Schatten im Licht von Drachenwind ================================================================================ Kapitel 1: Ankunft ------------------ Die Nacht war angereichert mit Gefühlen. Gierig sog Ganya die kalte Luft ein. Gegen das Geländer der Brücke gelehnt, prüfte die junge Frau aufmerksam ihre Umgebung; sich der Kälte und Finsternis nur am Rande ihres Bewusstseins gewahr. Ohne aufzusehen konnte sie die Blicke auf ihrem Rücken spüren und den Menschen zuordnen, die an ihr vorbeieilten. Sie wusste nicht mehr, warum sie sich so beeilten. Früher hatte sie dieses hektische Streben verstanden - sie verstanden. Früher war sie eine der Ihren gewesen. Ihr Blick schweifte gleichgültig über das schwarze Wasser. Lauernd. Gleich einem Spinnenetz legte sich eine fremde Aura um ihr Bewusstsein und beendete das Warten. Aber sie rührte sich nicht. Nachdenklich blieb ihr Blick auf die gekräuselte Wasserfläche gerichtet, konzentriert auf eine ferne Kindheitserinnerung. Vor vielen Jahren hatte sie gern hier herumgelungert, noch verwirrten von der Existenz als Vampir. Hatte voller Unsicherheit und Verwunderung ihrer Zukunft entgegen geblickt. Die Gefühle dieser Zeit entglitt ihrem sonst so geschärften Geist, obwohl sie versuchte, sie zu fassen. Fahl schmeckte sie, als hätte dieses Bild im Strom der Zeit alle Farbe verloren. Und zurück blieb nur das beschämte Wispern einer Ahnung. Ganya schlug den Kragen ihres Mantels hoch und registrierte mit einem Anflug von Verärgerung die schleichende Unterkühlung ihres Körpers. Sie sollte besser auf ihn achten, oder sie würde unter ihrer Nachlässigkeit zu leiden haben, Einst hatten die trägen Lichtreflexionen des Wassers sie fasziniert, in fantastische Welten davongetragen. Manchmal glaubte sie sich wieder als Kind zu sehen, erfüllt von diesem unschuldigen Sehnen nach dem Unfass- und Unerreichbaren. Manchmal… „Folgen Sie mir.“ Ganya zuckte nicht zusammen, als der junge Mann unvermittelt neben ihr stand, als sei er dem Nichts entstiegen. Die vorbeieilenden Passanten waren zu einer Seltenheit geworden. Keiner schenkte ihnen Beachtung. Sie brauchte nicht dem starren Blick des anderen Vampirs begegnen, um zu wissen, welches Wesen sich hinter den Zügen verbarg. Die Vorboten seiner Existenz waren längst gegen ihr Bewusstsein gebrandet. Ohne Bedauern wandte Ganya sich vom Wasser ab. Was auch immer damals gewesen sein mochte, wenn sie es betrachtete, heute war sie leer und das dunkle Farbenspiel der Wellen bedeutungslos. Sie fuhren mit der Untergrundbahn und Ganya ließ zu, dass er sie musterte, sie beobachte. Er wollte sie einschätzen. Ihr Blick glitt über die Fahrgäste, deren Wahrnehmung die Vampire hartnäckig leugnete. Wann immer sie in ihre Richtung sehen wollten, irrte ihre Aufmerksamkeit an den Gestalten vorbei ins Leere. Undeutlich nahmen sie ihre Anwesenheit wahr; aber ihr Eindruck blieb verschwommen und selbst die auffälligsten Merkmale wie Geschlecht oder Hautfarbe blieben nicht in ihrem Gedächtnis haften; hatten dort nie existiert. Sie waren Schemen ihrer Wahrnehmung, konturlose Wesen. Geduldig schwieg sie. Er würde auf keine Frage antworten und sie selbst empfand nur noch selten brennende Neugierde. Ihre Lady hatte sie gebeten zu kommen. Sie sollte sich einer Angelegenheit annehmen, die die hiesigen Vampire beunruhigte. Ganya wüsste keinen Grund, die Bitte auszuschlagen. Für sie blieb gleichgültig, wo sie ihre Nächte verbrachte und teilweise wahllos ihre Opfer in den Tod führte. Man hatte sie gerufen, also würde man sie auch dulden. Mit einer gewissen Distanz beobachtete Ganya amüsiert die vom Misstrauen getriebenen Bemühungen ihres Führers sie zu verwirren, indem er öfters die Untergrundbahnen wechselte. Eine lächerliche Maßnahme angesichts ihrer selbst als Mensch bereits außergewöhnlichen Auffassungsgabe. Das Dasein als Vampir hatte ihr neue Möglichkeiten der Wahrnehmung eröffnet und ihren ohnehin ausgezeichneten Intellekt geschärft. Weswegen man sie um Hilfe bat. Dennoch harrte sie ihrer Situation ruhig, würde er dieses Spiel doch auf keinen Fall bis zum Morgen spielen. Der Tag entzog sich noch in Ferne, die Nacht war erst jung geboren. Ob nun einige Stunden früher oder später - belanglos. Sie ließen sich von der Menge treiben, die sich selbst noch um diese Stunde träge durch den Bahnhof wälzte. Dann spürte sie die anderen. Sie näherten sich von mehreren Seiten und stiegen mit in die nächste Untergrundbahn. Sie musste sich nicht umsehen, um sie zu erkennen. Ihr Führer stieg aus, aber einer der anderen Vampire hielt sie zurück, als sie folgen wollte. Die Untergrundbahn fuhr mit einem Ruck an. Ganya wurde bewusst, dass alle anderen Fahrgäste ausgestiegen waren. Sie war mit den Vampiren allein. „Sie wissen, warum Sie hier sind?“ „Man bat mich, mir etwas Ungewöhnliches anzusehen. Man hegt die Hoffnung, ich könnte Aufschluss über gewisse Ereignisse bringen.“ Er lächelte kurz, eine Geste, die er offensichtlich wieder übernommen hatte. In der flackernden Beleuchtung schienen seine ungewöhnlichen Zähne zu leuchten. Der starre Blick blieb auf sie gerichtet. Er war verärgert. „Wir wollen nicht, dass Sie hier herumstöbern. Das ist unsere Stadt.“ Sie schwieg dazu. „Haben Sie verstanden?“ „Ihr Meister bat meine Lady um einen Gefallen. Ich bin deswegen gekommen. Ich kann auch jederzeit wieder gehen.“ Sie fuhren die nächste Station an. Einer der Vampire manipulierte den Fahrer nicht anzuhalten. Ganya fegte seinen Einflussbereich kurzerhand beiseite. Die Vampire brauchten einen Moment, um zu begreifen, was vor sich ging. Mit einem Kreischen kam die Untergrundbahn zum Stehen und widerwillig glitt die Tür auf. Ganya trat hinaus. Die vereinzelten Passanten auf dem Bahnsteig flohen hastig, als ihr Unterbewusstsein die Gefahr registrierte. Verwirrt folgten ihr die anderen Vampire. Ganya wartete, bis die Untergrundbahn wieder abgefahren war. „Wenn Sie meine Hilfe nicht mehr brauchen, werde ich jetzt gehen. Ich werde Ihre Stadt unverzüglich verlassen und meiner Lady sagen, dass meine Dienste nicht von Nöten waren.“ Sie begegnete vollkommen ruhig dem starren Blick. Seine Augen hatten sich vor Wut verengt. „Wenn es das ist, was Sie wünschen, begreife ich nicht, warum Sie mich erst haben rufen lassen.“ Drohend trat er einen Schritt näher. Ganya zuckte nicht einmal mit der Wimper. Noch eine abwegige Geste, die er von den Menschen übernommen hatte. Ob er noch nicht lange Vampir war? Er hätte eigentlich wissen müssen, dass er sie mit dieser plumpen Drohgebärde nicht beeindrucken konnte. „Mein Meister glaubt irrtümlich, Sie könnten von Nutzen sein. Er ist alt, er ist schwach.“ Verachtung färbte seine Stimme dunkler. „Nehmen Sie sich in Acht. Er wird nicht ewig auf Sie aufpassen können.“ Er war jung - wie all die anderen um sie herum. Jung und noch voller Illusionen. Hatte auch sie sich einmal so stark gefühlt? Am Anfang? Den Älteren überlegen? Sie atmete tief ein und nun erkannte sie den markanten Geruch des Leichtsinns. „Bringen Sie mich zu Ihrem Meister. Je schneller ich mit ihm gesprochen habe, desto schneller werden Sie mich los.“ Er zögerte einen Moment. Vielleicht hatte er das Gefühl, noch etwas sagen zu müssen. „SOFORT!“ Die Macht hinter dem Befehl ließ sie zusammenschrecken. Unwillkürlich wimmerte einer der Vampire auf und ohne ihr in die Augen zu sehen, trat er vor um sie zu führen. Sie konnte einen hasserfüllten Blick auf ihrem Rücken spüren, als sie ihm folgte. Wer noch so intensiv hassen konnte, war noch nicht lange Vampir. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)