Wolfswege von Scarla ================================================================================ Kapitel 3: Das Mädchen ---------------------- Der Strick war kurz und so eng, dass er kaum atmen konnte. Er saß da, die Zunge weit heraushängend, denn so bekam er besser Luft. Der Gestank jedoch war schier unerträglich. Er hatte große Städte nie gemocht, die Luftqualität war zwar nur einer der Gründe, aber gewiss kein unwesentlicher. Er hoffte, dass sich bald ein Käufer für ihn finden würde, der ihn mitnahm, hinaus aus diesem Gestank. Vielleicht konnte er auch verschwinden und einen Ort suchen, wo er die Antworten auf seine zahlreichen Fragen fand. Es waren auch zahlreiche Leute, die Interesse an ihm bekundet hatten, denn ein schneeweißer Wolf mit solch außergewöhnlichen Augen - von denen er immer noch nicht wusste, was an ihnen so besonders sein sollte - war auch hier nicht oft anzutreffen, wenn es überhaupt jemals einen gegeben hat. Er versuchte, sich bequemer hinzusetzen, was ihm jedoch nur mäßig gelang, als ihm das Mädchen auffiel. Sie hatte braunes Haar, das im Sonnenlicht rötlich schimmerte und seltsam hellblaue Augen. Sie ging anders mit den Tieren des Marktes um, als die anderen. Sie blickte nicht von oben auf sie herab, sondern ließ sich in die Hocke sinken und sprach leise mit ihnen. Plötzlich fiel ihm auf, dass er sie anstarrte und weil er immer noch wusste, dass das unter Menschen nicht gerade höflich war, schaute er hastig weg - und erregte so ihre Aufmerksamkeit. Sie schaute ihn einen Augenblick lang verwundert an, dann kam sie zu ihm, erst langsam und zögernd, dann sehr zielstrebig. Langsam ging sie in die Hocke und streckte ihre Hand nach ihm aus. »Nicht, lass mich«, bellte er leise, bewegte sich jedoch nicht, hatte es ja doch keinen Sinn. Er wurde trotzdem von fast jedem, der vorbei lief, gestreichelt, warum sollte es bei ihr anders sein? »Entschuldige, ich wollte nicht...«, sagte sie leise und zog ihre Hand wieder zurück. Sie betrachtete den Wolf einen Moment, dann sagte sie leise: »Du hast schöne Augen.« »Sie sind braun, sie sind nicht besonders«, brummte er. »Oh nein, sind sie nicht«, widersprach sie sanft. »Natürlich sind sie...«, begann er, dann jedoch fiel ihm auf, was er gerade tat. Er unterhielt sich mit einem Menschen und sie antwortete, als könne sie ihn verstehen. Er schaute sie misstrauisch an und zuckte unwillig mit einem Ohr um eine Fliege zu verscheuchen. »Verstehst du, was ich sage?«, fragte er. »Ja«, antwortete sie, lächelte und stand auf. Ihr war seine Feindseligkeit nicht entgangen und so wollte sie gehen. »Nein, halt, warte!«, hielt er sie zurück, »Hilf mir!« Sie schaute ihn verwundert an, fragte dann aber: »Wobei?« »Mich zu Erinnern. Hilf mir herauszufinden, warum ich in der Gestalt eines Wolfes gebannt bin. Hilf mir zu erkennen, wer ich bin«, bat er und blickte traurig zu Boden. »Du bist kein Wolf? Erzähl mir, was geschehen ist«, bat sie. »Das weiß ich selber nicht, ich kann mich nicht erinnern«, flüsterte er leise und voller Schmerz. In dem Moment kam der Mann, der ihn von Maya weggeholt hatte zurück und sofort schlug die Angst wie eine Sturmflut über ihn zusammen, er drängte sich so eng es ging an die Bretter an seiner Seite und begann wie von Sinnen zu fiepen und zu schreien. Es war nicht so, dass der Mann ihn geschlagen hätte oder dergleichen, aber er hatte etwas an sich, das es ihm unmöglich machte, sich in der Nähe des Mannes aufzuhalten. Er wurde immer lauter und begann am ganzen Körper unkontrolliert zu zittern. Sofort wandten sich von verschiedenen Seiten die Leute um und beobachteten interessiert, was da vor sich ging, doch das Mädchen ignorierte dies und schaute stattdessen zu dem Mann hinüber. »Ich helfe dir«, flüsterte sie ihm zu, dann stand sie auf und stellte sich dem Fremden. »Wie viel wollt Ihr für den Wolf?«, fragte sie kalt. »Er ist ein hübsches Tier, wenn auch ein wenig nervös. Dafür aber überaus kräftig. Unter hundert Goldlingen gebe ich ihn nicht her«, antwortete er. »Ich gebe Ihnen fünfzig, mehr ist ein traumatisiertes Tier nicht wert. Er taugt höchstens noch als Pelz«, antwortete sie abfällig, betrachtete ihn einen Moment und schnaubte dann unwillig. »Nicht einmal dazu, denn sein Pelz ist viel zu weiß, als dass man ihn an einen anderen nähen könnte, und viel zu klein, um daraus Kleider zu schneidern.« Der Mann überlegte einen Moment. Er wusste, dass sie recht hatte, und die Frage, warum sie dann ein solches Tier haben wollte, erübrigte sich für ihn. Es war bekannt, dass sie ab und an Tiere kaufte, um sie dann wieder frei zu lassen oder dergleichen. Er schaute auch einen Moment auf den Wolf, der alles tat, um noch elender und verstörter auszusehen, denn er spürte instinktiv, dass er dem Mädchen damit half. »Sechzig und er gehört dir«, antwortete er abfällig. Sie nickte und zählte sechzig Goldmünzen in seine gierigen Hände ab, dann ging sie zu ihm und schnitt mit einem Messer kurzerhand den Strick durch. Sie deutete ihm mitzukommen, dann gingen sie zusammen zu einer Seitengasse. »Tut mir leid, ich weiß auch nicht, was mit mir los ist, aber in seiner Nähe... Nun, du hast es ja erlebt«, sagte er leise, während er mit ihr mitlief. »Sonst bin ich nicht so.« »Er ist ein böser Mensch und dein wölfisches Wesen erkennt das. Wölfe können sehr emotional reagieren, vor allem bei Angst, also mach dir keine Gedanken«, beruhigte sie ihn. »Ja, kann sein«, antwortete er. »Wie heißt du?«, erkundigte sie sich, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. »Maya nannte mich Schneeflocke«, antwortete er leise. »Schneeflocke? Ist das dein Ernst?«, erkundigte sie sich lachend. »Ja. Aber ich mag diesen Namen nicht besonders. An meinen richtigen kann ich mich aber nicht mehr erinnern«, antwortete er. »Dann sollten wir uns einen ausdenken. Einen, der zu dir passt, einer, der einem so wunderschönen Wolf würdig ist«, fand sie und überlegte. »Warum finden denn alle, dass ich hübsch wäre? Ich bin ein Wolf, was ist daran hübsch?«, fragte er missmutig. »Nun, dein Fell ist so weiß wie Schnee, es glitzert, als wäre es mit Diamantensplittern bestäubt. Deine Ohren dagegen schwarz wie die Nacht und deine Augen schimmern wie das Nordlicht. Sie sind wirklich erstaunlich. Sie haben immer eine andere Farbe, je nach dem, aus welchem Winkel ich sie betrachte«, antwortete sie nachdenklich und blickte auf ihn herab. »Wie ist eigentlich dein Name?«, fragte er neugierig. »Ich? Ich bin Nea«, antwortete sie. »Kommst du nicht aus dieser Gegend?«, fragte er verwundert, denn er hatte angenommen, dass sie Nordländerin sei. Ihrer hellen Augen zum trotz. Doch ihr Name sprach da eine andere Sprache. »Doch. Ich weiß nicht, wie meine Eltern auf diesen Namen kamen, aber er gefällt mir. Er bedeutet >Moosglöckchen<«, antwortete sie. »Interessant. Und ungewöhnlich«, antwortete er nachdenklich. »Tja, dann passen wir ja gut zusammen. Ich mit meinem ungewöhnlichen Namen und du mit deiner ungewöhnlichen Geschichte. Aber wie nennen wir dich nur?« Sie schaute ihn nachdenklich an, eine ganze Weile lang. »Es muss etwas mit dem Licht zu tun haben, denn deine Augen sind wirklich, wie das Nordlicht. Wie wäre es mit... Lugh Akhtar?«, fragte sie neugierig. »Lugh was?« Er blickte mit großen Augen zu ihr auf. »Lugh Akhtar. Lugh bedeutet Licht und Akhtar heißt Stern. Die Namen kommen zwar aus verschiedenen Sprachen, aber ich finde, sie passen dennoch gut zusammen. Und sie passen gut zu dir«, erklärte sie. »Hmmm...«, machte er. »Lugh Akhtar... Er gefällt mir. Irgendwie. Okay, dann heiße ich nun Lugh Akhtar.« Sie nickte lächelnd, dann fiel ihr etwas ein. »Wirst du eigentlich bei mir bleiben oder alleine los ziehen?« »Ich weiß nicht...«, antwortete er unschlüssig. »Das ist gut, dann bleibst du bei mir.« Sie grinste ihn an. »Bleibe ich?«, fragte er unsicher, denn ihm schwante böses. »Immerhin habe ich fast mein ganzes Geld für dich ausgegeben, mein Bester«, antwortete sie und lächelte ihn auf eine Art und Weise an, die ihn eher noch nervöser machte. »Und was heißt das für mich?«, fragte er deswegen unsicher. »Dass du ein Halsband tragen musst«, sagte sie und grinste breit. »WAS?! Vergiss es!«, rief er aus und sprang vorsichtshalber einen Meter von ihr weg. »Und warum? Besser du hast ein Halsband und die Leute wissen, dass du mir gehörst, als wenn du ohne herumläufst und wieder an solche zwielichtigen Gestalten kommst, oder sehe ich da was falsch?«, erkundigte sie sich, wohl wissend, dass er gegen ihre Argumente nichts ausrichten konnte. Zögernd kam er wieder näher, dachte eine ganze Weile nach, dann nickte er. »Leider hast du recht. Aber bitte nicht nur einen dieser scheuernden Stricke, ich spüre sie immer noch am Hals«, fügte er sich. »Nein nein, keine Sorge. Vorerst muss das hier gehen, später besorgen wir etwas Ordentliches«, meinte sie und löste ihren ledernen Gürtel. Vorsichtig und umständlich legte sie ihm selbiges um, wohl darauf bedacht, ihn dabei nicht zu berühren. »Für eine Weile wird es wohl gehen«, überlegte sie nachdenklich, während sie ihn betrachtete. »Wohin bist du eigentlich unterwegs, Nea?«, fragte er neugierig. »Oh, kein spezieller Ort. Ich gehe dorthin, wo der Weg mich hinführt, wo ich was zu essen und eine Unterkunft habe«, antwortete sie Schulter zuckend. »Und womit verdienst du dein Geld?«, bohrte er beharrlich weiter. »Mit… mit...«. Sie wurde rot, druckste einen Moment lang herum. »Mit Zauberkunststücken...« Das überraschte Lugh Akhtar nun, denn für eine Zauberin hatte er sie nun wirklich nicht gehalten. Sie hatte so gar nichts Magisches oder gar Mystisches an sich. Im Gegenteil, sie wirkte eher wie eine Bettlerin und nicht wie eine verehrte Zauberin. »Wieso bist du dann unterwegs? Nicht viele Zauberer ziehen auf Wanderschaft, die meisten suchen sich feste Städte und Länder. Und jene, die reisen sind im ganzen Reich bekannt, hier scheint dich jedoch niemand zu kennen. Was natürlich auch an deiner Kleidung liegen könnte, die ist einer Zauberin wirklich nicht angemessen...«, bemängelte er. »Sei ruhig, ich will nicht darüber reden«, fuhr sie ihn an, dabei wirkte sie traurig und unglücklich. Sofort war der Wolf still und schaute sie mitleidig an. Offensichtlich hatte er an etwas gerührt, was ihr sehr nahe ging und er hatte eigentlich nicht vorgehabt, seine Retterin so arg vor den Kopf zu stoßen. »Entschuldige, ich wollte nicht...«, begann er, doch Nea winkte ab. »Schon gut. Aber frag bitte nicht mehr in dieser Richtung, ich mag darüber nicht nachdenken. Woher weißt du eigentlich so viel über Zauberer? Die meisten wissen ja gerade einmal, dass es sie gibt«, bemerkte Nea. Erst jetzt viel Lugh Akhtar auf, was er eben für Informationen von sich gegeben hatte. Sie hatte nämlich recht, kaum einer wusste mehr über Zauberer, als eben, dass sie existierten, irgendwo auf der Welt. Nachdenklich setzte er sich hin und schaute sie mit zur Seite geneigtem Kopf an. »Ich weiß nicht... Die Worte waren ausgesprochen, bevor ich überhaupt wusste, was ich tat«, antwortete er verwirrt. Nea schaute ihn einen Moment lang zweifelnd an, dann lachte sie aber. »Sieh es so, mein Weißer, das ist unser erster Hinweis auf deine wahre Identität. Es gibt nur sehr wenige, die mit Zauberern zu tun haben. Und da du offensichtlich auch keiner bist, verringert sich der Kreis noch einmal um ein ganzes Stück«, meinte sie. Lugh Akhtar viel jedoch sofort ein vermeintlicher Denkfehler auf. »Wieso kann ich denn selbst kein Zauberer sein?«, fragte er neugierig. »Weil kein Zauberer der Welt, der so abfällig über etwas wie mir spricht, sich selbst in die Gestalt eines Wolfes zwingen lassen würde«, meinte sie und lächelte. Dabei gab sie eine Information von sich Preis, die er zwar wahrnahm und von der er auch wusste, dass sie enorm wichtig war, die er jedoch nicht fassen konnte, die sogleich wieder verschwand. »Lass uns ins Wirtshaus gehen, ich habe Hunger wie ein Wolf«, grinste sie und lief los. Konfus schaute Lugh Akhtar ihr hinterher, schüttelte sich dann, um den Gedanken zu verscheuchen, und folgte ihr mit großen Sprüngen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)