Die Legende von Àr’yûn’nàn dê Y’êrún’gâ von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Eine tödliche Gefahr ------------------------------- Das Grauen kam in der Nacht. Dunkle Wolken verschluckten jeden Lichtschein, nur die Lampen vereinzelter Wanderer erhellten die Straßen der Hauptstadt. Ein Kater warb in einem Hinterhof jaulend um die Gunst einer Katzendame. Als die klappernden Hufe eines Pferdes auf dem Kopfsteinpflaster erklangen, verstummte er. Etwas rückte näher. Die Ohren angelegt, die Krallen ausgefahren kroch der Kater unter eine Kiste mit Lumpen, in der Hoffnung, der nahende Reiter würde ihn nicht entdecken. Oder das, was er mit sich brachte. Wie ein dichter Mantel fiel Stille über die Orte, die der Reiter kreuzte. Geruch, den letzten Lichtschimmer, selbst den Wind nahm er mit sich. Nur schwarze Leere blieb zurück. Das Ziel des Fremden war der Palast. Dicke Steinmauern umgaben das Gebäude, dessen Türme wie mahnende Finger in den Himmel ragten. Den Wachen vor dem Tor blieb nur ein leiser Schrei. Dann erstickte die Dunkelheit auch sie. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern preschte der Reiter auf das Haupthaus zu. Mühelos überwand sein Pferd die Stufe. Vier Wachen mit Lanzen standen vor der Eingangstür. Als sie den Reiter sahen, streckten sie ihm die Waffen abwehrend entgegen. „Halt! Was habt Ihr …“ Sie schaffte es nicht, zu Ende zu sprechen. Die schwarze Gestalt auf dem Pferd hob eine Hand. Ein rotes Leuchten umgab den Fremden. Er streckte den Arm aus, und mit einer Bewegung fand das Feuer seinen Weg. Die Wachen schrieen auf, als die glühenden Kugeln ihre Körper einhüllten und verbrannten. Nur ein wenig Asche und eine kleine Rauchwolke berichteten noch von ihrem Dasein. Auch dies verschwand in der Finsternis, die der Reiter brachte. Er riss an den Zügel, und sein Pferd stieg auf. Mit den Vorderhufen stieß es gegen die Doppeltür, die krachend aufflog. Das laute Klappern wurde gedämpfter, als der Fremde sein Pferd auf den weichen Teppich des Hauses führte. Kerzen erhellten den mit Holz vertäfelten Gang. Bilder von Landschaften aus dem ganzen Königreich schmückten die Wände. Der Fremde grinste gierig, als er daran vorbei ritt. Die Berge im hohen Norden, wo große Gold- und Kupfervorkommen schlummerten, die fruchtbaren Ebenen, die sich zu ihren Füßen erstreckten, und dann noch die Häfen im Westen, die durch lebhaften Handel mit anderen Ländern großen Reichtum erlangt hatten. Der Reiter ballte die Faust. All das würde bald ihm gehören. Angetrieben von einer grimmigen Begeisterung stieß er seinem Pferd die Hacken in die Seite. Mit seiner Magie und seinem uralten Wissen gehörte das Land in Kürze ihm. Die Tür zersplitterte unter seiner Macht als wäre sie aus Pressholz und nicht aus fester Eiche. Sein Blick fiel auf das breite Bett. Ein aufgeschreckter, dicker, kleiner Mann lag darin. Der König gab ein armseliges Bild ab: Die Laken hatten sich um seine Hände gewickelt, seine Beine dagegen waren nackt und schauten weiß unter der Decke hervor. Mit großen Augen starrte er den Reiter in seinem Zimmer an. „Wer seid Ihr? Und was wollt Ihr?“ Seine Stimme bebte. Der Fremde lachte kehlig auf. „Mein Name tut nichts zur Sache.“ Seine Worte klangen wie das Grollen einer nahen Steinlawine. „Und ich will den Thron.“ Das Gesicht des Königs veränderte sich. Aufregung und Schrecken wichen daraus. „Oh. Ach so. Ihr seid ein Böser.“ Diese Feststellung verwunderte den Reiter. Hinter ihm türmte sich die Dunkelheit auf, unter den Hufen seins Pferdes krochen sie über den Boden. „Habt Ihr einen Antrag ausgefüllt?“ Der König seufzte, erhob sich aus seinem Bett und angelte nach einem roten Seidenmantel. Nachdem er den Gürtel über seinem runden Bauch verknotet hatte, steckte er die Daumen hinein. Auf das Schweigen des Fremden hin seufzte er abermals und erklärte: „Na, einen Bösen-Antrag. Ihr wisst schon. Antrag auf Übernahme des Königreiches.“ Er verdrehte die Augen. „Das ist alles geregelt.“ Während er sprach, ging er zu einem Schreibtisch in der Ecke des Raumes und öffnete eine Schublade. „Wer das Königreich übernehmen will, muss einen Antrag stellen. Das ist alles festgeschrieben in dem Guten-Bösen-Vertrag von 1276 …“ Der Reiter überlegte. „Kann ich den Antrag jetzt auch noch ausfüllen? Ich wusste nicht, dass es vonnöten ist.“ „Aber sicher.“ Der König kramte in der Schublade herum, bis er zwei Stapel Papier zu Tage förderte. „Mit oder ohne Option auf Weltherrschaft?“ „Äh, mit, bitte.“ „In Ordnung.“ Der König legte den etwas kleineren Stapel wieder zurück in die Schublade. „Es tut mir Leid, das ist wirklich eine Menge Papierkram, aber es garantiert den reibungslosen Ablauf dieser Sache.“ Der schwarze Reiter stieg von seinem Pferd ab. Seine Kutte verbarg seine Gestalt fast völlig, nur zwei leuchtend rote Augen schienen wie Kristalle in der Dunkelheit zu schweben. „Ablauf? Wie geht das denn vor sich?“, fragte er. „Nun“, der König bot ihm einen Stuhl vor dem Schreibtisch an, auf dem der Fremde dankend Platz nahm, „Ihr füllt diese Formulare aus. Dann wird der Antrag auf Zulässigkeit geprüft. Ist er zulässig, dürft Ihr mit der Übernahme beginnen, wenn nicht, ist es eben abgelehnt. Ihr dürft es allerdings gerne noch mal versuchen, drei Mal ist das Maximum und erst ein Jahr nach dem ersten Antrag wieder.“ Der König beugt sich vor, um in die beiden glühenden Augen zu blicken. „Ihr ward nicht schon einmal hier, richtig?“ Der Böse schüttelte den Kopf. Er streckte eine weiße, knochige Hand aus. „Habt Ihr vielleicht einen Stift?“ Der König reichte ihm Tintenfass und Feder. „Wenn es Euch nichts ausmacht, benachrichtige ich schon einmal die Heldentruppe. Es gibt da einiges zu tun, und ich habe das lieber früher als später hinter mir.“ Während der dunkle Reiter durch die Papiere blätterte, rief der König: „Gustalf!“ Ein leichter Windhauch ließ die Vorhänge erbeben. Als der Böse von seinem Papier aufsah, stand eine weiß gekleidete Gestalt im Raum. Der lange Bart reichte fast bis auf den Boden, die glänzende Robe bildete einen starken Gegensatz zu der Dunkelheit, die den schwarzen Reiter umgab. „Du könntest dich auch wieder mal rasieren“, bemerkte der König, doch erntete von seinem Diener daraufhin nur einen bösen Blick. „Gustalf, es gibt Arbeit. Such mir einen Helden, ach ja, und ich denke, wir werden eine neue Prophezeiung brauchen. Nimm einfach einen Standardtext, du weißt schon, ‚Wenn Dunkelheit über das Land fällt, wird eines Tages einer kommen …’ und so weiter.“ Er wandte sich kurz dem Reiter zu. „Wie war Euer Name noch mal?“ Die schwarze Gestalt hob ihren Kopf, so weit man das unter der Kapuze ausmachen konnte. „Oh, ich war mir noch nicht sicher. Ich hatte in die Richtung von „Herr der Finsternis“ gedacht. Vielleicht auch „König des Schreckens“. Was meint ihr?“ Der dickliche Mann lächelte gequält. „Etwas abgedroschen, nicht? Habt ihr vielleicht irgendwelche besonderen Fähigkeiten, die man einbringen könnte?“ Der Böse zeigte auf die Dunkelheit, die sich an der Tür aufstaute. Immer wieder schwappte etwas davon wie eine Welle in den Raum, zog sich dann aber wieder zurück. „Ich beherrsche die Finsternis.“ Der König gab einen resignierten Laut von sich und zuckte mit den Schultern. „Sieh, was du draus machen kannst, Gustalf.“ Der Bärtige nickte. Aus dem Nichts tauchte ein langer Holzstab in seiner Hand auf. Er vollführte eine Kreisbewegung mit der Spitze. Ein Lufthauch brachte die Gardinen abermals in Bewegung, dann war er verschwunden. Der Böse schaute ihm kurz hinterher. Dann wandte er sich an den König: „Und was soll ich hier nun bei „Name“ und „Titel“ hinschreiben?“ Dichter Nebel raubte den Sonnenstrahlen jegliche Kraft. Das fahle Licht ließ die Welt farblos und trist erscheinen. Der junge Mann, fast noch ein Knabe, trat aus der Hütte. Sein fünfzehnter Geburtstag begann schlecht. Seine Ziehmutter, eine unausstehliche Frau, die ihn stets schikanierte, hatte ihn zur Quelle geschickt, um Wasser zu holen. Eigentlich war das eine Frauenarbeit, aber es machte dem Jungen nichts aus. Einerseits lag das an seinem sanftmütigen, geduldigen Charakter, allerdings bewies der Junge in angebrachten Situationen aber auch Verstand und Mut. Auf der anderen Seite konnte er so dem Haus für eine Weile entkommen. Sein Ziehvater hatte ihn vor nunmehr fast fünfzehn Jahren in einer Decke bei Sturm und Regen vor seiner Schwelle gefunden. Der Junge wusste also sein genaues Geburtsdatum nicht, aber etwas sagte ihm, dass er an diesem Tag Geburtstag haben sollte. Seit fast fünfzehn Jahren dauerte sein Martyrium nun schon an. Seine Zieheltern schlugen ihn, zwangen ihn zu den schlimmsten Arbeiten und gaben ihm nur selten zu essen. Trotzdem hatte er es geschafft, ein unglaublich gut aussehender junger Mann zu werden, mit Haaren in der Farbe von nassem Sand, die verwegen um sein kantiges Gesicht wehten. Sein muskelbepackter Körper war ein Bild von Kraft und Anmut gleichermaßen, seine hellblauen Augen erinnerten an Seen, in die jeder Betrachter versinken musste. Niemand im Dorf mochte ihn. Die anderen Kinder warfen mit Steinen und Dreck nach ihm, sobald er auftauchte, die Erwachsenen schlugen oder mieden ihn. Den jungen Mann störte dies nicht. Er kannte es nicht anders, außerdem konnte er mit den Tieren, den Bäumen, den Gräsern und den Naturgeistern sprechen. Manchmal hörte er auch die Wassertropfen wispern, aber nur, wenn er etwas zu viel von diesem Kraut geraucht hatte, was sein Ziehvater unter seinem Bett versteckte. Gerade wanderte der Junge durch den nahen Wald zu der Quelle, um dort Wasser zu schöpfen, als ein Windhauch ihn aufsehen ließ. Vor ihm auf dem Weg stand ein alter Mann. Seine weiße Kutte reichte bis auf den Boden, aber es haftete kein Schmutz daran. Der lange Bart des Mannes reichte fast eben so weit hinunter. Ungezählte Jahre hatten ihre Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. „Hallo“, sagte er. „Bist du zufällig bei Zieheltern aufgewachsen, wirst von allen gequält und hast besondere Fähigkeiten?“ Der Junge nickte verwundert. „Ist heute dein Geburtstag?“ Nun nickte er begeisterter. Es hatte also doch etwas genützt. „Gut. Wie heißt du?“ „Mein Name ist Àr’yûn’nàn dê Y’êrún’gâ.“ Der alte Mann zog eine Augenbraue hoch. „Es überraschte mich immer wieder, wie diese Helden es schafften, die ganzen Sonderzeichen mitzusprechen“, murmelte er mehr zu sich selbst. Dann wandte er sich wieder an den Jungen. „In Ordnung. Ich glaube, ich werde dich Gary nennen.“ Àr’yûn’nàn dê Y’êrún’gâ zuckte mit den Schultern. „Wenn du das leichter behalten kannst …“ Der bärtige weiße Mann zog eine Papierrolle aus der Tasche. Mit dröhnender Stimme las er vor: „Wenn dunkle Wolken ziehen über das Land Und über dem Land schwebt eine drohende Hand Wenn Stürme unaufhörlich blasen Blitze auf die Erde nieder rasen Wenn das Wasser sich rot verfärbt Wenn ihr alle nacheinander sterbt, Wird ein Knabe kommen, euch zu erlösen Er wird vernichten den Bösen.“ „Na, das war aber schlecht gereimt“, meine Gary. Für einen Augenblick erschien ein roter Schimmer auf dem Gesicht des alten Mannes. „He, ich hatte nur zehn Minuten Zeit!“ Dann beruhigte er sich wieder. „Du bist der Auserwählte.“ Der Junge riss die Augen auf. „Ich? Aber, das kann nicht sein! Ich bin nur ein ganz normaler Junge, der …“ Weiter kam er nicht. Der alte Weise hatte ihm schon ein dickes Buch zugeworfen. Handbuch für Helden stand in goldenen Lettern darauf. „Darin steht alles, was du wissen musst.“ Der Mann kramte in seiner Tasche. „Hier ist noch der Vertrag, du musst dort, dort und dort unterschreiben.“ Er zeigte auf die freien Linien und reichte Gary eine magische Feder, die auch ohne Tinte schrieb. „Aber ich habe doch noch gar nicht ja gesagt“, protestierte Gary. „Hast du etwas Besseres zu tun oder muss ich erst deine Eltern vom Schurken umbringen lassen?“ Gary überlegte. Nun, am Abend lief sowieso nichts Gutes in der magischen Flimmerkiste, und im Dorf gab es wenig zu tun. Wieso also nicht eine kleine Reise auf Leben und Tod? Er überflog den Vertrag. „Hier steht, dass ich keinerlei Vergütung außer eventuell Ruhm und Ehre bekomme.“ Der alte Mann zuckte mit den Schultern. „Das ist ein Tarifvertrag. Nichts zu machen, nicht verhandelbar.“ „Und hier steht …“ „Unterschreib einfach. Ich wäre dir dankbar, wenn wir das abkürzen könnten.“ Gary tat, wie ihm geheißen. Der alte Mann ließ den Vertrag in den Weiten seines Mantels verschwinden. Ein Stab erschien in seiner Hand, und er schickte sich an, zu gehen. „Warte! Was soll ich denn jetzt tun?“ „Das steht in deinem Handbuch. Vorne ist auch eine Liste, was du alles brauchst.“ „Aber wieso bleibst du nicht bei mir und hilfst mir?“ Der Mann seufzte. „Das steht alles im Kapitel 3.5, „Mächtige Zauberer“. Wenn du mich brauchst, werde ich dich retten, aber erst im letzten Moment. Dort steht auch, dass es mir per Gesetz verboten ist, den Bösen selbst zu vernichten, obwohl ich viel stärker und mächtiger bin als du. Alles geregelt, lies es nur nach.“ Damit verschwand der alte Weise in einer glitzernden Wolke und ließ Gary verwirrt zurück. Weit entfernt brütete der schwarze Ritter über den Papieren. Er hatte eine Hand an die Stirn gelegt, seine roten Augen huschten über das Papier. Das Licht einer Kerze kämpfte vergeblich an die Dunkelheit an, die er mit sich brachte. Kurz zögerte, dann beugte er sich zu dem mittlerweile wieder schlafenden König und rüttelte ihn an der Schulter. „Entschuldigung“, flüsterte er, auch wenn er nicht wusste, wieso. „Dieser Abschnitt 35a – was genau ist die ‚Foltersonderklausel?’ Ich habe überall nachgelesen, aber nichts gefunden.“ „Musst du extra beantragen, wenn du Untertanen foltern willst“, nuschelte der König im Halbschlaf. Er schnarchte etwas, selbst jetzt kam immer wieder ein leises Röcheln aus seiner Kehle. „Und wieso darf ich laut Paragraph 25 nur unfähige Truppen ausschicken, um den Helden zu töten? Kann ich ihm nicht einfach schnell entgegen treten und ihn selbst umbringen?“ „Nein. Halt dich an die Vorschriften.“ Der Ton des Königs machte klar, dass er keine weiteren Diskussionen zu diesem Thema wünschte. Der Böse schaute mit einem Seufzer auf den riesigen Stapel Papier vor sich herunter. Dann seufzte er und beantragte die Sondergenehmigung für Folter wie vorgeschrieben auf einem weiteren Zettel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)