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Hooligans

rioter
von

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Das Ende

Unser Boss, alle nennen ihn Jack, eigentlich hieß er Jakob, ein großer, stämmiger Mann Ende dreißig, bekam einen kurzen Anruf von einen seiner Männer. Er hob ab, bejahte ein paar Mal, und legte dann auf.

„Der Treffpunkt ist wie abgemacht.“, sagte er laut und lief entschlossen, hinter ihn etwa weitere fünfzehn Männer, eine breite, nasse Passage entlang, wo es geschehen sollte. Wir wussten, dass sie in der Unterzahl sind, unser Sieg über solch eine kleine Gruppe der Inter City, so dachten wir, wäre uns sicher. Wir blieben stehen. Die dünne, graue Wolkendecke über uns verschwand langsam, es hatte gerade erst geregnet, und durch den zehnminütigen Fußmarsch waren wir alle etwas durchnässt. Ich zitterte etwas, aber das war sicher nur die Kälte. Ich zählte in Gedanken die Kämpfe innerhalb der Gruppe, die ich bisher ausgetragen hatte, und kam langsam auf ganze vierzehn. Ein Neuling bin ich nicht mehr, aber immerhin.

Schließlich hörten wir weit entfernt Schritte, die immer näher kamen. Am anderen Ende der langen Passage sahen wir sie kommen, etwa sechs, sieben Mann, sahen sie mit erhobenen Händen und Fäusten grölend auf uns zukommen.

„Habt ihr euch hergetraut?!“, brüllte Pete, der Anführer dieser kleinen Gruppe, und grinste barbarisch. Er ist noch relativ jung, etwa sechsundzwanzig und groß, mindestens eins achtzig, wenn nicht noch größer, hatte blondes, sehr kurzes Haar und trug einen langen, cremefarbenen Mantel. Die übrigen Männer waren etwas kleiner als er. Er schien einiges draufzuhaben.

„Das müsste ich euch fragen.“, entgegnete Jack zurück. „Ihr seit genauso lächerlich wie eure verdammte Mannschaft!“

Ich hörte das nur alles nebenbei. Mein Blick wanderte an dem Typen vorbei und entdeckte neben Pete einen Mann, etwa Ende zwanzig, mit Kapuze, darunter braunblondes Haar und einem bösartigen Blick. Er war dünn und schien auf den ersten Blick etwas aufgeregt. Aber es war keine Aufregung, so wie bei mir, das sah man ihn an. Er wollte unbedingt kämpfen. Ich dachte an einen Drogenabhängigen, der auf Entzug war – er ging auf seiner Stelle auf und ab, seine schlanken Beine zuckten leicht und sein Blick verfinsterte sich noch mehr. Gegen den, dachte ich mir, wollte ich mich nicht alleine abkämpfen. Auch die anderen Männer waren so etwas wie Geheimtipps der Inter City. Langsam bekam ich ein ungutes Gefühl. Eine bald zerreißende Spannung lag in der Luft. Mein fünfzehnter, dachte ich.

Eine halbe Minute und ein paar Verächtlichkeiten später rannte Pete schließlich brüllend los, die Männer hinter ihm ebenfalls, Jack ebenso, und wir rannten hinterher. Jetzt ging es los.

Ich nahm mir den, der mir entgegenkam. Gott sei Dank war es nicht der mit dem starren Blick, sondern einen, der in etwa so gebaut war wie ich, nur etwas kräftiger. Er holte aus, ich wich dem aus, in dem Gebiet bin ich richtig gut, fand ich, aber er traf mich trotzdem mit seiner Linken. Schon beim ersten Treffer spuckte ich Blut. Ich trat nach ihm aus, verpasste ihn einen kräftigen Bauchtritt und griff nach seinen Haaren, zog seinen Kopf hoch und verpasste ihm eine Kopfnuss. Darauf viel er zu Boden. Mein Erster, dachte ich heiter. Ich sah aus dem Blickwinkel heraus, wie Jack gnadenlos von Pete fertig gemacht wurde. Er lag auf den Boden, musste einiges einstecken und sein Kopf war fast vollständig mit Blut bespritzt. Und das nach nicht einmal einer Minute. Ich entschied mich einzugreifen, obwohl ich Jack nicht sonderlich mochte, aber vielleicht würde er mir dafür noch danken. Ich lief keuchend los, rannte Pete um, der auf Jack hockte und auf ihn einschlug, zerrte ihn zu Boden und prügelte nun auf seinen Kopf ein. Vielleicht war ich lebensmüde, denn so etwas hätte ich nie im Leben gemacht, wenn ich am Straßenrand gestanden hätte. Ich hätte ihn links liegen gelassen, so wie meine Kumpels es wenig später mit mir machen würden, was ich aber natürlich noch nicht ahnen konnte. Aber dies war nun nicht mehr rückgängig zu machen. Man sah schon von weiten, dass ich zierlicher gebaut war als Pete, ich war gerade mal eins vierundsiebzig groß und etwas hager. Doch unter der Motivation und dem Adrenalin, das man bekam, wenn man in so einer starken Gemeinschaft war, tat ich nun einmal das, was ich für richtig hielt.

Einen kurzen Moment später packte mich plötzlich jemand von hinten und riss mich nach oben. Pete stand sofort auf, ich hab wohl nicht so viel auf ihn eingewirkt, obwohl ich in dem Moment alles gegeben hatte. Der Typ hinter mir packte meine Arme, dass ich sie nicht bewegen konnte. Ich hatte Panik. Ein eiskalter Schauer lief mir den Rücken runter, denn ich wusste, dass sie wahrscheinlich mich bis zu Bewusstlosigkeit prügeln würden. Ich blickte keuchend nach links und entdeckte zwei, drei meiner Kumpels auf den Boden, die drauf und dran waren, abzuhauen.

„Hey!“, sprach Pete, der aus Nase und Mund blutete. „Sieh mich an, wenn ich vor dir stehe!“, brüllte er mich an und grinste danach etwas. Ich sah erschrocken auf und ich spürte, wie meine Unterlippe leicht zitterte. „Weißt wohl nicht, wer vor dir steht, was?“, sprach er fort, musterte mich und blieb mit seinem Blick auf meinen Bauch stehen. Sein Grinsen verschlug sich schlagartig, er blickte mich aufgebracht an und schlug mir nun mit einem kräftigen Faustschlag in den Bauch. Der Typ, der mich festhielt, lies mich los und ich sank zu Boden.

Ich hielt mir den Bauch, kniff die Augen zusammen und krümmte mich. Das dürfte eine gebrochene Rippe sein, dachte ich mir, mindestens, wenn nicht schlimmer, und ein paar weiche Organe dazu. Plötzlich fühlte ich kräftige Schläge auf meinen Rücken und meinen gesamten Unterkörper einwirken. Ich rollte mich mit dem Gesicht nach oben, immer noch von Schmerz erfüllt, und nahm verschwommen zwei Gestalten war, die auf mich zuschlugen. Ich fühlte Blut in meiner Luftröhre und in meinem Mund, hustete ein paar Mal, doch es wurde nur noch schlimmer. Nach einer gefühlten Ewigkeit hörten die brutalen Schläge auf und ich hörte ein paar Stimmen, die sagten, wir sollen besser abhauen. Aber das waren nicht die Stimmen von den Jungs der Inter City, es waren die von meiner Firma.

Könnte mir hier mal jemand helfen?, dachte ich die ganze Zeit wütend und furchtsam zugleich und krümmte mich immer noch.

Ihr Wichser!! Ich versuchte etwas zu sagen, doch Blut füllte sich in meinem Mund und ich brachte nur einen Blutschwall heraus.

„Ha! Den haben wir’s gezeigt! Diese Fotzen!“, jubelte einer ihnen hinterher. Das war das Letzte, was ich hörte. Ich zuckte am Boden, rang nach Luft, hustete vergebens, spuckte nur noch mehr Blut und hustete wieder. Vor meinen Augen wurde alles weiß, ich hörte ein eintöniges Rauschten, und ich dachte mit einer Spur von Gleichgültigkeit: Das ist das Ende.

Zwischenspiel

Zwischenspiel - Teil I
 

Pete und die restlichen Männer jubelten aus voller Kehle. Sie hatten es den Chelsea Headhunters gezeigt, aber so richtig.

„Man, das hat ja nicht einmal zehn Minuten gedauert!“, sprach Pete breit grinsend und umarmte freuend seinen Kumpel Bovver, der ebenfalls erfreut darüber schien, dass alles so schnell ging. Bov blutete nur leicht aus der Nase, die restlichen fünf Männer hatten nicht viel mehr abbekommen, nur einer sammelte seine Zähne vom nassen Asphalt auf, und Pete blutete nach wie vor aus Mund und Nase. Doch er grinste, und das ist ein gutes Zeichen.

„Wer hat dich eigentlich so zugerichtet?“, fragte einer der Männer.

„Ach, so ein kleiner Junge.“, sprach er und machte eine abfällige Handbewegung. „Hab grad Jack verkloppt und da kommt der und springt mich an.“ Die anderen lachten, nur einer von ihnen unterbrach ihr Gelächter und zeigte auf den Boden. „War das nicht der?“

>Der< lag rücklings auf dem Boden, seine Arme und Beine zuckten, und aus seinem Mund floss Blut – vielleicht etwas zu viel.

Sie starrten ihn an. „Wollen wir dem nicht helfen?“, fragte plötzlich einer mit braunen, kurzen Haaren und sah den am Boden liegenden entsetzt an.

„Diesem Abschaum von -?“, begann Pete. Wenn er etwas sagte oder beauftragte, dann machten es auch in der Regel viele, ohne wenn und aber.

„Wir prügeln doch niemanden zu Tode!“, rief Bovver ihm plötzlich ins Wort, der direkt neben ihn stand, und blickte ihn gereizt in Petes Augen und zog seine Kapuze zurück. „Dann können wir ja gleich mit ’nem Messer in ’nen Kampf ziehen und einfach alle abstechen!“

Nach diesen Worten war es still. Nur der junge Mann am Boden gab leise, gurgelnde Geräusche von sich. Pete blickte dessen verwirrt an und wusste nicht, wie er handeln sollte.

„Wo er recht hat.“, murmelte der mit den braunen Haaren. Im gleichen Moment lief einer der Jungs zögerlich zu dem Verletzten und kniete sich direkt neben seinen Kopf. „Macht doch was! Helft mir!“, sprach er aufgeregt und machte sich daran, ihn auf den Rücken zu legen und sah dabei etwas unbeholfen aus. Daraufhin blubberte Blut aus seinem Mund und lief dem Verletzten wie ein breiter Streifen die Wange hinunter. Sein Blick richtete er starr gen Himmel, und seine Gliedmaßen zuckten immer noch, wenn auch kaum merklich.

„Was sollen wir machen?!“, schrie er panisch und blickte hilfesuchend seine Kumpels an, die immer noch verdattert dastanden. Pete schüttelte seinen Kopf, lief zu ihm und kniete sich ebenfalls hin. „Du machst das falsch. Lass mich mal.“, sagte er und richtete den sterbenden jungen Mann auf, umschloss seinen Brustkorb mit seinen Armen und drückte in regelmäßigen Abständen zu, in der Hoffnung, dass das Blut eventuell herausfloss. Tat es aber nicht.

„Scheiße, Man!“, brüllte er und gab es auf. Die anderen Männer sahen nur mit offenen Mündern tatenlos zu. Da lag er nun, mit blutenden Mund und Nase und mit zitternden Händen und machte erstickenden Geräusche. Auf einmal bewegte der Verletzte sich nicht mehr. Und es wurde abermals still um die sonst so starke Gruppe.

„Scheiße.“, sagte Pete noch einmal.

„Dann muss es halt einer tun!“, sprach Bovver laut und knabberte an seinen Fingernägeln, wie er es für gewöhnlich macht.

„Was meinst du?“, Petes Stimme zitterte etwas.

„Ihn wiederbeleben, was sonst?!“ Keiner von ihnen wollte es machen, das sah man ihnen alle an. Mal abgesehen davon, dass sie nicht recht wussten, wie sie es machen sollten, vielleicht würde jemand hinterher sagen, dass er ´ne verdammte Schwuchtel wäre, weil er so etwas getan hätte, doch hier ging es um etwas weitaus ernsteres.

Bovver schaute grimmig, trat näher und schubste den ersten Mann, der zu ihm gekniet war, aus dem Weg. Er kniete sich zu schwarzhaarigen und blickte noch einmal auf.

„Pete,“, fing er an. „Wenn ihr irgendjemanden irgendwas erzählt – dann seit IHR ALLE tot! Verstanden?!“ Eine kurze Pause trat ein.

„Kein Thema.“, flüsterte Pete und nickte. Pete hätte niemals gedacht, dass Bovver imstande wäre, derartiges zu tun. Er verachtete Homosexuelle, doch er riss sich erstaunlich zusammen.

Bovver hielt dem vermeintlich Toten die blutige Nase mit Daumen und Zeigefinger zu und begann langsam Luft in seine Lunge zu pressen. Das hatte er schon tausendmal im Fernsehen gesehen und wusste daher, wie es in etwa funktionierte. Sein Brustkorb hob sich auf Anhieb. Doch er gab kein Lebenszeichen von sich. Pete stand verzweifelt auf und fand sich langsam mit dem Gedanken ab, in den Knast zu kommen. Bov versuchte es erneut. Doch dieses Mal hatte es geklappt. Er keuchte auf, hustete sich das Blut aus der Lunge, und versuchte sich aufzusetzen. Bovver stützte sich auf und blickte mit seinem ernsten Gesichtsausdruck von oben auf ihn herab. Pete ließ einen langen, erleichterten Seufzer von sich, einige der anderen Männer ebenfalls.

Der junge Mann saß entgeistert auf seinem Arsch und blickte verdattert zu den Männern hinauf. Er rieb sich den Mund, wollte etwas sagen und hustete noch einmal, aber es kam kein Laut und auch kein Blut.

„MAN!“, brüllte Pete, sodass die anderen Jungs zusammenzuckten. „Jetzt verzieh dich endlich!!!“

Der Junge richtete sich holprig auf, viel noch einmal kurz auf sein Hintern und schaffte es schließlich, wegzulaufen, wenn auch humpelnd. Er hielt sich den Bauch und schlurfte in die Richtung, aus die er gekommen war.

„Verdammt, man.“, sprach er noch einmal und drehte sich kurz. „Können wir jetzt?“

Bovver, mit roten Lippen und Kinn, nickte zustimmend. Pete sah seine übrigen Kumpels angespannt an, die nun ebenfalls nickten. Alle sieben Mann verließen diese graue, nasse Passage, ohne jemals ein Wort über die >Rettung eines Headhunters< gesprochen zu haben.
 

Das Zwischenspiel – Teil II
 

Es war, als würde man aus einem dunklen Traum erwecken, kurz nachdem man eingeschlafen war. Wie, als würde man in dem Traum eine Treppe hinunter stürzen und die Augen aufreißen und sich schnell im Bett aufrichten würde.

Das tat ich, nur ich war nicht im Bett sondern auf dem harten Asphalt. Meine Lunge füllte sich mit frischer Luft, die darauf brannte und mich sofort zum husten brachte und Blut spuckte. Ich atmete rasch und die Luft ballte sich in seichten Schwaden vor mir auf.. Wo war ich? Meine Augen klärten die Sicht und ich sah verschwommen mindestens ein Dutzend Männer vor mir stehen. Sie blickten alle zu mir hinunter. Ich saß immer noch bestürzt auf dem grauen Boden und musste zusehen, dass ich nicht meine Lunge überlastete, sonst würde ich wieder anfangen zu husten. Es war ein eigenartiges, dreckiges Gefühl im Mund von Metall. Langsam stellte ich mir die Frage, wer ich überhaupt bin. Wie ist noch gleich mein Name? Ich kramte kurz in meinen Gedanken und fand schnell die Antwort. Alan. Alan Powell. Und was machte ich hier? Auch dafür brauchte ich nicht lange … mir fiel es langsam wieder ein.

Ich starrte die Männer über mir an.

„MAN!“, brüllte plötzlich einer wie vom Blitz getroffen und ich zuckte zusammen, die anderen ebenfalls. „Jetzt verzieh dich endlich!!“

Obwohl ich alles mit einem leisen Fiepen in meinen Ohren wahrnahm, setzte ich mich sofort auf, doch meine Beine waren wie dünne Stöcke und ich drohte einzuknicken. Man musste kein Genie sein, um zu bemerken, dass diese Männer gerade eine Schlägerei hinter sich hatten und vielleicht auch mich verprügeln würden. Ich stützte mich mit den Händen ab und machte kehrt, lief holprig ein, zwei Schritte und viel auf den Arsch.

Scheiße, Man. Was ist mit mir los?, dachte ich und blickte rasch an mir herunter. Mein linkes Knie schmerzte höllisch und Blut lief mir die Jeans hinab. Ich riss mich noch einmal zusammen, rappelte mich auf und mir gelang es schließlich eine lange Gasse hinabzulaufen.

Ich dachte darüber nach, an der nächsten Ecke zu halten, sobald ich außer Sicht dieser Schlägertypen war, doch das denken viel mir schwer. In meinem Kopf war die Hölle los, er schmerzte noch mehr als mein Knie und meine Beine drohten jeden Moment erneut nachzugeben.

Vielleicht sollte ich zum Arzt gehen. Aber ich bin ein Student, ständig knapp bei Kasse. Doch sollte ich an meiner Gesundheit sparen? Meine Eltern brauchte ich nicht anzurufen, die leben ohnehin in Amerika. Und außerdem ist das meine Sache, was ich hier unternehme.

Ich hielt an einer Ecke und lies mich an einer steinernen Mauer sinken. Ich blickte auf meine Handflächen und auf meine blutige Jeans. War ich überhaupt an der Schlägerei beteiligt?, fragte ich mich. Und wie sollte ich jetzt nach Hause kommen? Eigentlich bin ich ein Typ, der gerne trampt. Doch in diesem Zustand kann ich nicht trampen, mich würde ohnehin niemand mitnehmen, denn in der Stadt hält sowieso keiner.

Ich wartete, bis das Blut trocknete und rappelte mich wieder auf. Ich entfernte grob alle Blutflecken, die durch das Wasser auf der Straße abzuwaschen gingen. Kurz darauf entschloss ich, in eine Telefonzelle zu gehen und ein Taxi nach Hause zu nehmen.
 

Ich hatte mir heute an der Uni frei genommen. Mein Kopf tat heute morgen unerträglich weh, deshalb war ich heute doch beim Onkel Doktor und wollte danach mit der U-Bahn direkt zu mir nach Hause. In dem Zug war es ziemlich leer und es stiegen pro Haltestelle höchstens zwei, drei Personen aus. Ich blickte auf meine Armbanduhr und las 8:34 Uhr ab. Am linken Knie ist doch soweit alles in Ordnung, nur drei meiner Rippen sind gebrochen und eine beschädigt. Ich hatte dem Arzt nichts über meinen Ohnmachtsanfall gesagt, oder hätte ich es doch machen sollen? War ich überhaupt nur ohnmächtig? Ich kann es nicht genau sagen, auch an den gestrigen Tag kann ich mich nur noch schwach erinnern.

Wieder hielt der Zug und ich lehnte mich auf meinem Sitz zurück. Ich zog mir meine dünne, schwarze Wollmütze über die Ohren und strich mir ein paar Haare ins Gesicht. Ich blickte nach links. Dieses Mal stieg keiner ein. Ich war also vollkommend allein in meiner Abteilung. Ich richtete meinen Blick auf einer der Sitze vor mir und wartete die Zeit ab, dachte an nichts spezielles, hätte ich doch nur meinen MP3-Player mitgenommen, aber selbst dieser treue Begleiter war mir im Moment nicht so wichtig.

Plötzlich stieß jemand die Abteilungstür auf. Ich sah ihn nicht, höchstens im Blickwinkel sah ich eine dunkle, schlaksige Gestalt, und wollte ihn auch nicht beachten. Er hielt inne und sah zu mir hinüber – das spürte ich.

„Wen haben wir denn hier?“, sprach diese Person in einem höhnischen Ton und trat neben mich. Ich sah nach oben. Es war einer der Hooligantypen, das bemerkte ich auf Anhieb. Nur dieser dunkle Blick … der kam mir bekannt vor.

„Ist es nicht gefährlich, hier allein in der Bahn zu sitzen, wobei doch heute Abend ein Spiel läuft? Einige werden dich sicher erkennen.“

„Kann sein.“, sagte ich barsch und blickte wieder nach unten, in der Hoffnung, dass er mich eventuell in Ruhe lässt. Aber er setzte sich auf einen der Sitze gegenüber von mir. Genau in diesem Moment viel mir sein Name ein. Er wird Bovver genannt. Das wusste ich noch, mitunter ein paar andere unwichtige Dinge des gestrigen Tages und dessen Schlägerei. Sein Name wurde ein paar Mal erwähnt.

„Willst du denn keine Revanche?“, fragte er und musterte meine Kleidung. Als Antwort zuckte ich nur mit den Schultern und blickte zur Seite. Kurze Pause.

„Sehr höflich.“, sagte er schroff. „Du solltest mir danken. Kommst sicher von Amerika.“

„Ich wurde hier geboren.“, antwortete ich und blickte ihn erneut an, wollte noch etwas richtig stellen, aber ich lies es sein. Er hatte einen blauen Fleck am rechten Auge, doch sonst schien er fitt zu sein. Er trug wieder seine helle, dünne Jacke und hatte dessen Kapuze über seinen Kopf gezogen. Wahrscheinlich hat er noch was vor, dachte ich mir.

„Wieso?“, fragte ich, nur hörte es sich nicht an wie eine Frage. Ich hatte nicht groß Lust auf ein Gespräch mit einem Typen von der Inter City. Aber es würde noch, für mich zumindest, eine lange Zugfahrt werden.

Bovver zog eine Augenbraue hoch. „Ich hab deinen Arsch gerettet.“ Die U-Bahn verlor an Geschwindigkeit. Ich starrte in sein Gesicht. Was meinte er? Hatte er mich geholfen? Oder mich etwa gar gerettet? Ich nahm bisher immer an, dass ich alleine irgendwie aufgewacht war, doch dass mich jemand von der … Nein, sicherlich erfindet er irgend eine dreckige Lüge, damit ich ihm etwas zu schulden hätte. Aber das ist doch schwachsinnig. Wieso sollte er das tun?

Ich wusste nichts zu sagen. Die Bahn wurde immer langsamer und man sah schon vereinzelte Menschen auf dem Bahnhof vorbeischnellen. Der Mann vor mir stand auf und ging lässig Richtung Tür. Diesen gelockerten Gang lernt man, wenn man ein Hooligan ist, dachte ich, und blickte ihm mit offenem Mund hinterher. Er stand mit dem Rücken zu mir und hielt sich irgendwo fest. Meine Zugfahrt würde noch etwa vierzig Minuten dauern, doch ich beschloss ihm zu folgen. Vielleicht war meine Entscheidung sinnfrei und mit Abstand die sinnloseste Entscheidung meines Lebens, aber ich stand einfach auf, wie durch etwas unsichtbares gelenkt und hinkte durch das schmerzende Knie in seine Richtung und stellte mich neben ihn. Wie ich jetzt feststellte waren wir beide gleich groß und waren etwa gleich schlank, wir hätten Brüder sein können, doch wir waren automatisch verfeindet.

Er blickte mich flüchtig an, die Tür vor uns öffnete sich und er stieg aus. Ich folgte ihm schweigend.

Auf dem kleinen Bahnhof war es ziemlich kalt und noch leerer als im gesamten Zug. Nach etwa zehn Meter fragte ich schließlich: „Was ist eigentlich passiert?“

Bovver blieb stehen. Wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet, dass ich mich an so gut wie gar nichts mehr erinnern kann, nur noch an seinen Namen und an andere Kleinigkeiten, doch es fehlte weit über die Hälfte der Erinnerung dieses Tages. Er drehte sich seufzend um, mit den Händen in seiner hellen Jacke.

„Ich ging davon aus -“, fragte er, doch ich schüttelte langsam mit dem Kopf. Er kam auf zwei Meter heran.

Epilog

Gestern wäre ich gestorben. Gestern, das war ein ganz normaler Donnerstag, wäre ich erstickt. Doch nicht erwürgt, nein. Verreckt an meinem eigenen Blut. Gestern, an dem ganz normalen Donnerstag, kam es mit meiner Firma, also eine Hooligangruppe der Chelsea Headhunters, gegen Abend mit der Inter City nach einem Spiel zu einer Schlägerei. Sie waren in der Unterzahl. Nun, sie haben uns trotzdem fertig gemacht. Das sie so gut sind, hätte keiner von uns gedacht. Meine sogenannten Freunde hatten mich links liegen gelassen, sie sind einfach abgehauen, ohne mir zu helfen.

Gestern wäre ich gestorben. Doch jetzt liege ich auf der Couch von dem Typen, der mich gerettet hat. Ich kenne ihn kaum, aber das ist nicht das Schlimme. Was wirklich schlimm ist, und das ist absurd, er ist ein Mitglied der Inter City. Bovver, heißt er. Aber er ist schon okay.

Ich streich mir verschlafen durchs Haar, mein Blick wandert angestrengt durch den dunklen Raum, wo ich übernachte, und lese 3:34 Uhr von einem Wecker mit leuchtenden Ziffern ab. In meiner Handfläche, die ich jetzt betrachte, finde ich dicke, blutige Glassplitter wider. Mein verdammter Kopf schmerzt immer noch höllisch und glüht förmlich vor Hitze. Dabei ist es November.



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