vorbei. Schlaf erstmal eine Nacht drüber. Keinen Kopf machen. Sein Spiegelbild nickte langsam, sah ihn aber fragend an. Bist du sicher, dass dem so sein wird? Ohne zu antworten wandte Farin sich ab, betrat wieder den Flur, stolperte über den Läufer, fluchte leise, ging ins Schlafzimmer, warf seine Kleidung auf den Boden und sich auf die große Matratze. Er wälzte sich auf den Rücken und starrte zur Decke. Und starrte. Und starrte. Überall wohin er auch sah, war Bela. An der Decke. An der Wand. Am Schrank. Im Fenster. Neben sich. Sah ihn höhnisch an und lächelte. Ging nicht, obwohl Farin es sich wünschte. „Merkst du eigentlich, wie du dich gerade selbst belügst?“ fragte die Erscheinung des Schlagzeugers und lächelte verächtlich. „Schon wieder? Dass du deine Gefühle verdrängst und verleugnest, obwohl du eigentlich wissen solltest, dass das nicht geht?“ Farin drehte sich auf die linke Seite, um Bela anzusehen. „Und was, wenn ich zu meinen Gefühlen stünde? Was brächte das mir? Außer Schmerzen, Qualen und der Gewissheit, dass meine Sehnsucht nie gestillt werden wird?“ Farins Gesicht nahm einen verzweifelten Ausdruck an. Jetzt dachte er schon daran. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, oder?“ entgegnete Bela und lachte. „Verarschen kann ich mich selbst, ja?“ grummelte Farin und drehte sich weg. Immer noch lachte Bela. Lachte und lachte und lachte. In einem plötzlichen Impuls schnellte Farin herum, ergriff sein Kissen und schleuderte es durch Bela hindurch an die Wand. Die Illusion seines geliebten besten Freundes verschwand, während sein Lachen leise verhallte. Farin sah ihm nach und wünschte sich, dass Bela zurückkam. Naja, eigentlich sollte er sich wünschen, dass seine Halluzinationen aufhörten. Kapitel 6: ----------- KAPITEL 6 Als Farin Urlaub am nächsten Morgen erwachte, registrierte er höllische Schmerzen im Kreuz und im Nacken, noch bevor er die Augen öffnete. Er stellte fest, dass er sich in sitzender Position befand und richtete sich langsam auf. Mit schmerzverzerrtem Gesicht reckte er sich und öffnete die Augen. Er saß an seinem Schreibtisch, vor ihm lagen viele angefangene Papierbögen. Um ihn herum lagen noch viel mehr zerknüllte. Er nahm das Blatt Papier, das oben auf dem Stapel lag, in die Hand und las die ersten Zeilen: „Ich wünsch´ mir, dass ich dich vergessen kann, ich würd´ dich gerne einfach ignorier ´n , ich bin mir sicher, irgendwann wird das auch einfach über Nacht passier´ n“ Farin entrang sich ein schiefes Grinsen, und da kamen sie auch schon, die Gedanken und Erinnerungen, die er ursprünglich verdrängen wollte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm allerdings, dass er dieses Vorhaben auf später vertagen musste. Er sprang auf, schaffte einen neuen Weltrekord im Frühstücken, Anziehen, Richten und Aufbruchbereit-Sein in weniger als einer halben Stunde, spurtete aus dem Haus, in den Wagen, drehte den Zündschlüssel um und düste zum Studio. Geschwindigkeitsbegrenzungen und Anschnallpflicht wurden kurzzeitig zu Fremdwörtern. Wozu war er schließlich Rockstar und somit reich? Vor dem Tonstudio angekommen rauschte er auf den Parkplatz und rammte nur beinahe Rods Wagen, als er in die Parklücke schoss. Wär aber egal gewesen, Rod ist schließlich auch ein reicher Rockstar. Farin stieg aus seiner Kutsche, drückte im Rennen den Zentralverriegelungsknopf seines Autoschlüssels und spurtete ins Gebäude. Drinnen schloss er die Tür hinter sich, stützte seine Hände auf die Knie und hechelte, als ob er gerade den Marathon-Lauf absolviert hätte. So ein Scheiß, dachte er erschöpft, ich glaube, ich werde doch langsam zu alt für sowas. Als er den Kopf hob, erblickte er Rodrigo, der ziemlich belustigt an seinem Kaffee nippte. „Was grinst´ n du so?“ fragte Farin ihn leicht gereizt, der das gar nicht lustig fand. „Ich find´s nur geil, wie du hier gerade mitten auf´ m Flur stehst und so keuchst, wo du doch sogar eine geschlagene Stunde zu früh dran bist. Manchmal ist dein Drang zum Perfektionismus echt´ n bisschen übertrieben.“ „Nee, ne?!“ fragte Farin atemlos und glaubte, er habe sich verhört. Eine Stunde zu früh dran??? Und dafür hat er sich so beeilt?? Farin war kurz vorm Zusammenbruch. Das durfte jetzt nicht wahr sein… „Ist aber eigentlich gut“, setzte Rod erneut an, „Bela ist nämlich auch schon da. Das heißt, wir können früher anfangen. Was ist eigentlich los mit dir, Jan? Kann mich nicht daran erinnern, wann du das letzte Mal etwas durcheinander gebracht hast.“ Farin hörte Rods besorgte Frage gar nicht mehr. Bela ist schon hier… Verdammt! Farin hatte bisher noch keine Gelegenheit sich zu überlegen, wie er auf ihn zugehen sollte. „Hey, Großer! Gehen wir oder was?“ Rod stand neben Farin und sah ihn wartend an. Dieser blickte ihm kurz ihn die Augen, nickte knapp und so machten sie sich auf den Weg zum Aufnahmeraum. Schon von draußen konnte man Bela vernehmen, der wild auf seine Drums einschlug. Uwe drehte an irgendwelchen Knöpfen und versuchte den Lärm, den Bela veranstaltete, zu übertönen. Als Farin und Rod den Raum betraten, hielt Bela inne und drehte den rechten Stick zwischen seinen Fingern. Er sah Farin an, doch dieser hatte sich der Crew zugewandt und sprach etwas mit ihnen, das Bela nicht verstand. Schließlich kam er hinter seinem Schlagzeug hervor, und alle kamen für eine Arbeitsbesprechung zusammen. Die Songs wurden endgültig festgelegt, die Instrumentalisierung besprochen, und ca. eineinhalb Stunden später konnte man mit den Aufnahmen beginnen. Bela hatte jedoch so seine Probleme beim Drumming, und dieses Instrument wurde bei den Ärzten grundsätzlich zuerst eingespielt. Er verpatzte sein Einsätze, verspielte sich, kam aus dem Takt. Irgendwann schleuderte er seine Sticks durch den Raum, brüllte ein entnervtes „Ach, Scheiße!“ und ging von seinem Schlagzeug weg. Er lief einige Schritte unruhig durch den Raum und stemmte die Hände in die Hüften, während er ausatmete. Die anwesenden zuckten nur die Schultern, Farin jedoch beobachtete Bela und es wurde ihm schmerzlich bewusst, dass er einem klärenden Gespräch nicht aus dem Weg gehen konnte, denn wenn es nicht an dem vorigen Abend lag, woran sonst? Bela verließ den Aufnahmeraum, ignorierte gekonnt die verwunderten Blicke seiner Kollegen und ließ sich gegen eine Wand plumpsen, an der er angelehnt stehen blieb. Farin warf ihm dann und wann verunsicherte Blicke zu, die Bela an sich abprallen zu scheinen ließ. Keiner traute sich zu fragen, weshalb Dirk Felsenheimer so einen schlechten Tag erwischt hatte. Farin, der wieder den Arbeitsmodus aktiviert hatte, schielte unruhig zur Uhr hinüber und dann zu Bela. Dieser drehte seinen Kopf zufällig einen Lidschlag später in Farins Richtung, sodass ihre Blicke sich trafen. Beiden war dieser Moment etwas unangenehm, doch sie wollten auch beide dieses Duell nicht verlieren. „Na, wat is´ denn nu?“ fragte Farin in die Stille des Raumes hinein. Belas leicht verwirrten Blick ignorierte er einfach. „Wie, wat is´?“ Bela zog die Augenbrauen leicht zusammen, da er keinen blassen Schimmer hatte, was Jan Vetter da von ihm wollte. „Ick dachte, du wolltest dich mit mir noch kurz unterhalten, bevor´s richtig losjeht. Haste doch gestern Abend am Telefon noch jesacht. Du weißt schon… „ endete Farin bedeutungsschwanger und wies mit dem Kopf in Rodrigos Richtung. Er hoffte inbrünstig, dass Bela seine Andeutung verstand und sah ihm fest in die Augen. Komm schon, steig drauf ein! Bela erwiderte Farins Blick, kniff kurz die Augen zusammen, warf einen flüchtigen Blick auf Rod, dann verstand er. Langsam hob er den Kopf, sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. „Ach sooo, DAS meinst, ja richtig! Wir ham da ja wat kleenet vorbereitet!“ Bela grinste Rod jetzt breit an, und auch Farin lächelte in die Runde. Die Stimmungslage entspannte sich endlich, und Rod warf seinen beiden besten Freunden äußerst verwirrte Blicke zu. „Ihr Schlawiner habt wieder irgend´ ne total irre Idee, was?“ fragte die Managerin Axel Schulz, aber Farin und Bela lächelten nur geheimnisvoll. Schließlich gingen „die Grinsekatze“ und „Der Graf“ durch die Tür und verließen den Raum. „Wohin?“ fragte Farin Urlaub nur knapp. „Balkon“ kam die Antwort ebenso knapp zurück. Kapitel 7: ----------- KAPITEL 7 Sie liefen bis zum anderen Ende des Gebäudes und öffneten die Notfalltür, die auf eine Art kleine Terrasse führte und von der aus eine Wendeltreppe aus Metallstiegen die Fassade entlang bis zum Erdboden hinab führte. Bela klemmte einen Aschenbecher, der immer auf der Terrasse steht, in die Tür, damit sie nicht ins Schloss fiel und sie wieder hinein konnten. Von hier aus, in ca. 10 Metern Höhe, hatte man einen herrlichen Ausblick auf Hauptverkehrsstraßen, turmhohe Gebäude und Eisenbahnschienen. Deshalb nannten sie diesen Ort scherzhaft „Balkon“. Farin stützte seine Hände auf der Brüstung ab und sah hinunter. Hunderte, tausende von Autos passierten das Gebäude, hupten, bremsten, parkten ein oder aus. Der Geräuschpegel war immens hoch. Einige Zeit lang standen sie einfach nur da, regungslos, ohne ein Wort zu sprechen. Farin blickte noch immer auf die Stadt hinaus, zu groß war seine Unsicherheit. Schließlich vernahm er hinter sich ein lautes Ausatmen. „Hör zu, Jan, wegen gestern… es tut mir Leid. Ich hätte das echt nicht sagen dürfen. Ich war nur so sauer, weil ich das Gefühl hatte, dass du mich allein und im Stich lässt… ich hätte es schön gefunden, wenn wir noch ein bisschen weiter zusammengesessen wären. Nach all der Zeit hat mir das mehr gefehlt, als ich geglaubt habe. Deswegen bin ich heute auch so schlecht drauf. Mir will das einfach nicht aus dem Kopf gehen. Hab ein schlechtes Gewissen deswegen.“ Farin fand es ungemein faszinierend, dass Bela wegen nichts ein schlechtes Gewissen bekam. Wo doch der Blonde eindeutig der Schuldige war. Zumindest aus seiner Sicht. Bela schwieg verlegen, sah zuerst Farin (oder besser gesagt dessen Rücken) an, dann den Boden vor seinen Füßen. Farin jedoch kniff die Augen zusammen, presste die Lippen aufeinander und focht wieder diesen inneren Kampf mit sich selbst. Belas Worte hatten ihn tief berührt, so tief. Und er war gegangen, einfach gegangen, ohne ein weiteres Wort, eiskalt, ohne Gefühl. Er holte tief Luft und legte sich konzentriert die Worte zurecht, die er an Bela richten wollte. „Dann bedeutet das also, dass du nicht mit mir zusammen sein wolltest, um deine Trauer zu verarbeiten, sondern… um meinetwillen?“ Farins Herz begann wieder zu pochen. Eigentlich wollte er die Antwort gar nicht hören. Sie könnte schließlich „nein“ heißen. Bela lachte leise. „So komisch das auch klingen mag, aber… irgendwie schon. Du weißt, du bist mein bester Freund und ein fester Bestandteil meines Lebens, und wir haben uns trotzdem so lange nicht mehr gesehen… es gibt so viele Dinge, die ich gerne nachholen würde, Gespräche, Unternehmungen… verstehst du was ich meine?“ Farins Herz wurde plötzlich so unsagbar schwer. Er wusste nicht, ob er aus Verzweiflung gleich ausrasten oder losheulen würde. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, wie viel Bela ihm bedeutete, und diese Erkenntnis brachte ihn beinahe um den Verstand. Es wird nicht wahr werden, redete er sich ein. Selbst wenn du noch so viel für ihn empfindest, er wird dir diese Gefühle niemals entgegenbringen. Du bist dazu verdammt, jemanden zu lieben, den du nicht haben kannst. „Meinst du, dass man stirbt, wenn man hier hinunterspringt?“ Farin sah auf den Boden hinunter, auf die Passanten, die klein und zierlich unter ihnen vorbeiliefen. Der Gedanke kam ihm ganz plötzlich. Nicht gerade der beste Ausweg aus dieser ganzen Scheiße, aber immer noch besser als gar nichts. Immer noch besser als so zu tun, als hätte er keine Gefühle für Bela. Bei Konzerten. Auf Tour. Bei Feiern. Bei Aufnahmen. Interviews. Immer. „Wieso fragst´ n das jetzt?“ Bela war sichtlich erstaunt und erschrocken zugleich. Ihm war natürlich nicht entgangen, dass Farin schon die ganze Zeit über an der Brüstung stand. „Nur so. Bin der Meinung, dass das Geländer zu nieder ist. Könnte man runterfallen.“ Farin drehte sich um, sah über Bela hinweg, der einen Kopf kleiner war als er, und peilte die Tür an. Bela hielt ihn auf. Er stellte sich ihm halb in den Weg und streckte einen Arm leicht zur Seite. Farin sah ihn an und versuchte, dies mit neutralem Blick zu tun. „Ist noch was?“ fragte er ungeduldig und wollte einfach nur noch weg, zu den anderen, sich ablenken, weitermachen. „Naja, ich… weiß nicht, ob jetzt wieder alles okay ist. Ich würde gern sicher gehen, ob das jetzt aus der Welt geschafft ist.“ Bela wusste nicht, dass Farin im Moment am liebsten Bela aus der Welt schaffen würde. Ob wieder alles okay ist? Na klar, alles bestens, super!! Mir geht´s blendend, und das verdanke ich dir, wirklich nur dir!! Farin hakte seine inneren Gedankengänge ab und konzentrierte sich wieder. Bela stand vor ihm, sah ihn an wie ein kleines Kind, das bei seinem Vater für irgendwas um Erlaubnis bat. Farin hasste es, dass er ihn so ansah. „Wenn du mir verzeihen kannst, dass ich gestern einfach abgerauscht bin…“ brachte er schließlich hervor. Wenn er wollte, dass es künftig keine Probleme gibt, musste er normal mit Bela umgehen. Ja, genau, er musste. Normal. Farin rang sich ein versöhnliches Lächeln ab, das Bela sogleich erwiderte. Bevor Farin reagieren konnte, ging Bela auf ihn zu, um ihn zu umarmen. Er hatte vergessen, dass Bela so „verkuschelt“ war. Er zwang sich dazu, die Umarmung zu erwidern, und verspürte zwar den Drang, den Schlagzeuger wegzustoßen, weit von sich, um seine Gefühle und Sehnsüchte nicht versehentlich preiszugeben und dennoch… von Augenblick zu Augenblick fühlte es sich… besser an. Farin konzentrierte sich nur auf die Berührung ihrer Körper. Er hörte und sah nichts mehr. Nicht mehr die Umgebung, den Straßenlärm. Belas Duft stieg ihm die Nase, gierig sog er ihn ein, verkrampfte sich, um seine Beherrschung nicht zu verlieren, drückte Bela fester und immer fester an sich… … bis dieser, abrupt, ohne Anlass, ohne Vorwarnung die Umarmung löste und einen Schritt von Farin weg ging. Mit einem Schlag war Farin wieder in der Realität angekommen, es war wie ein lauter Knall, den man nicht hören konnte. Die Autos waren auf einmal furchtbar laut, die Umgebung viel zu bunt und zu grell, und ihm wurde schwindelig. Bela zog verwundert die Augen zusammen, denn registrierte natürlich, dass mit seinem besten Freund gerade etwas nicht stimmte. „Sag mal, geht´s dir nicht gut? Siehst´ n bisschen blass aus.“ Bela war so süß, wenn er sich Sorgen machte. „Irgendwie…“ Farin suchte schnell nach einer Ausrede. „Ich habe heute noch nichts gegessen und deswegen ist mir ein wenig schlecht, das ist alles. Mach dir keine Gedanken.“ Wieder ein erzwungenes, aufgesetztes Lächeln. Da würde er wahrscheinlich bald Weltmeister drin sein. Kapitel 8: ----------- KAPITEL 8 Bela gab sich mit dieser Antwort zufrieden, und sie gingen wieder zu den anderen zurück. Man rief gerade beim Pizzaservice an, und Bela orderte eine große Pizza (sein „zweites Frühstück“), und bei dem Gedanken zog sich Farins Magen zusammen. Er hatte heute tatsächlich noch keinen Bissen zu sich genommen, und es war schon beinahe elf Uhr. Also eine Margherita. Bis der Lieferant eine halbe Stunde später eintraf, wurden noch ein paar Instrumente eingespielt. Rod beschwerte sich, dass seine Pizza Diavolo nicht scharf genug sei, und sorgte somit für den ersten Lacher des Tages, denn für Rod kann Essen nie scharf genug sein. Bela schlang seine Pizza in sich hinein, während Farin vor seiner saß und keinen Bissen hinunter bekam. Vorhin, als sie auf dem Balkon standen und sich umarmten, verlor er den Kampf gegen sich selbst. Er wusste, dass es keinen Sinn mehr machte, seine Gefühle für Bela zu leugnen, denn ihm wurde vorhin nur allzu sehr bewusst, dass das keinen Sinn mehr machen würde. Er erinnerte sich an seine Halluzination der letzten Nacht, und daran, dass der imaginäre Bela Recht hatte. Fortan quälte ihn diese eine Frage: Wie soll es jetzt zwischen uns weitergehen? Irgendwann bemerkte er, dass eine Hand vor seinen Augen hin- und her wedelte. Er verfolgte den Arm zu seinem Körper zurück und erblickte Axel. „Ey, Jan, was´ n los? Kein Appetit mehr ? ” fragte Axel, und Farin verfluchte ihn innerlich dafür, dass er mit dieser Frage jedermanns Aufmerksamkeit auf ihn lenkte. „Mir is´ nur was zu einem meiner Songs eingefallen und überlege die ganze Zeit, wie ich das am besten umsetzen könnte. Bisher ist mir aber noch keine adäquate Lösung eingefallen.“ Und das tolle an dieser Aussage ist, dass man nur das Wort „Songs“ durch „Gefühle“ ersetzen muss, um Farins wahre Gedanken zu erhalten. Widerwillig aß er schnell die Hälfte seiner Pizza (Gott, was hatte er für einen riesigen Hunger!), damit ihn keiner mehr deswegen fragen konnte, und wackelte mit Rod ins Studio, um ihm seine spontan beim Essen erfundenen Ideen vorzutragen, denn bei Rodrigo González war so etwas immer am besten aufgehoben, war der „Quoten-Chilene“ doch das musikalische Mastermind bei den Ärzten. Zu seiner eigenen Überraschung war das Endergebnis um Längen besser als die ursprüngliche Fassung. Farin hatte in Windeseile ein anderes Arrangement für seinen Song „Junge“ aus dem Hut gezaubert, was bei Band und Crew auf positive Rückmeldungen stieß. Noch mal Glück gehabt. Ein zweites Mal würde das wahrscheinlich nicht funktionieren. Sie spielten den Song weitestgehend ein, als ohne Vorwarnung der Strom weg war. Auch lautes Fluchen der Anwesenden trug nicht dazu bei, das Problem zu beheben. Farin erkundigte sich sogleich nach nicht bezahlten Stromrechnungen oder dergleichen, doch ein Anruf beim verantwortlichen Anbieter per Handy ergab, dass die Leitungen relativ veraltet seien und es deshalb etwas dauern würde, bis der Gebäudekomplex wieder versorgt werden könne. Farin regte sich recht lautstark über diesen Zustand auf, und Rod und Axel, die das Gespräch mit verfolgten, hatten ein wenig Mitleid mit dem Menschen, der sich am anderen Ende der Leitung befand. Entnervt beendete Jan Vetter schließlich das Gespräch. „Na, ganz fantastisch“, rief er entnervt und seine Augen funkelten. „Die würden am liebsten die Leitungen erneuern, aber das wird vor Beendigung der Aufnahmen wohl kaum möglich sein. Falls wir die LP noch in diesem Jahrzehnt veröffentlichen möchten. Und bis dahin sollen wir uns schon mal drauf einstellen, dass das durchaus nochmal passieren könnte. So eine elende Scheiße.“ Farin hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt und lief unruhig wie ein hungriger Tiger im Käfig auf und ab. Nach einer dreiviertel Stunde des Wartens beschloss man, die Arbeit am nächsten Tag fortzusetzen – für den Fall, dass der Strom wieder hergestellt war. Axel, Uwe und der Rest der Crew verabschiedeten sich. Rod gab an, bei der Polizei vorbeischauen zu müssen, da er eine Strafanzeige gegen Unbekannt einleiten wolle. Es sei zwar nichts weiter passiert, das Türschloss weist minimale Beschädigungen auf, es müsse aber vorsichtshalber dennoch ausgewechselt werden, und Rodrigo sah nicht ein, warum er auf den Unkosten sitzen bleiben und der Täter frei herumspringen sollte. Zurück blieben Farin und Bela. Farin war immer noch säuerlich, als Bela ihn fragte: „Und, wie sieht´s aus? Kann ich noch´ n bisschen zu dir mit, was plaudern?“ Farin wandte seinen Kopf langsam in Belas Richtung, um den Schlagzeuger anzusehen. Und da war es wieder, sein Problem. Er beschloss, den Kampf gegen sein Selbst kurzzeitig weiter zu führen und verlor abermals. „Klar, gerne. Steig bei mir ein, ich fahr dich hinterher wieder hierhin zurück, zu deinem Auto.“ Mensch, Jan, was bist du doch nur für ein unverbesserlicher Vollidiot. Kapitel 9: ----------- KAPITEL 9 Als sie bei Farin Urlaub zu Hause ankamen, warf Bela seine Jacke über Farins Couch, und in diesem Moment fiel dem Blonden auch ein, dass er in der Hektik keine Zeit mehr zum Aufräumen hatte, und dieser Zustand war für ihn hochgradig peinlich. Bevor er Bela davon abhalten konnte, es sich bei ihm bequem zu machen, hatte sich dieser auch schon auf das große Sofa gefläzt und sah Farin fragend an. Der wusste natürlich genau was jetzt kommt. „Also ´n Bierchen kann ich dir leider nicht anbieten, aber möglicherweise gibste dir auch mit Imperialisten-Brause zufrieden? Hab im Keller noch die eine oder andere Flasche.“ „Warum nicht? Mach dir keinen Stress, Cola is´ okay.“ Bela grinste wegen Farins Unsicherheit, wollte der doch immer der perfekte Gastgeber sein. Farin schnappte sich den Kellerschlüssel und verschwand die Treppen hinunter, während Bela sich neugierig umsah. Sein Blick glitt über die Wände und Einrichtungsgegenstände. Er musste schmunzeln, als er bemerkte, dass nicht überhaupt nichts verändert hatte. Farin kam nach knapp einer Minute herein, unterm Arm zwei Cola-Flaschen geklemmt, und als er Bela erblickte, blieb ihm beinahe das Herz stehen. Er stand vor dem Schreibtisch und hatte eben jenes Blatt Papier in der Hand, das Farin heute Morgen zurück in die Realität beförderte. Hastig stellte Farin die Flaschen auf dem Wohnzimmertisch ab lief zu Bela, um ihm das Blatt zu entreißen, doch eine berufliche Karriere als Schlagzeuger zahlt sich aus, und so verfügte Bela über die schnelleren Reflexe. Sie sahen sich in die Augen. „Bela, das… gib das wieder her, das ist nicht für dich bestimmt. Lass es, bitte.“ Farin war wie so oft in letzter Zeit am Rande der Verzweiflung. Bela hielt das Blatt von ihm weg und machte keine Anstalten, auf Farins Bitte einzugehen. „Jan, das ist… das ist wunderschön! Wo ist das Demo dazu, ich will´s hören!“ „Es… es gibt kein Demo, okay? Das ist nur ein grober Entwurf, den ich wieder verworfen habe. Deshalb gibst du mir jetzt bitte dieses Blatt Papier zurück!“ Himmel Arsch und Zwirn, wieso ist dieser verfluchte Kerl nur immer so stur? Bela hielt sich den Text provokativ wieder vor die Augen und las einige Stellen laut vor, während sich Farin überlegte, ob er den Kleineren erwürgen, erschießen oder erschlagen sollte. Blitzschnell griff er schließlich nach dem Papier, doch Belas Griff war zu stark, und so hielt Farin nur die obere Hälfte des Blattes in der Hand. Belas Blick wanderte von seinem Stück zu Farins Augen zu dessen Hälfte, murmelte ein kurzes „Ups!“, und Farin begann ihn anzuschreien. Dann durchwühlte er den Schreibtisch nach einem Stück Klebeband, und gemeinsam fügten sie die beiden Hälften wieder zusammen. Farin drehte Bela den Rücken zu und ging einige Schritte, tausende Gefühle stiegen in ihm hoch und er wusste sie nicht zu bewältigen. Natürlich war Bela hartnäckig und löcherte ihn mit seinen Fragen. „Wieso ist das nicht für mich bestimmt? Warum darf ich´s nicht lesen?“ „Ich hab doch schon gesagt, dass es nur eine fixe Idee ist, weiter nichts.“ „Ist aber eine sehr schöne fixe Idee! Ich hätt´ s gern auf dem Album!“ „Ich aber nicht!“ Farin drehte sich ruckartig zu Bela um, als er das schrie. Was er natürlich sofort wieder bereute. Doch noch ehe er eine Entschuldigung vorbringen konnte, ergriff Bela das Wort. „Jan, irgendetwas stimmt nicht mit dir. Gestern warst du schon so komisch, heute ebenso, und jetzt dieses Theater um diesen Song… was ist es, das dich bedrückt? Willst du nicht mit reden? Ich will dir helfen, Jan!“ Farins Gesichtszüge entspannten sich, als er in Belas besorgtes Gesicht sah. Bela setzte sich auf das Sofa und bot Farin mit einer Handbewegung den Platz neben sich an. Dieser nahm behutsam neben Dirk Platz und sah ihm dabei unablässig in die Augen. Er musste aussehen wie ein Hund, der gerade etwas verbrochen hatte, dachte er im Scherz. „Was ist los mit dir, Jan? So kann es doch nicht weitergehen! Wieso quälst du dich so?“ Belas Stimme war leise und sanft, sein Blick strahlte tiefe Sorge aus. Langsam ließ er seine Hand auf Farins Schenkel ruhen. Farin musste unkontrolliert zittern, während er darum kämpfte, seinen Blick von Belas Augen loszureißen. Wie sehr sehnte er sich nach seiner Nähe, seiner Umarmung, den sanften Worten aus seinem Munde… wäre da nicht diese unsagbare Angst vor der Zerstörung ihrer langjährigen Freundschaft. Farin wusste, dass es keinen Sinn hatte. Er wusste es. Du sitzt hier vor mir, sprichst mit mir in einer Art, wie ich sie nicht beschreiben kann und löst Gefühle in mir aus, die ich nie vorher kannte. Du hast keine Ahnung, was du mir damit antust. Ich könnte dich dafür hassen… wenn ich dich nicht so sehr lieben würde. Farin stand ruckartig auf und wandte sich von Bela ab, als er bemerkte, wie ihm eine furchtbare Hitze ins Gesicht stieg. Seine Augen begannen zu brennen, und das Zittern seiner Hände wurde stärker. Konnte er nicht gehen, konnte er nicht einfach gehen?! Bela hörte Farin leise, ganz leise schluchzen. Er stand behutsam auf, stellte sich genau hinter Farin und fragte ihn: „Du wendest dich von mir ab. Wieso?“ Farins Herz drohte in tausend Teile zu zerspringen. Er biss die Zähne fest aufeinander. Seine Hände verkrampften sich zu Fäusten, und nun hatte er die Beherrschung endgültig verloren. Er drehte sich zu Bela um. Und schrie. „Wieso haust du nicht einfach ab und lässt mich für immer in Frieden? Wieso stehst du hier und stellst mir all diese Fragen? Macht dir das Spaß, ja? Wie ich hier stehe und leide und du nicht aufhören kannst, immer tiefer in meinem Wunden zu bohren? Geh bitte einfach, geh. Deine Anwesenheit kotzt mich an!“ Bela glaubte nicht die Worte, die Farin ihm voller Wut entgegen schleuderte. Mit einem Ausdruck unendlicher Verletzung sah er Farin an. Die Augen des Mannes, den er seit jeher bewunderte und achtete, sprühten vor Hass. Paradoxerweise rannen ihm Tränen über die Wangen. Bela kämpfte nun selbst gegen seine Tränen, drehte sich ruckartig um, schnappte sich seine Jacke und eilte aus dem Haus, die Tür laut ins Schloss schlagend. Das war´s. Bela war weg. Endlich weg. Es war vorbei. Überstanden. Schwer keuchend wartete Farin darauf, dass sich Erleichterung einstellte. Doch sie kam nicht. Stattdessen wurde alles viel schlimmer. Damit hatte er nicht gerechnet. Das war gegen die Spielregeln. Er warf sich aufs Sofa, drückte sich ein Kissen an sein Gesicht und weinte. Kapitel 10: ------------ KAPITEL 10 Ein Licht am Telefon blinkte immerzu. Das Display zeigte drei Anrufe in Abwesenheit an. Farins Blick war teilnahmslos und leer. Langsam hängte er seine Jacke an einen Haken der Garderobe, zog die Schuhe aus. Setzte sich auf das kleine Sofa, hinter dem der Beistelltisch mit dem Telefon stand. Fuhr sich mit der rechten Hand durch die Haare. Der kleine Spaziergang tat ihm gut. Im Haus war zu wenig Luft zum Atmen geblieben. Seine Augen schmerzten, er fühlte sich müde, erschöpft, ausgelaugt. War das wirklich geschehen? Hatte er das wirklich gesagt? Das alles kam ihm so… unwirklich vor. Wie ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt. Der Nachmittag rückte in weite Ferne. Er schielte zum Telefon und drückte einen Knopf. Eine mechanische Stimme ertönte. „Sie haben… drei… neue Nachrichten erhalten. Erste neue Nachricht. Empfangen heute,…“ Eigentlich interessierte ihn nicht wirklich, wer versucht hat ihn zu erreichen. Es war mehr so eine Art Gewohnheit, die Mailbox abzuhören, wenn er wieder daheim war. Er wollte niemanden sprechen, mit niemanden zu tun haben. Niemanden sehen. Einfach niemanden. „Hey Bruderherz, wie geht´s dir? Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, meinst du nicht auch? Hör mal, ich hab nächste Woche ein paar Tage frei, vielleicht können wir dann mal einen Kaffee zusammen trinken gehen. Was hältst du davon? Meld´ dich einfach, wenn du Zeit und Lust hast, okay? Bis dann, ciao!“ Farins Miene blieb unbewegt. Niemanden sehen, niemanden hören, niemanden sprechen. Niemanden. „Zweite neue Nachricht:“ „Na, altes Haus! Hab eben nochmal mit den Stromfuzzis telefoniert. Die legen heute noch sowas wie ´ne Übergangsschaltung oder so, quasi von einem Ersatznetz, dass das morgen nicht nochmal passiert. Muss ja nich´ sein, dass die Arbeiten am Album unnötig verzögert werden. Was tut man nicht alles so als Managerin, wa? Ick sach dann mal, man sieht sich morgen. Tschö!“ Farin starrte aus dem Fenster. Ein Schmetterling flog vorbei. Farin bemerkte ihn, sah ihn aber nicht. Nichts sehen, nichts hören, nichts fühlen. Nichts. „Dritte neue Nachricht:“ „Jan.“ Sein Kopf schnellte herum. Das… das konnte nicht sein, das konnte unmöglich sein! Das musste er sich eingebildet haben, seine Halluzinationen schienen ihn wohl auch tagsüber heimzusuchen. Ha, ich hatte Recht. Da hat keiner drauf gesprochen. Siehst du, es ist ganz ruhig. Du Dummkopf. Warum sollte er. Ein Seufzen. Wieder lange Stille. „Ich… versteh nicht… was du da… gesagt hast… und warum…" Farins Miene verzog sich, er zitterte. Sein Unterkiefer bebte. Warum tut er das? Warum sagt er das? Warum will er mit mir reden? Warum will er mich verstehen? Wo ich doch… „Ich weiß nicht, ob ich diese Behandlung verdient habe… vielleicht habe ich das… und dennoch… du hast mich damit sehr, sehr verletzt, weißt du…“ Ja, ich weiß es. Es war meine Absicht, dich zu verletzen. Dich dazu zu bringen, mich zu hassen, mich nie mehr wieder sehen zu wollen. Es ist wohl besser so. Es hat nicht sollen sein. Doch nun ist es geschehen. Und ich werde das nie, niemals rückgängig machen können. Du kennst doch dieses Leid von mir, oder? Es ist vorbei, und nichts in der Welt wird es je wieder gutmachen können… „Ich weiß nicht mal, warum ich dir jetzt den AB vollquatsche, denn eigentlich hast du´s nicht verdient, überhaupt nicht verdient.“ Ich weiß, Bela, ich weiß. „Ich wollte nur, dass du weißt, dass…“ Wieder Stille. Vielleicht hätte ich heute da doch runter springen sollen. Dann wäre uns das alles hier erspart geblieben. „Das Album nehmen wir noch auf, wie geplant, soviel ist sicher. Aber glaub ja nicht, dass ich mit dir auch nur ein Wort mehr wechsle als es nötig ist. Und versuch gar nicht erst, dich bei mir zu entschuldigen! Wenn du denkst, du kannst es gestern Abend versauen und dann heute auch noch, und ich Vollidiot verzeih dir das immer einfach so, dann bist du verdammt schief gewickelt! Such dir ´nen anderen dummen, den du mit deinem krankhaften Selbstmitleid behelligen kannst. Das war´s. Unsere Freundschaft ist hiermit beendet!“ Ein Knacken in der Leitung. Dann wieder Stille. „Ende der Nachrichten.“ Farin ließ sich tiefer in das Sofa hinab rutschen. Jeder bekommt was er verdient. Und das habe nun mal ich verdient. Hab ja gesagt, dass das nie was werden würde mit uns. Bela tat ihm Leid, denn Farins Behandlung war nicht das, was der Schlagzeuger verdient hatte. Farin graute vor dem morgigen Tag. Er hatte Angst vor dem Wiedersehen mit Bela, richtig Angst. Ich Idiot. Wäre klüger gewesen, wenn ich das bis zur Fertigstellung der CD verschoben hätte, aber nein, meine scheiß Emotionen müssen mit mir ja unbedingt machen was sie wollen. Kurz, ganz kurz, kam ihm der Gedanke, sich Rod anzuvertrauen. Aber damit würde er sich wohl komplett lächerlich machen. Bela zertrümmert in Zorn wahrscheinlich grade seine komplette Wohnung. Das macht er immer so. Und dann, eine viertel Stunde später, bereut er seinen Wutausbruch. Wieso denke ich daran eigentlich? „Weil du schon die ganze Zeit über an mich denkst, falls du´ s noch nicht bemerkt hast.“ Farin sah nach links zum anderen Sofa. Dort saß Bela. Wieder lächelte er ihn höhnisch an. Wieder dieser sarkastische Unterton in seiner Stimme. „Verpiss dich, du bist nur ´ne scheiß Halluzination. Ich weiß genau, dass du nicht echt bist. Ich habe dich schließlich erfolgreich vergrault.“ Bela lachte laut. „Vergrault? Was für ein niedlicher Ausdruck für deinen Anfall von Selbstherrlichkeit! Aber das scheint wohl deine Art zu sein, diejenigen zu behandeln, die du liebst…“ „Ach, was weißt du denn schon.“ So langsam ging Farin diese Wahnvorstellung echt auf die Nerven. Schaltete sich immer dann ein, wenn es eh schon viel zu spät war, nur um ihm dann ewig lange Vorhaltungen machen zu können. „Okay, du Super-Klugscheißer. Dann verrat´ mir doch mal, was ich jetzt deiner Meinung nach tun soll.“ Bela zog spöttisch einen Mundwinkel nach oben. „Erstens: Warum sollte ich das tun? Welchen Grund sollte ich haben, einem jämmerlichen und bemitleidenswerten Geschöpf wie dir zu helfen? Hast du´ s verdient? Und zweitens: wieso fragst du mich, eine Halluzination, die nur in deinen Gedanken existiert, um Rat? Bist du bereits so verzweifelt? Ich dachte, du hast genau das erreicht, was du wolltest.“ Farin atmete hörbar aus, wandte den Kopf ab und sah zu Boden. „Das dachte ich zunächst auch. Nur… du weißt doch genau, was ich will. Wenn du schon in meinen Gedanken existierst, kennst du sie auch. Ich wollte Bela bestimmt nie verjagen. Ich wollte ihn… will ihn…“ Farin suchte angestrengt nach den richtigen Worten. „Ich weiß nicht, ob ich´s verdient habe. Sag mir lieber, was du eigentlich von mir willst. Außer mir aufzuzeigen, was für ein furchtbar dämlicher Mensch ich bin.“ „Eigentlich will ich mich nur über dich lustig machen und mich an deinen Qualen weiden.“ Farin fuhr herum. Seine Augen funkelten böse, er ballte seine Hände zu Fäusten. „Mensch, hast du ein Glück, dass du keinen Körper hast, den man berühren kann. Sonst würde ich dir jetzt dermaßen die Fresse polieren!“ rief er und sprang vom Sofa auf. Die Halluzination stand ebenfalls langsam auf, bewegte sich ein paar Schritte von Farin weg, grinste wieder dieses gemeine, höhnische Grinsen und sagte: „An deiner Stelle würde ich hoffen, dass Bela das morgen nicht mir dir tut.“ Mit diesen Worten verschwand er durch die Wand. Farin sah dem imaginären Bela noch eine Weile nach. Seine Hände hatten sich noch immer zu Fäusten verkrampft, sein Atem ging schwer und er keuchte. Dieses unendlich qualvolle Gefühl der Verzweiflung stieg wieder in ihm hoch und paarte sich mit dem bereits vorhandenen Gefühl der Wut. Hilflos sah er sich um, als ob er jemanden suchte, der sich seiner annahm und ihm aus dieser scheinbar ausweglosen Situation half. Tief in seinem Inneren hatte er das Bedürfnis, alles wieder gut machen zu wollen, doch ginge das überhaupt? Wie kann man einen Menschen, dem man abgrundtiefen Zorn entgegengebracht hat, dazu bringen, einem zu verzeihen? Vor allem, wenn dieser Mensch der ewige Dickschädel Bela B. ist? „Oh, gottverdammte Scheiße!“ Farin schrie seine Wut, seine Verzweiflung, seine Ohnmacht heraus, schleuderte diverse Einrichtungsgegenstände wild durch das Haus, zertrümmerte Geschirr, fegte seine Liedtexte vom Tisch, trat gegen Möbel. Dann hielt er inne, atmete schwer, stützte seine Hände auf das Sofa, hinter dem er stand, ließ sich mit dem Rücken langsam an der Rückseite des Sitzmöbels zu Boden sinken. Was hatte er getan? Was zum Teufel hatte er nur getan? Er verbarg sein Gesicht in seinen zittrigen Händen, versuchte angestrengt Luft zu holen, sein gesamter Körper bebte. Seine Umgebung verschwamm, wurde immer undeutlicher, und wieder stieg diese Hitze in ihm hoch, seine Nase begann zu laufen. Wie viel konnte ein Mensch wohl weinen, bis er keine Kraft und keine Tränen mehr dafür hatte? Wenn das so weiter ginge, würde Jan Vetter dies bald herausfinden. Die Zeit verstrich wie in Zeitlupe. Er saß einfach da, mit dem Rücken an das Sofa gelegt, und rührte sich nicht. Eine gespenstische Stille hatte sich über das Haus gelegt, man hätte eine Stecknadel auf den Teppichboden fallen hören können. Farins Gedanken waren leer, er fühlte sich wie betäubt, unfähig einen klaren, logischen Gedanken zu fassen. Ab und an seufzte er. Das war alles, was er tun konnte. Er hatte keinen Appetit, keine Lust sich zu bewegen, keine Motivation für irgendetwas. Er sah auf die Uhr. 18:20. Die Sonne schickte sich an, unterzugehen. Farin wünschte sich, mit der Welt würde das auch geschehen. Irgendwann stand er auf. Reckte und streckte sich ein wenig, weil sich die unbequeme Sitzhaltung bemerkbar machte. Um ihn herum heilloses Chaos. Er machte sich daran, aufzuräumen, Scherben einzusammeln, Möbel an die richtige Stelle zu rücken (Farin kannte sie genau), Gegenstände aufzuheben. Die leeren Blätter legte er zurück auf den Schreibtisch. Er entdeckte das zusammengeklebte Blatt, betrachtete es einige Zeit, faltete es zusammen und steckte es in die rechte hintere Hosentasche. Wenig später hatte er alles wieder hergerichtet und verspürte nun sogar ein Hungergefühl. Er kochte sich eine Kleinigkeit, setzte sich vor den Fernseher und ließ eine DVD mit einer Dokumentation über irgendein Land laufen. Er achtete nicht auf den Inhalt, war gedanklich noch immer in weiter Ferne. Die Augenlider wurden schwerer und er hatte Mühe, sie offen zu halten. Kurze Zeit später schlief er, müde und erschöpft von den Geschehnissen des Tages, mit dem Teller auf dem Bauch ein. Stunden später schlug er die Augen auf. Die DVD spielte das Menü in Endlosschleife ab. Das Essen war mittlerweile erkaltet. Farin stellte den Teller auf dem Wohnzimmertisch und ging ins Bad, um natürlichen körperlichen Vorgängen ihren Lauf zu lassen. Er musste das Licht anknipsen, da es mittlerweile stockdunkel geworden war. Kurz nach zehn. Ein kurzer Blick in den Spiegel ließ ihn erschrecken –er sah auf einmal um zehn Jahre gealtert aus. Tiefe Augenringe zeichneten sich deutlich in seinem Gesicht ab. Ein Schatten in der unteren Gesichtshälfte rief ihm in Erinnerung, dass er sich am nächsten Morgen vor dem Aufbruch rasieren sollte. Alter, du siehst aus wie ein abgehalfterter Penner. Er betrachtete eher zufällig das Bad durch den Spiegel hindurch. Rechts von ihm stand jemand. Sah ihn durch den Spiegel hindurch an. „Du schon wieder.“ Bela betrachtete ihn eingehend. „Du siehst fertig aus.“ „Das könnte daran liegen, dass ich es bin.“ Farin zog eine Augenbraue nach oben. Irgendwie war ihre Auseinandersetzung dieses Mal anders. Er musste auch feststellen, dass er in der Gegenwart des Geistes erstaunlicherweise dazu fähig war, klar zu denken… „Hey, was ist los? Du stichelst ja gar nicht! Ist dir die Lust daran endlich vergangen?“ Bela atmete hörbar aus. „Irgendwie… ich habe dich die letzten Stunden beobachtet. Ich kann mir den Grund nicht erklären, aber es hat mir zu denken gegeben. Du leidest mehr, als ich dachte.“ Farin musste lachen. Dann schüttelte er den Kopf und sah in das Waschbecken hinab. „So langsam frage ich mich, wer von uns der größere Idiot ist. Du scheinst keine Ahnung zu haben von dem, was du redest.“ „Der größere Idiot geht automatisch an dich, da ich nicht existiere.“ „Doch, du tust es.“ Farin drehte sich um. Bela war weg. Er musste die Stirn runzeln. „Tue ich nicht. Siehst du?“ ertönte die Stimme aus dem Spiegel. Farin wandte sich wieder dem Spiegel zu. Bela sah ihn mit einem triumphierenden Lächeln an. „Tja, mein Freund, sieht so aus, als ob ich wieder mal Recht behalten hätte.“ „Weißt du was, ich gönne dir diesen mickrigen Sieg. Ist mir egal.“ „Du weißt, dass ich erst dann gewonnen habe, wenn du dich wieder maßlos aufregst.“ „Ich fürchte, dazu bin ich momentan viel zu geschlaucht. Oder… Moment mal…“ Farin bemerkte, dass er innerlich völlig ruhig war. Vielleicht hatte er sich an die unangemeldeten Besuche der Erscheinung in Form von Bela gewöhnt. Es machte ihm nichts aus, dass dieser wieder versuchte, bis aufs Blut zu reizen. Im Gegenteil, er akzeptierte seine Anwesenheit sogar. Ihm wurde mit einem Schlag bewusst, dass Belas Gegenwart ihm half, seine Gefühle und die momentane Situation zu verstehen, so seltsam ihm das auch erschien. So beschloss er, sich auf das Spiel einzulassen und war bereits auf das Ergebnis gespannt. Farins Gesicht nahm einen neutralen Ausdruck an. Er sah Bela direkt in die Augen. „Okay, wenn du mich schon nicht aufziehen willst, was willst du dann?“ „Das musst du schon selbst herausfinden“, erwiderte Bela schnippisch und zog einen Mundwinkel nach oben. Er denkt, dass er mich wieder da hat, wo er mich haben will. Aber da irrt er sich. Dem werd´ ich´s zeigen. „Hmmm, lass mich raten. Dir ist langweilig und du suchst darin eine Beschäftigung, andere Menschen heimlich beim Schlafen zu beobachten. Und sogar beim Pissen.“ Bela musste lachen. „Nein, mein Lieber, ganz falsch. Nur zur Info, ich habe insgeheim eine Wette mit mir selbst abgeschlossen, wann dir der Teller vom Bauch rutscht und dir deinen schönen, teuren Teppich versaut. Aber du hast mich enttäuscht. Wär ein schöner Spaß gewesen, wenn du das beim Aufwachen bemerkt hättest. Hast geschlafen wie ein Stein.“ „Schade, dass du nicht über einen Körper verfügst, sonst würde ich dich jetzt bitten, den Fernseher auszuschalten“, entgegnete Farin gleichgültig und blickte desinteressiert drein. Bela kniff die Augen zusammen. „Hey, was soll das? Was ist los mit dir? Du verhältst dich so anders.“ Jetzt war es an Farin, triumphierend zu lachen. Er blickte Bela fest in die Augen und grinste ein wenig diabolisch. „Nun, was soll ich sagen? Deine jämmerlichen Versuche, mich zu ärgern, funktionieren nicht mehr. Hattest du ernsthaft geglaubt, dass ich mir das ewig gefallen lassen würde? Du kennst mich schlechter, als ich dachte.“ „Hahaha, das hättest du wohl gern. Aber ich muss dir mitteilen, dass ich noch ein Ass im Ärmel habe!“ Bela trat näher an Farin heran, bis er ganz dicht neben ihm stand. Er zog seine Augenbrauen nach unten, vertiefte sein Grinsen und fragte ebenso langsam wie leise: „Hast du dir schon überlegt, wie du reagieren wirst, wenn du morgen früh Bela begegnest? Was wirst du sagen? Wie wirst du dich verhalten?“ Farins Maske bröckelte und drohte zu verfallen, doch er nahm sich mit aller Kraft zusammen und beherrschte sich. „Ehrlich gesagt, nein. Aber dazu wird mir schon noch etwas einfallen.“ Nun sah Farin sich selbst in die Augen, und Belas Blick folgte dem seinen. Sein alter Kampfgeist war wieder erwacht, stärker als zuvor. Er musste es schaffen, er musste! „Ich werde ihn nicht einfach so aufgeben. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um seine Freundschaft zurückzugewinnen“, sagte er laut und bestimmt. Seine Augen wanderten wieder zu Bela. Die Konversation mit ihm hatte ihm unerwartet zu neuem Mut verholfen. Wenn er der Halluzination ein Schnippchen schlagen wollte, musste er offensiv vorgehen und das tun, was sie am wenigsten erwartete. Er durfte sich nicht länger verkriechen. Das hatte er schon lange genug getan. Bela hob seinen Kopf ein wenig. Sein Blick war klar und jegliche Boshaftigkeit verschwunden. Farin hielt seinem Blick stand. „Bist du dir da auch ganz sicher?“ fragte Bela vorsichtig. „Absolut sicher. Deine Kontrolle über mich ist ein für alle mal beendet. Du machst mir keine Vorwürfe mehr. Ich werde meinen Weg gehen, ob du es willst oder nicht.“ Farins Entschlossenheit ließ einige Augenblicke der Sprachlosigkeit bei Bela aufkommen. Der kleinere atmete tief ein, schloss für wenige Sekunden die Augen, und als er sie wieder öffnete, sagte er ruhig: „Du meinst es wirklich ernst, das kann ich spüren. Ich gehe davon aus, dass du dein Ding durchziehen wirst und nicht mehr ins Straucheln gerätst. Das hast du mir eben bewiesen. Damit wäre mein Auftrag hier wohl beendet. Schade eigentlich.“ Farin sah ihn überrascht an. „Was soll das, was meinst du damit? Ich verstehe nicht ganz…“ „Dann werde ich es dir erklären. Ich wollte dich mit Gewalt dazu bewegen, deinen alten Kampfgeist wieder aufzunehmen und dir bewusst machen, dass es für alles eine zweite Chance gibt. Doch dazu musstest du erst einmal begreifen, was geschehen ist, und mit dir und deinen Gefühlen ins Reine kommen. Und das hast du offensichtlich getan. Zugegeben, ich bin ein wenig stolz auf dich.“ „Dann hast du die ganze Zeit über versucht mir zu helfen und mich wieder aufzubauen? Obwohl ich dich verwunschen und beleidigt habe…“ Farin war gerührt von dem, was er hörte. Er war so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass er niemals hinterfragte, warum die Halluzination plötzlich und unerwartet erschien. Immer, wenn seine Gefühle und Emotionen so stark waren, dass sie ihn zu vernichten drohten, war dieser Bela zur Stelle und hinderte ihn daran, vor Schmerz zu vergehen, er lenkte ihn mit den eigentlich harmlosen Streitereien ab. Seinen neu gewonnenen Mut hatte er ihm zu verdanken. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll… du hast mir so sehr geholfen… danke, Mann, ehrlich.“ Bela lachte wieder. „Ach, keine Ursache, ist schließlich mein Job. Und wehe, du verkackst es morgen. Dann komme ich zurück und steig dir aufs Dach!“ Farin lachte, er fühlte sich so befreit und auch verstanden. Ihm war eine tonnenschwere Last von den Schultern gefallen. Es war das erste ehrliche Lachen seit zwei Tagen. Bela ging und richtete einen letzten gut gemeinten Rat an Farin: „Grüble nicht so sehr darüber nach, lass es einfach auf dich zukommen. Du wirst es schon schaffen.“ Dann war er verschwunden. Farin sah ihm noch lange Zeit nach, und erst als die Illusion verschwunden war, fielen ihm die ganzen ungefragten Dinge ein: wer war dieser geisterhafte Bela eigentlich? Wo kam er her? Was war er? Real - oder doch nur in seinen Gedanken existent? Die Antworten darauf würden ihm wohl immer verwehrt bleiben. Er ließ die letzten Tage und Stunden grob Revue passieren, bis er merkte, dass er doch ganz schön müde geworden war. Er knipste alle Geräte und Lichter aus und ging schlafen, denn der nächste Tag war von großer Bedeutung – für die Band und für ihn. Kapitel 11: ------------ KAPITEL 11 Der nächste Morgen brach an und Farin Urlaub wurde recht unsanft vom penetranten Piepsen seines Weckers aus dem Schlaf gerissen. Dieses Mal erwachte er in seinem Bett und in Shorts, anstatt in voller Montur am Schreibtisch. Er schlug mit der flachen Hand auf eine Taste des Weckers, die das Gerät zum Schweigen brachte. Ein kurzer Blick auf die Uhrzeit bedeutete ihm, dass er sich diesmal nicht abhetzen musste. Er rieb sich den Schafsand aus den Augen, räkelte sich kurz und setzte sich aufrecht hin. Nachdem er in seine Puschen geschlüpft war, trottete er ins Bad, entleerte sich und ging in die Küche, um Kaffee aufzusetzen. Der Morgen war klar und freundlich, und vereinzelt konnte Farin das Geräusch vorbei fahrender Autos vernehmen. Er fühlte sich gut. Er hatte gut geschlafen, seine innere Ruhelosigkeit war verschwunden, sein Gemütszustand hatte sich beruhigt. Ein viel versprechender Tag. Er konnte nicht glauben, dass er keine zwölf Stunden zuvor am Rande des Wahnsinns stand. Keine Halluzinationen mehr, keine Wutanfälle, keine Heulkrämpfe. Er schien aus dem gröbsten raus zu sein. Als er leicht fröstelte, fiel ihm auf, dass er immer noch nur in Shorts in der Küche stand. Also flitzte er zurück in das Schlafzimmer, zog sich die Kleidung des Vortags an, machte sich Frühstück und sprang danach unter die Dusche. Von seinem Anblick im Spiegel war er allerdings nicht sehr begeistert. Die Gefühls-Achterbahn der letzten Tage hatte ihre Spuren hinterlassen. Seine Augenringe waren noch tiefer und dunkler als sonst, und er hatte das Gefühl, dass sich über Nacht einige Falten zu den bereits vorhandenen gesellt hatten. Alter, so kannst du nicht rum rennen. Da werden sie dich den ganzen Tag fragen, weshalb du heute so scheiße aussiehst. Ach, verdammt. Nachdem er den Bartstoppeln zu Leibe gerückt war, fischte er seine Lieblingskappe von der Garderobe und setzte sie sich auf den Kopf, tief ins Gesicht. Das erspart mir schon das Hochtoupieren, dachte er lakonisch und packte seine Sachen zusammen. Schön gemütlich, ohne Hast und Eile. Noch kurz alles aufräumen, etwas Ordnung schaffen, und wenn alles fertig ist, ruhig und gelassen ins Auto steigen und zum Tonstudio fahren. Dort angekommen, fuhr er in Schrittgeschwindigkeit auf den Parkplatz, stellte sich in „seine“ Parklücke und lief die Treppen zum Studio hinauf. Ganz ruhig, keine Hektik, keine Aufregung. Als er gerade die Tür öffnen wollte, hielt er inne. Er drehte sich langsam um, um den Parkplatz zu überblicken, auf der Suche nach dem Auto von… Da stand es. Farin musste schlucken. Er ist schon wieder vor mir da, verdammt. Das macht er doch mit Absicht. Plötzlich überkam ihn Panik. Was sollte er tun? So tun, als ob nichts gewesen wäre, damit die anderen nichts merkten? Ihn ansprechen? Gar nichts sagen? Grüßen oder nicht? Am liebsten wäre Farin wieder ins Auto gestiegen und davon gefahren. Doch er erinnerte sich daran, dass er kämpfen wollte, Bela zurück gewinnen wollte. So atmete er tief ein und aus und öffnete die Tür. Der lange Flur war beleuchtet, keine Menschenseele zu hören oder zu sehen. Farins Herz schlug schneller, bis zum Hals. Er versuchte gelassen auszusehen und sich nichts anmerken zu lassen. Seine Furcht vor einem Wiedersehen mit Bela drohte ihn erneut zu lähmen. Er nahm seine Umgebung nicht mehr wahr. Dann merkte er, wie er gegen etwas prallte, als er gerade um die Ecke biegen wollte, und musste stehen bleiben. Er zuckte zusammen, denn er hatte nicht ansatzweise bemerkt, dass ihm etwas im Wege stand. Oder besser gesagt: jemand. Dieser Jemand sah zunächst an ihm hoch, musterte ihn kurz, sah wieder weg und schickte sich an, wortlos an ihm vorbeizugehen. „Dirk!“ Nach wenigen Metern blieb er stehen. Drehte sich aber nicht um. „Was willst du!“ „Ich…“ Und schon wieder war er sprachlos. Die Angst, etwas Falsches zu sagen, lähmte sein Sprachzentrum, ein dicker Kloß im Hals hinderte ihn, auch nur einen Ton von sich zu geben. „Wenn du nichts zu sagen hast, kann ich ja gehen“, meinte Bela schroff und setzte sich wieder in Bewegung. „Warte, Bela, ich…“ rief Farin panisch, doch der Ältere ignorierte ihn und lief davon. Farin war wie gelähmt. Schon wieder. Er starrte mit leicht geöffnetem Mund stumpf vor sich hin. Das durfte nicht wahr sein. Etwas Falsches sagen, davor hatte er Angst, und konnte nicht damit rechnen gar nichts zu sagen. Irgendetwas ihn ihm ließ seine Beine einen Schritt vor den anderen setzen, und so folgte er ohne darüber nachzudenken Bela. Der Drummer stand auf den Treppen und schien in Gedanken zu sein. Farin öffnete leise die Tür, ohne jedoch das Gebäude zu verlassen. Verdammt, was tue ich hier eigentlich? Wieso bin ich ihm gefolgt? Er wird mit Sicherheit nicht sehr erfreut sein, mich hier zu sehen. Vielleicht sollte ich einen besseren Zeitpunkt abwarten und wieder gehen. So drehte Farin sich leise um und wollte die Tür wieder schließen, doch sie hinterging ihn und machte Bela auf ihn aufmerksam, indem sie quietschte. Bela fuhr herum, und während Farin innerlich wüste Flüche ausstieß, vernahm er die Stimme des Mannes, der für ihn alles bedeutete. „Sag mal, hast du sie noch alle?! Was machst du hier?“ „Nichts. Wie du siehst, wollte ich gerade wieder gehen“, erwiderte Farin leise und tonlos, mehr an sich selbst gerichtet. Langsam wollte er, gesenkten Hauptes, die Tür wieder schließen, als er merkte, dass sie ruckartig aufgerissen wurde. Er drehte sich um. Bela stand dicht vor ihm und funkelte ihn wütend an. „Begreifst du eigentlich, was du hier für eine Scheiße abziehst? Das ist das letzte, Jan Vetter, wirklich das allerletzte! Hast du vergessen, was ich dir auf den AB gesprochen habe? Verpiss dich!“ Um Belas Nase herum hatten sich Zornesfalten gebildet. Er meinte es todernst. Farin jedoch witterte in dieser Aussage seine Chance. „Ich habe den Anrufbeantworter nicht abgehört. Wieso, was hast du denn gesagt?“ Farin wusste, dass das hochprovokativ war. Wie er so dastand und Bela mit kühlem Blick diese Worte entgegenbrachte, als ob es ihm gleichgültig sei. Was hatte er schon zu verlieren. Bela sah ihn noch einige Sekunden an, dann wandte er sich ab. „Bela, ich hatte meine Gründe, so zu reagieren. Ich weiß, dass es scheiße von mir war, aber es tut mir von Herzen Leid, ehrlich. Ich wollte das nicht sagen! Gib mir wenigstens eine Chance!“ Farin ließ seine Verzweiflung in seine Worte mit einfließen, denn er wollte dieses eine Mal ehrlich zu Bela sein. Er hoffte auf Belas Großmütigkeit, sein Herz, in dem fast jeder Mensch auf diesem Planeten einen Platz hatte. Und es brach Farin das Herz, dass Bela diesmal kalt wie Eis blieb. „Deine Gründe interessieren mich nicht. Genauso wenig wie ich dich zu interessieren scheine. Anstatt zu bedenken, dass ich gerade genug eigene Schwierigkeiten habe, denn meine Ex-Freundin hat mich immer noch verlassen, falls du das vergessen hast, beleidigst und verletzt du mich auf die schlimmste Art und Weise. Wer solche Freunde hat… du kennst ja das Sprichwort. Scheiß Egoist. Lass mich endlich in Ruhe.“ Farins Augen weiteten sich. Daran hatte er überhaupt nicht mehr gedacht. Daran, dass Bela noch vor zwei Tagen so traurig und niedergeschlagen war, weil – wie hieß sie noch gleich? – ihn verlassen hatte. Und dann kam er an, kümmerte sich DENNOCH um Farin, als dieser einen Tag später dieselben Gefühle erlitten hatte. Und was tat er? Jagte Bela mit all seinem Schmerz und all seiner Liebe zum Teufel. Farin fühlte sich mit einem Male furchtbar elend. Als er realisierte, was er angerichtet hatte, wäre er so gern einfach vom Erdboden verschluckt worden. Hätte am liebsten sofort aufgehört zu existieren. Wäre vor Scham im Boden versunken. Sein schlechtes Gewissen schlug und hämmerte unerbittlich und erbarmungslos auf ihn ein, sein Magen stimmte in die Meuterei mit ein. Sein Körper gehorchte ihm nicht länger und fing an zu zittern. Es ist vorbei, und nichts in der Welt wird es je wieder gutmachen können… Wie in Trance zog Farin den Zettel hervor, den er sich tags zuvor in die Hosentasche gesteckt hatte. Er knüllte ihn in einer Hand zusammen, zitterte vor Ohnmacht, kämpfte mit den Tränen. Schon wieder. Bela stand mit dem Rücken zu ihm. Sagte nichts, tat nichts, bewegte sich nicht. Soll es das gewesen sein…? Farin sah langsam auf. Langsam ging er auf Bela zu, ganz langsam. Streckte die Hand leicht aus. Atmete schwer. „Hier… den wolltest du doch unbedingt. Kannst ihn behalten. Ist eh … an dich...“ Bela konnte Farin kaum verstehen. Er sprach leise und gebrochen, mit bebender, zittriger Stimme. Bela drehte den Kopf und sah Farin über die Schulter hinweg an. Auch sein Blick war leer. Er glitt an Farin hinunter zu der ein wenig ausgestreckten Hand und registrierte die Papierkugel darin. Langsam nahm er sie an sich, da seine Neugier siegte. Augenblicklich wandte Farin sich ab, spurtete die Treppen hinauf und rannte ins Gebäude zurück. Kapitel 12: ------------ KAPITEL 12 Ich hab gesagt, du interessierst mich nicht mehr Jetzt merke ich, es ist ziemlich schwer Ich hab gesagt, du bist mir egal Jetzt seh ich dein Gesicht überall… Es war unheimlich dunkel und nicht ein Geräusch durchdrang die Stille, die sich wie eine Wand über den kalten, betonierten Raum gelegt hatte. Die Luft war abgestanden und muffig. Durch die fehlenden Fenster fühlte sich der Raum wie ein Gefängnis an. Viele verschieden große Kisten waren hier gestapelt, mit den unterschiedlichsten Inhalten. Manche standen hier erst seit kurzem, manch andere schon immer, und waren in Vergessenheit geraten, weil niemand sie vermisste. Die Tür wurde von innen versperrt, da ein Besen unter den Türgriff geklemmt worden war. Irgendwo, in der hintersten, verstecktesten Ecke dieses Abstellraumes, hockte Farin Urlaub, mit an den Körper gezogenen Beinen, die Arme fest um sie geschlungen, den Kopf auf den Knien. Er war nicht mehr dazu fähig, seine Umgebung wahrzunehmen, der Schock saß so tief. Seine langen, filigranen Finger hatten sich tief in seine Ellbogen gekrallt, so fest, dass es schmerzte. Doch Farin registrierte diesen Schmerz nicht. Sein Herz schlug so heftig, dass er befürchtete, es könne jeden Augenblick implodieren. Er wusste nicht, ob er diesen unwahrscheinlichen Fall ersehnen sollte oder nicht. Alle Hoffnungen, alle Vorsätze, alles wovon er geträumt hatte – zunichte, zerstört, getötet. Genau wie er und seine Gefühle. Es war ihm, als sei er eine Porzellanfigur, die unachtsam auf den Boden fallen gelassen wurde und in eine Millionen teile zersprang. Am liebsten hätte er geweint, doch er konnte es nicht. Es ging nicht. Er wusste, dass er nicht bis ans Ende seiner Tage hier unten sitzen bleiben konnte, doch konnte er auch unmöglich zu den anderen zurück kehren. Zu Bela. Du weißt doch, dass du es musst. Schließlich seid ihr hier, um ein Album aufzunehmen. Reiß dich zusammen. In Selbstmitleid versinken kannst du auch noch, wenn du wieder daheim bist. Farin drehte seinen Kopf langsam in alle Richtungen. Da war niemand. Es war eine Stimme in ihm drin, die ihn daran erinnerte, dass er immer noch der Gitarrist der Besten Band der Welt war. Wie lange diese unter den gegebenen Umständen auch immer noch existieren würde. Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum. Alles, was er im Leben erreicht hatte, drohte ihm genommen zu werden. Die Angst vor diesem Verlust war wie ein schleichendes Gift, das sich seines Körpers bemächtigte und ihn immer mehr von innen heraus zerstörte. Wenn Bela nicht mehr da war, würden auch Die Ärzte verschwinden, Rod würde verschwinden, das Racing Team möglicherweise auch… dann hätte er nichts mehr. Und ihm wurde bewusst, dass er einen Traum niemals leben können würde: ein gemeinsames Leben mit dem wichtigsten Menschen auf Erden für ihn, der ihn sein ganzes Leben durch begleitete. Mit dem Menschen, der immer bei ihm war, egal wie viele Kilometer sie räumlich voneinander trennten. Mit dem Menschen, ohne den er sich ein Leben nicht mehr vorstellen konnte, schon lange nicht mehr. Dirk Felsenheimer. Bela B. Der Graf. So viele unzählige Namen, so viele Gesichter, doch nur ein Herz, das er liebte. Farin lehnte sich gegen die Wand und schloss die Augen. Da war Bela, wie er auf der Bühne eine seiner legendären Ansagen zum Besten gab, deren Ziel selbstverständlich niemand anderes als Farin war. Da war Bela, wie er auf dem Konzert in der Berliner Wuhlheide an Farins Seite kam, ihn wortlos in die Arme schloss und sagte: „Alter, weißt du noch? 1980, Übungsraum Spandau. Und jetzt sieh dir das hier an.“ Vor 20.000 Fans. Da war Bela, wie sich wie ein kleiner Junge darüber freute, Farin an seinem Geburtstag als Erster eine Torte ins Gesicht geklatscht zu haben. Da war Bela, wie er völlig verträumt und in Gedanken versunken dabei stand, als Farin „Nichts in der Welt“ einsang. Da war Bela, wie er nach fünf Jahren Trennung 1993 vor seiner Haustür stand und verlegen sagte: „Jan, ich hab deinen Brief gelesen…“ Wie sehr wünschte sich Farin, dass sich dieser Moment wiederholen würde. „Jan, ich hab diesen Songtext gelesen. Du hast gesagt, er sei an mich gerichtet. Willst du mir damit etwa sagen, dass du…“ „Ja, genau das will ich dir damit sagen. Ich liebe dich, mehr als alles andere auf der Welt.“ Jan schlug die Augen wieder auf. Alles bloß dumme Fantasien. Hör auf von dem zu träumen, was du nicht kriegen kannst. Du zerstörst dich damit nur selbst. Mit einem resignierenden Seufzer erhob er sich und trat den Weg zum Aufnahmeraum an. Es herrschte das übliche Durcheinander. Jeder warf sich irgendwelche Sachen an den Kopf, keiner verstand den anderen. Bela wollte den Bass lauter, Rod wollte ihn leiser. Uwe wollte, dass endlich alle die Klappe halten, damit er sich auf seine Arbeit konzentrieren konnte. Kai Sehr wollte, dass Bela endlich mal still hielt, damit er ein unverwackeltes Foto von ihm machen konnte. Als Farin den Raum betrat, drehten sich einige Köpfe mit einem unverhohlenen Ausdruck der Überraschung zu ihm. Farin blickte über ihre Köpfe weg und schnappte sich seine Black Hawk. „Gut, dass ihr schon angefangen habt. Worum geht´s?“ fragte er neugierig, bemüht, seine Trauer mit Hilfe der Musik im Keim zu ersticken. Und weil er den ihrerseits neugierigen Fragen auf seinen Verbleib aus dem Weg gehen wollte. Uwe spielte ihm die Tonspur von „Breit“ vor, die sie bis jetzt hatten. „Bass lauter oder leiser?“ „Weder noch. Der bleibt so.“ „Na toll“, stöhnte Rod. „Drei Männer, drei Meinungen. Wie immer.“ „Wieso fragt ihr mich, wenn ihr meine Antwort nicht akzeptieren könnt?“ entgegnete Farin barsch. „Erstens weil du unser Gitarrist bist und zweitens war das nicht so gemeint “, entgegnete Rod beschwichtigend. „Ich würde sagen, Jan spielt jetzt mal die Gitarrenspur ein, und dann sehen wir ja wie´s rüberkommt.“ Belas Stimme klang kühl und gefühllos. Farin konnte nicht fassen, mit welcher Gleichgültigkeit er sprach. Er saß mit dem Rücken zum Schlagzeuger und wagte nicht, auch nur einen Blick über die Schulter zu werfen. Er hoffte nur inständig, dass dieser Zustand nicht während der ganzen Aufnahmen so blieb. Farin spielte seine Gitarrenspur ein, und somit war das Grundgerüst zu „Breit“ fertig. Nur doch der Gesang und das Mastering fehlten. Während sie alle darüber beratschlagten ob das Lied in der Form aufs Album könne, schnappte sich Farin eine Akustik-Gitarre und begann eines seiner neuen Stücke zu singen. „Nur einen Kuss, mehr will ich nicht von dir. Der Sommer war kurz, der Winter steht vor der Tür. Wenn du mich nicht küsst, bleibst du vielleicht allein, und wer will schon im Winter alleine sein?“ Die Gespräche verstummten augenblicklich, und jeder sah und hörte Farin beim Spielen zu. Farin indes musste wehmütig lächeln, als er feststellte, wie gut diese Zeilen zu ihm und Bela passten. „Wow… da bekommt man echt eine Gänsehaut“, brachte Rod seine Emotionen zur Sprache. „Ich habe bisher eigentlich nur den Text gelesen, muss ich zugeben. Wenn das auf dem Album genauso klingt, werden wir viele Mädels zum Weinen bringen, glaube ich.“ „Ich werde mir Mühe geben“, erwiderte Farin und versuchte so ehrlich wie möglich zu lachen. „Danke, Rodrigo.“ Bela ließ seinen Blick abschätzig durch den Raum schweifen. „Können wir dann endlich weitermachen?“ drängelte er genervt. Farin sah ihn an und ihm fiel sofort der Blick des Schlagzeugers auf, wie er versuchte seinen Zorn zu verbergen und ebenfalls versuchte, Farin nicht verbal an die Wand zu klatschen. Sie machten noch zwei Lieder fertig, die sie später „Lied vom Scheitern“ und „Licht am Ende des Sarges“ nannten. Bela war an jenem Tag richtig gut drauf und legte ein einwandfreies Drumming hin. Farin wunderte es sehr, dass der Bandälteste trotz all der Vorkommnisse so ruhig und gelassen bleiben konnte, nebenher noch den einen oder anderen Witz riss und sogar einigermaßen anständig mit ihm reden konnte, wenn es die Arbeit an der Platte betraf. Doch auch wenn die Worte des dunkelhaarigen Schlagzeugers ruhig und sachlich über seine Lippen kamen, konnte Farin in seinen Augen genau das Funkeln erkennen, und seine Mimik sprach genau das Gegenteil von dem, was er tatsächlich sagte. Farin musste in solchen Momenten mehr als einmal schlucken, denn insgeheim fürchtete er einen versteckten und gut getarnten Angriff des Mannes, den er vor gar nicht all zu langer Zeit seinen besten Freund nennen durfte. „Nein, ich fände es nicht besser, wenn du die Gitarre in den Strophen ebenfalls verzerren würdest. Es ist nämlich beabsichtigt, dass der Refrain um einiges lauter wird“, erklärte er Farin gerade ruhig, aber dennoch gereizt, als sie sich über Belas üblichen Vampir-Song unterhielten. Farin versuchte sich zu wehren. „Ich hab doch lediglich gemeint, ob…“ „Ist mir egal, Jan. Nein heißt nein und damit fertig. Ich rede dir bei den Arrangements deiner Songs schließlich auch nicht rein, oder?“ Mit diesen Worten wandte Bela sich ab und ließ Farin einfach stehen. Farin kniff die Augen zusammen. Alles was recht ist, aber so auch nicht! „Dirk, das ist wenig professionell, was du hier bringst, das weißt du!“ Ach, verdammte Kacke! Wieso muss ich auch immer das letzte Wort haben! Wie auf Kommando machte Bela auf dem Absatz kehrt und sah Farin mit wutentbranntem Blick direkt in die Augen. Er ging auf ihn zu, bis er direkt vor ihm stand, ihre Körper berührten sich fast. Farin wusste nicht, ob er Bela mit Angriffslust oder Kapitulation begegnen sollte. Einige unendliche Sekunden sahen sie sich einfach nur in die Augen, und Farin registrierte enttäuscht, dass in Belas Augen nicht eine Spur Liebe und Freundschaft mehr für ihn lag. Als ob der einen Teil seiner Erinnerungen einfach gelöscht hatte und Farin für ihn nie existierte. Belas Kehlkopf hüpfte unruhig auf und ab, und Farin hörte das Atmen des Kleineren lauter als sein eigenes. Er wusste, dass das kein gutes Zeichen war. Doch er vergaß, dass Bela stets für eine Überraschung gut war. „Du hast Recht. Entschuldige bitte. Wird nicht wieder vorkommen.“ Dieser Mistkerl! Die vielen Jahre der Schauspielerei machten sich bemerkbar. Farin war der einzige, der wusste, dass Belas Worte von vorn bis hinten gelogen waren. Seine Stimme war in diesem Moment so ruhig, so sanft, und dennoch versprühten seine Augen reines Gift. Seine Worte troffen nur so vor Ironie. Und jetzt stand natürlich Farin wie der böse Bube da. Die umstehenden Kollegen wussten nicht, wie sie diese merkwürdige Szene einordnen sollten. Rod jedoch hatte den Braten sofort gerochen und atmete hörbar aus. „Nicht schon wieder“ war das einzige, das er murmelte, eher er den Feierabend ausrief und der Arbeitsgemeinschaft vorschlug, noch eine Pizza zu bestellen und danach noch etwas trinken zu gehen. Die Gesprächsthemen während des Essens waren recht belanglos. Kino hier, Fußball da, Musik dort. Rod erzählte, dass sein Schloss mittlerweile ausgetauscht wurde und es ansonsten noch keine Hinweise auf den Täter gab. „Wie wär´s mit so ´nem richtig großen Wachhund, hä?“ schlug Uwe vor, während er noch kaute. „Ääähm… schlecht, gaaanz schlecht…“ warf Bela mit einem gespielt ängstlichen Blick ein, und alle lachten. Na ja, alle außer Farin natürlich. „Oh, sorry, da war ja noch was“, erinnerte Uwe sich. „Du hast ja so´ n Problem, was Hunde angeht, nicht?“ ergänzte er feixend. Farin musste schmunzelnd an Belas Reaktion denken, als er zum ersten Mal den Hund sah, den er sich vor vielen Jahren angeschafft hatte: „Ey scheiße, bist du irre? Schaff mir bloß die blöde Töle vom Hals!“ „Jetzt reg dich ab, Felse, der ist total harmlos! Streichel ihn doch mal!“ „Einen Scheiß werde ich tun! Mach dass das Vieh wegkommt oder ich gehe!“ „Och Mensch, stell dich doch nicht so an! Feuer mit Feuer bekämpfen!“ „Das interpretiere ich als Einladung, den Flohsack anzuzünden!“ „Ey, lass das Feuerzeug stecken! Hast du sie noch alle?! Gleich befehle ich ihm, dich zu beißen…“ Mehrmaliges Rufen von Rod holte Farin wieder in die Realität zurück. Jetzt, wo alles so unsagbar anders geworden ist, fühlt sich die Vergangenheit wie eine Reihe endloser Träume an. Als ob all das lediglich in seinen Gedanken passierte. Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf Bela und blickte dann Rod an. „Was ist? Was gibt es?“ fragte er, immer noch geistig abwesend. „Kommst du jetzt dann mit oder was?“ „Wohin denn?“ „Na, was trinken, schon vergessen?“ „Ach so…“ Farin musste wirklich überlegen, ob er das wollte. Immerhin bedeutete das, dass er den restlichen Abend mehr oder weniger in Belas Gesellschaft war. Denn jener war einem feucht-fröhlichen Abend nie abgeneigt. Der Blick des Schlagzeugers blieb an Farin haften, als dieser sich mit der Entscheidung äußerst schwer tat. Der Blonde wusste genau, dass Bela insgeheim hoffte, er würde dankend verneinen. Aber Farin wollte einfach nicht akzeptieren, dass all die schönen Jahre, die vielen gemeinsamen Erlebnisse der Vergangenheit angehören sollten. Jedes mal, wenn er versuchte, sich ein Leben ohne Bela vorzustellen, errichtete sein Gehirn eine Art innere Sperre, als ob es ihm melden wolle, dass diese Vorstellung unmöglich sei, dass dafür keine Bilder und Informationen vorhanden seien, wie eine Fehlermeldung eines technischen Gerätes. Als ob es ihm sagen wolle: wie kann ich dir etwas zeigen, dass es nicht gibt, das echt nicht gab, dass es niemals geben wird? Vielleicht, nur vielleicht, war dieser gemeinsame Abend die allerletzte Chance, alles wieder ins Reine zu bringen. Farin konnte nicht anders, als sich an diesen rettenden Strohhalm zu klammern, der ihn aus einem unendlichen tiefen Sumpf der Verzweiflung retten sollte. Die Wahrscheinlichkeit des Gelingens lag freilich bei unter einem Prozent. Doch es war möglicherweise die letzte Gelegenheit. Farin erwiderte Belas Blick. Doch während der quirlige Schlagzeuger die Brauen nach unten zog, sah Farin ihn mit dem herzerweichendsten Blick an, den er aufbringen konnte. Wieso verstehst du nicht, dass es niemals eine Zukunft ohne uns als Team geben kann? Ich weiß, du würdest spätestens nach ein paar Monaten von selbst ankommen, aber so lange kann ich nicht warten. Der Gedanke, ohne dich zu sein, bringt mich um den Verstand. Ich werde dir beweisen, dass du mir wichtig bist, du wirst schon sehen! Farin drehte das blonde Haupt langsam zu Rod. Sein Blick strahlte Entschlossenheit und Zuversicht aus. „Klar komm´ ich mit! Bin schon lange nicht mehr unter Menschen gewesen. Lasst uns noch ein wenig abfeiern!“ Farin nahm aus dem Augenwinkel zur Kenntnis, dass Bela mit den Augen rollte und den Blick abwand. Aber es war ihm egal. Jetzt gab es eh kein Zurück mehr. Kapitel 13: ------------ KAPITEL 13 Sie beschlossen eine urige Kneipe aufzusuchen, da man Bela ums Verrecken nicht in einen Schuppen bringen konnte, in dem seichte Popmusik oder schlimmeres lief. Die Heavy Metal Fraktion der Truppe holte sich ein paar Bier aus dem Kühlschrank, um schon mal „Vor zu tanken“, wie sie es nannten. Als sie das Gebäude verließen, bemerkte Farin, wie sein Schuh etwas vor sich liegendes trat. Es war ein zusammengeknülltes Stück Papier. Neugierig bückte er sich, hob es auf, entfaltete es in einer dunklen Vorahnung und tatsächlich: es war der Liedtext, den er Bela geschenkt hatte. Wahrscheinlich hat er ihn nicht einmal gelesen. Er glättete das Papier auf seinem Schenkel und faltete es sorgsam zusammen, um es sich wieder in die Hosentasche zu stecken. War besser, wenn niemand es finden konnte. Auf dem Fußmarsch schmetterten Bela und Rod, Arm in Arm und mit je einer Flasche des Grundnahrungsmittels in der Hand, einen Kiss-Song nach dem anderen. Einige Meter hinter ihnen gingen Farin, Uwe und die anderen Crew-Mitglieder, die mitkamen (Yentzi, Mattn und Lüde) nebeneinander her und unterhielten sich locker. Farin versuchte zu vermeiden, Bela anzusehen, um sich auf die Gespräche zu konzentrieren und sich abzulenken, aber auch, weil ihm die beiden Bandmitglieder mit ihren Bierflaschen und mehr gegrölten als gesungenen Liedern etwas peinlich waren. „Alter, wenn das so weiter geht, werden wir uns die nächsten Wochen ausschließlich von Pizza ernähren“, meinte Yentzi gerade lachend und streichelte sich über den Bauch. Farin zuckte nur mit den Schultern. „Und wenn schon. Machen eh nicht sonderlich satt, die Dinger“, entgegnete er. „Dich natürlich nicht, du Vielfraß, du hast ja eh ständig Kohldampf!“ rief Lüde und lachte laut. „Hey, wenn du so groß wärst, würdest du auch mehr zu futtern brauchen“, erwiderte Jan Vetter zu seiner Verteidigung und knuffte Lüde leicht in die Schulter. Tatsächlich überragte Farin Urlaub seine Freunde um teilweise mehr als einen Kopf. Dass das nicht immer von Vorteil war, merkte er dann, wenn er Kleidung oder Schuhe kaufen wollte. „Das sind ein Meter 94 geballte Energie!“ ergänzte er und lachte dreckig. Ja, er war endlich wieder gut drauf. Die Gesellschaft seiner engsten Freunde tat ihm gut. Er hätte es wohl bereut, wenn er sie nicht begleitet hätte. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Gesichtszüge. Der Abend versprach vielversprechend zu werden. Und wenn er Glück hatte, würde Bela endlich wieder aus seinem eisigen Kerker herauskommen. „Oh, sie haben auf Ärzte-Lieder umgeschwenkt“, stellte Mattn fest, als er Bela und Rod kurz zuhörte, die nun aus vollem Hals „Hurra“ sangen. Farin verzog das Gesicht, denn das taten sie in der Regel nur dann, wenn der Alkoholpegel äquivalent zur Stimmung anstieg. „Und dabei sind wir noch nicht mal da…“ bemerkte er und seufzte. Manchmal waren die beiden einfach unmöglich. Bela tat indes alles Menschen mögliche, um Farin zu ignorieren. Deswegen klammerte er sich auch so an Rod, vermutete Farin. Er wusste nicht, ob den anderen die schlechte Stimmung zwischen den beiden aufgefallen war, denn falls es das war, sagte keiner etwas dazu. Wohl auch in dem Wissen, dass dies äußerst unklug wäre. Sie erreichten eine Kneipe, die von außen relativ vergammelt und ungepflegt aussah. Farin verzog leicht angewidert das Gesicht. „Na, hoffentlich sind zumindest Tische und Stühle benutzbar“, kommentierte er die Örtlichkeit. Bela grinste nur breit. Es war hinreichend bekannt, dass er genau diese Art von Absteigen am besten fand. Die Kneipe selbst war rustikal gehalten. Alte Holztische und –bänke luden die Gäste zu einem alkoholreichen Umtrunk ein. Auch der lange Tresen war komplett aus Holz. Verschiedene Poster, zum Teil von Bands, und anderer Schmuck wie Tierschädel zierten die Wände. In einer der Ecken hing eine große USA-Flagge. Sie spielten gerade einen alten Song von Motörhead. Bela freute sich: sie waren in einer waschechten Rocker-Kneipe gelandet. Männer verschiedenen Alters, jedoch allesamt in Lederkluft oder zumindest alten Jeans, hatten sich hier versammelt. Der Geräuschpegel war beachtlich. Es wurde geredet, gelacht, mit den Gläsern und Flaschen angestoßen, gerufen und gegrölt. Farin zog nur eine Schnute. Genau diese Spezies Mensch sollte ihm immer ein Dorn im Auge sein. Bela, Rod und der restliche Haufen liefen sofort zielstrebig zum Tresen und orderten die verschiedensten alkoholischen Getränke. Nun kam der problematische Part für Farin Urlaub… Er schlenderte langsam hinterher und sah den Barkeeper fragend an. „Und, was darf´ s für dich sein?“ fragte der bärtige Mann freundlich, und er schien keinen von ihnen zu (er)kennen. Farin war zunächst leicht irritiert, da der Wirt ihn duzte, ging aber kommentarlos darüber hinweg. Er bereitete sich innerlich schon mal auf die üblichen Kommentare vor. Die anderen hatten sich bereits auf die Suche nach einem Tisch gemacht. Lediglich Bela blieb stehen und sah sich interessiert um. „Einen Tee, wenn ihr welchen da habt. Vorzugsweise Pfefferminz.“ Farin versuchte so ruhig und ernst wie möglich zu klingen. Der Barkeeper glaubte sich verhört zu haben und sah Farin überrascht an. „TEE?! Ist das dein Ernst? Das hab ich ja hier noch nie gehört! Kommt in eine Rockerkneipe und will TEE!“ Farins Mine verfinsterte sich. Dankeschön, du Arsch, dachte er grimmig, dass du die halbe Kneipe auf mich aufmerksam gemacht hast. Bela drehte sich zu ihm um und warf ihm einen spöttischen Blick zu. Farin war weiterhin damit beschäftigt, den Barkeeper anzufunkeln, als eine unbekannte Stimme die Kneipe erfüllte. „Ey, lasst mich mal durch! Ich will sehen, welcher Sitzpisser sich hier Tee bestellt!“ Die Stimme gehörte zweifelsohne einem Gast, der einige Gläser über den Durst getrunken hatte. Der große, bärenhafte Rocker, in Lederjacke und Kopftuch gekleidet, mit langen Haaren und ebenso langem Bart, baute sich vor Farin auf, auch wenn er trotz seiner imposanten Gestalt etwas kleiner als der Anti-Alkoholiker war. Farin zog einen Mundwinkel nach oben und wendete sich wieder dem Barkeeper zu. „Also kein Tee. Na gut. Wie sieht´s mit Milch aus? Oder Wasser? Oder einem Glas Saft?“ Er gab sich keine Mühe, den gereizten Unterton in seiner Stimme zu verbergen. Die umstehenden Gäste brachen in Gelächter aus. Farins Blick blieb jedoch stur an dem Barkeeper haften, der seinerseits ein Lachen unterdrücken musste. „Na hör mal“, sagte er schließlich lachend, „du bist doch ein Kerl gestandenen Alters. Da wirste ja wohl mal was Erwachsenes trinken wollen, oder nicht?“ Einzelne Zustimmungsrufe waren zu vernehmen. Farin hatte mittlerweile jedoch die Faxen dicke und keine Lust mehr, sich zum Gespött der Leute machen zu lassen. Rod und die anderen nahmen beunruhigt zur Kenntnis, dass sich der Gesichtsausdruck des Farin Urlaub verdunkelte wie eine Gewitterwolke. „Scheiße, das ist nicht gut“, meinte Rod unheilvoll und schickte sich an, sich durch die Menge zu drängeln, doch es war kein Durchkommen möglich. „Wenn ihr wirklich so erwachsen wärt, wie ihr vorgebt“, intonierte Farin laut, aber mit ruhiger, tiefer Stimme, „würdet ihr euch auch dementsprechend verhalten und euch nicht aufführen wie Kleinkinder, die sich über jeden Scheißdreck amüsieren und überall einmischen. Was ich mir bestelle, hat euch einen feuchten Dreck zu interessieren, kapiert?!“ Die Menge verstummte nun, doch die zunehmende Aggressivität war deutlich in der Luft zu spüren. Farin machte den Fehler, sich überlegen und als Sieger zu fühlen. Er vernahm Belas Lachen. „Na denn, prost!“ rief der Schlagzeuger vergnügt und hielt sein Whiskey-Glas zum Toast in die Höhe. Einer der umstehenden ergriff das Wort. „Hey, warte mal, dich kenn ich doch irgendwo her! Bist du nicht dieser Gitarrist der… wie hieß die Band noch mal?“ „Die milchtrinkenden Weicheier!“ warf der Sitznachbar neben dem Mann ein, und die Rocker brachen in schallendes Gelächter aus. Farin war in bester Frotzel-Laune. „An deiner Stelle wär ich vorsichtig, vielleicht ist es ja die Milch deiner Alten!“ Farin krönte diese Aussage mit einem diabolischen Grinsen. Irgendjemand schnappte erschrocken nach Luft. Farin konnte nicht sehen, dass es Rodrigo war. Sofort kehrte Stille ein, quasi eine Art Ruhe vor dem Sturm. Bela sah anerkennend zu Farin hinüber. Der Mann, den Farin eben beleidigt hatte, sprang plötzlich unter wüsten Beschimpfungen auf, und die zwei Gäste, die ihn festhielten, vermochten ihn kaum zu bändigen. Mit einer ruckartigen Bewegung konnte er sich letztendlich losreißen und stürmte mit erhobener Faust auf Farin zu. Innerhalb weniger Sekunden hatte er den Gitarristen erreicht und holte zu einem kräftigen Schlag aus. Farin konnte seinen alkoholgeschwängerten Atem schon von weitem riechen. Die riesige Faust flog auf Farin zu, doch bevor ihn der hämmernde Schlag erreichen konnte, machte Farin einen Ausfallschritt zur Seite, und der Schlag ging dicht an ihm vorbei ins Leere. Zuerst schaute der Rocker irritiert drein, da er mit dem Ausweichmanöver nicht rechnete, doch dann entbrannte der Zorn wieder in ihm, und er packte Farin am Kragen. Dieser hatte die Hände auf die Handgelenke des Angreifers gelegt und versuchte ihn von sich loszureißen. „Ey. Kollege.“ Der Rocker drehte seinen Kopf überrascht über die Schulter, als ihm jemand auf diese Schulter tippte. Bela stand da, mit dem Whiskey-Glas in der Hand und einem herausfordernden Blick in den hellen Augen. Farin war aber mindestens genauso überrascht. „Was willst du, Zwerg?“ fragte ihn der Rocker genervt, der höhenmäßig fast an Farin heran reichte. „Ganz einfach. Lass die Finger von ihm und such dir einen würdigen Gegner, der sich auch wehren kann.“ Farin sog empört die Luft ein. „Wie zum Beispiel dich, oder was?“ fragte der Rocker höhnisch und wurde von seinen Kumpels durch deren Lachen unterstützt. „Mir scheißegal, solange du meinen Gitarristen in Ruhe lässt. Zusammengeschlagen nützt er mir nichts, und ich brauche ihn leider noch. Also verpiss dich jetzt endlich oder es setzt was!“ Mit jedem ausgesprochenen Wort hob Bela immer mehr seine Stimme. Der Alkohol machte aus Menschen wahre Tiere, stellte Farin fest, und er war schon gespannt, was der Rocker in wenigen Augenblicken aus Bela machen würde. „Was hast du da gesagt, du kleine Missgeburt?!“ schrie der Mann und ließ von Farin ab, um sich Bela zuzuwenden. Bela jedoch machte seine Drohung war und hieb dem Kerl ohne Vorwarnung seine Faust in Gesicht. Farin schloss die Augen und hielt sich die Hand vors Gesicht. Na, das konnte ja heiter werden. Der Kopf des Mannes wurde von dem Schlag herumgerissen, und dabei hatte Bela noch nicht einmal seine ganze Kraft in den Angriff gelegt. Doch er fing sich schneller, als Bela dachte. Mit einer blitzschnellen Reaktion (resultierend aus viel Kampferfahrung) schnellte er nach vorn, packte nun Bela am Kragen und verpasste ihm eine Kopfnuss. Bela schrie auf, das Glas, das er eben noch in der Hand hielt, flog durch die Luft. Er landete mit seinen fünf Buchstaben unsanft auf dem Boden, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und riss die Augen auf, als der das Blut in seiner Hand sah. Dann hob er den Blick und purer Hass erfüllte seine Augen, als er den Schläger ansah. Farin hatte reflexartig eine Hand nach Bela ausgestreckt, starr vor Schreck und Entsetzen den Blick auf Bela gerichtet. Als auch er das Blut auf Belas Stirn bemerkte, riss er in einem plötzlichen Anfall blinder Wut den Rocker zu sich herum, packte nun ihn am Kragen und schrie ihn aus vollem Hals an. „Sag mal, hast du sie noch alle??! Entweder du verfrachtest deinen verfickten Arsch sofort hier raus, oder ich werd´ dich dermaßen verprügeln, dass dich nicht mal mehr deine eigene Mutter erkennt! Kapiert?!?“ Grabesstille legte sich über die Kneipe, und manch einer schien es nicht einmal zu wagen auch nur zu atmen. Farin sah den Kerl an wie ein Raubtier, das kurz davor war sein wehrloses Opfer zu reißen und zu verschlingen. Keiner traute sich mehr, missbilligende Kommentare von sich zu geben oder Farin anzugreifen. Bela hatte sich mittlerweile aufgerappelt, klopfte sich den Staub von den Kleidern, hob das verschüttete Whiskey-Glas auf und versuchte, mit einem Taschentuch das Blut zu trocknen. Der Rocker entfernte sich einen Schritt von Farin, und dieser ließ ihn zwar los, aber nicht aus den Augen. Mit einem letzten unsicheren Blick auf Bela suchten er und seine Kumpane das Weite. Farin sah ihnen noch einen Moment lang nach und versuchte gleichzeitig, seinen Zorn unter Kontrolle zu bringen, als der Barkeeper ihm vorsichtig die Hand auf die Schulter legte. Farin drehte sich um und blickte den Mann an, der ihn nicht mehr spöttisch, sondern eher respektvoll ansah. „Alle Achtung, Ralf eine reinzuhauen, Jungs, das muss ich euch lassen. Aber ich fürchte, ich muss euch bitten meinen Laden ebenfalls zu verlassen, ihr bringt mir hier sonst zu viel Unruhe rein.“ Die kleine Gruppe rottete sich zusammen, stellte ihre Gläser auf den Tisch, und Farin warf achtlos einen Fünfzig-Euro-Schein „für sämtliche entstandene Unkosten“ auf den Tresen. Unter den neugierigen und auch ehrfürchtigen Blicken der anwesenden Gäste verließen auch sie die Kneipe. Kapitel 14: ------------ KAPITEL 14 „Und was machen wir jetzt?“ fragte Lüde in die Runde. „Ich geh heim. Ich hab keinen Bock mehr“, antwortete Mattn unter zustimmenden Nicken von Uwe. „Dirk sollte am besten verarztet werden“, stellte Yentzi fest, als sich Bela bereits das zweite Taschentuch an die Stirn hielt. „Am besten wir fahren dich ins Krankenhaus“, schlug Lüde vor. Bela warf ihm einen ablehnenden Blick zu. „Bist du nicht auch der Meinung, dass die Schwestern dort sich um dringendere Dinge kümmern sollten?“ fragte er. „Also viel Spaß bei was auch immer noch, wir kratzen die Kurve“, warf Mattn ein und er und Uwe verabschiedeten sich. „Nehmen wir uns ein Taxi? Auto fahren wäre jetzt nicht so klug…“ schlug Rod Bela vor. „Von mir aus“, willigte dieser ein. Yentzi schloss sich Mattn und Uwe an und rannte ihnen hinterher. „Und du, Jan?“, fragte Rod. Der Blonde ließ seinen Blick geistesabwesend durch die Gegend schweifen. Er war noch zu aufgewühlt, um schlafen zu gehen. Außerdem gingen ihm Belas Bemerkungen nicht aus dem Kopf. …meinen Gitarristen in Ruhe lässt… brauche ihn leider noch… Leider… Wie sich das anhörte. „Ja-haan!“ „Wa-haaas!“ „Was du jetzt machst, hab ich gefragt!“ „Bei euch mitfahren, was bleibt mir denn anderes übrig? Ham sich ja alle verpisst!“ Diesmal zog Bela keine Grimasse. Sie riefen das nächstbeste Taxi heran, quetschten sich zu dritt auf die Rückbank und luden zuerst Rod ab, da dieser noch am nächsten zur Kneipe wohnte. „Wo soll´s als nächstes hingehen?“ fragte der Taxifahrer. Farin nannte Belas Adresse. Das Auto setzte sich wieder in Bewegung. Dort angekommen, stieg Farin ebenfalls aus dem Wagen aus. „Diesmal zahlst aber du“, rief er schnell, noch bevor Bela protestieren konnte. Widerwillig fischte der immer noch blutende Schlagzeuger ein paar Scheine aus seinem Portemonnaie, murmelte ein knappes „Stimmt so“ und das Auto fuhr in die Nacht hinaus. „Was is´ ? Gehen wir rein?“ fragte Farin ungeduldig. „Wir“, wiederholte Bela tonlos und zog so gut es unter den Schmerzen ging eine Augenbraue hoch. „Wir“, bestätigte Farin knapp und fügte hinzu: „Oder willst du heute Nacht in deinem Bett verbluten?“ „Hör mal, wenn du glaubst, dass zwischen uns alles wieder okay ist, nur weil du dich pseudo-fürsorglich um meine Platzwunde kümmerst…“ stellte Bela klar, und der Alkoholgenuss schwang deutlich in seiner Stimme mit. „Ich glaube, dass das jetzt absolute Priorität hat! Wir können natürlich auch warten, bis sich die Wunde entzündet hat oder du dir irgend´ ne scheiß Infektion eingefangen hast. Mir egal, ich hab Zeit!“ erwiderte Farin mit dem trockensten Sarkasmus, den er aufbringen konnte. Bela stöhnte nur entnervt, während Farin ihn den Weg zu seiner Wohnung entlang schubste. Drinnen angelangt, machte Farin das Licht an und fand sich inmitten eines unfassbaren, unendlichen Chaos wieder. Überall lagen leere Flaschen und Lebensmittelpackungen, Zeitschriften, CD- und DVD-Hüllen, Klamotten und noch vieles mehr. Doch dafür gab es einen triftigen Grund, denn die Regale waren umgeworfen oder zum Teil zerstört worden, Tische lagen auf der Seite. Die abgestandene Luft war geschwängert von hochprozentigem Alkohol. Belas Wutanfälle waren zwar legendär, doch selten so verheerend. Farin sog die Luft ein und machte gerade den Mund auf, als Bela ihm über ebenjenen fuhr und ein kaltes „Sag. Nichts.“ zischte. „Das ist sowieso alles deine Schuld“, warf er hinterher, als ob er eine Erklärung abgeben müsse. „Meine Schuld“, wiederholte Farin ungläubig und zog eine Braue nach oben. „Ja, deine Schuld! Wer hat denn gestern gesagt, ich solle mich zum Teufel scheren? Wer hat mir denn gesagt, dass meine Gegenwart ihn ankotzt? Wer hat mir vorgeworfen, mich am Leid anderer zu ergötzen?“ schrie er aufgebracht. „Und wer hat dir gesagt, dass du deine Wohnung komplett zerlegen sollst?!“ schrie Farin zurück. Daraufhin war Bela einen Moment lang still. „Du weißt ja wohl genau, was ich meine, Farin Urlaub!“ „Für dich immer noch Jan Vetter!“ entgegnete Farin barsch und ging den Flur entlang Richtung Bad. Er durchstöberte den Spiegelschrank nach den passenden Utensilien, in der Hoffnung, dass sein Bandkollege nicht nur Kopfschmerztabletten gegen Kater besaß, während Bela einen Raum weiter ins Schlafzimmer ging und sich in voller Montur auf das Bett warf. Mittlerweile begann sein Kopf zu schmerzen. Er schloss die Augen und versuchte sich zu entspannen. Nach einer kurzen Weile kam Farin mit einer kleinen Flasche und Wattebäuschen in der Hand nach. „Was ist das?“ fragte Bela kraftlos und deutete mit dem Finger auf die kleine Flasche. „Nennt sich Jod. Nimmt man zum Desinfizieren von offenen Entzündungen. Hätte gar nicht gedacht, dass du so etwas hast.“ „Ooooh, muss das sein? Das Zeug brennt doch wie Hölle!“ „Jetzt stell dich doch nicht so an!“ erwiderte Farin und stemmte die Hände in die Hüften. „So schlimm wird´s schon nicht werden. Außerdem will ich nicht auch noch dran Schuld sein, wenn dir wegen mangelnder hygienischer Versorgung der Kopf abfault.“ „Ha ha“, maulte Bela trocken und richtete sich auf. Mit Argus-Augen beobachtete er, wie Farin sich neben ihn setzte, die kleine Flasche öffnete und einen Wattebausch mit der darin enthaltenen Flüssigkeit tränkte. Die linke Hand legte er sanft auf Belas Kopf, mit der rechten tupfte er so vorsichtig wie möglich die Tinktur auf. Bela zog zischend die Luft durch Zähne ein und zuckte leicht zusammen, da das wundreinigende Mittel ziemlich brannte. „Wenigstens blutet ´s nicht mehr“, stellte Farin fest, während er Belas schmerzverzerrtes Gesicht betrachtete. Als er die Wunde ausreichend gesäubert hatte, klebte Farin ein großes Pflaster über die Wunde und drückte die Kleberänder sorgfältig fest. Zufrieden betrachtete er sein Werk. „Hab ick doch janz jut hinjekricht!“ freute er sich. Bela drehte den Kopf zur Seite und hielt ihn leicht gesenkt, als er nach ein paar Sekunden ein tonloses „Danke“ murmelte. „Schon gut“, gab Farin sanft zurück. Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander auf der Bettkante, wussten nicht was sie sich hätten sagen sollen. Schließlich stand Farin langsam auf, nahm die Arzneimittel wieder mit und räumte sie zurück in den Spiegelschrank. Danach ging er zurück, blieb aber an der Türschwelle zum Schlafzimmer stehen. „Du willst doch sicher… dass ich jetzt gehe“, sagte er leise und schaute traurig zu Boden. Bela drehte sich zu ihm um. Kein Wort des Widerstandes. Kein Protest. Keine Bitte, nicht zu gehen. Farin musste sich eingestehen, dass er alles versucht hatte. Er war zwecklos. Diesmal schien er es wirklich ernst zu meinen. Seufzend, ohne den Blick zu heben, drehte Farin sich um, wollte gehen. „Wart mal einen Augenblick.“ Farin musste sich verhört haben. Anders konnte es nicht sein. Wenn er sich nun umdrehte, saß Bela immer noch schweigend auf der Bettkante und hatte ihm den Rücken zugewandt. Farin riskierte es. Bela saß ihm zugewandt auf dem Bett und sah ihm direkt in die Augen. War das Hoffnung, die da in Farin aufkeimte? Der allerletzte Funken Hoffnung, der noch nicht durch den endlosen Regen von Belas eisiger Kälte und Ignoranz gelöscht wurde? Farin wagte nicht, sich zu freuen, dass der Dunkelhaarige zum ersten Mal nach einer gefühlten Unendlichkeit von sich aus mit ihm sprach. Unsicher ging er einen Schritt auf Bela zu. Er spürte, wie sein Herz zu pochen begann, wie es ihm bis zum Hals schlug. Seine Vernunft war völlig außen vor, und obwohl er es eigentlich hätte besser wissen müssen, gab er die Hoffnung auf eine Versöhnung nicht auf. Er konnte es nicht. „…ja?“ fragte er, leise, unsicher. „Weißt du, was mich heute wirklich überrascht hat?“ Belas Worte klangen absolut ehrlich. Farin jagte diese Erkenntnis einen Schauer über den Rücken. Er bewegte sich einen weiteren Schritt in Belas Richtung. „Sag´ s mir“, antwortete er ungeduldig, und er vermochte den flehenden Unterton in seiner Stimme nicht zu unterdrücken. Er spürte, wie jeder Bestandteil seines Körpers anfing zu zittern, und er tat sich schwer, sich zu beherrschen und einen möglichst gelassenen Eindruck zu machen. Bela hatte den Kopf leicht schief gelegt und hatte seinen berüchtigten durchdringenden Blick aufgelegt, bei dem Farin stets das Gefühl hatte, dass die hellen, leuchtenden Augen des Schlagzeugers nicht nur in sein Gegenüber hineinsehen, sondern durchsehen konnten. Nach einer kunstvollen Pause erhob Bela wieder das Wort. „Wie du dich vorhin in der Kneipe aufgeführt hast, schon als du dich mit dem Wirt angelegt hast… muss ein plötzlicher Anfall von Übermut gewesen sein, wie?“ Farin konnte nicht anders als Bela anzustarren, da ihm keine gescheite Antwort einfiel. Keine, die sein Verhalten erklären würde. „Ich weiß nicht… irgendwie überkam es mich in diesem Moment… ich kann mir das selbst nicht erklären…“ Farin war in jenem Augenblick so ehrlich wie selten zuvor, wenn es um seine Gefühle ging. Bela grinste nur süffisant und sah Farin weiterhin direkt an, als ob er ihn prüfen wolle. „Und was sollte die Aktion mit dem hirnlosen Vollidioten, der mich angegriffen hat? Ich mein, das war ´ne harmlose Kopfnuss! Abgesehen davon, dass ich locker alleine mit ihn klar gekommen wäre.“ „Weißt du, ob es bei dieser harmlosen Kopfnuss geblieben wäre? Außerdem warst ja schließlich du derjenige, der mir zuerst geholfen hat!“ verteidigte Farin sich. „Wenn du schon da rum stehst, kannst du mir auch eine Kopfschmerztablette bringen“, sagte Bela schnell, um dem Argument auszuweichen. Farin runzelte die Stirn, da er nicht verstand, wieso Bela vom Thema abwich, tat ihm den Gefallen aber gern. Wenig später kam er mit der Tablette und einem Glas Wasser zurück. Er drückte Bela beides in die Hand und ließ sich langsam, aber mit einem Zwischenraum, neben Bela nieder. Dieser sah Farin kurz dankend an und schluckte sogleich die Arznei. Dann stellte er das Glas neben sich auf dem Nachttisch ab. Farins erwartungsvoller Blick blieb an Bela haften wie ein Blutegel, der sich so lange an seinem Opfer festsaugte, bis er bekam, was er wollte. Bela blieb dies natürlich nicht verborgen, und so legte er sich endlich eine Antwort zurecht. „Ganz einfach, weil du nicht so der Schlägertyp bist und gegen den Bär nicht den Hauch einer Chance gehabt hättest. Und weil du in zusammengeschlagenen Zustand wohl schlecht Gitarre spielen kannst, hielt ich es für klüger, einzugreifen, weil ich das Album endlich fertig stellen will. Wir kommen kaum voran, wie du vielleicht selbst bereits bemerkt hast.“ „Du meinst also, der Kerl hätte mich rigoros verdroschen“, stellte Farin leicht eingeschnappt fest. „Und ob er das hätte“, bestätigte Bela kühl. „Außerdem hatte ich richtig Lust, an irgendjemanden meinen Frust – du weißt, warum – abzuladen.“ „Aha.“ Meinte Farin nur tonlos und sah weg. „Das ist also alles.“ „Ja, das ist alles“, bestätigte Bela und drehte seinen Kopf ebenfalls wieder geradeaus. Wieder legte sich eine eisige Stille über sie. Bela wusste nicht, was er noch sagen sollte, und Farin löschte den letzten verbliebenen Funken Hoffnung gerade selbst, da er Bela dieses Vergnügen diesmal nicht gönnen wollte. „Kannst du jetzt gehen?“ fragte Bela plötzlich und sah den Blonden unverwandt an. Sein Gesicht strahlte ein ungeheures Maß an Gleichgültig aus. Farin drehte den Kopf in seine Richtung, und die Mine des Schlagzeugers schmerzte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte. Er atmete unbewusst tief ein. Da bemerkte er mehr aus Zufall, dass doch noch etwas Blut durch Belas Pflaster an der Stirn zu sickern schien, und wie auf Knopfdruck wich seine Enttäuschung einem unerwarteten, erneuten Gefühl der Sorge. „Dirk, deine Wunde blutet noch“, sagte er, um Bela darauf aufmerksam zu machen. Wie aus Reflex streckte er seinen Arm aus, um sich die Verletzung noch einmal anzusehen, doch Bela kam ihm zuvor und packte ihn am Handgelenk. „Lass das“, wies er ihn schroff zurück und zog den Kopf nach hinten. „Jetzt hör doch auf, damit ist nicht zu spaßen“, gab Farin zurück und wollte sich losreißen, doch Belas Griff war zu stark. „Ist mir egal, ich komm allein zurecht!“ setzte Bela nach, als er bemerkte, dass Farin sein noch freies Handgelenk umklammerte, während er selbst versuchte, sich Bela zu entreißen. „Hör endlich auf, dich wie ein bockiges Kind aufzuführen!“ rief Farin aufgebracht und setzte unversehens eine ungeheure Kraft frei, und ohne dass es beabsichtigt war, gab Belas Körper auf einmal nach, und er kippte nach hinten über, sodass er rücklings auf dem Bett lag, während Farin nun über ihn gebeugt war. Bela keuchte überrascht auf und starrte Farin völlig perplex an. Farin hatte Belas Handgelenke umklammert und drückte ihn so aufs Bett, und der Kleinere hatte durch den immer noch stechenden Schmerz in seinem Kopf nicht die Kraft, sich zu wehren. Farin hatte Bela mit seinem Blick förmlich fixiert, sein Atem ging schneller, und während er so über seinen ehemals besten Freund gebeugt war, drängten sich für dieses Situation völlig unpassende Gefühle auf. Ohne jegliche Vorwarnung hatte sich das unbezwingbare Bedürfnis nach Nähe und Zuneigung eingestellt, sämtliche Sehnsüchte, die sich in ihm angesammelt hatten und nach denen er trachtete, sie endlich auszuleben, schienen zum Greifen nah. Bela hatte keine Chance, sich zu wehren, und Farin hoffte, dass er das auch gar nicht versuchen würde. Die Zeit schien still zu stehen, die ganze Welt hörte sich in jenem Augenblick für Farin auf zu drehen. Sie waren sich so nahe wie noch niemals zuvor, und Farin täte am liebsten nichts anderes als sich mit allen Sinnen dem Verlangen hinzugeben, das ihn schon seit Tagen kontrollierte. Doch nach wie vor war da eine gewisse Unsicherheit und auch ein wenig Angst vor einer Zurückweisung. In einem kurzen Moment der aufmerksamen Beobachtung erkannte Farin den aufgeschlossenen und sogar ein wenig unsicheren Blick in Belas wunderschönen Augen. Ihm war mehr als deutlich anzumerken, dass für ihn die Überraschung der neuen Situation ebenso groß wie für den Blonden war. Alles, was auf Ablehnung, Hass oder Verletzung in seinen Augen zu finden war, nur wenige Minuten zuvor, war verschwunden. Mehrmals öffnete er den Mund, wollte etwas sagen, doch die Worte fehlten ihm, und mehr als ein unbeholfenes Schlucken brachte er nicht zu Stande. Auch Farin musste heftig schlucken, als er realisierte, dass er seinem Traum so nahe war wie nie zuvor. Keine Frau, der er je begegnete, löste solche Gefühle und Bedürfnisse in ihm aus, brachte sein Verlangen so zum Überkochen, zerriss ihn innerlich schier vor Sehnsucht. Langsam, ganz vorsichtig, näherte er sich Millimeter um Millimeter dem ebenmäßigen, so wunderbar bekannten Gesicht seines unter ihm liegenden Freundes. Dieser schein die Situation entweder nicht richtig einzuschätzen oder abzuwarten, was weiter geschah, da er sich nicht rührte und einfach nur Farin tief in die Augen sah. Farin vermutete, dass er ein wenig Angst zu haben schien, da Belas Augen leicht geweitet waren, doch diese Angst würde er ihm nehmen, auf die wunderbarste und zärtlichste Weise, die Farin ihm entgegenbringen konnte. Die Hälfte des Weges lag hinter ihm. Farin wusste nicht, wie viele Minuten bereits vergangen waren, in denen sie in dieser Position verharrten. Noch immer versuchte er, gegen die Zweifel anzukommen, gegen den letzten Rest Unsicherheit und Angst – oder war es Vernunft? – doch er nahm all seinen Mut zusammen und wollte die letzten Zentimeter bewältigen, die ihm vorkamen wie Lichtjahre der Entfernung zu Bela. Der Schlagzeuger schloss die Augen ein wenig, schien abzuwarten, atmete ebenfalls in Stößen, ein leichtes Zittern ließ seinen schlanken, im Vergleich zu Farin zierlichen Körper erbeben. Alles, was sie in den vergangenen Tagen sagten und taten, war vergessen. Nun gab es nur noch diesen einen Moment, nur sie beide, als seien sie die letzten existierenden Menschen. Farin neigte seinen Kopf leicht nach rechts, als er Belas Gesicht beinahe erreichte. Noch immer machte der Schlagzeuger nicht die geringsten Anstalten, sich zu wehren. Warum, wusste Farin nicht. Doch wenn er es recht bedachte, stellte er fest, dass es ihn auch überhaupt nicht interessierte. Er konnte Belas warmen, stoßweise gehenden Atem auf seinem Gesicht fühlen, sein Blick war auf die rosigen, schmalen Lippen gerichtet, die einladend leicht geöffnet waren. Er erkannte jede kleine Unebenheit auf ihnen, die feinen Lilien, die senkrecht verliefen, die dunklen Stoppeln um sie herum. Bela wehrte sich nicht. Ließ es geschehen, ließ Farin weiter vordringen, ließ seine Augen zu den Lippen des Mannes wandern, der ihm noch tags zuvor die wüstesten Sachen sagte, die Bela je vernahm. Und dennoch… Wie in Zeitlupe schloss Farin die Augen. Als er seinen Kopf noch ein kleines Stückchen senkte, spürte er, wie seine Lippen auf etwas Weiches stießen. Er wusste nur zu gut, was es war. Behutsam lockerte er seinen Griff und ließ sich von dem Gefühl treiben, das Belas Lippen verursachte, und von dem Gefühl, das wiederum dieses Gefühl in ihm auslöste. Nicht in seinen kühnsten Träumen hätte er sich vorzustellen vermocht, wie wunderbar angenehm und schön der innige Zuneigungsbeweis ausfallen könnte. Er ließ sich vollkommen gedankenlos treiben, wünschte sich, dieser Moment würde für immer andauern. Nach einigen Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, tastete er sich behutsam mit der Zunge voran, überquerte die letzte Grenze, fand sich in Belas Mundhöhle wieder und wurde dort wärmstens begrüßt, zuerst noch zaghaft und vorsichtig, fast schüchtern, doch als die Unsicherheit besiegt war, schloss Farin seine Lippen enger und fordernder um Belas, und jener ließ sich voll und ganz auf den Kuss ein. Farin löste seinen Griff und ließ Belas Handgelenke los, stattdessen legte er die rechte Hand sanft auf Belas Hüfte, während er mit der linken unter Bela hindurch fuhr und sie auf seinen Rücken legte, als er Bela leicht an sich presste. Der Dunkelhaarige nahm irritiert zur Kenntnis, dass Farins unerwarteter Kuss keinesfalls freundschaftlich oder versöhnlich gedacht war, und sein forsches Vorgehen ließ ihn erschrecken. Dann, als Farin sich völlig in jedem Kuss verlor, bemerkte er, wie Bela sich gegen ihn sperrte, seine Zunge zurückzog und seinen Mund schloss, wie er Farin an den Schultern hielt und sanft, aber bestimmt von sich drückte. Farin schlug die Augen auf und hob den Kopf. Atemlos starrten die beiden Freunde sich an, als ob sie versuchten zu begreifen, was gerade geschah. Er registrierte Belas fragenden, überraschten und zum Teil bestürzten Blick, und in Windeseile richtete er sich auf, saß nun wieder auf der Bettkante, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und keuchte schwer, den Blick stumpf gerade aus gerichtet. Er vernahm ein Rascheln, das sich zu Belas ebenfalls schwerem Atmen gesellte, als der Ältere sich im Bett aufsetzte. Rasch erhob Farin sich und ging einige Schritte. Dann blieb er stehen, jedoch ohne Bela anzusehen. Noch immer schlug sein Herz bis zum Hals, und ihm war, als sein es lediglich ein Traum gewesen, wieder einmal eine seiner Halluzinationen. Und doch fühlte sich alles so echt an. Seltsamerweise hatte er das dringende Bedürfnis, zu verschwinden, denn da Bela sich letztendlich weniger begeistert zeigte, fühlte er sich schmutzig, und irgendwie war es ihm auch peinlich. Aber er wusste auch nur schwerlich damit umzugehen, dass er Bela wider alle Erwartungen einen Kuss rauben konnte. Er musste nun für sich sein, und das Geschehene verarbeiten. „Ich glaub es ist besser… wenn ich jetzt gehe…“ verkündete er leise und tonlos und setzte sich wieder in Bewegung. „Jan, was…“ war das einzige, das Bela hervorbrachte. Und noch bevor der Schlagzeuger überlegen konnte, was er sagen sollte, hörte er, wie die Tür ins Schloss fiel. Kapitel 15: ------------ Farin ließ sich per Taxi zu seinem Wagen chauffieren und fuhr anschließend nach Hause. Mitten in der Nacht war er dankbar, dass der Verkehr sich in Grenzen hielt. So dauerte es nicht lange, bis er sein Haus erreicht hatte und es endlich betreten konnte. Er warf einen eher zufälligen Blick in den Garderobenspiegel und stellte fest, dass er seine Kappe bei Bela vergessen hatte. Naja, auch egal. Wen wunderte es auch bei dieser überstürzten Flucht. Farin musste schmunzeln. Ja, Flucht konnte man es durchaus nennen. Wieder verzichtete er auf künstliche Beleuchtung und trat den Weg in das Badezimmer an, um sein Gesicht zu waschen. Das kühle Nass fühlte sich gut an, erfrischend und befreiend zugleich. Ein kurzer Blick in den Spiegel verriet ihm, dass er noch derselbe war. Nach dem ungeplanten Kuss mit Bela fühlte er sich seltsam fremd in seiner Haut. Als sein er etwas oder jemand anderes. Irgendein Teil seines Bewusstseins hatte sich verändert. Er starrte gedankenverloren vor sich hin, die Arme auf dem Rand des Waschbeckens aufgestützt, und wusste nicht, was es war, das ihn dieses Gefühl der Fremde verlieh. Er wusste nicht einmal, ob er sich gut oder schlecht fühlte. Nur… anders. Er richtete sich auf und schloss die Augen. Jeder einzelne Moment, jede noch so kleine Feinheit dieses Augenblicks hatte sich so fest in sein Hirn gebrannt, als passiere es jetzt. Bis ins Detail sah er Bela, wie er unter ihm lag, ihn mit erwartungsvollen, überraschten, neugierigen Augen ansah, einfach nur ansah, ohne ein Wort, ohne eine Bewegung. Ohne zu wissen, dass Farin dies als Einladung für sein Verlangen nach dem Schlagzeuger auffasste. Doch warum tat er nichts? Wieso wehrte er sich nicht? Hätte er Farin in jenem Augenblick nicht von sich stoßen, ihn anschreien, aus der Wohnung werfen sollen? Ihn angewidert ansehen und als komplett durchgeknallt bezeichnen sollen? Warum ließ er es zu? Wo er doch schon seit gestern so unglaublich sauer auf ihn gewesen war. Farin atmete leise aus. Möglicherweise hatte sich der hippelige Drummer nach einer Versöhnung gesehnt und hielt diesen Zustand selbst nicht mehr aus, wurde aber von seinem Stolz daran gehindert, Farin zu verzeihen. Wollte nicht zugeben, wie sehr der Blonde ihn verletzt hatte, ausgerechnet ihn, seinen besten Freund. Er wusste, wie sehr Bela an ihm hing, und jedes Mal war er ein wenig traurig, wenn Farin verkündete, für einige Monate auf Reisen zu sein. Er rief sich den Moment vor Augen, als ihre Lippen einander berührten, das Gefühl, das sich in seinem ganzen Körper ausbreitete und erfüllte, ihn alles um sich herum vergessen ließ und nichts anderes mehr wahrnehmen. Wie sehr wünschte er sich, dieser Augenblick würde andauern, bis jetzt, bis in alle Ewigkeit. Wie sehr wünschte er sich, Belas Atem auf seinem Gesicht zu spüren, seinen Körper, seine Lippen, einfach alles von ihm. Farin ertappte sich dabei, wie er verträumt lächelte. Hey, du wirst doch wohl auf deine alten Tage kein gefühlsduseliger Romantiker werden! Irgendwie musste er sich auf andere Gedanken bringen, falls er diese Nacht noch Schlaf bekommen wollte, da er andauernd an Bela dachte. Irgendein blöder Idiot schlug ihm von hinten mit voller Wucht auf die Schulter. „Ey! Sag mal, was…“ Farin drehte sich erzürnt um und hielt sich die vermeintlich schmerzende Stelle. Sie tat nicht weh. Musste wohl ein Fehler in der Matrix sein. „Was brüllst du mich so an? Wollte doch nur kurz Hallo sagen und dir gratulieren.“ „Ich dachte ja, dass du mich ab sofort nicht mehr behelligen würdest.“ „Ach komm. Sag mir jetzt nicht, dass du mich nicht vermisst hast.“ Farin runzelte die Stirn. Eklig wie eh und je, dieser Typ. Aber das war ja seine Art. Hatte er beinahe vergessen. „Gratulieren zu was? Dass ich beinahe in eine Massenschlägerei mit besoffenen Rockern geraten wäre?“ „Hey, warum diese Unterstellung voll triefendem Sarkasmus? Für wie fies hältst du mich?“ Bela tat gespielt beleidigt und grinste süffisant, während er Farin piesakte. Farin drehte sich nur weg und zog spöttisch eine Augenbraue hoch. „Ja, klar, für wie fies hältst du mich eigentlich“, äffte er Bela nach. „Wir wissen beide, dass du dir alle erdenkliche Mühe gemacht hast, mich auf die Palme zu bringen.“ „Bist du glücklich?“ kam die unerwartete Frage der Halluzination. Farin drehte sich wieder zu ihm um. „Wie, ob ich glücklich bin? Was meinst du?“ „Na, weil du ihn geküsst hast, du Idiot, was denn sonst?“ kam die leicht gereizte Antwort. „Ehrlich gesagt… keine Ahnung… ich schätze, das weiß ich wohl erst, wenn ich weiß, was er davon hält. Was ich momentan nicht tue. Wenn er mich dafür hasst, werd ich wohl kaum glücklich sein können.“ „Wie kommst du darauf? Ich meine, DU bist gegangen! Er hätte dich mit Sicherheit nicht mit Schimpf und Schande davon gejagt.“ „Lass ihn das erstmal registrieren und verarbeiten“, konterte Farin und lächelte schief. „Dann werden wir ja sehen, was passiert.“ Tatsächlich hatte Farin Panik vor dem Zeitpunkt ihres Wiedersehens. Bisher hatte er Belas Reaktion immer einschätzen können. Doch wenn man bedenkt, dass diese Situation für sie beide völlig neu war, konnte alles möglich sein. Von Freude über Rührung über Gleichgültigkeit bis hin zu Unverständnis und Abneigung war alles drin. Da konnte er genauso gut Russisch Roulette spielen. Und falls der schlimmste aller Fälle eintreten würde – Farin betätigte den Abzug des Revolvers und erwischte ausgerechnet die einzige Kugel in der Trommel – was würde das für die Band bedeuten? Würde Bela weiterhin mit jemandem musizieren, den er als krank oder abartig bezeichnen würde? Natürlich war Bela ein außerordentlich toleranter Mensch, der einen Menschen nicht nach seinem Aussehen, seiner Hautfarbe, seiner Religion, seiner geschlechtlichen Neigung beurteilte. Doch was wäre, wenn nun plötzlich ausgerechnet sein bester Freund einer von jenen Menschen werden würde? Käme der Schlagzeuger mit Farins Gefühlen für ihn klar oder würde ihn die neue Situation überfordern? Würde er Farin aus Unsicherheit und Angst vor dem Unbekannten meiden? Ach, was nützt es mir, sich darüber den Kopf zu zerbrechen? Geschehen ist geschehen und lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Harren wir einfach der Dinge, die da kommen. Was anderes bleibt mir sowieso nicht übrig. „Hach, Jan. Du bist immer so verdammt realistisch“, schmachtete Hallu-Bela mit diesem gewissen Etwas an Sarkasmus in seiner Stimme. „Hey, jetzt sag bloß, du kannst auch noch Gedanken lesen!“ empörte sich Farin und drehte sich zu ihm um. „Selbstverständlich kann ich das. Schließlich bin ich Gut deiner Gedanken. Ich kann darin solange und sooft stöbern, wie ich es möchte, ohne dass du es bemerkst. Das hast du doch neulich selbst festgestellt, schon vergessen?“ erwiderte Bela und legte den Kopf ein wenig schief. „Klugscheißer“, murmelte Farin bloß und ging an ihm vorbei, in der Absicht das Bad wieder zu verlassen. Doch Bela stellte sich ihm in den Weg. „Was soll der Quatsch? Du weißt, dass ich einfach durch dich hindurch laufen könnte“ beschwerte sich der Blonde. „Tust du aber nicht. Weshalb?“ fragte Bela neugierig. „Aus Höflichkeit“ war Farins knappe Antwort. „Also, was ist noch? Ich würde mich gern schlafen legen, es ist schon reichlich spät.“ Bela sah ihn nur an, ohne auf seine Frage einzugehen. Mit einem Blick, der einerseits so klar war und andererseits so undurchdringlich und mysteriös. Typisch Bela eben. „Ach, ich weiß nicht…“ antwortete der Kleinere schließlich, ohne seinen Blick von Farins Augen abzuwenden. „Ich finde nur, dass Bela es… verdammt gut hat. Jemanden wie dich zum besten Freund zu haben, meine ich.“ „Hm? Wie kommst du denn jetzt darauf?“ fragte Farin irritiert und legte seine Stirn in Falten. „Naja…“ Die Illusion suchte nach den richtigen Worten. Sah sich dabei Hilfe suchend im Bad um. „Seit fast 30 Jahren bist du jetzt an seiner Seite. In allen Lebenslagen bist du für ihn da gewesen. Als er diesen schweren Unfall hatte. Wenn er sturzbetrunken war und nicht selbst nach Hause konnte. Wenn er wütend war, traurig, verzweifelt. Wenn es ihm langweilig war oder er sich einsam fühlte. Du warst immer da. Und ich hoffe für euch beide, dass es auch weiterhin so sein wird.“ Farin zog überrascht die Augenbrauen hoch. Darüber hatte noch nie nachgedacht. Warum auch über Dinge sinnieren, die selbstverständlich sind? Ihm war dies niemals zuvor aufgefallen. Insgeheim fühlte er sich immer als schlechten Freund und fragte sich manchmal, wie der anhängliche Bela es überhaupt mit ihm aushielt. Farin mit all seinen Schwächen, seinen Macken, seinen negativen Eigenschaften… seiner oftmals bescheinigten Gefühlskälte…. Bela ließ seinen Kuss zu, obwohl er noch Stunden zuvor so sauer, so unendlich sauer auf ihn war. Warum? Warum konnte er nicht von Farin loskommen? Farin atmete hörbar durch den Mund aus. „Danke, du Arsch. Deinetwegen habe ich jetzt ein schlechtes Gewissen“, raunte er sein Hirngespinst an. „Wieso das denn? Geht´s noch? Wann hast du jemals etwas bereut? “ kam die verwirrte Frage. „Das ist es nicht. Ich meine… Ich habe Bela die letzten Tage über so mies behandelt. Ohne auf ihn Rücksicht zu nehmen. Und trotzdem war er irgendwie… bei mir. Für mich da. Ich verstehe das irgendwie nicht.“ Farin fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ich will es einfach wieder gutmachen. Aber angesichts meiner sogar für meine Verhältnisse beschissenen Verhaltensweise… was könnte das wieder ausgleichen?“ Farin klang ehrlich verzweifelt. „Vielleicht hast du das ja bereits und weißt es nur noch nicht…“ bemerkte Bela und lächelte bedeutungsvoll. Farin drehte sich entsetzt zu ihm hin. „Also, wenn´s so einfach wär, wäre Bela ja recht einfach glücklich zu machen!“ empörte er sich. „Ist er doch auch. Weißt du doch. Er hat längst nicht so viele Ansprüche wie du“, konterte der andere. Farin schob das Kinn leicht vor, während er die Brauen nach unten zog. „Was soll das denn nun wieder heißen???“ „Ach, vergiss es einfach. Wolltest du nicht schlafen gehen?“ Bela winkte noch kurz zum Abschied und löste sich in Luft auf. „Pffft… so ein Penner“, zischte Farin, da Bela wieder mal einfach so abzwitscherte. Sein Original war da wesentlich höflicher. Kapitel 16: ------------ So, endlich ein neues Kapi! Sorry für die lange Pause, aber es ließ sich leider nicht vermeiden. Ich wünsch euch viel Spaß damit und gelobe Besserung! KAPITEL 16 Farin lag im abgedunkelten Schlafzimmer auf dem Bett. Ab und an ließ ein leichter Windstoß die langen, weißen Gardinen wehen. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, lag er in voller Montur da, und wusste nicht was er denken sollte. Irgendwie wünschte er sich, das alles sei nie passiert, zumindest nicht bevor er sich überlegt hatte, wie er sich anschließend verhalten sollte. Er fragte sich, was Bela wohl gerade tat. Ob er dieselben Gedanken hatte. Ob er sich vor Ekel zum tausendsten Male den Mund auswusch. Ob er es kaum abwarten konnte, Farin wieder zu sehen. Die Überlegung, Bela anzurufen, verwarf Farin genau so schnell wieder, wie sie ihm gekommen war. Das wäre ja peinlich. Wie so ein Teenager, der dann fragt „Und, hat´s dir gefallen?“ Farin seufzte laut und drehte sich auf die rechte Seite, den rechten Arm noch immer unter seinem Kopf. Unter diesen Umständen ein Album aufzunehmen, dürfte sich als schwierig erweisen, dachte er. Es ärgerte ihn, dass der sonst so kopfdenkende, präzise, nüchtern denkende Jan Vetter so unsicher geworden war, so aufgeregt wie ein kleiner Junge. Doch er wusste weshalb. Dieser einzigartige Mensch, der ihn schon Zeit seines Lebens begleitete, mit dem er lachen, Spaß haben, weinen, streiten, diskutieren konnte, war längst ein fester Bestandteil seines Lebens geworden. Und nun fürchtete er, ihn zu verlieren, für immer. Er fürchtete, er habe den größten Fehler seines Lebens gemacht. Er fürchtete, er habe ihre Freundschaft aufs Spiel gesetzt, ja sogar zerstört. Doch was Farin eigentlich wollte, war mehr als nur Freundschaft. Viel mehr. Farin drehte sich wieder auf den Rücken. Was wäre, wenn… … alles gut ginge? Wenn Bela dieselben Gefühle für Farin hegte wie Farin für Bela? Wie würde es weitergehen? Man müsste sich vor der Klatschpresse noch mehr in Acht nehmen als üblich, die Fans sollten nach Möglichkeit auch nichts mitbekommen… und die Freunde und Familie… Farin war sich nicht sicher, ob dies bei Rodrigo auf Verständnis stieße. Und die Meinung seiner Eltern war ihm hinsichtlich dessen eigentlich relativ egal. Farin hatte aber die Befürchtung, sich zum Volldeppen zu machen, und er wusste nicht einmal genau wieso. Abgesehen davon, dass Rockerkneipen dann wirklich für ihn tabu waren. Ein Blick auf den Wecker verriet ihm, dass er gefälligst schlafen sollte. Vorher vielleicht aber noch ausziehen. Während er seine Kleider ablegte, fiel der Zettel aus der Hosentasche. Farin hob ihn auf und faltete ihn auseinander. Nachdenklich sah er auf das Blatt. Wenn Bela den Text gelesen hatte, wüsste er unmissverständlich, was Sache ist. Farin bekam eine Gänsehaut ob dieses Gedankens. Er wusste nicht einmal selbst so richtig, was Sache ist. Junge, du denkst zu viel. Lass es doch einfach auf dich zukommen, was anderes kannst du sowieso nicht machen. Farin kletterte in den Pyjama und legte sich unter die Decke. Kurze Zeit später schlief er wider aller Erwartungen ein. Der nächste Morgen begann für Farin mit reichlich Nervosität. Er versuchte ruhig zu bleiben, was ihm aber nur schwerlich gelang. Das Frühstück musste er regelrecht hinunterwürgen, weil er keinen Bissen runter bekam. Immer wieder atmete er durch den Mund aus, fuhr sich durch die Haare, lief rastlos im Haus umher. Noch einen Beruhigungstee trinken. Farin kam sich vor wie der letzte Idiot. Oder wie ein spätpubertierender Junge. Jetzt komm schon, Junge, du schaffst das! Du warst doch schon öfter verliebt. Wenn auch nie so heftig und in deinen besten Freund... Farin schlug seinen Schädel gegen die nächste Wand. Nicht sehr arg, aber arg genug, um sich die schmerzende Stelle zu halten und sich für diese Aktion einen Deppen zu nennen. Schließlich fasste er sich ein Herz und packte seinen Krempel zusammen... und bemerkte, dass das Auto immer noch vor dem Studiogebäude stand. Farin seufzte. Also wieder Taxi fahren. Moment mal, wie sehe ich überhaupt aus? Farin suchte einen Spiegel aus und registrierte nüchtern seine Augenringe, die Falten, die über Nacht noch etwas tiefer geworden zu sein schienen und die Stoppeln im Gesicht. Sehen Männer mit Dreitagebart nicht attraktiver aus? Seine Schwester hasste es. Farin zuckte mit den Achseln. "Ich weiß, du hast es eilig, aber sei doch so gut und putz dir wenigstens die Zähne." Farin fuhr wie von der Tarantel gestochen herum. Bela stand da und grinste hämisch. "Wie süß!" rief er. "Du machst hier gerade einen Terz, als ob es um dein Leben ginge!" "Zumindest um die Qualität dessen" konterte Farin genervt. Der schon wieder. Vielleicht sollte ich mal jemanden fragen, der sich mit sowas auskennt. "Ja, es wird toll werden! Nach gestern hat dein Darling sich doch garantiert unsterblich in dich verliebt. Morgen zieht er bei dir ein, übermorgen heiratet ihr und überübermorgen adoptiert ihr Rod!" "Machst du dich gerade über mich lustig?" fragte Farin gereizt, obwohl er die Antwort bereits kannte. "Oooch, nur ein bisschen", entgegnete Bela und grinste schief. Farin wandte den Kopf von ihm ab. Er hatte eigentlich so gar keinen Bock auf einen mega-anhänglichen Bela, der ihn gleich so vereinnahmen würde. Farin genoss seine Freiheit. Es gab schon einige Frauen in seinem Leben, die damit nicht klar kamen. Bei Bela würde das sicherlich anders. Er kannte Farin schon lange und wusste, dass Farin gern reiste. Er verstand es. Nichts würde sich ändern. Farin putzte sich endlich die Zähne, wusch sein Gesicht, stylte sein Haar ein wenig und sah dann schon etwas besser aus. Auf in den Kampf, Genosse. Er verließ das Haus, ohne sich von Bela zu verabschieden und spurtete zu einem Taxi. Als er drin saß, bemerkte er, dass er keine 10 Euro mit sich führte. Och nö. Egal, das sag ich dem Kerl erst, wenn wir da sind. Mal kucken, was passiert. Gedankenverloren starrte Farin aus dem Fenster. Es war recht trüb, vermutlich würde es noch regnen. Seine Stimmung war wie das Wetter. Sein Herz schlug schneller in seiner Brust. Er hoffte, dass Bela keinen Aufstand machte. Oder ihn gar ignorierte. Oder hey- ihm die Freundschaft kündigte. Scheiße, scheiße, scheiße! Beruhig dich, Jan, gaaaanz ruhig. Einatmen, ausatmen. Was kann schon passieren. Es ist Bela. Ihr habt euer ganzes Leben zusammen verbracht. Er kann doch nie auf dich verzichten. Als sie vor dem Studio ankamen, wollte der Fahrer natürlich mehr als 10 Euro von Farin haben. Doch als er sein Gesicht eingehender betrachtete, weiteten sich seine Augen. Jetzt kommt´s, dachte Farin. "Sie sind doch... Sie kenn ich doch! Mensch, das gibt´s doch nicht! Ach, kommen Sie, ist in Ordnung! Die Ehre, Sie befördert zu haben, reicht mir! Das glaubt mir niemand!!" Der Fahrer kriegte sich gar nicht mehr ein. Ach was soll´s dachte Farin, soll mir recht sein. Dann gibt´s schon keinen Stress. Er ging vom Wagen weg, nachdem er sich höflich verabschiedete, und kippte fast um, als der Taxifahrer ihm hinterher rief:" Und grüßen Sie doch Ihre Kumpels von Scooter von mir, ja?" Farin zuckte zusammen, aber irgendwie war es gewohnt. Er drehte sich nicht um und reagierte auch sonst nicht mehr. Bin wohl doch nicht wo berühmt wie ich dachte. Michael Jackson wäre das sicher nicht passiert. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen und einem letzten tiefen Atemzug betrat er das Tonstudio. Kapitel 17: ------------ *schwitz* *schwitz* So, ihr Lieben! Hab mich extra für euch mit Schreiben beeilt! ^.^ In letzter Zeit war ich in nicht allzu guter körperlicher Verfassung, aber nun kann ich wieder meinen Gedanken freien Lauf lassen! Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und hoffe, dass es euch zumindest ein bisschen gefällt... ;-) - - - - - - - - - - - - - - - - - KAPITEL 17 Farin ging den langen Gang des Gebäudes entlang und zwang sich ruhig zu bleiben. Er versuchte sich nicht all die Dinge auszumalen, die passieren konnten, wenn er auf Bela traf. Er versuchte nicht wie ein kleines verkümmertes Häuflein Elend auszusehen, obwohl er das bereits seit drei Tagen war. Solange er zurückdenken konnte, es fiel ihm nicht ein, wann es ihm je so mies erging. Abgesehen davon, dass diese völlig neue Erfahrung ihn optisch veränderte (ob er diese Augenränder wohl je wieder weg bekam?), hatte sie sein Bewusstsein und seine Gefühlswelt komplett auseinander genommen und anders, sogar mit neuen Teilen, wieder zusammengefügt. Hatte er jemals so lang anhaltend und ausgiebig geweint? Hatte er sich jemals so lange Vorwürfe wegen seines Fehlverhaltens gemacht? Und hatte er jemals auch nur annähernd so große Angst davor gehabt, einen Menschen für immer zu verlieren? Wann trat dieser Moment eigentlich genau ein...? Er erinnerte sich, wie er vorgestern... oder vor drei Tagen? Vor einer Woche? Vor einer Ewigkeit? - auf einer Parkbank saß, zusammen mit seinem damals besten Freund. Bela hatte ihm eine Kette gezeigt, die von seiner Freundin stammte, ihn aber verließ - zum Glück! Hey, Moment, das ist nicht witzig, Jan! Bela leidet deshalb! Und weshalb überhaupt "Zum Glück"? Ach ja, genau, weil sie ihn verletzt hatte und nun weg war. Zumindest wollte Farin sich in jenem Moment einreden. Aber dann hatte Bela den fatalen Fehler begangen, Jan diesen Satz zu sagen. Der Blonde konnte sich an ihn erinnern, als sei er eben erst gefallen: "Hätte ich sie doch bloß dir geschenkt. Da wüsste ich zumindest, dass sie gut aufgehoben ist.“ Bela konnte nicht ahnen, was er mit diesem eigentlich arglos daher gesagten Satz auslösen würde. Aber das konnte Farin ja selbst nicht. Bis der Drummer seine Hand auf Farins legte und mit einem Schlag das Leben des Gitarristen völlig aus der Bahn werfen würde. Bis er realisieren konnte, was da mit ihm passierte, war auch alles wieder vorbei. Seitdem ging Farin Urlaub die Frage nach dem "Warum" nicht mehr aus dem Kopf. Was musste passieren, dass man sich von jetzt auf nachher, von einer Sekunde auf die andere, urplötzlich in seinen besten Freund verliebte?? Noch dazu, wo man eigentlich ein bisher heterosexuelles Leben geführt hat?!? Farin hasste es, wenn er sich Dinge nicht rational erklären konnte. Doch genau dies würde er nicht tun können. Gefühle lassen sich nun mal nicht mit Logik erklären. Möglicherweise war es Bela, der trotz seiner Trauer um die gescheiterte Beziehung zu... wie auch immer die noch hieß... solch eine innige Vertrautheit zu Farin aufbauen konnte und dies auch noch mit dem schönsten Satz krönte, den Jan Vetter je zu hören bekam. Bela hatte entweder nicht realisiert, was er da gesagt hatte... oder er hatte es genau so gemeint. Farin lief bei dem Gedanken ein Schauer über den Rücken. Für wahrscheinlicher hielt er es, dass ihre räumliche und zeitliche Trennung (seit der "Geräusch" waren vier Jahre vergangen, ohne sonderlich viel Kommunikation) Farin erst bewusst werden ließ, was er da hatte und was ihm fehlte. Sie hockten ja quasi ständig aufeinander, wenn sie auf Tour waren oder sonst was. Nicht, dass Farin dieser Umstand auf die Nerven ging. Er ertappte sich manchmal, wenn er auf Reisen war, bei dem Gedanken, was wohl Bela am anderen Ende der Welt gerade tat. Doch er hat ihn nicht ein einziges Mal danach gefragt. "Hey Bela, lange nichts voneinander gehört! Was machst´ n so?" Warum eigentlich nicht? Völlig in Gedanken versunken war Farin am Studioraum vorbei gelaufen und stand nun mitten im Gebäudekomplex. So gut kannte er sich in diesem Abschnitt nicht aus. Wo zur Hölle war er eigentlich? Seltsam, das Gebäude kam ihm viel kleiner vor... gerade wollte er sich an der T-Kreuzung, an der er stand, wieder umdrehen und zurücklaufen. Doch in der Rechtsdrehung saß er Bela am anderen Ende der Abzweigung stehen. Unweigerlich machte sein Herz eine Sprung. Bela stand dort auf einer überdachten Terrasse, hielt einen Becher in der Hand, an dem er kurz nippte, und starrte vor sich hin. Er lehnte an dem Aluminiumgitter und atmete ab und an durch den Mund aus. Farin wusste nicht, wie lange er ihn einfach nur betrachtete. Seine Gedankengänge waren verschwunden, wie weggeblasen. Er sah nur Bela da stehen, wie er nachdenklich seinen Kaffee trank. Farin fühlte sich wie ein Stalker, der das Objekt seiner Begierde ausspionierte. Dann folgte er einem plötzlichen Impuls. Langsam, ganz langsam, setzte er einen Fuß vor den anderen. Bela rückte näher, die Entfernung zwischen ihnen verkürzte sich. Äquivalent dazu nahm Farins Herzklopfen zu. Bela schien ihn noch nicht bemerkt zu haben. Er schien ihn auch dann nicht zu bemerken, als er ein letztes Mal tief durchatmete und dann die Glastür öffnete. Bela drehte sich überrascht zu ihm um. Er hatte das Pflaster auf seiner Stirn erneuert. Seine Augenringe zeugten von einer verhältnismäßig schlaflosen Nacht. Seine Kleidung war zerknittert. Sein Gesicht ebenfalls. Farin spürte schon wieder diesen Kloß aufsteigen. Sein Mund wurde staubtrocken, und er steckte die Hände in die Hosentaschen, damit Bela nicht sehen konnte, wie sehr sie zitterten. Mehrmals öffnete er den Mund zum Sprechen, doch es war ihm, als habe Hallu-Bela oder sonst wer im Schlaf seine Stimmbänder durchtrennt, um ihn endgültig das verlieren zu lassen, wonach er mit jeder einzelnen Faser seines Körpers trachtete. Ein idiotischer Teil seines Gehirns versuchte Farin gerade einzureden, dass Bela aufgrund seines Alkoholgenusses sich wahrscheinlich eh an nichts mehr erinnern könne. Farin erklärte diesem Teil, dass Bela dafür aber erstaunlich nüchtern wirkte und dass es das doch unmöglich wissen könne, da es das Gehirn eines Nichttrinkers war und ihm dementsprechend diese Erfahrung fehlte. Farin wünschte sich in die Klapse. Na toll. Zuerst rede ich mit einer Halluzination, die ich selbst hervorrief und nun auch noch mit meinem Gehirn. Ich muss total einen an der Klatsche haben. Sein Gehirn reagierte ziemlich eingeschnappt, verduftete und ließ Farin allein mit seinem Problem zurück. Bela sah ihn erwartungsvoll an. Na klar, er will, dass ich den Anfang mache. Weil er genau weiß, dass ich keinen Schimmer habe, was ich jetzt sagen soll. Womöglich weiß er es selbst nicht. Bela griff plötzlich in seine Jacke und holte etwas hervor. Er reichte es Farin. "Die hast du gestern bei mir vergessen..." erklärte er leise, seine Stimme klang kratzig, tief und rau. Farin empfand es als ungemein anziehend. Er streckte seine Hand zögerlich aus und nahm seine Kappe aus Belas Hand. Farin glaubte in Belas schnellem Zurückziehen seiner Hand zu erkennen, dass der kleinere eine Berührung vermeiden wollte. Waren sie sich doch vergangene Nacht näher als je zuvor. "Danke", erwiderte Farin ebenso leise. Er betrachtete sie einige Zeit aus Unsicherheit, Bela in die Augen zu sehen. Hey, dachte er bei sich, immerhin steht er noch hier und hat nicht gleich die Kurve gekratzt. Aber was zur Hölle soll ich jetzt tun?? Bela ließ ein Verlegenheits-Räuspern verlauten, was Farin aufblicken ließ. Er versuchte angestrengt, die Schamesröte, die ihm ins Gesicht steigen wollte, zu verbergen. Bela setzte erneut an. "Was war gestern eigentlich mit dir los? Hat das irgendwas mit diesem ominösen Liedtext zu tun, den du mir gegeben hattest?" Farin stockte der Atem. Er hatte ihn also doch gelesen! Beinahe hätte der Blonde "Dann frag doch nicht so dämlich, du Flitzpiepe" geantwortet. Farin konnte nur Luft hervorbringen, als sich sein Mund mehrere Male hintereinander auf und zu tat, während er versuchte die richtigen Worte zu finden. Schließlich atmete er tief aus und beschloss, einfach drauf los zu plappern. "Ich weiß doch auch nicht, wie ich das erklären soll! Um ehrlich zu sein, verstehe ich es selbst nicht. Ich weiß, dass es absolut absurd klingt und auch ebenso ist. Von einem Moment auf den anderen war auf einmal... alles anders. Einfach alles. Vielleicht ist es ja schon länger so und ich habe es bislang nicht bemerkt - ich weiß es nicht! Aber..." Farin sah Bela fest in die Augen. "Ich kann dir versichern, dass das weder einfach so noch aus Verzweiflung oder sonstwas passiert ist. Ich mein, ich kann mir vorstellen, dass dich das irritiert hat, aber... ich hab das absolut ernst gemeint." Mit jedem gesprochenem Wort wurde Farin leiser, mit jedem gesprochenem Wort senkte er sein Haupt ein wenig mehr. Deshalb nahm er besonders bewusst wahr, wie Bela gut hörbar die Luft scharf einsog. Jetzt war es an dem Schlagzeuger, zu schweigen. Farin wollte eigentlich gar nicht wissen, welches Urteil sein bester Freund - waren sie überhaupt wieder Freunde? - über ihn fällte. Er vermutete, dass es vernichtend ausfallen würde. Zumindest würde er dann aber wissen, woran er war. Auch etwas positives. Nach einer gefühlten Ewigkeit konnte Bela seinen Impressionen Worte verleihen. "Fassen wir das mal zusammen: Jan Vetter, der Heterosexuelle aus Überzeugung, der es sich zu einer perversen Obsession gemacht hat, sich am Folgetag über Partyschwule lustig zu machen, hat ein besonderes Faible entwickelt für einen Mann, der seit Jahr und Tag sein bester Freund ist - trotz der soeben aufgezählten Gesichtspunkte. Habe ich das richtig verstanden?" "Wenn du es als Faible bezeichnen möchtest... aber ich schätze, wir meinen dasselbe." Sie vermieden es in jenem Moment, sich in die Augen zu sehen. Farin fühlte sich wie ein Schuljunge, der versuchte, seinen Schwarm aus der Parallelklasse rumzukriegen. So ein Schwarm hat ja bekanntlich immer die Fäden in der Hand. Bela musste sich zusammenreißen, nicht laut loszulachen. Was Farin nicht entging. Ungläubig starrte er Bela an. Er verstand die Reaktion seines Freundes nicht. Lachte er aus Unsicherheit, oder um sein Schamgefühl zu verbergen, oder weil er es tatsächlich lustig fand? Bela bemerkte Farins Gesichtsausdruck und fing sich wieder. "Sorry, Kumpel", setzte er schnell an, "aber damit hätte ich jetzt echt nicht gerechnet! Ich hab mir natürlich so meine Gedanken gemacht, was mich ehrlich gesagt ziemlich um den Schlaf gebracht hat..." Farin wunderte das so gar nicht, da es ihm ja nicht anders ging. Außerdem waren Belas Augenringe unübersehbar. Ihm fiel ein, dass er auch nicht besser aussah. Die Umstände erklärten sich von selbst. "Jetzt findest du mich bestimmt abstoßend... oder so." Farin hörte sich selbst kaum sprechen. Jetzt, wo es raus war, sollte er sich doch eigentlich erleichtert fühlen, oder? So, als ob man ein lang gehütetes Geheimnis endlich preisgeben darf. Oder so, als ob man endlich eine Ungereimtheit, die einem schon sehr lange bewegte, aus der Welt schaffen konnte. Aber warum tat er es nicht? Weshalb fühlte er sich nun noch schlechter, als an den Tagen zuvor? Wahrscheinlich, weil er so hilflos war. Weil er Bela endlich seine Gefühle offenbart hatte und dieser nun allein darüber entscheiden konnte, ob ihre Freundschaft weiterhin bestünde oder nicht. Oder ob sie überhaupt noch in irgendeiner Form miteinander verkehren würden oder nicht. Unwillkürlich kreisten seine Gedanken um seinen Song, den er quasi Bela widmete. "Mir ist klar, dass da niemals etwas sein wird... weil da niemals etwas war." Farin wandte den Kopf in Belas Richtung und erschrak leicht, als er feststellte, wie der Drummer ihn schon eine Weile über ansah. Endlos lange Sekunden vergingen, bis das Schweigen endlich gebrochen wurde. Diesmal hielten sie dem Blick des anderen stand, und Farin wünschte sich in jenem Moment, die Zeit bliebe einfach stehen. Er befürchtete, dass er Bela niemals wieder so tief in die Augen sehen konnte. Niemals. Hey, so könnte ich doch diesen Song nennen. "Abstoßend?" fragte Bela ungläubig und zog dabei eine Augenbraue hoch. Farin musste unweigerlich schlucken. "Du bist doch derselbe Mensch, oder? Der selbe Mann, den ich seit circa 50 Millionen Jahren kenne. Und daran soll sich etwas ändern, nur weil du dich verliebt hast? Seit wann ist ein Mensch, der derart für einen anderen empfindet, abstoßend?" Bela lächelte sanft. Farin hingegen fiel fast in Ohnmacht. Wenn sein Herz Fäuste hätte, würde es mit beiden gegen seinen Brustkorb hämmern und endlich seine Freilassung erzwingen. Er musste ziemlich affig aussehen, wie er da stand mit offenem Mund und geweiteten Augen. Insgeheim hatte er mit einer sehr abweisenden Reaktion Belas gerechnet. Aber nicht mit Verständnis und Vernunft. Das kleine, verkümmerte, lieblos behandelte Pflänzchen namens Hoffnung keimte wieder in Jan Vetter auf. "Heißt das, du..." Farin wusste nicht, was er sagen sollte. Sein Kopf war völlig leer. Sämtliche Gedanken, Sorgen, Ängste waren wie weggeblasen. Mittlerweile konnte er immer weniger verstehen, warum er nicht schon eher so für Bela empfand. Für den, der ihm selbst in solch kritischen Situationen sämtliche seiner Ängste nehmen konnte. "Ich finde dich garantiert nicht abstoßend, Jan!" wiederholte Bela lachend, da er bemerkte, dass sein Freund momentan nicht einmal die Adresse des Studios nennen konnte, so verwirrt schien er. "Du wirst mir nicht aus dem Weg gehen oder sowas?" fragte Jan endlich und war leicht stolz darauf, endlich einen ganzen deutschen Satz hervorgebracht zu haben. "Ach, Blödsinn", beschwichtige Bela ihn und lächelte immer noch. Farin verspürte das plötzliche, heftige Bedürfnis, Bela so fest in die Arme zu schließen, wie er nur konnte. "Nur... bin ich mir ehrlich gesagt nicht so sicher, wie ich damit umgehen soll. Ich meine... das alles hat mich schon etwas durcheinander gebracht. Ich glaube ich brauche etwas Zeit, um mich... daran zu gewöhnen ist nicht die richtige Ausdrucksweise, aber..." "Um dir vor Augen zu halten, dass dir dein bester Freund an die Wäsche will", korrigierte Farin ihn und meinte seine Aussage vollkommen ernst. Bela musste zu ihm aufsehen und schluckte leicht. Farin konnte nicht abschätzen, wie viel Lüsternheit sein Blick im Moment ausstrahlte. Aber er beschloss, sich nicht mehr gegen seine Gefühle zu wehren oder sie gar zu leugnen. Bela musste wohl oder übel damit fertig werden. Farin war nicht der einzige, der mit dieser Veränderung leben musste. Im Prinzip hing alles weitere einzig und allein von Bela ab. Und der wusste das. "So könnte man es nennen. Aber... lass es uns zumindest versuchen." Bela legte seine gesamte Aufrichtigkeit in diese Aussage. Er wollte Farin als Freund nicht verlieren. Und eine Freundschaft wie die ihre würde selbst solch kuriose Umstände überstehen. Das jedenfalls hofften sie beide. Dann musste Bela plötzlich lachen. "Was ist denn nun mit dir los?" fragte Farin völlig irritiert. "Ich weiß nicht", entgegnete Bela immer noch lachend, "aber ich will diesen Song trotzdem unbedingt auf dem Album! Obwohl ich weiß, warum und für wen du ihn geschrieben hast. Aber er gefällt mir so gut! Gefühle zeigen steht dir echt gut!" Bela knuffte Farin leicht in den Arm. "Ver-giss-es!" rief Farin nur. "Den wird kein Schwein außer dir je zu hören bekommen. Ich hab dir gesagt, der ist für dich. Und nicht für die breite Öffentlichkeit." Farin schmollte leicht. So einen ehrlichen Text hatte er noch nie in seinem Leben verfasst und Bela wollte, dass das auch noch jeder, der wollte, erfährt! Aber er fühlte sich unheimlich gut. Endlich war es raus, und Bela war weiterhin sein Freund! Auch wenn es nicht ganz das ist, von dem er wollte, dass Bela es ist. Eine andere Definition von "Freund" hätte ihm eher gefallen. Aber zumindest konnte er in seiner Nähe sein. Nun freute er sich auf die weiteren Albumaufnahmen. Sich derer entsinnend, setzte er sich in Bewegung. "Na los! Wir müssen ein Album aufnehmen!" rief er Bela zu und wartete darauf, dass sich dieser ebenfalls anschickte, zurück zu den anderen zu gehen. "Ähm... klar, ich weiß. Aber gib mir mal noch ´nen kurzen Moment. Ich muss... telefonieren. Keine Sorge, ist rein beruflich." Farin beschlich ein leises Gefühl des Misstrauens. Telefonieren? Beruflich? Alle notwendigen Personen sollten doch im Studio sein! Aber das bildete er sich wohl ein. Warum sollte Bela nicht ehrlich zu ihm sein?" "Okay. Ich geh dann schon mal vor." Farin öffnete die Tür und suchte den Weg ins Studio. Bela hingegen sah Farin noch einige Zeit nach. Dann atmete er tief ein und seufzte. "Ach, Scheiße. Ich und mein weiches Herz. Ich hätte es ihm gleich sagen sollen." Kapitel 18: ------------ Da bin ich wieder!! *freu* Nachdem ich den einen oder anderen dezenten Wunsch erhalten habe (geht eine Erpressung als Wunsch durch? *gg*), mich doch möglichst mit dem nächsten Kapi zu beeilen, hab ich die Finger glühen lassen und hier ist es nun! *stolzbin* Es ist das längste bisher, weil ich meine bisherigen Kapis im Nachhinein zu kurz finde. Außerdem wollte ich alle meine angesammelten Ideen verarbeiten. Ihr dürft auch dieses Mal die Taschentücher bereithalten *zusätzlich Milch, Decke und Kekse hinstell* Nur als Hinweis: Hallu-Bela ist vorerst zwar nicht mehr vorgesehen, aber da der Wunsch nach seiner Anwesenheit besteht, bemühe ich mich, ihn mal wieder einzubauen ^.^ In diesem Sinne: viel Spaß! ******** Beschwingt ging Farin den Gang des Gebäudes entlang und war so gut drauf wie seit Tagen nicht mehr. Es hätte kaum besser laufen können. Er hatte Bela seine Gefühle für ihn offenbart, und Bela hatte ihn nicht beschimpft, zurückgewiesen oder davongelaufen. Das Gefühl der Akzeptanz und der Erleichterung machten in Farin vieles wett, was in den vergangenen Tagen beinahe zerstört worden war. Ob sich ihre Freundschaft verändern würde, konnte Farin noch nicht abschätzen. Aber er wollte auch nicht darüber nachdenken. Zu viele Gedanken hatten in ihm gekreist, ihn um den Schlaf gebracht, an seinen körperlichen und seelischen Kräften gezehrt. Nun war Schluss damit. Er wollte wieder leben. Er wollte wieder unbeschwert und auf seine Arbeit konzentriert sein. Und er fand, dass er das durchaus verdient hatte. Die Crew schien sich die Wartezeit auf Bela und Farin mit einem Gitarrenduell zu vertreiben. Als Farin die Tür ins Studio öffnete, versuchten sich Rod und Axel im Freestyle-Gitarrespielen. Farin brauchte ein paar Sekunden, um zu erkennen, dass der Song "Smoke on the water" nachahmen soll. Aber er erkannte augenblicklich, dass Axel seine über alles geliebte "Black Hawk" umhängen hatte. "AAAAAAAAAAAAAARRRRRGGGHH!!!!!" Mit einem Mal war es totenstill. Yentzi erschrak sich so sehr, dass er seinen Kaffeebecher fallen ließ. Rod sog geräuschvoll die Luft ein. Axel wurde kreidebleich. Schwarwel, der an diesem Tag einige Artworks dabei hatte, warf seinen Skizzenbock durch den Raum. Farin blinzelte mehrmals mit den Augen, um sich zu vergewissern, dass er doch keinen Tagtraum hatte. Das Bild vor seinen Augen verschwand aber nicht. 3...2...1... "Sacht ma, ihr zigfach jestörten Dauerhirnlosrumrennenden!! Habt ihr sie noch alle?!? Det is verdammt noch ma MEINE Gitarre! Die fasst keiner außer mir an! Leg die sofort hin wo du se jefunden hast oder ick hack dir deenen Arsch ab und fahr im Winter Schlitten damit!!!" Der Assistenz-Produzent staunte nicht schlecht, als er einen flüchtigen Blick auf die Dezibel-Anzeige im Aufnahmeraum warf. Axel war bemüht, innerhalb von Nanosekunden die Gitarre abzunehmen und neben den Verstärker zu stellen, hatte aber die Befürchtung, dass das Farin dennoch zu lang dauern könnte. Der indes versuchte, den Schock so schnell wie möglich zu verarbeiten und sich mindestens genauso schnell zu beruhigen. Er schritt an Axel vorbei, wobei er ruckartig den rechten Arm zur Brust anwinkelte, um einen Schlag anzudeuten (Axel zuckte tatsächlich leicht zusammen), lehnte sich neben seinem Instrument an die Wand, atmete entnervt aus, warf Axel noch einen letzten warnenden Blick zu und fragte, was heute anliege. "Also erst mal Guten Morgen und zweitens: Wo is´ Bela?" wollte Rod González wissen. "Ähm, der muss noch irgendwie telefonieren oder so", war Farins knappe Antwort. Insgeheim wusste er wirklich nicht, ob er das glauben sollte. Bela wirkte in diesem Moment ... er wich Farin aus, zumindest hatte dieser das Gefühl. Trotz der Tatsachen, dass sie sich ausgesprochen hatten und es weitergehen sollte wie bisher. Farin hoffte, dass er sich irrte. Nur kurze Zeit später stand Bela auch schon im Raum. Er lächelte hier und da jemandem zu, doch als er Farin erblickte, fror sein Lächeln ein. Er musste sich zwingen, es wieder aufzutauen. Langsam setzte sich der Drummer in Bewegung und ging auf Farin zu. Dieser war sich nicht ganz sicher, was das sollte. Der Ältere wirkte anders als während ihres offenen Gesprächs ein paar Minuten zuvor. Sicher war Bela nur aufgeregt, nicht nur wegen der Arbeit an ihrem neuen Werk, sondern auch, weil er nicht zu wissen schien, wie er Farin gegenüber reagieren sollte. Doch Farin hielt es für unklug, darüber zu viele Gedanken zu machen. Seine Professionalität durfte nicht unter seiner privaten Situation leiden. Bela schlug Farin freundschaftlich die Hand auf die Schulter. Farin musste sich beherrschen, nicht zu sagen, dass Bela nicht übertrieben loyal tun soll. "Also, Freunde", verkündete der Schlagzeuger gut gelaunt, "ich spiele mal die nächsten zwei, drei Songs ein, und dann sehen wir mal wie´s weitergeht! Womit fangen wir an?" Sie diskutierten noch eine Weile, und Farin war sehr bemüht, seine geistige Anwesenheit zu demonstrieren. Je mehr Zeit verstrich, desto mehr zweifelte er an der Realität seines Gesprächs mit seinem besten Freund. Es kam ihm auf einmal so unwirklich vor. Sie standen hier, redeten ganz normal über die Arbeit, und Bela ging völlig in seinem Gespräch mit Rod und den anderen auf. Farin hingegen stand relativ abseits und hörte nur hin und wieder zu. Er fühlte sich plötzlich wie das fünfte Rad am Wagen, fühlte sich fehl am Platze. Hatte er Bela wirklich gesagt, dass er ihn liebte? Und wenn ja, wieso tat dieser dann alles Menschen mögliche, um diesen Umstand zu ignorieren? Mied er Farin tatsächlich ein wenig oder war es nur die Notwendigkeit eines Arbeitsgesprächs? Farin wünschte sich, er wäre ganz allein mit Bela. Irgendwo. Vor seinem inneren Auge tauchte das Bild eines grasbewachsenen Hangs auf. Sie waren unter einem Baum, der Sommerwind wehte leicht. Es war strahlend schön und angenehm warm. Bela saß aufrecht, die Arme um die angewinkelten Beine geschlungen, und erzählte eine Geschichte, eine Anekdote, egal was. Und Farin lag neben ihm und hörte ihm einfach nur zu. Lauschte der angenehmen, sanften Stimme des Schlagzeugers, sog seine Worte ein, die Wärme, die ihn ihnen war. Farin konnte nicht aufhören, den dunkelhaarigen zu betrachten. Die Konturen seines Gesichts, das Haar, das ihm der Wind immer wieder in die Stirn wehte, die strahlenden, leuchtenden, lebendigen Augen, seine warmen, weichen Lippen. Bela wandte den Kopf zu ihm und fragte ihn, ob er ihm überhaupt noch zuhörte. Farin antwortete nicht, sondern sah ihn einfach an. Bela beugte sich zu ihm hinunter, um ihn zu fragen, ob er denn zumindest noch lebte, und Farin konnte der Versuchung nicht widerstehen, legte seine Hand um Belas Nacken, zog ihn näher zu sich und... "Ey, Großer! Lebst du noch?" In seiner Vision klang die Frage irgendwie liebevoller. Farin brauchte einen Augenblick, um den Weg zurück in die Realität zu finden. Als er den Kopf so weit drehte, bis er die Quelle der eben vernommenen Stimme erblickte, sah er genau in ebenjene Augen, in denen er am liebsten versinken würde wie einem Ozean. Bela stand schräg neben ihm und sah ihn erwartungsvoll an. "Hmm, was? Tschuldige, ich war grad woanders..." Ich war an einem wundervollen Ort. Du hättest ihn sehen müssen. Sicher hätte er dir gefallen. Es war traumhaft schön. Vögel haben gezwitschert, und der Wind hatte mit den Blättern und Ästen des Baumes gespielt, hatte sie gefangen und wieder losgelassen, sie geküsst und von sich gestoßen, nur um sie wieder einzufangen... Du bist wie der Wind, Bela. Du scheinst kalt und unangenehm, doch du bist immer da. Du bist wild und ungestüm, und doch sanft und wohltuend. Du fängst mich, stößt mich weg und doch verschwindest du nicht... und ich bin ganz und gar gefangen in deinem Zauber, möchte dich nie wieder loslassen... selbst wenn du wie ein Orkan über mich hinwegfegst, bleibe ich dein... du musst nur lernen, dass auch der Wind einmal still stehen und an einem Ort verweilen kann. Das konntest du bisher nie. Vielleicht sollte ich versuchen, dich zu fangen, dich zu zähmen. Nur um mich dann von dir an bisher unerreichte, unbekannte Orte tragen zu lassen. Ich kann es kaum erwarten, bis wir endlich da sind. Farin richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen kleinen Wildfang und versuchte, die Gedanken beiseite zu schieben. Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum! Wie wahr dieser Spruch doch ist! "Ich fände es gut, wenn wir mit Himmelblau anfangen würden, um ein Feeling für die Platte zu kriegen. Die Übergänge sollten diesmal flüssiger und leichter sein als bei der letzten Platte. Was meinst du?" "Worauf warten wir dann noch?" gab Farin zurück und experimentierte mit dem Klang der Gitarrenspur herum. Das Lied ging Farin mit einer Leichtigkeit und Unbeschwertheit von der Hand, wie er es selbst nicht geglaubt hätte. Neuer Mut war ihn ihm erwacht, und er wollte seine gesamte Energie in das neue Album stecken. Es sollte nicht mehr so chaotisch und zermürbend werden wie bei der "Geräusch", wo sie sich dermaßen in den Haaren hatten, dass sie sich beinahe aufgelöst hätten. Farin war immer wieder dankbar, dass er sich bei dem anschließenden Bandgespräch nach Fertigstellung des Albums nicht zuerst ausgekotzt hatte. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass sie nun gar nicht mehr hier sitzen würden und ein neues Album aufnahmen. Farin hätte die Band damals aufgelöst. Und das hatte er auch klar und deutlich gesagt. Bela war zutiefst geschockt, und Farin musste ihm sehr lang und ausführlich versichern, dass er durch das Gespräch seine Entscheidung zurückgenommen hatte. Farin wusste damals nicht, wovor Bela genau Angst hatte. Touren war sein Leben, das hätte er wahrscheinlich am meisten vermisst. Und erst hinterher stellte sich Farin die Frage, ob der Kontakt zwischen ihm und Bela dann erneut einfach abgebrochen wäre. So wie damals, 1989. Farin hätte sich gewünscht, er wäre es gewesen, was Bela dann am meisten vermisst hätte. Farins Laune sollte drei Stunden später merklich schlechter werden, als die Arbeitsgemeinschaft sich zum Mittagessen schon wieder Pizza bestellen wollte. Als Vegetarier hat man beim Pizzalieferanten ja so unglaublich viel Auswahl! Nicht, dass er Pizza nicht mochte. Aber jeden Tag das fette, schwere Zeug in sich hineinstopfen? Auf der anderen Seite würden ihm nach Tagen der kulinarischen Entbehrung ein paar Kalorien zu viel aber auch nicht schaden. Also Pizza. Die Themen beim Essen waren auch diesmal die wichtigen 3 F´s bei Männern: Fußball, Ficken, Fernsehen. Zu allen drei konnte Farin nicht sonderlich viel beitragen. Er nutzte seinen Fernseher nur dazu, gelegentlich eine DVD anzusehen, der megagroße Fußballfan war er auch nicht gerade und das dritte... Farin konnte es sich nicht verkneifen, Bela anzusehen. Wie weit er bereit war mit dem Schlagzeuger zu gehen, wusste er eigentlich selbst nicht. Dafür waren seine Empfindungen noch zu neu und noch nicht ausgereift genug, und abgesehen davon hatte er bisher auch nicht den Wunsch, intime Erfahrungen mit dem selben Geschlecht machen zu wollen. Während er Bela betrachtete, versuchte er sich vorzustellen, was sie wohl miteinander täten, würde Bela so für Farin empfinden wie umgekehrt, wären sie nur zu zweit in einem Raum und wären sie nicht abhängig von Terminen, Arbeit, der Zeit. Vielleicht würden sie zuerst einfach nur nebeneinander sitzen, sich tief in die Augen schauen und versuchen, in den anderen so tief hineinzusehen wie es nur irgendwie ging. Dann würden sich vielleicht ihre Gesichter einander nähern, und sachte, ganz sachte, würden sich ihre Lippen berühren, hauchzart und wie ein Seidentuch, das eine glatte Fläche hinab glitt. Wenn sie durch dieses zärtliche Spiel genug angeheizt wären, würden sie wohl etwas forscher werden, und ihre Zungen in dieses intime, vertraute, erotische Spiel einweihen, bis ihre Hände endgültig nicht mehr voreinander Halt machen könnten und den Körper des anderen erkunden wollten, in zunächst zaghaften, dann mutigeren Bewegungen, und nicht allzu lang würde es dauern, bis der Stoff über den Leibern störend und lästig würde und die Handinnenflächen danach trachteten, die angenehm warme und weiche Haut des anderen Oberkörper zu spüren, gierig und verlangend über Brust, Bauch und Rücken streichelnd, und nun wollten auch ihre Münder Kontakt zu ihren anziehenden Körpern herstellen, indem sie von ihren Lippen abließen und sanft, doch bestimmt Hals und Nacken hinab wanderten, um lange, ausgiebig und hungrig den Körper des anderen zu erforschen, und vielleicht würden sie sich schlussendlich ihrer Ekstase hingeben und dem Verlangen, einander näher und intimer zu sein, als es je ein Mensch zuvor gewesen war... Farins Gedankenkarussell hielt plötzlich inne, vermutlich war die Zeit abgelaufen. Als er wieder ausstieg, bemerkte er, dass sein Gesicht glühend heiß war. Niemand schien bemerkt zu haben, was sich soeben in ihm abspielte, dass er ganz andere Gedanken hatte, die nicht im geringsten ihre Arbeit oder das aktuelle Gespräch betrafen. Er murmelte leise, dass er mal eben auf Klo ginge, und verließ den Raum. Durch die verspiegelte Glastür konnte er wahrnehmen, dass Bela ihm nachsah. Naja, niemand außer einem. Farin betrat die Toilette und wusch sich ausgiebig das Gesicht. Etwas peinlich berührt stellte er fest, dass nicht nur sein Gesicht auf sein Kopfkino reagiert hatte. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen das Waschbecken, verschränkte die Arme vor der Brust und atmete einige Male tief ein und aus. Es ging nicht. Es ging einfach nicht. Nur mit Bela im selben Raum zu sein, löste Gedanken und Gefühle in ihm aus, die er sich nicht einmal zu träumen wagte. Zu groß war die Liebe, zu hartnäckig das Verlangen. So funktionierte es nicht. Er konnte sich nicht konzentrieren, keinen klaren Gedanken fassen. Immerzu dachte er an Bela, und an die Dinge, die er am liebsten mit ihm anstellen würde. Sie würden es wohl nicht hinbekommen, ganz normal miteinander umzugehen. Und wenn Farin es sich ehrlich eingestand, wollte er das auch gar nicht. So ganz die Finger von diesem anziehenden Mann lassen. Bisschen spielen war ja wohl nicht verboten. Ach, Scheiße. War ja klar, dass gerade in diesem Augenblick die Tür aufging und - natürlich - Bela drin stand. Farin konnte sich das schiefe Grinsen nicht verkneifen, als er ihn erblickte. Du hast mir gerade noch gefehlt. Bela musterte Farin etwas verlegen, und Farin stellte mit Entsetzen fest, dass der Blick des Älteren ausgerechnet an seiner Leistengegend hängen blieb. Apropos hängen - da gab´s doch gar nichts mehr zu sehen! Hör auf mir da hinzukucken, du alter Bock! Ist mir eh schon unangenehm genug, dass du das vorhin anscheinend bemerkt hast... Bela hörte ihn offenbar und sah ihm wieder in die Augen. Ein unangenehmes, erdrückendes Schweigen legte sich über die beiden. Farin wusste nicht was er sagen sollte, und allem Anschein nach ging es Bela nicht anders. Doch dieser ergriff schließlich das Wort. "Du scheinst dich mit der Situation schwerer zu tun als ich dachte..." stellte Bela fest, wirkte aber recht betreten und schien sich unwohl zu fühlen. Farin war, als ob mehr dahintersteckte. Und er vermutete, dass, wenn er selbst nicht danach fragte, er es niemals erfahren würde. Daher packte ihn die Ungeduld. "Komm schon, Alter, genug um den heißen Brei herumgeredet. Rück endlich raus mit der Sprache. Irgendwas ist doch." Farin hatte gehofft, dass mit ihrem Gespräch alle Missverständnisse beseitigt wären. Und er bedauerte es, dass Bela nicht genauso offen zu ihm war, wie Farin Bela gegenüber. Er konnte spüren, dass Bela mit dieser direkten Konfrontation überfordert war. Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als sei sie mit Tätowierfarbe eingeprägt worden. In diesem Moment verlor er jegliche Selbstbeherrschung, konnte seine wahren Gefühle nicht vor Farin verbergen. Und wieder stellte der Blonde fest, dass sein Herz schneller schlug, dass die Aufregung in ihm hochkochte, die Angst vor dem, was gesagt würde. Die Angst vor dem Unbekannten, Ungewissen. Nun würde er hoffentlich erfahren, was in Bela, seinem besten Freund, tatsächlich vorging. Und er hatte die dunkle Vorahnung, dass es ihm nicht gefallen würde. Bela trat unsicher und nervös von einem Fuß auf den anderen, blickte Hilfe suchend um sich, öffnete und schloss den Mund mehrere Male, um seine Gedanken wieder zu verwerfen, und jene, die ihm richtig erschienen, wollten ihm nicht über die Lippen kommen. Er nahm all seinen Mut zusammen, wusste, dass ihm nichts anderes übrig blieb. Noch einige Male atmete er tief ein, und bereitete sich innerlich darauf vor, Jan die Wahrheit zu sagen. "Jan, es... ich...scheiße, wie soll ich dir das erklären..." Wieder ein Seufzer. "Was ich da vorhin gesagt hab... stimmt nicht ganz..." Farin fühlte, wie ihm leicht schlecht wurde. "Dass ich dich trotz deiner... Gefühle für mich... weiterhin so behandeln kann wie früher..." Der Kloß in Farins Hals drohte seine Luftröhre zu zerfetzen. "...wird wohl... nicht gehen..." Farin hielt sich sicherheitshalber am Waschbecken fest, um zu verhindern, dass er stürzte, sollten seine Knie tatsächlich nachgeben. Er fühlte sich elend, so hundeelend. Mehr wollte er nicht hören, er wusste genug. Seine Emotionen fuhren Achterbahn mit ihm, trugen ihn hinauf und hinab, immer und immer wieder, bestimmten die Richtung und die Geschwindigkeit und gaben einen Scheiß darauf, wie er sich dabei fühlte. Er war traurig, aufgebracht, enttäuscht, niedergeschlagen, wütend, könnte gleichzeitig schreien und heulen. Doch er versuchte die Maske aufrechtzuerhalten, er wollte nicht, dass Bela ihn so sah. Am liebsten hätte er ihn gepackt und auf ihn eingeschlagen, so lang, bis er nicht mehr konnte. Er wusste zwar, dass er sich besser zusammenreißen sollte, aber langsam und stetig gewann der Zorn die Oberhand. Er fühlte sich nicht ernst genommen, verarscht, wie ein Spielball. Zuerst so, dann so. Ja, gottverdammt noch mal, Bela war wie der Wind!!! "Ich könnte dich jetzt fragen, warum du mir das nicht vorher schon erzählt hast. Aber ich glaub das spar ich mir, wer weiß ob du mir diesmal nicht schon wieder was vom Pferd erzählst", knurrte Farin hörbar sauer, vermied es aber Bela anzusehen. Dieser Arsch. Glaubt wohl, er kann mit mir machen was er will! "Jetzt hör mir doch mal zu!" protestierte Bela und lief eine Schritt auf Farin zu, und jener schnellte zu ihm herum wie ein Tier, plötzlich und aggressiv. Bela erschrak, als er bemerkte, wie Farins Augen regelrechte Funken sprühten. Oh Fuck, warum war der Kerl nur immer so unberechenbar?! "ICH soll DIR zuhören?!! Nenn mir auch nur EINEN vernünftigen Grund, warum ich weiterhin zulassen sollte, dass du weiterhin auf meinen Gefühlen rumtrampelst!!" schrie Farin, völlig in Rage. Jetzt war es an Bela, sauer zu werden . Er konnte viel nicht leiden, aber ganz oben auf der Hitliste stand bei ihm "unberechtigterweise von Farin Urlaub angeschrien werden". "Verdammt noch mal, jetzt halt doch endlich mal den Mund!!" schrie Bela noch lauter zurück. Außer Atem standen sie da, keuchten, und Bela hatte sich Zeit verschaffen können, da Farin über seinen plötzlichen Wutausbruch so verwundert war, dass er Bela einige schweigsame Sekunden verblüfft ansah. "Ich hab dich nicht angelogen, Jan! Ich will wirklich weiter mit dir befreundet sein! Nur... ich habe es nicht übers Herz gebracht, dir zu sagen, dass... ach, so´ ne Scheiße..." Bela wurde wieder leise, aber wieder fehlten ihm die Worte, und er wandte sich von Farin ab, ging ein paar Schritte von ihm weg, drehte sich wieder leicht zu ihm hin und durchforstete seinen Wortschatz nach Worten, die genau das wiedergeben würden, was er empfand. Farin fühlte sich ziemlich auf die Folter gespannt, und sowas hasste er. Seine Neugier war nicht stärker ausgeprägt als bei anderen Menschen, doch er kam nicht damit zurecht, wenn etwas in der Schwebe stand. "Ich möchte endlich Gewissheit, nicht immer nur dieses furchtbare Vielleicht". Er schaffte es immer wieder, in passenden Momenten an seine Songs zu denken. Bela sah ihn wieder an. Diesmal lag der Ausdruck der Trauer und des Schuldbewusstseins deutlich in seinen Augen. Farin musste unweigerlich schlucken. Er spürte, dass dieser Ausdruck Belas nichts Gutes verhieß. Und er spürte, dass er das, was Bela in wenigen Lidschlägen sagen würde, überhaupt nicht hören wollen würde. Doch wiedermal schlug das Leben unbarmherzig zu, wie eine Naturkatastrophe, die unkontrollierbar wütete und keine Rücksicht auf diejenigen nahm, die sie traf. Sie würde Zerstörung und Leid hinterlassen, das Leben ihrer Opfer zerstören und dann auf Nimmerwiedersehen einfach verschwinden. Farin konnte sich innerlich zumindest darauf vorbereiten, da er sie herannahen sehen konnte. Die Katastrophe, die den Namen Bela trug. "Jan." Farin bemerkte, wie Tränen in ihm hochstiegen. Wie Bela seinen Namen aussprach, so traurig, so wehmütig, so endgültig. Wie ein Abschied für immer. Der Blick in seinen Augen noch trauriger als zuvor. Farin wünschte sich, das alles sei nur ein Traum, aus dem er endlich erwachen würde. Wenn dies der Traum sein sollte, der es ihm bestimmt war zu leben, wollte er lieber nie wieder träumen. "Es geht nicht. Ich kann das nicht. Ich kann nicht so tun, als sei alles wie gehabt. Ich hab´s vorhin gemerkt. Und ich will es auch nicht. Das ist dir gegenüber beschissen und außerdem... ich will meinen Freund zurück, verstehst du? Meinen Freund, mit dem ich stets über alles reden konnte, der immer zur Stelle war, wenn ich etwas brauchte. Du bist nicht mehr dieser Freund. Du bist jemand anderes geworden... jemand, den ich nicht kenne und der mich nicht so akzeptieren kann, wie ich bin. Weil ich anders denke, anders empfinde. Ich fürchte, wir müssen uns eingestehen, dass es nicht mehr passt. Und so sehr mich dies auch schmerzt, und so sehr ich mir auch wünsche, dass wir es vermeiden können... aber es ist wohl besser, wenn wir nur noch rein professionell miteinander verkehren. Zumindest so lange bis das Album fertig ist. Und danach... Verstehst du denn nicht, ich kann das nicht! Ich kann das einfach nicht! Mit dir zusammen sein, versuchen den Schein zu wahren, und dir jeden einzelnen verfluchten Tag aufs Neue das Herz brechen, weil ich deine Gefühle nicht teile..." Während Farin damit beschäftigt war, keinen Nervenzusammenbruch zu kriegen, Belas Worte zu verarbeiten, weiter zu atmen, obwohl am liebsten sofort damit aufhören würde, das Zittern seines Leibes so gering wie möglich zu halten, Bela in die Augen zu sehen, ohne zu weinen, bemerkte er, wie der Unterkiefer des Ältere heftig zitterte, seine Lippen bebten, und noch bevor er realisieren konnte, was geschah, stürzte Bela ihm entgegen und fiel in seine Arme, hielt ihn so fest an sich gedrückt wie er nur konnte. Farin wusste nicht, ob er die Umarmung erwidern sollte, denn eigentlich wollte er es nicht. Nicht nach dem, was Bela gesagt hatte. Sein Leben stürzte in sich zusammen wie ein Kartenhaus, und derjenige, der es umgeworfen hatte, lag nun in seinen Armen. Irgendwie war im zum Lachen zumute, obwohl es der Situation alles andere als angemessen war. Bela hatte sich an ihn geklammert und schluchzte, nicht wegen irgendeiner Frau, sondern wegen ihm. Er schluchzte, weil er ihn verloren hatte. Farin wusste insgeheim schon immer, dass die Evolution die Liebe nur deshalb in den Menschen entfachte, um sich einen Spaß daraus zu machen, um mit ihrer am weitesten entwickelten Schöpfung zu spielen und sich zu amüsieren, wenn die Menschen versuchten, sie zu begreifen oder sie gar zu beeinflussen oder zu kontrollieren. Um eine Art vor dem Aussterben zu bewahren, bedarf es keiner "Liebe". Liebe ist nur eine Illusion, eine Fata Morgana in der Wüste der Einsamkeit. Scheiß auf die Liebe. Schweren Herzens legte er seine Hände auf Belas Schultern und löste ihn von sich. Der irritierte Schlagzeuger sah Farin an, doch dessen Miene blieb kalt. Stattdessen begann Farin zu singen. "Ich wünsch mir, dass ich dich vergessen kann, Ich würd dich gerne einfach ignorieren, Ich bin mir sicher, irgendwann wird das auch einfach über Nacht passieren Bis dahin wird einige Zeit vergehen, Bis dahin muss ich noch geduldig warten, Ich werd versuchen dich nicht anzusehen, weil meine Blicke mich verraten. Den Rest kennst du ja." Atemlos stand Bela da und sah Farin in die Augen. Farin musste lächeln, als er feststellte, wie unglaublich gut das für Bela geschriebene Lied zu der Situation passte. Muss wohl in weiser Voraussicht passiert sein. Er wandte sich um und steuerte auf die Tür zu. Hinter sich hörte er Bela nach Luft schnappen. Wahrscheinlich will er mir sagen, dass ich nicht gehen soll. Wahrscheinlich will er mir sagen, dass es ihm unendlich leid tut. Dass er mich nicht als Freund verlieren will. Dann würde ich gekünstelt lachen und sagen, tja Felse, wärste mal als Frau zur Welt gekommen... Vielleicht würde ich ihn aber auch erwürgen. Keine Ahnung. Besser, wenn er die Klappe hält. Bela schwieg. Farin öffnete die Tür und verließ die Toilette. Sein Kopf war leer, frei von Gedanken. Er war dabei, alles zu verlieren, was er jemals im Leben besaß. Sein Herz war bereits fort. Kapitel 19: ------------ Schlaflose Nächte und "Huch, is´ schon so spät..." resultierte aus diesem Kapitel! ^^ Unglaublich, wie viel man in nur einer Woche so schreiben kann, die wenigen Stunden die ich so Zeit habe nach der Arbeit. Ihr dürft euch in diesem Kapitel übrigens auf zwei Charaktere freuen, die meines (und zum Teil auch eures) Erachtens zu kurz kamen... Dieses Kapi sollte eher als Filler betrachtet werden, um einen Übergang zum nächsten Event zu schaffen. Beim Durchlesen habe ich bemerkt, dass man das eventuell bemerkt. Seid mir also nicht böse. Das nächste Kapi wird GRANDIOS!! Dennoch viel Spaß und - gebt mir euer Feedback! Ach, nur so nebenbei: ich bevorzuge Jogurt-Schokolade ;-) Gruß, LorenorMidori ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Der Gedanke, wieder zurück ins Aufnahmestudio zu gehen, bereitete ihm ungefähr so viel Freude wie die Aussicht auf eine Magenspiegelung. Fröhliche, glückliche, zufriedene Menschen um sich herum war das letzte, was er gebrauchen konnte. Seine Motivation, am neuen Album zu arbeiten, war auf dem absoluten Nullpunkt. Er hasste sie alle. Er konnte es nicht ertragen, ihnen begegnen zu müssen. Er wollte sie nicht sehen, niemanden, egal wen. Immerzu fragten sie ihn nach Bela, wie es ihm ginge, wo er bleibe. Verdammt noch mal, bin ich die scheiß Auskunft oder was?! Was interessiert´s mich?? Jedes Mal, wenn sie ihn allein antrafen, diese dämlichen Fragen. Wenn er sich jetzt wieder zu seinem Arbeitskreis begeben würde, würde die ganze Scheiße wieder von vorne anfangen. Er könnte kotzen. Die Hände tief in den Hosentaschen, den Blick gesenkt, die Miene starr vor Trauer, schlurfte er den Gang zum Studio hinaus. Er hatte den vagen Plan ins Auge gefasst, ins Auto zu steigen und irgendwo hin zu fahren. Oder irgendwo gegen. Innerlich war er sowieso bereits tot, er hatte den Fehler begangen, diesem Menschen, den er einst seinen besten Freund nennen durfte, sein Herz zu schenken, des Menschen wichtigstes Organ. Er hielt es ihm auf dem Serviertablett entgegen, und zunächst zögerte der Ältere, nur um es sich doch zu nehmen und auf dem Boden zu zertrampeln. Und tat dabei so, als täte ihm das alles unendlich leid. Wie gerne würde Farin ihm diese Worte glauben. Wie gut wusste er jedoch, dass jedes Wort gelogen war. "Ich lasse dich gehen, auch wenn es mich zerreißt... es ist vorbei... vorbei... vorbei..." Wie ein Echo klang dieses Wort in seinen Ohren, wie ein immer wieder kehrender Schmerz, der nicht versiegen mochte. Vorbei. Alles war vorbei. Die wunderbarste Beziehung zu einem Menschen, die er je sein eigen nennen konnte, seine Musikkarriere, sein Leben. Alles im Arsch. Wie schnell sich das Schicksal doch zwischen Leben oder Tod entscheiden konnte. Wir sind alle nur Figuren in einem Spiel und wissen nicht einmal, wer mit uns spielt. Zu welchem Zweck. Und wann dieses unbarmherzige Spiel endlich vorbei ist. Hinter sich konnte er schnelle, lauter werdende Schritte vernehmen. Sorry, Rod, aber heut hab ich echt keinen Bock mehr auf euch und das Album. Warum, fragst du? Ich weiß, wer die Antwort kennt! Dein ach so supertoller Schlagzeuger!! Nein, Axel, ich will heute nicht mehr weiterarbeiten. Das geht ein bisschen schlecht, wenn einem soeben das Herz gebrochen wurde, weißt du. Innerlich legte sich Farin schon Antworten für die Personen zurecht, die ihn am ehesten vermissen würden. Doch er hatte jemanden vergessen. Die Schritte, jetzt fast genau hinter ihm, ebbten plötzlich ab, und Farin konnte ein atemloses Keuchen vernehmen, bis die Stimme sprach, die er am liebsten nie wieder hören wollen würde. "Jan, jetzt warte doch bitte!" Farin blieb stehen. Rührte sich nicht. Drehte sich nicht um. Wusste nicht einmal, warum er stehen blieb. Er wusste überhaupt nichts mehr. "Du kannst doch jetzt nicht einfach abhauen! Hast du dich nicht lang genug in deinem Schneckenhaus verkrochen? Lass mich bei dir sein, ich flehe dich an! Geh nicht fort von mir!!" Farin musste schlucken. Er spürte, wie er schon wieder schwach wurde und kurz davor war, nachzugeben. Aber diesmal, diesmal würden die geheuchelten Worte keine Wirkung bei ihm zeigen. Er war abgehärtet, war sie schon gewohnt. Jedes Mal das selbe, inhaltslose, unehrliche Gelaber. Diesmal würde er ihm zeigen, dass niemand mit ihm spielt. Nie wieder. Farin drehte sich langsam um, und Belas Gesicht hellte sich ein wenig auf. Was es schnell wieder rückgängig machte, als Bela Farins kalten, harten Gesichtsausdruck bemerkte. "Hast du das die letzten... lass mich nachdenken, fünf Milliarden Male nicht auch schon gesagt? Und was ist draus geworden? Deine Worte waren nie mehr als schön verpackte Leere. Und ich war lange genug so dämlich darauf hereinzufallen. Jedes Mal. Ich dachte immer, ich sei klüger. Hattest du ernsthaft geglaubt, dass ich dazu bereit bin, dein selbstverliebtes Spiel weiter mitzuspielen? Bist du eigentlich auch anderen Menschen gegenüber so grausam oder trifft das immer nur mich?" Farins wutentbrannte Worte hatten Bela tief getroffen. Niedergeschlagen blickte der Schlagzeuger, einer Erwiderung unfähig, zu Boden. Wie ein geprügelter Hund. Farin genoss, auf sadistische Weise, den Rollentausch, genoss es Bela leiden zu sehen und einmal nicht als Verlierer aus Belas Heucheleien hervorzugehen. Möglicherweise hatte er noch eine Chance, sein Verhalten zu korrigieren, wenn er am eigenen Leib erfuhr, welche Pein er Farin gegenüber verursachte. Im Normalfall verurteilte Farin das "Auge um Auge"-Prinzip aufs Schärfste, aber in diesem Fall warf er all seine Attitüden über Bord. Es wurde Zeit, dass Bela endlich kapierte, so bei Farin nichts wieder gutmachen zu können. Das jedenfalls hatte gesessen. Wortlos machte Farin auf dem Absatz kehrt und ließ Bela einfach so stehen, und er fühlte sich gut dabei, als Sieger aus dieser Angelegenheit hervorzugehen. Mit erhobenem Haupte. Er hasste es zu verlieren, und er war ein schlechter Verlierer. Doch seine Würde, seinen Stolz, die er als einzige noch sein nennen konnte, wollte er nicht verlieren, nicht auch noch. Und schon gar nicht an den Mann, der ihm ohne Rücksicht auf Gefühle bereits alles andere nahm. Die Tür schloss sich hinter ihm. Er war frei. Kein Bela, der ihm hinterherlief. Keine Arbeit. Keine Verpflichtungen. Nur der Rest seines kümmerlichen Daseins und er. _______ Unterwegs verlor Farin doch den Mut, und er fuhr nicht gegen den nächstbesten Brückenpfeiler, sondern doch nach Hause. Als er seinen Wagen vor seiner Haustür abstellte und sein Zuhause betrat, fühlte er sich noch genau so mies wie im Studiogebäude. Immerhin war er nun weit genug von Bela weg und konnte sich so eventuell auf andere Gedanken bringen. Nicht, dass er ernsthaft daran glaubte. In seinem Wohnzimmer angekommen, legte er seine Jacke über die Lehne seines Sessels, holte aber zuvor noch seine Baseballcap aus der Jackentasche. Automatisch musste er an den Moment denken, an dem er sie von Bela überreicht bekam. Es musste eine Ewigkeit her sein, und dennoch wusste Farin genau, dass dieser Moment erst wenige Stunden alt war. Da waren sie noch Freunde. Da wusste Bela noch nicht, dass Farin weit mehr in ihm sah als einen Freund, der seit ewigen Zeit ein fester Bestandteil von Farins Leben war. Er wünschte sich, er hätte Bela nie seine Gefühle für ihn offenbart. Dann wäre alles noch in Ordnung. Sie wären immer noch unzertrennliche Freunde, die füreinander und für die Musik alles geben würden. Farin schlug sich mit der flachen Hand gegen den Kopf. Er wusste, dass diese Gedankengänge keinen Sinn machten. Was geschehen war, war nun eben geschehen und ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Er vermisste Bela schon jetzt. Er vermisste, die Freundlichkeit, die Herzlichkeit, die Wärme, die dem Schlagzeuger stets anhafteten. Das sonnige, unbeschwerte Gemüt. Die tiefe Zuneigung und die Gewissheit, dass Bela immer, wirklich immer für ihn da gewesen war. Sogar dann, als er aufgrund der Trennung von seiner Freundin an Boden zerstört war. Dennoch war ihm Farins Wohlergehen wichtiger als sein eigenes. "Ich war zu stolz, um zuzugeben Ohne dich kann ich nicht leben." Seltsamerweise hatte Farin in seinem Leben bisher nur traurige Liebeslieder geschrieben, die entweder von einer nicht erwiderten oder von einer zerbrochenen Liebe handelte. Warum eigentlich? Weil er bisher noch nicht den großen Wurf landen konnte und bisher nie die Frau für´s Leben getroffen hatte? Weil er glückselige Liebeslieder zu schnulzig fand? So wie es aussah, würde sich das aber auch nicht ändern. Seine Liebeslieder würden wohl immer von Schmerz und Verlust handeln. Farin schloss die Augen, denn jedes Mal, wenn er den Blick umherschweifen ließ, fand er irgendeinen Bestandteil seiner Wohnung, der ihn an Bela erinnerte. Das Bild, das an der gegenüberliegenden Wand hing, hatte Bela damals ausgiebig gemustert, als er es das erste Mal sah. Und nur abschätzig den Kopf geschüttelt, als Farin ihn nach seiner Meinung fragte. „Zum Kotzen“ hatte er geantwortet. Oder der Wohnzimmertisch. Bela hatte sich aus Übermut mal draufgesetzt und festgestellt, dass Farin eine absolute Niete im Möbel zusammenbauen war. Minutenlang hatten sie sich lachend gepiesakt, während sie sich gegenseitig dafür die Schuld zuschoben, dass der Tisch in sich zusammengeklappt war. Und die Dreisitzer-Couch. Farin wusste noch, als sei es gestern erst passiert, wie sich Bela völlig übermüdet auf jene Couch legte, als sie spät abends nach einer Party noch einen Abstecher zu Farin machten. Der Blonde musste eigentlich nur kurz zur Toilette. Als er zurück kam, war Bela tief und fest eingeschlafen. Farin ließ sich neben ihm nieder und sah ihm einfach dabei zu, wie er schlief. Diesen innigen, intimen Moment konnte er lange nicht vergessen. Er wusste auch heute noch, wie er Bela damals sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, ihm eine Decke holte und ihn behutsam damit zudeckte, bevor er selbst schlafen ging. Als er die Augen wieder öffnete, lief eine einzelne Träne über Farins Gesicht. Zu schmerzhaft war die Erkenntnis, dass solche Erlebnisse von nun an der Vergangenheit angehörten und dazu verdammt waren, lediglich in seinen Gedanken zu existieren. Zu schmerzhaft die Tatsache, dass Farin sich an ein Leben ohne Bela würde gewöhnen müssen. Wieder einmal fragte er sich, wie er sich an etwas gewöhnen sollte, das er nie kennen gelernt hatte. Länger, als er denken konnte, war Bela an seiner Seite gewesen. Und nun war alles vorbei. Vielleicht aber auch nicht. Mittlerweile hatte sich Bela auf dem Sessel gegenüber der Couch, auf der Farin saß, niedergelassen. Als Farin dies bemerkte, durchfuhr ihn ein Stromstoß. Der Umstand, dass seine Halluzinationen zurück kehrten, machten ihm bewusst, dass er gescheitert war. Doch Bela schwieg. „Was ist? Kein besserwisserischer, altkluger Spruch? Du enttäuschst mich“, kommentierte Farin sarkastisch die Situation. Bela seufzte. „Was soll ich dir auch sagen? Dass du es endgültig geschafft hast, Bela zum Teufel zu jagen, wirst du ja in der Zwischenzeit selbst bemerkt haben.“ „Ist ja wohl mein gutes Recht, oder? Ich brauche keinen (Farin beschrieb mehrmals das Gänsefüßchen-Zeichen mit Zeige- und Ringfinger) „besten Freund“, der mir ständig irgendeinen Scheiß erzählt, den er mir zunächst als die Wahrheit verkauft, nur um ein paar Minuten später alles wieder zu revidieren. Falsche Freunde hatte ich wirklich zur Genüge.“ Bela zog spöttisch den Mundwinkel nach oben. „Hmm, lass mich nachdenken. Also wenn ich richtig informiert bin, ist Bela mittlerweile alles andere als ein falscher Freund für dich. Ich weiß, was du dir heute im Proberaum vorgestellt hast...“ „Arsch.“ „Pech! Du hast es versaut! Die vergangenen letzten Tage habe ich eine Predigt nach der anderen rausgehauen, habe dir Mut zugesprochen, dich aufgebaut und dir deine Probleme vor Augen geführt... aber du musstest ja unbedingt die Rampensau spielen. Du bist echt egoistisch!“ „Ich?! Egoistisch?!“ rief Farin außer sich. „ICH habe die ganze Zeit über meine Gefühle im Zaum gehalten, um die Aufnahmen nicht zu gefährden-“ „Ach, so nennst du es also, wenn du mal eben einfach so unangekündigt deinem Freund die Zunge in den Hals steckst?“ fragte Bela spöttisch. Farin schnappte nach Luft. „Abgesehen davon, dass du heute Bela gestanden hast, was du tatsächlich für ihn fühlst...“ ergänzte Bela mit geheimnisvoller Stimme. Farin resignierte. „Also schön. Worauf willst du hinaus?“ fragte er mit dem Tonfall eines trotzigen Kindes. „Ganz einfach! Schon seit Anbeginn deines Dramas standen immer Gefühle im Vordergrund. Nämlich deine eigenen. Schon vergessen, wie du Bela vor gar nicht allzu langer Zeit noch aus diesem Wohnzimmer davon jagtest, was im Übrigen dazu führte, dass er dir per Anrufbeantworter die Freundschaft kündigte? Und weißt du was er gemacht hat?“ Bela sah Farin erwartungsvoll an, doch dieser schüttelte unwissend den Kopf. „Er kam zu dir zurück. Und er kam auch vorhin zu dir zurück. Er ist dir nachgelaufen. Hast du dich bisher mal gefragt, WARUM er immer zurück kam, selbst wenn eure Freundschaft angeblich beendet war? Ich sag es dir: es hat was mit Gefühlen zu tun. Mit Belas Gefühlen. Möglicherweise solltest du die auch mal hinterfragen. Ich bin mir sicher, dass dies Interessantes zu Tage fördert.“ Farin atmete tief aus. Natürlich hatte Hallu-Bela vollkommen Recht. Und natürlich war Farin viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu erkennen, dass auch ein Bela Gefühle hatte. Zunächst noch hatte Bela verkündet, er könne so nicht mit Farin befreundet sein, wollte ihn von sich stoßen, spätestens nach der Fertigstellung des Albums... und doch rannte er ihm hinterher. Wollte oder konnte nicht akzeptieren, dass alles zu Ende war. Wollte vielleicht seine Worte, seine Entscheidung zurücknehmen. Dennoch schien es diesmal unwiderruflich. Farin konnte das alles nicht mehr ertragen. „Weißt du was? Ist mir scheißegal. Ich brauch deine Ratschläge nicht mehr. Verzieh endlich und hör auf dich in meinem Kopf einzunisten. Es is´ vorbei.“ Bela warf ihm noch einen langen, fragenden Blick zu. Dann fing er an, wie eine verschwindende Holografie aus einem Science-Fiction-Film, zu flimmern. „Wenn ich jetzt gehe, werde ich nie mehr zurückkehren“, warnte er Farin. „Bist du immer noch da? Hau endlich ab“, kam die schroffe Anwort. Bela nickte enttäuscht und verschwand. Farins Kopf drohte zu platzen. Dieser Strudel an Gedanken und Gefühlen brachte ihn um den Verstand, an den Rand des Wahnsinns. Er musste einen klaren Kopf bekommen. Eine Dusche, kalt und ausgiebig, würde hoffentlich ihr möglichstes dazu beitragen. Er schlurfte ins Badezimmer, entledigte sich seiner Kleidung, drehte den Wasserhahn auf und stellte sich unter den Strahl. Die Eiseskälte aus der Leitung wollte ihn aufschreien lassen, doch er unterdrückte diesen Drang und zwang sich, tief und ruhig zu atmen. Eine super buddhistische Konzentrationsübung oder so. Zumindest fühlte er sich schon etwas besser. Das Wasser half ihm, seinen Kopf ein wenig frei zu bekommen. Wenn es ihm auch dabei half, sich besser zu fühlen und nicht so innerlich tot, wäre das sogar noch besser. Als er aus der Dusche stieg und ein großes Badetuch aus dem Schrank kramte, versuchte er jegliche Gedanken an Bela zu verdrängen. Wenn er versuchen wollte weiter zu leben, musste er ihn endgültig aus seinem Leben streichen. Der Spiegelschrank. Bela und Farin hatten ihn damals gemeinsam an die Wand montiert. Gab es denn nichts, überhaupt nichts in diesem Haus, das ihn nicht an Bela erinnerte?! Jemanden aus seinem Leben zu verbannen, von dem man gehofft hat, eben dieses gemeinsam mit ihm verbringen zu können, erwies sich als außerordentlich schwer. Einerseits wollte Farin gar nicht, dass Bela nur noch ein verflogener Schatten seiner Erinnerungen würde. Ein Traum, der jedes Mal dann zu Ende war, wenn die Wirklichkeit wieder seine Anwesenheit erforderte. Farin wusste genau, dass er noch viele, viele schlaflose Nächte vor sich hatte, und falls er sich doch irgendwie ins Reich der Träume retten könnte, würde er dort seinem Traumprinzen begegnen, gar keine Frage. Dort würden sie nicht streiten, keiner würde die Gefühle des anderen verletzen. Sie würden ein friedliches, endloses Miteinander erleben, fröhlich, harmonisch, ohne Sorgen und Ängste. Farin wünschte sich, er wäre bereits dort. Doch hatte er viel zu große Angst davor, wieder aufzuwachen. Sich vor Augen zu halten, dass er Bela nur bei sich haben konnte, wenn er schlief und keine bewussten Worte und Handlungen vollziehen konnte. Dass Bela nicht mehr da war. Er bezweifelte, dass sie sich so schnell wieder begegnen würden. Wenn, dann eher aus Zufall. Die Welt war schließlich klein. Bela würde nach seiner Aktion sicher absolut die Schnauze voll haben von ihm. Er konnte es verstehen. Was er jedoch nicht verstehen konnte, war die Tatsache, dass er Bela so schlecht behandelte. Als sie zuletzt miteinander sprachen, hatte Farin sich gut gefühlt, irgendwie befreit. Doch nun tat ihm das alles nur noch Leid. Er konnte sich nicht bei Bela entschuldigen, zu groß waren die Schuldgefühle. Sein schlechtes Gewissen nagte an ihm, fraß ihn langsam, aber sicher auf. Er fühlte sich mal wieder unheimlich mies. Doch auf der anderen Seite war da dieser Mann, der es sich in den vergangenen Tagen zum Hobby machte, mit ihm zu spielen. Der ihn wie ein Jojo nach Belieben wegstieß und wieder zu sich heranholte, ohne jegliche Chance, sich dem ganzen zu entziehen. Und heute hatte dies Farin den Rest gegeben. Er wusste von einem Moment auf den anderen, zum ersten Mal seit beinahe 30 Jahren, nicht, woran er bei seinem Freund war. Vielleicht hatten sie sich auch einfach mit den Jahren verändert uns mussten erst für sich selbst herausfinden, wer sie waren. Möglicherweise kam das mit dem Alter oder mit den Erfahrungen, er wusste nicht genau woher. Die Unbeschwertheit ihrer früheren Jahre bedrückte ihn. So wie Bela es in „Rock Rendezvous“ formulierte. Es machte ihn traurig. Sie hatten keine Sorgen, mussten sich um nichts scheren. Er vermisste diese Zeiten. Damals schien alles so einfach. Sie wollten noch so viele Dinge tun und erleben. Mittlerweile hatten sie alles, wovon sie immer träumten, und wollten dennoch zu neuen Ufern aufbrechen. Nicht stagnieren, nicht stehen bleiben. Sie konnten nicht genug bekommen von dem was sie hatten und wollten immer mehr. Um voreinander zu flüchten, wenn sie zu lang aufeinander hockten, um sich von die ärzte abzulenken. Die Ruhe, die sich ab einem gewissen Alter angeblich einstellen sollte, hatte sie noch nicht erfasst. Farin hielt es nach wie vor nur so lange in Deutschland, wie er Lust hatte, mit den Ärzten oder dem Racing Team zu arbeiten. Eigentlich sollte er es ja gewohnt sein, Bela nicht zu sehen. So oft wie er verreiste. Doch immer, wenn er fremde, ferne Länder bereiste, wusste er, dass in einem kleinen Kaff in der Nähe von Hamburg jemand auf ihn wartete, schon immer. Und nun waren sie in der selben Stadt und sich so fern wie niemals zuvor. Farin atmete laut aus. Sollte er den Rest seines Lebens damit vergeuden, in Erinnerungen zu schwelgen, die ihm doch nur schmerzlich bewusst machten, dass es vorbei war? Er zwang sich dazu, sich etwas zu essen zu machen. Während die Lebensmittel vor sich hin garten, trank er einige Gläser Wasser, da seine Kehle sich wie ausgedörrt anfühlte. Zur Ablenkung beschloss er, während dem Essen eine DVD anzusehen. Doch welche? Forrest Gump? Nein danke, ihm war auch so zum heulen zumute. Eine seiner vielen Reisedokus? Japan vielleicht? Ihm fiel ein, dass er dort schon eine Weile nicht mehr gewesen war. Die Kultur und die Lebensweise faszinierten ihn, und es gefiel ihm dort. Außerdem war es schön weit weg von Bela. Vielleicht sollte später mal den Rechner einschalten und nach Flügen suchen. Während er noch überlegte, was er so ganz allein mit dem angebrochenen Abend anfangen sollte, klingelte es an der Tür. Farin erschrak. Das durfte jetzt nicht wahr sein. Du Volltrottel, mach dich nicht verrückt. Warum sollte ausgerechnet ER...? Entgegen allen inneren Sträubens lief er leise zur Tür (warum schlich er in seinen eigenen vier Wänden umher?) und lugte durch den Türspion. Es war Rod. Aufatmen. Farin öffnete die Tür und versuchte möglichst normal auszusehen. „Hey Jan, tschuldige, dass ich so spät noch aufkreuze. Ich hoffe, ich stör nicht!“ begrüßte Rod den Blonden freundlich. „Och nöö, die Weiber in meinem Schlafzimmer können sich auch ´ne Weile allein beschäftigen“, entgegnete Farin scherzhaft und hoffte, dass sein Spruch nicht ZU gekünstelt war. „Komm doch rein!“ Farin hielt dem Bassisten die Tür auf, und dieser spazierte an ihm vorbei in Farins Wohnung. Dort zog er Jacke und Schuhe aus und schnüffelte argwöhnisch. „Was los? Oh, hab ich vergessen zu lüften?“ fragte Farin stirnrunzelnd. „Nee, das riecht mehr so... verbrannt würd´ ich sagen“, erwiderte Rod, und Farin fiel siedend heiß ein, dass er noch eine Pfanne auf dem Herd stehen hatte. Mit einem panischen „Oh Scheiße!“ stürzte er in die Küche, wollte schnell die Pfanne herunternehmen, verbrannte sich aber stattdessen die Hand, schrie kurz auf, griff hektisch nach einem Topfhandschuh und schaffte es schließlich, die Pfanne auf die Spüle zu stellen. Er atmete kurz durch, stellte den Herd ab und drehte den Wasserhahn auf, um die wunde Stelle zu kühlen. Halb so wild, befand er. Das Gemüse war hin. Wie der Rest des Tages auch, stellte Farin ironisch fest. Zurück im Wohnzimmer sah Rod ihn ungläubig an. „Was´n mit dir los?“ wollte er wissen. „Und wieso seid ihr vorhin einfach so unangekündigt abgehauen, vor allem?“ „Wir?“ hakte Farin nach. „Na Felse und du!“ erklärte Rod. „Ist er nicht bei dir?“ Farin stieß einen gequälten Seufzer aus. „Nein, ist er nicht, und ich weiß auch sonst nicht wo er sich aufhält.“ „Nee, oder?“ Rod konnte die Welt nicht mehr verstehen. „Was zum Teufel is´ mit euch beiden eigentlich los? Seit Tagen lauft ihr total neben der Spur! Habt ihr euch in den Haaren oder was?“ „Nur die üblichen Streitigkeiten während den Albumaufnahmen“, versuchte Farin Rod zu beschwichtigen, wirkte aber nicht sehr überzeugend auf den Bassisten. „Okay. Wenn ich jetzt von deinem Haustelefon aus Bela anrufe, was passiert dann?“ fragte Rod forschend. Farin wusste genau, worauf er hinauswollte, also versuchte er die Frage geschickt zu umgehen. „Na, er geht ran, wenn er daheim is und rangehen kann, oder er tut es nicht“, kam Farins lapidare Antwort. „Du bist so ein schlechter Lügner, Jan.“ Schnauben. Wegdrehen von dem Mann, der ihn nach nicht einmal fünf Minuten durchschaut hatte. Rod hatte ein viel zu gutes Gespür für solche Dinge. Seine Menschenkenntnis hatte Farin zwar immer beeindruckt, aber leider berücksichtigte er nie, dass Rod diese Menschenkenntnis auch problemlos auf ihn selbst anwenden konnte. „Also, was ist wirklich los?“ hakte Rod nochmals nach. Farin lachte innerlich. Hey, weißt du was? Ich hab mich in Bela verschossen! Und weißt du was das geile daran ist? Er weiß es und will offenbar nichts mehr mit mir zu tun haben! Wahre Freundschaft, was? Immer offen gewesen für Partyschwulitäten, aber im richtigen Leben den Schwanz einkneifen. Aber hey- is mir egal. Ich brauch doch Bela nicht! Nein, überhaupt nicht. Ganz und gar nicht... Farin, der mal wieder völlig in Gedanken versunken war, bekam einen aufweckenden Schlag ab. Rod wollte aber auch einfach nicht locker lassen! Missmutig setzte er sich endlich auf die Couch (bloß nicht auf die, wo Bela damals so süß geschlafen hatte!), holte tief Luft und bemerkte, dass er ein furchtbar schlechter Gastgeber war. „Ääh, kann dir nicht was zu trinken anbieten?“ fragte er Rod schnell und war sich der Tatsache, dass er übelst versuchte vom Thema abzulenken, vollkommen bewusst. Aber Rod, der Hartnäckige, ließ sich nicht beirren. „Mensch, jetzt hör doch mal auf mit dem Kram und red endlich!“ forderte er ungeduldig. „Also schön“, willigte Farin ein und gab endgültig auf. „Ähm... ich weiß, das hört sich jetzt absolut unglaubwürdig an, aber... Bela und ich, wir... also, ich...“ Ein letztes Durchatmen. „Ich hab ihm die Freundschaft gekündigt.“ „Du hast WAS?!?“ rief Rod fassungslos und fiel beinahe aus dem Sessel. Mit offenem Mund starrte er Farin an und wollte nicht glauben, was er soeben vernahm. „Ich weiß, wie sich das anhört. Aber es gibt eine längere Geschichte dazu, ich hab mir diese Entscheidung sicherlich nicht leicht gemacht. Im Gegenteil. Es...“ Farins Gesicht nahm einen schmerzenden, traurigen Ausdruck an. Vielleicht half es ihm ja, sich endlich mal alles von der Seele zu reden. Nun ja, fast alles. „Es tut weh. Es tut so weh. Ich hätte nie gewollt, dass es je soweit kommt. Wir hatten so lange keinen Kontakt zueinander, und nun treffen wir uns zu einem neuen Album, was wir erst vor wenigen Monaten beschlossen hatten... nachdem du heim musstest wegen dem Einbruch, sind wir noch eine Weile spazieren gegangen... seine Freundin hatte ihn verlassen und er brauchte etwas Beistand... aber es war so... anders! Verstehst du? Er kam mir fremd vor, verändert. Wahrscheinlich haben wir unsere Freundschaft verkümmern lassen während der langen Pause. Ich finde einfach keinen Zugang mehr zu ihm. Er blockt ständig ab und lässt mich nicht an sich heran, aber dann... überlegt er es sich plötzlich anders und alles ist so wie früher...“ Rod lauschte Farins Worten gebannt und sah, wie Farin mit jedem gesprochenen Wort schlechter aussah. Farin war offensichtlich schwer damit beschäftigt, seine Tränen zurückzuhalten, zu groß war der Schmerz, und die Tatsache dass sie nicht mehr zueinander finden konnten. „Hast du dich jemals gefragt, warum das so ist?“ fragte Rod plötzlich mit fester Stimme. Farin traf dies wie ein Donnerschlag. „Ich verstehe nicht genau, was du meinst...“ „Hast du dich jemals gefragt, warum Bela so launenhaft ist, wie du ihn beschreibst? Was der Auslöser dafür sein könnte? Ist das die Trennung, die er durchmachen muss oder steckt da vielleicht was anderes dahinter? Mir ist auch aufgefallen, dass er schräg drauf ist, für seine Verhältnisse. Irgendwas ist mit ihm! Irgendetwas stimmt nicht! Und ich werde das Gefühl nicht los, dass es etwas mit dir zu tun hat.“ Rods fester Blick und die Überzeugung, die in seinem Ton lag, brachten Farin zum Nachdenken. Doch noch immer konnte er sich keinen Reim darauf machen. „Woher willst du das so genau wissen? Hat er dir gegenüber was gesagt?“ „Nein, aber ich habe mich bereits mit ihm getroffen,bevor er dir nach all der Zeit wieder begegnete. Und da ging es ihm noch gut! Aber seitdem er dich getroffen hat, ist er wie ausgewechselt.“ Rod stockte. „Sag bloß, das ist dir nicht aufgefallen.“ „Aber du erwähntest doch die Trennung und...“ Farins Verwirrung nahm immer mehr zu. Es stimmte, dass Bela nach ihrem Spaziergang traurig darüber war, dass Farin so schnell gehen wollte. Dummerweise hatte Farin in jenem Moment ganz andere Sorgen. Und es stimmte auch, dass Bela ein rüdes Verhalten an den Tag legte, wenn Farin ihn verließ. Hallu-Bela hatte doch vorhin auch so etwas erwähnt... aber Farin wollte dies von jemandem hören, der nicht seinen seltsamen Gehirnwindungen entsprang. Also tat er, was er immer hasste: sich dumm stellen. „Du meinst also, seine Gefühle und so sind... meinetwegen... durcheinander oder...“ fragte Farin ungläubig. Er wollte nicht so recht glauben, dass sogar Rod bemerkte, dass Bela die Nähe zu ihm suchte, er selbst jedoch nicht. Und das, obwohl Farin es war, der Belas Nähe suchte! Er fühlte mit einem Mal eine unglaubliche Schwäche und Hilflosigkeit in ihm aufsteigen, Schwindel packte ihn und ließ ihn taumeln. Die Lösung des Problems war so greifbar nahe, und er hatte sie einfach übersehen! Rod wirkte zerknirscht. „Sorry, aber für ´nen besten Freund ist das echt ´ne verdammt schwache Leistung!“ „Hallo, ich hab´s vielleicht in letzter Zeit auch nicht einfach gehabt und-“ „Und das ist jetzt deine Entschuldigung oder was ?!“ rief Rod aufgebracht. Sein Temperament brachte Farin augenblicklich zum Schweigen. „Keine Ahnung was du durchmachen musstest, oder immer noch durchmachen musst, aber Bela zu deiner Zielscheibe zu machen ist ja wohl echt... das Letzte!“ rief Rod und war sichtlich empört. „Er ist nicht meine Zielscheibe, Rod“, erwiderte Farin leise und wandte den Kopf ab. Rod registrierte Farins Miene, sah dessen schlechtes Gewissen und beruhigte sich wieder. „Hör zu. Ihr müsst das wieder auf die Reihe kriegen. Ihr müsst miteinander reden und herausfinden, wo der Hund begraben liegt. Ansonsten seh ich echt schwarz für die Band.“ riet Rod dem völlig hilflosen Farin und stand schließlich auf, um sich anzuziehen. „Wo willst´n hin?“ fragte Farin überrascht und wollte eigentlich nicht, dass Rod schon ging. „Du musst´n paar Sachen klären, und du solltest das schnell tun. Ich will dir dabei nicht im Weg sein.“, erklärte Rod und sah Farin dabei aufmunternd in die Augen. Farin ging auf ihn zu und nahm ihn fest in den Arm. „Danke, dass du mir das erzählt hast, Rod. Wir hätten uns schon früher so unterhalten müssen.“ sagte Farin leise, während er das Gefühl der Umarmung genoss. So wusste er, dass er doch nicht ganz allein war. „Schon okay. Mach dir keinen Kopf, das wird schon wieder“, entgegnete Rod aufmunternd und lächelte, als sie die Umarmung wieder lösten. Rod verabschiedete sich mit der Bitte, von Farin Nachricht zu erhalten, wenn die Wogen wieder geglättet waren. Farin versprach es ihm und schloss die Tür. Nun stand er mit seinen Problemen wieder ganz am Anfang. Was sollte er tun? Was sollte er bloß tun? Er konnte doch nach allem nicht einfach so bei Bela ankommen, nach dem Motto „Hey, ich hab endlich verstanden was mit dir los ist! Wieder Freunde?“ Er musste nachdenken. Rod hatte Recht. Das Album musste fertig gestellt werden. Ihre Fans durften nicht unter ihren Midlife-Crisis-Launen leiden. Eine weitere schlaflose Nacht würde Farin Urlaub in seinem Bett erwarten. Schade eigentlich, dass die Rod gegenüber erwähnten Weiber nicht doch in seinem Schlafzimmer warteten. Da hätte er wenigstens Beschäftigung, wenn er schon nicht würde schlafen können. Kapitel 20: ------------ *Futter hinwerf* So, da bin ich wieder. Habe mich kurzfristig dazu entschlossen, ein Mini-Kapitel zu veröffentlichen, da das ursprünglich geplante wegen unvorhergesehener Ideen sonst zuuu groß geworden wäre. ~.^ Also gibt´s hier schon mal einen Teil vorab. Den Hauptteil muss ich erst zusammen tippen, als Vorgeschmack auf das, was da kommt, muss das hier erstmal reichen! Vielen Dank für Eure Kommis und Eure Bereitschaft, diesen Schund hier zu lesen ;-) Und nur zu Info: in der Beschreibung steht "Darkfic". Also keine Beschwerden mehr jetzt! *grins* LG LorenorMidori __________________ „Jan?“ „Was jibt’s?“ „Hast du Lust, noch Party zu machen später? Rod, die Crew, alle sind dabei! Wär echt cool!“ „Och, ick weiß nich´...“ „Ey, jetzt lass doch mal einen Tag lang det scheiß Buch liegen, Alta! Det läuft dir schon nich weg, oder?“ „Ja, is ja schon jut, überredet... aber sach mal...“ „Hm, wasn?“ „Was de da vorhin uffer Bühne jesacht hast... wie bist´n da jetzt druff jekomm?“ „Wat meinst´n?“ „Na, als wa Zu spät gesung´ ham... als du mir den Heiratsantrag jemacht hast...“ „Ha ha ha! Na det hat dir jetze zu denken jejeben, wa?“ „Nee, ick wüsst nur jern, was du dir da... jedacht hast, quasi... also ick fand det schon sehr unjewöhnlich, sogar für deine Verhältnisse, Felse!“ „Na, wat soll ick dir sagen... ick lieb dir halt!“ „Ick dir ooch.“ . . . . . Farin erwachte und fand sich im abgedunkelten Schlafzimmer wieder. Er fröstelte leicht, obwohl es nicht kalt war. Seine Atmung brauchte eine Weile, um sich wieder zu beruhigen. Ebenso er. Er wusste, dass er solche Träume haben würde, hatte dies vor dem Schlafengehen einkalkuliert. Süße, leichte Erinnerungen, wie ein Sommerregen, an längst vergangene Tage. Die nun, als der Regen aufhörte und sich trüber, zäher, undurchdringbarer Nebel über ihn legte, Bauchschmerzen und Traurigkeit hinterließen. Eben noch standen sie unter diesem Sommerregen, doch nun haben sie einander im Nebel verloren. Kein Laut, keine Bewegung des anderen konnten sie wahrnehmen. Farin wurde mit einem Mal kalt. Aber wenn Nebel in der Luft lag, war das nur all zu normal. Er suchte nach Bela, rief nach ihm, doch erhielt er keine Antwort. Er wusste nicht wo sein bester Freund war, wusste nicht wo er selbst war. Ziellos irrte er umher, auf der Suche nach dem wichtigsten Menschen in seinem Leben. Und fand ihn nicht. Fand ihn nicht. Mehr zufällig fand er jedoch eine Spur. Der Nebel war immer undurchdringbarer geworden, die Temperatur war noch weiter gefallen. Farin wusste nicht, ob er zu diesen Bedingungen überhaupt eine Chance hatte, Bela zu finden. Er dachte darüber nach, umzukehren. Es war kalt, er konnte nicht sehen, und er wusste nicht wo er war. Doch leise, ganz leise, konnte er die ihm so vertraute Stimme des Schlagzeugers vernehmen: „Jan... wo bist du? Jan... du musst mich finden...“ Mittlerweile hatte es heftig zu schneien begonnen. Der Wind blies ihm ins Gesicht, stark und unerbittlich. Es wurde bitter kalt. Farin fror bis auf die Knochen. Belas Spur versank im Schnee. Er hörte einzig und allein seine Stimme... … und schlug abermals die Augen auf. Während er so zur Zimmerdecke hinauf starrte, war er abermals eingeschlafen. Diesmal war der Traum bei weitem realistischer. Bela zu finden würde keine leichte Aufgabe sein... im Moment wusste e ja nicht einmal, wie er das anstellen sollte. Er traute sich nicht so recht. Er hatte alles zerstört, hatte Bela zerstört. Und er schämte sich dafür. Dafür, dass er es vorzog, in Selbstmitleid zu versinken, anstatt seine Sinne für seine Umgebung zu schärfen. Er hätte feststellen müssen, dass Bela litt, und vor allem hätte er feststellen müssen, dass er der Grund dafür war. Deshalb beschloss er, zunächst gründlich über seine Vorgehensweise nachzudenken. Er musste Bela erst einmal dazu kriegen, ihm überhaupt zuzuhören, und dies war der schwierigste Part seines Vorhabens. Bela konnte verdammt stur sein. Und als ob dies nicht schon genug war, hatte Bela nicht einmal einen Grund, Farin überhaupt zuzuhören. Der blonde Gitarrist seufzte. Darüber sollte er eher am Tage nachdenken. Er drehte sich auf die Seite und versuchte wieder einzuschlafen, was ihm tatsächlich knappe zehn Minuten später auch gelang. Der nächste Tag hielt für Farin Kopfschmerzen und ein Gefühl, als sei er von einem Zug überrollt worden, bereit. Er hatte unglaublich schlecht geschlafen und war absolut kraftlos. Auch nach einem Tee und etwas Müsli wollte sich keine Besserung einstellen. Zumindest verfehlte eine kurze, kalte Dusche ihre Wirkung nicht. Desinteressiert spähte er auf das Display seines Telefons, nur um ebenso desinteressiert festzustellen, dass ihn niemand sprechen wollte. Das Handy hielt dieselbe Information für ihn bereit. Der Briefkasten war ebenso leer wie sein Herz. Warum schaute er überhaupt nach, ob ihn jemand suchte? War er etwa so leichtgläubig zu hoffen, Bela war ihm zuvor gekommen in seinem Vorhaben, ihre Freundschaft wieder aufleben zu lassen? Farin musste lachend den Kopf schütteln. So ein alberner Schwachsinn. Doch gleichzeitig bestätigte ihn das Desinteresse an seiner Person seitens Bela die Tatsache, dass sie getrennte Wege gingen. Bela wollte ihn nicht mehr sehen, sprechen, nicht mehr bei ihm sein. Farin fühlte sich so unglaublich einsam, so verloren. Nicht einmal auf seinen Reisen verspürte er dieses Gefühl. Draußen war es grau und trüb. Farin fragte sich, wo der Nebel abblieb. So melancholisch wie er drauf war, war es wohl keine gute Idee, Bela aufzusuchen. Er zog es vor, sich eine große, kuschlige Decke zu schnappen, sich aufs Sofa zu legen und seiner Melancholie zu frönen. Bewusst entschied er sich für die Couch, auf der Bela damals lag. Er mummte ein so gut es ging, legte den Kopf zur Seite und roch idiotischerweise am Sofabezug, in der Hoffnung, Belas Geruch wahrzunehmen. Doch dieses Erlebnis von damals von damals war zu lang her, als dass Belas Duft seiner Couch noch anhaften konnte. „Bela...“ Als Farin seinen Namen wisperte, musste er schluchzen. Sein Herz war doch noch da, das spürte er nun ganz genau. Er wusste nicht, welcher Teil seines Körpers ihm sonst in diesem Moment auch nur annähern solche Schmerzen bereiten könnte. Seit Tagen hatte er weder richtig gegessen noch geschlafen, geschweige denn gelebt. Er wusste von vornherein, dass es alles andere als einfach werden würde. Aber immerhin bestand die klitzekleine Aussicht auf eine allerletzte Chance. Farin fragte sich, wie es Bela wohl ging. Ob er auch, sich an die vergangenen Zeiten klammernd, vor sich hinvegetierte und sich wünschte, der vorige Tag hätte nicht in einer Katastrophe geendet. Ob er gerade an Farin dachte. Die Wahrscheinlichkeit war zwar äußerst gering, doch sie bestand. Er machte Farin nur allzu deutlich klar, dass er immer noch etwas für ihn empfand. Er wollte ihn am gehen hindern, obwohl er ihn von sich stieß. So war es schon immer. Miteinander konnten sie nicht leben. Aber ohne einander waren sie zum Sterben verdammt. Menschliche Gefühle hatten für Farin seit je her etwas seltsames, unerklärliches an sich. Man konnte Gefühle weder beeinflussen noch sie kontrollieren. Man konnte ewig einer unerwiderten Liebe hinterher trauern oder sein ganzes Leben immer auf die falschen Menschen hereinfallen. Man konnte für den Rest seines Lebens mit einem Menschen glücklich sein oder unendlich lange und endlos lang von Schmerzen und Misstrauen heimgesucht werden. Farins Beziehungen waren nie so glücklich verlaufen, wie er es sich erhofft hatte. Seine langen Reisen, seine Freunde und seine bedingungslose Leidenschaft für die Musik waren zum Teil ebenso ein Hindernis wie... seine absolute Ahnungslosigkeit von Gefühlen. Am wenigsten hatte er immer seine eigenen verstanden. In der vergangenen Woche hatten sie sich mal eben ganz neu entdeckt und ihn ohne jede Vorankündigung damit überrascht. Er hasste sie schon seit langem dafür, aber das war ihnen herzlich egal. Viel mehr interessierten sie sich für Bela und wichen ihm nicht mehr von der Seite. Theoretisch müsste Farin eifersüchtig auf den Schlagzeuger sein, dass er viel mehr Kontakt mit seinen Emotionen hatte als er selbst. In seiner Eifersucht hatte er leider nicht bemerkt, wie im Gegenzug Belas Gefühle zaghaft und leise bei ihm anklopften, aber aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen hatte er sie nicht wahrgenommen. Zutiefst verletzt zogen sie wieder bei Bela ein, warfen Farins Gefühle raus und hier stand er nun, in dem Wissen, dass sie eigentlich bei Bela hätten bleiben und sich mit dessen Gefühlen hätten anfreunden wollen. Oder eher sogar noch mehr. Hach, Melancholie ist ja sowas von kontraproduktiv. Da hat man echt so keine Lust zu gar nix und gammelt nur auf der Couch rum. Für Farin eine völlig neue Erfahrung. Er hatte noch nicht einmal Lust aufs Klo zu gehen, und das obwohl er das eigentlich sollte. Egal. Muss ich eben aufstehen. Hab ich jetzt aber eigentlich so gar keine Lust zu. Farin erlitt eine Herzattacke, als unvorhergesehenerweise das Telefon schellte. Willkommen zurück in der Realität. Farin wendete sich ächzend auf der Couch herum, wobei er sich so wenig wie möglich zu bewegen versuchte, schielte aufs Display (das Telefon stand im Ladegerät, welches wiederum auf dem kleinen Beistelltisch neben Farins Sofa stand), schnaufte kurz und drehte sich wieder um. „Bin nicht zuhause“, nuschelte er. Axel ließ dennoch nicht locker. „Oah Mann ey, ick hab keene Lust mit jemanden zu reden, also leg n Hörer uff jetze. Mann.“ Das Telefon hörte auf zu bimmeln. Farin wälzte sich erneut auf der Couch herum. Er setzte sich aufrecht hin. Das hatte ihn nun völlig aus den Gedanken gerissen. Er war gezwungen, sich wieder mit seinem Leben zu befassen, und das war das letzte das er wollte. Wenn er schon von seinen Tagträumereien erwacht war, konnte er genau so gut aufs Klo gehen, befand er. Also hievte er sich langsam von der Couch hoch und schlurfte ins Badezimmer. Von dort aus ging es in die Küche, wo ein großes, randvolles Glas Wasser darauf wartete, seine Kehle hinunter rinnen zu dürfen. Er schnaufte wieder. Was für ein absolut beschissener Tag. Wieder im Wohnzimmer angelangt, musste er feststellen, dass sein Tag sogar beabsichtigte noch schlechter zu werden. Bela hatte ihm seinen Platz auf dem Sofa streitig gemacht und sah ihn mit erwartungsvollen Augen an. „Ach nee, du schon wieder“, ließ Farin enttäuscht verlauten. „Bist du jetzt sowas wie mein Bela-Ersatz oder was?“ „Ich könnte alles für dich sein“, hauchte Bela und warf ihm einen Handkuss mitsamt Schlafzimmerblick zu. Farin verzog angeekelt das Gesicht. „Was denn? Ich dachte, das ist genau das, was du willst.“ „Ich will, verdammt noch mal, meine Ruhe heute. Außerdem bist du eine Manifestation meiner schlechtem Angewohnheiten, und auf die bin ich ganz sicher nicht scharf.“ „Du hast doch grade überhaupt keine Wahl, wenn ich das richtig beurteilen kann, oder?“ fragte Bela leise, aber mit einem scharfen Unterton. „Und du keinerlei Anstand. Hab ich dir nicht gestern den Marsch geblasen?“ entgegnete Farin, mittlerweile leicht gereizt. „Ja, und das was leider auch das einzige, mein Schatz“, hauchte Bela und sah Farin lasziv in die Augen. Dieser verdrehte seine eigenen und fragte: „Was willst du? Mit abermals sagen, was für ein Depp ich doch bin? Hab ich begriffen. Mir abermals sagen, ich soll auf Bela zugehen? Hab ich auch begriffen. Sonst noch was?“ Ungeduld und Gereiztheit schwängerten seine Stimme. „Hm... dir Gesellschaft leisten?“ versuchte Bela es mit gespielter Naivität. „Das ist kein Ratespiel. Und auf solch schlechte Gesellschaft wie deine kann ich gut und gern verzichten.“ „Pah. Du musst grade reden. Dabei möchte ich wetten, dass deine Gesellschaft die im Moment schlechteste von allen ist. Ich hab´s nicht fertig gebracht, meine große Liebe abzuservieren“, erwiderte Bela schnippisch, und endlich schwangen die Ironie und der beißende Spott in seinen Worten mit, den Farin von ihm gewohnt war. „Könnte daran liegen, dass du nur ´ne scheiß Halluzination bist und somit keine große Liebe hast.“ konterte Farin und war jetzt richtig in Spiellaune. „So nennst du es also. Und das, obwohl ich dir schon seit Tagen-“ „Ungefragt!!“ „...Gesellschaft leiste und dir mit Rat und Tat zur Seite stehe. Was mache ich falsch? Was muss ich tun, dass du mich endlich erhörst?“ schmachtete Bela wie ein zweitklassiger Theaterschauspieler. „Dich verpissen. Irgendwann werd ich schon merken, was ich an dir hab“, zischte Farin bissig. Bela prustete und lachte kurz laut auf. „Ha! Genau! Darin bist du echt Meister aller Klassen! Das ist auch der Grund, warum du Bela vergrault und ihm all diese schlimmen, üblen Dinge an den Kopf geworfen hast: weil du erkannt hast, was er dir bedeutet. Ich bin begeistert!“ strahlte er. „Du bist ein wahrer Profi darin, mir die Worte im Munde herumzudrehen.“ „Du weißt, dass das eine schlechte Ausrede deiner Niederlage ist. Ich bediene mich lediglich deiner rhetorischen Fähigkeiten, was mir als Teil deines Selbst nicht all zu schwer fällt.“ Farin wandte den Kopf ab und tat möglichst desinterssiert. „Du weißt, dass das nicht geht. Ich bleibe so lange, wie du an mich denkst. Was in den letzten Tagen pausenlos war.“ „Ich dachte an deine bessere Hälfte, wenn du so willst. An den wahrlich existierenden Bela. Und nicht an seinen verkrüppelten Abkömmling“, giftete Farin und sah Hallu-Bela funkelnd an. „Nenn es wie du willst“, antwortete Bela gleichgültig. Er sah Farin mit einem übertrieben mitleidigen Blick an. „Oh. Ich schätze ich hab dir den Tag versaut. Stimmt´s?“ fragte er mit Unschuldsmine. „Na, das kannst du ja schließlich am besten. Oder besser gesagt, als einziges.“ erwiderte Farin bitter. „Na dann kann ich ja wieder gehen!“ freute sich Bela und verschwand. Farin warf ihm, einem plötzlichen Impuls folgend, ein Kissen hinterher. „Dieser Arsch! Ich hätte es besser wissen müssen, aber neeiin...“ Innerlich schalt sich Farin für den vollkommensten Idioten, der je auf diesem Erdball wandeln durfte. Aber möglicherweise wollte Hallu-Bela das. Wollte, dass Farin in seiner Tagträumerei nicht seine Dummheit vergisst, und seine Absicht, sich mit Bela zu versöhnen. Es war ihm, als würde er von dem Ebenbild Belas erpresst: vertrag dich wieder mit ihm oder ich werde ich so lange quälen, bis du´s tust. Farin legte sich zurück auf die Couch. Irgendwer gönnte ihm keine ruhige Minute. Dauernd dieser Ärger, diese Qualen. Sein Leben schien ihn auf eine sadistische Art und Weise bestrafen zu wollen, und versuchte mit allen Mitteln zu verhindern, dass er irgendwann doch noch glücklich werden konnte. Es hinderte Farin jedoch nicht daran, müde zu werden. Der Schlafmangel machte sich bemerkbar, die endlosen Nächte, die er sich unfreiwillig um die Ohren schlug, die Gedanken, die ihn einfach nicht mehr loslassen wollten. Langsam dämmerte er weg, trat den Weg ins Reich der Träume an. Glücklicherweise schlief er so tief und fest, dass er sich nach dem Aufwachen keinem seiner Träume bewusst war. Der frühe Abend war hereingebrochen und Farin Urlaub hatte es tatsächlich fertig gebracht, einen ganzen Tag lang absolut nichts zu tun. Er stand auf, machte sich etwas zu essen (diesmal was einfaches aus der Mikrowelle) und suchte das Bad auf, während das Essen warm wurde. Immer noch wollte niemand etwas von ihm wissen. Irgendwie gefiel ihm das nicht, dass wirklich niemand ihn vermisste. Rod musste gegenüber den anderen etwas fallen gelassen haben, sonst hätte sich sicher jemand nach ihm erkundigt. Axel hatte es lediglich einmal versucht, ihn ans Telefon zu bekommen, was ungewöhnlich war, erwies sich die Managerin sonst als wesentlich hartnäckiger. Aber im Grunde störte es ihn nicht sonderlich. So hatte er zumindest die Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen und ohne Termindruck etwas auszuspannen. Trotz des vorangegangenen Tages fühlte er sich gut. Er war einigermaßen ausgeschlafen und das führte dazu, dass er an das Thema Bela etwas ruhiger und sachlicher denken konnte. Aber für den heutigen Tag hatte er genug gegrübelt. Er beschloss, sich zusammen mit der Fertig-Lasagne vor den Fernsehen zu setzen, eine Tüte Chips bereitzustellen (Schokolade hatte er ärgerlicherweise gerade nicht da) und seine Lieblings-Monty-Python-DVD anzusehen. Während er so DVD schaute, krümelte er experimentierfreudig seine Chips in die Lasagne (schmeckte eigenartig, aber gut), schaltete völlig vom Alltag ab und fühlte sich für den Rest des Abends pudelwohl. Die darauf folgende Nacht verlief größtenteils harmlos. Keine sonderbaren Albträume, keine nervigen Hallu-Belas. Farin argwöhnte am nächsten Morgen der Harmonie, die ihm umfing. Sein Gefühl sollte ihn nicht trügen, denn um kurz nach neun klingelte sein Telefon. Leicht missmutig schlurfte er den Flur entlang und stellte sich der Herausforderung „wieder aktiv am Leben teilnehmen“. Ein kurzer Blick aufs Display verriet ihm, dass es Axel war. „Du schon wieder“, begrüßte Farin seinen alten Freund. „Joa, icke. Sach ma, du Flitzpiepe, wat hast´n jestern jemacht? Ick hab dir anjerufen, aber nee, der Herr Urlaub hatte wat besseret zu tun, wa. Ans Handy biste ooch nich.“ „Det könnte daran liejen, dass ick´s ausjeschaltet hab“, erklärte Farin. „Wat is´n los, ey? Vorjestern warste plötzlich wie vom Erdboden vaschluckt, jestern ooch, Felse jenau so... wat habt´n ihr zwei wieder? Jeht´s mal mit´m Album weiter oder wie? Habt ´er Krach?“ löcherte Axel Farin mit aufgebrachter Stimme. „42.“ „WAT??“ rief Axel verwirrt. „Na, 42. Die Antwort uff allet is 42.“ erklärte Farin ihm nüchtern. „Is det alles was dir dazu einfällt?“ „Nee, aba det is allet, wat ick weeß.“ Schweigen. Farin hatte überhaupt keine Lust, sich jetzt lange mit Axel aufzuhalten. Zu irgendwas gedrängt oder genötigt zu werden. Deshalb wimmelte er ihn kurz angebunden ab. „Hör ma, icke würde jetzt janz gern wat frühstücken. Wenn allet soweit jeklärt is, ruf ick bei dir an und sach dir wie et weiter jeht. Okay?“ „Aber Jan...“ „Nix, aber! Wer is der Chef?“ Entnervtes Schnaufen. „Also jut. Aber mach hinne, Time is Money.“ „Jaja, is jut. Ciao.“ Farin rollte mit den Augen und trottete in die Küche. Er leitete alle eingehenden Anrufe auf den AB um, legte das Telefon auf die Anrichte und bereitete sein Frühstück zu. Als er sich damit an den Tisch setzte und gerade herzhaft in sein Brot beißen wollte, schellte es an der Haustür. „Ey, wollt´ er mir verarschen oder wat?“ murmelte Farin genervt und stand auf, um die Tür zu öffnen. Wer störte ihn wohl diesmal? Es war der Paketzusteller, der Farin ein kleines Päckchen in die Hand drückte. Farin krakelte seine Unterschrift auf das Gerät des Mannes, wünschte ihm einen schönen Tag (und sich auch) und begutachtete das Päckchen, nachdem er die Haustür wieder schloss. Natürlich kannte er die Handschrift des Absenders. Und natürlich kannte er den Absender auch. Farin seufzte. Der Tag hatte schon so merkwürdig angefangen. Da wäre es wirklich ein Wunder, wenn er nicht ebenso merkwürdig weitergehen würde. Kapitel 21: ------------ Hi Leute, hab wie versprochen meine Hände an die Tastatur gekettet und endlich mal weitergeschrieben ^^ Es ist mal wieder eine Art Minikapitel, aber es soll meinen guten Willen zeigen, endlich weiter zu machen und außerdem weiß ich noch nicht, wie groß das nächste Kapitel wird. Kann aber sein, dass es locker bis Ende April dauert, bis das neue Kapi on ist. Ich ziehe um und muss Internet erst noch beantragen (war alles etwas kurzfristig -.-) Bis dahin kann ich ja zumindest schreiben. Hochladen ist ja das geringste Problem^^ Bleibt mir auch weiterhin treu und ich verspreche euch, eure Treue wird schon bald belohnt werden! ^O^ EDIT: So richtig Bock haben auf die FanFic tut offensichtlich niemand mehr... ich brauch sie nicht fortsetzen, wenn ich keine Leser hab... schade eigentlich, ich will sie ungern abbrechen... möglicherweise mag mir doch noch jemand ´nen Kommi schreiben? *in die Runde guck* Viel Spaß beim Lesen *wink* ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Farin betrachtete das Päckchen von allen Seiten und drückte sich gleichzeitig davor, es zu öffnen. Er hatte sonderbarer- und unerklärlicherweise Angst vor dessen Inhalt. Doch konnte er dies nicht begründen, es war eher... ein Gefühl, so eine Ahnung. Nichts, was auf Logik oder Erfahrung basierte. Sein Verstand setzte wieder ein. Felse hätte ihm wohl kaum ein leeres Päckchen geschickt (obwohl, metaphorisch vielleicht?) und musste Wert darauf legen, dass Farin wusste, was darin war. Er schüttelte es erneut. Dann seufzte er. Das Paket neben seinen Frühstücksteller legend, grübelte er darüber nach, was das wohl zu bedeuten hatte. Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Und das beunruhigte ihn zusehends, da er eigentlich immer dachte, Bela zu kennen. Er schlurfte nervös in die Küche und angelte seinen Brieföffner aus einer der Schubladen. Vorsichtig öffnete er das Paket. Zuerst an den Seiten, dann längs. Das tat er immer so. Es war eine zwanghafte Angewohnheit des Perfektionisten Farin U., und er wüsste nicht, wieso er es diesmal anders machen sollte. Als er die Laschen wegklappte, erblickte er ein zusammengefaltetes Blatt Papier. Darunter befand sich eine kleine Schatulle. Mit zitternden Händen und einem Kloß von der Größe eines Tennisballs faltete er das Blatt auseinander. Bela gab sich noch weniger Mühe mit seiner Handschrift als sonst. Für Farin sehr interpretationswürdig. Alles andere als interpretationswürdig waren jedoch die Worte, die Bela verfasst hatte. "Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe geglaubt, Dich zu kennen, geglaubt, Du seiest mein Freund. Behalt das blöde Ding. Ich brauch es nicht mehr. Und auch Dich brauche ich nicht mehr. Und vergiss die Worte, die ich Dir damals gesagt habe. Dirk" Der Tennisball wuchs zu einem Volleyball heran. Farin war sich nicht sicher, ob er die Schatulle tatsächlich öffnen wollte. Er tat es, da die Neugier letztendlich siegte. Als er den kleinen Deckel hochklappte, traf ihn beinahe der Schlag. Da lag, glänzend und schön, die Kette, die Bela ihm damals bei ihrem Treffen im Stadtpark zeigte. Die Worte, die er vergessen sollte, verschafften sich gewaltsam Zutritt zu seinem Gedächtnis. „Hätte ich sie doch bloß dir geschenkt. Da wüsste ich zumindest, dass sie gut aufgehoben ist.“ Farin verstand nicht ganz. Warum hatte sich Bela die Mühe gemacht, sie ihm zu schicken? Was wollte er ihm damit sagen? War es eine Geste, so wie wenn man jemandem den Verlobungsring zurück gibt? War es mehr als das? War es ein Versuch Belas, ihn zu verdrängen, ihm zu zeigen, dass er nicht der Verlierer war, sondern der Gewinner? Und was gab es hierbei zu gewinnen? Ging es Bela um die Beruhigung seines Gewissens? Und dennoch... er konnte noch so sehr versuchen, Bela zu verstehen, aber die Quintessenz war wohl: das war´ s. Das ist der Beweis der Ernsthaftigkeit meiner Worte. Ich will dich nie wieder sehen. Farin wollte das weder glauben noch wahrhaben. Bela hätte es bei all dem belassen können, aber er hatte sich extra auf ein Postamt begeben. Ließ er Farin doch in dem Glauben, er sei nicht einmal dies wert. Farin wollte etwas tun, verspürte urplötzlich den Drang, Bela um Vergebung zu bitten. Doch Bela schien innerlich auf Gefrierschrank geschaltet zu haben. Womit könnte er ihn davon überzeugen, dass.... er ihn wirklich und aufrichtig liebte? Würde ihm dies überhaupt reichen? Außerdem war Farin der Meinung, dass Bela zumindest den Mut hätte aufbringen können, ihm das persönlich zu sagen. Stattdessen ließ er den Kontakt durch eine dumme gelbe Pappschachtel einfrieren. Farin kniff die Augen zusammen. So nicht. Das wollte er nicht. Nicht so. Er beschloss, das Päckchen unter den Arm zu klemmen und zu Bela zu fahren. Mal sehen, wie er darauf reagiert. Aber... was sollte er ihm sagen? Hey Bela, es tut mir alles so furchtbar Leid? Nein, viel zu plump. Viel zu einfallslos. Ohne jegliches Gefühl. Scheiße, verdammt. Ich kann´ s nicht. Ich bin derjenige, der den Schwanz einzieht. Ich habe alles versaut und kann mir nicht mal eingestehen, dass ich dann auch noch so arrogant bin, zu glauben, dass ich mich bloß entschuldigen bräuchte und dann ist alles wieder gut. Ich bin nicht so toll oder so wichtig, dass das funktioniert. Und schon gar nicht bei Bela. Es ist doch alles hoffnungslos. Er drehte sich um und starrte zur Haustür. Am liebsten hätte er sich geklont. Der eine Zwilling wäre zu Bela gefahren, der andere wäre zu Hause geblieben. Und je nachdem, wie das Zwiegespräch mit Bela ausginge, hätte er sich dann für den Körper entschieden, der behaglicher war. Aber sich spontan klonen zu wollen war nicht ganz so einfach. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu entscheiden. Er entschied sich dafür, dass es nun ja wohl auch furchtbar egal sei, da er eh nichts mehr zu verlieren habe. Was konnte schon passieren. Er käme an, Bela öffnete die Tür, nur um entrüstet drein zu blicken, ihm zu erklären, dass er alles, was er noch zu sagen hatte, in dem kleinen Schreiben gesagt habe und schlüge ihm die Tür wieder vor der Nase zu. Farin zog einen Mundwinkel nach oben und seufzte. Ja, damit konnte er sogar leben. Das wäre schön kurz und schmerzlos. So wie man eine Trennung eigentlich haben will. Er atmete tief ein und ließ die Atemluft in jede einzelne Faser seines Körpers eindringen. Er konzentrierte sich auf das Gefühl der Beständigkeit und der Haftung in seinen Füßen, wie sie fest auf dem Boden standen. Er hörte dem Schlagen seines eigenen Herzens zu, fühlte, wie der Puls das Blut durch seine Venen pumpte. Er war vollkommen entspannt. Die vielen Reisen in fernöstliche Gefilde zahlten sich aus. Dort gab es einige buddhistische Priester, von denen er lernte. Völlige innere Ruhe und Leere waren in solchen Momenten für in einfach unbezahlbar. Und so ganz nebenbei war der Versuch einer weiteren Versöhnung mit Bela sicherlich gut für sein Karma. Also packte er seine Siebensachen - den Schlüsselbund, seine Jacke, Portmonee, Selbstsicherheit - zusammen und verließ sein Haus, um den weiten und steinigen Weg zurück in Belas Herz anzutreten. Auf der langen Autofahrt (Farin kannte die Strecke blind) sinnierte er gelegentlich über die Worte nach, die er Bela entgegnen wollen würde. Aber jedes Mal aufs Neue ermahnte er sich, dass das mehr als postpubertär sei und er als geborener Meister der Rhetorik mit solchen Gesprächen eigentlich nicht das geringste Problem haben dürfte. Aber bisher war sein Gegenüber auch nie so wichtig für ihn gewesen. So ein wenig fühlte er sich wie ein Teenager, der seinem Schwarm aus der Parallelklasse klar machen will, dass er der einzig richtige Mann sei. Er wollte sich gar nicht erst mit dem Gedanken der Ablehnung beschäftigen, das würde ihn nur noch nervöser machen, als er es ohnehin bereits war. Bela könnte natürlich furchtbar gemein zu ihm sein und überhaupt nicht zu Hause anzutreffen sein. Farin schalt sich einen Idioten. Was sollte das bringen? Guck mal, ich bin drauf vorbereitet, dass du mich aufsuchen willst, nachdem du das Päckchen erhalten hast, du deshalb bin ich rein präventiv mal woanders? Würde Bela flüchten? Nein, es ging hier auch irgendwie um einen Machtkampf unter Männern. Darum ging es zwischen ihnen schon immer. Und so würde es auch enden. Einer gewinnt, der andre verliert. Farin wünschte sich, sie würden beide gewinnen. Einander. Eher, als er es in Erinnerung hatte, kam er vor Belas Grundstück zum Stehen. Er suchte einen Parkplatz, stellte den Motor ab und wiederholte seine Zen-Übungen. Sie konnten nicht verhindern, dass ihm sein Herz bis zum Hals schlug. Mit Mühe und Not konnte er seine Hand dazu überreden, sich um den Türgriff zu legen und ihn herunter zu drücken. Die Fahrertür sprang auf. Eine plötzliche Hitzewelle überkam Farin, kalter Schweiß lief seine Schläfen hinab. Verdammte Kacke, reiß dich zusammen! Mach hinne! Steig da jetzt aus und geh zu ihm! Innerlich zählte er auf drei, dann schwang er seine Beine aus dem Auto. Dann den Rest. Er stand. Alle guten Vorsätze schienen dahin zu sein. Von wegen locker und lässig, das war verdammt noch mal schwerer, als er dachte. Jetzt kannst du nicht mehr zurück. Du bist extra aufgestanden, hast abgewartet was der Tag so mit sich bringt und es hat sich eine Chance ergeben, die du durch Belas Päckchen niemals wahrgenommen hättest. Moment. Bela hat doch nicht etwa mit Absicht... Oder... doch? Nein, das kann nicht sein. Das wär ja absoluter Quatsch. Kein normaler Mensch macht sowas. Okay, es ist immer noch Bela, aber... nein, niemals. Ach, scheiß drauf. Geh da hin. Farin setzte sich sicheren Schrittes in Bewegung, bis er vor Belas Haustür zum Stehen kam. Ein letztes Mal noch tief durchatmen. Dann hob er den Finger und drückte Belas Klingel. Kapitel 22: Kapitel 22 ---------------------- Was lange währt, nicht? :-) Ich bin wieder am Start! Hab noch den selben Spaß am schreiben wie damals und gebe mir allergrößte Mühe, die Geschichte so fortzusetzen wie ich sie zu seiner Zeit unterbrochen habe. Lob und Tadel sind wie immer erwünscht. *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Der zitternde Finger glitt langsam vom Klingelknopf. Zur Hölle, was hatte er sich dabei gedacht?! Er wusste nicht annähernd, was er sagen, wie er reagieren sollte. Nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen, stand er da, und langsam wurde ihm warm, er begann zu schwitzen. Sekunden, Minuten, Stunden, Ewigkeiten vergingen, doch es passierte nichts. Sollte er nochmals klingeln? Oder ums Haus herumlaufen und nachschauen, ob Bela sich darin aufhielt, indem er durch die Fenster spähte wie ein perverser Spanner? Nee, das geht doch nicht! Wenn dich jemand sieht! Oder... einfach wieder gehen? Kurz, wirklich nur ganz kurz, kam ihm der Gedanke, das Päckchen auf der Fußmatte abzulegen und sich aus dem Staub zu machen. Obwohl, das wäre ja genau so asi wie Belas "Ich schick die Kette, da hast du sie" - Aktion. Boah, Gott ey, jetzt stehe ich hier wie nochwas einfach vor der Tür, rühre mich nicht und warte, bis jemand aufmacht. Das muss total... freakig aussehen. Farin drehte sich um, um sich zu vergewissern, dass niemand ihn beobachtete, was er da tat. Und zuckte zusammen, als er hörte, das die Tür tatsächlich geöffnet wurde. Vorsichtig drehte er sich um, als ob er sich davor fürchtete, bei irgendwas ertappt zu werden. Bela verzog ganz schön das Gesicht, als er sah, wer ihn behelligte, da er aus Gewohnheit nie durch den Türspion blickte, bevor er die Tür öffnete. Gemäß dem Motto "Klingle, und es wird dir aufgetan", machte er die Tür unbedarfterweise immer auf, ganz gleich wer dort stand. Jeder sollte die Chance haben, ihn sprechen zu dürfen, wenn er oder sie es wollte. Man kann´s aber auch echt übertreiben. In Farins ganz speziellem Fall war das aber gut, denn sonst würde er vor Belas Tür wohl einfach versauern. Bela stand mit griesgrämigem, säuerlichem Gesicht, die Mundwinkel nach unten gezogen, die Arme vor der Brust verschränkt, das linke Bein auf den Zehen über das rechte gekreuzt, in der Tür und musterte ihn. Sagte natürlich absolut keinen Ton. Seine Augen ließen jedoch die Frage "Was zum Teufel willst DU denn hier?" im Raum stehen. Jo, ähm... ja, was eigentlich? Gute Frage... Wäre vielleicht doch besser gewesen, wenn Farin sich irgendwie vorbereitet hätte und nicht, einem plötzlichen Impuls folgend, einfach losgefahren wäre. Glücklicherweise fiel ihm spontan etwas ein. Spontan kommt ja eh immer besser als einstudiert, nicht? Farin langte nach dem gelben Päckchen, das er sich unter den Arm geklemmt hatte, und hielt es Bela entgegen. Bela schien das nicht zu registrieren, sondern sah ihn immer noch mit diesem "Haust auch mal wieder ab?"-Blick an. Farin schüttelte es leicht, sodass die Kette gegen die Innenwände es Päckchens schlug. Immer noch keine Reaktion. Hey, eingeschlafen, Standby-Modus oder wat? "Danke für das nette Geschenk!" brach es aus Farin heraus. Ach du Schei... das hab ich jetzt nicht wirklich gesagt, oder?! Irgendeine Stelle in seiner Schaltzentrale öffnete ohne den Befehl dazu seinen Mund und jagten diese Worte da raus. Manchmal sagt man eben Dinge, die man gar nicht sagen will. Das kam bei Farin, zumindest Bela gegenüber, in den letzten Tagen quasi permanent vor. Super. Schon verkackt. Farins Absicht, sich mit Bela zu vertragen, ihm zu sagen, dass ihm endlich alles klar geworden war, dass er verstand, was in Bela vor sich ging, begann mit einer perfekt getimten Provokation. Epic fail. Und nun? Sollte er sagen "Äh, das war nicht so gemeint, hab nur laut gedacht"? Oder das gesagte ignorieren, so wie Bela das anscheinend auch tat? "Gern geschehen". Bela kam ihm zuvor. Seine Worte waren ohne Gefühl, ohne Wärme, ohne Bela. Kalt und hart war seine Stimme. Unverändert seine Körperhaltung, sein Blick. Und dann war er wieder still. Harte Nuss, stellte Farin fest. Die letzten Male hatte er sich wenigstens noch furchtbar aufgeregt, hatte seinem Temperament die Kontrolle über seinen Körper überlassen, hatte rumgebrüllt, ihn weiß Gott was alles geschumpfen, oder sich zumindest von ihm fortbewegt. Doch in jenem Moment hatte Bela scheinbar an einem Freeze-Flashmob teilgenommen und wartete auf das Auftau-Signal, das nur er kannte. Vielleicht war das ja eine Herausforderung? So wie ein Augen-Duell, wo man sich so lange in die Augen sieht, bis einer wegschauen, lachen oder sonstwas muss. Immerhin sah Bela ihm tatsächlich in die Augen, und hatte sich nicht von ihm abgewandt oder sah an ihm vorbei. Möglicherweise versuchte er, in Farins Augen die Wahrheit zu suchen, wenn er sich wieder zu erklären versuchte. Was Farin aber nicht tat. Er stand einfach da, erwiderte Belas kühlen, abweisenden Blick, hielt ihm stand, versuchte Belas Herz zu betreten, suchte den dort ihm seit jeher angestammten Platz. Belas Augen waren kalt wie Eis, eine unüberwindbare Barriere, so hoch, so stabil, dass Farin sie brechen konnte. Farins Augen, im Gegensatz, strahlen Wärme, Zuversicht, Liebe, Zuneigung, alles Positive, das Bela ins Negative umwandelte aus, suchten verzweifelt eine Lücke oder undichte Stelle. Plötzlich bebten Belas Nasenflügel, während sie sich so unendlich lang in die Augen sahen. Als ob er einen plötzlichen Anfall von Erregung zu unterdrücken versuchte, Zorn oder Empörung gleichkommend. Möglicherweise regte es ihn tatsächlich auf, dass Farin ihn einfach so wortlos anstarrte. Doch er ging nicht fort. Schlug Farin nicht die Tür wieder vor der Nase zu, schubste ihn davon, schrie wie fuchsteufelswild, er möge endlich zur Hölle fahren. Farin beschloss, offensiver zu werden. Mit einem Schritt ging er auf Bela zu, bis sie so dicht voreinander standen, dass sie einander beinah berührten. Farin senkte den Arm mit dem Paket langsam. Bela runzelte leicht die Stirn, sein Blick schien weicher zu werden, das Eis ein wenig zu schmelzen. Doch konnte er die plötzliche Nähe zu Farin nicht ertragen und wich zurück. Farin wusste, wusste genau, dass er das tun würde, betrat nun Belas Wohnung und schloss die Tür hinter sich. Drin. Puh. Bela tigerte durch den Eingangsbereich ins Wohnzimmer und blieb dort am Fenster stehen, aus dem er desinteressiert blickte. Farin schnaubte. Bela gab immer noch keinen Mucks von sich. "Das war ernst gemeint", hörte er Farin sagen. Aus dem Augenwinkel konnte er ihn im Fenster sehen, vermied es aber, ihn zu beobachten. "Du hast geschrieben, dass du sie nicht mehr brauchst, aber du hast sie nicht weggeworfen oder so. Du hast sie mir geschenkt. Trotz allem." Melancholisch betrachtete Farin die Schachtel in seinen Händen. "Wenn du das so sehen willst", erwiderte Bela durch die Zähne. Er hätte das genausogut leugnen können, tat es aber nicht. Farin musste schmunzeln. Du liebst es, mich vor Rätsel zu stellen, was? Aber gut, ich will mich dem Ratespiel stellen. Ich werde die Lösung finden. Der Preis ist der Schlüssel zu deinem Herzen, du weißt das, und ich weiß das. Du willst es mir schwer machen. Aber ich nehme jede Hürde. Für dich. Für uns. „Sag nicht, dass du überrascht bist, weil ich hier aufgetaucht bin“, sagte Farin und betrat langsam das Wohnzimmer. „Du hast sicher nicht geglaubt, dass du mir das Paket schickst und ich absolut nicht darauf reagiere. Fast so, als…. wolltest du, dass wir uns wieder annähern.“ Bela starrte immer noch aus dem Fenster und sagte kein Wort. Durch die Spiegelung des Glases konnte Farin sein Gesicht sehen, seine Augen, deren Blick er nicht zu deuten vermochte. Es war wie eine Mischung aus… Wut, Trauer, Ungeduld. Ratlosigkeit. Farin hatte Bela mit seiner Aktion ziemlich überrumpelt (wie schon so oft die letzten Tage, schalt er sich), und Bela schien nicht zu wissen, wie er diesmal reagieren sollte. Daher stand er vermutlich am Fenster, um sein Gesicht und seine Gedanken vor Farin zu verbergen, seine eigene Unsicherheit. „Du hast mir nicht gleich die Tür vor der Nase zugeworfen. Du hast zugelassen, dass ich deine Wohnung betrete. Du lässt mich sprechen, ohne mir ins Wort zu fallen oder mich anzuschreien“, fasste Farin zusammen. Er spürte, wie seine Aufregung langsam, aber sicher von ihm wich, wie sein Herz einen riesigen Satz machte, weil er so stolz auf sich war, dass er sich endlich mal in Bela hineinversetzt und seine Zeichen interpretiert hat. Farin machte sich im Gehirn kurz eine Notiz, dass er Rod für das Zwiegespräch bei ihm zu Hause danken musste, denn erst der dunkelhaarige Bassist hatte ihn auf den Gedanken gebracht, dass Farin sich endlich mit Belas Gefühlen auseinandersetzen musste. Farin sah, dass Bela mehrmals blinzelte und den Blick ein wenig senkte. „Du wolltest, dass ich komme“. Farin ging behutsam ein paar Schritte auf Bela zu. Legte das Päckchen vorsichtig auf dem Wohnzimmertisch ab. „Und genau wie ich bist du viel zu stolz, mir gegenüber zuzugeben, dass es so ist.“ „Zu stolz?“ Bela wandte sich um. Er blickte Farin direkt in die Augen. Der eisige Hauch, der ihn umgab, schien sich langsam, aber sicher zu verziehen. Bela indes versuchte dennoch vehement, seine Fassade aufrecht zu erhalten. „Etwa nicht?“ konterte Farin. Er sah Bela leicht von oben herab an. Ich bin hier, um dir gegenüber meine Fehler einzugestehen. Ich weiß, dass ich Schwächen habe. Und wir wissen beide, dass du auch welche hast. Das hier kann nur funktionieren, wenn du endlich aus deinem Schneckenhaus rauskommst und dich mir stellst. „Sind wir also hier zusammen, um über mich zu reden? Und stellen wir gleich fest, dass es meine Schuld war, was die letzten Tage gelaufen ist?“ erwiderte Bela und eine Stimme vereiste wieder. „Dirk, wir tragen beide die Schuld daran. Hörst du? Wir beide! Ich mit meinen unberechenbaren Wutausbrüchen, du mit deinem ständigen Hin und Her.“ Farin seufzte. „Früher haben wir solche Sachen echt besser hingekriegt.“ „Früher warst du auch noch nicht in mich verliebt.“ Farins Kinnlade klappte ungewollt herab. Das saß. Bela hatte den Kopf leicht schief gelegt und die Brauen nach oben gezogen, als sei dies die Erklärung für alles. Das neue 42. Was zur Hölle hatte das jetzt wieder zu bedeuten? Dass es viel einfacher wäre, wenn Farin nicht ebenjene Gefühle für Bela hatte? Dass es womöglich nie soweit gekommen wäre? Farin empfand es als saumäßig ungerecht, dass Bela ihm trotz der fairen Absichten einen Schlag unter die Gürtellinie versetzte. Er wusste überhaupt nicht, wie er dieses Bemerkung auffassen sollte. Sein Denkprozess hatte gestoppt und eine sich langsam drehende Sanduhr beherrschte seine Gedanken. Laden läuft… „Wa... wie meinst du das?“ fragte Farin heiser, weil ihm mangels einer Idee, wie er die Unterhaltung fortsetzen könnte, das Gehirn abstürzte und er es erneut starten musste. Bela atmete kurz hörbar aus, stemmte die Hände in die Hüften und ging gesenkten Hauptes im Wohnzimmer auf und ab, Farins Blick an sich geheftet. „Hör mal. Früher haben wir uns gezofft, kurz aber knackig, und dann war´s wieder gut. So richtig verkracht wie… die letzten Tage… waren wir noch nie“ begann Bela seine Erläuterung. „Es herrschte immer eine Harmonie zwischen uns, wie ich persönlich sie noch nie mit jemand anderem geteilt habe. Doch jetzt…“ Bela hielt inne, blieb stehen und blickte zur Decke, nach Worten suchend. Farin musterte ihn mit einer Mischung aus Verzweiflung und Angst. Klärende Beziehungsgespräche hatte er immer gehasst. Er kam nie damit zurecht. Nicht selten war das der Punkt, an dem ihm mangelndes Interesse vorgehalten wurde und die Dame seines Herzens ihre Koffer packte. Aber diesmal war alles anders. Er musste sich dem stellen. Bela gab ihm hier und jetzt die einmalige Chance, endlich alles wieder gut zu machen. Er durfte es nicht versauen. Und dennoch wollte er insgeheim überhaupt nicht wissen, was Bela zu sagen hatte. Zu groß war die Furcht vor weiterem Schmerz, vor bösen Worten, die ihn mehr treffen konnten als irgendetwas anderes auf der Welt. Stocksteif stand er da, aus Angst irgendeinen Fehler zu machen und Belas Bereitschaft zur Versöhnung somit aufs Spiel zu setzen. Sich in jenem Augenblick natürlich zu verhalten, schien ihm völlig unmöglich. Am allerliebsten wäre er auf Bela zugegangen, hätte ihn umarmt und so fest an sich gedrückt, dass Bela Gefahr liefe, zerquetscht zu werden. Ich für meinen Teil hätte nichts dagegen, später mal in deinen Armen zu sterben, dachte Farin. „Jan.“ Bela blickte Farin wieder in die Augen. Doch sein wehmütiger Blick traf Farin mitten ins Herz, spießte es auf und riss es fast aus seiner Brust. Farins Kehle wurde mit einem Mal trocken, er musste schlucken. Seine Hände wurden kalt. Gottverdammt, hör auf mich so anzusehen, das macht mich noch wahnsinnig! „Es wird nie wieder so sein wie früher. Wir werden nicht mehr so unbeschwert miteinander umgehen können, wie wir es all die Jahre lang taten. Wir haben uns verändert. DU hast dich verändert! Es ist, als stünde ein neuer Mensch vor mir, du bist wie ausgewechselt. Und das macht mir Angst.“ Bela senkte seinen Blick. Holte tief Luft. Farin sah, wie er erbebte. Er selbst hingegen wurde immer kleiner, kleiner und er fühlte, wie der Erdboden sich langsam unter ihm auftat, weich wurde, an ihm zog und er sich anfühlte, als sei er Treibsand. Farins Kehle war zugeschnürt, und als er Belas Namen aussprechen wollte, konnte er nicht mehr als flüstern. Seine Hand wollte nach dem Älteren greifen, doch Farin hielt sie zurück. Dann hob Bela seinen Kopf wieder, und mit einer Stimme, wie Farin sie noch nie aus Belas Munde vernahm, so zerbrechlich, so verzweifelt, verkündete er: „Ich weiß nicht mehr was ich machen soll! Ich weiß nicht, wie ich mit dir reden soll, wie ich mit dir umgehen soll, was ich tun kann, damit alles wieder so wie früher ist! Ich will nicht, dass es endet! Aber je mehr wir hier reden, desto mehr habe ich das Gefühl, dass es für alles schon zu spät ist! Warum… warum kann es nicht wieder wie früher sein??!“ Bela wandte sich von Farin ab, um die Tränen zu verbergen, die seine Wangen hinunterliefen. Farin zerriss es innerlich, er wollte zu Bela, ihn umarmen, kämpfen, doch er konnte es nicht. Tausende Gedanken und Gefühle schwirrten in ihm herum, er fühlte sich so unendlich hilflos. Resignation und Schmerz formten sein Gesicht, das viel zu gut erkennen ließ, wie sehr er innerlich litt. Er riss seinen Blick von Bela los, und wie von selbst formten seine Lippen jene Worte, die seine Erkenntnis kurz und knapp zusammenfassten. „Das heißt mit anderen Worten, wenn meine Gefühle für dich nicht wären, wären wir jetzt nicht an dem Punkt, an dem wir sind. Glaub mir, ich hab die letzten Tage mehr als oft versucht, zu hinterfragen, ob es wirklich das ist, was es ist, ob es mehr so ein kurzzeitiger Anflug war oder was ernstes und ob ich es wieder löschen kann. Ich kann´s aber nicht. Ich musste es akzeptieren. Du wirst es auch müssen, wenn wir noch irgendeine Chance haben wollen. Vor allem aber wirst du mich so akzeptieren müssen, wie ich nun bin. Und dass es jetzt eben… anders ist.“ Kühl und sachlich klangen seine Worte, als ob er über die Arbeit, das Wetter oder sonst etwas spräche. „Du kannst deinen alten Freund nicht mehr zurück haben. Er ist nicht mehr da. Er hat sich verändert und ist zu dem geworden, was er nun ist. Wenn du dich nicht auch veränderst, dann…“ Er holte tief Luft. „… sehe ich leider keine Chance für uns zwei.“ Bela erstarrte. Langsam drehte er sich zu Farin um. Der fragende Blick mit den hellen, unfassbar anziehenden, schönen Augen faszinierte Farin so sehr, wie er ihn abschreckte. Konnte man einen Menschen gleichzeitig lieben und hassen? „Und wie soll ich das machen?“ fragte Bela mit tonloser, beinahe mechanischer Stimme. Er schüttelte leicht den Kopf, um Farin das mitzuteilen, was er nicht in Worte verpacken konnte: Das geht nicht, Alter, das geht nicht! „Das wirst du schon selbst herausfinden müssen“, gab Farin ebenso gefühllos zurück. Zwischen ihnen tat sich der Grand Canyon auf. So tief der Abgrund, so weit die Entfernung. Sie standen genau am Rand. So nah beieinander, wie es nur ging, aber nur ein Schritt zu viel würde unweigerlich das Ende bedeuten. Eisiger Wind umfing sie, zerrte an ihnen, ließ sie aufeinander zutreiben, doch wohin? Zum jeweils anderen oder in den Untergang? Bela öffnete mehrmals den Mund, suchte nach Worten, die er nicht fand. Unruhig und rastlos bewegten sich seine Augen, er schien in die Enge getrieben. Er drohte zu fallen. Doch Farin fing ihn auf. Er ging auf Bela zu, packte ihn am Arm, suchte seine Augen so lange, bis er sie fand. Bela blickte zu ihm auf, mit Liebe und Schmerz, und sein geöffneter Mund wusste immer noch nichts zu sagen, als Farin dicht an ihn herantrat, so dicht, dass sie die Wärme des jeweils anderen spüren konnten. Bela musste schlucken. Mit einem Mal waren der Groll, der Schmerz vorbei. „Warum machst du das mit mir?“ fragte Bela atemlos. Farin sah ihn sehnsüchtig an, den verunsicherten, verwirrten Mann, den er einst seinen besten Freund nannte. Er hielt ihn mit seinen Augen fest, als wollte er ihn nie wieder loslassen. Stille trat für einen Moment ein, Vertrautheit und innige Zuneigung gesellten sich zu ihr. Ein gewisser, unterschwelliger Schmerz schwang in seiner Stimme mit, als Farin antwortete. „Weil ich dich liebe.“ Kapitel 23: Kapitel 23 ---------------------- Sie standen einfach nur da und sahen einander an. Farin hatte es endlich klar und deutlich gesagt, und sich dabei sogar getraut, Bela in die Augen zu sehen. Es fühlte sich an, als sei ihm eine riesige Last, ein ungeheuer großer Stein vom Herzen gefallen, denn endlich brachte er den Mut auf, die Worte auszusprechen, die schon so lange in seinem Kopf, seinen Gedanken umhergeisterten, den Mut, vor Bela und vor allem vor sich selbst dazu zu stehen. Es gab jetzt kein Zurück mehr, jetzt, nachdem es endlich raus war. Dieser Moment bedeutete einen Einschnitt in ihrem Leben, in ihrer Freundschaft. Er wünschte sich, die Zeit würde stehen bleiben, zumindest solange, bis er wusste, wie es weitergehen sollte. Was sollte er als nächstes sagen oder tun? Und was würde Bela als nächstes machen? Belas Blick, der Verwirrung, Verwunderung und Ungläubigkeit ausstrahlte, fesselte Farin, so als ob er nie wieder in diese Augen blicken könnte. Hatte er endgültig alles zerstört? Oder gab Bela ihm eine allerletzte Chance? Die Sekunden, die verstrichen, während sie sich einfach nur gegenüberstanden, Farins Hand noch immer ums Belas Oberarm gekrallt, und ansahen, als seien ihre Augen durch eine unsichtbare Kette miteinander verbunden, kamen ihren wie Stunden, Tage, Monate vor. Sie rührten sich nicht, brachten es nicht fertig, eine Bewegung zu machen oder gar den Blick voneinander abzuwenden. Farin spürte, wie Bela versuchte, sein Zittern, sein heftiges Atmen zu unterdrücken, und er konnte seinen eigenen Puls rasen spüren, das Herz schlug ihm bis zum Hals, seine Finger waren eiskalt. Sein Kopf und seine Gedanken waren leer, nichts durchbrach die Stille des Raumes und seines Geistes. Bis Bela langsam und zaghaft den Arm aus Farins Griff wand und einen halben Schritt zurück wich, ohne den Blick von Farins Augen zu wenden. Atemlos stand er da, konnte nicht fassen was geschah, wie sie sich hier gegenüberstanden, konnte die Worte nicht begreifen, die Farin ihm zuletzt mitten ins Gesicht warf. Ohne Reue, ohne Bedenken, als ob es völlig normal wäre. Ganz zart, beinahe unmerklich, schüttelte er in einer kaum merklichen Bewegung den Kopf. Farin spürte, dass etwas in seinem besten Freund vorging. Dass er gerade versuchte, seine Gedanken in Worte zu fassen. Er konnte schon lange seine Gefühle erraten, und brauchte ihm dafür bloß in die Augen zu sehen. Nur war eben die Frage, ob er das wissen wollte. „Was versuchst du mir zu sagen?“ durchbrachen Farins Worte endlich die Stille, weil er diesen unerträglichen Zustand nicht mehr aushielt und seine Neugier mal wieder die Oberhand über den Verstand gewann. Er war üblicherweise nicht seine Art, Dinge zu erforschen, von denen er nichts wissen wollte. Aber eigentlich wollte er es doch. Er hatte nur Angst vor dem, was kommen kann. Das war das erste Mal in den vergangenen Tagen so, und er befürchtete, dass es nicht das letzte Mal so sein würde. Er wurde ungeduldig, hielt diesen Zustand nicht mehr aus, dieses Warten, Hoffen, Bangen. „Jetzt sag schon“ drängte er, und erbebte in diesem Moment, seine Stimme überschlug sich schier, und er atmete, als sei er eben einen Marathon gelaufen. Hör endlich auf, mich zu quälen! Bela holte nochmals tief Luft, bevor er antwortete. „Oh Mann. Unser ganzes Leben lang waren wir Freunde. Haben so ziemlich alle Höhen und Tiefen miteinander durchgestanden, die man so miteinander durchstehen kann. Ich hab mich immer gefreut, wenn du dich aus der Versenkung heraus bei mir gemeldet hast, wenn du auf Reisen warst. All die Dinge, die wir zusammen erlebt haben… ich mein, guck mal wie wir damals angefangen haben, und jetzt…? Ich hab mich öfter mal gefragt, kann sein dass du das jetzt kitschig oder so findest, ob es damals Schicksal war, dass wir uns kennen gelernt haben. Ob irgendjemand oder irgendwas wollte, dass wir uns trafen. Ob es Gottes Plan oder so war, dass Bernd damals seine Gitarre geklaut wurde. Verstehst du, wir gehören einfach irgendwie zusammen!“ Bela hatte sich so ereifert, dass seine Stimme sich überschlug, seine Augen leuchteten förmlich, die Euphorie, mit der er sprach, raubte Farin dem Atem, und er lauschte Belas Worten gespannt, als sei er ein Jünger und Bela der Prophet, der vom Berg herabstieg, um die Erlösung zu bringen. Die Worte seines Freundes berührten ihn tief, wie eine innige, warme Umarmung, wie die ersten Sonnenstrahlen nach einem kalten, grausamen Winter voller Nebel und Schnee… Nie hätte er gedacht, dass Bela derart tief und dankbar für ihre Freundschaft empfand, denn auch wenn sie sich noch so nahe waren, über diese selbstverständliche Verbindung zwischen ihnen sprachen sie nie. Vielleicht gerade weil sie so selbstverständlich war. „Und doch…“ Belas Blick nahm wieder diesen matten, gequälten Ausdruck an, und vor Farins innerem Auge zerplatzte eine große, in allen erdenklichen Farben schimmernde Seifenblase. Er seufzte leise. „Ich weiß einfach nicht, was wir jetzt machen sollen, wie es weitergehen soll. Ob ich damit umgehen kann. Bitte, gib mir ein wenig Zeit…“ Im Farins Kopf ertönte ein Knall, einem Donnerschlag gleich. Ein Alarmsystem hatte ausgeschlagen, eine Warnung ausgestoßen, die sich auf „Zeit geben“ bezog. Auf gar keinen Fall! Wenn er sich nun darauf einließe, würde das eine Trennung auf – ungewisse – Zeit bedeuten, wenn es nicht sogar ein verzweifelter Versuch Belas war, der Situation zu entfliehen. Farin wollte das unter gar keinen Umständen zulassen. Er wollte Nägel mit Köpfen machen, hatte keine Lust mehr auf dieses ewige Warten. Er war hier und heute bei Bela aufgekreuzt, um zu erfahren, wie es weitergehen würde zwischen ihnen. Und er nahm sich vor, nicht eher zu gehen, bis die Fronten geklärt waren. Und wenn sie auf ewig mitten in Belas Wohnzimmer stehen würden, es war ihm egal. Es gab für ihn keinen anderen Weg. „Nein.“ Farins Antwort war klar und hart, wie seine Augen. Er senkte seinen Kopf ein wenig, um seiner fast befehlenden Erwiderung mehr Ausdruck zu verleihen. Bela zog überrascht die Brauen leicht hoch, als ob er sich verhört habe. Er öffnete den Mund zum Sprechen, schien aber nicht zu wissen was er sagen sollte. Das nutzte Farin schamlos aus. „Vergiss es. Ich stehe hier nicht rum, gestehe dir meine Liebe, nur um mich wieder mal von dir abweisen zu lassen, und nur um mit wieder anzuhören, dass du nicht weißt, was du jetzt machen sollst! Willst du mir weismachen, du hättest bisher noch nicht darüber nachgedacht?“ „Aber ich –„ „Scheiß aber! Bela, das geht so nicht! Du wolltest doch die ganze Zeit über, dass ich mich in dich hineinversetze und versuche zu verstehen wie´ s dir geht, oder?! Dann tu mir jetzt bitte den Gefallen und denke, hier und jetzt, mal an mich!“ Farins Stimme wurde immer lauter, immer erregter, und eine gewisse Wut schwang in ihr mit. Bela machte einen recht betroffenen Eindruck. Farin hatte den Spieß einfach umgedreht, ohne Rücksicht auf Verluste. Bela versuchte, nicht die Beherrschung zu verlieren. Er verstand es nicht. Er verstand es einfach nicht! „Jan, du verschissener dämlicher Vollidiot!!“ schrie Bela plötzlich, der Versuch war gescheitert. Er hatte jetzt wieder das Zepter in der Hand, denn nun guckte Farin wieder belämmert drein. „Sag mal, kapierst du eigentlich gar nichts?!?“ Farin dachte angestrengt nach. Nur ganz kurz. Dann dachte er, dass er verdammt noch mal keine Lust hatte, darüber nachzudenken und keine Lust mehr auf Belas Zeit gewinnende Spielchen hatte. „Nee, aber du kannst es mir gerne erklären!“ rief Farin äußerst gereizt zurück. Er bemerkte, dass Bela ein paar Mal tief Luft holte, so tief, dass sein ganzer Körper sich hob und wieder senkte. Dann setzte er sich in Bewegung. Schnellen Schrittes stampfte er an Farin vorbei, sah ihm so lange in die Augen wie das Vorbeigehen es zuließ, steuerte auf den Wohnzimmertisch zu, wo das kleine Päckchen lag, nahm es auf und hielt es, schüttelnd Farin entgegen. Farin schien es, als dämmerte es ihm ein wenig. „Sprich mir nach: ich bin ein blöder Affe“, knurrte Bela und warf Farin das Päckchen zu. .... Der Nebel war so undurchdringlich, dass Farin jegliches Gefühl für Raum und Zeit verlor. Er spürte seinen tauben, erfrorenen Körper nicht mehr. Schon eine Weile lief er im Kreis, ohne es zu merken. Er versank immer tiefer im Schnee. Ab und an trug der schneidend kalte Wind Belas Worte an seine Ohren. „Jan… ich bin hier… finde mich…“ Er hob seine blau gefrorenen, zitternden Hände. Beim Versuch, sie zu bewegen, schmerzten sie. Das Atmen fiel ihm schwer, er keuchte, sah seinem Atem in der Luft gefrieren. Langsam drehte er sich um die eigene Achse, als er begriff, dass er die Richtung einschlagen musste, von der der Wind wehte. Schweren Schrittes setzte er sich in Bewegung. Unablässig peitschten ihm Schneeflocken ins Gesicht, doch er hatte neuen Mut gefasst, ging nun energischer, entschlossener. Belas Stimme wurde langsam deutlicher. Er schloss die Augen, verließ sich ganz auf sein Gehör. Sein Herz pochte. Er fühlte, wie der Schnee langsam weniger wurde, die Schneetiefe abnahm, die Kälte immer weniger kalt wurde. Einem plötzlichen Impuls folgend, blieb er stehen. Langsam öffnete er die Augen. Wenige Meter vor ihm stand er. Kein Schnee befand sich zu seinen Füßen, sondern saftiges grünes Gras. Die Sonne stand hinter ihm und strahle so kräftig, dass Farin seine Augen mit den warmen, wieder durchbluteten Händen abschirmen musste. Wenn er es recht einschätzte, meinte er, dass Bela lächelte. Farin sah an sich hinab. Seine Füße standen noch immer auf Schnee, der Atem war noch immer leicht zu sehen. Ein Schritt… nur ein einziger Schritt war es, der sie voneinander trennte. Gleich würde er am Ziel sein, gleich würde er bei dem Menschen sein, für den er sein Leben geben würde. Er konnte es kaum noch erwarten. Langsam, wie in Zeitlupe, hob er einen Fuß, bewegte ihn nach vorne, nahm seinen Körper mit, setzte ihn auf, zog den anderen Fuß nach und… … hörte in seinen Ohren wieder diesen einen Satz, der sich in sein Gehirn gebrannt hat und den er wohl nie wieder vergessen würde: „Hätte ich sie doch bloß dir geschenkt. Da wüsste ich zumindest, dass sie gut aufgehoben ist.“ Und als Farin begriff, endlich begriff, was Bela damit meinte, warum er ihm die Kette schickte, warum er sie ihm erneut übergab, warum Bela selbst seit Tagen unsicher, launenhaft und wie der Wind war, warum er sich selbst nicht dafür entscheiden konnte, was er denn wollte, wiederholte er endlich Belas Worte: „Ich bin ein blöder Affe!“ Kapitel 24: ------------ Farin schüttelte ungläubig den Kopf und konnte sich das Lächeln, das sowohl erleichtert als auch ungläubig hätte sein können, nicht verkneifen. Bela musterte ihn unsicher, und sie standen da, sahen einander an, und die tonnenschwere Last, die so plötzlich von ihm abfiel, konnte er nicht in Worte fassen. Endlich, endlich war es vorbei. Das große Ratespiel der letzten Tage, die ständige, ihn innerlich auffressende Unsicherheit hatten ein Ende. Farin öffnete das Paket und holte die Kette heraus. Er hielt sie ins Licht und bewunderte ihren Glanz, ihre Feinheit. Im Hintergrund sah er Bela, der ihn wortlos ansah. So etwas schönes, vollkommenes, und doch so zerbrechlich... Farin ließ seine Hand langsam wieder sinken, legte die Kette zurück in die Schachtel und legte diese behutsam auf den Tisch zurück. Bela senkte seinen Blick langsam. Farin konnte förmlich riechen, dass sich eine große Unsicherheit in seinem Freund breitgemacht hatte, und so ging er langsam und sachte ein paar Schritte auf ihn zu, bis er knapp vor ihm stand. Mit seinen herab hängenden Schultern wirkte Bela aus Farins Sicht noch ein Stück kleiner. Der Blonde seufzte. „Es tut mir so Leid. Ich weiß nicht, wie ich das alles wieder gut machen soll. Bitte verzeih mir.“ Bela hob seinen Kopf, um Farin anzusehen. „Ich hab so viel Scheiße gebaut die letzten Tage“, fuhr Farin mit leiser, gequälter Stimme fort. „Mein Gott, wenn ich das gewusst hätte… ich hab mich so in mir selbst verloren, dass ich meine Umgebung überhaupt nicht mehr wahrgenommen habe. Ständig habe ich mich gefragt, was mit mir los ist, und meine Gedanken kreisten nur um mich. Ich war so verunsichert, ich hab schon gedacht, ich hab völlig einen an der Klatsche… ich war so… verwirrt und hab so verzweifelt darüber nachgedacht, wie das so urplötzlich sein kann, dass ich dich…“ Farin holte Luft. Leicht schüttelte er den Kopf, fassungslos darüber, wie er so blind gewesen sein konnte. Er hätte sich am liebsten selbst in den Arsch getreten, wenn er es gekonnt hätte. „Das kam so… plötzlich! Wir sitzen da, du erzählst mir von deiner Ex und dann… traf es mich wie der Blitz! Keine Ahnung wieso und weshalb, aber… tja, so ist es. Wenn man mich das mal gefragt hätte, ich hätte das nie für möglich gehalten! Ich meine, du warst immer für mich da und so und wir haben total viel miteinander erlebt, aber… mehr so platonisch halt! Verstehste was ick meine?“ „Ja ja, klar“, antwortete Bela knapp. Sein Blick war an Farins Brust geheftet. „Und dann… dann… ist auf einmal alles anders. Du bist anders, ich bin anders. Wie hätte ich denn mit dir umgehen sollen?“ Bela musste leise lachen. „Tja, mein Lieber, was meinst du wie oft ich mir diese Frage in den letzten Wochen gestellt habe!“ Und er lachte erneut. Farin stutzte. Hatte er sich verhört? „Hast du grade Wochen gesagt?“ fragte er ungläubig. „Ich denke schon! Aber setz dich doch endlich. Ich glaube, wir haben uns verdammt viel zu erzählen.“ Farin nahm auf der großen Dreisitzer-Couch Platz und fühlte sich weder richtig heimisch noch richtig fremd, während Bela in die Küche ging, um Teewasser aufzusetzen. Das gibt´ s nicht! Dachte er. Ich quäl mich hier einen ab und dem armen Kerl geht´ s noch länger so als mir? Warum hat er denn nichts gesagt? Haha, du Idiot. Wahrscheinlich aus dem selben Grund wie du, du Flitzpiepe. Bela kam mit einer Tasse frisch gekochten Wassers auf einem Untersetzer mit einem Teebeutel darauf in der einen Hand und einer Cola in der anderen Hand wieder ins Wohnzimmer. Er setzte sich neben Farin auf die Couch, stellte die Getränke ab und schnaufte. Farin nahm den Tee dankend an sich und begutachtete den Teebeutel. „Wats´ n dette?“ fragte er neugierig. „Keene Ahnung“, gab Bela knapp zurück. „Lag noch so herum.“ Er zuckte mit den Schultern. Normale Menschen bewahren so was ja in Kassetten oder zumindest in der Schachtel auf, dachte Farin leicht pikiert, da fliegt das nicht einfach so herum. Aber so Banausen wie Bela würden das eh nie verstehen. Er schnupperte an dem Beutel. Aha, Schwarzer Tee. „Ja, denn erzähl doch mal!“ forderte Farin Bela auf, während er den Teebeutel in die Tasse tunkte. „Hm, ja, also, wo fang ich an…“ überlegte Bela unsicher. Farin musterte ihn von der Seite. Bela war ziemlich nervös, so schuljungenmäßig. Irgendwie süß. „Also…“ Bela holte nochmals Luft. „Wir waren im Urlaub. War echt super, Wetter war blendend, wir waren gut gelaunt, haben viel zusammen gemacht… Essen war gut… ist ja auch immer wichtig, so was. In Marokko übrigens. Und dann kamen wir auf einer Sightseeing-Tour dann an einem Palast vorbei, der mir so seltsam bekannt vorkam. Und dann überlegte ich, woher ich den kannte. Und dann fiel mir ein, dass du mir mal Fotos gezeigt hattest von einem Marokko-Urlaub.“ „Schönes Land“, warf Farin ein und grinste Bela an. „Ja, auf jeden Fall“, gab Bela ihm recht und sah ihn kurz an, bevor er seinen Blick wieder an die Tischplatte heftete. „Na ja und da hab ich mich halt gefragt, was du eigentlich gerade so machst und wie´ s dir geht und alles. Und dann hab ich dir ´ne MMS geschickt.“ „Ah ja, ich erinner´ mich, mit dem Foto von dem Palast anbei!“ ereiferte Farin sich. „Da war ich grad Kuala Lumpur unsicher machen, der Scheiß war vielleicht teuer! Weltweit SMS versenden geht echt ins Geld!“ Sie lachten beide, dann fuhr Farin fort. „Du hattest mir recht schnell geantwortet, das weiß ich noch. Normalerweise bleibt so was bei dir ja immer erst mal liegen“, bemerkte Bela leicht schnippisch. „Ich hatte grad ´ne Pause eingelegt und war was futtern. Wie lange ist das eigentlich schon her? Zwei Monate?“ „Drei“, korrigierte Bela ihn. „Knapp drei. Wir haben uns ein paar SMS hin und her geschickt und später mal telefoniert. Und es… tat wirklich gut, nach all der Zeit deine Stimme zu hören. Nun ja, und dann hab ich irgendwie festgestellt, dass ich dich… irgendwie vermisse.“ Bela schwieg und senkte den Blick. Farin sah ihn an und fühlte sich gerührt. So etwas gab es bisher nie. Sie hatten schon öfter eine Weile nichts mehr voneinander gehört, da sie jeder eben ein eigenes Leben führten und ihre eigenen Projekte, Freunde und Familien hatten. Irgendeiner von ihnen meldete sich aber dennoch ab und an beim anderen, der Kontakt fiel dann aber eher kurz und knackig aus. Meist so lange, bis sie beschlossen, wieder mit die ärzte weiter zu machen. Farin gab ein leises „Hm“ von sich. Er war immer froh, seine Ruhe zu haben und als einsamer Eremit sein Dasein zu fristen. Nicht, dass er nicht gern unter Menschen war, im Gegenteil. Doch er brauchte die Einsamkeit nun einmal. Sie gab ihm Kraft, zurück zu sich selbst zu finden und sein Leben bewusst zu genießen. „Und dann?“ Farin wollte wissen, wie es weiterging. „Und dann… musste ich recht oft an dich denken. Der Urlaub rückte immer mehr in den Hintergrund, ohne dass ich es bemerkte. Als wir zurück zu Hause waren, kam es mir plötzlich eigenartig komisch vor. Ich redete mir ein, dass ich eben unsere Band vermisste und wieder Bock hatte, mich euch Musik zu machen. Aber ganz langsam, jeden Tag ein Stückchen mehr, merkte ich, dass es nicht das war, was ich wollte. Dass es nicht sie war, die ich wollte. Ich habe dagegen angekämpft, doch es hatte keinen Sinn. Ich hatte mich von ihr entfremdet, konnte aber nicht mit ihr darüber reden, weil ich sie nicht verletzen wollte. Sie hat mir so gut getan.“ Bela seufzte wieder. „Ich hab das kaputt gemacht, nicht sie. Aber ich habe ihr die Schuld daran gegeben, weil ich dachte, dass sie der Auslöser war für meine… Flucht, wie ich es lange Zeit nannte. Man lebt sich halt auseinander, das kann vorkommen, das weißt du selbst.“ Farin zog eine Augenbraue nach oben. „Ich nenne es ja eher aufs Maul fliegen, das kommt nämlich weitaus öfter vor“, kommentierte er Belas Feststellung sarkastisch. „Ich glaube, sie hat was bemerkt“, fuhr Bela fort. „Ich glaube nicht, dass sie ´nen anderen Kerl hatte. Sie wollte nur nicht, dass ich sie verlasse. Daher hat sie eben mich verlassen.“ „Nicht für ´nen Kerl verlassen oder allgemein verlassen?“ wollte Farin wissen und grinste süffisant. „Ist doch egal“, erwiderte Bela barsch. „Wen interessiert das schon.“ Farin schielte zu Bela hinüber. Der guckte leicht sauer. Dabei war doch eher er derjenige mit dem falschen Stolz und einer unverbesserlichen Sturheit. Fiel immer auf die komischsten Menschen herein. Farin brauchte immer länger, um jemanden an sich heran zu lassen, dies hatte er Bela voraus. In Kauf nehmend, dass dadurch die eine oder andere Freundschaft wahrscheinlich nie zu Stande kam. Aber immer noch besser, als andauernd verarscht zu werden. Er hatte seinen Frieden mit sich geschlossen. Bela nicht. „Auf jeden Fall hat es mich getroffen. Eigentlich wollte ich das ja gar nicht.“ Er schnaubte. „Eigentlich wusste ich ja nicht mal, was ich überhaupt wollte.“ Farin lehnte sich zurück und atmete hörbar aus. Diese Thematik kannte er von sich selbst nur zu gut. Und wie scheiße es einem dabei ging, wenn man nicht mehr wusste, wer oder was man überhaupt war, konnte er die letzten Tage mehr als genug erleben. Wenn du aufwachst, darüber nachdenkst, was den vergangenen Tag über eigentlich passiert ist, deine Welt komplett aus dem Ruder läuft und du nicht mehr weißt, ob das du bist, den du im Spiegel betrachtest oder jemand anderes… Und du in Frage stellst, ob du zuvor jemals jemanden wirklich geliebt hast, da du das Gefühl, das du nun empfindest, noch nie zuvor für jemanden empfunden hast… obwohl du weißt, dass es absurd scheint, auf einmal jemanden zu lieben, mit dem dich jahrelang eine enge Freundschaft verband, jemanden, der auch noch ausgerechnet ein Mann war, und du Männer sexuell nie anziehend fandest… Und je mehr du versuchst, deine Gefühle zu ergründen, desto schwindliger wird dir, da du dich unaufhörlich im Kreis drehst und immer schneller wirst, bis du glaubst, das Karussell nie wieder anhalten zu können…Und du weißt, je schneller es wird, umso mehr liebst du ihn… Er schielte zu Bela hinüber, der nachdenklich das Colaglas auf dem Tisch langsam um seine Achse drehte. „Weißt du…“ meinte Farin leise, „ich denke nicht, dass wir uns so sehr verändert haben. Wir sind immer noch dieselben. Wir haben keinen Fehler.“ Bela drehte den Kopf. „Wie meinst du das?“ wollte er wissen und sah Farin direkt in die Augen. „Na ja, ich meine, dass… man kann doch nicht über Nacht ein völlig anderer Mensch werden. Aber man verändert sich halt. Guck, du magst doch zum Beispiel heute auch nicht mehr alles, was du früher mal toll gefunden hast. Bücher, Musik, Filme, Comics, was weiß ich.“ „Ach nein?“ erwiderte Bela und zog eine Augenbraue hoch. „Ich hab immer noch die selben Sachen in den Regalen stehen wie damals.“ „Aber du beschäftigst dich nicht mehr damit. Die erste Platte, die du dir jemals gekauft hast. Hörst du sie noch?“ Bela überlegte kurz, um dann zu verneinen. „Siehst du! Und warum? Weil deine Interessen sich geändert haben. Das muss nicht einmal unbedingt heißen, dass du die Platte heute scheiße findest. Nur eben nicht mehr gut. Und du hast dich noch nicht von ihr getrennt, weil ein Teil deines Lebens, Erinnerungen daran hängen.“ „Und du willst damit jetzt worauf hinaus?“ fragte Bela ungeduldig und verstand kein Wort. „Ich will damit sagen, dass man sich nicht verändern muss, um anders zu sein. Okay, ohne Umschweife: du stehst auf was? Frauen. Ich steh auf was? Frauen. Eigentlich.“ „Und nur, weil man so mir nichts, dir nichts plötzlich Gefühle für einen Mann entwickelt, obwohl man sein ganzes Leben lang mit Frauen verkehrt hat, muss das nicht heißen, dass man plötzlich schwul oder bi oder sonst was ist.“ „Genau!“ Farin grinste über beide Backen. „Nicht dass das schlimm wär´ . Aber du bist immer noch du und ich bin immer noch ich. Nur dass das „Wir“ jetzt eben anders ist.“ „Aha“, gab Bela skeptisch zurück. „Du hast das ziemlich kompliziert aufgebauscht, aber ich versteh ´s jetzt. Und warum hast du´ s so kompliziert aufgebauscht? Weil du dich nicht getraut hast, es direkt anzusprechen.“ Bela nippte an seiner Cola. „Nein, um dir vor Augen zu halten, dass sich eigentlich nichts verändert hat. Dass deine Beziehung in die Brüche ging deswegen, ist natürlich beschissen-" „Ist es das?“ fragte Bela schnell und wandte sich Farin zu, der ein bisschen erschrak. Belas Augen funkelten, was Farin ein wenig zurückweichen ließ. Er verstand nicht, was Bela auf einmal hatte. Also beschloss er, ihn zu fragen. „Etwa nicht? Du sagst, sie hat dir gut getan. Was also ist daran nicht beschissen?“ „Weil sie deinetwegen ging!“ schrie Bela und schlug mit der Faust auf die Couch, stand ruckartig auf und wand Farin den Rücken zu. Der verstand die Welt nicht mehr. Behutsam stand er auf, ging um den Tisch herum und legte Bela sanft eine Hand um die Schulter. Bela drehte den Kopf in seine Richtung, ohne ihn anzusehen. Farin kniff die Augen leicht zusammen. „Du weißt, dass das nicht wahr ist. Sie ging nicht meinetwegen. Sie ging, weil du sie hast gehen lassen… meinetwegen.“ Bela sah ihn mit leicht geöffnetem Mund an. „Und ich finde, das ist etwas, das DU dir endlich eingestehen solltest." Farin sah Bela einen Moment in die Augen, bevor er sich wieder auf die Couch setzte und seinen Tee trank. Bela stemmte die Hände in die Hüften und schien den Gedanken zu verarbeiten. Dann sah er Farin an. „Hey, niemand hat behauptet, dass es einfach ist oder wird. Klar ist es komisch. Aber so ist es nun mal. Wir müssen ja… nichts überstürzen. Wir haben Zeit. Das alles ist für mich genau so fremd wie für dich. Aber wir kriegen das schon irgendwie hin. Wenn wir das wollen.“ Farins Worte beruhigten Bela sichtlich. Der dunkelhaarige atmete mehrmals tief durch, senkte kurz den Kopf, als wolle er seine Zweifel abschütteln und begab sich dann wieder neben Farin auf die Couch. Er sah Farin einige Male unsicher an, konnte dessen Augen jedoch nicht standhalten und drehte den Kopf zur Seite. Die Hürde, die sie zu nehmen hatte, schien auf den ersten Blick unüberwindbar, doch Farin gab sich zuversichtlich, dass es ihnen gelingen würde, sie zu meistern. Er lächelte. Sie waren ein Team, ein unschlagbares Team. Und das würden sie auch immer bleiben. So vieles haben sie schon gemeinsam erlebt, so viele Höhen und Tiefen prägten und vertieften ihre Freundschaft. Sie hatten immer ein offenes Ohr füreinander, konnten sich alles erzählen, konnten so heftig miteinander lachen und streiten und sich wieder vertragen, dass ihre Freundschaft wie aus Stein gemeißelt erschien. Ihre Gegensätzlichkeit war ihre größte Stärke. Das unsichtbare Band, das sie verband, hielt allem stand, jedem Zwist, jeder Entfernung. Es war immer da. Alles, was sie tun brauchten, war, leicht daran zu ziehen, um sich in Erinnerung zu rufen, dass sie niemals ohne die andere Hälfte sein würden. Ihre Freundschaft war schon immer mehr als das, mit Worten nicht beschreiben, für andere nicht nachzuempfinden. Brüder im Geiste, Seelenverwandte, Spiegelbilder, nur ungespiegelt. Die Sentimentalität des Augenblicks überrannte Farin und veranlasste ihn, Bela in den Arm zu nehmen und fest an sich drücken. Bela erwiderte die Umarmung nach einigem Zögern, den Überraschungsmoment überwindend und sich allmählich entspannend. Farin strich ihm langsam und sanft über den Rücken, so wie er es immer tat, wenn er Bela zu beruhigen oder trösten versuchte. In 99 % aller Fälle funktionierte das. Dann löste er die Umarmung behutsam und lächelt. „Du warst noch nicht fertig mit erzählen. Wir haben uns hinreißen lassen.“ „Hast Recht“, stimmte Bela ihm zu und lächelte ebenfalls knapp, um dann fortzufahren. „Jedenfalls war das Timing von ihr eh schon beschissen genug wegen den Aufnahmen, und ich war dementsprechend nervös. Und dann kam noch hinzu, dass ich dir nach all der Zeit wieder begegnen würde…“ Belas Blick wurde weich, sodass Farin kurzzeitig der Atem stockte. Diesen Blick hatte er so sehr vermisst. Nach all den Auseinandersetzungen der letzten Zeit, in denen sie nur bösartige Blicke tauschten, aller Gefühle zum Trotz, wirkte jener Blick Belas wie Pattex auf Farin, und er hing an den hellen Augen des Älteren fest, als ob er sich nie wieder von ihnen lösen wollte. Er könnte versinken in diesen Augen, in ihnen baden wie im offenen Meer, bis zum Ende aller Tage… „Hallo!!“ rief Bela und winkte mit der Hand direkt vor Farins Gesicht herum. Dieser zuckte leicht zusammen. „´schuldige“ nuschelte er knapp und bat Bela, fortzufahren. Bela errötete leicht. „Ich will´s gar nicht wissen“, gab er zu verstehen und setzte erneut an. „Jedenfalls, der Moment, dich wiederzusehen… ich hatte ein bisschen Angst davor. Ich mein, wie sollte ich regieren? Was sollte ich sagen? Zum Glück war alles ganz normal, bis wir dann abends nach dem Essen noch spazieren gingen. Aber ich genoss diese Vertrautheit so.“ „Ja, ich auch“, stimmte Farin ihm zu und schwelgte in seinen eigenen Erinnerungen an jenen Abend. Wie sie einfach nur stumm nebeneinander her gingen, die Nähe und Anwesenheit des anderen genießend. „Und dann das mit der Kette.“ Farin schluckte. Es war genau dieser Moment, der ihm seine Gefühle für Bela offenbarte. Er erinnerte sich daran, als sei es eben erst geschehen. Wie die Kette im Licht der Scheinwerfer des Parks glänzte, wie Bela seine Hand auf Farins legte. Er versetzte sich ganz tief in diesen Augenblick hinein. Wie sonderbar angenehm diese Berührung doch war, wie warm und vertraut Belas Hand. Wie sein Herz aufgeregt zu schlagen begann, wie er sich innerlich zusehends verkrampfte, sein Blut in den Ohren rauschen hören konnte. Und wie er bei der Feststellung all jener Tatsachen erschrak, Belas Hand von sich stieß und nur noch weg wollte, da sein Körper verrückt zu spielen schien. Doch da war es bereits zu spät. Alles hatte sich mit einem Mal verändert. Seine Flucht war zwecklos, denn egal wie oft oder wohin er floh, seine Gefühle für Bela holten ihn ein und ließen ihn nicht entkommen, bis er eine erneute Gelegenheit zur Flucht bekam. Er wusste noch, wie er nur noch nach Hause wollte, bloß weg von Bela, in der Hoffnung, es würde wieder aufhören. Doch das tat es nicht. Ganz im Gegenteil. Er fand sich in einem Flashback wieder, als er Belas Hand auf seiner spürte. Diesmal aber hielt sie sie umklammert, sodass er sie nicht wieder einfach zurückziehen konnte. Farin sah Bela an, die Entschlossenheit in seinem Blick hatte etwas Unheilvolles an sich, doch Farin hielt wie gebannt den Atem an. „Ich wollte es dir sagen. Ich hatte all meinen Mut aufgebracht und war entschlossen, es zu tun. Aber du bist einfach abgehauen.“ Farin senkte schuldbewusst den Blick. Es hätte also alles ganz anders verlaufen können. Mit dem Unterschied, dass dann Bela derjenige gewesen wäre, der sich zuerst offenbart hätte. Vielleicht aber auch nicht, denn Farins Gefühle waren in jenem Moment noch ganz frisch. Farin wünschte sich in ein Parallel-Universum, wo er den alternativen Verlauf des Geschehens hätte mit ansehen können. Aber nur von außerhalb. Noch mal das alles durchmachen – nee! Bela hatte es verdient, dass er jetzt auch ehrlich war. Also war er es. Seelenstriptease-like. Er hasste solche Momente. Da fühlte er sich immer blank bis auf die Knochen, komplett gläsern. Es gab kaum Schlimmeres für ihn. Aber da musste er jetzt durch, seufzte er. „Ja, wie soll ich sagen… also das war eigentlich der Moment, wo es Klick gemacht hat. Aber ich weiß nicht, woher das auf einmal kam! Es überrannte mich förmlich, so plötzlich wie das alles war… war es die Berührung oder die zurückkehrte Vertrautheit oder alles von dem oder was ganz anderes… ich weiß es einfach nicht. Aber ich erschrak vor mir selbst, ich war so überfordert mit der ganzen Situation… ich musste einfach weg.“ Bela nickte abschätzig und verzog die Mundwinkel. Jetzt hält er mich bestimmt für einen Feigling, dachte Farin. Was ja auch stimmte, irgendwie. Aber den Fluchtinstinkt konnte er nicht unterdrücken, er musste dem erst einmal auf den Grund gehen, was ja auch lang genug dauerte. Oh, die Besuche von Hallu-Bela. Die musste er unbedingt für sich behalten. Das geht gar nicht. Das war ja Klapsmühlen-reif. Wie „Fear and Loathing in Las Vegas“ – nur ohne die Drogen. Aber dann nickte Bela, leicht, aber bestimmt. „Ich glaub, ich verstehe das. Ich war aber trotzdem sauer. Du Arsch hast den ganzen Abend kaputt gemacht.“ Farin seufze. „Ick weeß, ick weeß. Es tut mir ja Leid. Ich hab auch kaum geschlafen in der Nacht.“ „Ich weiß, du hast diesen Song geschrieben.“ Farin erstarrte. „Du… du hast ihn gelesen?“ fragte er ungläubig. Bela schmunzelte. „Selbstverständlich hab ich das! Ich fand ja die ersten Zeilen schon so schön, die ich bei dir zu Hause gelesen habe. Und, ehrlich gesagt, hab ich insgeheim gehofft, dass das mir galt. Irgendwas hat nicht mehr gestimmt mit dir, just ab diesem Moment im Park. Hältst mich für blöde, was?“ „Du hast es gewusst?!!“ rief Farin erstaunt aus, während Bela grinste. „Ja, aber ich wollt´s von dir hören. Was heißt gewusst, ich hab es… geahnt. Vielleicht aber auch nur gehofft.“ Geheimnisvoll wie immer, der Gute. Farin konnte es nicht fassen. War er tatsächlich so leicht zu durchschauen? Er kämpfte diesen langen, erbitterten Kampf mit sich, und Bela wusste die ganze Zeit, wie er ausgehen würde? „Solange du dir selbst gegenüber nicht eingestehen konntest, dass es so ist, hätte es keinen Sinn gemacht, dich damit zu konfrontieren“, gab Bela knapp zur Antwort. Und Farin musste ihm Recht geben. „Wie ist es dir eigentlich ergangen? Hattest du auch so ´nen inneren Zwiespalt?“ fragte Farin schnell, weil er keine Lust hatte, näher auf sein Gefühlschaos einzugehen. „Klar hatte ich den. Aber ich war viel ruhiger dabei. Ich war viel spazieren, um nachzudenken. Ich hab niemanden zusammengebrüllt oder so.“ Bela hob die Brauen leicht und nippte an der Cola, während er ein wenig zu Farin hinüber schielte. Der musste sein. Farin konnte sich ein Augenrollen nicht verkneifen. „Ich weiß, das war nicht grad die feine englische. Aber ich konnte nichts dagegen machen.“ „Und da blieb dir nichts anderes übrig, als mich zum Teufel zu wünschen.“ Farin spürte einen Kloß im Hals, als er sich an diesen Moment zurückerinnerte. Wie konnte er nur…? Wie konnte er zulassen, dass sein Mund diese Worte jemals aussprach? Er hasste sich so sehr für diesen Moment. Noch nie zuvor hatte er jemals etwas derartiges zu Bela gesagt. Und Bela war daraufhin so verletzt, dass er Farins Haus fluchtartig verließ und ihm per Mailbox die Freundschaft kündigte. „Das… war natürlich…“ druckste Farin herum, auf der Suche nach den passenden Worten. Doch Bela kam ihm zuvor. „Ist schon okay“, beschwichtigte er, „vergeben und vergessen. Du hast in dem Moment wahrscheinlich einfach nicht gewusst, was du da sagst.“ „Wie jetzt, einfach so…?“ fragte Farin mit ungläubigem Staunen. Er schrie Bela entgegen, dass er ihn nie wieder sehen wollte, er aus seinem Leben verschwinden sollte und er nie wieder etwas mit ihm zu tun haben wollte – abgesehen davon, dass das natürlich überhaupt nicht stimmte – und er verzieh ihm das einfach so? Farin schüttelte den Kopf. Oh Mann Bela. Du bist echt viel zu gut für diese Welt. „Ach, es bringt doch nichts, sich jetzt an so was aufzuhängen“, tat Bela die Situation leichtmütig ab. „Ich hab mich ja auch nicht grad vorbildlich verhalten und auch fiese Sachen gesagt. Also was soll´ s. Einigen wir uns auf ein unentschieden.“ Farin zuckte mit den Schultern. „Wenn du meinst“, sagte er und beließ es dabei. Die Albumaufnahmen jedoch waren seitdem von fortwährenden Streitereien begleitet, über deren Ursache sie jeden im Unklaren ließen. „Und dann wurde es richtig mies“, begann Bela schnell ein neues Thema, um das Gespräch nicht abebben zu lassen und um zu verhindern, dass sie erneut begonnen, sich im Kreis zu drehen. Die Stimmung zwischen ihnen sank in bodenlose Abgründe, und sie konnten nicht anders, als sich gegenseitig anzugiften, selbst wenn ihre Freunde und Arbeitskollegen dabei waren, auch wenn sie darauf achteten, ihre Attacken gut zu tarnen. Diese Gefühlskälte, die zwischen ihnen herrschte, zwei Menschen, die sich im Grunde ihres Herzens liebten, doch nun nicht mehr gewillt waren, ihren Gefühlen freien Lauf zu geben, da sie die Hoffung aufgegeben hatten, begraben in einem eisernen, kalten Sarg tief unter der Erde, wo kein Licht und keine Wärme hin drang, und wo man sie schnell vergessen sollte. Doch sie konnte sich befreien, als Farin sich überreden ließ, mit seinen Freunden auszugehen und sie in dieser Rockerkneipe abstürzten. Sie kroch hervor, blinzelte im Sonnenlicht, das sie wärmte und das sie nicht mehr gewohnt war, und beschloss sich auf den Weg zurück zu Bela zu machen. Farin wollte sie aufhalten, doch er vermochte es nicht, zu groß war die Sehnsucht, zu groß war die Qual, direkt neben seinem besten Freund zu stehen und doch entfernter von ihm zu sein als jemals zuvor. Farin konnte diesen Zustand nicht ertragen, er hasste sich dafür, was er Bela angetan hatte, selbst wenn dieser darauf beharrte, dass dies nicht mehr von Belang sei. Sein gequälter Gesichtsausdruck war Bela nicht entgangen. „Du wolltest diesem Typen echt eine aufs Maul hauen, oder?“ fragte er neugierig und lehnte sich zu Farin hinüber, seine Augen suchten die des blonden Gitarristen. Dieser erschrak leicht, da er so abrupt aus seinen Gedanken gerissen wurde, sah Bela an und versuchte schnell, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. „Ich… keine Ahnung. Kann sein. Wahrscheinlich hätt´ ich ´s gemacht. Der hat mich eh angekotzt. So ein Pisser. Ich musste das alles mal irgendwie rauslassen, und da kam er mir irgendwie recht. Auch wenn er nichts für mein Dilemma konnte.“ „Er hat dich dumm angemacht“, ergriff Bela für Farin Partei und sein Blick wurde ernst. „Da wäre ich nicht so lang ruhig geblieben. Der Typ hat es verdient.“ „Du hattest recht viel Alk intus, dass deine Hemmschwelle gesunken war, ist ja klar“, entgegnete Farin leicht von oben herab. Er hatte nie die Erfahrung gemacht, was der Alkohol oder Drogen mit Menschen machen konnte, wenn sie zu viel davon konsumiert hatten. Er konnte auch so partyschwul sein, wenn er es wollte. Da brauchte er keinen Blockadenbrecher, die Selbstsicherheit wohnte ihm einfach inne. Aber er hatte Achtung davor, wie Bela mitten in einer Rockerkneipe, umgeben von beinharten Typen, die mit Sicherheit die eine oder andere Kerbe in den Kühler ihres Motorrades geritzt hatten, einem großen bärigen Kerl in Lederkluft eine einschenkte. Ob er das auch gemacht hätte, wenn er nüchtern gewesen wäre?, fragte Farin sich, war sich der Antwort jedoch ziemlich sicher. Auch Bela hatte an jenem Abend einen Sandsack gebraucht, an dem er seinen Frust abbauen konnte, soviel stand fest. Und er hat den Preis dafür bezahlt: eine Platzwunde, die medizinisch versorgt werden musste. Farin konnte erneut seine Samariter-Fähigkeiten unter Beweis stellen, wenn auch gegen Belas Willen. Zumindest anfänglich. Später nicht mehr. Im Gegenteil. Farin wurde warm. Er merkte, wie er leicht zu schwitzen begann und schielte aus den Augenwinkeln zu Bela hinüber, der immer noch rechts neben ihm saß und ihn musterte. Und als ob er Gedanken lesen könne, fasste Bela sich leicht an die Stirn, an die Stelle, wo er die (scheiße verdammt noch mal harte) Kopfnuss abbekam. Er wendete seinen verlegenen Blick von Farin ab und schwieg. Farin sah ihn nun offen an. Wie er dort saß, den Kopf von Farin abgewandt, die Hände verkrampft ineinander gelegt, der Adamsapfel hüpfte aufgeregt auf und ab. „Wieso?“ fragte Farin leise, eine gewisse Heiserkeit lag in seiner Stimme, und er schluckte den Rest der Frage hinunter. Bela wusste sicher auch so, was er meinte. „Ich dachte, du…“ Bela drehte seinen Kopf zu ihm hinüber. „Du dachtest, ich was?“ „Ich dachte, du wolltest, dass ich verschwinde“, antwortete Farin noch leiser, und die Achterbahn in seinem Kopf setzte sich wieder in Gang. Er spürte, wie heftig sein Herz klopfte, als er an diesen einen ganz bestimmten Moment zurück dachte, als er Belas Handgelenke umklammerte, ihn aufs Bett warf und über ihm gebeugt war. Er erinnerte sich an Belas schnellen, heißen Atem, daran, wie er dessen Alkoholgeruch ignorierte, weil es ihm scheißegal war, und er nicht einmal genau wusste, was er da eigentlich tat. Er entsann sich Belas Nervosität, seiner Unruhe, und doch war er gespannt auf das, was passierte. Farin musste schlucken, als der Moment in seinem Kopf auftauchte, wie er sich dabei ertappte, dass er Bela unentwegt auf den Mund starrte, der leicht geöffnet war und doch nicht sprach. Und als die Gedanken ihren Höhepunkt annahmen, wo Farin sich so weit zu Bela hinunter geneigt hatte, dass er dessen Atem auf seinem Gesicht spüren konnte, ihre Gesichter sich beinahe berührten und sie sich, nach einem allerletzten zaghaften Zögern, endlich küssten, verlor er beinnahe die Beherrschung, als er in einem harten Kampf den Impuls unterdrückte, jenen Moment zu wiederholen. Ruckartig zog er sich zurück, atmete tief ein und aus, zwang seinen gesamten Körper zur Beruhigung und starrte an einen von ihm bestimmten Punkt an die Decke. Das war knapp. Noch einmal würde das sicher nicht funktionieren. Bela übergang Farins inneren Zwist kommentarlos und versuchte die Schamesröte in seinem Gesicht rückgängig zu machen. „Wollte ich… doch gar nicht“, stotterte er schließlich, und seine Augen jagten hin und her, bis sie an Farin hängen blieben. „Das heißt, ich wollte schon… aber… eigentlich auch nicht…“ Sie schwiegen. Obwohl sie sich einander offenbart hatten, taten sie sich mit der Umsetzung ihrer … Beziehung?... noch sichtlich schwer. Dies alles kam so… unerwartet, beide waren sie nicht darauf vorbereitet, und nie im Leben hätten sie es sich träumen lassen, dass man trotz lebenslanger heterosexueller Neigung nach 30 Jahren Freundschaft Liebe für einen Mann empfinden kann. Und wie oft hatte Farin versucht, diese plötzliche 180-Grad-Drehung zu verstehen. Warum erst jetzt? Warum ein Mann? Warum in diesem Moment? Warum nicht schon früher? Fragen, Fragen, Fragen, die seinen Kopf beinahe zum Zerbersten brachten, als ob man zu viel Luft in einen Luftballon bläst. Er hatte noch nicht die geringste Ahnung, wie das künftig ablaufen sollte. Wie würden sie einander künftig begegnen? Begrüßung per Handschlag, Umarmung oder Kuss? Händchen haltend nebeneinander her laufen oder nicht? Süßholzgeraspel oder neutrale Unterhaltungen? Lang und tief in die Augen sehen, sich berühren, einander sagen, wie viel er einem bedeutet? Dass man nie wieder ohne ihn sein will? Dass man den Rest seines Lebens mit ihm verbringen will? Farin wedelte die Gedanken innerlich mit einem großen Fächer beiseite und tat sie als zu frisch ab. Haut ab, ihr komischen Fragen, woher zum Geier soll ich das denn wissen? Es kommt sowieso wie es kommt. Das wichtigste jetzt war Zeit. Sich Zeit nehmen, sich Zeit geben. Bloß nichts überstützen. Ruhig angehen. Farin schnaufte. Mann, dass solche Gefühlssachen auch immer so kompliziert sein mussten. Mach ich was falsch, warum mach ich was falsch, was ist überhaupt falsch, bla bla. Abhauen jetzt. Bela redet sich grad alles von der Seele und ich häng hier meinen Monologen nach. Los, zisch ab. Mann ey. „Äh, was hast du gesagt?“ fragte Farin dann, als er zurück in der Gegenwart war, weil er völlig den Faden verloren hatte. Er ertappte sich dabei, dass ihm das peinlich war und sein Gesicht leicht erhitzte. Bela guckte böse. „Jetzt hör mal auf mit dem Scheiß und hör mir zu, Alter! Mir ist das verdammt wichtig!“ schalt er den Größeren und atmete empört laut aus. „Normalerweise laberst du einem immer die Ohren ab, du kannst mir jetzt ruhig auch mal zuhören.“ „Hör DU uff mir zusamm´zuscheißen, Mann, ick hab´s ja kapiert!“ nölte Farin noch empörter. Kurze Stille, kleines Augen-Duell. Die alten Kabbeleien halt. Ein kurzer angriffslustiger Blick. Dann Frieden. „Weißt du…“ druckste Bela herum, „eigentlich… wollt´ ich´ s dir echt schon früher sagen. Aber… irgendwie hatte ich dann trotzdem etwas Angst. Ich hab im Nachhinein nochmal drüber nachgedacht, und ich wusste einfach nicht, welche Auswirkungen das haben würde. Das war mir zuvor auch irgendwie gar nicht bewusst. Die Aufnahmen zum Album, unsere ganzen Freunde herum… das war irgendwie ´ne Scheiß-Atmosphäre für so was. Vielleicht war´s besser so.“ Farin erinnerte sich an ihre Streitereien damals auf der Toilette und im Gang des Studios. Gott, was sie sich da für Sachen an den Kopf geworfen hatten! Farin musste aus einem Impuls heraus den Kopf schütteln. Aber gleichzeitig kamen viele Fragen in ihm auf. „Aber du hast du nich´ die janze Zeit jesacht, dass du nur… befreundet sein willst? Und dass du befürchtest, wir könnten keine Freund mehr sein und so weiter?“ hakte Farin nach und war schon sehr auf die Antwort gespannt. Er beobachtete, wie Bela tief Luft holte und den Blick ein wenig senkte. Der Drummer musste schlucken und schien sich seine Antwort gut zu überlegen. Nun war quasi der Moment der Wahrheit hereingebrochen, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Farin verkniff sich den Zusatz, dass er auf Belas unstete Verhaltensweise genauso gut hätte verzichten können wie anders herum, ließ es aber sein, da er Sticheleien in jenem Moment für nicht sehr angebracht hielt. Bela atmete noch einmal tief durch, bevor er langsam und zögerlich antwortete: „Mir ist bewusst, dass mein Verhalten die letzten Tage dir gegenüber auch nicht sehr fair gewesen ist. Um nicht zu sagen, absolut scheiße. Aber ich wusste selbst nicht mit dieser neuen Situation umzugehen. Ich wollte unbedingt genauso mit dir befreundet sein wie früher, aber ich hatte Angst davor, dass sich alles grundsätzlich ändern würde, wenn wir… ein Paar würden oder so was.“ Farin nickte stumm. Diese Überlegung kannte er von sich selbst nur zu gut. Wieder einmal hatte er den Beweis dafür, dass sie genau gleich tickten, zumindest in vielerlei Hinsicht. Sie hatten sich über die Jahre etwas aufgebaut, das einem Bollwerk glich, ein Bollwerk namens Freundschaft. Und dieses Bollwerk wollte keiner von ihnen gefährden. Die Befürchtung, dass sich ihre Beziehung zueinander ändern würde, bereitete ihnen beide große Sorgen (Farin schüttelte es innerlich bei dem Gedanken, dass er und Bela dauerturtelnd und Händchen haltend durch den Park schlendern würden, sich immer wieder verträumt ansehend, küssend, keine guten Gespräche mehr führend… uärks. Und dann dieses ganze Pärchengelaber. Also mein Schatz ist ja total süß. Wirklich. Ich verstehe gar nicht, wie ihr das nicht nachvollziehen könnt. *knutsch* Gott, ich hab schon wieder eklige Tagträume) und daher überlegten sie genau und intensiv, ob es das wert sei, ob sie dieses Risiko eingehen wollten, dass das Bollwerk Risse bekommen oder gar einstürzen könnte. Auch wenn sie beide nicht wussten, was nun aus diesem Bollwerk werden würde, sie wagten den Schritt, den Sprung ins kalte Wasser. Zu groß war ihre Sehnsucht nacheinander, und wer weiß wie sehr ihre Freundschaft vielleicht darunter gelitten hätte, dass sie sich ein Leben lang nachtrauern würden. Möglicherweise hätten sie einander gemieden, um den Schmerz nicht noch zu vergrößern. Oder zumindest den Kontakt nur aufs Allernötigste beschränkt. Frohes Neues, Happy Birthday, fröhliche Weihnachten. Drei SMS im Jahr. Klar wäre das unweigerlich das Aus für DDBDW gewesen. Die Frage nach dem „Warum“ wäre für alle Zeiten unbeantwortet oder aus einer Notlüge heraus frei erfunden gewesen. Je länger Farin darüber nachdachte, desto mehr war er davon überzeugt, das richtige getan zu haben. Er konnte spüren, wie eine tonnenschwere Last einfach von ihm abgefallen war, wie sein Gemütszustand sich besserte, und das war ein gutes Zeichen. Wenn er die Augen schloss und in sich hinein hörte und fragte „Hab ich alles richtig gemacht?“ konnte er ruhigen Gewissens „Ja, hast du“ darauf antworten. Naja, nicht immer und nicht von Anfang an, aber so insgesamt betrachtet auf jeden Fall. Eine wunderbare Zeit stand ihnen bevor, das wusste er. Und er wollte sie genießen, sie auskosten bis zum allerletzten Moment. Bis er sterben würde. War es das? Bis zum Ende aller Tage mit diesem einen Menschen? Aller möglichen Entbehrungen zum Trotz? Nie gemeinsame Kinder? Oder Enkel? Immer mit Vorurteilen konfrontiert werden, schief angeguckt werden, sich verteidigen, erklären, ja sogar rechtfertigen müssen? Die Reaktionen von Familie, Freunde, Fans (sollte jemand irgendwie davon erfahren)ungewiss? Farin würde sich ihnen allen am liebsten gegenüberstellen und ihnen laut und deutlich ins Gesicht sagen: „Wisst ihr was? Mir scheißegal, was ihr davon haltet oder wie ihr darüber denkt. Interessiert mich nicht. Hat es nie. Wer jetzt nicht zu mir oder zu uns stehen kann, tat es nie aus voller Überzeugung. In solchen Momenten zeigen sich erst die wahren Freunde.“ Bela blickte geistesabwesend vor sich hin, seine Miene drückte Besorgnis und auch ein klein wenig Furcht aus. Ihn schienen dieselben Gedanken zu quälen, doch Farin lächelte und drehte Belas Kopf mit dem Zeigefinger sanft in seine Richtung, bis sie einander ansahen. „Mach dir keine Gedanken“ sagte Farin sanft und lächelte. „Es wird endlich alles gut werden.“ Bela rang sich ebenfalls ein Lächeln ab, senkte dann aber wieder den Blick und blickte wieder nachdenklich drein. „Das sagst du so einfach. Aber wie wir nun unseren Freunden und Familien gegenüber agieren sollen, wissen wir immer noch nicht.“ „Erst mal gar nicht“, erwiderte Farin und blickte ein wenig ernster drein. „Ich hab nicht vor, dass sofort jedem unter die Nase zu reiben. Das geht niemanden was an.“ „Die, die uns gut kennen, werden es merken. Und dann werden sie fragen. Ist es nicht besser, damit gleich reinen Tisch zu machen? Damit das Gerede gar nicht erst aufkommt? Wir stecken immer noch mitten in Albumaufnahmen.“ Farin konnte Belas Argumente verstehen, war aber nicht derselben Meinung. „Ich stell mich doch nicht dahin und schrei, Heeey, wir sind jetzt zusammen, nur damit ihr´s wisst.“ „Du bist ´ne Knalltüte“, kommentierte Bela Farins Ausbruch. „Auf die Art hätte ich das sicher nicht vorgehabt. Mehr so… die wichtigsten zur Seite nehmen, ruhig und sachlich mit ihnen reden und gut ist.“ Farin staunte nicht schlecht über Belas Vorschlag. „Ähm… dein Ernst? Oh, Rod, sorry dass wir´ s dir nicht zuerst gesagt haben, aber das war Belas Idee.“ „Fick dich doch!“, rief Bela empört, was Farin zum Lachen brachte. „Na schön, sagen wir´ s ihm zuerst. Wann? Wo? Wie? Wir müssen weitermachen mit dem Album.“ „Heute nich“, antwortete Farin. „Ick finde, wir ham heute genug gequatscht. Das war jetzt anstrengend genug. Ich brauch ne Pause“. Er ließ sich in die Lehne der Couch hinein sinken und schloss erschöpft die Augen. Sofort schaltete sein gesamter Körper einige Gänge herunter und er fühlte sich sogar ein wenig ermattet. Klar, der Schlafmangel der letzten Tage, die Aufregung, der ewige Streit mit Bela... und nun saß er hier und konnte das erste Mal seit Tagen wieder völlig entspannen. Er fühlte sich wohl, war glücklich. Der Albtraum war endlich beendet. Sein Kopf war völlig leer, seine Gedanken schliefen, er hörte nur auf das monotone, ruhige Pochen seines Herzens und fühlte, wie bei jedem Ein- und Ausatmen sich sein Brustkorb hob und senkte. Und dann fühlte er noch etwas und zuckte ein wenig zusammen. Kapitel 25: ------------ Farin unterdrückte den Impuls, die Augen zu öffnen, weil er Bela nicht erschrecken oder verunsichern wollte, wenn er so „Aaaaargh, was zum Teufel machst du da??!“ reagierte. Stattdessen zwang er sein auf einen Schlag wild pochendes Herz in die Knie und konzentrierte sich auf das, was Bela tat. Es fühlte sich… schön an und seltsam zugleich. Vertraut und doch fremd. Behutsam glitten die Fingerspitzen des Schlagzeugers über Farins rechte Schläfe, seine Wange hinunter und dann am Kinn entlang. Dann verschwanden sie. Langsam öffnete Farin sein Augen und suchte die Belas. Dieser hatte sich dicht neben ihn gesetzt, aber doch mit einem gewissen Respekts-Abstand. Halb auf die Seite gedreht, hatte er seinen linken Arm auf die Lehne gestützt und seine rechte Hand lag nun auf seinem Oberschenkel. Doch seine Augen waren auf Farins gerichtet, einer warmen, wohltuenden Umarmung gleich, so weich wie Samt, so weit wie das Meer. Sie ließen den Blonden in eine andere Welt, ein anderes Universum eintauchen, wo es nur sie beide und das unendliche Nichts gab. Farin konnte sich nicht erinnern, dass er jemals auch nur annähernd so schöne Augen wie die Belas gesehen hatte. Die helle Farbe, die einen so schönen Kontrast zu seinen dunkel gefärbten Haare bildete, die ungewöhnliche, außergewöhnliche Farbe. Die Wärme, die sie ausstrahlten. Er wagte nicht, sich zu rühren, ja auch nur zu atmen, weil er diesen besonderen Moment nicht zerstören wollte. Er wünschte sich, die Zeit würde stehen bleiben, so lange, bis er ihr befahl, weiter zu laufen. Chuck Norris könnte das jetzt sicher. Wie er einfach so da saß und überhaupt nicht wusste, was er tun sollte, und wie Belas Anwesenheit, sein Blick, seine Ausstrahlung ihm einfach nur den Atem raubte… die Hitze, die langsam in ihm aufstieg, das ansteigende Pochen seines Herzens waren nicht in Worte zu fassen. Er ertappte sich dabei, wie er langsam den Mund öffnete, ihn jedoch wieder schloss, weil er nicht wusste, was er sagen sollte, und doch wollte er sprechen. Er hatte sich jenen oder ähnliche Momente in den vergangenen Tagen viel zu oft vorgestellt, aber dass es nun tatsächlich geschah, endlich geschah, lähmte seinen Verstand und beraubte ihn jeglicher Handlungsfähigkeit. Wenn man ihn in diesem Moment nach seinem Namen gefragt hätte, wäre mit Sicherheit bloß ein „sgthjnmxdyfsreayorstgdk“ dabei heraus gekommen. Dann musste Bela plötzlich lächeln, wenn nicht sogar grinsen. Farin schreckte ein wenig auf und straffte sich ein wenig. Ungläubig sah er den wunderbarsten Menschen dieser Erde an. „Was ist denn?“ fragte er den Älteren erstaunt, hatte dieser letztendlich dem Moment den Zauber genommen, bevor er selbst es tun konnte. „Du siehst irgendwie aus, als hättest du deinen Verstand auf eine lange, unbestimmte Reise geschickt“, erwiderte Bela und lachte leise. „Mensch, jetzt entspann dich doch mal ein bisschen.“ „Ich bin entspannt!“ protestierte Farin schwach und ließ sich zum Beweis ein wenig tiefer in die Couch sinken. Seine langen Beine suchten vergeblich nach ein wenig Platz unter dem Couchtisch, aber das taten sie meistens, wenn er irgendwo anders als zu Hause saß. Bela fasste dieses tiefer-in-die-Couch-sinken als Einladung auf, näher zu ihm heran zu rücken. Farins Herz hüpfte erschrocken quer durch seinen Brustkorb, aber Farin befahl ihm, zurück zu seinem angestammten Platz zurück zu kehren. „Das hab ich gemerkt“, kommentierte Bela Farins kurze Aufregung leise, fast flüsternd, mit einer tiefen Stimme, die Farin beinahe zum Schmelzen brachte, und lächelte lasziv. Farin musste schlucken. Verdammt, macht der das immer so?! Farin wusste nicht, ob er sich unwohl fühlen sollte oder nicht, während Bela seinem Gesicht immer näher rückte. Jetzt hat er dich, kommentierte Farin seinen eigenen Geisteszustand trocken, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Aus was auch immer. Mal sehen wohin das führt. Farin beschlich das ungute Gefühl, dass sein alter bester Freund ihn auf den Arm nehmen wollte, mit seiner Unfähigkeit spielte und sich gleich wieder zurückzog, um ihn auszulachen… doch er tat es nicht. Langsam hob er seine Hand, um Farins linke Wange zu berühren und dort seine Hand abzulegen. Diesmal wollte wohl er die Führung übernehmen, und Farin ließ es geschehen. Während sein Herz eine wilde Techno-Party feierte (dabei hasste er Techno), begann er leicht zu schwitzen, seine Kehle fühlte sich wie ausgetrocknet an, dabei hatte er doch eben erst eine Tasse Tee getrunken. Wie in Zeitlupe sah er Belas Gesicht, allem voran seine Lippen, näher und näher rücken. Und als Bela seine unbeschreiblich schönen Augen halb schloss, tat er es ihm gleich und näherte sich seinem Gesicht ein wenig. Belas Hand umgriff nun den Kopf des Blonden leicht und zog ihn ein wenig zu sich heran. Ein letztes kurzes Zögern, ein letzter tiefer Blick, bevor sie endlich ihre Lippen aufeinander legten und die Augen schlossen, alles ausblendend, die Welt um sich herum vergessend. Alle Geräusche, Gedanken, Erinnerungen waren verschwunden, eingesperrt in eine große, schwere Truhe, und der Schlüssel dazu gut versteckt. Farin tastete nach Belas Arm, seine Finger strichen an ihm entlang, bis er seine Schulter erreicht hatte, um ihn näher an sich heran zu ziehen. Überraschend löste Bela den Kuss, doch nur, um Farin endlich jene drei Worte entgegen zu hauchen, nach denen er sich schon so lange gesehnt hat, und die Welle des Glücks, die über ihn hereinbrach, die überwältigende aufsteigende Wärme seines Körpers, steigerten sein Verlangen nach Bela ins Unermessliche, und diesmal war es an ihm, den Kuss einzufordern, die Grenzen ein wenig mehr auszuloten und endlich nach Belas Zunge zu suchen, doch er wollte viel mehr als das. Er löste seine Hand von Belas Schulter, strich mit ihr über den muskulösen Körper des Schlagzeugers und fühlte, wie dieser bei jener Berührung leicht erschauderte, ließ sie über seine Hüften bis zum Rücken wandern, wo sie nur kurz verharrte, tiefer sank und den Saum seines Hemds ereichte, unter den sie vorzudringen versuchte. Und als sie die ersehnte Bekanntschaft mit Belas weicher, warmer Haut machte, erschrak Bela so heftig, dass er den Kuss abrupt unterbrach, ruckartig von Farin zurückwich und ihn mit großen Augen und schwer atmend anstarrte. Farin fühlte sich, als sei er vom hundertsten Stock eines Gebäudes gefallen und ungebremst auf dem Boden aufgeschlagen. Fassungslos sah er den Kleineren an, fragte sich, ob er etwas falsch gemacht hatte. Bela wandte sich von ihm ab und rang wieder um Fassung. Farin konnte seine Enttäuschung nur schwer verbergen, als Bela „Sorry, aber das geht mir ein wenig zu schnell“ stammelte. Farin setzte sich aufrecht hin, murmelte ein leises „Entschuldigung“ und vermied es, Bela anzusehen. Stille. Unsicher schielte Farin aus dem Augenwinkel zu Bela hinüber und sah, wie dieser unruhig seine Finger knetete und die Lippen zusammengekniffen hatte. Farin blickte wieder geradeaus. Die Stille machte ihm zu schaffen. So lange waren sie still, hatten zwar miteinander kommuniziert, aber dennoch geschwiegen. Sollte das jetzt von vorne losgehen? Mann, du bist erwachsen, schalt er sich innerlich, also verhalte dich auch so. Und lass vor allem nicht zu, dass ihr euch schon wieder einigelt. „Hab … hab ich was falsch gemacht?“ brachte er schließlich unsicher hervor, so leise, dass er sich selbst kaum hören konnte. Bela lachte kurz auf, sah für den Bruchteil eines Augenblicks Farin in die Augen, drehte sich dann aber wieder schüchtern weg. „Nein, nein“, antwortete Bela schnell, „eigentlich nicht, nur… ich weiß nicht… ich… brauch da glaub ich noch´ n bisschen Zeit… für all das.“ „Aber DU hast doch MICH geküsst!“ erwiderte Farin verwundert. „Ja, schon, aber ich wollte es eigentlich dabei belassen und nicht gleich… weiter gehen.“ Bela saß in sich zusammen gesunken da, die Ellenbogen auf die Knie stützend, und betrachtete seine Füße. „Oder willst du… etwa…“ Wäre Farin ein Wasserkocher, würde er jetzt pfeifen. Zumindest hatte er die Temperatur dafür erreicht. „Um Himmels Willen, nein!“ protestierte er energisch und schrak hoch. „Ich will das jetzt nicht überstürzen oder so!“ Unglücklicherweise erinnerte er sich an jenen Moment im Aufnahmeraum zurück, als seine Fantasie ihm ziemlich genau ausmalte, was er wollte, und ihm nur dir Flucht auf die Toilette übrig blieb. Kaltes Wasser ins Gesicht verfehlte seine Wirkung eigentlich nie. Er musste sich eingestehen, dass er sich gewisse Dinge, die er mit Bela früher oder später ausüben wollte, mehr als lebhaft vorstellen konnte, aber an eine Ausführung war nicht im entferntesten zu denken. Und schon gar nicht, wenn Bela noch nicht bereit dazu war. „Dann ist ja gut“, sagte Bela ruhig und war sichtlich erleichtert. Er lächelte endlich wieder und konnte Farin wieder in die Augen sehen. Das freute Farin, sodass er Belas Lächeln erwiderte. „Ich wär´ jetzt nicht über dich hergefallen oder so“, erklärte der Blonde und versuchte dabei so ernst wie möglich zu klingen, wenngleich er dabei sein Lächeln nicht zu verlieren versuchte. Ein leichter Anflug von Schamesröte flog über Belas Gesicht, verschwand aber schnell wieder. „Aber…“ Farin nagte auf seiner Unterlippe, legte sich seine Wortwahl ein wenig zurecht, und Bela sah ihn nun offen an. „Na ja, also… so ganz von dir lassen werde ich wahrscheinlich nicht können.“ Bela lachte. „Das musst du doch auch nicht, davon war auch nie die Rede! Ich will nur nichts überstürzen.“ Farin nickte. „Ich auch nicht“, stimmte er Bela zu. Er erwiderte Belas Blick, und für einige Sekunden sahen sie einander einfach stumm in die Augen. Innerlich wäre Farin am liebsten ausgerastet. Er war so unvorstellbar glücklich! Er wusste nicht mehr, wann er sich das letzte Mal derart wohl in seiner Haut gefühlt hat. Bäume hätte er ausreißen können, wildfremde Menschen umarmen, sich auf ein Berg stellen und laut schreien können. Stattdessen genoss er den Augenblick, der ihn keine Worte finden ließ. Sie saßen hier, in Belas Wohnzimmer, nur Bela und er, sahen sich an und wussten: wir lieben uns. Wir mussten einige Hürden bis zu diesem Schritt nehmen und es werden auch sicher noch ein paar auf uns zukommen, aber wir schaffen das. Gemeinsam. Füreinander. Für uns. Farin merkte, dass er das alles erst einmal verarbeiten musste. Also beschloss er schweren Herzens zu gehen. Er stand auf, strich seine Kleidung glatt und tastete nach seinem Autoschlüssel. Bela stand ebenfalls von der Couch auf. „Schon gut, ich weiß, was du sagen willst“, sagte er, bevor Farin sich erklären konnte. „Es macht mir nichts aus. Wir hatten für heute genug Aufregung, denke ich.“ Farin musste grinsen. Yes, es funktionierte immer noch! Die wortlose Verständigung, das Gedanken des anderen lesen. Die letzten Tage war diese Fähigkeit, die ihnen inne wohnte und die sie nur beim jeweils anderen anwenden konnten, etwas blockiert, aber nun schien alles wieder beim alten. Farin war so froh, dass er einem spontanen Impuls folgend auf Bela zuging und ihn an sich drückte. Bela, der zunächst leicht überrascht, wenn nicht überrumpelt war, erwiderte die Umarmung. Sie lösten sich wenig später voneinander und sahen sich an. „Was machen wir jetzt?“ fragte Bela und sah Farin erwartungsvoll an. „Ich würd´ sagen, morgen um neun am Studio, und vorher mit Rod sprechen. Da kommen wir nicht drum ´rum. Er muss es wissen“, schlug Farin vor und zuckte ein wenig hilflos mit den Schultern. Bela nickte. „Am besten wir treffen uns ´ne Stunde vorher mit ihm, dann haben wir genügend Zeit. Er wird sicher ´ne Menge Fragen stellen“, meinte Bela und lachte. Farin verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. "Vorausgesetzt, dass du zum ersten Mal in deinem Leben pünktlich zu einer Verabredung erscheinst", bemerkte Farin spöttisch und zog eine Braue nach oben. "Ach, das... verlass dich auf mich, okay?" fragte Bela und hakte das Thema "Bela, der notorische Zu-Spät-Kommer" damit schnell ab. Farin beließ es dabei. „Ich telefonier´ heute ´rum und geb´ allen Bescheid“, verkündete Bela. „Sollte jemand aus irgendwelchen Gründen morgen nicht können oder wir die Aufnahmen nicht fortsetzen können, meld´ ich mich bei dir.“ „Ist gut“, gab Farin knapp zurück. Er sah Bela ein letztes Mal an, dann legte er die Hand auf den Türgriff. „So aber nicht, mein Freund“, kommentierte Bela Farins überstürzten Aufbruch, packte ihn an den Armen, zog ihn zu sich heran und küsste ihn sanft. Farin gab sein Pokerface auf und ließ sich auf den Kuss ein. Bela löste sich schließlich von ihm, hielt sein Gesicht aber nah bei Farins. „Das nächste Mal bist du aber dran“, raunte er leise, lächelte sein geheimnisvolles Bela-Lächeln und ging dann einen Schritt zurück. Farin errötete leicht. Dafür, dass er sich als der stürmischere der beiden offenbart hat, war es bisher Bela, der einen Kuss initiierte. Bis auf dieses eine Mal. Das erste Mal. Farins Blick wurde gläsern, lasziv. „Aber nur, wenn ich dich nicht wieder vorher abfüllen muss“, erwiderte der große Blonde und grinste anrüchig, und noch bevor Bela protestieren konnte, hatte Farin die Tür hinter sich zugezogen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)