Die Legende von Àr’yûn’nàn dê Y’êrún’gâ von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: Ein Held erwacht --------------------------- Schnell eilte Gary nach Hause, um ein wenig Proviant und sein Jagdmesser einzupacken. Auch das Buch warf er in den Beutel, den er mit sich nahm. Für einen Moment überlegte er, sich von seinen Zieheltern zu verabschieden, entschied sich aber dagegen. Mit dem Buch in der Hand lief er los. Die Liste der Gegenstände, die er benötigte, umfasste elf Punkte: 1.Magisches Objekt (Stein, Dolch, Krone etc.) 2.Besonderes Schwert (Vorbesitzer muss eine besondere Person gewesen sein, magische Aktivität erwünscht) 3.Heiltrank o.ä. 4.Reittier (Pferd, Drache, Einhorn – Tiere, die Ähnlichkeiten mit einem Schwein aufweisen, sind unerwünscht, auch wenn man auf ihnen reiten kann) 5.Gefährte Typ Zwerg 6.Gefährte Typ Mensch (bester Freund) 7.Gefährte Typ Elfe (auch Elb mögl.) 8.Gefährte Typ mysteriöser Wanderer 9.Gefährte Typ Zauberer (muss nicht unbedingt mitreisen, „Rettung in letzter Sekunde“ [siehe 3.5.1: „Mächtige Zauberer“]ist aber Pflicht) 10.Gefährte Typ Abenteurerin (mögl. in ansprechender Lederkleidung) 11.Geliebte (Adlig; mögl. selbst gerettet; Elf oder Elbe erwünscht) Er stöhnte auf. Wo sollte er das denn alles her bekommen? Sein Weg führte ihn durch den Wald. Alte Bäume ragten zu beiden Seiten des Pfades in die Höhe, das Sonnenlicht fiel als grünlicher Schimmer durch die Wipfel. Plötzlich sprang ihm ein Zwerg vor die Füße. „Hoo, junger Wanderer!“ rief er. „Ich bin ein Zwerg und suche noch eine Gefährtentruppe, der ich mich anschließen kann!“ Das klappte doch besser als erwartet. „Natürlich, komm mit mir. Ich bin ein Held auf dem Weg zur Rettung der Welt.“ Der Zwerg sah aus, wie Zwerge nun einmal aussehen: Klein, rund, mit langem Bart und kräftiger Rüstung. Seine Streitaxt steckte in seinem Gürtel. „Hast du vielleicht eine Ahnung, wo wir weitere Gefährten finden können?“, fragte Gary, während er einen Haken hinter Punkt 5 machte. „Natürlich, mein edler Freund. Unweit von hier gibt es die Schenke zum lachenden Pony. Da hängen immer so ein paar Typen rum.“ Er räusperte sich. „Da gibt es auch einen Laden für Heldenbedarf.“ „Oh, großartig.“ Der Zwerg musste seine magere Ausstattung bemerkt haben. Gary war ihm für den Hinweis dankbar. Zwar hatte er kein Geld, ging aber davon aus, als Held einiges umsonst zu bekommen. Schließlich rettete er das Land und die Freiheit, dafür schuldete man ihm einiges. Als er das Dorf wieder verließ, hatte sich zu mehreren hundert Jahren Leibeigenschaft verpflichtet. Das magische Schwert, das man ihm gegeben hatte, schien jeden Moment auseinander zu fallen. Auch das magische Objekt – ein gelblicher Stein, der vom Geruch her verdächtig an Schwefel erinnerte – hatte schon bessere Tage gesehen. Der Heiltrank roch nach Wein, die Farbe war durch das verdreckte Glas der Phiole nur schwer erkennen. Mit einem Seufzer drehte sich Gary zu seiner Heldentruppe um. Der Zwerg und der Elf hatten sich schon nach zehn Minuten in die Haare bekommen. Darum gebeten, damit aufzuhören, verwiesen sie Gary auf Punkt 3.1 und 3.2., wo die Regeln für elbische und zwergische Gefährten erklärt wurden. Ein Streit gehörte zu ihren Aufgaben. Sein eigener „bester Freund“ war mindestens dreißig Jahre älter als er und litt an Rückenschmerzen, der mysteriöse Wanderer dagegen machte seinem Namen alle Ehre. Er ließ sich nur selten blicken, schaute sich dann ab und zu geheimnisvoll um und schlug sich dann wieder in die Büsche. Gary hatte das ungute Gefühl, dass er auf die Flucht vor Gläubigern war, der Zwerg hatte so etwas kurz erwähnt. Die Abenteurerin trug Lederstiefel, ein knappes Lederoberteil und eine sehr kurze Lederhose. Ein Schwert schlug ihr gegen die Seite, ihre schwarzen Haare wallten im Wind. Sie sah tatsächlich sehr gut aus, aber leider musste sie ihm laut Handbuch die kalte Schulter zeigen, weil er sich in seine Geliebte verlieben musste. Gary seufzte abermals. Was für eine Verschwendung. Beim Hinweis darauf, dass man sich vorher doch trotzdem ein bisschen kennen lernen könnte, schüttelte sie empört den Kopf. „Willst du, dass ich meine Zulassung verliere?“ Mit gesenkten Schultern lief Gary ihnen voraus. Er ging zu Fuß, weil sein Reittier ein störrischer Gaul war, dessen schwarzes Fell zwar in der Sonne glänzte wie Pech, dessen Charakter allerdings unbezwingbar war. Wieso nur hatte er diesen blöden Vertrag unterschrieben? „Ich will nicht mehr!“, stöhnte er auf. Der Zwerg, der neben ihm lief, immer bemüht, Schritt zu halten, erwiderte: „Hast du das Handbuch überhaupt gelesen?! Kapitel 1.2, ‚Verhalten des Helds auf Reisen’! Da steht ausdrücklich, dass die Selbstzweifel erst nach der ersten Schlacht kommen dürfen, wenn du dich fragst, ob du überhaupt stark genug bist, den Bösen zu besiegen, und ob es in Ordnung ist dafür unschuldige Soldaten zu töten, weil dich das auch zum Mörder macht und so weiter und so fort.“ Gary beschloss, den Mund zu halten. „Möchtet Ihr auch ein Frühstück?“ Der König saß mit einem Tablett auf dem Schoss im Bett. Ein Bediensteter stand neben ihm, um ihm von Zeit zu Zeit den Mund abzuwischen. Der schwarze Reiter schüttelte verkniffen den Kopf. Er hatte erst ein Drittel der Zettel durchgelesen und ausgefüllt. „Verdammt, was soll denn das hier: ‚136. Bitte geben Sie den Namen Ihres Untergebenen an und unter 136a., wie Sie gedenken, ihn bei seinem Versagen umzubringen.’ Ich habe keinen Untergebenen, und wenn, würde ich mir jemanden suchen, der nicht versagt!“ „Dann lasst es frei“, meinte der König mit vollem Mund. Ihn schienen die Schwierigkeiten seines Gastes wenig zu stören. Endlich beendete er mit einem lauten Schmatzen sein Essen. „Ich gehe mich waschen“, erklärte er dem Bösen. „Ruft mich, wenn Ihr wieder meine Hilfe benötigt.“ Der schwarze Reiter nickte nur. Verbissen konzentrierte er sich auf die Fragen vor ihm. Gary atmete keuchend durch. „Das war ein Kampf!“ Seine Beine zitterten, ihm schwindelte. An einen Baumstamm gelehnt starrte er auf den Feind. Sein Schwertarm hing kraftlos herunter. Die Klinge hatte dem Ansturm der Feinde Stand gehalten. Erleichtert ließ er den Atem frei, den er bis eben angehalten hatte. „Muss er so eine Schau daraus machen?“, fragte die Abenteurerin. Sie betrachtete die erlegte Katze skeptisch. „Ich meine, es war schon ein ziemliches Biest, sich einfach so aus uns zu stürzen, aber er übertreibt doch ein bisschen, findet ihr nicht auch?“ Die anderen nickten. Der Zwerg murmelte etwas davon, die Katze zu begraben. Gary rollte mit den Augen. „Ja, schon. Aber findet ihr nicht, dass es inzwischen etwas … nun, langweilig wird? Laut Heldenhandbuch müssten wir inzwischen schon drei Mal angegriffen worden sein, aber nichts ist passiert.“ Er beugte sich über die Katze. „Vielleicht war es ja wenigstens eine magische Katze?“ Plötzlich entstieg ein feiner Glitzernebel dem Leichnam. Ein Glockenspiel erklang, während sich der Nebel zu einer Gestalt formte. „Die Wahrscheinlichkeit war nicht sehr groß“, gab Garys bester Freund zu. Ein junges Mädchen, ungefähr in Garys Alter, entstieg dem Nebel. Ihre langen blonden Haare fielen über ihre anmutigen Schultern. Trotz ihrer zarten Gestalt waren ihre Brüste perfekt geformt und voll, auf Gary schien sie das hübscheste Mädchen der Welt. Sofort fiel er vor ihr auf die Knie. „Ich liebe dich, schönste, hübscheste, wunderbarste von allen“, hauchte er. „Wie ist dein Name?“ „Mary.“ Ihre Stimme klang wie das Meer und der Himmel, wie das Zwitschern eines Vogels, wie das Plätschern eines Gebirgsbaches. Gary schloss sie in die Arme. Ihr Geruch war einfach überwältigend. „Wie wär’s wenn wir weitergehen, während sie uns von ihrer tragischen Vergangenheit berichtet“, schlug die Abenteurerin vor und zeigte mit dem Daumen in den Wald hinein. „Wenn wir demnächst die Hauptstadt erreichen wollen, sollten wir das bald tun.“ Ohne seine Augen von Mary zu wenden, nickte Gary. Also begann sie zu erzählen. „Ich werd’ hier noch wahnsinnig“, knurrte der dunkle Mann. In seinen roten Augen glühte die Wut. „Wieso muss ich das denn angeben?“ Der König schaute ihm über die Schultern. „Nun ja, zur besseren Einschätzung …“ „Aber mein Lieblingskuscheltier? Ich bin das personifizierte Böse!“ Der König klopfte dem Mann auf die Schulter. „Das wird schon.“ Doch statt ihn zu ermunterten, frustrierte er den schwarzen Reiter nur noch mehr. Mit einer knochigen Hand hieb dieser auf die Formulare. „Nein! Es reicht! Ich such mir ein anderes Land!“ Mit wenigen Schritten war er bei seinem Pferd. Er ließ es kurz aufsteigen, dann galoppierte er durch den Flur davon. „Vergesst Eure Dunkelheit nicht!“, rief der König ihm hinterher. Dann zuckte er mit den Schultern und setzte sich, um sich eine Tasse Tee zu genehmigen und Gustalf zu informieren. „Das war … eine zutiefst tragische Geschichte.“ Gary standen Tränen in den Augen, als er das zarte Geschöpft vor sich sah. „Wie konnten sie dir nur so etwas antun? Das ist wirklich das Schrecklichste, was ich je gehört habe.“ Mary nickte langsam. Sie lächelte trotz allem, was sie Gary eben offenbart hatte. Vorsichtig streckte er eine Hand nach ihr aus. „Ich werde dich immer beschützen“, flüsterte er. „Mein Axt ebenfalls!“, sagte der Zwerg und hieb sich gegen seine Rüstung. Garys bester Freund verbeugte sich ebenfalls, wie auch der Ef. „Was für eine grausame Geschichte. Nie gab es eine schlimmere, nie wird es eine schlimmere geben. Unglaublich, wirklich unglaublich. Wer es nicht aus deinem Mund vernahm, wird es nie glauben.“ „Noch nie ist mir eine so starke, tapfere Frau begegnet, die Schönheit mit Weisheit vereint“, sagte er. „Und ich lebe schon seit zweihundert Jahren unter dem edelsten der Völker.“ Diese Aussage brachte einen erneuten Streit zwischen dem Zwerg und ihm hervor, da der Zwerg heftig protestierte. „Ich danke euch allen“, sagte Mary mit ihrer Glocken-Vogel-Himmel-Wasserstimme und zauberte ein verliebtes Lächeln auf Garys Gesicht. Ein Windhauch brachte sie zum Aufsehen. Gustalf erschien aus dem Nichts, eine leuchtend weiße Gestalt. „Oh“, machte Gary und zog sofort sein Schwert. „Gibt es einen Feind zu erschlagen?“ Er hoffte, dabei eine gute Figur zu machen, und Mary bewunderte lauthals seine prallen Muskeln. „Nein, vergiss es. Die Sache ist abgeblasen, den Schurke hat es sich anders überlegt.“ Gary runzelte die Stirn. „Wie bitte?“ Gustalf hob die Schultern. „Ich weiß auch nur, was der König mir gesagt hat. Also, du kannst wieder nach Hause gehen.“ Die Gefährten stöhnten auf und wandten sich ab. Selbst Mary schüttelte nur den Kopf und drehte sich weg. „Wartet! Ihr seid doch meine Freunde? Mary! Ich dachte, ich bin die Liebe deines Lebens?“ Sie rollte die Augen. „Träum weiter. Tut mir Leid, ich habe zu tun.“ Einer nach dem anderen verschwanden sie im Wald und ließen Gary allein mit Gustalf zurück. Dieser legte Gary verständnisvoll eine Hand auf die Schulter. „Mach dir keine Gedanken darüber, so ist das im Leben. Vielleicht braucht mal jemand einen besten Freund.“ Tränen standen in Garys Augen, als er herumfuhr. „Aber … der Ruhm? Die Ehre?“ Er schluchzte auf, dann wischte er sich schnell über das Gesicht, da Helden nicht weinen durften. Gustalf seufzte. „Ich werde mich darum kümmern, dass zumindest jemand deine Geschichte aufschreibt. Aber jetzt muss ich wieder los.“ Mit einem gutmütigen Lächeln schlug er Gary auf den Rücken, dann berührte nur noch ein Hauch seine Wange und der alte Weise war verschwunden. „Aber ich weiß doch noch nicht einmal, wo ich bin!“ Gary sah sich entsetzt um. Die Dunkelheit fiel über den Wald und raubte jedes Licht. Das Leben zog sich zurück, selbst das kleinste Geräusch der Tiere verschwand. Erschrocken fuhr Gary herum, als er gedämpftes Hufgetrappel auf dem weichen Waldboden hörte. Vor ihm ragte ein schwarzer Reiter mit glühend roten Augen auf. „Willst du mit mir kommen, mein Freund?“, fragte er und streckte die Hand aus. Gary zögerte nicht lange, sondern schlug ein. „Auf zu neuen Taten!“ Der schwarze Reiter grinste breit. „Ja. Auf zu neuen Taten …“ Und so entstand die Legende von Àr’yûn’nàn dê Y’êrún’gâ. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)