Moondance von DKelli (KanamexZero) ================================================================================ Kapitel 3: 3. Nacht ------------------- „Zero! Zero!!!“ Das Mädchen pochte und hämmerte wild gegen seine Zimmertür. „Jetzt mach endlich auf oder ich schlag die Tür ein!“ Die Klinke wurde heruntergedrückt und ein übermüdeter Vampir blinzelte in den erhellten Flur. „Was soll das Gezeter? Müsstest du nicht im Unterricht sitzen Yuki? Gott, ist das hell…“ Empört stemmte die Braunhaarige die Hände in die Hüften. „Ich bin deswegen nicht im Unterricht, weil DU es auch nicht bist! Also komm jetzt, zieh dich an!“ Um die Sonnenstrahlen abzuhalten hielt Zero sich die Hand über die Augen. „Ich bin aber so müde…“ „Stell dich nicht so an.“ Yuki wollte ihn nach draußen zerren, aber er bewegte sich kein Stück. Es war, als hätte eine Ameise einen Felsen bewegen wollen. „Nicht so anstellen?“, murrte er. „Wer hat denn die letzten 4 Tage die Nachtschicht für dich übernommen? Ich muss mich nur Mal richtig ausschlafen, heute Abend bin ich wieder fit.“ Als wäre die Sache geregelt, schloss Zero die Tür, doch Yuki steckte ihren Fuß dazwischen. „Okay, bis heute Abend. Du bist aber da, versprich mir das.“ Warmherzig lächelte sie ihn an. Ihr adoptierter Halbbruder hatte viel für sie getan und sie wusste das zu schätzen. Von der müden Partei kam nur ein Brummen als Antwort, die Tür fiel ins Schloss und ein fast schon schlafender Kiryu ins weiche Bett. „Da kommen sie! Schaut!“ Das übliche schrille Gekreische der Mädchen ging los, als die ‚Night Class’ aus ihrem Haus trat. Die Sonne war gerade untergegangen und es begann IHRE Zeit. „Nicht drängeln!“, rief die Vertrauensschülerin über die Mädchen mit hochroten Köpfen hinweg und blies in ihre Trillerpfeife. „Bleibt zurück!“ Wo blieb Zero nur? Langsam wurde es ihr zu viel. Und ihr Freund hatte das jeden Abend ohne sie gemacht während sie krank im Bett gelegen hatte? „Nanu, wo ist denn Kiryu-kun?“, murmelte der blonde Vampir Aido vor sich hin. „Muss die kleine Yuki jetzt alles allein machen? Scheint so, als würde sie das nicht packen…“ Erstaunt blickte Kaname auf, als er Aidos Selbstgespräch hörte. Ja, die ‚Day Class’ war laut und nervenstrapazierend wie immer, als würden sie ein Konzert ihrer Lieblingsstars besuchen. Die Braunhaarige versuchte mit allen Mitteln die pubertierenden Mädchen zurückzudrängen und kein Zero weit und breit war zu sehen. Seltsam. Hatte er etwa seinen Rat befolgt und schlief die ganze Zeit durch? „Ach, da hinten ist er ja“, lächelte Aido erleichtert. Er mochte es nicht, wenn die Mädchen ihm so nahe kamen, auch wenn er ihre Bewunderung und Aufmerksamkeit genoss. Doch Kaname Kuran hörte ihn nicht, er war in Gedanken versunken und lief den anderen einfach hinterher. Die gestresste Yuki erblickte Zero just in diesem Moment und ihr fiel ein kleiner Stein vom Herzen, er hatte sein Versprechen gehalten. Gerade als sie ihn herüberwinken wollte, hielt sie inne. Hatte er wirklich geschlafen? Ein matter Zug lag um seine Augen und ließ ihn etwas schwach wirken. Dürstete der Vampir in ihm wieder nach Blut…? „Ruhe jetzt!“, bellte er in herrschendem Tonfall, sodass die Mädchen zusammenzuckten. Anscheinend hatten sie gemerkt, dass der Strengere von den Vertrauensschülern gekommen war, und hielten sich etwas zurück mit ihren Drängeleien. Sichtlich genervt trottete der Junge zu seiner Freundin. „Geht’s dir besser?“, fragte sie besorgt. „Ich bin ziemlich schlapp, aber es geht schon“, versicherte er ihr mit einem unterdrückten Gähnen. Wenn die ‚Day Class’ seine Fangzähne beim Gähnen sehen würde… Wer weiß, wie die Schüler reagieren würden. Nicht minder geschockt, als wenn herauskäme, dass die ‚Night Class’ aus Vampiren bestand. Plötzlich trat jemand an die beiden heran. „Wie ich sehe, geht es dir besser Yuki. Freut mich, dich wieder hier zu haben.“ Das angesprochene Mädchen sah, wie Kaname ihr lächelnd die Hand auf die Schulter legte. „Kaname-senpai...“ Ihre Stimme zitterte etwas und sie errötete. „Danke… J- ja, mir geht’s wieder besser“, lächelte sie verlegen zurück. Bevor sie eine Antwort erhalten konnte, riss der Junge neben ihr – den sie ganz vergessen hatte – die Hand des Vampirs weg und funkelte Kaname an. Doch dieser lächelte auch ihn an. „Du scheinst dich noch nicht ganz ausgeschlafen zu haben, wie ich es dir geraten hatte“, meinte er mit einem traurigen Unterton in der Stimme. „Als Guardians solltet ihr immer fit sein.“ Zeros Hand krallte sich fester in Kurans Handgelenk und blickte ihm starr in die Augen. Yuki bemerkte die angespannte Situation und versuchte sie irgendwie zu retten. „Ja, du hast Recht. Ich werde Zero auch früh ins Bett schicken, damit wir morgen auch unseren Job machen können! Lass ihn los Zero...“ Ruckartig ließ der Weißhaarige den Arm fallen und Kuran nickte ihnen zum Abschied zu. Stolz wie ein Honigkuchenpferd lächelte Yuki zurück. Nach Tagen konnte sie ihm endlich wieder nahe sein. Im Augenwinkel sah sie, wie die Mädchen wieder rangelten, also drehte sie sich um, um sie zu beruhigen. Darum sah sie nicht, wie Zeros violette Augen den in weiß Gekleideten weiterhin verfolgten und sich seine finstere Miene entspannte. Ja, es war fast ein sehnsüchtiger Blick. Ein verlangender Blick, der nur diesem einen Reinblütler gehören solle. Kurz bevor die Vampire ins Gebäude traten, wandte sich der Hausvorstand um. Er zog mit einem Finger an seinem Uniformkragen, als würde er nicht genug Luft bekommen und fixierte Zero mit einem vielsagenden Blick, ehe sich das Portal hinter ihm schloss. „Jetzt aber ab in eure Zimmer!“ Yukis Befehl hallte über den Platz und ließ auch Zero aus seiner Starre erwachen. Das Geschnatter der ‚Day Class’ verebbte, als sich die Menge in ihr Haus zurückzog. Zufrieden sah das Mädchen zu, wie das Tor hinten ihnen geschlossen wurde. Wieder einen Abend geschafft. Und sie hatte Kaname wieder sehen können! Mit leichten Schritten hüpfte sie zu dem anderen Vertrauensschüler. „Na, bereit für den nächtlichen Rundgang?“ Was war das gerade gewesen? Nachdenklich drehte er sich zu Yuki um, ehe er wirklich realisierte, dass sie ihn fragend ansah. „Hast du überhaupt gehört, was ich dich gefragt habe?“ „Oh. Nein, tut mir Leid… Was hattest du gesagt?“ Sie seufzte. „Schon gut, schon gut. Sag Mal, bist du so unkonzentriert, weil du noch müde bist oder was ist mit dir los? So bist du doch sonst nicht.“ Zero fixierte das besorgte Mädchen. Sie ahnte doch nicht etwas was…? „Oder“, fing sie zögerlich an, „Hast du etwa… du weißt schon –“ „Nein!“ Die Antwort auf die unausgesprochene Frage war fast gebrüllt gewesen, so rasend hatte ihn Yukis Andeutung gemacht. Als wäre ein Schalter in ihm umgelegt worden. Unwillkürlich zuckte Yuki zusammen. „Entschuldige Zero, ich…“ „Nur weil ich ein Vampir bin, heißt das nicht, dass ich ständig an das eine denken muss! Du weißt, wie mich mein Problem ankotzt, musst du es mir auch noch ständig unter die Nase reiben? Es reicht, dass ICH damit klarkommen muss!“ Ein schreckliches Gefühl breitete sich in Yuki aus. Was war los? Sie hatte ihn doch nicht damit verletzen wollen! Außerdem hatten sie sich doch gesagt, dass sie dies alles gemeinsam durchstehen wollten… Wie konnte Zero sagen, dass er allein dagegen kämpfen wollte? Es war, als würden seine Worte wie Schläge auf sie niederprasseln. Sie hatte einen Kloß im Hals und war unfähig etwas zu sagen. Ihn zu beruhigen wäre sicherlich nicht möglich gewesen, denn er funkelte sie dermaßen zornig an, dass sie sich klein und unfähig wie eine Maus fühlte. „Das lass ich mir nicht gefallen. So was kann ich jetzt echt nicht brauchen! Ich bin in den letzten Tagen gut ohne dich klargekommen!“ Ihr Denken setzte aus, sogar ihr Herzschlag verließ sie für eine Sekunde. „Was?“ Ihre Frage war ein leises, zittriges Fiepen. Zero hätte am liebsten verächtlich geschnaubt und wäre gegangen – doch als er Yukis verstörten Gesichtsausdruck sah, meldete sich sein Gewissen. Was hatte er eben gesagt? An die Hälfte konnte er sich nicht mehr erinnern, obwohl es erst vor ein paar Sekunden gewesen war. Und das nur, weil sie ihn nach seinem Befinden gefragt hatte… Sein Tobsuchtsanfall war völlig unberechtigt gewesen. Seine Freundin hatte ihm doch nur helfen wollen, genau wie sie es ihm versprochen hatte. -‚Das nächste Mal werde ich dich aufhalten!’- Bedrückte sah er zu Boden. „Yuki, ich… Es tut mir Leid, ich wollte dich nicht so anfahren… Ich weiß, dass du es nur gut gemeint hast“, meinte er und sah ihr fest in die Augen. Traurig sah sie zur Seite. Schwieg. Sanft legte der Weißhaarige ihr seine Hand auf die Schulter um sie an sich zu ziehen und zu umarmen. „Entschuldigung.“ Der Kloß in ihrem Hals verschwand, obwohl sie am liebsten geweint hätte. Stattdessen überkam sie ein leichter Schauer. War es Angst? Wenn ja, wovor? Wohl nicht vor Zeros Umarmung und seiner Entschuldigung… Auch der Schüler hatte ihr Schaudern gefühlt. Verbittert kniff er die Augen zusammen. Yuki hatte wirklich geglaubt, er würde sie wieder beißen. Es schmerzte ihn sehr, dass sie so von ihm dachte. „Wir müssen langsam los.“ „Ja… Lass uns einfach unseren Job machen und nicht mehr an unseren Streit denken, ja Zero?“, lächelte sie ihn traurig an. Er hingegen wusste, dass sie ihn dies nur bat, weil sie sich selbst mit dieser Bitte aufmuntern und vergessen machen wollte. Lächelnd nickte er. „Wir sehen uns in einer Stunde wieder.“ Ihr Rundgang trennte die Guardians, sodass jeder eine Seite des Geländes abgraste. Auf halber Strecke, also einer guten Stunde, trafen sie sich wieder um kurz zu besprechen, ob etwas vorgefallen sei. Wenn aber etwas Schlimmeres geschah, war der andere meist auch immer zu Stelle. Gut war es doch, einen Pager zu haben. Beruhigt steckte Zero Kiryu die Hände in die Hosentaschen und spazierte über das Schulgelände. Vorbei an den Ställen und dem Reitplatz, der Schwimmhalle und riesigen Grasflächen, alles in kühles weißes Mondlicht getaucht. Es war eine dunkle Frühherbstnacht. Vollkommene Stille durchtränkte das Waldstück, durch das ihn sein Weg führte. Nur das Rauschen der Baumwipfel untermalte diesen belebenden Moment der Freiheit. Freiheit und Ruhe, was wünschte man sich mehr? Vielleicht war doch etwas Wahres daran, wenn ihm die anderen Schüler nachsagten, er sei ein einsamer Wolf. Ein paar helle Haarsträhnen fielen ihm ins Blickfeld. Lässig pustete er sie sich aus der Stirn. Augenblick. War er nicht neulich hier gewesen, als ihn einer seiner ‚Anfälle’ übermannt hatte? Ja, ganz bestimmt. Er hatte Kaname Kuran getroffen, der ihn – Unbehaglich schüttelte Zero den Kopf. Himmel, das war doch nicht normal. Da fiel ihm der Vorfall von vorhin wieder ein. Wieso hatte es ihn so aufgeregt, als der Kerl Yuki angefasst hatte? Natürlich weil Kaname ein Vampir war. Und seine Handbewegung mit diesem seltsamen Blick? Kuran hatte so etwas noch nie gemacht. Nein, der edle Vampir war stets auf seine Bewegungen und Äußerungen bedacht. Wahrscheinlich war ihm nur warm gewesen. Und hatte Zeros Blick gespürt und sich umgedreht, um ihn zu ermahnen, vorsichtiger zu sein. Während der Weißhaarige nachdachte, checkten seine Augen schon automatisch die Umgebung, ob irgendetwas gegen die Schulordnung geschah. Doch alles war ruhig. Keine übereifrigen Weiber, die kuriose Liebesbriefe überbringen wollten oder Fotos von den Nachtschülern machen wollten. Wie langweilig… Herzhaft gähnte Zero mit vorgehaltener Hand. Hier war es egal, ob jemand seine Zähne sah, denn im Schutz der Dunkelheit hätte er es auch als Einbildung abtun können. Alles war ruhig und friedlich. Schien nicht so, als würde Kaname ihm heute Abend wieder einen Besuch abstatten… Schade eigentlich… Moment! Was dachte er denn da?! >Du bist echt von diesem Vampir besessen< stichelte eine innere Stimme in ihm. „Tze“, schnaubte Zero verächtlich. Nur weil er eben Mal über diesen anziehenden Schüler nachdachte, war er doch nicht von ihm besessen, also wirklich! „Na, bei dir auch alles still?“ „Außer einem Blutsaugervorfall Stufe fünf eigentlich nichts Besonderes“, antwortete Zero kalt. „Wie bitte?! Wieso hast du mich nicht benachrichtigt???“ Ungewollt wurde Yuki laut. Doch als Zero nichts sagte, sondern nur wieder gähnte, verstand sie langsam den Witz. „Oh haha, sehr witzig“, brummte sie säuerlich. „Du weißt, dass ich solche Späße echt nicht lustig finde. Auch der Direktor würde solche Scherze nicht billigen!“ Ohne ein weiteres Wort stapfte sie davon. Verwundert sah der Junge ihr nach. Wahrscheinlich hatte sie sich wieder nur zu viele Sorgen gemacht und war deshalb so gereizt. Immerhin hatten sie nur noch die halbe Strecke vor sich und konnten sich dann entspannen. Aber erst nachdem er von Yuki an den Direktor verpetzt worden war und er sich eine Standpauke anhören musste á la ‚Du solltest Yuki in ihrem geschwächten Zustand nicht noch mehr Sorgen machen Kiryu-kun!’ ‚Der Direktor würde solche Scherze nicht billigen!’ hallte es in seinem Kopf. Natürlich, denn wenn so ein Blutsaugervorfall wirklich geschehen wäre, wäre sein ganzer Pazifismusplan im Eimer, Vampire und Menschen friedlich zusammenleben zu lassen. ‚Die Obersten billigen Vampire nicht, die von Reinblütlern getrunken haben.’ Diese Warnung fiel im plötzlich wieder ein wie ein Déjà-vu. Was hatte das zu bedeuten? Den Wink mit dem Zaunpfahl war ihm nicht entgangen, aber eine Frage warf sich Zero trotzdem auf: Welche Obersten? Waren die Reinblütler nicht die Chefs der Vampire? Kuran war seines Wissens nach doch einer… Kaname schwebte vor seinem inneren Auge. Wie nah sein Gesicht doch gewesen war, sogar sein warmer Atem hatte seine eigene Haut gestreift, ehe er ihm einen blutigen Kuss abverlangt hatte. Zero seufzte verzweifelt. Gott, das konnte doch nicht wahr sein! Was dachte er denn ständig darüber nach? Ein Lichtstrahl und ein Geruch nach trocknendem Handtuch wehten in den Flur, als der noch tropfende Junge dem wartenden Mädchen vor der Tür ein Zeichen gab. „Na dann. Schlaf gut Yuki.“ Sie nickte ihm nochmals zu bevor sie die Tür zum Badezimmer des Direktor hinter sich zuzog. So. Jetzt nur noch ins Bett. Langsam fingen schon seine Schläfen an zu pochen. Wie von selbst schlurfte er in sein Zimmer, schmiss das Handtuch auf sein Kopfkissen und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. Er musste ziemlich geschafft aussehen – und so fühlte er sich auch. Obwohl noch ein paar Wassertropfen den Weg an seinem freien Oberkörper herunter zum Hosenbund fanden und diese kühle Frische ihn wach hielt, überwog der Schmerz des Schlafentzugs zu sehr. Seine Hand fuhr unbewusst zu seinem Mal am Hals. Viele Erinnerungen kamen wieder hoch, doch Zero versuchte sie zu verdrängen. Nicht vor dem Schlafengehen. Apropos schlafen: Wo war sein Schlafanzug? Mist, wo hatte er den in aller Eile vor der Nachtschicht hingeschmissen? Mit einem verärgerten Brummen ging er an seinen Schrank um einen neuen Pyjama zu holen. Für eine Suche war er zu erschöpft. „Schau in deinem Wäschehaufen nach.“ Instinktiv griff Zero an seine Hüfte, zog mit einer geübten Bewegung seine immer angelegte Pistole und richtete sie auf den Besucher. Es war still, bis auf das leise Klirren der Kette mit dem die Waffe an seiner Hose befestigt war. „Was willst du?“ Der Tonfall des Weißhaarigen war schneidend scharf. „Wieso bist du so aggressiv? Früher kam ich doch oft ohne Ankündigung.“ „Aber nur um Yuki zu sehen. Und da bist du hier ziemlich falsch. Oder hat der große Reinblütler Kuran etwa keinen Orientierungssinn?“ Die Miene des Braunhaarigen wurde traurig. „Immer diese Reinblütlergeschichte…“, seufzte er. Als Zero sah, dass sich der unangekündigte Besucher lässig gegen den Türrahmen lehnte, ließ er langsam die Waffe sinken. Er schien ihm nicht gefährlich werden zu wollen. Als hätte Kaname seine Gedanken gelesen, meinte er mit einem spöttischen Lächeln: „Ach, hast du das auch endlich gemerkt? Wenn ich dich töten wollte, hättest du gar keine Zeit um zu agieren.“ Dafür hatte der Andere nur ein verächtliches Schnauben übrig, obwohl es ihn doch etwas beunruhigte. „Was tust du hier? Hast du keinen Unterricht?“ Kaname verschränkte die Arme vor der Brust. „Trage ich etwa meine Uniform? Heute Nacht ist der jährliche Großputz des Unterrichtgebäudes.“ Ja, das war Zero aufgefallen. Der attraktive Vampir trug ein schwarzes Hemd und wirkte ziemlich normal. Abgesehen von seiner Aura und seinem undurchschaubaren Blick. „Ihr Glücklichen“, meinte er nur. Er wusste nicht Recht, was er sagen sollte, denn mit dieser Auskunft war seine Frage nicht zu seiner Zufriedenheit beantwortet worden. Was wollte Kaname? Fragend schaute er sein Gegenüber an. Doch Kaname sah ihm nicht in die Augen – vielmehr an ihm herunter. „Was?“, knurrte Zero, als er Kanames Blick bemerkte. „Ich sagte doch, dein Schlafanzug liegt in deinem Wäschehaufen“, entgegnete er ruhig und lächelte dabei. Ein paar Sekunden fixierte der Weißhaarige ihn noch, denn drehte er sich um, um in seinem Haufen zu wühlen. „Obwohl… Du brauchst ihn gar nicht anziehen.“ Sofort hielt Zero in seiner Bewegung inne. Ohne sich umzudrehen fragte er in einem Tonfall der seine Unruhe um keinen Preis verriet: „Was hattest du gesagt?“ Er hörte den anderen lächeln. „Hm. Ich sagte, dass ich eigentlich hier bin, um dir eine Einladung zu überreichen. Obwohl du nicht einmal die Wahl hast, ob du kommen willst oder nicht.“ War wieder typisch, dass der Vampir vom Thema ablenkte und in Rätseln sprach. Gefasst drehte der Junge sich um. „Wie meinst du das? Außerdem hat man immer eine Wahl.“ Wieder lächelte Kaname ihn an. Dieses Lächeln war irgendwie unheimlich… „Morgen Nacht, drüben im Haus ‚Mond’, direkt nachdem die anderen Nachtschüler ins Schulgebäude gewechselt haben. Mit dem Direktor ist das schon abgesprochen.“ „Und um was geht es?“ „Eine kleine Untersuchung. Einer aus dem Senat kommt her um dich zu prüfen“, erklärte er sachlich, aber Zero merkte, wie Kuran immer kurz dorthin schaute, wo nicht seine Augen waren. „Jetzt schau doch nicht so verdutzt. Der Senat kontrolliert halt die niederen Ränge bei uns.“ Dem jungen Vampir war klar, dass er zu den ‚niederen Rängen’ gehörte und Kuran zum Höchsten. Aber wieso sagte er ihm das? „Der Prüfer schaut, ob du – absichtlich oder nicht – die falschen… Wesen gebissen hast.“ „Und dazu gehören?“ Zero hatte eine düstere Vorahnung. „Unter anderem Menschen. Die gebissen wurden und am Leben gelassen.“ Ein Stich fuhr durch Zeros Brust. Yuki…! „A-aber von was soll sich jemand wie ich, der Bluttabletten nicht verträgt, sonst trinken?“, versuchte er sich zu verteidigen. Kanames Züge gefroren. „Uneingeweihte Menschen müssen getötet werden. Bei Yuki-chan ist das anders. Dennoch hast du noch nicht die Berechtigung Menschen in deiner Nähe zu überfallen.“ „’Noch nicht’? Drück dich klarer aus.“ Kaname ließ sich nicht von diesem Befehl beeindrucken und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Die bekommst du, wenn du deinen Meister beseitigt hast. Denjenigen, der dich zum Vampir gemacht hat. Und wenn du dich als nützlich erweist.“ Zero ballte eine Faust. Was sollte der ganze Scheiß? „Nützlich? Das hört sich für mich nach einem miesen Scherz an.“ Kaname hielt sich die Hand vor den Mund, doch der andere meinte, ein ehrliches Lachen gesehen zu haben. „Mache ich Scherze?“, fragte der Brünette mit belustigter Stimme. „Du wirst schon sehen, es läuft alles von allein. Du bekommst Aufträge, den Abschaum der Vampire zu beseitigen und wenn du alles nach der Zufriedenheit des Senats machst, wird alles klappen. So wie in der Schule: Pass im Unterricht auf und mach deine Hausaufgaben und die Lehrer akzeptieren dich. Obwohl – schlafen tust du ja ziemlich oft im Unterricht…“ „Woher willst du das wissen?“ Ein Stein war von Zeros Herzen gefallen. Also schien es wirklich nicht allzu schwierig zu werden. Aber ihn beunruhigte es doch, dass dieser Nachtaktive über sein Leben am Tag Bescheid wusste… Dieses Mal machte Kaname sich gar nicht die Mühe sein Lachen zu verstecken. „Nicht so wichtig.“ Argwöhnisch beobachtete Zero Kanames aufrichtiges Lächeln, als er auf ihn zuschritt. Was war denn so lustig gewesen? „Du solltest schlafen. Mach dir keine Sorgen wegen morgen Nacht.“ „Mach ich mir auch nicht“, brummte Zero. Vor dem Typen würde er doch keine Schwäche zeigen. Leise lachte Kaname auf. „Ach ja? Ich kann deine Angst riechen.“ Urplötzlich hörte Zero den leisen Atem an seinem Ohr. „Nicht nur deine Angst…“ Vorsichtig, als könne sie zerbrechen, nahm Kaname die Hand des anderen Vampirs und hob sie an seine Lippen. „Ich hole mir nur zurück, was mir zusteht.“ Eigentlich wusste Zero, was jetzt geschah. Doch als Kaname seine weißen Fänge in seinem Handrücken versenkte, zuckte er schmerzerfüllt zusammen und spannte seinen Arm an. Dieser…! Hätte er die Stelle nicht wenigstens vorher mit seinem Speichel betäuben können? „Schau doch nicht so grimmig.“ Zero hatte gar nicht gemerkt, dass der Braunhaarige seine Wunde bereits wieder verschlossen hatte und ihn mit funkelnden Augen ansah. Ehe er etwas darauf erwidern konnte, ließ Kaname seinen Arm sinken. „Du schmeckst genauso wie du riechst“, grinste Kaname. „Nur besser.“ „Was?“, fauchte Zero. Das klang ja beinahe so, als könne man ihn auf tausend Meter Entfernung riechen. Irgendwie amüsierte ihn dieses Kratzbürstige an Zero sehr. Wieso regte es ihn denn so auf? „Du kennst das doch sicher. Deine unterdrückten Gefühle und Ängste kann man schmecken. Und ich kann sie sogar riechen.“ Das bissige Gesicht des anderen war unbezahlbar. Schade dass Kaname nichts hatte, um diesen Moment festzuhalten. „Das klingt so, als würdest du mich ausspionieren“, murrte Zero, „das ist widerwärtig.“ „Du findest Blut trinken ekelhaft?“ Unwillkürlich lief ein Schauer über Zeros Rücken. Himmel, was hatte Kaname plötzlich für eine dämonische Aura? Hatte er die auch schon vorher gehabt…? Kanames kalte Hand drückte ihn aufs Bett. „Dein Körper sagt aber etwas anderes.“ Tief sog Kaname den Geruch des Jüngeren ein. Nur mühsam behielt er die Kontrolle über sich, als er Zeros Wange hinunter strich. Diese ganzen Pheromone die der Weißhaarige ausstrahlte, vernebelten seinen Verstand. Doch ein einziger Gedanke erschien ihm noch klar vor Augen: Er musste hier weg. Sonst würde er wirklich über ihn herfallen. Der Geschmack von Zeros köstlichem Blut lag ihm immer noch auf der Zunge. „Du solltest schlafen, Kiryu-kun“, meinte Kaname monoton und zwang sich dazu, aufzustehen. Bloß weg hier. Bloß weg von Zero und seinen violetten Augen. Wieso brachte dieser Junge ihn so neben die Spur? Das war noch keinem Menschen oder Vampir gelungen. Was hatte Zero, was andere nicht hatten? Erst als er an der Tür stand, traute er sich, sich umzudrehen. „Bis morgen.“ Hosted by Animexx e.V. 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