Wolfswege von Scarla ================================================================================ Kapitel 18: Die Wahre Gestalt des Wolfes ---------------------------------------- Ein verirrter Sonnenstrahl, wohl von einer Scheibe reflektiert, blendete Lugh Akhtar, doch er blinzelte nicht, sondern schaute mit leuchtenden Augen den Tempel an, vor deren Toren sie standen. Es war ein riesiges Gebäude, das komplett fugenlos wohl aus einem Stein gemeißelt wurde. Zumindest sah es so aus. Die Fenster bestanden aus buntem Glas, doch war es kein magisches Glas wie über dem Eingang des Gildenturms in Altena. Das Holz des schmalen, hohen, spitz zulaufenden Tores war in einem hellen Braun und passte sehr gut zu dem sanften, cremefarbenen Stein. Umgeben wurde das ganze von so klarem Wasser, dass der Grund des Sees, in dessen Mitte der Tempel lag, in absoluter Schwärze verschwand, und eingerahmt war es von hellen Bäumen, Gräsern und Blumen. Sie waren mit einer Fähre hierher gekommen, es gab sonst keine andere Möglichkeit, trockenen Fußes das Gebäude zu betreten. Der Fährmann hatte schon wieder abgelegt, da staunte Nea noch. Sie hatte schon oft vom Tempel des Mondlichts gehört, doch niemals hatte sie ihn besucht. Nicht vielen war es gestattet, ihn zu betreten. Wieso man sich dazu bereit erklärt hatte, sie hierher zu bringen, hatte sie nicht verstanden. Nikolai hatte einmal mit ihr hierher kommen wollen, doch sie war krank geworden und danach hatten sie keine Erlaubnis mehr bekommen. »Es ist...«, begann sie, doch das richtige Wort fiel ihr nicht ein. »Wundervoll? Atemberaubend? Einzigartig?«, fragte der Wolf lachend. »Ja, und noch viel mehr«, nickte sie, und schaute zu ihm hinab. »Wie hast du es geschafft, eine Erlaubnis zum Betreten zu bekommen?« »Ich? Gar nicht. Es gibt nicht viele, die mich verstehen, zumindest nicht in dieser Gestalt. Vielleicht hat Tariq etwas gedreht, denn ich habe ihm von diesem Ort erzählt und er hat mir versprochen, wenn wir uns das nächste Mal treffen, dann hier«, erklärte der Wolf und grinste. »Meinst du, er hat genug Einfluss?«, fragte sie neugierig. »Wenn nicht er, wer dann? Lass uns hineingehen«, antwortete er und sprang freudig auf das Tor zu. Nea folgte ihm und klopfte an. Ein junges Mädchen mit hellem Haar und blassblauen Augen öffnete. »Hallo«, begann Nea, doch sie schüttelte den Kopf und deutete ihnen, einzutreten. »Sie sprechen nicht, du brauchst gar nicht damit anzufangen, ihnen einen Ton entlocken zu wollen«, erklärte der Wolf und lief ihr voran. »Kennst du den Weg?«, erkundigte sie sich bei dem Wolf. »Natürlich, aber solange der Vollmond noch nicht aufgegangen ist, ist es egal. Ich führe dich herum, sag ihr, dass sie uns nicht zu begleiten braucht«, antwortete er. Nea wandte sich dem Mädchen zu. »Er kennt sich hier aus, du brauchst uns nicht begleiten.« Sie nickte und ging kommentarlos. Es schien sie gar nicht weiter zu interessieren. Es war noch früher Morgen, deswegen hatte der Wolf viel Zeit, Nea den Tempel zu zeigen. Nea war verwundert, denn niemand schien wirklich Notiz von ihnen zu nehmen. Wie der Wolf vermutet hatte, trafen sie gegen Mittag auf Tariq. »Ich bin schon seit ein paar Wochen hier und warte auf euch«, erklärte er lachend, als Nea ihn fragte, was er hier tat. »Und warum?«, erkundigte sie sich. »Weil Lugh Akhtar wollte, dass wir uns hier treffen, warum musst du aber ihn fragen«, erklärte der Junge und schaute fragend auf den Wolf hinab. »Das werdet ihr heute Abend sehen«, antwortete der lächelnd und bevor einer von den Beiden nachfragen konnte, war er auch schon weiter gelaufen. Der Tag verging schnell und voller Freude und am Abend dann fanden sich die Drei im Herzstück des Tempels ein. Ein nachtblauer Saal in dessen Mitte ein Brunnen stand aus dem dunkles Wasser in ein großes Becken sprudelte. Nur helles Mondlicht erhellte den Raum. Der Wolf ging ihnen voran, trat ins Wasser und schaute auffordernd zu ihnen zurück. »Ich denke, du weißt, was du tun musst, Nea, oder? Wir helfen dir«, erklärte er und lächelte. Sie zögerte einen Moment, nickte dann aber lächelnd und nachdem Tariq ihr auch noch einmal mit einem Lächeln Mut gemacht hatte, gingen auch die Beiden zu dem Wolf. »Ich glaube, ich weiß, was ich jetzt tun soll. Aber... bevor wir beginnen... beantwortet ihr mir noch eine Frage?«, bat sie und trat vorsichtig ebenfalls ins Wasser. »Frag, was auch immer du willst«, antwortete Lugh Akhtar dessen Fell blau schimmerte. Nea kniete sich vor ihm hin und schaute ihm tief in die leuchtenden Augen. »Wer bist du?« Dann schaute sie Tariq an. »Und wer bist du?« »Der Prinz und der Zauberer«, antwortete der Wolf zärtlich. Nea schaute ihm lange in die Augen, dann nickte sie. »Du bist der Ursprung der Kraft, nicht wahr?«, fragte sie. »So ist es«, bestätigte der weiße Wolf. »Und du wirst sie verstärken?«, fragte sie Tariq. »Es ist nicht angenehm, aber ja. Es wird Zeit, dass wir wieder unser altes Leben leben«, bestätigte er lächelnd. Nea lächelte zurück, doch es erlosch schnell wieder. »Was ist?«, fragte Lugh Akhtar sogleich. »Ich werde es bloß in die richtige Bahn lenken, nicht wahr? Es wird trotzdem nicht meine Macht sein, sondern eure«, erklärte sie, wohl wissend, dass sich für sie selbst nichts ändern wird. »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Lass es uns versuchen«, bat der Wolf und stupste sie auffordernd an. Nea nickte und lächelte gezwungen. Immerhin konnte sie nun ihrem Freund etwas Gutes tun und das sollte ihr reichen. Sie wusste, was zu tun war, sie hatte es schon einmal mitgemacht, damals allerdings war sie es gewesen, die dort gesessen hatte und Nikolai hatte gleich zwei Aufgaben übernommen. Der Kraftgeber und der Kraftlenker. Auch Tariq wusste, was er zu tun hatte und stellte sich ihr gegenüber. Sie Beide legten sacht die flachen Hände aufeinander, ohne die Finger zu verschränken, den weißen Wolf in ihrer Mitte. Während das silberne Mondlicht auf sie nieder schien konzentrierte sich Nea auf die Macht Lugh Akhtars, die mit einem Mal den ganzen Raum ausfüllte. Sie erschrak zwar, denn niemals zuvor hatte ihr eine solche Macht zur Verfügung gestanden, doch sie zeigte es nicht, stattdessen konzentrierte sie sich mit aller Macht auf jenen jungen Mann, den sie im Turmzimmer gesehen hatte. Es schien zwar Jahrtausende zurück zuliegen, doch sie konnte sich noch an jede einzelne Haarsträhne erinnern. Mit einem Mal wurde das Licht intensiver, schien sie regelrecht einzuhüllen, doch Nea ignorierte auch das, sie hatte nur Augen für Lugh Akhtar, der sich langsam zu verändern begann. Sein Fell verschwand, seine Gestalt veränderte sich, wurde menschlicher. Er richtete sich langsam auf, begann vor Schmerz zu schreien, doch sie ließ die Magie nicht gehen. Und dann, plötzlich, war es vorbei. Alles. Lugh Akhtar, der nun wieder ein junger Mann war, fiel bewusstlos ins Wasser und Nea und Tariq ließen mit einem Ruck voneinander und taumelten Beide ein paar Schritte zurück. Doch das war nicht alles, was geschah. Nea war die Einzige, die es merkte. Die Magie in diesem Raum schien sich zu ballen, zu konzentrieren, als suche sie etwas. Jemand, der sie zu leiten vermochte, und dieses Mal war es nicht nur der junge Mann, der langsam wieder zu sich kam. Sie wusste, dass er nichts an Macht eingebüßt hatte, und wusste zugleich, dass sie ihrerseits nun ihren Zauber gefunden hatte. Langsam richtete sich Lugh Akhtar auf, schaute interessiert, aber seltsam teilnahmslos auf seine Hände. »Ich bin wieder, was ich einst gewesen bin«, flüsterte er und schaute zu Nea. »Danke dafür.« Sie nickte nur und schaute glücklich in die Nordlichtaugen, die er behalten hatte, und auch immer behalten würde. Ebenso wie sein Haar, das nun weiß blieb, bis auf zwei Stellen über den Ohren, die waren schwarz. »Gern geschehen, Lugh Akhtar.« Sie zögerte, lachte dann. »Nein, du bist ja nicht mehr mein weißer Wolf. Gern geschehen, Fjodor.« Der junge Mann lächelte, schüttelte aber den Kopf. »Für dich bin ich immer Lugh Akhtar, denn als Fjodor bist du mir eine Fremde, als Lugh Akhtar nicht. Und ich habe dir doch versprochen, bei dir zu bleiben«, erklärte er. Nea nickte und lächelte glücklich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)