Träume von LorenorMidori ================================================================================ Kapitel 15: ------------ Farin ließ sich per Taxi zu seinem Wagen chauffieren und fuhr anschließend nach Hause. Mitten in der Nacht war er dankbar, dass der Verkehr sich in Grenzen hielt. So dauerte es nicht lange, bis er sein Haus erreicht hatte und es endlich betreten konnte. Er warf einen eher zufälligen Blick in den Garderobenspiegel und stellte fest, dass er seine Kappe bei Bela vergessen hatte. Naja, auch egal. Wen wunderte es auch bei dieser überstürzten Flucht. Farin musste schmunzeln. Ja, Flucht konnte man es durchaus nennen. Wieder verzichtete er auf künstliche Beleuchtung und trat den Weg in das Badezimmer an, um sein Gesicht zu waschen. Das kühle Nass fühlte sich gut an, erfrischend und befreiend zugleich. Ein kurzer Blick in den Spiegel verriet ihm, dass er noch derselbe war. Nach dem ungeplanten Kuss mit Bela fühlte er sich seltsam fremd in seiner Haut. Als sein er etwas oder jemand anderes. Irgendein Teil seines Bewusstseins hatte sich verändert. Er starrte gedankenverloren vor sich hin, die Arme auf dem Rand des Waschbeckens aufgestützt, und wusste nicht, was es war, das ihn dieses Gefühl der Fremde verlieh. Er wusste nicht einmal, ob er sich gut oder schlecht fühlte. Nur… anders. Er richtete sich auf und schloss die Augen. Jeder einzelne Moment, jede noch so kleine Feinheit dieses Augenblicks hatte sich so fest in sein Hirn gebrannt, als passiere es jetzt. Bis ins Detail sah er Bela, wie er unter ihm lag, ihn mit erwartungsvollen, überraschten, neugierigen Augen ansah, einfach nur ansah, ohne ein Wort, ohne eine Bewegung. Ohne zu wissen, dass Farin dies als Einladung für sein Verlangen nach dem Schlagzeuger auffasste. Doch warum tat er nichts? Wieso wehrte er sich nicht? Hätte er Farin in jenem Augenblick nicht von sich stoßen, ihn anschreien, aus der Wohnung werfen sollen? Ihn angewidert ansehen und als komplett durchgeknallt bezeichnen sollen? Warum ließ er es zu? Wo er doch schon seit gestern so unglaublich sauer auf ihn gewesen war. Farin atmete leise aus. Möglicherweise hatte sich der hippelige Drummer nach einer Versöhnung gesehnt und hielt diesen Zustand selbst nicht mehr aus, wurde aber von seinem Stolz daran gehindert, Farin zu verzeihen. Wollte nicht zugeben, wie sehr der Blonde ihn verletzt hatte, ausgerechnet ihn, seinen besten Freund. Er wusste, wie sehr Bela an ihm hing, und jedes Mal war er ein wenig traurig, wenn Farin verkündete, für einige Monate auf Reisen zu sein. Er rief sich den Moment vor Augen, als ihre Lippen einander berührten, das Gefühl, das sich in seinem ganzen Körper ausbreitete und erfüllte, ihn alles um sich herum vergessen ließ und nichts anderes mehr wahrnehmen. Wie sehr wünschte er sich, dieser Augenblick würde andauern, bis jetzt, bis in alle Ewigkeit. Wie sehr wünschte er sich, Belas Atem auf seinem Gesicht zu spüren, seinen Körper, seine Lippen, einfach alles von ihm. Farin ertappte sich dabei, wie er verträumt lächelte. Hey, du wirst doch wohl auf deine alten Tage kein gefühlsduseliger Romantiker werden! Irgendwie musste er sich auf andere Gedanken bringen, falls er diese Nacht noch Schlaf bekommen wollte, da er andauernd an Bela dachte. Irgendein blöder Idiot schlug ihm von hinten mit voller Wucht auf die Schulter. „Ey! Sag mal, was…“ Farin drehte sich erzürnt um und hielt sich die vermeintlich schmerzende Stelle. Sie tat nicht weh. Musste wohl ein Fehler in der Matrix sein. „Was brüllst du mich so an? Wollte doch nur kurz Hallo sagen und dir gratulieren.“ „Ich dachte ja, dass du mich ab sofort nicht mehr behelligen würdest.“ „Ach komm. Sag mir jetzt nicht, dass du mich nicht vermisst hast.“ Farin runzelte die Stirn. Eklig wie eh und je, dieser Typ. Aber das war ja seine Art. Hatte er beinahe vergessen. „Gratulieren zu was? Dass ich beinahe in eine Massenschlägerei mit besoffenen Rockern geraten wäre?“ „Hey, warum diese Unterstellung voll triefendem Sarkasmus? Für wie fies hältst du mich?“ Bela tat gespielt beleidigt und grinste süffisant, während er Farin piesakte. Farin drehte sich nur weg und zog spöttisch eine Augenbraue hoch. „Ja, klar, für wie fies hältst du mich eigentlich“, äffte er Bela nach. „Wir wissen beide, dass du dir alle erdenkliche Mühe gemacht hast, mich auf die Palme zu bringen.“ „Bist du glücklich?“ kam die unerwartete Frage der Halluzination. Farin drehte sich wieder zu ihm um. „Wie, ob ich glücklich bin? Was meinst du?“ „Na, weil du ihn geküsst hast, du Idiot, was denn sonst?“ kam die leicht gereizte Antwort. „Ehrlich gesagt… keine Ahnung… ich schätze, das weiß ich wohl erst, wenn ich weiß, was er davon hält. Was ich momentan nicht tue. Wenn er mich dafür hasst, werd ich wohl kaum glücklich sein können.“ „Wie kommst du darauf? Ich meine, DU bist gegangen! Er hätte dich mit Sicherheit nicht mit Schimpf und Schande davon gejagt.“ „Lass ihn das erstmal registrieren und verarbeiten“, konterte Farin und lächelte schief. „Dann werden wir ja sehen, was passiert.“ Tatsächlich hatte Farin Panik vor dem Zeitpunkt ihres Wiedersehens. Bisher hatte er Belas Reaktion immer einschätzen können. Doch wenn man bedenkt, dass diese Situation für sie beide völlig neu war, konnte alles möglich sein. Von Freude über Rührung über Gleichgültigkeit bis hin zu Unverständnis und Abneigung war alles drin. Da konnte er genauso gut Russisch Roulette spielen. Und falls der schlimmste aller Fälle eintreten würde – Farin betätigte den Abzug des Revolvers und erwischte ausgerechnet die einzige Kugel in der Trommel – was würde das für die Band bedeuten? Würde Bela weiterhin mit jemandem musizieren, den er als krank oder abartig bezeichnen würde? Natürlich war Bela ein außerordentlich toleranter Mensch, der einen Menschen nicht nach seinem Aussehen, seiner Hautfarbe, seiner Religion, seiner geschlechtlichen Neigung beurteilte. Doch was wäre, wenn nun plötzlich ausgerechnet sein bester Freund einer von jenen Menschen werden würde? Käme der Schlagzeuger mit Farins Gefühlen für ihn klar oder würde ihn die neue Situation überfordern? Würde er Farin aus Unsicherheit und Angst vor dem Unbekannten meiden? Ach, was nützt es mir, sich darüber den Kopf zu zerbrechen? Geschehen ist geschehen und lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Harren wir einfach der Dinge, die da kommen. Was anderes bleibt mir sowieso nicht übrig. „Hach, Jan. Du bist immer so verdammt realistisch“, schmachtete Hallu-Bela mit diesem gewissen Etwas an Sarkasmus in seiner Stimme. „Hey, jetzt sag bloß, du kannst auch noch Gedanken lesen!“ empörte sich Farin und drehte sich zu ihm um. „Selbstverständlich kann ich das. Schließlich bin ich Gut deiner Gedanken. Ich kann darin solange und sooft stöbern, wie ich es möchte, ohne dass du es bemerkst. Das hast du doch neulich selbst festgestellt, schon vergessen?“ erwiderte Bela und legte den Kopf ein wenig schief. „Klugscheißer“, murmelte Farin bloß und ging an ihm vorbei, in der Absicht das Bad wieder zu verlassen. Doch Bela stellte sich ihm in den Weg. „Was soll der Quatsch? Du weißt, dass ich einfach durch dich hindurch laufen könnte“ beschwerte sich der Blonde. „Tust du aber nicht. Weshalb?“ fragte Bela neugierig. „Aus Höflichkeit“ war Farins knappe Antwort. „Also, was ist noch? Ich würde mich gern schlafen legen, es ist schon reichlich spät.“ Bela sah ihn nur an, ohne auf seine Frage einzugehen. Mit einem Blick, der einerseits so klar war und andererseits so undurchdringlich und mysteriös. Typisch Bela eben. „Ach, ich weiß nicht…“ antwortete der Kleinere schließlich, ohne seinen Blick von Farins Augen abzuwenden. „Ich finde nur, dass Bela es… verdammt gut hat. Jemanden wie dich zum besten Freund zu haben, meine ich.“ „Hm? Wie kommst du denn jetzt darauf?“ fragte Farin irritiert und legte seine Stirn in Falten. „Naja…“ Die Illusion suchte nach den richtigen Worten. Sah sich dabei Hilfe suchend im Bad um. „Seit fast 30 Jahren bist du jetzt an seiner Seite. In allen Lebenslagen bist du für ihn da gewesen. Als er diesen schweren Unfall hatte. Wenn er sturzbetrunken war und nicht selbst nach Hause konnte. Wenn er wütend war, traurig, verzweifelt. Wenn es ihm langweilig war oder er sich einsam fühlte. Du warst immer da. Und ich hoffe für euch beide, dass es auch weiterhin so sein wird.“ Farin zog überrascht die Augenbrauen hoch. Darüber hatte noch nie nachgedacht. Warum auch über Dinge sinnieren, die selbstverständlich sind? Ihm war dies niemals zuvor aufgefallen. Insgeheim fühlte er sich immer als schlechten Freund und fragte sich manchmal, wie der anhängliche Bela es überhaupt mit ihm aushielt. Farin mit all seinen Schwächen, seinen Macken, seinen negativen Eigenschaften… seiner oftmals bescheinigten Gefühlskälte…. Bela ließ seinen Kuss zu, obwohl er noch Stunden zuvor so sauer, so unendlich sauer auf ihn war. Warum? Warum konnte er nicht von Farin loskommen? Farin atmete hörbar durch den Mund aus. „Danke, du Arsch. Deinetwegen habe ich jetzt ein schlechtes Gewissen“, raunte er sein Hirngespinst an. „Wieso das denn? Geht´s noch? Wann hast du jemals etwas bereut? “ kam die verwirrte Frage. „Das ist es nicht. Ich meine… Ich habe Bela die letzten Tage über so mies behandelt. Ohne auf ihn Rücksicht zu nehmen. Und trotzdem war er irgendwie… bei mir. Für mich da. Ich verstehe das irgendwie nicht.“ Farin fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ich will es einfach wieder gutmachen. Aber angesichts meiner sogar für meine Verhältnisse beschissenen Verhaltensweise… was könnte das wieder ausgleichen?“ Farin klang ehrlich verzweifelt. „Vielleicht hast du das ja bereits und weißt es nur noch nicht…“ bemerkte Bela und lächelte bedeutungsvoll. Farin drehte sich entsetzt zu ihm hin. „Also, wenn´s so einfach wär, wäre Bela ja recht einfach glücklich zu machen!“ empörte er sich. „Ist er doch auch. Weißt du doch. Er hat längst nicht so viele Ansprüche wie du“, konterte der andere. Farin schob das Kinn leicht vor, während er die Brauen nach unten zog. „Was soll das denn nun wieder heißen???“ „Ach, vergiss es einfach. Wolltest du nicht schlafen gehen?“ Bela winkte noch kurz zum Abschied und löste sich in Luft auf. „Pffft… so ein Penner“, zischte Farin, da Bela wieder mal einfach so abzwitscherte. Sein Original war da wesentlich höflicher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)