Höhenflug. von Papierherz (Lily und James.) ================================================================================ Kapitel 1: Frühlingsduft. ------------------------- „Entschuldigung.“ Sie hielt in der Bewegung inne, die Feder in ihrer Hand hing bewegungslos über dem Papier, als sie aufblickte und James durch die schwere Holztür laufen sah. Er sah nach allem aus, nur nicht danach, dass es ihm Leid tat, zu spät gekommen zu sein – der Umhang, den er in diesem Moment ablegte, war voller Schlamm, seine Haare waren ein wildes Durcheinander, was sie allerdings nicht sonderlich wunderte, und er hatte selbst noch den Besen vom Quidditchtraining in der Hand. Nein, es tat ihm ganz bestimmt nicht Leid. Er bemerkte, dass sie ihn mit einem skeptischen Blick beobachtete und schenkte ihr ein Grinsen, woraufhin sie sich nur schnaubend wieder abwandte und sich wieder ihrer Arbeit widmete. Sie war nun wirklich nicht in der Stimmung, sich mit ihm in irgendeiner Weise anzulegen. Inzwischen war ihre Beziehung – man konnte sagen – gereift. Sie hatten es geschafft, während ihrer Arbeit als Schulsprecher länger als nur eine Sekunde still nebeneinander zu sitzen, ohne in lautes Geschrei auszubrechen, und Lily war sogar manchmal bereit dazu, ein normales – sofern es unter James‘ Umständen normal war – Gespräch mit ihm zu führen. Aber er hatte manchmal immer noch dieses Verlangen, so schien es ihr, sie mit seinem Verhalten aufs Blut zu reizen. „Hast du mich vermisst, Lily?“ Sie blickte gar nicht erst von ihrem Pergament hoch, als sie ihm antwortete: „So sehr, dass ich beinahe deinen Namen vergessen habe.“ Lily hörte ihn leise auflachen, bevor sie das Rascheln vernahm, als er sich ebenfalls ein Pergament nahm und nach einer Feder griff. „Wie lief das Training?“, fragte sie in die Stille hinein, die einige Minuten angedauert hatte. Irgendwie hatte sie ihn doch vermisst. Die Präsenz, die er versprühte, wenn er den Raum betrat, sein Aussehen, an dem sie sich jeden Tag ergötzen konnte und seine Stimme, die die kleinste und dunkelste Ecke in ihrem Herzen ausfüllen konnte. Aber nur irgendwie. Während sie nicht versuchte, hochzublicken, hörte sie, wie er all das Zeug niederlegte, welches er nur einige Sekunden vorher ergriffen hatte, und sich nach hinten lehnte und der Stuhl unter seinem Gewicht knartschte. „Wunderbar! Ich habe 19 von 20 Toren gemacht.“ Sie konnte seine Begeisterung beinahe greifen und blickte daraufhin doch auf und sah wie er grinsend aus dem Fenster starte, die Arme hinter seinem Kopf verschränkt. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. Quidditch war eines der vielen Dinge, die ihn so sehr begeisterten, die er so sehr liebte, dass er solch eine Aura versprühte und sich freute wie ein kleiner Junge. Plötzlich ließ er sich wieder nach vorne fallen, einige Pergamentrollen flogen leicht in die Höhe und er schaute sie mit einem Stirnrunzeln an. „Was ist?“, fragte sie ihn und strich sich nervös eine Haarsträhne hinters Ohr. Früher hatte es ihr nicht so viel ausgemacht, als er sie angestarrt hatte, doch neuerdings, überzog eine Gänsehaut ihren Körper, gefolgt von einem wohltuenden Kribbeln. „Wie kommt es, dass ich dich noch nie auf einem Besen gesehen habe?“ Lily blickte ihn verwundert an und legte dann ihren Kopf schief. „Weil ich diese Dinger bis jetzt nur zum Fegen benutzt habe.“ Sie wusste nicht, wann sie James zum letzten Mal so überrascht gesehen hatte, aber es verwunderte sie trotzdem, dass er plötzlich in lautes Gelächter ausbrach. Sie verdrehte die Augen und wandte sich wieder ihren Aufgaben zu. Manchmal konnte sie normal mit ihm reden – doch er bekam es immer wieder auf die Reihe, dass sie sich unwohl fühlte. Doch dann packte seine Hand ihren Arm und sie als sie ihn wieder anblickte, zierte sein Gesicht nur noch ein warmes Lächeln, als wüsste er Bescheid darüber, wie sie sich in dem Moment fühlte, als wüsste er, dass er sich falsch verhalten hatte, als wüsste er mehr als sie es tat. „Tut mir Leid, dass ich gelacht habe, aber zum Fegen? Das klingt absolut lächerlich!“ Er hatte wahrscheinlich Recht. Lily hatte vollkommen vergessen, dass er schon immer in der Zaubererwelt lebte, dass er dort hingehörte, wo sie niemals wirklich hingehören würde; für ihn klangen Dinge, die sie in ihrem gesamten Leben für normal gehalten hatte, lächerlich. Irgendwie schmerzte es zu wissen, dass sie nie dort hingehören würde, wo er herkam, wo er sein Leben verbrachte und verbringen würde. Es schmerzte zu wissen, dass sie dort fehl am Platz war, dass sie damit an seiner Seite fehl am Platz war. Aber sie mochte diesen falschen Platz. Aber nur irgendwie. Lily hatte ihn angeschaut, ohne zu bemerken, wie sie mit dem Blick in seine Augen in ihre Gedankenwelt abgedriftet war, bis sich plötzlich etwas in seinem Gesicht regte, was eindeutig eine Flamme der Aufregung war, die sich deutlich in seinen glühenden Augen widerspiegelte. „Das heißt, du saßt noch nie auf einem Besen? Wie hast du dich bloß all die Jahre da rausgemogelt, Evans?“ Als er ihren Nachnamen aussprach, baute er wieder diese unangenehme Mauer zwischen ihnen auf, die sie das ganze Jahr versucht hatten, abzureißen, mühselig, Stein für Stein. Zumindest wusste sie, dass er es nicht so meinte, sondern sie nur spielerisch damit herausfordern wollte. „Alle hatten mindestens so viel Angst, mich auf einem Besen zu sehen, wie ich selber.“ Wieder sah sie die Verwunderung in seinem Gesicht, doch diesmal fing er nicht an zu lachen, sondern strafte sie mit einem Blick, als könne er sie nicht verstehen. „Ist das dein Ernst, Lily? Du hast vor etwas Angst? Und auch noch vor dem Fliegen!“ Seine Stimme nahm einen Ton an, als könnte er seinen Ohren nicht trauen, als würde sie den größten Unsinn reden, den er bisher in seinem durchaus erlebnisreichen Leben gehört hatte. Sie presste pikiert die Lippen aufeinander, bevor sie ihren gesamten Körper in seine Richtung drehte und ihn bedrohend fragte: „Ist das etwa nicht erlaubt?“ Er hob die Hände und lächelte entschuldigend. „Natürlich ist es das. Aber wie kannst du bloß Angst vor dem Fliegen haben?“ Plötzlich spürte sie seinen warmen Atem auf ihrer Wange, in ihren Haaren, neben ihrem Ohr und ihre Augen schlossen sich, als sie seinen Duft einatmete. Er roch immer sehr nach Natur, als würde man nach draußen treten oder das Fenster öffnen, das Grad, die Bäume, die Blätter, den Frühling riechen. Im Winter war er ihr persönlicher Frühling. „Lily…“, hörte sie ihn flüstern und ihr Herz setzte einen Moment aus, bevor er in doppelter Geschwindigkeit weiterschlug und ihr ganze warm wurde und eine wohlige Gänsehaut ihren Rücken hinunter wanderte. „Fragst du dich nicht, wie es ist, wenn man auf dem Besen sitzt, den Wind in seinen Haaren spürt, unter einem nichts als Luft, über einem, um einen herum, nichts als die Freiheit spürt, die man nur dann fühlten kann, wenn man keinen Boden mehr unter den Füßen hat? Fragst du dich nicht, wie es ist, über den Verbotenen Wald zu fliegen, den frischen Duft der Blätter und Tannen in seiner Nase zu spüren? Willst du nicht auch einmal so frei sein?“ Er bewegte sich nicht von der Stelle, als sie wagte ihre Augen zu öffnen und dieses Bild, das sich so glasklar vor ihren Augen widergespiegelt hatte, verblasste und sie nur noch seine Präsenz, seinen Atem und seinen Duft wahrnahm. „Manchmal.“, flüsterte sie ebenso leise und hörte ihn daraufhin sanft lachte. Als er sich zurücklehnte, wünschte sie sich ihn wieder zurück. Irgendwie dachte sie manchmal, James war nicht gleich James. Er gab einen James, der sie immer zum Lachen bringen konnte, selbst, wenn ihr mehr nach weinen zu Mute war. Es gab einen James, der sie so wütend machte, dass sie explodierte und wünschte, ihn nie kennengelernt zu haben, und es gab diesen James, der es schaffte ihr Herz schneller schlagen zu lassen, nur mit einer Berührung oder einem Blick. Irgendwie gab es doch nur einen James, der sie so um den Verstand brachte und das war dieser, der all das in sich in einer Person war. Aber nur irgendwie. Sie versuchte nicht so benommen dreinzuschauen, wie sie sich fühlte und diesen Rotschimmer, der sich unweigerlich auf ihre Wangen gelegt hatte, zu überdecken. Lily rieb sich die Augen, als wäre sie müde und versuchte dabei einen Moment, nicht James anzublicken, der auf etwas zu warten schien, dass er scheinbar doch nicht bekommen würde. „Es ist noch nicht dunkel. Was hältst du davon, ein bisschen rauszugehen?“ Lily blickte ihn überrascht an, als er ohne auf eine Antwort zu warten, sich schon erhob und nach seinem Besen griff, der neben ihm gestanden hatte, als wartete er auf seinen nächsten Einsatz. „Du hast doch dabei keine Hintergedanken?“, fragte sie ihn ernst, als sie ihm zur Tür folgte, mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Sein typisches Grinsen umspielte seine Lippen. „Wie kommst du denn darauf?“ Sie hatte es geahnt, weil sie wusste, dass sie etwas ahnen musste. Als sie an die frische Luft getreten sind und einen kurzen Weg still schweigend nebeneinander gingen, war James Feuer und Flamme mit der Idee, dass sie sich auf solch einen verfluchten Besen setzte. Scheinbar wollte der kleine spielerische Junge in ihm einfach nicht einsehen, dass es Menschen gab, die nicht dazu geboren wurden, auf einem Besen durch die Luft zu fliegen. Er hatte ihr alles angeboten, von einer Umarmung, bis zu einem Kuss, die absurdesten Dinge und nun hielt er ihr den goldenen Schnatz unter die Nase, mit dem er jahrelang seine Fähigkeiten verbessert hatte. „James…“, sagte sie in einer ernsten Stimme, denn sie wollte ihn wieder zu Vernunft bringen, was er durchaus nötig hatte, wenn er ihr eins seines wertvollsten Hab und Gut anbot, nur damit sie auf ein Stück Holz stieg. „du kannst ruhig alles behalten. Ich werde nicht auf diesen Besen steigen!“ James ließ die Hand sinken und packte den Schnatz wieder in seine Umhangtasche, ließ jedoch nicht seinen Blick von ihr. Mit großen braunen Augen schaute er sie an und sie versank wiederrum in ihnen. „Lily. Nur ein einziges Mal. Ich begleite dich auch, du brauchst keine Angst zu haben.“ Es fiel ihr schwer seiner samtweichen Stimme zu widersprechen, oder dem Auflodern in seinen Augen kalt gegenüberzustehen. So vieles fiel ihr schwer, wenn er sie so anblickte. Sie kämpfte mit sich selber, mit der Stimme der Vernunft und mit der Stimme ihrer Herzens und letztendlich folgte sie doch letzterem, denn was sollte denn schon passieren? James war der begabteste Quidditchspieler, den sie kannte, und somit der einzige Mensch, der derart mit einem für Muggel stinknormal aussehenden Besen umgehen konnte. Sie seufzte und griff nach der Hand, die er schon ausgestreckte hatte und ließ sich von James auf den Besen helfen. Er saß direkt hinter ihr, sie spürte seine Brust auf ihrem Rücken, seinen Atem und seine Haare, die ihren Nacken kitzelten und ihr kleine elektrische Stöße durch den Körper jagten. „Du brauchst keine Angst zu haben, Lily. Ich pass auf dich auf.“, flüsterte er ihr leise ins Ohr und sie nickte nur zaghaft, um ihn zu verdeutlichen, dass sie ihn verstanden hatte. Irgendwie fühlte sie sich manchmal bei ihm am wohlsten, als wäre er das Feuer im Kamin der Gemeinschaftsraumes, der große Ohrensessel, der einladend daneben stand. Manchmal fühlte sie sich bei ihm am meisten geborgen und beschützt, als wäre er der Schutz vor der Außenwelt und gleichsam alles, was sie stattdessen brauchte. Aber nur irgendwie. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass sie keinen Boden mehr unter den Füßen hatte. Vielleicht lag es daran, dass es sich oft so anfühlte, wenn James in der Nähe war. Doch plötzlich hörte sie James fragen: „Wie gefällt es dir?“ und darauf öffnete sie ihre Augen und erblickte den Horizont, der sich vor ihr erstreckte, die Sonne, die langsam dahinter versank und den goldroten Himmel, der die ersten Sterne zeigte und keine einzige Wolke verdeckte dieses wunderschöne Schauspiel. Ein Blick hinunter, ließ sie scharf die Luft einziehen, ihr Herz schneller schlagen, doch es machte ihr nicht aus, denn ebenso ließ es sie, die Berührungen von James tun, der seine Hand auf die Ihrigen gelegt hatte, die sich um den Besenstiel verkrampft hatten. Sie spürte seine Arme um ihre Taille, seinen Kopf, der auf ihrer Schulter ruhte. Sie drehte ihren Kopf. Nun trennte sie kein Zentimeter voneinander. „Es ist wunderschön, nicht?“, fragte er sie leise und sein Blick bohrte sich in ihre Augen. Nur ein leichtes Nicken von ihrer Seite, bevor sie seine warmen Lippen auf ihrer Wange, auf ihrer Nasenspitze, auf ihren leicht geschlossenen Augenliedern und zuletzt auf sanft auf ihren Lippen spürte. Es war nur ein kurzer Kuss, genauso wie der kurze Moment auf dem Besen, doch er bescherte ihr das längste Herzklopfen seit langem. Sie hielt sich an James fest, als sie wieder auf den Boden kam, der ihr plötzlich so fremd schien und ihre Beine, die so stark zitterten, ließen sie nicht fest stehen. „Ich hoffe, ich habe dir die Angst genommen.“, sagte er und sie hörte das Lächeln in seiner Stimme, ohne ihn anblicken zu müssen. Doch wusste sie nicht, was James meinte. Welche Angst, er ihr genommen haben wollte, denn er hatte ihr mehr Angst genommen, als er es erahnen konnte. „Ja, das hast du.“, murmelte sie und spürte, wie er sie an sich drückte und ihr einen Kuss auf die Stirn drückte. Sie schreckte nicht zurück und protestierte nicht, ließ alles das über sich ergehen, was sie plötzlich gar nicht mehr so falsch anfühlte. „Hat es dir denn auch gefallen?“ „Mehr, als du es dir vorstellen kannst.“ Er lachte leise, als er sie wieder von sich drückte und sie lächelnd anschaute. „Ich denke, ich kann es mir sehr gut vorstellen.“ Mit einem sanften Lächeln strich er Lily über die Wange und küsste sie noch einmal. Es fühlte sich an, als würde sie wieder fliegen, als würde sie alle um sich herum vergessen, nur diese unbändige Freiheit spüren, diese Kribbeln im Körper, als würde sie den Duft der Bäume, die so hoch oben in der Luft ragten, genießen. Irgendwie empfand sie ein bisschen mehr als all das für James. Es war ein bisschen mehr als seine Art, sein Aussehen, sein Duft, die sie so schätze, es war einfach James, einzig und allein er, der es schaffte, sie so fühlen zu lassen, wie sie es liebte. Als würde sie einen Höhenflug erleben, mit ihm, ihretwegen auch auf einem Besen. Aber Hauptsache mit ihm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)