Twilight - Die Neuen von Pijara ================================================================================ Kapitel 1: Verwirrungen ----------------------- Der intensive Duft der verschiedenen Büsche um ihn herum berauschte ihn. Der Wald – das war sein Revier. Wer brauchte eine Wohnung? Wer brauchte ein Haus? Wer brauchte Zivilisation, wenn er mit der Natur vollkommen verbunden war und jedes noch so kleine Detail seiner Umgebung wahrnahm? Seine feuerroten Augen glitten stetig und verlangend zu den beiden Mädchen hinüber, die sich angeregt unterhielten. Zwei unberührte Tabletts standen vor ihnen, unbeachtet, da das Gespräch offenbar ein höchst brisantes Thema beinhaltete. Langsam glitt seine Zungenspitze über seine Lippen und offenbarte so blendend weiße, messerscharfe Zähne. Seine Finger krallten sich brutal in die Erde, als er daran dachte, wie unter der Haut dieser Mädchen das Blut rauschte, pulsierte und einen Duft verströmte, der ihm die Sinne raubte. Selbst auf dieser Entfernung war es unmöglich, sich ihrem Duft zu entziehen. Nicht mehr lange … „Ich kann mir nicht helfen, Angel, aber ich habe so das Gefühl, dass dich irgendetwas belastet, kann das sein?“ Angel rollte mit den Augen, lehnte sich nach hinten und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Ich weiß nicht, was du meinst.“, wich sie aus und betrachtete interessiert die Decke über sich. Maya grinste. „Du warst schon immer eine erbärmliche Lügnerin.“ „Na so erbärmlich nun auch wieder nicht.“ „Jetzt bist du es jedenfalls. Komm schon, was ist los?“ „Ach … musst du nicht wissen.“ „Ah ja?“ Angel stützte sich wieder mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab. „Die Polizei hat gestern Mittag die Leiche eines Bauarbeiters gefunden.“ „Du lieber Gott! Gestürzt oder …“ Der Blick, den Angel ihrer besten Freundin zuwarf, sprach Bände. „Nicht gestürzt.“, schlussfolgerte sie. „Von einem Tier angefallen?“ „Ähm … kommt drauf an, wie du das Wort Tier definieren willst.“ „Vampire?“, rief sie geschockt, was Angel alarmiert aufblicken ließ. „Sei doch leise! Das muss ja nun nicht die ganze Schule wissen.“ Maya biss sich auf die Unterlippe und blickte sich rasch verstohlen um. Niemand schien etwas bemerkt zu haben. „Bist du sicher?“ „Wenn sie schreiben, dass die Leiche total zerfetzt, aber kein Tropfen Blut mehr vorhanden war? Was für Beweise brauchst du da noch?“ „Aber …“ Angel seufzte – was Maya klar machte, dass sie Recht behielt. „Du willst wieder jagen gehen.“, stellte sie fest und fuhr sich durch das lange schwarze Haar. Angel kaute auf ihrer Unterlippe. „Ich weiß, dass dir das nicht gefällt, aber …“ „Sind wir nicht gerade deswegen hierher gezogen? Damit wir endlich Ruhe vor diesem Mist haben? Hast du nicht deshalb das Jagen aufgegeben?“ „Maya …“ „Ich hab keine Lust mehr auf diesen Mist. Ständig streunst du Nachts herum, während ich Zuhause hocke und mir Gedanken mache, ob du heil wieder ankommst.“ „Maya, ich versteh dich …“ „Hast du vergessen, dass du gerade deshalb niemanden mehr hast? Hast du vergessen, was diese Viecher mit deiner gesamten Familie gemacht haben?“ „Danke … das war sehr taktvoll!“, fauchte Angel wütend und verschränkte die Arme vor der Brust. „Tut mir leid, wenn es dir nicht gefällt, aber … ich kann es nun einmal nicht ignorieren!“ „Wir wollten das hinter uns lassen.“ „Woher soll ich denn wissen, dass so eine Kleinstadt wie Forks ebenfalls von Vampiren bevölkert ist?“ „Du tust doch sonst immer so allwissend.“ Angel knirschte mit den Zähnen, erwiderte aber nichts. Stattdessen sprang sie auf, griff hastig nach ihrer Packung Zigaretten und ihrem Feuerzeug und stürmte aus der Cafeteria. Auf dem Hof atmete sie in langen Zügen die frische Luft ein, bevor sie sich eine Zigarette zwischen die Lippen schob und sie anzündete. Hastig atmete sie ersten drei Züge ein und stieß den Qualm kurz darauf wieder aus, ehe sie sich gegen die Wand lehnte. Immer wieder dasselbe Streitthema. Sie mochte Maya sehr, fast hatte sie das Gefühl, Maya wäre ihre Zwillingsschwester, so ähnlich waren sie sich. Und doch gab es herbe Unterschiede. Zum einen hatte Angel das große Glück, mit der Kraft eines Gottes gesegnet zu sein – zum anderen schämte sie sich, dass ihre Intelligenz sich nicht mit der Mayas messen konnte, was nicht hieß, dass sie dumm war, doch für gewisse Dinge, die ihre beste Freundin innerhalb von drei Sekunden löste, brauchte Angel eben drei Minuten. Von ihrem Laster – dem Rauchen – ganz zu schweigen. Verstohlen blickte sie über die Schulter hinweg durch das Fenster zum Tisch hinüber, an dem Maya hockte und eine dunkle Haarsträhne um den Finger zwirbelte. Sie hatte das Mädchen von Anfang an gemocht. Schon von der ersten Minute an, war sie von ihr fasziniert gewesen – von ihren langen, dunklen, gelockten Haaren, die ihr anmutig bis zur Taille fielen und von den strahlend grünbraunen Augen, die wie dafür geschaffen waren, Wärme zu verbreiten. Ein wenig betrübt betrachtete sie ihr schwaches Spiegelbild in der Fensterscheibe, ließ ihren Blick über ihr kurzes, kastanienbraunes Haar, das mit blonden Strähnchen durchzogen war, schweifen. Ein Durchschnittstyp, der ihr da entgegenstarrte. Das einzig faszinierende an sich waren ihre Augen – braun, grün umrandet und mit einem leichten, aber unübersehbaren Stich Grau versetzt. Ein Prickeln in ihrem Nacken machte ihr klar, dass sie beobachtet wurde. Langsam nahm sie einen weiteren Zug von der Zigarette und warf einen teilnahmslosen Blick über die Schulter. Ihr Blick blieb an einer Gruppe Jugendlicher hängen, die sie allesamt mit unergründlichen Mienen beobachteten. Angel blies eine Rauchwolke in die Luft und erwiderte den Blick noch ein paar Sekunden lang, bevor sie sich wieder abwandte und überrascht zusammenzuckte, als Maya neben ihr erschien. „Hey … tut mir Leid wegen eben.“ Angel wischte ihre Entschuldigung mit einer lässigen Handbewegung zur Seite. „Lass mal! Eigentlich hast du ja Recht. Ich würde auch liebendgern das einfach hinter mir lassen, aber… ich fürchte fast, dass das nicht so einfach sein wird.“ „Das heißt, wir gehen heute Abend zusammen auf Jagd?“ Angels nächster Zug ging in einen überraschten Husten über. „Wie … wie bitte?“ Maya grinste. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dich allein gehen lasse. Das hab ich früher schon gehasst, jetzt mach ich Ernst.“ „Maya, bei allem Respekt, aber das ist nun wirklich nichts für dich!“ „Ach wirklich? Meine Taktik dürfte ja wohl kaum schlechter sein als deine.“ „Schon möglich, aber Taktik allein wird dich nicht weiterbringen.“ „Sondern?“ „Du kannst einem Vampir nicht nur mit Taktik entgegentreten. Kraft spielt auch eine sehr wichtige Rolle. Was bringt es dir, wenn du in der Lage wärst, seinen Angriff abzublocken, es aber nicht schaffst, weil sein Angriff dich meterweit zurückschleudern wird?“ „Alles eine Frage des Könnens.“ „Das hat nichts mit Können zu tun, Maya! Wenn er will, kann er dir den Arm brechen, indem er dich nur anschubst. Kapierst du?“ „Dann halte ich einfach seine Zeit an.“ Angel rollte mit den Augen und nahm einen weiteren Zug von ihrer Zigarette. „Herr Gott nochmal! Vampire hängen doch bereits in einer Zeitschleife fest. Für sie steht die Zeit bereits still, da sie tot sind und nicht altern können. Daher wirst du ihre Zeit nicht einfach einfrieren können.“ Maya blickte verlegen zur Seite. „Na ja … einen Versuch ist es doch wert.“ „Möglich. Nur dass dieser Versuch dich wahrscheinlich ganz schnell ins Grab bringen könnte.“ Angel blies wieder eine Rauchwolke in die Luft und blickte wieder hinüber zu der Teenagergruppe, die sie immer noch beobachtete. Maya blickte grinsend auf die Zigarette. „Pflegst du wieder mal deinen Lungenkrebs, ja?“ Angel lächelte zurück. „Ich hab immer schon gewusst, dass ich nur auf zweierlei Arten sterben werde. Entweder durch einen Vampir oder durch Lungenkrebs.“ „Bloß keine düsteren Vorhersagen für die Zukunft, was?“, stellte Maya immer noch grinsend fest, schnappte Angel die Zigarette aus der Hand und nahm einen Zug. Angel blickte ihre Freundin mit großen Augen an und schüttelte schließlich schmunzelnd den Kopf, als Maya hustend und spuckend den Rauch ausstieß und ihr die Zigarette reichte. „Dafür bist du einfach nicht geschaffen.“, kicherte Angel und nahm einen weiteren Zug. Automatisch glitt ihr Blick wieder hinüber zu der Bande, die aus zwei Mädchen und drei Jungen bestand. Obwohl jeder von ihnen sich von den anderen unterschied, hatten sie doch einige Gemeinsamkeiten, die sie stutzig machte. Zum einen waren sie von atemberaubender Schönheit, wie sie widerwillig zugeben musste, sie waren blass – sehr blass – und sie schienen einfach … anders zu sein. Maya folgte ihrem Blick. „Wer sind die?“, fragte sie. Angel zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung! Aber ihre Beobachtungsgabe ist beeindruckend. Die haben in den letzten Minuten nicht einmal den Blick von uns abgewandt.“ „Tja … sind sie halt geduldig.“ „Oder zwanghaft an uns interessiert.“ Maya betrachtete die Gruppe mit einem forschenden Blick. „Also ehrlich gesagt … wär es doch gar nicht so schlecht, wenn sich einer von denen für uns interessieren würde, meinst du nicht auch? Der rotblonde Typ sieht doch einfach zum Anbeißen aus, allerdings …“ Maya kniff die Augen zusammen und seufzte schließlich ergeben. „Allerdings ... sollte ich mir keine großen Gedanken darüber machen. Mit Vampiren sollte man sich nicht einlassen.“ Angel grinste. „Schnellcheckerin!“, bemerkte sie anerkennend und verschränkte die Arme vor der Brust, immer darauf bedacht, ihre Zigarette ihrer Kleidung nicht zu nahe kommen zu lassen. „Schade, dass dieses Prachtexemplar so unerreichbar ist.“ „Maya …“ „Schon gut, schon gut.“ Angel nahm einen neuerlichen Zug von ihrer Zigarette und blies, während sie wieder konzentriert zur Vampirgruppe starrte, zwei sanfte Rauchwolken aus. „Ich frag mich allerdings, warum die hier sind? Ich meine … sie scheinen sich ja direkt friedlich zu verhalten. Von einem Massaker hier hab ich jedenfalls noch nichts mitbekommen.“ Ihre Freundin zuckte mit den Schultern. Vielleicht … stehen sie nicht auf Blut?“ „Hast du jemals einen Vampir getroffen, der nicht auf Blut stand?“ „Eigentlich nicht … was aber nichts zu heißen hat, da ich ja schließlich bisher immer Zuhause gelassen wurde, wenn du auf Jagd warst.“ Angel rollte mit den Augen. „Beschwer dich noch.“ Ihr Blick glitt neugierig über das Gesicht jedes einzelnen hinweg, bis sie hustend bei einem Jungen mit blonder, lockiger Löwenmähne hängenblieb, dessen Miene beinah so etwas sie Leid ausdrückte. Maya warf ihr einen fragenden Blick zu. „Alles klar?“ „Siehst du …“ Erneut hustete sie. „Siehst du den Jungen da drüben? Den mit den blonden gelockten Haaren? Würde jedem Löwen Konkurrenz machen? Ein leidender Blick wie bei einem Politiker, der auf eine Diätenerhöhung verzichten muss?“ Maya grinste und hielt Ausschau nach der besagten Person, bis sie ihn problemlos erkannte. „Was ist mit ihm?“ „Hab ich dir eigentlich jemals ein Foto von meiner Verwandtschaft gezeigt?“ „Ich kannte deine Eltern, schon vergessen?“ „Ich rede doch von meiner früheren Verwandtschaft!“, entgegnete Angel, während sie in ihrer linken, hinteren Hosentasche kramte und schließlich ein altes, abgegriffenes und ziemlich schmuddelig wirkendes Foto hervorzauberte. „Sieh mal.“ Maya betrachtete das Bild eingehend und pfiff schließlich durch die Zähne. „Der eine da sieht ja …“ Erneut blickte sie zu der Gruppe hinüber, um sich noch einmal zu vergewissern. Es bestand kein Zweifel. „Woher hast du ein Foto von ihm? Ich seh den Kerl zum ersten Mal.“ Angel runzelte kurz die Stirn und schüttelte den Kopf. „Das ist er nicht.“ „Ist er nicht! Dafür sieht er diesem Kerl auf dem Foto aber erstaunlich ähnlich.“ „Maya, das ist mein Ur-Ur-Urgroßvater, in jungen Jahren versteht sich.“ „Ach wirklich? Hat das einen Grund, dass der Kerl da drüben deinem Großvater so ähnlich sieht?“ „Keine Ahnung …“ Angel dachte einen Augenblick nach. Sie hatte schon eine Idee, verwarf den Gedanken allerdings schnell wieder und steckte das Foto kopfschüttelnd wieder in die Hosentasche. „Ist ja auch egal.“ Maya wollte protestierten, sah aber ihrer Freundin sofort an, dass jeder Protest sinnlos war. Die Zigarette war aufgeraucht und seufzend schmiss sie sie auf den Boden und trat sie aus. „Na komm schon.“, bemerkte sie und zog Maya am Arm zurück in die Cafeteria. Die Blicke der Vampirgruppe folgten ihnen. „Sag mal … hältst du eigentlich Diät? Du hast dein Mittag nicht mal angesehen.“, stellte Maya fest, als sie Angels noch immer volles Tablett sah. Angel zuckte mit den Schultern. „Kein Hunger.“ „Komm schon! Du hast schon nichts gefrühstückt. Selbst eine Jägerin kann ohne Probleme abklappen, wenn sie nichts im Magen hat.“ Angel rollte mit den Augen und klaubte sich den Apfel von ihrem Tablett. Demonstrativ hielt sie ihn Maya vor die Augen und biss hinein. „Zufrieden?“, nuschelte sie mit vollem Mund ging an ihr vorbei zur Tür. Maya kicherte, schnappte sich den zweiten Apfel und folgte ihr. Doch an der Tür blieb sie abrupt stehen und wandte sich um. Ein heftiges Prickeln in ihrem Nacken hielt sie zurück. Es dauerte auch nicht lange und kurz darauf fiel ihr Blick auf die Vampirgruppe, die gerade durch die Tür stolzierte und auf sie zuging. Mayas Blick blieb an einem hochgewachsenen Jungen hängen, dessen Haare anmutig verwuschelt und von rotblonder Farbe waren. Seine Augen glichen flüssigem Gold. Ein angenehmes Kribbeln in ihrer Magengegend machte sie plötzlich bemerkbar, als sein Blick den ihren traf. Maya hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, so sehr begann sie zu zittern. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, nahm rapide zu und schien sich von einer Sekunde auf die andere zu verdoppeln. Und dann – innerhalb von wenigen Augenblicken – war er an ihr vorbei. Ein unnatürliches Gefühl von Kälte blieb zurück, doch sie war sich sicher, dass ihr Zittern keineswegs von dort herrührte. „Maya … kommst du?“ Angels Stimme riss sie unsanft aus ihren trüben Gedanken. Das Zittern versiegte langsam und erschrocken blickte sie ihre Freundin an. „Was?“ Angel runzelte die Stirn. „Alles in Ordnung mit dir?“ „Sicher … wieso fragst du?“ Ratlos zuckte sie mit den Schultern. „Weiß nicht. Vielleicht … weil du gerade guckst, als hätte dich jemand zusammengestaucht?“ Maya blinzelte überrascht. Dass sie gerade wieder in Gedanken versunken gewesen war, war nicht zu übersehen. „Was sagtest du?“ Angel seufzte und tippte ihr gegen die Stirn. „Kann es sein, dass da drin grad was schief läuft? Was ist los?“ Maya räusperte sich kurz. „Entschuldige, aber … diese Vampirbande … ging grad an mir vorbei und …“ „Oh oh oh oh … lass mich mal raten. Das leckere Schnuckelchen von vorhin hat dich mit seinen Blicken förmlich ausgezogen und Zack sind dir die Sicherungen durchgebrannt.“ Maya schnitte eine Grimasse und verpasste Angel einen sanften, aber festen Schlag auf den Hinterkopf. „Spinnerin.“, murmelte sie und ging an ihr vorbei. Angel breitete überrascht die Arme aus und blickte ihr grinsend hinterher. „Heißt das, dass ich Recht hatte?“, rief sie, doch eine Antwort blieb aus. Anmutig und behände schlich er durch das Unterholz. Weder ein Grashalm noch ein Zweig knickte dabei um. Das Blut der Mädchen pulsierte jetzt heftiger denn je … Schläge, die sein Trommelfell erfüllten und ihn berauschten. Der unwiderstehliche Geruch drang ihm in die Nase und machte es ihm schwer, sich zu beherrschen. Es wäre so einfach, die Schule zu stürmen und sich diesen Mädchen zu stellen, sie zu überwältigen, auszusaugen und jeden einzelnen Tropfen Blut mit Sinnlichkeit zu genießen. Doch beinah sofort verwarf er den Gedanken. Zum einen … waren die Cullens da und auch wenn er außergewöhnliche Sinne hatte, hatte er nicht im Mindesten Lust, sich mit einer ganzen Meute anzulegen. Zum anderen gab es immer noch die Regel, an die er sich halten musste, wenn er nicht von den Volturi, dem Vampirclan aus Italien, zur Rechenschaft gezogen werden wollte. Sich zurückhalten und vor den Menschen verbergen, dass es Vampire gab – eine einfache Regel, obwohl er zugeben musste, dass es schon ziemlich schwer war, sich daran zu halten. So musste er eben warten… „Der scheint dir den Kopf aber ganz schön verdreht zu haben, der Schnuckel, was? Was hat er denn gemacht?“ Maya grinste verlegen, als sie an den Vampir dachte, der sie vor ein paar Minuten vollkommen aus der Bahn geworfen hatte. „Er … ist an mir vorbeigegangen und hat mich ... hat mich angesehen.“ Angel sah einen Moment so aus, als würde sie auf weitere Argumente warten, doch die blieben aus. „Wie bitte? Das war alles? Na wenn er dich durch Blicke schon so aus der Fassung bringen kann, dann will ich nicht wissen, was passiert, wenn er dich küsst.“ Maya stoppte und blickte Angel mit der Brust verschränkten Armen an. „Hallo? Vampir?“ „Hallo? Süßer Kerl?“ „Angel, du bist doch diejenige, die Vampire bis aufs Blut hasst. Und da ermutigst du mich, mich an einen Vampir ranzuschmeißen?“ Angel kaute auf ihrer Unterlippe. „Na ja … hast ja Recht. Andererseits … wo die Liebe hinfällt…“ „Was heißt denn hier Liebe?“ „Na hör mal, Maya! Vielleicht bin ich nicht so superschlau wie du, aber blöd bin ich deswegen auch nicht. Da drin …“ Angel trat auf ihre Freundin zu und tippte mit ihrem Zeigefinger auf die Stelle, wo bei Maya das Herz war. „Da drin … scheint es momentan echt zu rumoren.“ „Es war ein Blick … kein Kuss.“ „Umso schlimmer. Ich hab doch gerade gesagt, wenn ein Blick dich schon so aus der Bahn wirft.“ „Er hat mich doch nicht aus der Bahn geworfen!“, entgegnete Maya beharrlich und stolperte weiter. Angel kicherte wieder und folgte ihr. „Natürlich nicht.“, murmelte sie leise und stieß abrupt gegen Maya, als diese plötzlich stehen blieb. „Maya … was ist denn? Sperrstunde? Darfst du den Raum nicht mehr betreten oder was?“ Ungeduldig schob sie ihre Freundin in den Raum und blickte sich nach der Ursache für ihren plötzlichen Stopp um. Eine Sekunde später war der Groschen gefallen. Im gesamten Klassenzimmer waren nur noch zwei Sitzplätze frei. Und einer davon war genau der Platz neben Mayas Vampirschnuckel. „Hi hi, hi hi … Na dann ab mit dir.“, flüsterte sie so leise, dass es nur Maya hören konnte, während sie ihr die Hände ins Kreuz drückte und sie voranschob. Maya stemmte sich gegen sie. „Ich kann mich da nicht hinsetzen.“, knurrte sie leise zurück. „Oh doch … du kannst. Und jetzt …“ Mühelos schob sie Maya weiter und bugsierte sie ohne weiteren Protest neben dem Vampir auf den Platz und setzte sich selbst hinter Maya in die Bankreihe. Das Grinsen auf ihrem Gesicht wurde breiter, als sie bemerkte, wie sich Mayas Nacken sofort rötete. Grinsend blickte sie zur Seite und dann ging alles wahnsinnig schnell. Vor Schreck schrie sie auf, schnappte hastig nach Luft und rutschte rückwärts von ihrem Stuhl, wobei sie noch im Fall nach dem Tischbein griff, um sich festzuhalten. Zu ihrem Entsetzen brach in diesem Moment ihre ganze Kraft durch und das Tischbein wurde aus einer Verankerung gerissen. Während Angel ungebremst mit dem Kopf auf dem Boden aufschlug, kippte der schwere Labortisch nach vorn und hätte ihr Sitznachbar nicht schnell geschaltet, hätte sie sich wahrscheinlich noch irgendetwas gebrochen. So hielt er den Tisch an der Kante fest, während Angel sich rasch aus der Bahn schmuggeln konnte, bevor er selbst aufstand und den Tisch sanft zu Boden gleiten ließ. Stirnrunzelnd blickte er Angel an – Beunruhigung und Verwirrung beherrschten seine Augen. Maya war indes vor Schreck aufgesprungen und neben Angel in die Knie gegangen. „Angel, alles okay, bist du verletzt?“ Angel blinzelte ein paar Mal kurz, atmete ein paar Mal tief durch und setzte sich dann schließlich richtig auf. „Nein … mit mir ist alles in Ordnung. War nur Tollpatschigkeit.“ „Ist ja bei dir nichts Neues.“, bemerkte Maya mit immer noch leicht beunruhigter Stimmung. „Warum hast du denn so geschrieen?“, bohrte sie weiter, doch Angel schüttelte sofort den Kopf. „Später.“ Ihr Blick ruhte noch immer auf ihrem Sitznachbarn – dem vermeintlichen Zwilling ihres Ur-Ur-Urgroßvaters. Kapitel 2: Coming Out --------------------- „Ein kleiner Tollpatsch, wie es aussieht?“, fragte der Vampir, der neben Maya gesessen hatte grinsend, doch Angel entging nicht, dass sein Grinsen keineswegs auf seine Augen abstrahlte. Auch er blickte vorsichtig und beunruhigt drein. Maya half ihrer Freundin inzwischen auf die Beine und nahm ihr hastig das Tischbein, das sie noch immer umklammerte, aus der Hand, um es zu Boden zu schleudern. Mr. Banner kam auf sie zu. Er sah geschockt aus. „Du lieber Himmel, Angel! Ist alles in Ordnung? Hast du dir was getan? Musst du zur Schulkrankenschwester?“ Angel schüttelte rasch den Kopf. „Nein, wirklich nicht.“ „Ganz sicher?“ „Todsicher.“, beharrte sie und stieß Maya kaum merklich in die Seite. Maya keuchte leise. „Ähm … sie sieht doch eigentlich vollkommen in Ordnung aus. Angel …“ Leicht verunsichert blickte Maya ihre Freundin an, ehe sie fortfuhr. „Angel … hat einen Hang zur … Tollpatschigkeit.“ „Genau … ich stolpere halt von einem Fettnäpfchen ins nächste.“ „Komisch … da machst du ja deiner Vorgängerin ganz schön Konkurrenz.“ „Wie bitte?“ „Isabella Swan. Hatte genauso wie du einen Hang zur Tollpatschigkeit. Allerdings …“, sein Blick fiel auf das Tischbein, das Angel ohne Probleme herausgerissen hatte, „solche Sachen hatte sie nicht vollbracht.“ Angel blickte Maya kurz an und runzelte dann fragend die Stirn. „Hatte?“ Mr. Banner war kurz davor zu antworten, doch beinah sofort schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder seinem Pult zu. Maya warf ihrer Freundin noch einmal einen kurzen Blick zu und setzte sich dann wieder an ihren Platz, während Angel und ihr Sitznachbar – Jasper, wie sie kurz darauf erfuhr – provisorisch das Tischbein unter den Tisch klemmten und sich dann vorsichtig an ihre Plätze setzten. Der Rest der Stunde verlief ereignislos, wenn man bedachte, dass Mayas Sitznachbar sie unentwegt anstarrte. Angel runzelte die Stirn und überlegte krampfhaft, was sie davon halten sollte, denn offenbar schien er mehr als nur an ihr interessiert zu sein. Als die Schulklingel die Klasse erlöste, rauschten Jasper und sein Vampirbruder aus dem Zimmer, ohne auch nur einen Mucks von sich zu geben. Maya drehte sich zu ihrer Freundin herum und zuckte mit den Schultern. „Was soll ich denn jetzt davon halten?“ Angel seufzte. „Keine Ahnung. Aber wenn ich ehrlich bin … will ich aus ihm auch gar nicht schlau werden. Weder aus ihm noch aus Jasper.“ „Du kennst seinen Namen?“ „Na ja … da ich ja unseren Tisch ruiniert habe, schien mir das unausweichlich.“ „Und? Angebissen?“ „Hey, nur zu deiner Information! Ich war nicht diejenige, die unentwegt angestarrt wurde, klar?“ „Ja, aber … nicht jeder Junge agiert auf dieselbe Weise.“ „Maya … wir reden hier von…“, rasch blickte Angel sich um, „… von Vampiren.“ „Hmm … und?“ „Willst du … wirklich von einem Vampir begehrt werden?“ „Zumindest kann ich darauf bauen, dass er immer gut aussehen wird.“ „Ha ha ha! Aber mal ehrlich.“ „Also wenn du mich so fragst … ach komm schon, Angel, der Typ ist doch einfach unglaublich süß.“ „Ja … und gefährlich.“ Maya ließ die Schultern hängen. „Ach Mann … immer wieder dasselbe! Entweder sind alle coolen Kerle schwul, vergeben oder …“ „Oder Vampire?“ „Unerreichbar wollte ich eigentlich sagen, aber das kommt ja im gewissen Sinne auf das Gleiche raus.“ Angel nickte und schweigend gingen die beiden nebeneinander her. Angel war tief in Gedanken versunken, während Maya krampfhaft versuchte, den Blick der goldfarbenen Augen aus ihrem Gedächtnis zu streichen. „Warum … stellen wir die eigentlich nicht einfach mal zur Rede?“, fragte Angel plötzlich und blieb stehen. Maya stoppte ebenfalls – allerdings vor Überraschung über Angels Worte. „Du willst dich mit Vampiren einlassen?“ „Wer hat was von Einlassen gesagt? Ich will nur Klarheit darüber haben, was die hier wollen?“ „Ich hab noch nie erlebt, dass ausgerechnet du Klartext mit Vampiren reden willst. Bisher war es dir doch egal, wie sie lebten.“ „Stimmt nicht ganz. Bisher hab ich ganz genau gewusst, wie sie lebten. Aber bei denen hier bin ich mir tatsächlich vollkommen unsicher.“ „Dann lass sie uns doch gleich fragen.“ „Wird bestimmt ein toller Besuch. Kennen sie nicht, fragen aber gleich zu Anfang, ob sie sich von Tofu ernähren. Komm schon, Maya. Lass uns wenigstens warten, bis wir sie ein wenig länger kennen!“ „Hast ja Recht. Was spricht dagegen sie jetzt kennenzulernen?“ „Du kriegst diesen Jungen nicht aus dem Kopf, was?“ Verlegen blickte sie zur Seite. „Na ja … wenn ich ehrlich bin … nein.“ Angel blickte zerknirscht drein. „Maya … das sind Vampire!“ „Ich weiß, aber …“ „Willst du dich wirklich mit Vampiren einlassen?“ „Nein, aber …“ „Dich hat es schwerer erwischt, als du selbst dachtest.“, beendete Angel den Satz für ihre Freundin und nickte ergeben. „Na schön. Da sie ja bisher offensichtlich friedlich aufgetreten sind, denke ich, dass nichts dagegen spricht, wenn wir uns mit ihnen mal zusammensetzen, und zwar jetzt.“ Mayas Augen begannen zu leuchten. „Ist das dein Ernst?“ „Seh ich so aus, als würde ich dich unglücklich machen wollen?“ „Worauf warten wir noch?“ „Worauf? Vielleicht auf die nächste Mittagspause?“ „Die erst morgen wieder sein wird.“, entgegnete Maya düster, packte Angel am Arm und schleifte sie mit sich. „Glaubst du wirklich, dass ich in der Lage bin, so lange darauf zu warten?“ „In Anbetracht der Tatsache, dass du mich gerade wie einen Hund durch den Korridor schleifst, denke ich nicht.“, knurrte Angel und befreite sich von ihr. „Ich komm ja mit, aber lass mir wenigstens die Würde, auf meinen eigenen Beinen zu laufen.“ „Damit du am Ende noch die Schule in ein Trümmerfeld verwandelst?“ „Hey, der Tisch war bestimmt schon mehr als morsch.“ „Angel, der Tisch war aus Metall.“ „Dann war er eben durchgerostet!“ „Wahrscheinlich genauso durchgerostet, wie die Sicherheitstür, die du in unserer alten Schule mühelos aufgebrochen hast.“ Angel blickte verlegen zur Seite. „Ach die … die war doch … die sah doch nur so stabil aus.“ „Sicher!“ Angel wollte noch etwas hinzufügen, verkniff es sich jedoch und stolzierte mit hocherhobenem Kopf an Maya vorbei auf den Ausgang zu, während ihre Freundin ihr kichernd folgte. Am Treppenansatz angekommen blickten sich die beiden Freundinnen um, bis sie die Gruppe von jugendlichen Vampiren entdeckten, die etwas weiter abseits standen und angeregt diskutierten. Angel runzelte die Stirn. Offenbar war ihr Ausrutscher sofort zum Thema Nummer eins geworden, denn Jasper erklärte heftig mit den Armen gestikulierend, während der Rest der Truppe mit finsteren Mienen zuhörte. Angel schluckte. „Glaubst du, die wissen, wer du bist?“, fragte Maya, die offenbar ihre Gedanken gelesen hatte. Ratlos zuckte sie mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber irgendwie … sieht es fast so aus. Sehr glücklichen sehen die jedenfalls nicht aus.“ „Das kann aber auch einen anderen Hintergrund haben.“ „Ah ja? Welchen?“ „Tja … dass du dich ihm nicht gleich an den Hals geworfen hast als Dank dafür, dass er dir praktisch das Leben gerettet hat.“ Angel schnitt eine Grimasse. „Was soll denn jetzt dieser Unsinn? Einen Hang zum Dramatischen scheinst du ja überhaupt nicht zu haben.“ „Hi hi … lieber einen Hang zum Dramatischen als ein Talent zur Tollpatschigkeit.“ „Nett von dir.“ Maya nickte ergeben und blickte wieder hinüber zu der Truppe, die immer noch heftig aufeinander einredete. Mit einem Mal wurde ihr kalt und hastig rieb sie sich die Arme. „Weißt du, ich bin mir grad überhaupt nicht mehr sicher, ob ich mit denen reden will.“ Ihre Freundin nickte zustimmend. „Wenn ich es mir Recht überlege, verspür ich auch nicht grad das heftige Verlangen, denen entgegenzutreten, wenn sie so drauf sind.“ „Lass uns das auf ein anderes Mal verschieben, okay?“ „Ganz deiner Meinung.“ Doch noch bevor sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzen konnten, blickte der blonde Jasper plötzlich auf und zu ihnen hinüber. Einen Moment zögerte er und winkte sie dann schließlich zu sich. Wie abgesprochen weiteten sich die Augen der beiden sofort und hastig blickten sie hinter sich, um sich zu vergewissern, dass nicht irgendjemand hinter ihnen gemeint war. Zu ihrer Enttäuschung war der Flur hinter ihnen wie leer gefegt. Unsicher warfen sie sich einen Blick zu. „Hast du Lust, seinem Wink zu folgen?“, murmelte Maya, ohne dabei die Lippen zu bewegen. Angel schüttelte kaum merklich den Kopf. „Nicht wirklich.“ „Wie glaubst du, stehen unsere Chancen, dass wir vor ihnen wegrennen können?“ Angel schnaubte. „Unter Null Komma Null.“ Maya verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte den Blick des blonden Vampirs. „Andererseits … meinst du wirklich, dass sie es darauf anlegen würden, auf offener Straße einen Kampf zu provozieren?“, bemerkte sie, während ihr Blick kurz über den Hof huschte. Bis jetzt waren sie noch nicht vollkommen allein. Einige Schüler hatten sich zerstreut und führten noch kurze Gespräche mit Freunden. Angel seufzte. „Gutes Argument. Also schön! Den Mutigen gehört die Welt, stimmt’s?“ Maya grinste. „Nicht nur den Mutigen. Die Törichten machen ihnen da ganz schön Konkurrenz.“, erwiderte sie mit einer deutlichen Spur Sarkasmus in der Stimme. Angel verdrehte die Augen. „Ehrlich, Maya! Du solltest mal einen Kurs besuchen, in dem du lernst, jemandem Mut zu machen. Darin bist du nämlich unübertroffen mies.“ Maya tat geschockt. „Ich? Ich bin nur realistisch.“ „Nein, du bist pessimistisch.“ Ein flüchtiges Grinsen legte sich auf ihre Gesichtszüge. „Na ja … irgendwo ist das ja schon dasselbe, oder?“ „Also komm schon!“, stöhnte Angel, als Jasper ein weiteres Mal winkte – diesmal energischer und mit unverhohlen düsterer Miene. Ineinander verhakt stolperten sie die Stufen hinunter und steuerten die Vampirgang an. Ihre Bewegungen waren vorsichtig und machten deutlich, dass sie auf alles vorbereitet waren. Da der Abstand nicht besonders groß war, hatten sie die Teenagerbande bereits nach ein paar Schritten erreicht und blieben – trotz allem immer noch ein wenig auf Abstand – stehen. „Schön, dass ihr gekommen seid.“, säuselte das dunkelhaarige Mädchen mit einer angenehmen Singsangstimme. Angel zuckte mit den Schultern. „Erstens hatten wir ja wohl kaum eine andere Wahl und zweitens: Warum hätten wir nicht kommen sollen?“ „Richtig! Ich meine, Vampire auf dem Schulhof zu treffen, ist doch bereits so etwas wie Tagesordnung bei uns.“, fügte Maya hinzu, senkte allerdings die Stimme soweit, dass sie sicher sein konnte, dass sie niemand außer den Vampiren hören konnte. Angel war überrascht, dass ihre Gegenüber von der Nachricht, dass sie wussten, was sie waren, keineswegs aus der Fassung gebracht worden waren. „Ihr wisst also, was wir sind? Dürfen wir auch wissen, woher?“ Angel warf einen flüchtigen Blick zu Maya, auf deren Wangen sich ein zartes Rot gebildet hatte, als ihr heimlicher Traummann (-vampir) sie ansprach. Kaum merklich knuffte sie ihr in die Seite, um sie zum Antworten zu bringen. „Tja … ähm … wir …“ Maya verlor sich in dem Goldglanz seiner Augen, der sich sanft in ihren Kopf bohrte und jedes Denken erschwerte. Angel seufzte und stieß ihre Freundin diesmal etwas heftiger an. „Krieg dich wieder ein.“, zischte sie, was Maya noch röter werden ließ. Schließlich schüttelte sie den Kopf und antwortete: „Was Maya sagen wollte, ist, dass wir ziemlich gut über Vampire Bescheid wissen.“ „Und damit meinen wir nicht den üblichen Quatsch, der in Büchern steht, sondern … wir wissen über die wahren Vampire Bescheid.“ Jasper warf seinen Freunden einen Blick zu. „Was genau wisst ihr?“ Maya lächelte überlegen. „Soll’n wir euch jetzt über euch selbst aufklären? Ich meine, ihr wisst nicht, dass ihr in der Sonne zu strahlen beginnt, als wärt ihr aus Diamanten? Ihr wisst nicht, dass ihr schneller als der Schall seid, Bäume ausreißen könnt, Menschen durch ein spezielles Gift verwandelt und nicht – wie immer behauptet – durch eine Art Saugorgie? Enttäuschend, meint ihr nicht auch?“ Angel blickte Maya überrascht an. Der Ton, den sie angeschlagen hatte, troff nur so vor Sarkasmus und leichter Eitelkeit. Noch nie hatte sie sie so sprechen gehört, schon gar nicht wenn man bedachte, dass sie ein paar Wesen gegenüberstand, die ihre Knochen ohne Probleme zu Mehl verarbeiten konnten. Offenbar war sie nicht die Einzige, die so dachte, denn auch der Rest der Truppe blickte leicht überrascht drein – was vielleicht auch daran liegen konnte, dass Maya so viel über sie wusste. „Tja … wie ihr … wie ihr seht, wissen wir ziemlich genau über euch Bescheid, auch wenn …“, leicht verärgert blickte Angel Maya an, bevor sie fortfuhr, „auch wenn es vielleicht nicht so clever war, es auf diese Art und Weise zu offenbaren.“, knurrte sie. „Oh mach dir keine Sorgen! Wir tun euch schon nichts.“ „Wer’s glaubt.“, brummte Angel leise. „Das ist mein Ernst. Wir tun euch garantiert nichts. Weil wir uns nicht von Menschen…“ „Lass mal gut sein! Diese Märchen hab ich schon zu oft gehört.“ „Na schön, wenn du es nicht hören willst, bitte!“, fauchte der rotblonde Vampir und seine Augenbrauen zogen sich gefährlich zusammen. „Aber mal zu einer Sache, die wir gern hören wollen!“ Angels Magen zog sich abrupt zusammen und unsicher blickte sie zu Maya hinüber. „Wie konntest du das Tischbein eines Metalltisches ohne Probleme aus seiner Verankerung reißen?“, frage Jasper anstelle seines Freundes und erwartungsvoll blickten die anderen die beiden Mädchen an. Angel schluckte kaum merklich. Vor den Augen von hungrigen Vampiren zu beichten, dass sie normalerweise diese Wesen jagte, war ihres Erachtens nicht gerade das, was sie sich vorgestellt hatte. „Also?“ „Also…“, begann sie, doch die hilfreichen Worte blieben aus. Selbst Maya war sich nicht sicher, wie sie das erklären sollte. „Soll ich ein wenig auf die Sprünge helfen?“, fragte der Rotblonde, was Angel stutzig machte. „Was soll das denn jetzt heißen? Wer bist du eigentlich?“ „Ich dachte, das weißt du.“ Wie auf Kommando knurrten Maya und Angel frustriert und blickten sich kurz überrascht an, ehe Maya fortfuhr. „Ich glaube, was Angel meinte, ist … habt ihr eigentlich auch Namen? Dass du Jasper bist, ist uns mittlerweile klar, aber …“ Jasper grinste und warf seinem Freund über die Schulter hinweg einen kurzen Blick zu. Dieser nickte. „Na schön! Also das sind Rosalie, Emmett, Alice, Jasper kennt ihr bereits, und ich bin Edward.“, erklärte er und deutete nacheinander auf die besagten Personen. Angel nickte. „Das bringt uns doch weiter.“ „Nein, tut es nicht. Denn unsere Frage ist damit nicht beantwortet!“ „Äh … Frage?“ Edwards Augen blitzten. „Wer bist du? Wer seid ihr?“ „Schülerinnen?“, rief Angel angriffslustig, was Maya erschrocken dreinblicken ließ. „Angel, bitte! Provoziere sie doch nicht noch zusätzlich!“ „Warum denn nicht?“, knurrte Angel mit geballten Fäusten. „Er weiß doch sowieso, wer wir sind. Sonst hätte er doch seine Klappe nicht so weit aufgerissen.“ Mayas Augen schwollen auf ihre doppelte Größe an und rasch packte sie Angel am Arm. „Hör endlich auf!“, zischte sie. „Du bringst uns noch ins Grab!“ Angel sah aus, als wäre sie kurz davor, noch einen drauf zu setzen, doch schließlich beherrschte sie sich und seufzte. „In Ordnung. Ich halt mich zurück.“ Edward verschränkte die Arme vor der Brust und blickte sie erwartungsvoll an. „Dann kannst du dich ja endlich aussprechen, oder?“ Hinter ihm knurrte Emmett leise. „Kannst du uns jetzt nicht einfach sagen, womit wir es hier zu tun haben? Wenn sie es uns nicht sagen will, dann …“ „Hör auf deinen Bruder, Edward!“, rief Angel mit einem süffisanten Grinsen, was ihr sofort einen schmerzhaften Stoß von Maya in die Rippen einbrachte. „Hörst du endlich damit auf? Ich wollte diesen Tag eigentlich noch überleben.“ Angel verdrehte die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust, während Edward über seine Schulter hinweg Emmett anstarrte. „Wir haben es hier mit einer Jägerin zu tun. Einer Jägerin und ihrer treuen Komplizin.“ Mayas Augen blitzten gefährlich. „Vorsicht, Freundchen! Ich bin nicht so harmlos, wie ich aussehe!“, fauchte sie und ließ von Angel ab, die Maya grinsend anblickte „Jetzt solltest du dich lieber zurückhalten.“ „Eine Jägerin …“ Nicht nur Emmetts Augen verdüsterten sich. Auch Rosalie und Jasper blickten keineswegs erfreut drein. Einzig Alice machte noch immer einen aufgeschlossenen Eindruck. „Macht euch doch keine Sorgen! Ich bin sicher, dass weder Angel noch Maya uns irgendetwas tun werden.“, säuselte sie mit ihrer angenehmen Stimme, die wie ein zarter Windhauch um sie herumwehte. Maya und Angel blickten sich verwirrt an, bevor sie sich an Alice wandten. „Woher kennst du unsere Namen?“, fragte Maya verwundert, was Alice hell auflachen ließ. „Oh, das ist nicht schwer. Erstens wurdet ihr uns bereits in den Kursen vorgestellt und zweitens dürfte das kein Problem für jemanden sein, der ab und an einen Blick in die Zukunft werfen kann.“ Nicht nur Maya stutzte. Selbst Angel wirkte überrascht. „Du kannst in die Zukunft gucken?“, fragte sie und blickte Maya geschockt von der Seite an. Diese hatte allerdings den Kopf zur Seite gelegt und starrte einen Moment perplex drein, bevor sie fragte: „Kriegt Johnny Depp irgendwann mal einen Oscar?“ Für eine Sekunde herrschte verblüfftes Schweigen, bis Angel und Maya gleichzeitig losprusteten und zu ihrer Überraschung nicht einmal Emmett und Alice sich zurückhalten konnten. „Maya … du … bist ein Original, ehrlich! Dir beichtet ein Vampir, dass er imstande ist, in die Zukunft zu gucken und das Erste, was dir dazu einfällt, ist, ob Johnny Depp einen Oscar bekommt?“, kicherte Angel, während sie sich ein paar Tränen aus dem Gesicht wischte. Maya zuckte mit den Schultern. „Na und? Das ist das Erste, was mir eingefallen ist. Und außerdem warte ich schon seit Jahren darauf, dass er endlich mal Glück hat.“, verteidigte sie sich, verstummte aber sofort, als sie Edwards noch immer finsteren Blick bemerkte. „Warum seid ihr hier?“, fragte er – offenbar immer noch nicht begeistert von ihrem Auftauchen. „Wie, warum sind wir hier?“, fragte Angel verwirrt und stemmte die Hände in die Hüften. „Seid ihr unseretwegen hier?“ Angel kniff die Augen zusammen. „Okay, du magst dich ja für den Nabel der Welt halten …“ „Nicht nur er.“, murmelte Maya neben ihr so leise, dass es unmöglich jemand anderes außer Angel hören konnte. Genervt atmete sie tief durch und fuhr fort: „Aber andere sehen das ein wenig anders. Wir wussten nicht einmal, dass in Forks überhaupt Vampire existieren.“ „Ihr seid also nicht wegen uns hier?“ „Warum sollten wir? Solange ihr euch friedlich verhaltet?“ „Wir sind Vegetarier und ernähren uns ausschließlich von Tierblut.“ Maya runzelt die Stirn. „Hat bestimmt irgendwo seine Logik.“ Ein verführerisches Lächeln war die Antwort und augenblicklich spürte Maya, wie ihre Knie weich wurden. Ein leises Seufzen entrang sich ihrer Kehle. „Na schön … wenn das so ist … dann kommen wir uns ja hoffentlich nicht in die Quere. Ihr haltet euch von den Menschen hier fern und wir halten uns von euch fern, gebongt?“ Edward kniff kurz die Augen zusammen, streckte dann allerdings die Hand aus, die Angel nach kurzem Zögern ergriff. Erschrocken schnappte sie nach Luft, als die Kälte seiner Hand auf sie abfärbte. Rasch entzog sie sich ihm und blickte ihn fest an. „Okay … genug der Höflichkeiten. Man sieht sich.“ Damit wandte sie sich ab und ging. Auf halbem Weg blieb sie jedoch stehen, kehrte um und zog Maya, die komplett von Edwards Blick gefangen war, mit sich. „Komm schon … flirten kannst du beim nächsten Wiedersehen.“ Maya grinste begeisterte. „Ehrlich?“ „Ehrlich! Aber nicht in meiner Gegenwart, sonst übergebe ich mich nämlich.“ „Na dann ab nach Hause, ich komme nach.“ „Hast du getrunken?“ „Ich bin berauscht von ihm!“, säuselte sie verträumt, was Angel kichern ließ. „Ja, ganz offensichtlich. Und gerade deshalb lass ich dich ganz bestimmt nicht in diesem Zustand auf die Menschen los. Also komm! Wir müssen uns noch um diesen blöden Vampir kümmern, der sich an diesem Bauarbeiter vergriffen hat.“ „Das ist es doch!“ „Was ist es doch?“ Maya entwand sich Angels Griff und packte sie bei den Schultern. „Vielleicht können Edward und seine Freunde uns helfen!“ Angel blickte sie verstört an. „Du hast wirklich getrunken.“ „Quatsch! Aber überleg doch mal. Ich meine, offensichtlich liegt ihnen viel daran, nicht aufzufliegen … was ich auch verstehen kann.“ „Und?“ „Na sie werden wohl kaum zulassen, dass irgendein dahergelaufener Vampir, der sich nicht beherrschen kann, ihnen die Suppe versalzt.“ „Du glaubst, dass sie ihn ebenfalls jagen werden?“ „Vielleicht können sie uns ja helfen! Vielleicht können sie uns die Arbeit ja auch abnehmen.“ „Maya, wenn ich eines in den letzten Jahren, in denen ich ständig auf Jagd war, gelernt hab, dann ist es, dass ich keinem Vampir trauen kann.“ Kapitel 3: Angriff ------------------ „Komm schon, Angel! Man muss auch mal lernen, über seinen Schatten zu springen! Noch nie was davon gehört?“ „Maya, ich hab mich oft genug mit diesen Viechern herumgeschlagen, um für den Rest meines und deines Lebens die Schnauze voll von ihnen zu haben.“ „Aber wenn sie uns helfen können?“ „Dann sollen sie ihr Ding durchziehen. Ich werd heute Nacht auf Jagd gehen und wenn sie mir zuvorkommen umso besser. Hab ich halt ein paar Blessuren weniger, um die ich mich dann kümmern muss.“ Maya seufzte. „Den Starrsinn scheinst du von deinem Vater zu haben.“ Angel schnitt eine Grimasse und stapfte weiter. Maya warf indes noch einen traurigen Blick auf Edward und folgte ihr dann widerstrebend. Er war stolz auf sich. Sehr stolz. Um ihn herum herrschte tiefste Dunkelheit und nur vereinzelt nahm er in weiter Entfernung den Schrei eines Kauzes wahr. Er hatte es tatsächlich geschafft, sich bis zum Einbruch der Dunkelheit zurückzuhalten, hatte es geschafft, sich von ihnen fernzuhalten, um mitten in der Nacht zuzuschlagen. Tief geduckt und in Lauerstellung hockte er hinter einem Busch und beobachtete mit wilder Miene das Mädchen, das sich zielstrebig und trotz allem vorsichtig durch die Büsche schlug. Nicht mehr lange und sie wäre sein. „Ich fass es einfach nicht, dass sie tatsächlich von mir verlangt hat, dass ich mich mit Vampiren anfreunde, das ist doch …“ Grummelnd schleuderte sie einen dicken Ast zur Seite, stemmte die Hände in die Hüften und blickte sich um. Finsternis – nicht einmal die Hand war vor Augen zu sehen. „Ich hasse Wälder.“ Mit einem dumpfen Laut krachte sie gegen einen tiefhängenden Ast, den sie kurz darauf wütend zur Seite schlug und sich die Stirn rieb. „Ich hasse Wälder bei Nacht.“ Mit noch schlechterer Stimmung marschierte sie weiter – immer darauf gefasst, ihrem Gegner zu begegnen. Doch ihre Konzentration ließ mit jedem Schritt nach. Ihre Gedanken schweiften ab zu Maya, zu Edward, Jasper, der ganzen Vampirmeute und zum wahrscheinlich hundertsten Mal fragte sie sich, wie es möglich war, dass sich Vampire friedlich verhalten konnten. Das laute Knacken eines Zweiges riss sie aus ihren Überlegungen. Sofort blieb sie stehen und sah sich um. Nichts war zu erkennen. „Na ja … Einbildung ist ja bekanntlich auch eine Bildung.“, murmelte sie nach einer Weile und ging weiter. Doch das Gefühl, beobachtet zu werden, versiegte nicht. Ein unangenehmes Kribbeln erfüllte ihren Körper. Hier war jemand, da war sie sich sicher. Und dann packte sie jemand von hinten. Edward bemerkte Alice Apartheit als Erster und ging rasch neben ihr in die Hocke. „Was siehst du?“ Alice Augen waren völlig ausdruckslos und starrten in die Ferne. Doch ihre Stimme war klar. „Er lauert ihnen auf. Im Wald.“ „Wer?“ „Der Vampir, der den Bauarbeiter getötet hat.“ „Wo genau sind sie?“ Alice blinzelte ein paar Mal. „Ich kann die Stelle nicht genau erkennen.“ „Die ungefähre Richtung?“ „Nicht … nicht weit von der Grenze entfernt.“ Edward zögerte keine Sekunde länger. So schnell, dass man ihn nur noch als Schemen erkannte, hastete er davon, um Carlisle und Esme Bescheid zu geben. „Himmel noch mal, Maya! Mach das nie wieder oder ich schwör dir, du bist das nächste Mal einen Kopf kleiner!“, fauchte Angel, deren Brust sich vor Aufregung hob und senkte. Maya stand vor ihr mit einem breiten Grinsen im Gesicht und wippte auf ihren Fußballen vor und zurück. „Überraschung.“ „Ja, und das im wahrsten Sinne des Wortes.“, stieß Angel keuchend hervor und stützte sich auf ihren Knien ab. „Hab ich dich erschreckt?“ „Nicht doch! Ich hab doch drauf gewartet, dass sich jemand von hinten an mich heranschleicht.“ „Ich hab dich also doch erschreckt.“ Angel funkelte ihre Freundin an. „Das kriegst du wieder, das schwör ich dir!“ „Sicher. Ich schreib’s auf die Liste mit den anderen leeren Versprechungen, die du mir schon gegeben hast.“ Angel verdrehte die Augen und verschränkte schließlich die Arme vor der Brust. „Was tust du hier?“ „Hab ich dir doch gesagt! Ich helfe dir!“, antwortete Maya und stemmte erwartungsvoll die Hände in die Hüften. „Also … was soll ich machen?“ „Am besten die Klappe halten, dich da hinsetzen und mir nicht im Weg herumstehen.“ Maya blickte Angel beleidigt an. „Komm schon, Angel! Du kannst doch bestimmt Hilfe brauchen.“ „Das ist aber kein Spiel! Du scheinst keine Ahnung zu haben, wie gefährlich das ist.“ „Doch, hab ich! Ich kenn dich schließlich lange genug.“ „Maya, bitte! Die Sache wird nur gefährlicher, wenn ich noch jemanden um mich herum habe, auf den ich aufpassen muss.“ „Musst du doch gar nicht.“, entgegnete Maya und zuckte erschrocken zusammen, als der Schrille Schrei eines Waldkauzes die Stille um sie herum zerschnitt. Angel blickte sie vielsagend an. „Hey, das hätte jeden erschreckt!“, verteidigte sich das Mädchen rasch. „Sicherlich.“ Verlegen blickten sie sich eine Weile an, bis Maya schließlich das Wort ergriff. Ihre Stimme klang verunsichert. „Meinst du, dass er wirklich so gefährlich ist?“ Eine Frage, die Angel nur mit einem Schulterzucken beantworten konnte. „Aber … warum willst du dann nicht, dass ich dir helfe?“ Angel seufzte. „Weil du nicht die geringste Chance hättest, dich gegen einen Vampir zu wehren.“ „Aber warum kann ich nicht einfach seine Zeit einfrieren? So wehrlos bin ich doch gar nicht.“ „Ich hab dir doch bereits erklärt, dass ein Vampir bereits in einer Zeitschleife hängt. Du kannst ihn nicht einfrieren.“ „Aber ich kann kämpfen.“ „Nur fehlt dir die nötige Kraft!“ „Glaubst du wirklich, dass es darauf ankommt?“ „Eine Verteidigung ist nur dann sinnvoll, wenn sie einem Angriff standhält und das wäre bei dir nicht der Fall. Du könntest einen Angriff nicht so einfach abblocken, weil er dir ohne Probleme die Arme zertrümmern würde.“ „Gut … wenn das so ist! Dann lenke ich ihn halt ab, während du den Rest erledigst.“ „Du willst dich zum Lockvogel machen?“ „Warum nicht?“ „Kommt gar nicht in Frage! Ich werde meine beste Freundin garantiert nicht irgendeinem unbeherrschten Vampir vor die Nase setzen.“ „Aber ich will helfen.“ Angel blickte ihre Freundin traurig an und senkte schließlich ergeben den Blick. „Halt einfach die Augen offen, okay? Ich werd auf dich aufpassen.“ Maya lächelte erleichtert und schob die Hände in die Hosentaschen ihrer ausgeblichenen Jeans, während sie sich aufmerksam umsah. „Worauf muss ich denn achten?“ „Sei mal kreativ.“ „Ich denke, das Wahrscheinlichste wäre absolute Stille. Irgendwelche Atemgeräusche.“ Angel blickte sie stirnrunzelnd an. „Atemgeräusche?“ „Stimmt … Blödsinn. Dann eben knackende Zweige.“ „Nur, wenn wir sehr viel Glück und es mit einem blutigen Anfänger zu tun haben.“ Maya grinste breit, was Angel verdutzt zur Kenntnis nahm, während sie sich durch das Haar fuhr. „Was ist?“ „Haha … blutiger Anfänger? Der war nicht schlecht!“ Angel wollte gerade etwas entgegnen, als ein Schlag wie von einer Lokomotive sie zur Seite schleuderte und gegen einen nahegelegenen Baum krachen ließ. Maya schrie. Seine Hände begannen zu zittern. Er konnte es sehen … konnte das Blut unter ihrer Haut pulsieren sehen, konnte sehen, wie es seine Bahnen durch ihren Körper zog, angespornt durch das kräftige Schlagen ihres Herzens. Der erregende Duft durchströmte ihn und nach und nach verabschiedete sich seine Selbstbeherrschung. Der Drang, sich auf die beiden zu stürzen, nahm immer mehr zu, genauso wie sein Durst nach frischem Blut. Seine Finger verkrampften sich, bohrten sich in die Erde, um ihn davon abzuhalten, sich auf die beiden zu stürzen. Und dann fuhr sie sich durch das Haar und vergessen war seine Selbstbeherrschung. Mit der Schnelligkeit eines ICE raste er auf die beiden zu. „Er greift an!“, rief Alice und augenblicklich blieb Edward stehen. Sein Blick verriet Besorgnis aber auch Wut. „Kannst du noch immer nicht sehen, wo genau sie sind?“ „Ich kann nicht so viel erkennen.“ Neben Edward ballte Emmett die Hände zu Fäusten. „Dann teilen wir uns auf.“ „Oder wir rufen die … Werwölfe zu Hilfe.“, schlug Alice vorsichtig vor – ein Vorschlag, der ihr einen finsteren Blick von Edward und Jasper einbrachte. Selbst Rosalie blickte nicht begeistert drein – was ihnen auch niemand verübeln konnte. „Das ist unser Gebiet und da haben die nichts zu suchen. Wir schaffen das schon allein – wenn wir ihrem Geruch folgen.“ „Dazu müsstest du ihre Fährte erst einmal aufnehmen!“, schnappte Alice mit blitzenden Augen. Ein tiefes, drohendes Knurren entfuhr seiner Kehle und eine Sekunde später legte sich eine warme Decke der Beruhigung über sie, als Jasper seine Kraft nutzte, um die Spannung zu mildern. Edward blickte ihn wütend an, doch sein Blick wurde durch die Auswirkungen seiner Gabe milder als beabsichtigt. „Hör auf damit! Wir haben Wichtigeres zu tun.“ „So? Zeit zum Streiten haben wir aber schon oder was?“, entgegnete der blonde Vampir angriffslustig und wandte sich sofort wieder ab. Seine Augen waren geschlossen und mit hochkonzentrierter Miene lauschte er. Mayas Schrei verebbte, als der Vampir sie mit einem einzigen Schlag zu Boden schleuderte. Reflexartig versuchte sie, sich mit dem Arm abzustützen, doch der Schlag hatte so viel Schwung verursacht, dass sie nicht die Kraft hatte, ihren Sturz abzufangen und unter der Last ihres Körpers einknickte. Ihr Kopf krachte ungebremst auf den Erdboden und sofort breitete sich dichter Nebel vor ihren Augen aus. Nur undeutlich nahm sie wahr, wie sich neben ihr jemand bewegte, sich zu ihr herabbeugte und ihren Nacken packte. Doch das drohende Knurren aus dessen Kehle vernahm sie deutlich. Verzweifelt und panisch tastete sie nach irgendetwas, was sie dem Vampir an den Kopf schleudern konnte und fand einen zackigen Stein, den sie, ohne weiter zu überlegen, gegen seine linke Schläfe schleuderte. Sie hatte Glück und rammte ihm die schärfste Seite des Steines in den Schädel, was ihn laut aufbrüllen ließ. Schreiend vor Wut entließ er sie aus seinem Griff und bäumte sich auf, während Maya sich hastig aufrappelte und in die entgegensetzte Richtung lief. Doch zu ihrem Entsetzen schien ihren Gegner die Verletzung weniger zu behindern als es zunächst den Anschein hatte, denn urplötzlich stand er vor ihr. Sein rechter Arm schoss vor und erwischte sie an der rechten Seite. Mayas Kopf wurde zur Seite geschleudert und hart prallte sie wieder auf den Boden. Ein widerlicher salziger Geschmack erfüllte ihren Mund. Sie hatte sich auf die Zunge gebissen. Wie erstarrt blickte sie panisch zu dem Vampir empor. Der Geruch des Blutes drang ihm in die Nase und ließ ihn zittern. Verzweifelt robbte sie ein wenig von ihm weg, doch er packte ihr Fußgelenk und hielt sie fest. Seine feuerroten Augen bohrten sich in ihre, als er sich ihrem Gesicht näherte. Panisch versuchte sie immer wieder, seine Zeit einzufrieren und gab frustriert auf, als es misslang. Gierig bleckte er die Zähne und schlug zu. Maya kniff die Augen fest zusammen und wartete. Doch zu ihrer Überraschung geschah nichts. Nach ein paar Sekunden wagte sie es und öffnete ihre Augen einen spaltbreit. Vor ihr stand Angel, einen gewaltigen Ast in den Händen, mit dem sie den Vampir zur Seite geschleudert hatte. Über ihre rechte Schläfe zog sich eine blutige Linie und auch ihr Atem schien keuchend zu gehen. „Lauf, Maya!“ Maya rührte sich nicht, was Angel mit zusammengebissenen Zähnen registrierte. Rasch warf sie einen Blick zu ihrem Gegner hinüber, der offenbar weiter geflogen war als gedacht. Dann zog sie Maya am Arm auf die Beine und schubste sie weiter. „Verschwinde endlich! Wir müssen weg von hier.“ Unbeholfen stolperte sie los, um fünf Meter weiter auf einer regennassen Wurzel auszugleiten. Mit einem dumpfen Aufprall schlug ihr Kopf gegen einen Stein. Maya sah die Sterne vor ihren Augen tanzen und musste hart kämpfen, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Mit sowohl besorgter als auch gehetzter Miene beugte sich Angel über ihre Freundin und zog sie an den Schultern auf die Beine. „Mach jetzt nicht schlapp, Maya! Wenn du …“ Angel hatte das Gefühl, ein Stahlbolzen hätte sich in ihren Rücken gebohrt. Mayas Schultern entglitten ihrem Griff und mit rasender Geschwindigkeit wurde sie gegen den nächsten Baumstamm gepresst. Angel biss die Zähne zusammen, atmete kurz tief ein und ließ dann ihren Ellenbogen nach hinten schnellen. Sie konnte fühlen, wie seine Knochen brachen und er zurücktaumelte. Zu ihrer Bestürzung wirkte er überrascht und verärgert – nicht kampfunfähig. Verzweifelt blickte Angel sich um, fand jedoch keinen Ausweg. Das helle Licht des Mondes erhellte jetzt die Lichtung und zum ersten Mal konnte sie ihren Angreifer genau erkennen. Er war hochgewachsen, vermutlich kratzte er bereits an der 2m-Marke. Seine Augen waren von einem feurigen rot und lenkten somit von seinem kantigen Gesicht ab, das mit mehreren halbmondförmigen Narben übersäht war. Seine Haare waren von einem tiefen dunklen Schwarz und fielen ihm in fettigen Strähnen um die Schultern. Seine gesamte Statur machte den Eindruck, dass sie es mit einem früheren Boxer zu tun hatte. Keine guten Voraussetzungen. Ehe sie in irgendeiner Weise reagieren konnte, hatte er sich erneut auf sie gestürzt und presste sie fest auf den Boden. Angel schrie auf, als sich eine Baumwurzel in ihr Rückgrat bohrte und ihr jede Möglichkeit der Wehr nahm. „Sieh an, Jägerin! Begegnen wir uns endlich.“ Angel zitterte. Seine Stimme war rau und doch auf eine eigenartige Weise samtig. Er sprach, als hätte er Jahre darauf gewartet, sie endlich zu treffen. „Es hat eine Weile gedauert, bis ich dich endlich gefunden hab, aber es hat sich gelohnt. Und ich bin wahrlich beeindruckt, dass du es geschafft hast, mir so lang zu entkommen.“ „Entkommen? Wenn ich ehrlich bin, hab ich noch nicht einmal bemerkt, dass ich einen Stalker am Hals habe.“ „Vielleicht sollte ich bemerken, dass meine lange Suche nicht darauf zurückzuführen ist, dass du so clever im Versteckspielen warst. Aber ich will dich nicht mit Einzelheiten langweilen. Mich interessiert vielmehr …“ Seine rechte Hand drückte plötzlich ihren Brustkorb ein und eine Sekunde später konnte Angel haargenau fühlen, wie jede einzelne Rippe unter dem Druck seiner Hand brach. Angel schrie auf, schrie so laut, dass er tatsächlich eine Sekunde lang zögerte, doch auf seinen Lippen zeichnete sich ein Lächeln ab. „Ich hätte gedacht, dass du stärker bist. Aber du zerbrichst genauso leicht wie deine Mitmenschen. Und du erträgst es genauso wenig wie sie, Schmerzen zu haben. Ein Schwächling … das bist du. Nichts weiter. Und dabei haben meine Freunde im Norden einen solchen Respekt vor dir. Völlig unberechtigt.“ Angel biss sich heftig auf die Zunge, um nicht weiter zu schreien. Diese Genugtuung würde sie ihm nicht verschaffen. Stattdessen spannte sie noch einmal sämtliche Kraft an, die sie aufbringen konnte, zog mit einem schmerzhaften Keuchen ihre Beine ein und schleuderte ihn mit einem kräftigen Tritt von sich. Keuchend drehte sie sich zur Seite, die Arme um den schmerzenden Oberkörper geschlungen. Zitternd versuchte sie sich aufzusetzen, doch die gebrochenen Rippen machten ihr einen Strich durch die Rechnung. Stöhnend sank sie wieder zu Boden und blieb liegen. Alles in ihr verkrampfte sich und krampfhaft schnappte sie nach Luft. Neben ihr erschien Maya, die sich nach ihrem Angreifer umschaute, während sie Angel bei den Schultern ergriff und ihr aufhalf. Nur eine Sekunde der Unachtsamkeit und plötzlich stand er neben ihr. Mit unglaublicher Schnelligkeit packte er sie im Genick und schleuderte sie zur Seite. Ein ekelerregendes Knacken zerschnitt die Luft als Mayas rechter Arm brach. Wie betäubt sank sie zu Boden und blickte geschockt auf den Vampir, der sie gierig beobachtete. Der Schock, der nach ihr Griff, ließ sie den Schmerz vergessen, der sich rasenschnell ausbreitete. Hilflos musste sie dabei zusehen, wie er sich wieder Angel zuwandte, die sich gegen den Baum gelehnt hatte und sich noch immer die zerschmetterten Rippen hielt. Diesmal würde sie keine Chance haben, ihm so einfach zu entkommen, das war Maya klar. Und mit gebrochenem Arm war sie keine große Hilfe. Tränen der Verzweiflung flossen ihre Wangen hinab, als sie sich hilfesuchend umsah. War denn wirklich niemand hier, der ihnen helfen konnte? Kapitel 4: Angels Aufruhr ------------------------- Es war nur ein weißer Schemen und sie spürte auch nur einen raschen Luftzug und doch erfüllte es sie plötzlich mit Hoffnung. Und von einer Sekunde auf die andere war der Vampir verschwunden. An seiner Stelle stand Jasper. Seine Augen funkelten und wie ein Raubtier kauerte er ebenso anmutig vor Angel, um sie zu beschützen. Mayas Blick fuhr zur Seite. Direkt neben ihr hockte Edward. Seine Augen glühten ebenso heftig wie Jaspers und mit gebleckten Zähnen blickte er knurrend in die Dunkelheit. Einzig Angels keuchender Atem war zu vernehmen, während sie mit gequältem Blick versuchte, ihre Lungen mit Luft zu füllen. Jasper zögerte eine Sekunde, befand dann die Lage allerdings als ungefährlich und wandte sich Angel zu, die langsam wieder zu Boden glitt und sich auf die Seite kauerte. Ihre Beine hatte sie bis an die Brust gezogen in der Hoffnung, den Schmerz dadurch zu betäuben. Jasper näherte sich ihr langsam und strich ihr schließlich vorsichtig das verirrte Haar aus dem Gesicht. Stirnrunzelnd betrachtete er ihr Gesicht, zeichnete ihr Profil mit seinem Zeigefinger nach und horchte dann plötzlich auf. Mit einer fließenden und unglaublich schnellen Bewegung wirbelte er herum und ein ohrenbetäubendes Krachen machte Maya klar, dass er sich dem fremden Vampir in die Bahn geworfen hatte. Seinen Platz an Angels Seite nahm Emmett ein, der kurz darauf von Alice und Rosalie abgelöst wurde und sich gemeinsam mit Edward, der erst von Mayas Seite wich, als Esme neben ihr erschien, in den Kampf einmischte, um Jasper beizustehen. Maya beruhigte sich endlich, doch zu ihrem Pech bedeutete das auch, dass sie sich endlich des grauenhaften Schmerzes bewusst wurde, der sich in ihrem Körper ausgebreitet hatte. Esme warf ihr einen besorgten Blick zu und half ihr schließlich so vorsichtig auf die Beine, dass Maya keine zusätzlichen Schmerzen fühlte. „Mach dir keine Sorgen, jetzt wird alles gut.“ „Er war … plötzlich wie aus dem Nichts da. Und…“ Esme drückte sie vorsichtig an sich und strich ihr beruhigend über das Haar. „Ganz ruhig.“ Erst jetzt bemerkte Maya, dass sie wie verrückt zitterte und mühsam versuchte sie, sich ein wenig zu beruhigen. Zu ihrer Überraschung gelang es ihr tatsächlich. Besorgt blickte sie hinüber zu Angel, die sich noch immer auf dem Boden wand. Alice und Rosalie waren offenbar unschlüssig, wie sie reagieren sollten, denn sie blickten zu ihnen hinüber und zuckten mit den Schultern. Ein furchtbares Brüllen durchbrach ihre Gedanken und ließ sie verschreckt aufblicken. Nur verschwommen konnte sie den Umriss des Vampirs ausmachen, der zwischen den Bäumen verschwand. Edward warf Jasper und Emmett einen kurzen Blick zu und setzte zur Verfolgung an, doch ein lautes und bestimmendes Nein hielt sie zurück. Maya sah sich nach der Ursache um. Ein blonder, hochgewachsener, junger Mann hockte plötzlich neben Angel, doch sein Blick war auf Edward und seine Brüder gerichtet. „Ihr könnt euch später noch um ihn kümmern.“ „Aber…“ „Edward, bitte! Wir haben jetzt andere Sorgen. Mayas rechter Arm ist mehrmals gebrochen und ich schätze, dass ihre Gehirnerschütterung auch nicht ohne ist. Angels Rippen sind komplett zertrümmert und wenn ich sie nicht ins Krankenhaus bringe, dann wird es bald keine Jägerin mehr geben.“ Maya legte die Stirn in Falten. Stand es tatsächlich so schlecht um ihre Freundin? An Esmes schützenden Armen vorbei warf Edward Maya einen forschenden Blick zu, was Dr. Cullen offenbar nicht entgang. „Edward, bring Maya sofort ins Krankenhaus. Bleib bei ihr und beschützte sie. Ich fürchte, dass er nicht so leicht aufgeben wird. Jasper, Emmett, Alice… ich brauche eine Trage. Rosalie, du und Esme bringt mir so schnell ihr könnt meinen Koffer von Zuhause!“, wies er seine Anhängsel an, die sofort den Befehlen folgten. In der Zwischenzeit wandte sich Dr. Cullen an Angel. „Hör mir zu, Angel! Ich will, dass du dich jetzt ganz vorsichtig auf den Rücken legst, ich helfe dir dabei.“ Angel war kurz davor zu widersprechen. Ihr Widerwille, sich von Vampiren helfen zu lassen, regte sich sofort, doch zu ihrer Bestürzung musste sie sich klar machen, dass sie keine Wahl hatte, wenn sie lebend aus diesem Wald herauskommen wollte. Mühsam stützte sie sich mit den Armen auf dem Boden ab und ließ sich langsam absinken. Ein glühendheißer, stechender Schmerz schoss durch ihren Oberkörper und nahm ihr die Luft. Krampfhaft biss sie die Zähne zusammen und seufzte erleichtert, als Dr. Cullen mit der linken Hand ihren Rücken stützte, die rechte Hand um ihren Nacken legte und ihr somit weitere Schmerzen ersparte. Mit dem Blick eines Profi erfasste er ihre momentane Lage und blickte sich dann um. Alice, Jasper und Emmett waren verschwunden. Ebenso Esme und Rosalie. Einzig Edward stand noch auf der Lichtung und blickte unsicher zu ihm hinüber. Maya stand abseits da und unterdrückte mühsam das Zittern, das sie erfasst hatte. Noch immer hielt sie sich ihren gebrochenen Armen, während stumme Tränen über ihre Wange rannen. Carlisles Augenbrauen zogen sich zusammen. „Edward!“, zischte er wütend, was offenbar den Ausschlag gab. Edward straffte sich, hob Maya auf und sauste davon. Carlisels wandte sich wieder Angel zu, die krampfhaft nach Luft schnappte. „Warum … helfen Sie mir?“, knurrte sie abgehackt, doch der Arzt schüttelte den Kopf. „Rede jetzt nicht! Und wenn du den Drang verspürst zu husten, versuche es zu unterdrücken, okay?“ „Aber …“ „Glaub nicht, dass ich nicht Mittel und Wege finde, dich zum Schweigen zu bringen! Kein Wort!“, drohte der Vampir, was sie augenblicklich verstummen ließ. Nur schattenhaft flog Mayas Umgebung an ihr vorbei, während sie sich mit dem linken Arm an Edward festkrallte. Den rechten Arm hatte sie sicher und unter Schmerzen an ihren Körper gepresst. „Ist … ist der Kerl noch immer hinter uns her?“, fragte sie zitternd, hob den Kopf und betrachtete Edward forschend. Doch zu ihrer Bestürzung antwortete er nicht. „Ist Angel denn nicht immer noch in Gefahr?“, rief sie und versuchte dabei, ihre Angst so gut wie möglich unter Kontrolle zu bringen. „Carlisle kümmert sich um sie.“, antwortete er, als wäre ihre Frage damit beantwortet. Maya funkelte ihn wütend von der Seite an. „Das soll alles sein? Verdammt nochmal, Angel ist meine beste Freundin! Würdest du mir endlich sagen, was …“ „Angel kann sehr gut auf sich selbst aufpassen.“ „Dieser Typ hat ihr mehrere Rippen gebrochen. Wie soll sie da imstande sein, sich zu wehren?“ „Ich weiß, dass es schwer ist, aber du solltest du dich jetzt erst einmal auf dich konzentrieren.“ „Aber …“ „Maya, bitte!“ Für einen kurzen Moment blieb er stehen und blickte ihr tief in die Augen. Eine Gänsehaut kroch über ihren Rücken und ohne es zu wollen, machte ihr Herz plötzlich rasende Sprünge. Wenn er sie auf diese Art und Weise ansah, dann war es schwer, ihm nicht zu glauben. „Vertraue mir, ja?“ Ein ziemlich abgehacktes Nicken war die Antwort und sofort schoss er wieder davon. In der Zwischenzeit war Rosalie mit Carlisles Koffer zurück. Rasch und mit der präzisen Erfahrung, die man sich nur durch jahrelange Praxis erarbeiten konnte, zog er eine Morphiumspritze auf und versuchte, Angel das Mittel einzuspritzen. Zu seiner Überraschung prallte die Spitze von ihrer Haut ab. Verdutzt blickte er die zerbrochene Spritze an. „Interessant.“ Sein Blick fiel auf Angel, die zu zucken begann. „Kratzer scheinst du demnach auch nicht so leicht zu kriegen.“, bemerkte er und stieß einen zischenden Fluch aus, während sie sich immer wieder aufbäumte. Rosalie war einen Moment lang verunsichert, dann ließ sie sich neben Angel auf die Knie sinken und drückte vorsichtig aber auch bemüht ihre Arme fest zu Boden. Dann wandte sie sich wieder Carlisle zu. „Und nun?“ „Tja … das mit dem Morphium scheidet wohl erst einmal aus.“ „Ist ihre Haut denn so hart?“ Dr. Cullen unterbrach sein Vorhaben und blickte sie kurz an. „Ich schätze … man könnte es mit einem Lichtschutzfaktor vergleichen. Er hält das Schlimmste ab, um sie zu schützen. Ihre Haut ist nicht wie bei uns felsenhart … aber sie ist nicht so leicht zu … beschädigen. Deshalb werde ich mit einer kleinen Nadel wohl nicht so einfach durchkommen.“ „Das bedeutet, sie will jetzt die ganze Zeit über so einen Aufruhr veranstalten?“ „Sie verkrampft, weil sie keine Luft kriegt.“ Carlisle ergriff ihre Schultern und drückte sie zusätzlich zu Boden. „Er hat ihr nicht nur die Rippen zertrümmert, teilweise haben sie sich offenbar auch noch in ihre Lunge gebohrt.“ „Soll heißen?“ „Wenn ich sie nicht bald ins Krankenhaus bringe, um das wieder zu richten, dann …“ „Carlisle!“ Jasper, Emmett und Alice brachen durch das Unterholz. Emmett hatte sich die Trage unter den Arm geklemmt. Eine Sekunde später hatte Jasper Rosalie abgelöst und hielt nun seinerseits Angel am Boden. Sein Blick begegnete ihren Augen und zum ersten Mal zeichnete sich so etwas wie Erkennen in seinem Blick ab. Selbst ihr Geruch weckte eine tiefe Erinnerung an seine Vergangenheit. Ein entfernter Erinnerungsschimmer legte sich über seine Augen, der jedoch sehr schnell wieder verflog, als auch Emmett dazustieß und neben Jasper in die Hocke ging. Alice und Rosalie behielten die Umgebung im Auge. „Die macht ja einen ganzen schönen Aufruhr.“ „Das ist nicht witzig, Emmett!“ „Kannst du ihr kein Morphium spritzen?“ „Der Versuch schlug leider fehl.“ Emmett runzelte die Stirn. „So leicht kannst du eine Jägerin nicht erledigen.“, erklärte Carlisle. „Vielleicht…“ Emmetts rechte Hand wollte sich unter ihren Nacken schieben, doch in dem Moment, als seine kalte Hand ihre Haut berührte, drehte sie durch. Sie durchbrach Jaspers Griff, der überrascht zurücktaumelte, bäumte sich noch einmal auf und schleuderte Emmett zurück. Carlisle hob indes rechtzeitig seine Arme, um ihrem Aufruhr zu entgehen. Jasper kam bereits wieder auf die Beine und presste wieder ihre Arme zu Boden, während Carlisle sich nach Emmett umsah, der, bedeckt mit Zweigen und Blättern, aus dem Gebüsch kam, das gut zwanzig Meter entfernt war. Brummend zupfte er sich die Blätter und Zweige aus den Haaren. „Damit hätten wir wohl auch die Kandidatin für die Olympiaqualifikation im Vampirweitwurf. Und dabei wollt ich nur Spocks berühmten Vulkangriff demonstrieren.“ Dr. Cullen verdrehte die Augen und wandte sich wieder Angel zu. „Ruhig, Angel! Ganz ruhig!“ Doch Angel beruhigte sich nicht. Stattdessen bäumte sich ein weiteres Mal auf und spuckte einen Schwall Blut direkt in das Gesicht des Arztes, der geschockt zurückwich. Maya zuckte zusammen. Das Bild von Angel flackerte immer wieder vor ihren Augen auf. Angel, die sich immer wieder aufbäumte, blau anlief, Blut spuckte, sich gegen Jaspers Griff wehrte. „Sie kommt schon wieder in Ordnung! Mach dir keine Sorgen.“, beruhigte Edward sie, was sie verdutzt aufblicken ließ. „Was meinst du?“ „Ich denke, das weißt du ganz genau.“ Maya runzelte die Stirn. „Hast du … das auch gesehen?“ „Ich hab das gesehen, was du gesehen hast.“ Maya kniff die Augen zusammen. „Du liest Gedanken?“, rief sie schrill. „Schon möglich?“ Der kupferne Geruch von Blut stieg ihnen in die Nase und betäubte ihre Sinne. Instinktiv wichen Emmett, Rosalie und Alice ein paar Schritte zurück, um nicht in Versuchung zu geraten. Jasper, der die Hände zu Fäusten geballt hatte, blieb, wo er war, packte Angels Handgelenke und drückte sie wieder zu Boden. Er biss sich schmerzhaft auf die Zunge, um sich nicht von dem Geruch des Blutes verführen zu lassen. Krampfhaft schloss er die Augen, während er mit gigantischer Kraftanstrengung versuchte, Angel am Boden zu halten. Ein Zittern durchfuhr ihn, als sie erneut Blut spuckte und einige Tropfen sein Gesicht erwischten. Carlisle bemerkte sein Bemühen und war erstaunt, wie gut er sich in der Gewalt zu haben schien. Trotz seines Anfalls schaffte er es, sich nicht in Versuchung führen zu lassen. Er widerstand – und das obwohl er der Jüngste von ihnen war, sich bisher immer mehr als alle anderen bemühen musste, sich zu beherrschen. „Jasper …“ „Ich pack das.“ „Ich schaffe das auch allein.“ Jaspers Augen glühten, als er Carlisle anfunkelte. „Ich kriege das hin!“ Dr. Cullens Augen verengten sich kaum merklich, als ihm Jaspers forscher Ton auffiel. Offenbar lag ihm mehr an Angel, als er bereit war zuzugeben. Maya schleuderte den Kopf nach hinten. „Bring mich zurück!!“, fauchte sie, was Edward jedoch kalt ließ. „Edward, ich meine es Ernst! Bring mich zurück!“ „Der Kerl hat noch nicht aufgegeben.“ „Aber wir müssen Angel helfen. Sie können sie nicht ins Krankenhaus bringen, wenn sie sich so aufführt. Ich muss ihr helfen.“ „Und wie willst du das anstellen?“ Mayas Augen blitzen gefährlich. „Indem ich die Zeit anhalte.“ Edward stoppte. „Emmett, Alice, ich brauche eure Hilfe! Wir müssen sie auf die Trage legen, damit wir sie ins Krankenhaus bringen können.“ Emmetts Augen wurden groß. „Ich soll diese Irre noch mal anheben? Beim nächsten Mal fliege ich nicht nur zwanzig Meter sondern zwanzig Kilometer durch die Luft.“ Carlisle knurrte. „Emmett, bitte! Wenn wir sie nicht innerhalb der nächsten zwanzig Minuten ins Krankenhaus schaffen und uns um die Rippenbrüche kümmern, dann wird sie sterben!“ „Kann nicht Rosalie hel…“ Emmett seufzte. „Na schön.“ Vorsichtig näherten sie sich Angel. Wie eine Verrückte stemmte sie sich immer wieder gegen Jaspers Griff, dem die Anstrengung bereits anzusehen war. „Jetzt weiß ich auch, warum … warum sich die Vampire nie freiwillig mit der Jägerin … anlegen! Die hat eine Kraft … das grenzt ja schon an … Wahnsinn!“, keuchte er und drückte ihre Handgelenke mit seinem gesamten Gewicht zu Boden – ein Fehler. Obwohl ihre Augen vor ein paar Sekunden noch mit einem leichten Schleier bedeckt waren, funkelten sie jetzt wie Diamanten. In diesem Moment funktionierten sämtliche Sinne, die sie so einzigartig machten. Die Schmerzen missachtend kämpfte sie sich auf und schleuderte Jasper meterweit durch die Luft. Alice, Rosalie und Emmett wichen sofort ein paar Schritte zurück, einzig Carlisle blieb und wich ihren Schlägen aus. „Angel … Angel, beruhige dich! Wir wollen dir nur helfen.“ Doch Carlisle drang nicht zu ihr durch. „Was ist mit ihr?“ „Sie bekommt keine Luft. Und außerdem scheint sie eine tiefe Abneigung gegen Vampire zu haben! Anderenfalls würde sie sich bestimmt helfen lassen.“ „So können wir sie niemals auf der Trage transportieren. Da wären Eisenketten nötig, um sie festzuketten.“ „Vielleicht … hilft auch was Anderes.“, erklang hinter ihnen die erschöpfte Stimme eines Mädchens. Überrascht wirbelten die drei herum und blickten auf Maya, die neben Edward stand, sich noch immer den rechten Arm hielt und langsam an ihnen vorbei auf Carlisle zuging. Dr. Cullen funkelte Edward an. „Hab ich nicht gesagt, dass du sie ins Krankenhaus bringen sollst?“ „Sie kann helfen, Carlisle.“ Carlisle runzelte die Stirn, bevor er einen heftigen Schlag gegen die Seite erhielt und zurücktaumelte. Ungewollt musste er zugeben, dass er beeindruckt war von der Schlagkraft, denn selbst nach ein paar Sekunden konnte er noch immer ein schmerzhaftes Pochen in seiner Seite spüren. „Und wie … soll diese Hilfe aussehen?“ Maya lächelte gequält, warf Angel einen raschen Blick zu und schnippte einmal mit dem Finger. Und mitten in ihren wilden Bewegungen … erstarrte Angel. Kapitel 5: Einfach keine Sicherheit ----------------------------------- Nicht nur Carlisle war verwundert. Auch Emmett und Jasper blickten verwirrt auf Angel, die völlig reglos da lag. Ihre Arme waren vorgestreckt und ihre Hände griffen ins Leere. Das Gesicht war nicht mehr als eine Maske – eine schmerzverzerrte Maske. „Sie können Sie ruhig anheben.“, bemerkte Maya, während sie Carlisle triumphierend anblickte. „Wie …“ „Ein nützliches Talent. Hab ich von meiner Großmutter geerbt.“ „Von deiner Großmutter?“, fragte Emmett. Maya kniff die Augen zusammen. „Manche Talente überspringen nun mal eine Generation. Intelligenz zum Beispiel. Deine Kinder werden bestimmt mal superschlau sein.“ Emmetts Augen funkelten. „Schlagkraft hab ich schon immer bewundert. Taktlosigkeit dagegen weniger.“ Maya biss sich auf die Lippe. Vampire und Kinder … Tabuthema Nummer 1. „Du kannst die Zeit anhalten?“, hakte Carlisle noch einmal nach, dem das Erstaunen ins Gesicht geschrieben stand. „Hey … wenn ihr Vampire in der Lage sein dürft, Bäume mit einer Hand aus der Erde zu reißen, warum dürfen wir Menschen dann nicht auch besondere Gaben haben?“ Carlisle lächelte. „Und jetzt wird nichts passieren? Ihre gesamte Zeit ist eingefroren?“ „Die komplette Zeit von ihr. Nicht einmal der Blutzyklus funktioniert.“ „Das heißt, wir können sie ohne Probleme ins Krankenhaus bringen.“, stellte Emmett fest und blickte erleichtert zum Himmel. „Gott sei Dank! Keine weiteren Flugstunden mehr.“ Carlisle blickte ihn scharf an. „Wichtiger ist ja wohl, dass wir sie lebend hier herausbringen können, Emmett!“ „Klar, aber so ein bisschen Arbeitserleichterung darf man doch mal bejubeln, oder?“ Ohne weiter auf seine Worte einzugehen, eilte Jasper auf Angel zu und half Dr. Cullen dabei, sie auf die Trage zu legen. Erstaunlicherweise war sie federleicht. Währenddessen nahm Edward Maya wieder auf seine Arme und schoss mit ihr Richtung Krankenhaus davon. „Emmett, Rosalie, Alice … behaltet die Umgebung im Auge. Es wäre möglich, dass er versucht, uns zu überrumpeln und das möchte ich vermeiden.“ Wie ein Blitz stoben die drei auseinander und waren von einer Sekunde auf die andere verschwunden. Carlisle wusste genau, dass sie in der Nähe waren und Ausschau hielten. So schnell es ihm und Jasper möglich war, rasten sie durch den Wald. Und wieder bemerkte der junge Arzt, wie energisch Jasper offenbar versuchte, Angel vor Schaden zu schützen. Er nahm sich vor, der Sache bei Gelegenheit auf den Grund zu gehen. Sie erreichten das Krankenhaus in einer Rekordzeit, die jeden olympischen Sprinter neidisch gemacht hätte. Ohne viele Worte zu verlieren, brachte er Angel in den OP, gefolgt von Maya, die nach einem kurzen Nicken des Arztes die Starre auflöste und dann von Edward in ein separates Zimmer gebracht wurde, wo er sie vorsichtig auf das Bett legte und sich am Fenster postierte. Obwohl sein Blick in die Ferne gerichtet war, achtete er auf jedes noch so kleine Geräusch. Dass ihnen der Angreifer entkommen war, passte ihm überhaupt nicht. Es machte ihn sogar noch gefährlicher als angenommen. „Hältst du Ausschau nach ihm?“, fragte Maya zittrig, während ihr Blick über die makellose Statur des Vampirs glitt. „Ich glaube nicht, dass er so leicht aufgegeben hat.“, antwortete er leise. Seine Arme hatte er vor der Brust verschränkt und er lehnte lässig am Fensterrahmen. Doch langsam glitt sein Blick zu Maya hinüber. Erst jetzt bemerkte er den blumigen Duft, der von ihr ausging, der ihn an etwas erinnerte – etwas, was er geschworen hatte, aus seinem Gedächtnis zu streichen. Mühsam um Beherrschung ringend schloss er die Augen und wandte sich wieder ab. Mayas errötender Blick wirbelte seine Gedanken auf, machte ihn rasend, machte ihn verrückt. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie zaghaft nach. Offenbar war ihr sein Zittern nicht entgangen. „Versuch zu schlafen. Carlisle wird sich so bald wie möglich um dich kümmern.“ „Aber …“ „Maya … bitte! Tu einmal das, was ich dir sage.“ Mayas Augenbrauen zogen sich abrupt zusammen. „So nicht, Freundchen! Warum habt ihr uns geholfen? Was will dieser Kerl von uns? Was passiert mit Angel? Was …“ „Warum bist du so stur, dass du nicht in erster Linie einfach mal an deine Gesundheit denken kannst, dich hinlegst und einfach mal ausruhst? Wenn wir uns um deinen Arm gekümmert haben und du halbwegs wieder auf dem Damm bist, kannst du immer noch Fragen stellen.“ „Ich bin auch jetzt in der Lage, Fragen zu stellen.“ „Aber nicht in der Lage, die dazugehörigen Antworten zu verstehen.“ Maya wollte widersprechen, doch ihr wurde klar, dass er Recht hatte. Zu viele Sachen schwirrten in ihrem Kopf herum, unter anderem ein schrecklicher, stechender Schmerz, der es schwer machte, sich auf irgendetwas konkret zu konzentrieren. Wütend wollte sie die Arme vor der Brust verschränken, registrierte zu spät, dass dies mit gebrochenem Arm unmöglich war und schrie kurz darauf auf. Edwards Kopf ruckte zur Seite. „Alles in Ordnung?“ Maya biss die Zähne zusammen. „Nein! Nichts ist in Ordnung. Mein Arm ist mehrfach gebrochen, mein Kopf macht sich gerade selbstständig, du beantwortest keine meiner Fragen und Angel liegt im OP, wird gerade aufgeschlitzt und niemand kann mir sagen, ob sie es überleben wird!!! Hab ich irgendetwas vergessen?“, schrie sie wütend, lehnte sich zurück und stieß mit dem Kopf hart gegen die Bettkante. Brummend rieb sie sich den Hinterkopf. „Ach ja … Orientierungsschwierigkeiten hab ich auch.“ Von einer Sekunde auf die andere war Edward neben ihr. Sein Blick war weich – wahrscheinlich ebenso weich wie ihre Knie. „Sonst noch irgendetwas?“, fragte er. Seine Stimme war ebenso samtig wie sein Blick. Mit einer Anmut, wie sie nur Vampire haben konnten, setzte er sich neben sie auf das Bett und strich ihr sanft eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. Maya versank in seinen Augen und lehnte sich ungewollt zurück. Ihr Herz klopfte wie verrückt, machte Sprünge, die wahrscheinlich den Mount Everest überwunden hätten. Edward lächelte. „So aufgeregt?“ „Was?“ „Bist du so aufgeregt?“ Maya runzelte die Stirn. „Wie … kommst du denn darauf?“ „Na ja … deine Gedanken verraten dich. Und dein Herzschlag.“ Augenblicklich schoss Maya die Röte ins Gesicht und verlegen blickte sie zur Seite. Ein Vampir mit Supergehör war schon grausam. Aber ein Vampir, der auch noch in der Lage war, Gedanken zu lesen, war ein Alptraum. „Aber ein Alptraum, der dir gefällt, nicht wahr?“ Maya sog scharf die Luft ein. „Lass das!“ Abwehrend hob er die Hände. „Tut mir leid! Dring ich gerade in Privatsphäre ein?“ „In Intimsphäre sogar!“, knurrte sie zurück. „Wie unhöflich.“ „Das kannst du laut sagen.“ Edward lächelte. „Das mach ich lieber nicht. Sonst weiß ja am Ende jeder, dass wir hier ganz allein sind … und eigentlich wollte ich nicht gestört werden.“ Maya blickte Edward mit großen Augen an. „Ähm …. Also ….. wie … geht’s jetzt weiter.“ Ein weiteres Mal strich er ihr zaghaft über die Wange, schloss die Augen und legte sanft seine Stirn auf ihre. Maya begann vor Aufregung zu zittern, bis ihr eine Träne auf die Wange fiel. Verwirrt öffnete sie die Augen. Eine schmale Tränenspur zeichnete sich auf Edwards Wange ab, die er rasch wieder verwischte. Seufzend nahm er wieder seinen Platz am Fenster ein und schaute hinaus. Mayas Finger glitten zu der Stelle, an der ihr die Träne auf die Wange gefallen war. Besorgt warf sie ihm einen Blick zu. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie zaghaft, während sie sich auf ihren linken Arm stützte, um sich aufzusetzen. Edward warf ihr über seine Schulter hinweg einen kurzen Blick zu und wandte sich dann wieder ab. „Ja … alles in Ordnung.“ „Warum … warum weinst du dann?“ Einen kurzen Augenblick dachte er nach. „Weil ich … ach … nicht so wichtig.“, wiegelte er ab und lehnte den Kopf gegen den Fensterrahmen. „Du solltest schlafen, Maya. Überanstrenge dich nicht. Nicht jetzt jedenfalls.“ Maya schüttelte langsam den Kopf. „Ich kann nicht schlafen.“, flüsterte sie, zog die Beine an die Brust und bettete ihren Kopf auf die Knie. Innerhalb dieser Sekunden, die sie brauchte, um die Beine an die Brust zu ziehen, war Edward wieder neben ihr. Vorsichtig hob er ihr Kinn an und blickte sie mit glühenden Augen an. „Bitte, Maya. Schlaf ein wenig.“ Seine Hand glitt zu ihrem Nacken, um sie zu stützen, als sie sich seiner Bitte ergab und sich vorsichtig in die Kissen sinken ließ. Noch bevor er sie aus seinem Griff entließ, war sie eingeschlafen. Die Erinnerung an ihren Traum war ebenso schnell verflogen, wie ihre Angst vor Vampiren. Als sie die Augen öffnete, wurde ihr als erstes bewusst, wie sehr sie sich in Vampiren geirrt hatte. Es gab durchaus welche unter ihnen, die es Wert waren, dass man ihnen vertraute. Mayas Blick huschte eilig durch den Raum. Es war dasselbe Zimmer, in dem sie auch eingeschlafen war. Offenbar hatte sie gerade mal fünf Minuten geschlafen, denn Edward stand noch immer am Fenster und starrte hinaus. Als sie sich aufsetzen wollte, bemerkte sie plötzlich, wie unglaublich schwer ihr rechter Arm sich anfühlte. Verwirrt blickte sie zur Seite und schnappte nach Luft. Ihr Arm steckte in einem dicken Gipsverband. Edward, der ihr Atemholen bemerkt hatte, wandte sich ihr zu und lächelte. „Guten Morgen. Gut geschlafen?“ Mayas Blick huschte verwirrt zwischen Edward und ihrem Gipsarm umher. „Wie … wie lange hab ich denn geschlafen?“ „Na überlegen wir mal … vorgestern bist du hier gelandet.“ Mayas Augen schwollen auf ihre doppelte Größe an. „Ich hab einen ganzen Tag verschlafen?“ „Du warst ziemlich erschöpft?“ „Warum hast du mich nicht geweckt?“ „Weil du so interessant ausgehen hast. Außerdem brauchtest du deine Ruhe.“ „Was ist mit Angel?“ Edward wich ihrem Blick aus – kein gutes Zeichen. „Edward! Was ist mit Angel?“ „Angel …“ Zu Mayas Pech öffnete sich in diesem Moment die Tür und Dr. Cullen, eingehüllt in seinen weißen Arztkittel, betrat das Zimmer. Als er Maya aufrecht sitzen sah, lächelte er. „Schön, du bist wach. Ich hatte schon Angst, dass … wie fühlst du dich?“ „Bestens! Was ist mit Angel?“, wiederholte sie ihre Frage zum dritten Mal und knirschte mit den Zähnen, als Carlisle nicht antwortete. Stattdessen blickte er auf sein Klemmbrett, machte sich einige Notizen und wandte sich dann wieder mit einem strahlenden Lächeln an Maya. „Du fühlst dich also besser. Das ist gut. Ich denke … dass wir dich auch recht bald entlassen können. Morgen denke ich. Und in Anbetracht der Tatsache, dass …“ „Dr. Cullen!“, unterbrach Maya ihn. Ihre Stimmte bebte vor unterdrückter Wut. „Ich schwöre Ihnen, wenn mir jetzt nicht augenblicklich irgendjemand sagt, was mit Angel ist, dann platze ich vor Wut! Und glauben Sie mir, mich wollen Sie nicht wirklich in Rage erleben! Also: Was ist mit Angel?“ Carlisle senkte kurz den Blick und sah dann kurz zu Edward hinüber, der sich jedoch abwandte und nach draußen sah. Maya fing an zu zittern. „Sie ist doch nicht …“ Eine schreckliche Sekunde lang, die sich für Maya anfühlte wie Stunden, schwieg er. „Angel liegt im Koma.“ Maya blinzelte. Irgendetwas in ihrem Kopf wehrte sich dagegen, Carlisles Erklärung ernst zu nehmen oder gar zu verstehen. Angel konnte nie und nimmer im Koma liegen. Dazu war sie viel zu aufsässig. Carlisle bemerkte sofort, dass Maya ihn offenbar nicht verstehen wollte. „Wir … wir mussten sie ins künstliche Koma versetzen. Ihre Funktionen sind momentan stabil … aber … sehr erfolgversprechend sieht ihre Lage momentan nicht aus. Ich weiß nicht, wie stark Angel ist, aber ich hoffe, dass sie stark genug ist, sich dem zu widersetzen, was ihr zusetzt.“ Mayas linke Hand krallte sich in der Bettdecke fest. „Angel ist stark. Und ich schwöre Ihnen, dass sie wieder auf die Beine kommen wird.“ Dr. Cullen nickte und blickte wieder auf sein Klemmbrett. „Ich hab mich, während du geschlafen hast, um deinen Arm gekümmert. Ich dachte, es ist angenehmer, wenn du nicht mitkriegst, was wir damit alles anstellen mussten.“ „So schlimm?“ Ein Lächeln glitt über seine Lippen. „Nein, nicht wirklich. Aber so hast du uns keine Schwierigkeiten gemacht und du musstest es nicht bewusst miterleben.“ Maya senkte den Blick. „Danke.“, murmelte sie und schluckte kaum merklich. „Edward.“, wandte sich Carlisle an seinen Adoptivsohn. „Ich würde gern …“ „Kann ich zu ihr?“, unterbrach Maya den jungen Arzt und blickte ihn mit verschwommenem Blick an. Dr. Cullen wollte widersprechen, doch Mayas flehender Blick kochte ihn letztendlich weich. „Na schön. Ich hole nur schnell einen Rollstuhl.“ Damit verschwand er. Im Zimmer herrschte betretendes Schweigen. Edward wagte es nicht, irgendetwas zu sagen. Es reichte aus, Mayas Gedanken zu entschlüsseln, die momentan nur von Angst und Wut beherrscht wurden. Angst davor, dass Angel nicht überleben würde und Wut über den Vampir, der ihr das angetan hatte. „Es war nicht deine Schuld.“, flüsterte er schließlich, als ihre Gedanken sich dem nächsten Thema zuwandten. Sie konnte es drehen und wenden, wie sie wollte, Angel hatte sie gebeten, nicht zu kommen, weil sie geahnt hatte, dass es so weit kommen würde. Weil sie wusste, dass sie sich nicht vollkommen auf sich konzentrieren konnte, während ihre Freundin ihr im Weg stand. „Du bist nicht Schuld!“, wiederholte Edward energisch und sah Maya dabei mit blitzenden Augen an. „Das war geplant, Maya! Selbst wenn du nicht da gewesen wärst … es wäre genau dasselbe passiert. Vielleicht nicht ganz. Vielleicht wäre Angel sogar schon an Ort und Stelle von ihm zerfetzt worden. Das war kein einfacher, spontaner Überfall! Das war eine Falle.“ Maya runzelte die Stirn. „Eine Falle? Für Angel?“ „Einer Jägerin lebend zu entkommen, ist in der Vampirwelt so etwas wie eine Mutprobe. Überlebst du sie, dann bist du aufgenommen. Es gibt aber auch Zirkel, die es gezielt darauf anlegen, die Jägerin zu vernichten. Und ich fürchte, so einem Zirkel ist Angel jetzt in die Quere gekommen. Dein Pech besteht darin, dass du ihre beste Freundin bist. Dadurch rückst du automatisch mit ins Licht der Aufmerksamkeit.“ „Ich?“ „Sie wissen genau, dass sie Angel am besten drankriegen, wenn sie ihre beste Freundin erwischen.“ Maya schluckte, doch der dicke Kloß in ihrer Kehle wollte partout nicht verschwinden. Und bis Carlisle wieder das Zimmer betrat, sagte keiner der beiden ein Wort. Mit Hilfe der beiden schaffte es Maya, sich in den Rollstuhl zu quälen, denn trotz Schmerzmittel machte ihr der gebrochene Arm ziemlich zu schaffen. Edward schob sie durch das Krankenhaus, folgte Carlisle auf dem Fuße, der ab und an von einem Patienten herzlich gegrüßt wurde. Mit jedem Meter, den sie sich Angel näherte, wurde Maya kälter. Wie würde sie ihre Freundin vorfinden? Sah sich bereits jetzt schon wie der bleiche Tod aus? „Mach dir nicht so viele Gedanken. Ich bin sicher, dass Angel wieder auf die Beine kommt.“, flüsterte Edward ihr ins Ohr – ein zarter Windhauch, der sie kurz erzittern ließ. Doch trotz seiner beruhigenden Worte verflog die Kälte nicht. Sie mussten ein Stockwerk tiefer fahren, um zu Angel zu kommen. Sie lag in einem privaten Zimmer auf der Intensivstation. Doch bevor sie das Zimmer betreten konnte, half Edward ihr dabei, in einen flaschengrünen Kittel zu schlüpfen, der Vorschrift war. Dann öffnete Carlisle das Zimmer und Edward schob sie hinein. Maya schnappte nach Luft. Angel lag tief versunken in einem riesigen Kissen, das zu beiden Seiten ihres Kopfes wahrscheinlich noch jeweils zwanzig Zentimeter Platz hatte. Die Decke war bis an die Brust hochgezogen, doch ihre Arme lagen offen zu beiden Seiten ihres Oberkörpers. Mehrere Kanülen und Schläuche verbanden das Mädchen mit zahlreichen Monitoren und Geräten, die piepsten, surrten und gleichmäßige Linien aufzeichneten. Angel war blass, blasser als ein Vampir, ihr Gesicht war eingefallen und machte ihr ganzes Erscheinungsbild nur noch düsterer. Mühsam kämpfte sie mit den Tränen. Das war nicht ihre Angel. Das war nicht ihre beste Freundin, die da lag. Das konnte nur eine missratene Kopie sein. „Schön wär’s.“, murmelte Edward hinter ihr und erst jetzt wurde ihr bewusst, dass das Wirklichkeit war, dass Angel tatsächlich im Koma lag und mit dem Tod rang. Maya hatte das Gefühl, den Verstand zu verlieren, doch seltsamerweise erfasste sie plötzlich eine tiefe Ruhe. Ihr war es gar nicht mehr möglich, sich schlecht zu fühlen, sich Sorgen zu machen, sich verrückt zu machen. Es würde alles gut werden. Entspannt lehnte sie sich nach hinten. „Danke Jasper.“ Carlisles Stimme war leise, doch trotzdem hörte sie es. Verwirrt öffnete sie wieder die Augen und diesmal fiel ihr der blonde Vampir auf, der auf der anderen Seite des Bettes stand, die Arme vor der Brust verschränkt, den Blick auf Angel gerichtet. Seine Miene verriet, dass er auf jedes noch so kleine Geräusch achtete. „Danke? Wieso danke?“, fragte sie, doch Carlisle schüttelte den Kopf. „Das erklär ich dir später.“ Maya wollte etwas entgegnen, ließ es allerdings bleiben. Stattdessen fragte sie: „Kann sie mich hören?“ „Wenn ich ehrlich bin … ich denke nicht.“ Es war dieser abschließende Ton in seiner Stimme, der sie erschreckte, der ihr klar machte, dass es sogar noch schlechter um Angel stand, als er ihr versuchte, weiszumachen. So wie es sich anhörte, war es schon zu spät. Maya erhaschte einen kurzen Blick auf den leeren Flur und als sie sich endlich sicher sein konnte, dass keine Krankenschwester sie erwischen würde, schlüpfte sie aus ihrem Zimmer und lief geduckt und eilig auf die Treppe zu. Nur ein Stockwerk tiefer und dann zu Angel, mehr wollte sie nicht. Maya hatte extra lang gegen den drohenden Schlaf angekämpft, um die Möglichkeit zu haben, mit Angel zu sprechen, auch wenn es vielleicht keine Hoffnung gab, dass sie ihr antworten würde. Doch trotzdem würde es sie beruhigen, wenn sie ihr auf irgendeine Weise Mut machen konnte. Zu ihrer Erleichterung erreichte sie ohne Komplikationen das Zimmer und huschte schnell hinein. Das durchdringende Piepsen eines der Monitore war das einzige Geräusch im Zimmer. Zu ihrem Glück war Jasper nicht da. So leise wie möglich rückte sie einen Stuhl auf der anderen Seite des Zimmers an Angels Bett, setzte sich und zog die Beine an die Brust. „Hey … wie geht’s dir?“ Beinah sofort verdrehte sie die Augen. Wie geht’s dir? Eine blöde Frage, wenn man bedachte, dass Angel im Koma lag. „Okay … die Frage musst du nicht beantworten.“, schmunzelte sie und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Aber du wirst sie mir beantworten müssen, klar? Spätestens wenn du wieder auf den Beinen bist, woran ich in keinster Weise zweifle, wirst du mir Rede und Antwort stehen müssen!“ Traurig seufzte sie. Jetzt saß sie tatsächlich hier und redete mit ihrer Freundin, die im Koma lag und wahrscheinlich kein Wort von dem verstand, was sie sagte. Wie deprimierender konnte das noch werden? „Du fehlst mir.“, flüsterte sie schließlich leise und war überrascht, dass ihre Stimme so tränenerstickt klang. „Ich schwöre dir, wenn du …“ Eine eiskalte Hand in ihrem Nacken unterbrach sie. Ihr Griff war fest … sehr fest. Mühelos wurde sie aus ihrem Stuhl gehoben und gegen die gegenüberliegende Wand geschleudert. Ungebremst prallte sie mit dem gebrochenen Arm zuerst auf und sank wimmernd zu Boden. Ihr Blick fiel auf den Angreifer – derselbe Vampir, der sie auch im Wald überfallen hatte. Mit schmerzverzerrter Miene rappelte sie sich auf und presste sich fest gegen die Wand. Der Ausgang war versperrt und es war auch niemand in der Nähe, der ihr helfen konnte. Ihr Blick huschte hinüber zu Angel, die noch schutzloser war als sie selbst. „Keine Sorge! Ich erspare es dir mit anzusehen, was ich mit ihr anstellen werde. Ich werde mir dich zuerst vorknöpfen und dann …“ Ein beinah sehnsüchtiger Blick glitt zu Angel hinüber. Maya kroch es eiskalt den Rücken hinab. Verzweifelt schnippte sie mehrere Male in der Hoffnung, seine Zeit würde stillstehen, doch wie Angel gesagt hatte … es hatte keinerlei Auswirkung. Langsam kam er näher, schlenderte zu Maya hinüber und blieb dicht vor ihr stehen. Seine Augen glühten feuerrot, während die Kuppen seiner Finger beinah sanft über ihre Wange strichen. „Dafür, dass du keine Jägerin bist, duftest du ganz schön betörend, das muss ich sagen.“ Sein Gesicht war so nah … viel zu nah. Die Dunkelheit um sie herum war erdrückend und doch schien sie nicht undurchdringlich. Angel blickte sich um in der Hoffnung, irgendeinen Lichtschimmer zu erkennen, doch nicht einmal die Hand vor Augen war zu sehen. Dafür konnte sie etwas hören. Ein schwaches Echo. „… mir.“ Krampfhaft konzentrierte sie sich auf die Stimme. „… mir.“ Verzweifelt drehte sie sich im Kreis. Wem gehörte die Stimme? Was flüsterte sie? „…st mir.“ Angel horchte auf. Es war klarer geworden und auch der Klang kam ihr bekannt vor. „….ehlst mir.“ Die Dunkelheit nahm ab, die Lautstärke des Echos zu. Die Stimme wurde klarer. „… fehlst mir.“ Angels Blick klärte sich. Die Schwärze der Dunkelheit war jetzt nur noch ein mattes Grau. Nebelschwaden, die sich immer mehr lichteten. Zwei undeutliche Formen schwebten in dieser Nebelsuppe herum. „Du fehlst mir.“ Angel öffnete die Augen und im selben Moment explodierte der Herzmonitor. Maya schrie auf. Der Vampir duckte sich und blickte über die Schulter zu Angel hinüber. Eine Sekunde zu spät, denn schon sauste der Stuhl auf ihn zu und schleuderte ihn zur Seite. Maya blickte auf und formte ein lautlose Nein mit den Lippen. Angel war wach – putzmunter stand sie vor ihr in einem farblosen Krankenhauskittel, die linke Hand gegen die Rippen gepresst und den Blick hasserfüllt auf den Vampir gerichtet, der sich von den Bruchstücken des Stuhls befreite und geschmeidig vor die Tür sprang, um ihnen den Ausgang zu versperren. Angel taumelte zur Seite und postierte sich genau zwischen ihre Freundin und der Bestie, die gierig die Zähne bleckte. „Du bist wach.“, hörte sie Maya hinter sich flüstern. Angel schmunzelte. „Ich hab dich gehört.“, murmelte sie zurück und unterdrückte den Drang, ihr vor Dankbarkeit in die Arme zu fallen. Für so etwas war später noch genug Zeit. „Du verfolgst mich also, ja?“, fragte sie den Vampir, um Zeit zu gewinnen. Der Vampir grinste. „Ich begehre euch, das ist der einzige Grund.“ „Das klang neulich aber ganz anders.“ „Dann solltest du deine Auffassungsgabe überprüfen.“ „Ah … witzig sind wir auch noch, ja?“ „Du versuchst Zeit zu schinden, Jägerin! Langweile mich nicht mit solchen Belanglosigkeiten. Retten wird dich das sowieso nicht.“ „Stimmt! Retten wird mich …“ Ein scharfes Klirren hinter ihr unterbrach sie. Überrascht fuhr sie herum, was ein Fehler war. Ein brennendheißer Schmerz schoss durch ihren Oberkörper und erinnerte sie an ihre gebrochenen Rippen. Mit einem leisen Aufschrei ging sie in die Knie und das zur richtigen Zeit, denn im selben Moment schoss etwas über sie hinweg und sprang den Vampir an. In ihrem Inneren brannte es wie Feuer und einzig Mayas kühle Hände um ihre Schultern ließen sie bei klarem Verstand bleiben. Mit gekrümmten Rücken versuchte sie, einen Blick auf ihren Retter zu erhaschen. Es war Jasper. Er kauerte genau vor ihnen, bereit zur Verteidigung und mit der präzisen Sicherheit eines Raubtieres. Angel ging wieder in die Knie, presste die Hand noch fester gegen ihre Rippen. Der Schmerz war unbeschreiblich. „Beweg dich nicht!“, zischte Jasper sie an. Angel knurrte. Blöde Sprüche konnte sie auch selbst klopfen. „Aus der Bahn mit euch!“ Nicht nur Maya verdrehte die Augen. Im selben Moment platzte auch Angel der Kragen. „Beweg dich nicht! Aus der Bahn mit euch! Kannst du dich vielleicht mal entscheiden?“, fauchte sie nach hinten und brachte den Vampir damit aus dem Gleichgewicht. Mit leicht empörten Blick wirbelte er herum, wollte ihr etwas Entsprechendes an den Kopf werfen, und wurde prompt von seinem Gegner überfahren. Angel biss sich auf die Zunge und suchte rasch nach etwas, mit dem sie sich verteidigen konnte. Ihr Blick fiel auf ein abgesplittertes Stück Holz des Stuhls, den sie nach dem Vampir geworfen hatte. Mit einem schmerzhaften Keuchen griff sie danach, visierte den Vampir an und schleuderte das Holzstück durch die Luft. Zu ihrer eigenen Überraschung traf sie ihn direkt über dem Herzen. Vollkommen perplex taumelte er zurück, den Blick fassungslos auf Angel gerichtet. Jasper nutzte die Gelegenheit, sprang auf die Beine und stürzte sich auf den Feind. Das Geräusch von splitterndem Glas musste im gesamten Krankenhaus zu vernehmen sein, als sie durch die Scheibe flogen. Angel blickte ihnen noch einen Moment nach und brach dann endgültig zusammen. Kapitel 6: Und wieder Chaos --------------------------- „Das kommt davon, wenn man so unvernünftig ist und unbedingt aufstehen muss, obwohl man gerade aus dem Koma erwacht ist. Und dann noch auch noch zertrümmerte Rippen … dass du nicht gleich tot umgefallen bist, ist fast schon ein Wunder.“ Angel verdrehte genervt die Augen, während Dr. Cullen ihren Puls überprüfte und ihr kurz darauf Morphium mit einer speziell für Jägerinnen angefertigten Spritze injizierte. Angel biss die Zähne zusammen und blickte mit tränenden Augen zur Decke hinauf. Carlisle warf ihr einen kurzen Blick zu und schmunzelte. „Da musst du jetzt durch.“ „Können Sie nicht einfach mal die Klappe halten und mich meinem Leid überlassen?“ Leise lachend legte er die Spritze wieder zur Seite und griff nach dem Stethoskop. Angel riss die Augen auf. „Das auch noch? Reicht’s jetzt nicht langsam?“ Dr. Cullen legte den Kopf schief. „Angel … du bist vor zwei Stunden aus dem Koma herausgerissen worden. Deine Rippen sind zertrümmert und wenn ich ganz ehrlich bin, wundert es mich, dass du überhaupt noch lebst. Und auch das scheinst du nur deiner außergewöhnlichen Stärke zu verdanken, die du als Jägerin nun einmal hast. Aber trotz allem solltest du das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Du hast dich viel zu sehr verausgabt und jetzt musst du halt die Konsequenzen tragen.“ „Soll ich mich jetzt dafür entschuldigen, dass ich meiner besten Freundin das Leben gerettet habe?“ „Sie war nie wirklich in Gefahr. Jasper war die ganze Zeit in der Nähe.“ „Ja, das hab ich gemerkt. Deswegen hat er auch erst eine Minute, nachdem der Kunde uns angegriffen hat, eingegriffen.“ „Du hast ihn mit deinem plötzlichen Gefühlsausbruch und Erwachen verwirrt.“ „Jetzt bin ich auch noch Schuld.“ „Angel, was soll das? Warum führst du dich jetzt so auf?“ Angel schnaubte. „Sie rammen mir eine Spritze so dick wie ein Ast in die Venen und fragen sich, warum ich mich so aufführe?“ „Wenn du wieder auf die Beine kommen willst, dann wirst du das jetzt wohl ertragen müssen.“ „Wissen Sie was: Vergessen Sie’s!“, fauchte sie, schlug die Decke zurück, ohne auf die Schmerzen im Brustkorb zu achten und schwang sich aus dem Bett. Carlisle legte rasch seine Hände auf ihre Schultern und hielt sie fest. „Nicht, Angel! Das Morphium wird bald wirken und dann wirst du kaum noch in der Lage sein, dich irgendwie durchzuschlagen.“ „Machen Sie sich um mich keine Sorgen. In fünf Minuten bin ich draußen.“ „Irrtum … in zwei Minuten liegst du flach.“ „Woll’n wir wetten?“ „Lass es nicht drauf ankommen.“ „Oh … ich liebe Herausforderungen.“ „Also schön! Zwei Minuten.“, willigte Carlisle ein, verschränkte die Arme vor der Brust und achtete darauf, dass das Handgelenk mit der Uhr nach oben zeigte. Prüfend schaute er auf das Ziffernblatt. „Eine Minute und 30 Sekunden.“ Angel verdrehte die Augen, sprang auf die Beine und bemerkte schockiert, dass sie bereits jetzt zu taumeln begann. Mühsam versuchte sie, sich nichts anmerken zu lassen und torkelte zur Tür. „Eine Minute.“ Angel packte den Türrahmen und schüttelte kurz den Kopf, als die Sicht vor ihr verschwamm. „Noch dreißig Sekunden.“ „Okay, okay, okay! Sie haben gewonnen.“, knurrte sie, doch zu ihrer Enttäuschung klang es nicht annähernd so gereizt, wie beabsichtigt. Carlisle lächelte triumphierend, wandte sich um und lächelte noch breiter. „Und jetzt kannst du mich verfluchen, so oft du willst. Es wird dir sowieso nichts bringen.“ Angel wollte die Augen verdrehen, hatte aber nicht einmal dafür die Kraft, bevor sie langsam zu Boden sank. Doch sie schlug nicht auf dem Boden auf. Stattdessen schoben sich zwei kräftige Arme unter ihren Körper und hoben sie auf. Nur entfernt nahm sie wahr, dass es Jasper war, bevor sie im Land der Nebel versank. „Na bitte … Besserungen sind doch schon in Sicht.“, bemerkte Dr. Cullen, während er einen Blick auf das Klemmbrett warf und sich etwas notierte. Maya blickte ihm neugierig über die Schulter und zwinkerte kurz Angel zu, die beleidigt die Augen verdrehte. Seit drei Tagen war sie nun schon ans Krankenbett gefesselt und langsam aber sicher hatte sie die Nase voll – vor allem von dem Essen. Edward, der etwas weiter abseits stand, lachte leise, was Angel trotzdem nicht entging. „Ich brech’ dir gleich den Kiefer, wenn du nicht aufhörst zu lachen.“ „Dazu wirst du wohl kaum in der Lage sein.“, bemerkte Carlisle, ohne von seinem Klemmbrett aufzuschauen. „Spritzen Sie mir doch zur Abwechslung mal ein wenig Adrenalin ins Blut und dann geht das wie geleckt.“ „Angel.“ Mit blitzenden Augen sah Dr. Cullen sie an. „Ich hab dich doch gebeten, mich nicht zu siezen.“ „Ich hab Sie aber auch nicht gebeten, mich zu duzen, oder?“ Maya, die noch immer hinter dem Arzt stand, stöhnte leise auf. „Komm schon, Angel! Warum machst du jetzt so ein Drama?“ „Freut mich für dich, wenn du dich schon mit ihnen verbündet hast.“ „Hörst du jetzt endlich mal auf?“ „Hast du schon vergessen, mit was wir es hier zu tun haben?“ „Nein! Hast du vergessen, dass sie uns das Leben gerettet haben! Speziell sogar dir, die wohl ihre größte Feindin sein dürfte! Sie hätten uns auch ohne Probleme abkratzen lassen können.“ „Vielleicht wär das sogar besser gewesen.“, brummte Angel leise, was Maya regelrecht schockierte. „Wie bitte?“, fragte sie ungläubig und stemmte die Hände in die Hüften. „Nimm sie nicht Ernst, Maya! Angel steht noch immer ein wenig unter dem Einfluss des Morphiums. Deswegen ist sie ja auch so gereizt.“, bemerkte Carlisle trocken, setzte einen Punkt am Ende seiner Notiz, steckte den Kugelschreiber ins Etui, was aus seiner Brusttasche ragte und sah Angel streng an. „Und du wirst dich jetzt ausruhen! Sonst vergraulst du am Ende noch sogar deine beste Freundin.“ „Hey, Sie haben mir gar nichts zu sagen.“ „Ich bin dein Arzt, Angel! Und als solcher muss ich dir nun einmal klipp und klar sagen, was du zu tun und zu lassen hast, damit du wieder gesund wirst. Und jetzt ruh dich aus!“ Maya blickte ihn beeindruckt von der Seite an. „Sie sind der Erste, der sich traut, so mit ihr zu reden, wissen Sie das? Nicht einmal ich dringe zu ihr durch, wenn sie ihren sturen Tag hat.“ „Das liegt daran, dass sie weiß, dass ich Recht habe.“, erwiderte Dr. Cullen, umfasste Mayas linke Schulter und geleitete sie aus dem Zimmer. Edward blieb und blickte Angel grinsend an, die immer noch finster vor sich hinstarrte. „Was?“, fauchte sie und verschränkte die Arme vor der Brust, bevor sie kalkweiß im Gesicht wurde und ihre Arme wieder zu beiden Seiten ihres Körpers postierte. Ihre Rippen meldeten sich schmerzhaft. „Du solltest dich nicht so schnell bewegen.“, bemerkte Edward leise, während er langsam auf sie zuging. „Und du solltest deine Klappe halten, wenn du dich weiterhin bewegen können willst.“, knurrte sie zurück und blickte nach rechts aus dem Fenster. Edward seufzte erschöpft. Hatte es überhaupt Sinn? Die Antwort war simpel. „Irgendwann … wirst du hoffentlich merken, dass wir dir nichts Böses wollen. Und dann hoffe ich, dass du auch deinen Stolz überwinden kannst.“, brummte er und verließ im Eiltempo das Zimmer. Angel schnitt eine Grimasse und äffte seinen letzten Gesichtsausdruck nach, bevor sie sich nach hinten lehnte und an die Decke starrte. Sich von Vampiren helfen lassen, soweit kam es noch. Und wie zum Teufel hatten sie nur Maya unter ihre Fittiche nehmen können? Stand sie tatsächlich nur auf ihrer Seite, weil sie Edward so mochte oder hatte sie selbst vielleicht wirklich Unrecht? Auf der Suche nach ein wenig Entspannung schloss sie die Augen, stellte aber schon nach einer Minute fest, dass das nichts brachte. Zum Schlafen war sie viel zu aufgewühlt. Wütend fuhr sie hoch und krümmte sich gleich wieder, als ein scharfer Schmerz durch ihren Körper schoss. Gab es eigentlich etwas Grausameres als gebrochene Rippen? Tief atmend, obwohl sie dabei das Gefühl hatte, von mehreren Dolchen durchbohrt zu werden, schwang sie ihre Beine aus dem Bett und stand auf. Mit zittrigen Fingern griff sie nach ihrem Bademantel, schlüpfte umständlich und mit tränenden Augen hinein und begab sich dann zur Tür. Verstohlen warf sie einen Blick auf den Flur. Er war nicht leer, aber auch nicht überfüllt. Rasch hielt sie Ausschau nach Dr. Cullen, Maya oder irgendeinem anderen Blutsauger, der hier herumschleichen konnte und seufzte erleichtert, als sie feststellte, dass sie offenbar freie Bahn hatte. Eilig huschte sie aus dem Zimmer, schloss leise die Tür und stahl sich an der Wand entlang in Richtung Treppe davon. Als sie Schritte hinter sich vernahm, blieb sie stehen und warf vorsichtig einen Blick zurück. Es war nur eine Krankenschwester, die mit wehendem Rock an ihr vorbei lief und sie nicht einmal eines Blickes würdigte. Immer noch nach hinten blickend, schlich sie weiter und bemerkte dabei nicht die Tür, die sich einen halben Meter vor ihr plötzlich öffnete. Mit einem dumpfen Knall krachte sie gegen das Holz und stolperte zurück. Rasch suchte sie nach Halt, griff nach der Türklinke der danebenliegenden Tür – und riss sie aus ihrer Verankerung, bevor sie unglücklich zu Boden stürzte. Mit gekrümmtem Rücken blieb sie auf der Seite liegen und umklammerte dabei noch immer die zerstörte Klinke. Der Schmerz in ihrem Körper war gigantisch, die normalerweise betäubende Wirkung des Morphiums war vorüber. Gleichzeitig durchfuhr sie plötzlich ein rasendes Gefühl von Hass, der sie die Klinke zur Seite schleudern ließ. Donnernd bohrte sie sich in die nahegelegene Wand zu ihrer rechten und blieb dort stecken. Nur durch einen dichten Nebel bemerkte sie, wie aufgeregtes Treiben um sie herum entstand. Mehrere Hände glitten tastend über sie hinweg. Angel erfasste ein neuerliches Gefühl von Wut und begann um sich zu schlagen. Offenbar hatte sie Erfolg, denn beim zweiten Mal spürte sie, wie unter ihrem Schlag etwas brach und sich die getroffene Person rasch zurückzog. Das widerliche Gefühl von Schadenfreude durchfuhr sie, als sie auch die nächste Nase zertrümmerte und kurz darauf offenbar sogar eine Rippe. Doch als sie beim nächsten Schlag das Gefühl hatte, gegen eine Betonwand getreten zu haben, wurde ihr klar, dass ihr Aufstand vorbei war. Offenbar hatte Carlisle sie gefunden. „Angel, Angel, bitte …. hör auf! Komm zu dir!“ Immer noch blind vor Schmerzen und Wut schlug sie auf alles ein, was ihr in die Quere kam und brach dabei immer noch mehrere Beine oder Arme. „Komm schon, beruhige dich!“ Aber sie konnte sich nicht beruhigen. Das Gefühl, verraten worden zu sein, stieg zusätzlich in ihr auf und machte sie sogar noch stärker. Wütend bäumte sie sich gegen Carlisles Griff auf, schlug ihn zurück und weiter um sich – bis es ein plötzliches Ende fand. Eine eiskalte und kräftige Hand umklammerte fest ihren Nacken, ein unglaubliches Gewicht auf ihrer Brust und der darauffolgende beißende Schmerz ließen sie innehalten, während eine zweite, ebenso kalte Hand nach ihrem rechten Handgelenk griff und es zu Boden drückte. Sofort beruhigte sie sich und blickte überrascht in das Gesicht des Vampirs Jasper, der ihren Blick mit glühenden Augen erwiderte. Sein Gesicht war konzentriert und so nah, dass sich ihre Nasenspitzen beinah berührten. Ein plötzliches Gefühl von Müdigkeit breitete sich in ihr aus, machte sie schläfrig. Doch da war noch dieser Schmerz, dieser grauenvolle Schmerz, den er verursachte. Verschwunden war das Bedürfnis nach Schlaf und verzweifelt kämpfte sie gegen seinen Griff an, versuchte ihn von sich zu schleudern. „Jasper, runter von ihr! Du tust ihr weh.“ Der Blickkontakt wurde unterbrochen, als der blonde Vampir Carlisle kurz ansah und dann mit einer geschmeidigen Bewegung von Angel herunter glitt. Die Gelegenheit. Mit einer unglaublichen Kraftanstrengung erhob sie sich, sogar gegen Jaspers Griff, der seine Anstrengung verdoppelte und sich gegen sie stemmte. Sorgenfalten hatten sich auf seiner Stirn gebildet, als ihm klar wurde, dass er Angel nicht das Wasser reichen konnte. „Maya!“, rief Carlisle, während er versuchte, die Jägerin an den Schultern zurück zu ziehen und zu Boden zu drücken – ohne Erfolg. „Nein, bleiben Sie zurück!“, wies er die umstehenden Krankenschwestern und Pfleger an, denen Angel noch nichts gebrochen hatte, und sich bereit gestellt hatten, um zu helfen. Verwirrt stolperten sie zurück und beobachteten das Spektakel. Maya – in Begleitung von Edward, der entsetzt auf das Chaos starrte – blieb kurz stehen und ging dann dicht hinter Jasper in die Knie, um Angel anzusehen. „Jetzt beruhige dich doch!“, rief sie, doch ein Blick in ihre Augen verriet, dass Angel rasend war. Rasch hob sie ihre Hand, um Angels Zeit anzuhalten, als ein gigantischer Schlag sie zurückschleuderte. Ungebremst und mit Schallgeschwindigkeit krachte sie in den nächstgelegenen Tresen, der in sich zusammenbrach und Maya unter sich begrub. Edward blickte ihr entsetzt nach und handelte dann sofort. Wie ein Blitz erschien er plötzlich neben Angel, die sich immer mehr gegen Jasper durchsetzte. Dann holte er einmal kräftig aus und schlug das Mädchen mit einem gezielten Schlag gegen den Kopf zu Boden. Sofort kehrte Ruhe ein. Erschöpft seufzend richtete er sich wieder auf und blickte in das entsetzte Gesicht Carlisles. „War das wirklich nötig?“ „Anders hättest du sie garantiert nicht zur Ruhe gekriegt.“ „Was hättest du gemacht, wenn du ihr das Genick gebrochen hättest?“ „Du hast selbst gesagt, dass man eine Jäge… ein Mädchen wie sie nicht einfach so fertigmachen kann.“ Carlisle wollte etwas entgegnen, schüttelte allerdings den Kopf und blickte erschöpft auf Angel. Unter ihrer Haut konnte er das Blut rauschen sehen, es brodelte regelrecht. „Offenbar … hab ihr die Dosis Morphium falsch abgepasst. Es hätte sie beruhigen müssen und nicht zur Furie werden lassen.“ „Reagieren Jägerinnen anders auf Morphium?“ „Das nicht, aber man darf die Dosis nicht wie bei einem normalen Menschen bemessen. Ich hab ihr zuviel gegeben, deswegen ist sie ausgeflippt.“ Jasper blickte – ein wenig traurig, wie Carlisle feststellte – auf das bewusstlose Mädchen hinab, schob dann seine rechte Hand unter ihren Nacken und hob ihren Kopf an. Ganz sacht fuhr er mit der Nasenspitze über ihr Gesicht und sog ihren Duft ein. Dr. Cullen runzelte die Stirn und warf Edward einen fragenden Blick zu, der mit den Schultern zuckte und dann rasch verschwand. Seine Sorge galt jetzt Maya, die er so schnell er konnte aus den Trümmern des Tresens befreite. „Jasper, was ist eigentlich mit dir los? Erst tust du alles Mögliche, um sie zu schützen, dann weichst du ihr keine Sekunde von der Seite und jetzt …. könntest du mir das mal erklären?“, fragte Carlisle verwirrt. Jasper blickte ihn kurz mit ausdrucksloser Miene an, bevor er seinen Blick wieder auf Angel richtete. „Es ist … ihr Geruch, ihre ganze Erscheinung … sie weckt irgendwelche Erinnerungen.“ „An früher?“ Kaum merklich schüttelte er den Kopf. „An mich.“, flüsterte er so leise, dass es nur sein Adoptivvater hören konnte. „Bring sie in ihr Zimmer. Ich kümmere mich schnell um Maya und komme dann nach.“ Damit sprang er auf die Beine und verschwand. Jasper verharrte noch einen Moment so, Angel in den Armen, hob sie dann schließlich auf und steuerte das Krankenzimmer an. Die verängstigten Blicke der Pfleger und Pflegerinnen folgten ihm, was er nicht weiter beachtete. Edward hatte Maya in der Zwischenzeit befreit und trug sie auf seinen Armen in ein separates Zimmer, wo er sie sanft in eines der vier Betten legte. Sie zitterte am ganzen Körper und hatte die Augen fest geschlossen. Eine beeindruckende Platzwunde zierte ihre Stirn und ließ auch Edward zittern. Der betörende Geruch ihres Blutes stieg ihm in die Nase und erinnerte ihn daran, dass er demnächst unbedingt wieder jagen musste. „Maya, wie fühlst du dich?“, fragte Carlisle, der neben ihr Platz genommen hatte und ihre Platzwunde mit einem Wattepad betupfte. „Wieso … ist sie so ausgerastet?“, flüsterte sie mit zittriger Stimme, die Augen immer noch fest verschlossen. Carlisle seufzte „Ich fürchte, das war meine Schuld. Ich hab die Morphium-Dosis falsch bemessen und das hat sie zum wilden Stier werden lassen.“ „Haben Sie sie unter Kontrolle gekriegt?“ „Edward hat …“ Ein scharfes Kopfschütteln brachte den jungen Vampirarzt ins Stocken. „… er hat sie am Ende beruhigen können.“ Ein schwaches Lächeln huschte über Mayas Gesicht. „Sie mussten Sie k.o. schlagen, richtig?“ „Ähm …“ „Anders kriegt man eine ausgeflippte Jägerin bestimmt nicht klein.“ „Ich hoffe, du bist nicht sauer.“ „Sauer darüber, dass Sie es geschafft haben, weitere Knochenbrüche zu verhindern? Bestimmt nicht.“ Carlisle hielt einen Moment inne, eher er fragte: „Warum hasst sie Vampire eigentlich so sehr? Ich meine … sie muss doch merken, dass wir ihr nichts tun.“ Maya seufzte, richtete sich schließlich auf und blickte traurig auf die Bettdecke. „Das liegt nicht an euch.“ „Sondern?“, hakte Edward sanft nach, der sich zu Maya auf das Bett setzte und seine Stirn gegen ihre lehnte. Maya schloss wieder die Augen und genoss diesen kurzen Moment. „Also?“, fragte Edward leise, während er sich langsam zurückzog und stattdessen ihre gesunde Hand in seine nahm. Maya seufzte. „Das liegt daran, dass es Vampire waren, die ihre gesamte Familie ausgelöscht haben.“ Carlisles Augenbrauen zogen sich sofort zusammen. Er verabscheute Gewalt. Und die Tatsache, dass Vampire das Glück einer gesamten Familie zerstört hatten, widerte ihn an. „Wusste irgendjemand aus ihrer Familie, dass sie eine Jägerin ist?“ „Nein! Niemand! Ich war im Grunde die einzige, der sie sich in dieser Hinsicht anvertraut hatte. Und trotzdem … haben sie die gesamte Familie McKinnon ausradiert. Angel ist die einzige Überlebende.“ „McKinnon?“, fragte Edward mit gerunzelter Stirn. Maya lächelte. „Angel McKinnon! Das ist ihr vollständiger Name.“ Edward pfiff leise. „Klingt sehr edel.“ Ein Satz, der Maya zerknirscht dreinblicken ließ. Abwehrend hob er die Hände. „Dein Namen wird mit Sicherheit um Einiges wundervoller sein.“ Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. „Da hast du die Kurve aber grad noch einmal so gekriegt.“ Nicht nur Edward lachte. Kapitel 7: Gegen jede Gewohnheit -------------------------------- Das entfernte Gefühl von Vertrautheit schlich sich wieder in seine Gedanken. Vorsichtig glitten seine Fingerspitzen über ihre Wange, die Stirn, während sein Gesicht nur Millimeter von ihrem entfernt war. Der Duft, der von ihr ausging, weckte lang verborgene Erinnerungen… an seine Vergangenheit, sein Leben, seine Familie, seinen … Jasper fuhr unweigerlich hoch, als Carlisle das Zimmer betrat. Innerhalb von wenigen Hundertstel Sekunden saß er am Fußende des Bettes und blickte mit neugieriger Miene zu ihm auf. „Ist sie zwischendurch wach geworden?“ „Nicht einmal.“ „Sehr gut.“ Rasch nahm er neben Angel Platz, griff nach seiner Augenleuchte, schob Angels rechtes Augenlid hoch und kontrollierte ihr Auge. Dasselbe tat er mit dem Linken. „Und?“, fragte Jasper. „Komplett weggetreten. Edward hat saubere Arbeit geleistet.“ „Was hätte er sonst tun sollen? Ich hab ja noch nicht einmal ihre Gefühle unter Kontrolle bringen können.“ Carlisles Blick wurde hart. „Wir hätten schon einen anderen Weg gefunden.“ „Welchen? Noch mehr Morphium?“, konterte Jasper angriffslustig und sprang auf die Beine. Wie ein ruheloser anmutiger Tiger stromerte er durch das Zimmer, die Arme vor der Brust verschränkt. „Jasper, bitte tu mir einen Gefallen und hör auf, so herumzuwandern.“ „Sie macht mich wahnsinnig!“, fauchte er und ein drohendes Knurren arbeitete sich in seiner Kehle hinauf. Carlisle blickte ihn verwirrt an. „Was meinst du?“ Jaspers Knurren flaute ab. „Dieser Geruch, den sie verströmt … die ganze Zeit muss ich an ihn denken. Die ganze Zeit hab ich irgendwelche fernen Erinnerungen im Kopf, verschwommen aber da. Und ich weiß nicht wieso!“ „Passiert das zum ersten Mal?“ „Sicher, sonst würde ich ja nicht so ausrasten.“ Dr. Cullen dachte einen kurzen Augenblick nach und wandte sich dann wieder Angel zu, deren Augenlieder plötzlich zu flackern begannen. Kurz darauf öffnete sie die Augen und blickte überrascht in das Gesicht des Arztes. „Sie schon wieder!“ Trotz des forschen Tones lächelte er. „Machst du jetzt da weiter, wo du vorhin aufgehört hast, ja?“ „Wenn Sie scharf drauf sind.“ „Angel …“ „Ach wissen Sie was! Sparen Sie sich weitere Reden. Ich hab sowieso rasende Kopfschmerzen und keinen Nerv, mich auf so einen Mist zu konzentrieren.“ „Tja und ich fürchte, daran bin ich Schuld.“ „Wer sonst?“, brummte sie und atmete scharf ein, als ein stechender Schmerz durch ihren Brustkorb fuhr. „Wie ich sehe, kann man dir nichts vormachen. Schön, wenn man so frisch und munter mit dir reden kann.“ Angel verdrehte die Augen. Carlisle warf Jasper über seine Schulter hinweg einen kurzen Blick zu. Der nickte kaum merklich und richtete seinen Blick auf Angel, die misstrauisch ihre Augenbrauen hob. „Was wird das?“ „Das wird gar nichts.“, beschwichtigte der Arzt sie und wartete auf die gewünschte Wirkung. Tatsächlich breitete sich kurz darauf eine Welle von Gleichmütigkeit im Raum aus und erfasste auch Angel, die zu seiner Erleichterung entspannt seufzte. „Ich weiß ja nicht, was Sie da gerade mit mir machen, Doc, aber ich fürchte, es scheint zu wirken. Seien Sie froh!“ „Ich mach überhaupt nichts.“ „Dann halt ihr bulliger Leibwächter da drüben.“, säuselte sie und deutete mit einer lässigen Handbewegung auf Jasper, der unwillkürlich grinsen musste. Angels gleichmütiger Ton passte so gar nicht zu ihr. Er konnte sich gut vorstellen, dass unter anderen Umständen ihr Puls gerast und sie, statt zu säuseln, geschrieen und um sich getreten hätte. Zu seinem Glück wirkte seine Gabe bei ihr „Wie fühlst du dich?“ „Das wissen Sie doch am besten.“ „Ich meinte gesundheitlich.“ „Ja, ich auch.“ Carlisle schloss die Augen und atmete tief durch. Manchmal war es schon schwer, in ihrer Gegenwart die Fassung zu wahren. Sie ließ einem keine Chance, selbst wenn man klarstellte, dass keine bösen Absichten bestanden. „Na schön … beantworte die Frage eben nicht. Ich stelle dann halt meine eigenen Vermutungen an. Und ich schätze, aufgrund der Tatsache, dass deine Zunge schon wieder so schnell wie die einer Schlange ist, denke ich, dass du soweit schon wieder in Ordnung bist. Von deinen Rippen mal abgesehen.“ „Die durch die reizende Klammeraktion ihres Bullterriers wahrscheinlich noch einmal ordentlich zermatscht wurden.“ „Ich saß ja überhaupt nicht auf dir drauf!“, knirschte Jasper, doch das Grinsen in seinem Gesicht blieb. Angel kniff die Augen zusammen. „Der Schmerz hat aber was Anderes verkündet.“ „Ach entschuldige, vielleicht bin ich ja einmal ganz kurz gegen deine Rippen gekommen.“ „Ja, ja... das war doch nur ein geschickter Versuch, mich zu betatschen.“ Jasper ballte die Hände zu Fäusten. Das Grinsen war weg. „Himmel nochmal … dieses Mädchen bringt sogar mich zur Raserei.“ Angel fuhr, trotz Schmerzen, hoch. „Wer ist hier ein Mädchen?“ Jasper runzelte die Stirn. „Also wenn du das noch nicht mal weißt.“ „Vorsicht, Freundchen!“ „Sonst, was?“ „Sonst knallt’s!“ „Mit gebrochenen Rippen?“ Als Antwort knirschte sie nur mit den Zähnen und blickte schließlich beleidigt aus dem Fenster. Und wieder rollte eine Welle von Gleichmütigkeit über sie hinweg. Jasper warf Carlisle in der Zeit ein Grinsen zu und lehnte sich gegen die Wand. „Also, Angel! Ich denke, wir können dich heute entlassen und ich denke, das ist auch ganz gut so, bevor du hier noch mehr Chaos anrichtest. Deine Rippen werden sicher schnell verheilen.“ Angel kaute auf ihrer Unterlippe. „Was ist?“ Keine Reaktion. „Angel? Was ist los?“ „Ach gar nichts. Ich überlege nur gerade, wie ich die teilweise Bewegungsunfähigkeit umgehen kann.“ Carlisle schlug sich plötzlich gegen die Stirn, was Angel verwunderte. Selten gab sich ein Vampir eine solche Blöße. „Das hab ich ganz vergessen.“, lachte er. „Was denn vergessen?“, fragte sie mit dem unguten Gefühl, dass die Antwort nicht zu ihrer Freude ausfallen würde. „Natürlich werden du und Maya solange bei uns untergebracht, bis wir den Vampir gestellt haben und ihr wieder vollständig auskuriert seid.“ Das übertraf sogar ihre schlimmsten Vorstellungen. Geschockt und mit offenem Mund starrte sie ihn an. „Hmm … Freudensprünge oder Erleichterung sehen anders aus.“, stellte er fest und warf einen Blick auf Jasper, der die Stirn runzelte und mit konzentrierter Miene eine neue Gleichgültigkeitswelle auswarf, die diesmal jedoch abprallte. „Das war jetzt der schlechteste Scherz, den sie jemals loslassen konnten!“, fauchte sie wütend, packte die linke Ecke der Decke und schlug sie zur Seite. Mit Schwung sprang sie aus dem Bett und begann sofort zu taumeln. Jasper war zur Stelle und griff nach ihrem rechten Arm. „Vorsicht!“ „Ich kann das allein!“, keifte sie zurück und riss sich von ihm los. „Offensichtlich nicht.“, erwiderte er und packte sie wieder am Arm. „Sei doch endlich mal vernünftig.“ „Bin ich ja. Deswegen werde ich ’nen Teufel tun und bei dir zur Untermiete einziehen.“ „Angel.“, wandte Carlisle ein, der sich von seinem Stuhl erhob sie bittend ansah. „Setz dich nicht dieser Gefahr aus. Sieh doch ein, dass du momentan einfach auf Hilfe angewiesen bist. Maya hat uns diese Probleme nicht gemacht.“ „Tja, sie ist eben vertrauensseeliger, seid doch froh darüber.“ „Das hat weniger damit zu tun. Sie ist nur vernünftiger.“ Angel warf Jasper einen langen Blick zu. Die Erinnerung an das Bild ihrer Familie, das sie immer mit sich herumtrug. Die Ähnlichkeit zwischen Jasper und dem Zwillingsbruder ihres Ur-Ur-Urgroßvaters. Der Widerwille, sich in das Haus der Vampire zu begeben, flaute ein wenig ab. Die Neugier begann sich in ihr regen. Seufzend wandte sie sich an Carlisle. „Na schön! Aber wehe, irgendeiner von euch knabbert mich an.“ „Glaub mir, die werden alles tun, um sich von dir fernzuhalten.“ „Gut für sie.“ Jasper verdrehte wieder die Augen und führte Angel zur Tür hinaus. „Mmmhhh … das sieht aber appetitlich aus.“, murmelte Angel, während sie auf den Haufen Paprika starrte, den Maya in der letzten halben Stunde mühsam zurecht geschnitten hatte. Maya blickte sie streng an. „Fang ja nicht an zu naschen.“ „Aber ich liebe Paprika.“ Angels Freundin lächelte freudlos. „Ich liebe Johnny Depp auch, aber deswegen entführe ich ihn nicht einfach vom roten Teppich, oder?“ „Was hast du eigentlich immer mit Johnny Depp?“ „Was hast du immer mit deinen Vampiren?“, entgegnete Maya angriffslustig, legte des Messer zur Seite und verschränkte die Arme vor der Brust. Der Bruch, den sie sich in ihrem rechten Arm eingefangen hatte, war schnell verheilt. Nur noch hin und wieder hatte sie noch mit den Auswirkungen zu kämpfen, während Angel noch immer unter starker Bewegungseinschränkung litt. Ihre Rippen heilten bei weitem nicht so schnell wie sie gedacht und Carlisle angekündigt hatte. Angel setzte zu einer Antwort an, verkniff es sich jedoch, als ihr klar wurde, dass sie nicht genau wusste, was sie überhaupt sagen wollte. Stattdessen griff sie in ihre Hosentasche und förderte eine Zigarette zutage, die sie rasch anzündete und genüsslich dran zog. Maya riss die Augen auf. „Das ist doch jetzt nicht dein Ernst.“ „Was denn?“, fragte Angel und blies erleichtert eine Rauchwolke in die Höhe. „Du rauchst doch jetzt nicht wirklich.“ „Wonach sieht es denn sonst aus?“ „Angel, bist du verrückt? Du bist doch überhaupt noch nicht komplett auf dem Damm.“ „Willst du Moralapostel spielen?“, fragte Angel scharf. Maya zwinkerte schelmisch. „Funktioniert es denn?“ „Keineswegs.“ „Dann kann ich auch nichts mehr für dich tun.“, grinste sie und wandte sich der nächsten Paprikatschote zu, die Angel gierig beäugte. Um sich abzulenken, nahm sie einen weiteren Zug, bis ihr jemand von hinten die Zigarette aus der Hand riss. Geschockt blickte sie noch einen Moment ins Leere, ehe sie herumfuhr und Carlisle fassungslos ansah. „Was soll das?“ „Hab ich dich nicht gebeten, erst dann wieder zu rauchen, wenn du ´wieder vollkommen gesund bist?“ „Ja.“ „Und warum hältst du dich dann nicht dran?“ Neben sich pfiff Maya bedeutungsvoll, während sie weiterhin die Paprika in Streifen schnitt. „Hey, das ist immerhin meine Gesundheit!“ „Für die ich verantwortlich bin.“ „Ich hab Sie nicht darum gebeten, die Verantwortung zu übernehmen.“ „Und trotzdem hab ich es getan.“, schloss er, löschte die Zigarette und rauschte wieder an ihr vorbei. Gleichzeitig schnappte er sich ihre Zigarettenschachtel aus der rechten Hosentasche, was sie mit Schrecken zur Kenntnis nahm. Sehnsüchtig blickte sie ihm ein paar Sekunden nach, sah dann auf die Paprikastreifen neben sich und warf dann Maya einen bestürzten Blick zu. Ihr Freundin erwiderte ihren Blick mitleidig, blickte ebenfalls kurz auf die Paprika und hielt ihr dann seufzend das Brett entgegen. Bereits nach fünf Minuten war das Brett leer. Kapitel 8: Aufklärung --------------------- „Hey, Angel! Es reicht langsam.“ „Ich hab Hunger!“ „Du futterst noch Amerikas gesamten Paprikabestand weg.“ Angel schnaubte. „Wenn ich schon keine Zigarette rauchen darf, dann muss ich halt meiner anderen Droge nachgehen.“ Maya runzelte die Stirn. „Ich dachte, das wäre die Jagd.“ „Die ja mittlerweile auch verboten ist.“ „Und das völlig zu Recht.“, bemerkte Carlisle, der leise das Zimmer betrat und eine Ladung Mullbinden bei sich trug. Angel verzog angewidert das Gesicht und deutete auf das Verbandsmaterial. „Das ist doch nicht Ihr Ernst.“ Carlisle lächelte schief. „Irgendwann müssen wir mal die Verbände wechseln.“ Maya ließ sich auf den Sessel neben sich fallen, schlug die Beine übereinander und kicherte vor sich hin. „Das will ich nicht verpassen.“ Angel blickte derweil geschockt drein, bis sie ihre Sprache wiedergefunden hatte. „Das macht Ihnen einen Heidenspaß, was?“, zischte sie verbittert und verschränkte die Arme vor der Brust. Sofort krümmte sie sich wieder ein wenig zusammen, als stechende Schmerzen durch ihren Körper fluteten. Carlisle seufzte. „Mir würde es mehr Freude bereiten, dich wieder putzmunter in der Gegend herumspringen zu sehen, wenn ich ehrlich bin.“ „Aber da Sie mir das ja mittlerweile verboten haben, wie so vieles Andere auch …“ „Angel … wann wirst du endlich begreifen, dass ich das nur tue, damit du so schnell wie möglich wieder fit bist?“ „Wann werden Sie begreifen, dass ich Vampiren, wie Ihnen, einfach nicht trauen kann und will?“ „Aber aus welchem Grund denn?“ „Sehen Sie mal in den Spiegel.“ Mayas Kinnlade fiel herunter. „Angel!“, fauchte sie, geschockt über Angels Herablassung. „Was?“ „Das war jetzt mehr als unnötig.“ „Schön … schlag dich doch ruhig auf ihre Seite.“ „Ich schlag mich auf gar keine Seite … und wenn, dann werde ich mich der Seite anschließen, die mir am vernünftigsten erscheint. Und momentan bist du das leider nicht.“ „Nur, weil ich mich nicht gleich in die Arme des nächstbesten Vampirs werfe oder wie?“ Maya wollte etwas entgegnen, ließ es dann aber und stürmte verletzt aus dem Zimmer. „Maya …“ Doch Maya hörte nicht. Verlegen kaute Angel auf ihrer Unterlippe und spielte nervös mit den Händen. Das hatte sie überhaupt nicht sagen wollen. So weit hatte sie niemals gehen wollen. Warum also redete sie sich in letzter Zeit immer wieder um Kopf und Kragen? „Hast du endlich das erreicht, was du wolltest?“, fragte Carlisle leise, der das Verbandszeug auf den Couchtisch legte und sie besorgt musterte. Angel schob die Unterlippe vor und zeichnete gedankenverloren das Holzmuster des Stuhls nach, auf dem sie saß. Dr. Cullen setzte sich ihr gegenüber in den Sessel, den vor ein paar Sekunden noch Maya in Beschlag genommen hatte. Nachdenklich legte er die Fingerkuppen aneinander und beobachtete Angel über seine Finger hinweg mit besorgter Miene. „Was ist los?“, fragte er schließlich, als das Schweigen andauerte und das Mädchen keinerlei Reaktion zeigte. Doch auch auf seine Frage reagierte sie mit Nichtstun und ließ ihren Finger weiterhin über das Holz gleiten. „Angel, komm schon! Du hast doch irgendetwas. Warum redest du nicht darüber?“ „Warum sollte ich mit Ihnen darüber reden? Was interessiert es Sie überhaupt, ob ich lebe oder nicht? Gerade Sie sollten doch froh sein, wenn es mich nicht mehr gibt!“ „Hörst du dich eigentlich selbst reden?“ „Sicher! Eine meiner guten Eigenschaften“ „Eine nicht sehr ausgeprägte Eigenschaft.“ „Was soll denn das jetzt heißen?“ „Das soll heißen, dass du dich ziemlich überschätzt, meine Liebe. Du hast mit deinem sinnlosen Daherreden deine beste Freundin ziemlich verletzt, falls du das nicht mitbekommen hast. Und du stellst uns die ganze Zeit als Monster dar, während wir krampfhaft versuchen, dich wieder auf die Beine zu bringen, dich zu beschützen.“ „Beschützen? Wovor beschützen Sie mich denn? Vor Stolperfallen? Das schafft Maya auch allein.“ „Würde sie es auch schaffen, dich vor diesem Vampir zu schützen?“ Der Satz wirkte. Verwirrt blickte sie ihn an. „Was meinen Sie?“ „Was Carlisle damit sagen will, ist, dass euer Peiniger nicht einfach so aufgeben wird.“, vernahm sie Jaspers Stimme in ihrem Rücken. Immer noch durcheinander warf sie ihm über ihre Schulter hinweg einen kurzen Blick zu und wandte sich dann wieder an Carlisle. „Er hat noch nicht aufgegeben?“ Der junge Arzt schüttelte den Kopf. „Nein! Er hat noch nicht aufgegeben.“ „Und er wird es auch nicht.“, fügte Jasper hinzu, während er sich hinter Carlisle gegen die Wand lehnte und sie mit einem unergründlichen Blick ansah. „Du bist einer anderen Art von Tracker in die Quere gekommen, Angel. Du weißt, was ein Tracker ist, nehme ich an.“ „Si … sicher.“, stammelte sie. Eine unnatürliche Panik hatte plötzlich von ihr Besitz ergriffen. Eine Panik, die sie von sich selbst nicht kannte. Sie ließ sich nicht so einfach einschüchtern … und doch war es diesem fremden Vampir tatsächlich gelungen, dies zu bewerkstelligen. „Du brauchst nicht in Panik zu verfallen. Wir sind ja da, um euch zu schützen, aber ich finde, du solltest endlich einmal darüber aufgeklärt werden, warum du und Maya nicht allein in eurer Wohnung bleiben konntet, schon gar nicht in dieser Verfassung.“, fuhr er fort. „Edward hatte neulich schon so etwas angedeutet.“, bemerkte Maya plötzlich, die in der Tür aufgetaucht war und sich gegen den Türrahmen gelehnt hatte. Angel fuhr sofort hoch. „Maya, ich …“ „Lass stecken, Angel!“, wehrte sie ihre Worte ab und lächelte ihr aufmunternd zu. „Schlechte Tage hat jeder mal.“ Betreten blickte ihre Freundin zu Boden. „Ja schon, aber … ich lasse sowas immer an den Falschen aus.“ „Was ich nicht bestreiten kann…“, grinste Maya und zerwuschelte Angel das Haar. „Hör endlich auf, Trübsal zu blasen, klar? Wir haben hier die beste Unterstützung, die wir nur kriegen können.“ Zur Unterstreichung ihrer Worte breitete Maya ihre Arme aus, um Angel klar zu machen, dass sie jeden einzelnen der Familie Cullen meinte. Angel blickte hinüber zu Carlisle, von ihm zu Jasper und dann wieder auf Maya. Und schließlich nickte sie. „Vielleicht sollte ich wirklich aufhören, immer so zu übertreiben.“ „Tja … wo wir das jetzt endlich mal geklärt haben …“, rief Carlisle erfreut und sprang aus dem Sessel. „…raus mit euch!“ Jasper und Maya blickten ihn erschrocken an. „Es sei denn, Angel hat gern Zuschauer dabei.“, bemerkte Carlisle augenzwinkernd und beinah sofort lief Angel knallrot an. Die Begeisterung hielt sich in Grenzen. „He he … ich glaube, Angel ist ein wenig verlegen.“, grinste Maya, was Angel noch röter werden ließ. „Wieso?“, hakte Carlisle nach und grinste kurz darauf selbst. „Ach so … deshalb!“ Angel blickte ihn wütend an. „Schön, wenn sich alle so auf meine Kosten amüsieren.“, knurrte sie beleidigt und schob die Unterlippe vor. Ein Schmollmund, der Maya kichern ließ. „Wer wird sich denn so haben?“ „Wer wird sich denn so haben?“, äffte Angel Maya nach und verdrehte gleichzeitig die Augen. Dr. Cullen schob Jasper in der Zwischenzeit aus dem Zimmer. „Keine Sorge, Angel! Schon seit deiner Operation gibt es keine Geheimnisse mehr zwischen uns.“, bemerkte er mit einem neckischen Augenzwinkern. Angel erstarrte – die Augen weit aufgerissen, während Maya lauthals losprustete und immer noch laut lachend das Zimmer verließ, als Carlisle sie hinauswinkte. „Viel Spaß noch!“, rief sie, bevor er die Tür schloss. Angel blickte ihn immer noch geschockt an. „Was ist? Hab ich dich erschreckt?“ Keine Reaktion. Carlisle runzelte die Stirn. Hätte sie nicht direkt vor ihm gestanden, wäre es ihm wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, wenn sie in der Zwischenzeit an einem Herzinfarkt gestorben wäre. So wedelte er kurz mit seiner Hand vor ihrem Gesicht herum. „Angel?“ Und endlich blinzelte sie. Mit einem leichten Kopfschütteln schob sie sich an ihm vorbei. „Ich muss hier raus, sonst werd ich noch wahnsinnig.“, murmelte sie leise und vollkommen apathisch. Carlisle ergriff ihren Arm und hielt sie fest. „Sekunde! So schnell geht das nicht. Du kannst hier gern raus. Aber vorher haben wir noch etwas zu erledigen.“ Angels Miene schlug in wehleidig um. „Muss das sein?“ „Ich fürchte schon!“ „Keine Alternative?“ „Leider nein.“ „Kei … was heißt hier leider?“, empörte sie sich und schürzte die Lippen. Dr. Cullen hob die Augenbrauen. „Meinung geändert?“ Angel dachte einen Moment nach, bevor sie antwortete. „Nein!“, stieß sie schließlich hervor und wandte sich um. Dass der Vampir sie noch am Arm festhielt, hatte sie völlig vergessen. Ruckartig wurde sie wieder zurückgerissen und sofort ging sie mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Knie. Ihre Rippen brannten wie Feuer. „Entschuldige.“ Dr. Cullen ging neben ihr in die Knie und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. „Geht es wieder?“ Besorgt beobachtete er, wie Angel ein paar Mal angestrengt ein- und ausatmete und sich dann langsam wieder aufrichtete, die Hände immer noch gegen die Rippen gepresst. „Geht schon. Also schön … bringen wir es hinter uns.“ Und mit einem Gesicht, als hätte man sie zu lebenslangem Lebertrantrinken verurteilt, sank sie auf den Stuhl und schlüpfte vorsichtig aus ihrem Shirt. Zwei Stunden später hatte sich die gesamte Familie Cullen im Wohnzimmer versammelt. Angel hockte zusammengekauert auf einem von zwei Sesseln, auf dessen Lehne Jasper hockte. Maya hatte sich – in eine dicke Decke eingehüllt – fest an Edward gekuschelt. Neben ihr saßen Rosalie und Emmett. Esme hatte den zweiten Sessel in Beschlag genommen, dessen Armlehne Alice als Sitzplatz gewählt hatte. Carlisle war der Einzige, der stand. Sein Blick war fest und wirkte betrübt. „Also! Was meinten Sie vorhin damit …“ „Angel!“, unterbrach Carlisle sie seufzend. „Ich habe dich jetzt bereits auf eine Art und Weise gesehen, in deren Genuss bestimmt nicht viele Menschen gekommen sind.“ „Oh … es gibt bestimmt den einen oder anderen, der noch etwas tiefer in ihre Geheimnisse vorgestoßen ist.“, warf Emmett ein, was nicht nur Edward breit grinsen ließ. Selbst Esme, Alice und Maya konnten ein Kichern nicht unterdrücken. Jasper biss sich derweil auf die Unterlippe und blickte schmunzelnd zur Decke und Carlisle warf Emmett einen strengen Blick zu. Angels Blick sprühte Funken. „Eins schwör ich dir, Emmett! Wenn ich wieder vollkommen auskuriert bin … dann wirst du noch weiter fliegen als nur zehn Meter.“ Emmetts Miene wurde verbittert. „Das weißt du noch?“ Angels Grinsen war falsch und voller Schadenfreude. „Und die Garnierung aus Zweigen, Blättern und Erde … das werd ich auf Ewig im Gedächtnis behalten. Und stell dir mal vor: Ich hatte zertrümmerte Rippen, als ich dich durch die Luft geschleudert hab. Was denkst du, wie weit du erst fliegen wirst, wenn ich vollkommen auf dem Damm bin?“ „Ich war unvorbereitet!“ „Ach …“ „Hey …“ „Ruhe, ihr zwei! Ich denke, wir haben jetzt andere Sorgen.“, fuhr Dr. Cullen dazwischen. Emmett grummelte noch leise vor sich hin, während Angel ihren Blick wieder auf Carlisle richtete. „Ähm ja … wo war ich gerade …“ „Zuerst einmal wollte ich dich darauf hinweisen, dass aufhören sollst, Sie zu mir zu sagen. Nenn mir Carlisle! Und wehe dir, wenn du dich nicht daran hältst. Und um nun auf deine Frage zurückzukommen: Ich glaube, du wolltest wissen, wie wir darauf kommen, dass dieser Vampir, der euch angegriffen hat, seine Verfolgung noch immer nicht aufgegeben hat.“ „Ah ja … genau das war’s.“, stimmte Angel zu und blickte erwartungsvoll in die Runde. „Tja … ich fürchte, du hast dir da einen ganz schön hartnäckigen Feind ans Bein gebunden“, bemerkte Edward, der den Arm um Maya gelegt hatte. Es wirkte beinah so, als würde er sie sogar vor Worten hinsichtlich des gefährlichen Feindes beschützen wollen. Angel legte die Stirn in Falten. „Wer hat uns da angegriffen?“ „Er gehört zu einem Zirkel aus dem hohen Norden. Einem sehr gefährlichen Zirkel, vor allem für Jägerinnen.“ „Und warum gerade für Jägerinnen?“ „Edward sagt, dass es eine Menge Vampire gibt, die Mutproben veranstalten, in denen es darum geht, einer Jägerin lebend zu entkommen. Aber es gibt wohl auch Gruppen, die sich darauf spezialisiert haben, Jägerinnen zu jagen und zu töten.“, sprudelte Maya hervor. Angel hob überrascht eine Braue. „Ein Vampirzirkel, der Jägerinnen jagt? Was für eine verdrehte Welt.“ „Diese Typen sind gefährlich, Angel!“ „Das ist mir auch schon aufgefallen.“ „Und ich fürchte fast, dass Maya sogar noch ein wenig untertreibt.“, wandte Jasper ein. Angel schluckte unwillkürlich und blickte ihn unheilvoll von der Seite an. „Untertreibung? Du meinst nicht zufällig Übertreibung?“ „Schön wär’s.“ „Na schön … dann klär uns auf! Womit haben wir es zu tun?“ Jasper blickte einen Moment lang in die Runde. Niemand schien besonders scharf darauf zu sein, Angel mehr zu erklären, so dass er schließlich ergeben seufzte. „Na schön … dieser Zirkel, dem du in die Quere gekommen bist, ist einer der gefährlichsten, die es gibt. Die Vampire, die diesem Clan angehören, existieren schon seit mehr als tausend Jahren. Und das einzig und allein deshalb, weil dort, wo sie leben, nie eine Jägerin hingefunden hat. Dort, wo sie leben, können sie sich in aller Ruhe verbreiten. Sie haben nicht so viele Möglichkeiten, an Menschen heranzukommen, aber … mit der richtigen Strategie schaffen sie es immer wieder, sich eine größere Gruppe zu fangen, um dann über mehrere Monate hindurch sich von ihnen zu ernähren.“ Angel schloss angewidert die Augen, was Jasper nicht entging. „Ich weiß, dass dir das nicht gefällt. Ehrlich gesagt, wird sogar mir übel, wenn ich daran denke, aber im Prinzip ist es nichts Anderes als das, was …“ „… die Volturi in Italien machen.“, beendete sie seinen Satz. Überrascht blickte er sie an. „Du weißt von ihnen?“ „Hey, ich wäre ja wohl keine Jägerin, wenn ich nicht von ihnen wüsste. Dass sie der oberste Clan unter euch Vampiren sind, ist ja wohl jedem klar, der nur ein bisschen Ahnung von diesem Thema hat.“ „Bist du ihnen schon mal begegnet?“ „Gott sei Dank nicht. Und ich bin auch nicht wirklich besonders scharf darauf. Die Vorstellung, diesem jahrhundertealten Clan in die Hände zu fällen … ganz allein… nee … behagt mir nicht wirklich.“ Jasper grinste schwach. „Versteh mich nicht falsch, Jasper! Es ist nicht so, dass ich Angst vor denen hab. Ganz im Gegenteil … ich würde ihnen gern mal meine Perspektive von Frühstück verklickern, aber … ich bin auch nicht auf den Kopf gefallen. Mir ist schon klar, dass ich allein gegen diese Horde da nicht viel ausrichten kann. Hätte ich mehr Unterstützung würde ich denen sofort die Meinung geigen, aber … so sind mir einfach die Hände gebunden. Und meine Aufgabe ist es nun einmal nicht, ein Selbstmordkommando durchzuführen.“ Maya lächelte. „Ich hab doch gesagt, dass sie nicht so lebensmüde ist, wie sie vielleicht wirkt.“, stieß sie hervor und blickte Emmett bedeutungsvoll an, dessen Augen plötzlich anschwollen. Zu Recht, denn Angels Augen verengten sich automatisch zu Schlitzen. „Lebensmüde, ja?“ „Ach … Maya hat da nur was in den falschen Hals gekriegt.“, wehrte er ab und funkelte Maya von der Seite her an. „In den falschen Hals gekriegt? Du hast doch selbst gesagt, dass …“ Doch Angel erfuhr nicht, was Emmett gesagt haben mochte, denn in diesem Moment schoss dieser vor und presste Maya seine linke Hand auf den Mund, um sie zum Schweigen zu bringen. Edward knurrte drohend, was sein Bruder mit einem ebenso drohenden Zischen erwiderte. „Hey, hey! Kommt mal wieder zur Ruhe!“, rief Esme die beiden zur Ordnung und nur widerwillig entließ Emmett Maya, die mittlerweile blau angelaufen war, aus seinem Griff. Angel funkelte ihn immer noch an, verbiss es sich allerdings, auf seine Ausflüchte zu antworten, sondern wandte sich wieder an Jasper. „Ich bin diesem Clan also im Weg und er hat beschlossen, mich auszuradieren, ja?“ „Es bist nicht du speziell. Dieser Clan jagt schon seit Ewigkeiten jede Jägerin, die er kriegen kann und da du nun einmal das aktuelle Opfer bist … kleben sie jetzt an dir fest.“ „Sind die wirklich so gefährlich?“ „Sie hatten über mehrere Jahrhunderte Zeit, ihre Fähigkeiten auszubauen und sich auf die jeweiligen Stärken der vorherigen Jägerinnen einzustellen. Sie haben eine Menge gelernt, Angel.“, gab Carlisle zu Bedenken. In seiner Stimme schwang Verbitterung und Angel erinnerte sich in diesem Moment daran, dass Dr. Cullen zu den Vampiren gehörte, die jede noch so kleine Möglichkeit nutzten, um einen Kampf zu verhindern. „Tja, dann hab ich wohl ein Problem! Wenn die schon so viel Erfahrungen sammeln konnten, bin ich mir gar nicht so sicher, wie ich die aus dem Weg räumen kann.“ „Sie haben einige der besten Jägerinnen getötet, die es gab.“, stimmte Jasper zu, was Angel keineswegs beruhigte. „Aber trotzdem hast du etwas, was deine Vorgängerinnen nicht hatten.“, fügte er hinzu. Im gesamten Wohnzimmer herrschte gespanntes Schweigen. Offenbar wusste nicht nur Angel nicht, wovon Jasper sprach. Einzig Edward nickte kaum merklich mit einem Lächeln auf den Lippen. „Und was soll das sein?“ Edward blickte demonstrativ in die Runde und Jasper legte ihr zögernd eine Hand auf die Schulter, ehe er antwortete. In seinen Augen lag die Andeutung eines Lächelns. „Du hast Freunde.“ Angel schluckte schwer. Erst jetzt, als Jasper es so direkt aussprach, wurde ihr klar, dass er streng genommen vollkommen Recht hatte. Ob sie nun wollte oder nicht, aber die Vampire um sie herum hatten ihr in den letzten Tagen bereits klar und deutlich vor Augen geführt, dass sie bereits mehr als nur Verbündete waren. Sie hatten sie und Maya beschützt, ihnen das Leben gerettet, ließen sie nicht mehr allein, da sie wussten, dass es ihr Ende bedeuten würde, sie in ihrem jetzigen Zustand allein zu lassen. Welche Beweise brauchte sie für ihre Aufrichtigkeit noch? Ergriffen sank sie im Sessel zusammen, während zwei einsame Tränen ihre Wange hinab glitten. Kapitel 9: Unfassbar -------------------- Irgendwann – Angel wusste nicht mehr nach wie langer Zeit – reichte ihr jemand ein Taschentuch, das sie dankbar annahm, um sich die Tränen aus den Augen zu wischen. Schniefend lehnte sie sich in den Sessel zurück, zog die Beine an die Brust, umschlang sie mit den Knien und bettete ihren Kopf darauf. Jasper blickte zweifelnd zu Carlisle hinüber, der nur hilflos mit den Schultern zuckte. „Ähm … hätte ich das nicht sagen sollen?“, fragte der blonde Vampir zögernd und warf einen unsicheren Blick auf Maya, die nachsichtig lächelte. „Die beruhigt sich schon wieder. Es ist nur so … jetzt, wo wir drüber nachdenken, hast du eigentlich vollkommen Recht. Sehr viele Freunde hatte sie nie.“ „Und du?“ Maya dachte kurz nach. „Schon! Aber … die haben sich alle abgekapselt, als ich anfing, mich öfter mit Angel zu treffen. Sie war halt immer so eine Art Sonderling.“ „Dankeschön.“, brummte Angel leise, wischte die letzte Träne weg und richtete sich wieder würdevoll auf. „Okay … genug geflennt. Ende der Sentimentalitäten. Wir haben Wichtigeres zu tun.“ „Zum Beispiel müssen wir uns darüber einig werden, wie wir unsere kleinen Vögelchen vor der nächsten Mauserung bewahren.“, warf Emmett grinsend ein, was sämtliche Cullens die Augen verdrehen ließ. Angel hingegen blitzte ihn an. Es verging ein paar Sekunden, ehe sie darauf einging. Sie tippte sich gegen die rechte Schläfe. „Hier, Emmett! Da oben wird alles gespeichert! Nur zu deiner Info!“ „Krieg ich dann alles wieder?“ „Aber mit Zinsen!“ „Na ich kann’s kaum erwarten.“ „Und ich erst! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich darauf brenne, dir endlich mal richtig die Fresse zu polieren.“, sagte sie mit süßlicher Stimme, die Emmet noch breiter grinsen ließ. Jasper stieß sie derweil von der Seite an. „Hör auf damit!“ Angel rieb sich die Schulter und blickte ihn entrüstet an. „Mach nur weiter so und ich hab auch noch einen gebrochen Arm, mein Lieber!“ Maya, die beiden gegenüber saß, beobachtete sie mit einem forschenden Blick und erst jetzt fiel ihr auf, wie ähnlich ihre Züge in mancherlei Hinsicht wirkten. Beide verdrehten auf die gleiche Art und Weise ihre Augen. Bei beiden hoben sich die Augenbrauen in einem perfekten Bogen, wenn sie überrascht waren und auch der wütende Blick zeigte unverkennbare Ähnlichkeiten zwischen den beiden. Maya schnappte unweigerlich nach Luft, als ihr etwas einfiel. „Ach übrigens. Ich hab hier … das hab ich neulich im Krankenhaus auf dem Boden liegen sehen … das wollten wir mal … klären.“, stammelte sie, während sie in den Taschen ihrer Jeans kramte, bis sie Angels uraltes Familienbild gefunden hatte. Rasch glättete sie es ein wenig und hielt es Carlisle entgegen. Edward, der es geschafft hatte, einen kurzen Blick auf das Foto zu werfen, zog verwirrt die Augenbrauen zusammen und blickte Maya an. „Was ist das?“ „Das versuche ich ja gerade herauszufinden.“, beantwortete sie ihm die Frage und schielte vorsichtig zu Angel hinüber, die genervt den Kopf schüttelte. „Was soll denn das jetzt?“ „Hey … vielleicht interessiert es dich ja nicht, aber ich würde schon gern wissen, wie du zu einem Foto von Jasper kommst, vor allem zu einem so alten Foto!“, entgegnete Maya und beugte sich vor, um Carlisle in die Augen sehen zu können. „Können Sie sich das erklären?“ Dr. Cullen betrachtete das Foto genau und strich sich dabei nachdenklich über das Kinn, ehe er es ein wenig in die Höhe hielt und abwechselnd zwischen Jasper und dem Foto hin und her blickte. „Tja … die Ähnlichkeit ist ohne Zweifel verblüffend, um nicht zu sagen erschreckend. Wer soll denn das hier sein?“ „Das ist … Angels Ur-Ur-Urgroßvater.“ „Ah ja?“ Überrascht hob er eine Augenbraue und blickte noch einmal auf das Foto, dann wieder zu Jasper und schließlich zu Angel, die seinen Blick kurz erwiderte und sich schließlich wieder so tief wie möglich in den Sessel verkroch. Esme war in der Zeit aufgesprungen und hatte sich hinter Carlisle postiert, um das Foto in Augenschein zu nehmen. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung, als sie Jaspers Bild erblickte. „Das ist ja erstaunlich.“, murmelte sie und jetzt endlich sprang auch Jasper auf, riss Carlisle das Bild aus den Händen und ließ sich mit ungläubiger Miene wieder auf die Lehne sinken. Angel warf ihm von der Seite her einen zögernden Blick zu und wartete auf eine Explosion, gleich welcher Art. Eine Sekunde später waren auch Alice, Emmett und Rosalie hinter ihr, um über Jaspers Schulter hinweg einen Blick auf das Foto zu werfen. „Junge, das sind ja Zustände wie im Zoo…“, knurrte sie und fuhr sich rasch durch das Haar. „Seid ihr jetzt fertig mit dem Begaffen?“ „Woher hast du das Foto?“, fragte Jasper neugierig, doch Angel entging nicht, dass seine Stimme leicht, sehr leicht zitterte. „Das ist ein Familienfoto. Das Einzige, nebenbei mal bemerkt, weswegen ich dich sehr herzlich bitten würde, es nicht zu zerreißen.“, fügte sie schnell hinzu, als Jaspers Zittern in der Stimme sich auf seine Hände übertrug und ihr Foto eine gefährliche Spannweite annahm. Über den Couchtisch hinweg musterte Maya Angel besorgt, die den Blick beunruhigt erwiderte. Jaspers Zittern machte ihr Angst. „Jasper … kennst du das Foto?“, fragte Carlisle mit einem beunruhigten Klang in der Stimme, während Rose, Alice und Emmett wieder Platz nahmen. Ihre Blicke waren auf den blonden Vampir gerichtet, der sich von dem Bild nicht losreißen konnte. „Wie … wie hießen deine Eltern?“, fragte er leise, ohne den Blick zu heben. Angel blickte sich unheilvoll um, doch offenbar waren sie jetzt alle neugierig. „Ähm … Jack und Myra.“ „Der Nachname.“ „Ohh … Jasper was soll das jetzt werden? Ein Verhör?“ „Wie hießen deine Eltern mit Nachnamen, Angel!“, fauchte Jasper und sein Blick bohrte sich plötzlich in ihre Augen. Angel wich zurück. Das Glühen in seinen Augen ließ sie rasch antworten. „Mein Vater hieß Bone und meine Mutter McKinnon!“ Allgemeines Seufzen um sie herum. „Damit dürfte alles geregelt sein, Jasper! Gib ihr das Foto zurück. Dein Nachname war weder McKinnon noch …“ „Gab es in deiner Familie irgendjemanden, der Whitlock mit Nachnamen hieß?“, unterbrach Jasper Carlisle. Sein Blick war noch immer auf Angel gerichtet, die jetzt geschockt die Augen aufriss. „Wie bitte?“, flüsterte sie kopfschüttelnd und bemühte sich krampfhaft, das aufkommende Zittern zu unterdrücken, das sie jetzt erfasste. Was ging hier vor? Jasper verengte kurz die Augen und richtete sich dann seufzend auf, als wäre ihre Frage Antwort genug gewesen. „Dein Großvater hieß so, richtig? Er bekam eine Tochter, deine Mutter, die später heiratete und den Namen McKinnon annahm. Dann kamst du und ein paar Jahre später ließen sich deine Eltern scheiden, bis deine Mutter wieder einen neuen Mann traf… Jack Bone.“ Angel reagierte nicht, so dass sich Jasper schließlich an Edward wandte. „Hilf mir, Edward! Lieg ich richtig?“ Alle Augen waren jetzt auf den rotblonden Vampir gerichtet, der nach kurzem Zögern Angel musterte und schließlich nickte. Maya rieb sich aufgeregt die Oberarme. „Das Foto hier … wurde aufgenommen kurz nachdem ich … verwandelt wurde. Das bin nicht ich.“ Angel seufzte erleichtert, doch ihre Erleichterung hielt nur eine Sekunde lang an, ehe er fortfuhr mit den Worten: „Das ist mein Zwillingsbruder.“ Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören, so still wurde es plötzlich. Nicht einmal Maya und Angel wagten es zu atmen. „Mein Zwillingsbruder, Angel, dein Ur-Ur-Urgroßvater… James Whitlock.“ Jasper zuckte leicht zusammen, denn den Namen ihres Großvaters hatten sie beide gemeinsam ausgesprochen. Maya schlug die Hand vor den Mund und starrte die beiden mit großen Augen an. „Oh. Mein. Gott.“, entfuhr es leise und ihr Blick huschte hinüber zu Carlisle, dessen Gesicht starr war. Offenbar hatte niemand mit einer solchen Offenbarung gerechnet. Edward drückte Maya noch fester an sich, bis sie merkte, wie sich ihre Knochen langsam der Belastungsgrenze näherten und sie sich rasch in seinem Griff wand, um ihn darauf aufmerksam zu machen. Angel setzte sich auf, legte die Arme auf die Knie und fuhr sich durch das Haar. Jasper wich ein wenig zurück, den Blick immer noch auf seine – seine Nichte gerichtet. Doch offenbar hielt Angels Apartheit Emmett nicht davon ab, grinsend in die Hände zu klatschen. „Also dann! Maya … jetzt musst du nur noch Edward heiraten und schon sind wir eine große und glückliche Familie!“, rief er lachend. Maya verdrehte die Augen, während Edward seinen Bruder finster musterte. „Emmett … du weißt auch nicht, wann du einfach mal die Klappe halten solltest, oder?“, knurrte er, doch in seiner Stimme schwang ein Hauch Belustigung. Mayas Sorge galt jedoch mittlerweile Angel, die völlig geschockt nach vorn gebeugt im Sessel hockte und in die Leere blickte. Ihre Hände zitterten wie verrückt. „Carlisle!“, rief sie besorgt und warf ihm einen flehenden Blick zu, den er mit einem zögernden Nicken beantwortete. „Na schön … ich denke unter diesen Umständen kann ich eine Ausnahme machen.“ Damit griff er in seine Jackentasche und förderte eine Zigarette zu Tage, die er Angel entgegenhielt, während Esme in Windeseile mit einem Feuerzug auftauchte. Angel blickte ihn erleichtert an, griff nach der Zigarette, schnappte sich das Feuerzug und zündete sie so schnell es ihre zittrigen Finger ihr erlaubten, an. Hastig nahm sie drei Züge und lehnte sich dann wieder ein wenig entspannter nach vorn. „Danke, Carlisle! Das war jetzt glaub ich mehr als nötig.“, stöhnte sie und nahm einen weiteren Zug, bevor sie über ihre Schulter hinweg einen erschöpften Blick auf Jasper warf. „Und Onkelchen? Wie geht’s jetzt weiter?“ „Hey, wage es ja nicht, mich so zu nennen!“, knurrte er zurück, doch Alice begann über das gesamte Gesicht zu strahlen. „Nennst du ihn jetzt wirklich Onkel? Macht überhaupt nichts! Meinetwegen kannst du auch zu mir gern Tante sagen.“ Angel zog rasch ein weiteres Mal an der Zigarette, während Jasper nur leise ein wütendes Alice! zischte. Emmett begann zu lachen. „Nein, Alice hat Recht!“, rief er dazwischen, beugte sich vor und blickte Angel an, als wäre sie ein kleines Kind, das kurz davor war zu weinen. „Und wenn du Sorgen hast, kleine Angel, kommst du zu Onkel Emmett auf den Schoß und wir spielen Hoppe, Hoppe Reiter, ja?“ Edward reagierte, noch bevor Angel loslegte. Wie der Blitz schob er seine Arme unter Mayas Beine und zog sie zusätzlich auf die Couch. Er selbst zog die Beine an, während Rosalie instinktiv das Gleiche tat. Einzig Emmett reagierte nicht – zu seinem Pech, denn Angel holte aus, trat mit ganzer Kraft gegen den Couchtisch, der mit immenser Wucht auf Emmett zuraste und mit einem ohrenbetäubenden Krachen gegen seine Beine donnerte. Der Tisch zersplitterte komplett, doch zu ihrer unendlichen Erleichterung rieb sich Emmett mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schienbeine und blickte sie kurz danach finster an. „Dass in einem so winzigen Zwerg eine solche Kraft steckt, das ist ja … sowas sollte verboten werden!“, knurrte er und schob die Trümmer des Couchtisches von sich. „Der Zwerg wird dir gleich noch mehr verpassen, wenn du jetzt nicht endlich mal die Klappe hältst!“, fauchte Angel aufgeregt. Aus dem Augenwinkel konnte sie erkennen, wie Jasper in seine Faust biss, um sich das Lachen zu verkneifen. Emmett – der große starke Emmett, von einer Frau gedemütigt – ein Anblick, den er auf Ewig im Gedächtnis behalten würde. „Und damit eines klar ist, du riesengroßer Kasper, du! Ich werde weder Jasper Onkel nennen, noch Alice Tante“, tatsächlich blickte die kleine Alice ein wenig enttäuscht drein, „noch werde ich jemals in die Nähe deines Schoßes kommen! Haben wir uns verstanden?“ Emmett grinste wieder und Angel bemerkte sofort, dass ihm etwas auf der Zunge lag, denn sein Körper schüttelte sich vor unterdrücktem Lachen. „Lass es!“, warnte sie ihn. Das Zittern wurde stärker. „Emmett!“, drohte sie. Doch er konnte es nicht für sich behalten. „Nicht mehr länger und du bist älter als dein Ur-Ur-Urgroßonkel!“, preschte er los und fing laut an zu lachen. „Halt’s Maul!“, fauchten Jasper und Angel gleichzeitig, was Emmett tatsächlich verstummen ließ. Seine Augen tränten und ein neuerlicher Lachanfall stand bevor, während er die beiden breit grinsend anstarrte. Angel blickte Jasper überrascht an, dessen Miene das Gleiche ausdrückte und schüttelte schließlich den Kopf. „Jetzt wird mir das wirklich zu unheimlich.“, murmelte sie und nahm einen langen Zug von ihrer Zigarette, bis sie vollkommen aufgeraucht war. Traurig blickte sie auf den Reststummel und dann auf die zertrümmerten Überreste des Couchtisches, der aus massivem Eichenholz gefertigt gewesen war, wie sie feststellte. „Tut mir leid mit dem Tisch.“, murmelte sie, was Carlisle mit einer Handbewegung wegwischte. „Ach was! Wir haben schon viel mehr in irgendwelche Häuser investiert, die … auf völlig unerklärliche Weise über Nacht in sich zusammengebrochen sind.“, bemerkte er und sein Blick huschte zu Emmett, der bedeutungsvoll pfeifend seinem Blick auswich. Angel verzog das Gesicht. „Also so genau wollte ich das nun auch nicht wissen.“ Maya, die Angels Anfall tatsächlich überlebt hatte, beugte sich schließlich vor und blickte erneut zwischen Jasper und Angel her. „Das einem das aber auch nicht früher aufgefallen ist. So gewisse Ähnlichkeiten sind doch vorhanden, warum bemerkt das nur niemand?“ „Maya, Schluss jetzt!“, fauchte Angel, doch ihre Freundin ließ nicht locker. „Ich meine … seht euch doch mal an. Wenn ihr wütend seid, habt ihr denselben Blick drauf, ihr verdreht auf dieselbe Art und Weise eure Augen und …“ „Maya, bitte!“, rief Angel schließlich gequält, was ihre Freundin einlenken ließ. „Na schön!“ „Danke!“ Mayas Blick ruhte jedoch weiterhin auf Angel. Eine plötzliche Erkenntnis flammte in ihren Augen auf. „Hey … weißt du eigentlich, was das bedeutet?“ „Dass ich von jetzt an diese Familie nicht mehr verfluchen darf?“ „Na das sowieso nicht. Aber nein, das meinte ich nicht. Ich weiß nicht, ob dir das so klar ist, aber … deine Familie ist doch noch nicht ganz ausgelöscht.“ Angel blickte genervt zur Decke. „Sie wird es aber demnächst sein, wenn ich mich vor einen fahrenden Zug werfe.“ „Das lass mal bleiben, Angel! Für Jasper ist es immerhin auch eine ganz neue Erfahrung.“ „Ah ja? In welcher Hinsicht?“ „Du bist sein letzter lebender Nachkomme…“, antwortete Carlisle, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. „Einen Moment mal! Er ist mein Onkel … ein entfernter Onkel und nicht mein … mein Vater oder so…“ „Und trotzdem stammst du, wie entfernt auch immer, von seiner Familie ab.“ „Hmm …“, machte Jasper und unwillkürlich ahnte Angel, dass er gleich etwas sagen würde, dass ihr keineswegs gefallen konnte. „Das würde auch den … vertrauten Geruch um dich herum erklären.“, bemerkte er und Angel ließ automatisch den Kopf hängen. Sie hatte sich geirrt. Er hatte ihre Vorstellung weit übertroffen. Angewidert blickte sie ihn an. „Du schnüffelst an mir? Kannst du dafür nicht irgendwelche Drogen nehmen?“ „Ich kann ja auch gern … ich … ich wollte damit … ach vergiss es! Hat ja sowieso keinen Sinn, mit dir zu streiten.“ „Der erste Familienkrach!“, dröhnte Emmett immer noch breit grinsend. „Schnauze!“, fauchten die beiden gleichzeitig. Angel schnappte geduldig nach Luft, was Maya grinsen ließ. „Kann ich noch eine Zigarette haben, Carlisle? Ich flehe dich an, sonst werde ich wahnsinnig.“ Jasper packte ihre Hand, die sie Dr. Cullen entgegengestreckt hatte und schüttelte den Kopf. „Vergiss es! Solange deine Rippen nicht komplett verheilt sind, kein Rauchen, keine Jagd und …“ „… keine Freude mehr am Leben?“, erwiderte sie zerknirscht und entriss ihre Hand seinem Griff. „Ich will doch nur, dass du vorsichtig bist!“ „Hey, Jasper! Wenn du jetzt die Beschützernummer raushängen lassen willst, nur weil wir zufällig miteinander verwandt sind, dann lass dir eines gesagt sein: Ich lass mir nichts befehlen und kann sehr gut auf mich aufpassen. Herr Gott nochmal … ich bin die letzten Jahre auch prima allein zu Recht gekommen, ohne dass du auf mich achten musstest. Ich komm schon klar, kapiert?“ „Ich will nur … dass du vorsichtig bist.“ „Ja, Papa! Keine Sorge!“ „Es reicht, wenn du Onkel sagst.“, entgegnete Jasper. Sein Blick war ausdruckslos. Angel verengte die Augen und funkelte ihn an, bis er ihr grinsend zuzwinkerte. „Ach und von Emmett brauchst du dich nicht ärgern lassen.“, fügte er hinzu und blickte hinüber zu seinem Bruder. „Er ist doch nur neidisch, weil seine Verwandten nicht so gut aussehen.“ „Pah! Wenigstens musste ich mir bei meiner Verwandtschaft nie Sorgen darüber machen, dass sie wegen Tollpatschigkeit einen Metalltisch zerdeppern.“ „Hey, der war schon ziemlich rostig!“, verteidigte sich Angel empört. „Natürlich.“, war alles, was sie als Antwort bekam. Angel wollte gerade etwas hinzusetzen, doch sofort stellten sich ihre Nackenhärchen auf. Eine düstere Vorahnung hatte von ihr Besitz ergriffen. Offenbar ging es ihr nicht allein so. Edward richtete sich plötzlich auf, drückte Maya fest an sich, während er sich hastig umschaute. Die übrigen Cullens lauschten in die Stille. Und dann explodierte es um sie herum… Kapitel 10: Drunter und Drüber ------------------------------ Das Geräusch von zerberstendem Glas war ohrenbetäubend. Angel duckte sich instinktiv, während sie rasch ihre Arme hob, um sich vor eventuellen Scherben zu schützen. Doch zu ihrer eigenen Überraschung blieb sie von jeglichen Scherben verschont. Als sie die Augen wieder öffnete, war ihr auch klar, weshalb. Jasper hatte sich vor sie gestellt. Sein Blick war auf die Fensterfront gerichtet, die nun vollkommen zerstört war. Hastig sah Angel sich nach Maya um, die hinter Edward Schutz gesucht hatte. Seine Arme umklammerten ihren Rücken und drückten sie fest an sich, um deutlich zu machen, dass er niemanden an sie heranlassen würde. Langsam wich er zurück. Angel folgte seinem Blick und schnappte nach Luft. Ohne dass sie es bemerkt hatte, hatte ein gutes Dutzend äußerst gefährlich wirkender Vampire sie umzingelt. Ihre Augen glühten feuerrot und schielten gierig in ihre Richtung. Jasper begann nun ebenfalls zurückzuweichen, immer darauf bedacht, Angel so nah wie möglich bei sich zu haben. Doch Angel war klar, dass nicht nur Jasper bereit war zu kämpfen. Sämtliche Mitglieder der Familie Cullen hatten sich nach vorn gestürzt und bildeten einen schützenden Wall, in deren Mitte Angel und Maya Zuflucht fanden. Gegen ihren Willen begann Angel zu zittern. Die Gefahr, die von ihren Gegnern ausging, war regelrecht zu fühlen und zum ersten Mal krochen Zweifel in ihr hoch, dass sie diese Geschichte heil überstehen würden. Langsam schob Edward Maya in Angels Richtung, die mit zittrigen Fingern nach deren Hand griff und sie fest umklammerte. „Sind sie das?“, flüsterte Maya überflüssigerweise. Angel nickte kaum merklich. Die Situation war alles Andere als entspannt, denn selbst die Cullens waren diesen Gegnern weit unterlegen. Angel griff sich automatisch an die rechte Seite, als ein weiterer stechender Schmerz ihren Körper erschütterte. Ein Handicap, das ihnen jetzt zum Verhängnis werden konnte. Mühsam kämpfte sie dagegen an, laut loszuschreien. Keine Blöße geben, das war jetzt das Wichtigste. Carlisle trat ein Stück aus der Gruppe hervor und musterte den Anführer der Vampirbande mit kaltem Blick. Sein Gegenüber überragte ihn um einen ganzen Kopf. Seine Haut war kalkweiß, beinah durchscheinend. Selbst auf diese Entfernung hin konnte Angel erkennen, dass seine Nase in seinem früheren Leben offenbar schon mehrere Male gebrochen worden war, denn sie war krumm und wirkte gleichzeitig auf merkwürdige Art und Weise sehr platt. Er hatte hohe Wangenknochen, rabenschwarzes, lockiges Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel und eine breite Stirn. Ausnahmslos jeder von ihnen konnte mühelos mit der Statur eines Boxers mithalten. Angel schluckte. Sie steckten tatsächlich in der Klemme. „Darf ich fragen, was ihr hier wollt?“, fragte Carlisle. Sein Tonfall war ebenso kalt wie sein Blick und machte deutlich, dass er keineswegs von der Art und Weise, wie sich die Vampire Zutritt zum Haus verschafft haben, angetan war. Seine Augenbrauen bildeten fast eine durchgehende gerade Linie. Sein Gegenüber straffte sich. „Zuerst einmal darf ich mich vorstellen. Mein Name ist Raphael und das sind meine Männer. Wir gehören zu der Gruppe, die sich Die Erlöser nennt.“ Angel genehmigte sich ein Augenrollen und beugte sich dicht zu Maya hinüber. „Was für eine bescheuerte Ironie, oder?“ „Raphael ist ein Erzengel, der für das Gute kämpft. Wie kommt er dazu, sich so einen Namen zu geben?“ „Wie kommen die dazu, sich Die Erlöser zu nennen?“, flüsterte Angel zurück und richtete sich wieder auf. Raphaels Blick durchbohrte sie förmlich. „Wie kommst du dazu, dich Jägerin zu nennen?“, knurrte er bedrohlich und ließ seine Muskeln spielen. Angel hob überrascht eine Augenbraue. „Ist es schlimm, wenn ich die Frage jetzt nicht ganz verstehe?“ „Jägerinnen laufen vor keinem Kampf davon! Du scheinst da anders zu denken!“ „Ich und weglaufen? Wer behauptet denn so einen Mist?“ „Und wie kommt es dann, dass du noch am Leben bist?“ „Hmm … gute Kondition? Gesundes Essen? Viel Sport? Oder vielleicht einfach nur talentierte Schutzengel!“ „Das hier?“, fauchte er und deutete herablassend auf die Cullens, die sofort wie auf Kommando zu knurren begannen. „Oh oh … du hast sie wütend gemacht!“, rief Angel wagemutig und umschloss Mayas Hand noch fester. „Glaubst du wirklich, ein paar Möchtegern-Vampire können dich vor uns schützen? Wir haben Jägerinnen vernichtet, die weit stärker waren als du! Du solltest also um Gnade winseln, um dein Leben betteln, mich anflehen, dass ich dir einen schnellen und schmerzfreien Tod gönne … was ich dann selbstverständlich ablehnen werde.“ Selbst Maya grinste spöttisch, was den Vampir offenbar verunsicherte. „Ihr scheint gar keine Angst zu haben.“ Maya hob die Schultern. „Wenn man dich so reden hört, könnte man glatt auf den Gedanken kommen, dass du nicht mehr alle Nadeln an der Tanne hast, mein Lieber! Und außerdem … mussten wir uns solche Drohungen jetzt schon so oft anhören, dass sie eine ganze Menge an Gruselfaktoren eingebüßt haben. Also lasst euch was Neues einfallen.“ Raphael wandte sich an Carlisle. „Lasst uns durch!“ „Ich fürchte, das wird nicht gehen.“ „Die beiden gehören uns! Lasst uns durch oder wir …“ „Ich fürchte, ihr versteht nicht ganz. Die Mädchen stehen unter unserem Schutz. Und solltet ihr mit Gewalt versuchen, an sie heranzukommen, werden wir auch mit Gewalt antworten, so sehr es mir auch widerstrebt.“ Ein Knurren in perfekter Synchronie war die Bestätigung. Jasper und Edward gingen sofort in Angriffsstellung über. Emmett rieb sich die Hände. Alice, Rosalie und Esme stießen einen zischenden Laut aus, während Angel und Maya weiter zurückwichen. „Ihr stellt euch gegen uns? Stellt euch gegen eure eigene Rasse? Sie ist die Jägerin, du Narr! Ist dir gar nicht klar, wie viele unseresgleichen sie bereits auf dem Gewissen hat? Und trotzdem stellst du dich auf ihre Seite?“ Carlisles Augen leuchteten gefährlich, als er antwortete. „Ich bin niemand, der sich auf irgendeine Seite stellt, aber …“ Sein Blick fiel auf Maya, die verwirrt die Stirn runzelte. „… aber wenn ich eine Seite wählen müsste, dann würde ich mich derjenigen anschließen, die mir am vernünftigsten erscheint.“ Maya senkte den Blick. Ein leichter Hauch von Röte schoss ihr ins Gesicht. Angel blickte sie von der Seite an. Ihr Blick war voller Stolz. „Du scheinst ihn ja richtig beeindruckt zu haben.“, flüsterte sie anerkennend, was Maya noch röter werden ließ. „Ihr wollt also wirklich kämpfen?“, hakte Raphael drohend nach. Angel wusste bereits, wie die Antwort ausfallen würde und sah sich hastig nach einem Ausweg um. Ihr Blick fiel auf die zersplitterten Überreste des Eichenholztisches, den sie vor ein paar Minuten nach Emmett geschleudert hatte. Erst jetzt bemerkte sie, dass sowohl Maya als auch sie selbst und die Cullens inmitten dieser restlichen Trümmer standen. Ganz automatisch glitten ihre Finger über das Feuerzeug in ihrer Hosentasche und eine Idee, wenn auch eine riskante Idee, arbeitete sich in ihrem Gehirn hoch. Ihr Blick schwenkte hinüber auf Maya, die ihren Blick stirnrunzelnd erwiderte. Stumm deutete Angel mit einem kaum bemerkbaren Kopfnicken auf die Holztrümmer um sie herum. Maya folgte ihrem Blick und nicht zum ersten Mal dankte Angel Gott dafür, dass er ihre Freundin mit einer derart schnellen Auffassungsgabe gesegnet hatte, denn bereits nach einer Sekunde hatte sie begriffen, worauf Angel hinauswollte. Angel begann zu zittern. Das Adrenalin schoss durch ihre Blutbahnen und machte sie wild, wild auf den Beginn des Kampfes – ein Umstand, der weder Jasper noch Edward verborgen blieb. Edwards Blick richtete sich auf Angel, die seinen Blick kurz erwiderte und dann rasch das Feuerzeug aus ihrer Hosentasche zog. Edward schaltete schnell und wich ein paar Schritte zurück. Rosalie entging das nicht und folgte seinem Beispiel, was auch Emmett dazu anspornte, sich ein Stück zurückzuziehen. Nach und nach wich jeder der Familie Cullen ein paar Schritte zurück, bis sie – ohne es genau zu bemerken – von den Trümmern des Tisches umgeben waren - eingeschlossen. Und dann passierten mehrere Dinge auf einmal. Während die feindlichen Vampire ihren Angriff starteten, entzündete Angel das Feuerzeug und schleuderte es auf das trockene Eichenholz, Edward schrie nur Runter und dann waren sie plötzlich von einer glühendheißen Feuerwand umgeben. Nur am Rande bekam Angel mit, wie Maya einmal schnippte und alles innerhalb des Feuerkreises in seiner Zeit erstarrte – alles, was in der Lage war zu erstarren, denn zu Angels Pech war sie die Einzige, die davon betroffen war. Der äußere Flammenkreis loderte jedoch weiterhin heftig auf und hielt Die Erlöser davon ab, ihnen zu nahe zu kommen. Maya hob in der Zeit den Zauber über Angel auf und eilte dann zu Edward, der sie erleichtert an sich drückte und mit glühenden, hasserfüllten Augen seine Feinde beäugte. Raphael stromerte einen Moment lang um das Feuer herum, versuchte die Flammen zu umgehen, doch zu seiner Enttäuschung gab es keine Möglichkeit, an die Jägerin heranzukommen, wenn er sich nicht dem Feuer direkt aussetzen wollte. Für einen Moment funkelte er Edward mit einem beunruhigenden intensiven Blick an, bevor er rasend vor Zorn die Zähne fletschte und Maya anfunkelte. „Hexe!“, spuckte er laut. Maya grinste. „Blitzmerker!“, entgegnete sie wagemutig. „Diesmal habt ihr vielleicht Glück gehabt, aber jede Glückssträhne hat auch ein Ende. Und wir sehen uns wieder, wenn eure ein Ende gefunden hat!“, knurrte der Koloss und fixierte mit seinen wilden Augen noch einmal nach einander jeden einzelnen von ihnen, bevor er sich schließlich mit seinen Männern zurückzog. Geschockt warteten sie noch ein paar Minuten im Schutz der äußeren Flammen, die sich aufgrund der Starre im Inneren des Kreises nicht weiter nach Innen ausbreiten konnten. Doch schon nach einigen Augenblicken war klar, dass sich die Vampire tatsächlich zurückgezogen hatten. Edward seufzte und entließ Maya aus seinem Griff, die sofort den Zauber aufhob und dabei half, die restlichen Flammen zu löschen. Angel legte den Kopf in den Nacken, als sie merkte, wie glühendheiße Tränen der Erleichterung sie zu übermannen drohten und kämpfte mühsam dagegen an. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass vereinzelte Tränen ihre Wangen hinab liefen. Jasper, der Angels Gefühlsausbruch fühlen konnte, wandte sie ihr zur und nahm behutsam ihr Gesicht in seine Hände. „Es ist alles gut, Angel! Es ist alles gut.“ Ein erdrückendes Gefühl von Erleichterung und Gleichgültigkeit erfasste sie und beruhigte sie letztendlich ein wenig. „Siehst du? Du brauchst keine Angst zu haben.“ „Ich hab doch auch gar keine Angst um mich, Jasper!“, wehrte sie mit bissigem Ton ab und befreite sich aus seinem Griff. Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte er ihr nach. „Wovor dann?“ Angel stemmte die Hände in die Hüften und blickte ihn fest an. „Ihr solltet wegen mir nicht so einen Mist bauen und euch mit Gegnern anlegen, die euch meilenweit überlegen sind. Mein Gott! Sollen sie mich doch holen, dann geben sie wenigstens Ruhe.“ Jaspers Augen blitzten plötzlich feuerrot. „Hör auf! Hör auf! Hör auf!!! Hör sofort auf, so zu reden, verstanden? So etwas will ich nicht hören, schon gar nicht von dir!“, brauste er los. Einen Moment lang wirkte er tatsächlich so, als würde er sich auf Angel stürzen wollen. Und offenbar sah das jeder so, denn Emmett und Edward sprangen sofort vor und packten in an beiden Armen, um ihn vor möglichen Dummheiten zu bewahren. Doch Maya blickte ebenso wütend drein. „Jasper hat vollkommen Recht! Du bist doch sonst immer so ein Großmaul, warum gibst du dann jetzt klein bei?“ „Weil ich nicht will, dass wegen mir eine ganze Familie ausgerottet wird, klar? Und was dich angeht, da brauchen wir ja nicht weiter darüber zu diskutieren, oder?“ „Und du glaubst, das ändert dann alles, ja? Du gibst ihnen, was sie wollen, Zack bist du mal eben einen Kopf kürzer und dann hat sich die Sache erledigt?“ „Richtig!“ „Falsch!“, fauchte Maya wütend und verschränkte die Arme vor der Brust. „Bloß weil sie dich dann aus dem Weg geräumt haben, werden sie noch lange nicht von hier verschwinden, weil sie trotzdem noch etwas zu erledigen hätten.“ „Ach und was? Eine Werbekampagne starten, wie man eine Jägerin am besten erledigt?“ „Zieh das nicht so ins Lächerliche, Maya hat nämlich vollkommen Recht!“, knurrte Edward, der Jasper wieder entließ und sich vor Angel aufbaute. „Die Sache ist dann nicht so einfach gegessen, wie du vielleicht glaubst!“ „Ich kann keine Gedanken lesen, Edward, also drück dich gefälligst etwas klarer aus!“ Edward hob seinen Arm und für einen kurzen Moment dachte sie, er würde ihr etwas antun wollen, doch seine Hand deutete eine Sekunde später auf Maya, die darüber keineswegs überrascht war. „Hast du nicht gehört, wie er sie genannt hat?“, fauchte er aufgebracht. „Hexe!“, antwortete Angel knapp und tonlos. „Ganz genau!“ „Ja und? Im gewissen Sinne hat er doch auch Recht! Maya ist eine Hexe oder glaubst du, jeder Mensch ist in der Lage, die Zeit anzuhalten?“ „Du kapierst es nicht!“ „Dann sag endlich, was du sagen willst!“, schrie Angel und stieß mit ihren Händen Edward vor die Brust, der ein paar Schritte zurücktaumelte. Jasper reagierte blitzschnell und stellte sich – zu Mayas Überraschung – schützend vor Angel, deren Augen loderten. Edward knurrte. „Komm schon, Edward, krieg dich wieder ein!“, rief Jasper und wich mit Angel im Rücken zwei Schritte zurück. Maya blickte stirnrunzelnd auf Edward, der immer noch drohend knurrte und in Angriffshaltung überging. Er fletschte die Zähne. Erschrocken stellte sie fest, dass er offenbar kurz vor einem Ausbruch stand – ein Umstand, den sie eigentlich bei Angel erwartet hatte. Innerhalb weniger Sekunden hatten sich auch Alice und Emmett vor Angel gestellt, während Rosalie und Esme sich vor Maya stellten. Carlisle ging langsam auf Edward zu. „Komm schon, beruhige dich. Tu nichts, was du später bereuen wirst.“ Edwards Muskeln begannen zu zittern. Er spannte an. „Bitte nicht, bitte, bitte nicht.“, flehte Maya im Stillen. Doch ihr Flehen wurde nicht erhört. Urplötzlich und mit der anmutigen Geschwindigkeit eines Gepards schoss Edward vor. Jasper reagierte zwar, konnte der Wucht seines Angriffes aber nichts mehr entgegensetzen und begann zu taumeln. Ein neuerlicher Schlag riss ihn fast von den Füßen und noch während er Halt suchte, bemerkte er, wie er noch im Schwung Angel erwischte, sie zurückgeschleuderte wurde und krachend im Bücherregal landete, dessen Einlegeböden unter dem Druck zersplitterten. Das Regal begann, gefährlich zu schwanken. Mehrere Bücher und Holzsplitter prasselten auf Angel hernieder und begruben sie unter sich. Und während das Regal endgültig kippte, hatte Maya einmal mit dem Finger geschnippt und das Regal wurde in seinem freien Fall gebremst. Angel kroch mühsam unter dem Bücherberg hervor, die Hand mit schmerzverzerrtem Gesicht gegen die Rippen gepresst, während Emmett und Jasper sich auf Edward stürzten, ihn zu Boden rangen und dort festnagelten. „Komm schon, Edward! Krieg dich wieder ein, beruhige dich!!“, knurrte Emmett und stemmte sich mit seinem gesamten Gewicht gegen seinen Bruder, der sich nach und nach wieder beruhigte. Seufzend wichen Jasper und Emmett wieder zurück, hockten aber weiterhin neben ihm für den Fall, dass seine Beruhigung nur vorgetäuscht war. „Mensch, was sollte das jetzt?“, fauchte Emmett. Edward setzte sich langsam auf und fuhr sich durch das Haar. Maya, die am ganzen Körper zitterte, stolperte unsicher auf ihn zu und ging neben Emmett in die Knie. Zitternd wartete sie auf eine Antwort. „Raphael.“, knurrte er nur und kämpfte zitternd gegen etwas an, das sich offenbar in seinem Kopf abspielte. Instinktiv schob Emmett Maya hinter sich. „Was ist mit ihm?“ Das Zittern war wieder vorbei und endlich rappelte sich Edward wieder auf. Stöhnend legte er den Kopf in den Nacken. „Er kann sich in die Köpfe anderer einnisten.“ Maya erschrak. „Du meinst … Gedankenkontrolle?“ „Sieht fast so aus.“ „Gut.“, meinte Emmett, was Maya hörbar nach Luft schnappen ließ. Wütend stieß sie ihm den Ellenbogen in die Seite, was sie jedoch kurz darauf bereute, denn es war ein Gefühl, als hätte sie eine Backsteinmauer geschlagen. „Was heißt hier gut?“, fauchte sie, während sie sich den Ellenbogen rieb. „Na ja … wir brauchen uns wenigstens keine Sorgen darüber zu machen, dass Edward eventuell eine persönliche Abneigung gegen Angel hat.“ Maya verdrehte die Augen. „Selbst in der beschissensten Lage kann dieser Kerl einfach nicht seine Klappe halten, ich fass es einfach nicht.“ Emmett setzte sofort zu einer Erwiderung an, doch ein scharfes Carlisle hielt ihn davon ab. Wütend, weil er seinen Witz nicht zur Aussprache bringen konnte, wandte er sich Alice zu und verkniff sich seinen Spruch sofort wieder. Alice hielt Angel im Zaum, die sich zuckend in ihren Armen wand und röchelnd nach Luft schnappte. An Alice‘ Händen klebte Blut – Blut, das Angel sowohl aus der Nase als auch aus dem Mund lief. Jetzt bemerkte er auch den kupfernen, süßlichen Geruch, der durch das Zimmer strömte und sofort hörte er auf zu atmen. Neben ihm versteifte sich Jasper. Seinem Gesicht war die Anspannung regelrecht anzusehen, während er versuchte, die Beherrschung zu wahren. Edward packte indes Maya am Arm und verließ mit ihr rasch das Zimmer. Sofort begann sie sich zu wehren. „Edward, was machst du denn? Angel braucht Hilfe!“ „Die wird sie auch bekommen.“ „Aber ich muss …“ „Gar nichts musst du! Aus diesem Zimmer raus, das ist alles, was du jetzt musst.“ „Aber Angel …“ „Maya! Da drinnen hocken gerade sechs Vampire, sechs hungrige Vampire und eine Jägerin, die dabei ist zu verbluten. Und von diesen sechs Vampiren sind vielleicht … gut und gerne zwei allerhöchstens drei in der Lage, sich wirklich, wirklich zu beherrschen, sich nicht auf sie zu stürzen. Glaubst du, da lass ich dich weiter in diesem Zimmer? Wenn sich auch nur einer nicht auf Angel stürzen kann, bist du diejenige, die er sich vornehmen wird und das werde ich verhindern.“ „Und was ist mit Angel?“ „Ihr wird nichts passieren. Carlisle kümmert sich um sie. Und Esme und, ich nehme mal an, auch Alice sind in der Lage, die anderen drei aufzuhalten. Vielleicht liege ich mit meinen Berechnungen auch falsch. Vielleicht ist ja sogar Rosalie beherrscht genug, um notfalls die Jungs mit aufzuhalten, aber in Emmetts und Jaspers Kopf fallen gerade einige Dinge durcheinander und das sind keine guten Dinge.“ „Ka … kannst du denn ihre Gedanken nicht lesen?“ Edward lächelte schwach und tippte ihr sacht auf die Nasenspitze. „Du störst mich dabei.“ „Ich kann auch rausgehen, wenn …“ „Nein, nein! Das meinte ich nicht. Deine Fähigkeit, die Zeit anzuhalten, ist beachtlich, aber … wenn sie zum Einsatz kommt, verursacht sie Schwingungen, die in meinem Köpfchen Barrieren aufbauen, die ich nicht überwinden kann. Und diese Barrieren verhindern, dass ich klar und deutlich hören kann, was meine Leute da drinnen denken.“ Maya blickte zitternd zu Boden, bis Edwards Finger sich unter ihr Kinn schob und es anhob, um ihr in die Augen blicken zu können. „Maya … hab keine Angst. Angel wird nichts passieren. Und dass ich sie angreifen wollte … glaub mir, das tut mir unendlich leid. Ich wollte dir keine Angst einjagen.“ Maya schüttelte rasch den Kopf. „Ist schon … schon okay! Das warst ja nicht du direkt.“ „Ja… schade eigentlich.“ Maya blickte ihn geschockt und entrüstet an. „Wie bitte?“ Edward runzelte einen Moment die Stirn und hob dann abwehrend die Hände. „Entschuldige! Das hast du falsch verstanden, ich meinte …“ „Was gibt es denn da falsch zu verstehen?“ „Jetzt hör mir doch kurz zu. Was ich damit sagen wollte, war … mir wäre es lieber, wenn ich wüsste, ich hätte sie aus persönlicher Abneigung angegriffen, dann wüsste ich wenigstens, wie ich so etwas in Zukunft vermeiden kann. Ich würde ihr einfach aus dem Weg gehen, aber so … war ich nur ein Werkzeug, ein Werkzeug, das völlig unvorbereitet angegriffen hat und nichts dagegen unternehmen konnte. Und es ist nur eine Frage der Zeit, wann er das Gleiche mit den anderen ausprobiert. Verstehst du?“ „Zu meinem Bedauern ja. Aber das macht die Sache nicht unbedingt besser.“ „Es macht die ganze Situation hier um Einiges gefährlicher, da hast du Recht.“ „Hey, aber wenn … Gedankenkontrolle funktioniert doch im Prinzip genauso wie Gedankenlesen, oder?“ Edward dachte kurz nach und nickte schließlich. „Ich nehme mal an. Jedenfalls wirkt sich beides auf das Gehirn aus.“ „Und wenn meine Fähigkeit, die Zeit anzuhalten, deine Schwingungen stören … vielleicht klappt ja dasselbe dann bei Raphael.“ Edward nahm auf der Treppe Platz und blickte angestrengt ins Leere. Seine Gedanken rasten. War es möglich, dass Maya Recht hatte? „Na ja … das würde zumindest schon mal erklären, warum er seine Fähigkeit nicht genutzt hatte, als sie noch im Haus waren. Anfangs waren sie sich noch sehr sicher, doch als Angel das Feuer entfacht hatte, kamen sie natürlich nicht mehr so einfach an sie heran.“ „Und seine Fähigkeit konnte er dann nicht mehr einsetzen, weil ich das Innere Feuerkreises hab erstarren lassen.“ „Klingt schon irgendwie einleuchtend, oder?“, bemerkte Edward und sah dabei zu Maya empor, die zögernd nickte. „Dann … haben wir doch eine Möglichkeit, wie wir zumindest seinen Fähigkeiten aus dem Weg gehen können.“ Edward runzelte die Stirn. „Nur wenn du in der Lage bist, zwei Wochen lang die Zeit um uns herum anzuhalten, Maya.“ Maya verzog das Gesicht. „Na gut, das könnte durchaus problematisch werden.“ „Das dachte ich mir schon.“ „Maya?“ Carlisles Stimme klang angespannt, als er sie zu sich rief. Einen Moment lang blickte sie Edward noch besorgt an und rannte dann zurück ins Wohnzimmer. Der Geruch nach Blut war stärker geworden. Maya sah sich kurz um und stellte fest, dass Emmett und Rosalie offenbar verschwunden waren. Jasper, der sich krampfhaft auf die Unterlippe biss, hockte neben Angel und hielt ihren Kopf zur Seite. Maya schnappte geschockt nach Luft. Überall war Blut. Überall. „Mein Gott … was …“ Ein langes, abgesplittertes, blutiges Stück Holz – ein Stück der Einlegeböden flog ihr vor die Füße. „Das hat sich von hinten in ihre Lunge gebohrt.“, fluchte Carlisle und blickte Maya scharf an, als wäre sie Schuld an diesem Desaster. „Maya … du kannst die Zeit anhalten, kannst du auch etwas verlangsamen?“ „Soll ich nicht lieber …“ „Kannst du es?“ „Sicher, aber …“ „Musst du dabei anwesend sein?“ „Ja, aber …“ „Und kannst du Blut sehen, wenn es sein muss?“ „Ähm …“ „Maya!!!“ „Si .. .sicher!“ „Sehr gut! Halte ihre Zeit an und dann kommst du mit ins Krankenhaus.“ „Aber was…“ „Ich erklär dir das gleich! Halt ihre Zeit an und dann müssen wir los.“ Mayas Finger waren so zittrig, dass sie drei Anläufe brauchte, ehe Angel erstarrte. Dann blickte sie wieder Carlisle an in der Hoffnung, eine endgültige Erklärung zu bekommen. Stattdessen nickte er einmal, nahm sich Angel an und sprintete aus dem Zimmer in Richtung Garage. Maya folgte ihm nicht. Stattdessen blickte sie Edward an. „Steht es denn so schlimm um sie?“ Edward antwortete nicht gleich. Er warf zunächst einen Blick in Richtung Flur, bevor er sich wieder an Maya wandte. „Der Aufprall hat ihre Rippen zertrümmert, schon wieder. Der linke Lungenflügel ist eingeklemmt und der rechte wurde von diesem Holzstück übel erwischt. Deswegen auch all das Blut.“ „Und was hat er jetzt vor?“ Edward lauschte mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Das … scheint er selbst noch nicht ganz genau zu wissen.“ „Ungefähr?“ „Er muss den Lungenflügel zusammenflicken, deswegen sollst du den Blutfluss verlangsamen.“ „Warum geht das nicht, während sie erstarrt ist?“ „Maya, du hältst ihre Zeit an. Das bedeutet, dass sie vollkommen erstarrt ist.“ „Das ist ja auch der Sinn der Sache.“ „Ja, aber wenn ihre Zeit nicht weiterläuft, kann Carlisle auch nicht operieren.“ „Ach nein?“ „Kennst du deine Fähigkeiten wirklich so schlecht?“ „Eigentlich nicht.“ „Wenn ihre Zeit stillsteht, dann geht nichts mehr. Du kannst sie vielleicht bewegen, aber nichts mehr an, von oder in ihr! Carlisle kann tun und lassen, was er will, er wird nichts von ihr einen Millimeter bewegen können.“ „Ich denke, ihr Vampire seid so superstark.“ „Aber die Zeit kannst du nicht mit Gewalt vorantreiben.“ „Na ja … wenn man ganz penibel ist, kann man sie eigentlich auch gar nicht erst anhalten.“ „Das stimmt! Streng genommen hältst du die Zeit ja auch nicht an, sondern du schockst sie nur, frierst sie ein. Anhalten kannst du sie nicht, sonst wäre es ja nicht möglich, dass alles um Angel herum jetzt normal weiterläuft, während sie völlig erstarrt ist.“ „Das heißt … solange Angels Zeit nicht wieder normal läuft, kann Carlisle sie nicht operieren.“ „Deswegen sollst du auch die Blutzirkulation verlangsamen. Tust du das nicht, wird sie während der Operation verbluten, so viel steht fest.“ „Das ist ‘ne ganze Menge Verantwortung, weißt du das? Ein Fehler in der Konzentration und Angel ist Geschichte.“ „Du kriegst das hin, Maya!“ Und der Blick, den er ihr bei diesen Worten zuwarf, zeigte ihr, dass er es ernst meinte. Mühsam holte sie Luft und atmete tief durch. „Na schön! Dann werde ich mein Bestes tun.“ Damit wandte sie sich zum Gehen, blieb im Türrahmen allerdings abrupt stehen. „Was ist?“, fragte Edward verwirrt. Maya wirbelte herum. Ihre Miene war von Ratlosigkeit geprägt. „Wenn … wenn Carlisle Angel nicht operieren kann, während ihre Zeit erstarrt ist, wie konnte er sie dann das letzte Mal behandeln?“ Edward brauchte einen Moment, ehe er wusste, wovon Maya sprach. „Ach so … er hatte gewartet, bis du eingeschlafen warst. In dem Moment verlor der Zauber dann seine Wirkung.“ „Und was hat er seinen Kollegen erzählt?“ Edward zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung Ich weiß nur, dass sie kurz darauf um die Versetzung in ein anderes Krankenhaus gebeten hatten.“ Maya lächelte schwach. Kapitel 11: Diskussionen ------------------------ Wie Maya die letzten Nächte überstanden hatte, wusste sie selbst nicht. Sie wusste lediglich, dass sie vollkommen übermüdet und mit den Nerven am Ende war. Sie war einerseits erleichtert, dass Angel wieder auf die Beine kommen würde, doch die Tatsache, dass der Heilungsprozess sehr langwierig sein würde, ließ sich alles in ihrem Inneren verkrampfen. Schon wenn sie daran dachte, wurde ihr speiübel. Denn trotz Mayas Hilfe, trotz ihrem erfolgreichen Bemühen, die Blutzirkulation von Angel zu verlangsamen, hatte es Carlisle nicht geschafft, Angels lädierten linken Lungenflügel zu retten, so dass er ihn letztendlich komplett entfernen musste. „Mach dir keine Sorgen, Maya! Angel ist fit genug, um auch mit einer Lunge leben zu können. Sehr große Unterschiede werdet ihr da nicht merken.“, hatte er sie beruhigt, doch das war Maya egal. Auch wenn der rechte Lungenflügel hatte gerettet werden können, so hatte sie doch das Gefühl, einen Teil ihrer Freundin verloren zu haben. Maya kuschelte sich tiefer in die Jacke, die sie sich von Alice geliehen hatte. Die letzten Tage hatte sie sehr oft im Freien vor dem Krankenhaus verbracht. Manchmal saß sie stundenlang auf der Treppe am Haupteingang, beobachtete abwesend die Passanten, die teils hektisch teils gemächlich an ihr vorbeihuschten. Von kleinen, schreienden und quengelnden Kindern, die ihre Mutter anbettelten, bis hin zu brummenden, ständig schimpfenden Rentnern war alles vertreten gewesen. Maya war sich sicher, dass, wenn sie nicht Tag für Tag in eine teure Designerjacke eingehüllt gewesen wäre, sie die vorbeiziehende Passantenschar bereits für eine Obdachlose gehalten hätten. „Du sitzt ja schon wieder hier.“ In Edwards Stimme schwang ein leiser Vorwurf mit, der allerdings durch seinen sanften Klang stark abgeschwächt wurde. Maya zuckte mit den Schultern. „Ist das schlimm?“ „Es macht mir nur Sorgen.“ Vergeblich wartete Edward auf eine Reaktion. Maya lehnte sich stattdessen nur an das Gelände neben sich und blickte weiterhin ins Leere. „Und wie lange hast du vor, hier herumzusitzen und zu jammern?“ „Ich jammere doch gar nicht.“ „Gut! Wenn du nicht jammerst, was machst du dann?“ „Herumsitzen!“ „Und weiter?“ „Nachdenken!“ „Über Angel?“ Dass sie nicht antwortete, bestätigte seine Vermutung. „Herr Gott nochmal, Maya! Ich weiß, dass dir das im Moment ziemlich hart vorkommt, aber du hast doch gehört, was Carlisle gesagt hat. Angel wird damit klar kommen, wahrscheinlich besser als irgendein anderer Mensch auf diesem Planeten.“ „Aber allein schon die Tatsache macht es so unerträglich.“ „Für dich? Du hast doch noch beide Lungenflügel. Wenn es jemanden gibt, der einen Grund hat sich zu beschweren, dann ist das deine Freundin, aber komischerweise höre ich von ihr keinen einzigen Mucks.“ „Kunststück, wenn sie auch andauernd schläft.“ Edward verzog das Gesicht, als er merkte, dass sie Recht hatte. Angel hatte in den letzten Tagen mehr geschlafen, als wahrscheinlich in den letzten Monaten zusammen. Doch das war ja auch kein Wunder, da sie in letzter Zeit des Öfteren mit Beruhigungsspritzen zur Ruhe gebracht werden musste, wenn die Schmerzen im Brustkorb Überhand nahmen und sie vom Schlafen abhielten. „Na gut! Du willst hier also weiterhin herumsitzen und vor dich hinvegetieren, ja?“ Maya zuckte mit den Schultern. „Was dagegen?“ „Allerdings.“ Wütend packte er ihren rechten Arm und zog sie auf die Beine. „Das ist nicht das Ende der Welt, Maya, geht denn das nicht in deinen Schädel rein? Angel ist kein normales Mädchen, das jetzt wahrscheinlich den Rest ihres Lebens auf Sport verzichten muss oder was weiß ich. Als Jägerin ist ihr Körper dafür praktisch wie geschaffen, gewisse Ausfälle lockerer hinzunehmen, als es anderen Menschen möglich wäre. Denk doch nur mal daran, auf welche Art und Weise der Vampir, der euch im Wald angegriffen hat, Angel die Rippen zertrümmert hatte. Ein normaler Mensch wäre sofort an Ort und Stelle gestorben. Aber sie hat überlebt und das nur aufgrund ihrer Stärke. Sie wird die fehlende Lunge kaum bemerken. Das Einzige, was ihr wahrscheinlich nicht passen wird, ist, dass sie jetzt wohl mit dem Rauchen aufhören muss.“ Maya lächelte schwach. „Da wird sie noch einen richtigen Aufstand hinlegen.“ „Ist doch gut! Das zeigt dann wenigstens, dass sie wieder die Alte ist, oder nicht?“ Edward blickte Maya noch einen Moment lächelnd an und schloss sie dann ohne Umschweife in die Arme. „Mach dir keine Sorgen. Angel kommt schon klar.“ „Und wie geht es Jasper?“, fragte sie unvermittelt, als ihr einfiel, dass sich gerade er die schlimmsten Vorwürfe machte, weil es sein Schlag gewesen war, der Angel gegen das Regal geschmettert hatte. Edward vergrub das Gesicht in ihrem Haar und schüttelte langsam den Kopf. „Was?“, fragte sie und befreite sich vorsichtig aus seiner Umarmung, um ihm in die Augen sehen zu können. „Was ist mit ihm?“ „Na ja … er macht sich schon ziemliche Vorwürfe. Dabei ist er doch eigentlich überhaupt nicht Schuld.“, murmelte er leise und wandte sich ab. Mayas Augenbrauen zogen sich zusammen. „Du bist genauso wenig Schuld, Edward!“ „Hätte ich nicht angegriffen, wäre es gar nicht so …“ „Du warst doch gar nicht du selbst, als es passierte. Was hättest du denn tun sollen?“ „Früher gegen dieses Gefühl ankämpfen.“ „Ach jetzt hör doch auf!“ „Hey! Wenn du dich mies fühlen darfst, bin ich praktisch dazu verpflichtet, klar?“ „Edward!“, flehte Maya verzweifelt und krallte sich in seinem Jackenärmel fest. Der Vampir blickte sie lange an. „Hörst du endlich auf zu resignieren?“, fragte er schließlich und lächelte erleichtert, als Maya ohne zu zögern heftig nickte und sich fest an ihn drückte. Liebevoll legte er seine Arme um sie und verstärkte den Druck um ihre Schultern. „Gut! Dann höre ich auch auf, mir die Schuld zu geben.“ „Und Jasper wirst du gefälligst auch dazu zwingen, mit diesen Vorwürfen aufzuhören.“, fügte sie hinzu. „Ach hier seid ihr zwei.“ Carlisle tauchte so plötzlich auf, dass die beiden völlig verschreckt auseinandersprangen und ihn empört anblickten. „Kannst du dich das nächste Mal nicht bemerkbar machen?“, fauchten sie gleichzeitig. Carlisle schmunzelte. „Einigkeit herrscht zwischen euch offenbar gar nicht.“ Beschämt warfen sich die beiden einen Blick zu und grinsten verhalten. „Nur auf bestimmten Ebenen.“, murmelte Maya und straffte die Schultern. „Was gibt’s?“ Carlisle deutete mit dem Daumen auf den Eingang hinter sich. „Ach nichts weiter! Ich dachte nur, ihr wollt vielleicht Angel besuchen. Sie ist gerade aufgewacht. Und wie es scheint, ist sie auf dem besten Weg, im ganzen Krankenhaus als quengelnde Nervensäge bekannt zu werden.“ „Sie lechzt nach einer Zigarette.“, grinste Maya, was Dr. Cullen lächelnd bestätigte. „Keine der Krankenschwestern wagt sich noch in ihre Nähe.“ „Tja … sie wird halt unerträglich, wenn sie keine Zigarette mehr rauchen kann.“ „Unerträglich? Im Moment ist sie – gelinde gesagt – die wandelnde Katastrophe.“ „Hi hi … brauchst du vielleicht noch eine Hilfsschwester?“ Carlisles Grinsen wurde breiter. „Willst du?“ Genüsslich rieb sich Maya die Hände. „Liebendgern.“ „Das ist gut! Um dich brauche ich mich da wenigstens nicht so sehr zu sorgen.“ „Wohl wahr! Die krieg ich locker klein.“ Offenbar hatte Angels Tollpatschigkeit durch das Entfernen des linken Lungenflügels keinerlei Schaden genommen, denn als Maya das Zimmer betrat, setzte sie sich so rasch auf, dass das Tablett mit dem Essen zu Boden bretterte und Kartoffeln, Karottenstücke und Fleischbällchen sich über dem Boden verteilten. Verlegen biss sie sich auf die Unterlippe. „Hoppla.“ Carlisle verdrehte indes nur die Augen und lächelte. „Schon gut. Von dir kann man einfach nichts Anderes erwarten.“ Angel war bereits dabei, die Beine aus dem Bett zu schwingen. „Ich mach das schon weg.“ „Lass mal! Wir kümmern uns schon darum.“ „Aber …“ „Angel!“, fuhr er sie mit drohendem Unterton an und keine Sekunde später saß sie wieder artig in ihrem Bett und blickte mit auf der Decke gefalteten Händen auf den Arzt, der sich jetzt mit raschen Schritten näherte und auf der Bettkante Platz nahm. „Was hab ich dir vorhin gesagt?“ Angel grinste. „Schön, dass du endlich wach bist?“ „Danach!“ „Ich erfülle dir jeden Wunsch und besorge dir sofort Zigaretten.“ „Das meine ich auch nicht. Und im Übrigen habe ich das niemals gesagt!“ Angel verzog das Gesicht. „Hätte ja klappen können.“ „Angel!“ Angel seufzte ergeben und blickte zerknirscht aus dem Fenster. „Für die nächsten Tage strenge Bettruhe, keine Überanstrengungen oder Aufregungen.“, betete sie herunter. „Und was genau bedeutet strenge Bettruhe?“ Ein Augenrollen war die Antwort. „Kein Herumspazieren.“, brummte sie ergeben und knetete betreten ihre Finger. Im Hintergrund war deutlich das Kichern von Maya zu vernehmen, die die Lippen fest zusammenpresste, um nicht laut loszulachen. „Aha!“ „Dann müssen sie mich mit Eisenketten ans Bett fesseln, denn ich fürchte, so einfach wird mir das nicht fallen, mich daran zu halten.“ „Deshalb hab ich mir auch zwei private Wächter engagiert, die sich darum kümmern werden.“ Angel duckte sich unweigerlich ein wenig. „Wen?“, fragte sie zaghaft und schluckte kaum merklich. „Nun zum einen hat sich Maya freundlicherweise bereit erklärt.“ Angel verzog das Gesicht. „Na super.“, murmelte sie freudlos und blickte in Mayas Gesicht. Wie zur Bestätigung grinste diese boshaft und rieb sich die Hände. „Sei artig, Angel, wenn du nicht willst, dass du mitten beim Verrichten deines Geschäfts erstarrst.“ Angel schloss ergeben die Augen und schluchzte trocken. „Wie konntest du mir das nur antun?“, jammerte sie und blickte Carlisle finster an. „Du liebst es mich zu quälen, kann das sein?“ „Ich bin nur um dich besorgt.“ „He he, wenn du besorgt wärst, dann würdest du Maya jetzt ganz schnell aus dem Krankenhaus schmeißen.“ „Damit du die Krankenschwestern weiterhin schikanieren kannst? Nichts da!“ „Und wer ist der andere Quälgeist?“ „Rate mal.“ „Drück mir ja nicht Emmett auf’s Auge, dann begehe ich Selbstmord.“ „Nein, das erschien mir am Ende doch zu gefährlich, obwohl er sich regelrecht darum gerissen hatte.“ „Das kann ich mir gut vorstellen.“, brummte sie leise und setzte sich langsam wieder auf. „Also?“ „Jasper wird dir einen Teil seiner Freizeit opfern.“ Einen Moment herrschte erschüttertes Schweigen, bis Angel flehend zur Decke blickte. „Lass mich doch jetzt bitte ganz schnell an einem Herzinfarkt sterben, bitte, bitte, bitte!!!!“, flehte sie gen Himmel und faltete dabei die Hände wie zu einem Gebete. Carlisle runzelte die Stirn. „Stört dich das?“ „Warum nicht Alice, Esme, Rosalie? Warum Jasper?“ „Alice würdest du weichkochen, Esme könnte nicht streng zu dir sein und Rosalie… würde wahrscheinlich zu streng sein.“ „Ach und Edward?“ „Würde dich mit dem Gedankenlesen in den Wahnsinn treiben.“ Angel stutzte und blickte Edward mit aufgerissenen Augen an. „Du liest Gedanken?“, rief sie schrill. Verdutzt nickte er. „Ich dachte, das wüsstest du?“ „Woher denn? Mir erzählt ja niemand was!“ „Du hattest wirklich keine Ahnung?“ „Nein!“ „Verflixt. Hätte ich das eher gewusst, hätte ich es besser ausgenutzt.“, murrte er und schnippte gleichzeitig mit dem Finger, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Zu seinem Glück betrat in ebendiesem Moment ein Pfleger das Zimmer, den Angel sah tatsächlich so aus, als hätte sie sich in den nächsten Sekunden auf ihn gestürzt. So blickte sie nur völlig verdattert auf den schwarzhaarigen Pfleger, der stirnrunzelnd auf die Bescherung am Boden sah und sie dann schief angrinste. „Also wenn es dir nicht schmeckt, sag es doch einfach. Das macht uns weniger Arbeit.“ Angel war unfähig zu antworten. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, ihn mit einem leicht dümmlichen Gesichtsausdruck anzustarren. Für einen Pfleger sah er unnatürlich gut aus. Trotz des ständigen Regenwetters hatte er eine leicht gebräunte Haut. Seine Augen waren von einem klaren Blau. Seine Statur hielt mühelos mit der eines Fitnesstrainers mit und das schulterlange schwarze Haar war leicht zerzaust und lud förmlich dazu ein, da durchzufahren. Grinsend verschränkte er die Arme vor der Brust. „Gefällt dir, was du siehst?“ Selbst Carlisle musste lachen, als Maya los prustete und sich einige Tränen aus dem Gesicht wischte. Angel blinzelte verdattert und wandte würdevoll den Blick ab. „Entschuldige, ich … war gerade in Gedanken versunken.“ „Hat man gemerkt.“ „Bild dir bloß nichts drauf ein, das hatte nichts mit dir zu tun!“, fauchte sie den Pfleger an, der lässig mit den Schultern zuckte. „Dann nicht. Schade eigentlich, aber ist es halt so.“ Damit schnappte er sich das Tablett von Boden, betrachtete noch einmal kopfschüttend die Bescherung und wandte sich zum Gehen. „Ich sag Bescheid, dass das jemand wegmacht, ja?“, murmelte er Carlisle zu, der immer noch grinsend nickte. Noch bevor er das Zimmer verließ, warf er Angel noch einmal ein breites Lächeln zu. „Falls du doch noch irgendwie Sehnsucht kriegen solltest, frag nach Alex!“ Und mit einem kurzen Zwinkern verschwand er. Angel, die erst jetzt bemerkte, dass sie die Luft angehalten hatte, atmete zischend aus und beugte sich weiter vor in der Hoffnung, ihn durch das Fenster in der Tür noch einmal zu sehen. „Kann ich den nicht als Wächter haben?“ „Oh nicht doch, Angel! Du sollst hier zur Ruhe kommen und dich nicht gleich überanstrengen.“, entgegnete Carlisle, was Angel frech grinsen ließ. „Alles nur eine Frage des Trainings, Carlisle! Daran kann man arbeiten.“ Seufzend stand er auf. „Ja, genau das ist ja das Problem an der Sache.“ „Nicht mal, wenn ich ganz lieb Bitte, Bitte mache?“ „Angel, noch hat Alex eine weiße Weste! Tu dem Jungen was Gutes und führe ihn nicht in Versuchung. Oder willst du seinen Job auf dem Gewissen haben?“ „He he … ich will eigentlich was ganz Anderes haben.“ „Sag mal … eigentlich müsstest du doch am laufenden Band niesen.“, bemerkte Edward trocken, der sich gegen die Wand gelehnt hatte und sie stirnrunzelnd beobachtete. Angel hob die Augenbrauen. „Hä?“ „Na ja … ich hab gehört, Leute, die an Sex denken, fangen in ebendiesem Moment an zu niesen.“ Angel packte ihr Kopfkissen und schleuderte es, ungeachtet der Schmerzen, die sich plötzlich in ihr aufbäumten, Edward entgegen. Der fing es jedoch lässig auf. „Mannomann, jetzt hast du es mir richtig gegeben.“ „Ist das wissenschaftlich bewiesen?“, fragte Maya dazwischen, die zu Angels Überraschung ein wenig beschämt wirkte. Verwirrt kniff sie die Augen zusammen und grinste schließlich. „So schlimm, ja?“, fragte sie neckisch und grinste noch breiter, als Maya puterrot anlief. Neben ihr verdrehte Edward nach einem kurzen Moment die Augen und richtete seinen Blick gleich wieder auf Maya. „Jetzt bist du selbst Schuld, wenn du ihr so bereitwillig Nahrung lieferst.“ „Hast du etwa gehört, was ich gedacht habe?“, fragte sie entrüstet und schlug die Hände vor den Mund. „Gehört? Es wäre unauffälliger gewesen, wenn du es mit Neonfarben auf ein Werbeplakat geschrieben hättest.“, murmelte er. Angel kicherte und vergrub das Gesicht in den Händen, während Maya entsetzt aus dem Zimmer floh. Carlisle blickte Edward vorwurfsvoll an. „Das war unnötig, meinst du nicht auch?“ Edward zuckte mit den Schultern. „Aber es war verlockend.“ „Tja … und dann hat sie mich wegen dieses reichen Schnösels sitzen lassen.“ Alex‘ Stimme klang keinesfalls traurig. Offenbar bereute er diese Trennung nicht, denn er schien ja gefunden zu haben, was er suchte. Halb lag, halb saß er auf Angels Bett und erzählte ihr alles über seine letzte Trennung, während sie auf dem Bett hockte und die Knie an die Brust gezogen hatte. „Aha … und wie hast du dich dann darüber hinweggetröstet?“, fragte sie neugierig und grinste verschmitzt. Alex ging darauf ein. „Das würde ich dir viel lieber zeigen.“, flüsterte er und beugte sich zu ihr vor. Angels Herz klopfte wie verrückt, doch noch bevor sich ihre Lippen berührten, wurde die Tür aufgerissen und Jasper betrat breit lächelnd das Zimmer. Alex fuhr wie von der Tarantel gestochen hoch und sprang vom Bett, während Angel genervt die Hand zur Faust ballte und hineinbiss, um nicht laut loszuschreien. „Entschuldigt. Hab ich euch bei irgendetwas gestört?“, fragte Jasper unschuldig und verschränkte drohend die Arme vor der Brust. Alex ließ sich nicht beeindrucken. „Du kannst deiner Cousine nicht einmal ein wenig Ablenkung gönnen, was?“ „Kann ich schon … wenn ich die Ablenkung für angemessen halte.“, gab Jasper zurück. Alex schüttelte den Kopf. „Weißt du, wenn du ein Problem mit mir hast, dann sag es mir klar ins Gesicht.“ „Oh, ich hab kein Problem mit dir!“ „Was störst du uns dann andauernd?“ „Ich hab ein Problem mit dem, was du mit ihr machen willst.“, fuhr Jasper fort, ohne auf Alex‘ Einwand zu achten. Alex ließ seine Knöchel bedrohlich knacken. „Du hältst dich für den ganz Starken, was?“ „Musst du nicht zufällig wieder an die Arbeit?“, fragte Jasper herausfordernd. Seine Augen blitzten gefährlich, doch Alex schien das keineswegs zu beeindrucken. „Ich hab Pause.“ Das Grinsen in Jaspers Gesicht verschwand. „Das hindert dich nicht daran, sie früher zu beenden, oder?“ Alex tat nachdenklich. „Ist doch merkwürdig. Bisher hat noch niemand etwas dagegen gehabt, wenn ich während der Pause bei Angel war. Ich hab noch nichts dergleichen gehört, dass ich mich von ihr fernhalten sollte … ich denke, ich bleibe noch.“ Herausfordernd stützte er sich mit beiden Armen auf dem Bett ab und funkelte Jasper an. „Akzeptiere es endlich, dass Angel und ich uns für einander interessieren.“ Jasper nahm die Herausforderung an und stützte sich Alex gegenüber ebenfalls auf Angels Bett ab, während Angel – die sich immer noch in ihrer Faust verbissen hatte – völlig starr zwischen den beiden Kontrahenten hin- und herblickte. Jaspers Gesicht war nur wenige Zentimeter von Alex’ entfernt. „Ich muss nur eines akzeptieren, nämlich dass du hier arbeitest. Im Gegensatz dazu hast du noch viel größere Probleme, mein Bester.“ „Seltsam … ist mir noch gar nicht aufgefallen.“ Jasper lächelte boshaft. „Ist ja auch kein Wunder. Deine Knochen hab ich ja bisher verschont.“ Diesmal war Alex derjenige, dem das Lächeln aus dem Gesicht gewischt wurde. Wütend richtete er sich wieder auf. „Wart’s ab, du Knirps! Irgendwann …“ Er ließ den Satz unvollendet und machte damit deutlich, dass das nächste Mal nicht so ruhig enden würde. Mit erhobenem Kopf steuerte er die Tür an. „Ach und Alex!“ Herablassend wandte sich der Pfleger Jasper zu, der ebenfalls wieder aufrecht stand und die Arme vor der Brust verschränkt hatte. „Lass die Finger von meiner Cousine!“, drohte er. Alex umklammerte die Klinke der Tür so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten, doch er beherrschte sich, riss sie schwungvoll auf und verließ das Zimmer – nicht ohne die Tür kräftig zuzuschlagen. Angels Herzschlag beruhigte sich wieder und wütend funkelte sie Jasper an. „Ganz toll! Hast du nicht noch mehr solcher Dinge auf Lager?“ „Massig!“, antwortete er knapp. „Jasper, ein für alle Mal! Du bist nicht mein Vater, also auch nicht für mich verantwortlich. Halt dich aus meinen Angelegenheiten raus, besonders aus meinem Liebesleben!“ „Liebesleben? Das da nennst du Liebesleben?“, knurrte er und deutete zur Tür, um ihr klar zu machen, wen er mit das da meinte. „Mein Gott! So ein kleiner Flirt hat noch niemandem weh getan.“ „Noch nicht!“, bemerkte er und ein boshaftes, falsches Lächeln umspielte seine Lippen, als sein Blick zur Tür huschte. Angel sah ihm an, dass die Verlockung bei ihm groß war, Alex zu folgen und ihm jeden einzelnen Knochen zu zermalmen. Seufzend verschränkte sie die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. Ihr Blick war an die Decke geheftet. „Jetzt wäre mir Emmett als Bewacher doch lieber. Der würde dem Ganzen mit Humor und nicht mit krankhafter Feindseligkeit begegnen.“ Jasper nickte zustimmend. „So ein paar schlüpfrige Sachen würde er dir tatsächlich an den Kopf werfen, da hast du Recht.“ „Und das wär mir momentan tausendmal lieber als dein eifersüchtiges Geplänkel.“ Jasper stutzte. „Eifersüchtig? Ich?“ „Ach komm! Du würdest doch sonst niemals so einen Aufstand machen.“ „Du scheinst ja ziemlich viel von dir zu halten, was?“ „Das hat damit nichts zu tun. Aber ich kenne die Männer.“ Jasper beugte sich vor und schnippte Angel gegen die Stirn. „Hallo, aufwachen! Warum sollte ich dich wollen, wenn ich mit Alice glücklich bin? Und wenn du Alice jetzt nicht vor den Kopf stoßen und dir ihren Zorn zuziehen willst, dann hältst du jetzt besser die Klappe.“, warnte er. Angel knirschte mit den Zähnen und schlug wütend mit der Faust auf das Laken. Denn blöderweise hatte er vollkommen Recht. Kapitel 12: Edwards Pein ------------------------ Für Maya vergingen die nächsten zwei Wochen wie im Flug. Dank Jaspers unersättlichem Bemühen, Alex von Angel fernzuhalten, wurde sie im Krankenhaus weniger gebraucht als zunächst angenommen. Ein Umstand, der ihr keineswegs ungelegen kam, da ihre Beziehung zu Edward sich mit jedem Tag verfestigte. Obwohl sie ab und an immer noch von Gewissensbissen geplagt wurde, genoss sie die gemeinsamen Ausflüge, die Edward mit ihr unternahm – was natürlich in Anbetracht der Tatsache, dass die feindlichen Vampire noch immer in der Umgebung ihr Unwesen zu treiben schienen, nie über eine bestimmte Grenze hinausging. Doch ab und an konnte Maya nicht umhin zu bemerken, dass Edward nicht vollkommen bei der Sache war. Es gab Momente, in denen sein Blick beinah glasig wurde, seine Miene einen harten Ausdruck annahm. Er begann mit den Zähnen zu knirschen, selbst ein kleines drohendes Knurren rollte seine Brust empor. Maya wusste schon seit längerer Zeit, dass ihn irgendetwas zu bedrücken schien, doch eine Erklärung hatte es bisher nicht gegeben. Zudem schien es ihr vergeudete Zeit, ihn zum Reden zu zwingen, weshalb sie sich jedes Mal, wenn er seine Ausfälle hatte, in sich zurückkehrte und sich selbst dazu zwang, diese Momente zu ignorieren. Umso überraschter war sie, als er sie eines Morgens frühzeitig weckte und sie zu einer Wanderung entführte. Um die Sache zu beschleunigen, lud er sie mühelos auf seinen Rücken und raste mit ihr durch die Wälder. Im ersten Moment konnte sie nichts Anderes tun, als die Augen zu schließen. Die Bäume rauschten so schnell und so nah an ihr vorbei, dass es ihr so vorkam, sie würden jede Sekunde mit einem von ihnen kollidieren. Es dauerte auch einige Zeit, ehe ihr klar war, wie lächerlich sie sich machte. Wie konnte sie auch nur einen Moment an den Fähigkeiten eines Vampirs zweifeln? Für so etwas waren sie geschaffen worden. Es gab also keinen Grund, sich zu fürchten. Und endlich schaffte sie es, die Augen zu öffnen. Mit den beruhigenden Gedanken im Hinterkopf betrachtete sie diese Art von Wanderung plötzlich mit ganz anderen Augen. So musste es sich anfühlen, einen Skiabhang hinunterzurasen. So musste es sein, wenn ein Vogel im Sturzflug zur Erde raste. Sie nahm ihre Umgebung nur noch verschwommen wahr, so schnell flog Edward durch den Wald und nicht ein einziges Mal schien er zu straucheln, die Orientierung zu verlieren oder Gefahr zu laufen, sich zu verschätzen. Sie merkte erst, dass ihr speiübel war, als sich bereits ein bitterer Geschmack in ihrem Mund angesammelt hatte. Zu spät erkannte sie, dass sie den Brechreiz nicht mehr würde unterdrücken können. Oder vielleicht doch? In völliger Konzentration schloss sie die Augen, dachte – wenn auch höchst widerwillig – an ihren aufsteigenden Mageninhalt und schnippte einmal mit dem Finger. Zu ihrer Überraschung wurde der Fluss gestoppt. Erleichtert vergrub sie ihr Gesicht zwischen seinen Schulterblättern und lächelte. Darüber würde sie sich später Gedanken machen. „Ich kann dich auch kurz absetzen, wenn du das jetzt erledigen willst.“, bot Edward an, der langsamer geworden war. Mayas Kopf fuhr hoch. Dass er Gedanken lesen konnte, hatte sie völlig vergessen. Peinlich verlegen biss sie sich auf die Unterlippe und dachte über ihre Möglichkeiten nach. „Hey! Heb gefälligst den Schockzustand wieder auf. Du störst meinen Empfang.“ Einen Moment lang dachte sie darüber nach, seine Bitte zu ignorieren. Doch schließlich gab sie sich geschlagen, kroch von seinem Rücken hinunter und huschte eilig in das nächste Gebüsch. Zu ihrer Erleichterung hatte ihr Zauber geholfen. Der Brechreiz war verflogen. „Wieder besser?“, fragte Edward, als das Gebüsch wieder verließ. Maya lächelte. „War gar nicht mehr nötig. Ich glaube, ich habe das perfekte Mittel gegen Erbrechen gefunden.“ „Schummeln kann jeder.“ „Aber nicht so raffiniert und wirkungsvoll wie ich.“ Edward grinste. „Das mag schon sein. Aber vielleicht solltest du von jetzt an doch nicht so genau auf deine Umgebung achten. Es fühlt sich auch viel schöner an, wenn du dich hinten bei mir vergräbst.“, fügte er lachend hinzu, schwang sie ohne weitere Reden auf seinen Rücken und raste weiter. Maya befolgte seinen Rat und vergrub ihr Gesicht wieder zwischen seinen Schulterblättern. So aneinander gedrückt rauschte nicht nur der Wald sondern auch die Zeit an ihnen vorüber, bis Edward schließlich stoppte und sanft Mayas Griff um seinen Hals löste. „Wir sind da.“, flüsterte er leise und setzte sie vorsichtig ab. Leicht schwankend klammerte sie sich an ihm fest, bis das Schwindelgefühl aus ihrem Kopf und ihren Beinen entwich und sie wieder normal stehen konnte. Dann sah sie sich um und schnappte nach Luft. Vor ihr erstreckte sich in einem perfekten Kreis eine weite Lichtung. Zu ihrer Überraschung wurde sie in helles, goldfarbenes, zartes Sonnenlicht gehüllt, das sich bruchstückhaft durch die dichten Wolken kämpfte. Der süße Duft des Grases und das warme Gefühl, dem Frühling selbst gegenüber zu stehen, erfüllten sie und entspannt schloss sie die Augen. Ein leichtes Kribbeln erfasste Maya – ein Kribbeln, das sich unglaublich angenehm anfühlte. „Gefällt es dir?“, drang von irgendwo ganz weit entfernt Edwards Stimme an ihr Ohr und überrascht wandte sie sich ihm zu. Für einen Moment hatte sie tatsächlich vergessen, dass er bei ihr war. „Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich schätze, ich bin überwältigt.“ „Ja … und das vollkommen zu Recht. Ich war auch angenehm überrascht, als ich das erste Mal hier gelandet bin. Seitdem ist das … irgendwie mein ganz privater Bereich, zu dem niemand Zutritt hat.“ „Warum darf ich dann hier sein?“ Edward kniff lächelnd die Augen zusammen. „Weil nur ganz besondere Menschen hierher dürfen.“ „Und du hast bisher noch nie jemanden hierher gebracht?“ Schlagartig verschwand sein Grinsen und wieder trat der ausdruckslose Blick in seine Augen, den Maya jetzt schon so gut kannte. Beschämt senkte sie den Blick. „Entschuldige. Wenn ich jetzt zu …“ „Nein!“, sagte er rasch und lächelte gequält. „Du … brauchst dich nicht zu entschuldigen. Warum auch? Es stimmt schon … du bist nicht die Erste, der ich diese Lichtung zeige. Es gab tatsächlich mal jemanden, vor dem ich das hier nicht verbergen konnte, nicht verbergen wollte.“ „Und ist sie diejenige, der du in den letzten Tagen so oft nachtrauerst?“, fragte Maya unvermittelt, was Edward stutzig mache. „Was meinst du?“ Maya verdrehte die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Komm schon! Ich bin doch nicht blöd. Du zeigst mir eine Lichtung, von der du mir erzählst, dass du sie bis jetzt nur einem einzigen Menschen gezeigt hast. Deine ständigen Ausfälle, der leere Blick … irgendetwas macht dir doch zu schaffen. Und ich habe nun einmal das Gefühl, dass es mit diesem Mädchen zusammenhängt, dem du diese Lichtung vor … keine Ahnung wie langer Zeit gezeigt hast.“ Maya dachte schon, sie wäre zu weit gegangen, denn für einen Augenblick verdüsterte sich sein Blick und er ballte die Hände zu Fäusten, doch nach ein paar Sekunden war dieser Moment vorbei. Sein Blick wurde weicher und traurig lächelte er. „Dir kann man nicht so leicht was vormachen.“ „Willst du es mir erzählen oder nicht?“ Edward druckste herum, ungewöhnlich für ihn. „Eigentlich … hatte ich nicht vor, dich damit zu belästigen.“ Maya nickte. „Gut! Dann ist doch alles geklärt.“ Und zu seiner – und sogar ihrer eigenen – Überraschung machte sie sich daran, die Lichtung zu verlassen, um den Weg nach Hause einzuschlagen. Edward blickte ihr bestürzt nach. „Maya, bitte! Warte doch!“ In Windeseile ergriff er ihren Arm und hielt sie davon ab, weiterzugehen. „Warum soll ich warten? Offenbar vertraust du mir ja nicht genug, um mir die Wahrheit zu sagen.“, fauchte sie und riss sich schließlich von ihm los. Doch sie ging nicht, wie Edward erleichtert feststellte. „Hör zu … es ist nicht so, dass ich dir nicht vertraue, nur … ich rede generell einfach nicht darüber. Ich … ich will es einfach vergessen, verstehst du?“ Maya schnaubte. „Tja … nur offensichtlich scheint das nicht zu funktionieren.“ „Sieht fast so aus.“, gab er zu, griff dann vorsichtig nach ihrer Hand und zog sie auf die Lichtung. „Vielleicht sollte ich wirklich endlich darüber reden.“ Gefangen von seinem Blick, den er ihr zuwarf, folgte sie ihm ohne Widerworte. Obwohl die Lichtung mehrere Kilometer maß, brauchten sie nicht lang bis zur Mitte. Dort angekommen legte Edward seine kühle Stirn gegen ihre und schloss die Augen. Maya tat es ihm nach. Vogelgezwitscher umgab sie, leichte kühle Brisen wehten an ihnen vorbei und ein gleißend heller Sonnenstrahl floss auf sie herab. Sofort machte sich Edwards besondere Gabe bemerkbar, denn seine Haut begann zu funkeln, als wäre er über und über mit Diamanten gespickt. „Es ist eigentlich gar nicht so lange her.“, begann er plötzlich. Maya blickte überrascht auf und in sein Gesicht. Es drückte Verbitterung aus, aber auch Schmerz. Es schien ihm tatsächlich nicht so einfach zu fallen, darüber zu sprechen. „Edward, du musst nicht …“ „Doch das muss ich. Ich will, dass du es verstehst.“ Anmutig ließ er sich ins Gras sinken und zog sie neben sich. „Sie hieß Bella.“ „Hieß.“ Edward atmete scharf ein. „Ja. Sie hieß Bella.“ „Hast du sie …“ „Ich habe sie nicht getötet, jedenfalls nicht endgültig. Aber ich machte sie zu einer von uns und auch das nur, weil mir keine Wahl geblieben war. Vielleicht verstehst du das nicht, aber … mich verband mit Bella so viel, dass ich … es einfach nicht ertragen hätte, wenn sie von mir gegangen wäre.“ „Du hast sie wirklich verwandelt?“ „Anders hätte sie die Geburt nicht überlebt.“ „Was denn für eine Geburt?“ Edward lächelte schwach. „Bella war nicht von Anfang an ein Vampir, Maya. Wir hatten so eine Art Pakt geschlossen. Ich hatte nur eine Bedingung. Ich wollte sie heiraten, bevor ich sie verwandeln würde. Tja, das haben wir letztlich auch getan.“ „Sekunde mal … wollte Bella ein Vampir werden?“ „Auch wenn du es wahrscheinlich nicht begreifen würdest, aber ja, das wollte sie.“ „Und in der Hochzeitsnacht …“ „… da passierte das, was in jeder Hochzeitsnacht passiert.“ Maya runzelte die Stirn und blickte ihn überrascht an. „Und das hat sie überlebt?“ „Ich glaube, ihr ging es danach besser als mir.“ „Und von was für einer Geburt hast du jetzt geredet?“ Edward blickte sie mit einem vielsagenden Blick an, bis Maya überrascht die Brauen hob. „Wie bitte? Ich wusste gar nicht, dass Vampire in der Lage sind, Kinder zu zeugen.“ Edward lachte verbittert. „Und genau das wussten wir bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht.“ „Sie hat wirklich ein Kind von dir bekommen?“ „Ein unglaublich süßes kleines Mädchen, das nach einem Monat bereits das Licht der Welt erblickte.“ Maya schüttelte ungläubig den Kopf. „Gibt es bei euch Vampiren eigentlich irgendetwas, was nicht völlig quer läuft?“ „Selten.“ „Und was ist jetzt passiert?“ „Kennst du die Legenden über die …“ „Kinder des Mondes? Sicher! Meine beste Freundin ist eine Vampirjägerin, ein bisschen Ahnung muss ich schon haben.“ „Dann kennst du auch den italienischen Vampirklan.“ „Die Volturi … das Thema hatten wir bereits. Und mir ist auch bekannt, dass sie immer dann eingreifen, wenn sie der Meinung sind, dass ein Vampir nicht genügend darauf achtet, euer Geheimnis zu wahren. Deswegen haben sie auch das Verbot in Kraft gesetzt, dass von jetzt an keine kleinen Kinder mehr verwandelt werden dürfen.“ „Und genau da liegt der springende Punkt.“ „Dass sie dachten, eure Tochter wäre ein verwandeltes Kind.“ „Dabei war sie nur ein Halbvampir.“ „Haben sie sie … du weißt schon.“ „Am Anfang konnten wir sie, wenn auch mit Mühe und Not, davon überzeugen, dass Renesmee harmlos ist.“ „Sie sind also wieder abgezogen.“, stellte Maya nüchtern fest und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ja … aber wir hatten sie ziemlich auflaufen lassen. Bella hatte eine ziemlich interessante Gabe. Sie hatte so eine Art Schutzschild in ihrem Kopf, den sie nach Belieben ausdehnen konnte und so hatten wir zumindest vor Angriffen, die sich auf unseren Geist auswirken, nichts zu befürchten. Das hat ihnen nicht gepasst.“ „Jaaahh.“, meinte Maya gedehnt. „Vampire haben so ihre Probleme damit, gedemütigt zu werden.“, stimmte sie zu und zwinkerte ihm kurz zu, bevor er fortfuhr. „Sie kamen zurück.“ „Um sich zu rächen.“ „Was ihnen dummerweise auch gelungen ist.“ „Was ist passiert?“ Edward blickte zum Himmel und schluckte ein paar Mal schwer. „Nessie, das war der Spitzname unserer Tochter, war mit Bella allein im Wald und sie sind ihnen in die Arme gelaufen.“ Maya schloss kurz die Augen. In Ihrem Kopf spielten sich Bilder ab. Sie wusste, dass Vampire nur vernichtet werden konnten, in dem man sie in Stücke riss und verbrannte. Allein die Vorstellung, dass die Volturi etwas Derartiges mit einem kleinen Kind anstellen konnten, ließ Ekel in ihr aufsteigen. „Konnte Alice sie denn nicht sehen?“ „Tja das Problem ist … dass sie Nessie nicht sehen konnte und daher …“ Edward ließ den Satz unvollendet. Maya seufzte und vergrub das Gesicht in den Händen. „Ich hab noch versucht, ihnen zu helfen. Ich glaube, so schnell bin ich noch nie gerannt … doch ich hab es nicht geschafft.“ „Hatte Bella wirklich keine Chance?“ „Sie war gerade mal ein paar Monate lang ein Vampir und hatte kaum Kampferfahrung. Und gegen die Volturi selbst helfen nicht einmal mehrere Jahrhunderte an Kampferfahrung.“ Maya spürte, wie ihr die Tränen die Wangen hinabliefen, was sie überraschte. Sie hatte überhaupt nicht bemerkt, dass sich Tränen in ihr aufgestaut hatten. „Die ersten Monate war ich so rasend vor Wut, dass ich ihnen am liebsten gefolgt wäre, aber Carlisle ließ mich nicht gehen, obwohl er meine Wut verstand. Dann war ich kurz davor, die Wölfe um Hilfe zu bitten.“ „Du wolltest Selbstmord begehen?“, fragte sie entrüstet und wischte sich rasch die Tränen aus dem Gesicht. Dass Werwölfe in der Umgebung lebten, schien sie keineswegs zu überraschen. Edward zuckte mit den Schultern. „Viel Sinn hatte mein Leben nicht mehr.“ „Was hat dich dann davon abgehalten, Selbstmord zu begehen?“, zischte sie verbittert. „Wenn ich ehrlich bin, dann warst du das.“ Mayas Herzschlag setzte einen Moment lang aus. Es war, als hätte sie die Worte nur durch einen dichten Nebel vernommen. Verwirrt blickte sie ihn von der Seite an. „Ich?“ „Ich war schon kurz davor, mich nach La Push zu begeben, als du plötzlich aufgetaucht bist. Du und Angel.“ „Und wie genau hab ich dich davon abgehalten?“ „Mit deinem Duft, Maya! Er ähnelt dem von Bella auf so eine unglaubliche Weise …“ „Na toll! Mit dem Spruch kriegt man jede rum.“ „Aber so ist es nun einmal. Willst du jetzt die Beleidigte spielen, obwohl du wahrscheinlich mehr Grund dazu hast, stolz auf dich zu sein, weil ich deinetwegen nicht nach La Push gefahren bin?“ „Du bist meinetwegen geblieben?“ Edward umschloss Mayas Hand und legte seine Stirn wieder gegen ihre. „Und ich werde auch in Zukunft deinetwegen bleiben.“ Mayas Rücken rieselte eine Gänsehaut hinab, denn diesmal würde sie nichts stören, das wusste sie. Seine Lippen waren so nah. Obwohl Edward noch rechtzeitig herumwirbelte, traf ihn der Schlag mit einer Wucht, die ihn fast bis ans andere Ende der Lichtung schleuderte. Maya blickte entsetzt auf Raphael, der über ihr stand und mit einem triumphierenden Lächeln auf sie hinabblickte. Langsam beugte er sich zu Maya hinunter. „Hab ich dich, Hexe.“ Kapitel 13: Immer wieder was Neues ---------------------------------- Obwohl Maya sehr schnell auf den Beinen war, war Raphael schneller. Seine Hand umklammerte ihren Hals und hob sie mühelos in die Luft. „Wie fühlt sich das an, kleine Hexe? Wie ist es, so hilflos in der Luft zu baumeln?“ Maya röchelte und strampelte wild mit den Beinen in der Hoffnung, sich befreien zu können. Doch ihre Bemühungen waren umsonst. Raphaels Blick glitt an ihr vorbei. Offenbar hielt er nach Edward Ausschau. „Tja, ich fürchte, dass dein kleiner Freund dir nicht wird helfen können. Wenn Aros mal jemanden in seinem Griff hat, lässt er nicht mehr so schnell los, musst du wissen.“ Maya ging die Luft aus. Wütend schlug sie um sich – vergebens. „Hast du wirklich gedacht, du könntest uns mit deinen kleinen Zaubertiraden von euch fernhalten? Wie tragisch für die Jägerin, ihre beste Freundin zu verlieren. Aber keine Sorge... wir werden uns gut um sie kümmern, Hexe.“ Maya schloss die Augen, als Raphael die Zähne bleckte und vorschoss. Der Schlag, der Angel traf, saß ordentlich. Obwohl sie sich noch am Laken festkrallte, verlor sie den Halt und stürzte kopfüber aus ihrem Bett. Zersplittertes Holz flog durch die Luft und kleine Splitter bohrten sich in ihre Haut. Keuchend kam sie wieder auf die Beine und blickte Alex hasserfüllt an. Seine Augen loderten förmlich und sein Blick hatte etwas Krankhaftes an sich. „Okay, okay, okay ... du hast also ein Problem mit Frauen.“, murmelte sie benommen, während sie sich am Bett wieder auf die Beine zog. Alex zitterte am ganzen Körper. Das Adrenalin schoss durch seine Blutbahnen und machte ihn wild. Angel wischte sich in der Zeit das Blut aus dem Gesicht und fixierte ihn mit einem eiskalten Blick. War ja klar, dass sie mit ihrem Hang zur Tollpatschigkeit ausgerechnet an einen krankhaften Psychopathen geraten musste. Warum sollte in ihrem Leben auch mal etwas nach Plan verlaufen? „Sei still!“, fauchte er und ballte die Hände zu Fäusten. Die Reste des zersplitterten Stuhls lagen neben ihm und zeigten ihr erst jetzt, wie fest er wirklich zugeschlagen haben musste. Nicht zum ersten Mal dankte sie Gott dafür, dass sie robust genug war, um Einiges an Schlägen in Kauf nehmen zu können. Ein Umstand, der Alex nicht zu entgehen schien, denn er blickte sie jetzt ein wenig überrascht an. „Du scheinst dich aber sehr schnell wieder erholt zu haben.“, stelle er fest. Angel zuckte mit den Schultern. „Ich hatte genug Möglichkeiten, um zu üben.“, knirschte sie und wappnete sich innerlich bereits für eine neuerliche Auseinandersetzung. Den Schlag mit dem Stuhl würde er bereuen, so viel stand fest. „Außerdem scheine ich ja generell immer an Typen zu geraten, die ein krankhaftes Problem mit ihrer Psyche haben. Du scheinst da keine Ausnahme zu bilden.“ „Und du scheinst genau wie alle anderen Frauen zu sein. Amüsieren und nur nicht auf die Gefühle eines Mannes achten. Machst dich hinter ihrem Rücken lustig über sie.“ „Hey, ich habe mir lediglich erlaubt, über deinen Witz zu lachen, du Pfeife, klar?“ „Ach komm schon! Das nimmt dir doch niemand ab. Aber ich will dir mal was sagen, Kleine! Ich lass mich nicht so einfach verarschen, ja? Ich hab gelernt, mich gegen so etwas zu wehren?“ „Indem du ihnen Stühle über den Kopf schlägst?“ „Indem ich sie dafür büßen lasse.“ Angel stemmte die Hände in die Hüften. „Tja ... dumm nur, dass du da bei mir an der falschen Adresse gelandet bist. Mich wirst du nicht so einfach klein kriegen.“ „Das werden wir ja sehen.“, knurrte er und stürmte um das Bett herum auf Angel zu, die unbeeindruckt schien. Sie war gewarnt und mehr brauchte es nicht. Kaum war er auf mehrere Zentimeter herangerückt, holte sie aus und schleuderte ihm ihre Faust ins Gesicht. Angel gab sich besonders viel Mühe, so viel Kraft sie hatte in diesen einen Schlag zu stecken, um ihm klar zu machen, dass sie nicht irgendein hilfloses Mädchen war. Wut und Ärger über die kurze Demütigung, als er mit dem Holzstuhl auf sie eindrosch, verdoppelten ihre Kraft. Noch während des Schlages merkte sie, wie seine Nase brach. Es war leicht, sie hatte das Gefühl, als würde sie kleine dünne Zahnstocher zerbrechen, und dann flog er auch schon gegen die Wand – besser gesagt, durch sie hindurch. Dreimal hörte sie es laut Krachen, dann war Ruhe. Mit zusammengebissenen Zähnen blickte sie durch drei Löcher in drei Wänden. Alex war drei Zimmer entfernt zwischen zwei Krankenbetten zusammengebrochen. Dass etwas nicht stimmte, merkte er sofort. Mit geschlossenen Augen schlich er vorwärts. Seine Sinne waren geschärft und achteten auf jedes noch so kleine Detail. Er wusste, dass sie hier waren. Er wusste, dass sie Hilfe brauchten. Und er wusste, dass er zu spät kommen würde, wenn er sich nicht beeilte. Selbst aus dieser Entfernung hatte er keine Probleme, die Kampfgeräusche wahrzunehmen. Er hörte ihn knurren, hörte seine Feinde geifern, hörte sie keuchen. Rasch beschleunigte er seine Schritte. Dass er ihnen helfen musste, war jetzt umso deutlicher, da er genau mitbekam, wie sie immer mehr in Bedrängnis gerieten. Mitten im Lauf durchpflügte er Büsche, Sträucher, brach morsche Zweige von den Bäumen. Obwohl er noch einige Meter entfernt war, spürte er bereits jetzt das Nahen der Sonne, konnte ihre Wärme fühlen, schmeckte den blumigen Duft, die strahlende Hoffnung, die sie in jedem Menschen zu wecken schien. Und er konnte sie fühlen ... konnte die Vampire um sich herum fühlen. Vampire, die nicht zu seinen Feinden zu gehören schienen. Er erreichte den Rand der Lichtung in dem Moment, als auch weitere fünf Vampire aus dem Schatten des Waldes traten und sich rasch einen Überblick über die Situation verschafften. Ohne auf ihn zu achten, stürmten sie los, um Edward beizustehen. Er selbst reagierte instinktiv und raste auf Raphael zu, der sich in ebendiesem Moment auf das Mädchen stürzte. Die Tür wurde aufgerissen und Jasper stürmte herein. Sein Blick wirkte gehetzt und besorgt. Doch als er das Loch in der Wand bemerkte und Angel, die – beinah beleidigt – mit verschränkten Armen dastand und durch die Löcher zu Alex hinüberschielte, konnte er ein erleichtertes Seufzen nicht mehr unterdrücken. „Ich hab seinen Gefühlsumschwung zu spät bemerkt, Angel, entschuldige.“ „Macht nichts. Die Kosten für die Kopfschmerztabletten kann man ihm ja vom Gehalt abziehen.“, entgegnete sie verbittert und kämpfte sich – ein wenig müde, wie Jasper fand – wieder ins Bett. In der nächsten Sekunde war er schon bei ihr. Sein Blick fiel auf den zertrümmerten Stuhl neben ihrem Bett. „Hat er dich damit geschlagen?“ „Überrumpelt wohl eher.“ Ein gefährliches Knurren, das in seiner Brust zu grollen begann, war die Antwort. Sein glühender Blick richtete sich auf den bewusstlosen Pfleger drei Zimmer weiter und kaum merklich fletschte er die Zähne. Angel verdrehte die Augen. „Lass gut sein, Jasper! Der wird so schnell nicht wieder in meine Nähe kommen. Seine Nase ist nur noch Matsch und ich denke, ein paar seiner anderen Knochen dürfte auch lädiert sein.“ „Warst du das?“, fragte Jasper überrascht und deutete auf die Bescherungen. Angel zuckte mit den Schultern. „Kennst du noch jemanden mit Superkräften, der hier im Krankenhaus liegt?“ „Es war kein anderer von uns, der das hier ...“ „Hey! Hast du so wenig Vertrauen in meine Fähigkeiten? Ich hätte ihn wahrscheinlich sogar noch weiter schleudern können, aber dann wäre die Rechnung wohl doch zu hoch gewesen.“ „Respekt!“ „Den hat er jetzt hoffentlich auch.“ Jasper richtete seinen Blick wieder auf Angel, die sich erschöpft in die Kissen lehnte. Ihre rechte Hand war gegen ihre Rippen gepresst. „Alles in Ordnung?“, fragte er besorgt und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ach mir geht’s bestens. An die Schmerzen hab ich mich bereits gewöhnt.“ Jasper wollte etwas entgegnen, als er sich plötzlich versteifte und mit leerem Blick aus dem Fenster starrte. Angel runzelte die Stirn. „Was ist?“ Keine Reaktion. „Jasper, was ist los?“ Augenblicklich straffte er sich wieder. „Es gibt Probleme.“, antwortete er schließlich und an seinem Gesichtsausdruck konnte sie erkennen, dass diese Probleme keineswegs erfreulich waren. Maya hatte das Gefühl, in der Mitte durchgerissen zu werden, als Raphael von der Seite angegriffen und zur Seite gestoßen wurde. Seine Hand hatte noch immer ihre Kehle umklammert und ließ sie auch nicht los, als er zur Seite geschleudert wurde. Zu dritt und ineinander verkeilt stürzten sie zu Boden, wobei sie sich mehrere gebrochene Rippen einfing. Eine eiskalte Hand stieß sie gegen die Schulter und warf sie aus dem Kampfgetümmel. Maya versuchte noch, ihren Sturz mit den Händen aufzufangen, doch ein weiteres Mal brach sie unter sich selbst und dem heftigen Schwung ein und spürte nur noch ein ekelerregendes Knacken in ihrem linken Handgelenk, bevor sie im Gras landete. Wimmernd rollte sie sich auf die Seite. Ihre Hand brannte wie Feuer und ein grausamer Schmerz schoss durch ihren gesamten linken Arm. Ihr gesamtes Denken erlosch in diesem Moment. „Verschwinde schon!“, fauchte jemand sie an und zu ihrer Überraschung musste sie feststellen, dass ihr die Stimme keinesfalls bekannt vorkam. Mühsam rappelte sie sich auf die Beine und rannte los, wohin wusste sie nicht. Sie wusste nur, dass sie so schnell wie möglich aus diesem Chaos verschwinden musste. Ein lautes Reißen in ihrem Rücken ließ Übelkeit in ihr aufsteigen und zitternd warf sie einen Blick hinter sich. Was sie sah, konnte sie selbst kaum glauben. Sie war sich sicher gewesen, dass es nicht Edward gewesen war, der sie angewiesen hatte zu verschwinden und doch war er es, der sich in diesem Moment auf Raphael stürzte und mit einem gewaltigen Ruck seinen rechten Arm aus dem Gelenk riss. Nicht nur Raphael schrie auf. Ein erschütterter Schrei entfloh ihrer Kehle und wie betäubt sank sie auf die Knie, unfähig ihren Blick von dem abzuwenden, was gerade mal zehn Meter von ihr entfernt geschah. Edwards Blick fing ihren auf und in diesem Moment erkannte sie, dass es nicht Edward zu sein schien. Wer auch immer ihr da gegenüber stand, sah Edward jedoch zum Verwechseln ähnlich. Der Fremde fletschte die Zähne. „Verschwinde, Maya!!!“, schrie er und diesmal schaffte sie es. Sie sprang auf die Beine und rannte, rannte so schnell sie konnte auf die Wälder zu. „Maya, nein!“ Maya rannte weiter, achtete nicht auf die Stimme. „Maya, warte doch!“ Ein verschwommener Schatten tauchte vor ihr auf. Maya schaffte es nicht mehr rechtzeitig zu bremsen und lief direkt in Edwards Arme. Keine Freude, wenn man bedachte, dass Vampire für Menschen hart wie Stein waren. Noch während des Zusammenpralls wusste sie, dass sie erhebliche blaue Flecken kriegen würde. Edward lächelte zaghaft, als er Maya an sich drückte und ihr beruhigend über das Haar strich. „Es ist doch alles in Ordnung.“ Der Schmerz in ihrem Handgelenk wurde schlimmer, das Feuer loderte weiterhin und verzweifelt wand sie sich in seinen Armen. „Maya, würdest du bitte aufhören zu schreien! Dir tut keiner mehr was. Drei von ihnen sind vernichtet und die anderen haben das Weite gesucht und jetzt komm wieder zu dir.“, bat Edward und erst jetzt registrierte Maya, dass sie die ganze Zeit über wie verrückt schrie. Krampfhaft bemühte sie sich, es zu unterdrücken und blickte Edward wimmernd in die Augen. Er seufzte erleichtert und drückte sie wieder an sich. „Ich dachte schon, du hörst gar nicht mehr auf. Entschuldige, dass du das mit ansehen musstest, aber Joe ist manchmal ein wenig ungestüm.“ Irgendwo tief in ihrem Unterbewusstsein registrierte sie den Namen Joe und als sie ihn endlich verwirrt anblickte, hatten sich bereits die weiteren Cullens um sie herum versammelt. „Joe?“, fragte sie. Edward lächelte, ergriff ihre Schultern und drehte sie einmal um 180 Grad, bis sie in das neue Gesicht starrte, das allerdings keineswegs neu wirkte. „Darf ich vorstellen? Mein großer Bruder Joe.“, verkündete Edward und deutete auf den Vampir, der Edward zum Verwechseln ähnlich sah. „Ich werde dich nicht mitnehmen, Angel, ausgeschlossen.“, widersprach Jasper vehement und steuerte bereits die Tür an. Angel biss die Zähne zusammen und knurrte. Dann schlug sie wild die Decke zurück und sprang aus dem Bett, vor dem sie sofort wieder in die Knie ging. Wieder brannten ihre Rippen, doch diesmal ignorierte sie es und rappelte sich rasch wieder auf. „Und wenn du mich mit Eisenketten festbindest, ich werde dir folgen, auch wenn ich dabei das Bett hinter mir herschleifen muss!“ Jasper blickte sie genervt an. „Du lässt nicht locker, was?“ „Ich hab die Nase voll davon, immer wie ein hilfloses Hündchen behandelt zu werden!“ „Carlisle bringt mich um, wenn ich dich dorthin bringe.“ „Ich bringe dich um, wenn du mich hier zurücklässt.“, entgegnete sie wütend und deutete durch die drei Löcher hindurch auf Alex, der mittlerweile von mehreren Pflegern betreut wurde. „Aber gut, bleibe ich hier, wenn du es ertragen kannst, dass ich weiterhin in seiner Nähe bin und mir blöde Fragen anhören darf, wie das passiert ist!“, brummte sie und deutete auf die Bescherung. Angel hatte die Zauberworte ausgesprochen. Jasper seufzte ergeben und streckte ihr die Hand entgegen. „Komm schon, aber auf deine Verantwortung. Und wenn Carlisle mir den Kopf abreißt ...“ „... nähe ich ihn wieder an und biete ihm meinen an, schon klar.“ Erfreut griff sie nach seiner Hand, schnappte sich noch im Vorbeigehen ihre Jacke und schlüpfte hinein. Hastig stürzten sie den Flur entlang und achteten dabei nicht auf die empörten Krankenschwestern, die versuchten, Angel wieder zurückzuholen. Kaum hatten sie das Krankenhaus verlassen, lud Jasper sie vorsichtig auf seinen Rücken und raste los. Mit Überschallgeschwindigkeit – so hatte sie das Gefühl – flog er durch die Wälder, ohne einmal langsamer zu werden, um zu verschnaufen. „Würdest du mir wenigstens mal sagen, was eigentlich los ist?“, presste sie mühsam hervor, während sie ihre Stirn gegen seine Schulter drückte. „Das wirst du gleich sehen.“, antwortete er nur knapp. Und Jasper behielt Wort, denn schon nach fünf Minuten erreichten sie eine Lichtung, auf der sich zu ihrer Überraschung sämtliche Cullens und Maya zusammengefunden hatten. Angel blickte verdattert auf die Gruppe, als ihr auffiel, dass sich offenbar noch eine weitere Person dort eingefunden hatte. „Seh ich jetzt doppelt oder was?“, murmelte sie, während Jasper sie absetzte und auf die Gruppe zulief. Schwankend folgte sie ihm, bis sie schließlich erschöpft dazustieß und verwirrt zwischen Edward und einem Vampir blickte, der ihm unglaublich ähnlich sah. „So!“, fauchte sie und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. „Würde mir jetzt mal bitte jemand sagen, was hier los ist oder war?“ Carlisle blickte sie mit großen Augen an. „Was ist denn mit dir passiert?“ Angel runzelte die Stirn. Carlisle ging auf sie zu und strich ihr über die Stirn. Überraschend stellte sie fest, dass Blut an seinen Fingern klebte. „Eine beeindruckende Platzwunde, die du da hast? Bist du aus dem Bett gefallen?“ Jasper grinste böse. „Viel schlimmer.“ Angel kniff die Augen zusammen. „Ach komm schon! Jetzt spiel dich hier nicht so auf!“, fauchte sie ihn an und schlug ihm wütend gegen die Schulter. Jasper blickte sie mit glühenden Augen an. „Er hat dich geschlagen, Angel! Wenn das nicht schlimm genug ist, dann ...“ „Redest du von Alex?“, unterbrach Carlisle Jasper scharf. Jasper nickte, was Angel die Augen verdrehen ließ. „Jetzt macht kein Drama draus.“ „Er hat dich geschlagen?“, rief Maya schrill. Angel knirschte verbittert mit den Zähnen. „Und sogar ziemlich ordentlich. Seine Arbeit hat er jedenfalls gut gemacht.“, bemerkte Jasper finster. Maya quollen fast die Augen über, als sie Angel ansah. „Hey … du bist so eine Art Supergirl. Seit wann lässt du dir so was gefallen?“ Angel hob die Augenbrauen. „Wer sagt denn, dass ich klein bei gegeben habe?“ „Hast du nicht?“ Neben ihnen grinste Jasper erfreut. „He he … der Kerl ist drei Zimmer weiter durch die Wände geflogen, so kräftig hat sie ihm eine gebrettert. Beeindruckend, kann ich nur sagen. Selbst Emmett hätte wahrscheinlich nur zwei Zimmer geschafft.“ Maya blickte ihn entsetzt an. „Das findest du witzig?“ „Wär’s dir lieber, wenn ich darüber lachen würde, wie er Angel den Stuhl über den Kopf gezogen hat?“ „WAS?“ Maya kreischte so laut, dass Angel sich stöhnend an den Kopf griff. „Maya, bitte! Ich hab grad Kopfschmerzen mit den Ausmaßen des Mount Everest. Das stellt wahrscheinlich sogar den übelsten Kater in den Schatten. Also schrei hier nicht so rum.“ „Er hat dich mit einem Stuhl geschlagen?“ „Na und? Dafür hab ich ihm mit meinem Schlag den Kiefer gebrochen und mit seinem Flug durch die Wände noch Etliches mehr.“ Maya blickte ihre Freundin erstaunt an. „Im Leben hätte ich nicht gedacht, dass du auf so einen Schläger hereinfallen würdest.“ „Im Leben hätte ich nicht gedacht, dass ich auf so einen Idioten hereinfallen würde.“, korrigierte sie sie. „Und wie fühlst du dich?“, fragte Carlisle nach, was Angel mit einem Wink abtat. „Ach ... alles in Ordnung.“ „Na ja ... die Platzwunde würde ich nicht so einfach als Nichts abtun.“, bemerkte er, während er vorsichtig über ihre Stirn strich. „Du solltest dir Mayas Handgelenk auch mal ansehen. Ich meine, ich hab vorhin etwas knacken hören.“, meldete sich jetzt der fremde Vampir zu Wort. Angel warf an Carlisle vorbei einen Blick auf den Neuankömmling und runzelte die Stirn. Die Ähnlichkeit mit Edward war verblüffend. Einziger Unterschied war, dass seine Haare einen kleinen Tick dunkler wirkten. „Wer bist du eigentlich?“, brummte und wischte Dr. Cullens Hand beiseite, der die Augen verdrehte und sich Maya zuwandte. Behutsam besah er sich ihr Handgelenk. „Angeknackst würde ich sagen. Aber das kann ich im Krankenhaus besser beurteilen.“ Edward nickte, nahm Maya auf den Arm und schoss davon. Angel blickte ihm verdattert nach. „Ja ... ähm ... der konnte es ja kaum erwarten.“ „Er macht sich Sorgen.“ „Ich wohl nicht?“, fragte sie empört. „Edwards Problem ist, dass er sich die Schuld daran gibt, was mit Maya passiert ist.“ „Was ist denn passiert?“ „Raphael.“, erklärte Jasper knapp und Angel schnappte nach Luft. „Was? Hier?“ „Sie haben Edward und Maya angegriffen.“ „Sie?“ „Angel, beruhige dich! Es ist alles wieder in Ordnung.“ „Nein, ist es nicht!“ „Hey, Zwergin! Reg dich nicht auf! Ich hab Maya noch rechtzeitig geholfen.“ Angels Augen waren nur noch Schlitze, als sie Joe betrachtete. „Reiß dich zusammen, du Kasper!“, warnte sie ihn. „Und jetzt sag mir endlich, wer du überhaupt bist!“ „Joe ...“ „Wie aufschlussreich!“ „Ich bin Eds großer Bruder.“ „Sicher, dass du nicht der kleine Bruder bist?“ „Wieso?“ Angel schüttelte grinsend den Kopf. „Ach ... nur so...“ Und aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie Emmett sie grinsend anstarrte und bedeutungsvoll die Augenbrauen hob und senkte. Kapitel 14: Genesung -------------------- So.... nach langer, langer Durststrecke endlich das nächste Kapitel. Ich schwöre, so lange hab ich noch nie an einem Ende gesessen.... Viel Spaß!!!! --------------------------------------------------------------------------------- Angel hätte nie gedacht, dass es einen Vampir geben könne, der Emmetts Gekasper noch übertrumpfen würde. Wie sehr sie sich täuschte, stellte sie jedoch bereits nach wenigen Tagen fest. Joe schaffte es bereits am Morgen, sie auf die Palme zu bringen. Kroch sie morgens noch verschlafen aus dem Bett, erschien er blitzschnell plötzlich neben ihr. Als er diese Aktion das erste Mal durchgezogen hatte, war Esmes gute Vase zu Bruch gegangen. Angel, die einen Angriff befürchtet hatte, hatte vor Schreck ausgeholt und Joe über das Gelände geschleudert, wobei er die teure Vase mit sich gerissen hatte. Zu ihrem Pech hatte er aus diesem Vorfall offenbar nichts gelernt, denn er zog es noch immer durch. Auch tat er des Öfteren nichts Anderes, als ihr auf Schritt und Tritt zu folgen, ihre Bewegungen nachzuahmen und mit übertriebenem Ehrgeiz für ihre Meinungen einzutreten. „Der treibt mich in den Wahnsinn!“, jammerte sie und blickte Carlisle flehend an, der gerade dabei war, ihren Puls zu fühlen. „Bitte, bitte, bitte ... sag ihm, dass er gehen soll oder mich zumindest in Ruhe lassen möchte. Völlig egal, aber mach irgendwas, sonst spring ich vor einen fahrenden Zug.“ Carlisle schmunzelte. „Warum sagst du ihm nicht einfach, dass er es lassen soll?“ Mit genervter Miene verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Carlisle, du hattest ihn neulich darum gebeten, dir im Krankenhaus zu helfen.“ „Und?“ „Ist bisher irgendetwas dergleichen geschehen?“ „Na ja gut ... ihm es zu sagen, wird ihn wahrscheinlich nicht davon abhalten, da magst du Recht haben.“, lenkte er rasch ein, was Angel grinsen ließ. „Aber das heißt nicht, dass es keine anderen Möglichkeiten gibt, ihm klar zu machen, dass er...“ „Carlisle, vergiss es! Bei dem Kerl ist doch Hopfen und Malz verloren.“ „Ihr redet nicht zufällig von Joe?“, erklang Emmetts Stimme und kurz darauf betrat er breit lächelnd das Zimmer. „Nicht doch! Wir reden über den anderen Kasper, der dieses Haus bewohnt.“ „Mich?“ „Blitzmerker.“ „Und ich soll die Familie verlassen? Dabei war ich in den letzten Tagen eigentlich ziemlich pflegeleicht.“, murmelte er nachdenklich. Angel blickte Carlisle an und kicherte leise. „Weiß ich doch, Emmett! Und du warst ja auch gar nicht wirklich die Zielscheibe.“ „Bin ich jetzt etwa weg vom Fenster?!“ „Wär’s dir lieber, wenn ich wieder anfange, mit dir herumzuzicken?“ „Würde mir auf jeden Fall ein Vergnügen sein.“ „Kannst du gern haben …“ „Könnt ihr zwei nicht einfach mal aufhören? Ich war so froh, dass ihr euch in den letzten Tagen so gut vertragen habt, nehmt mir diese vollkommene Ruhe jetzt nicht!“, flehte Carlisle, während er das Blutdruckmessgerät wieder wegpackte. „Im Übrigen ist dein Blutdruck viel zu hoch, als solltest du dich nicht aufregen.“ Angel grinste böse. „Na woran kann das nur liegen?“, fragte sie säuerlich und fixierte Emmett mit finsterer Miene. Der schlug sich gegen die Brust und erwiderte ihren Blick mit gespielter Schockiertheit. „Meinst du etwa mich?“ „Wen guck ich denn an?“ „Ich bring dein Blut in Wallung? Find ich stark!“ „Ich nicht.“, erwiderten Carlisle und Angel gleichzeitig. Emmett verzog das Gesicht. „Zwei gegen einen ist feige.“ „Wenn der Eine allerdings das Format von zweien hat, dann ist das wieder gerecht!“, entgegnete Angel grinsend und mit den Wimpern klimpernd. Emmetts Augen verengten sich. „Dass so etwas nur von einem Zwerg wie dir kommen kann, war ja klar.“ „Zwerg?“ „Was sonst? Oder hältst du dich mit deinen mageren 1,60m für Supergirl?“ „Was meine mageren 1,65m angeht, mein lieber Emmett, liege ich damit vollkommen im Durchschnitt. Und was meine Kraft angeht, darf ich dich höflichst an deine schmerzhafte Auseinandersetzung mit dem kiloschweren Holztisch erinnern, der an deinen Schienbeinen zerschellt ist, als ich ihn dir entgegengeschleudert hab.“ „Das war Zufall!“ „Das war Können!“ „Ruhe jetzt! Emmett, raus mit dir! Angels Blutdruck steigt sonst noch mehr an und das ist momentan einfach nicht gut für sie.“ „Wenn’s danach geht, Carlisle, solltest du Joe auch von mir fernhalten.“ „Was ist mit mir?“, ertönte im selben Moment Joes Stimme, der um die Ecke spazierte und sie grinsend ansah. Angel sank in ihr Kissen zurück. „Zu spät.“, seufzte sie, packte die Decke und zog sie sich über den Kopf. Joe runzelte kurz die Stirn, warf sich mit Schwung auf ihr Bett und zog die Decke zurück. „Jetzt spiel doch nicht gleich Verstecken, ich will dir doch was erzählen!“, maulte er. Angel sog scharf die Luft ein und zählte innerlich bis dreißig. „Deine Geschichten, Joe, interessieren mich ungefähr genauso viel, wie Emmetts Bettgeschichten.“ „Die aber höchst interessant wären.“, warf Emmett grinsend ein, was ihm von Carlisle einen Schlag gegen den Hinterkopf einbrachte. „Raus jetzt!“, knurrte er und schubste ihn aus dem Zimmer. „Und du, Joe, verschwindest jetzt auch! Angel explodiert sonst und der Himmel weiß, ob ich sie dann noch zusammenflicken kann.“ „Ach das übernehme ich dann schon.“ Angels Augen funkelten. „Einen Teufel wirst du tun. Ich kenne deine Vorstellungen von Frauen!“ „Klar kennst du die, schließlich bist du eine davon!“ Angel tat so, als müsste sie sich übergeben, was Joe verwirrt blinzeln ließ. „Wie darf ich denn das jetzt verstehen?“ „Das überlasse ich ganz deiner Fantasie!“, gab sie als Antwort, was Joe breit grinsen ließ. „He he … das würde ja bedeuten, dass du dich selbst als hässlich empfindest.“ Angel setzte zu einer Antwort an – brach dann aber ab und blickte grummelnd aus dem Fenster. „Joe, raus jetzt!“, knurrte Carlisle, packte diesen am Arm und schob ihn aus dem Zimmer. Sein breites Grinsen verfolgte sie noch im Schlaf, in den sie kurz darauf fiel. „Also! Was läuft zwischen dir und Joe?“, fragte Maya, während sie schwungvoll auf Angels Bett sprang und ihre Freundin interessiert beäugte. Angel verdrehte die Augen. „Mit Joe läuft gar nichts!“ „Sicher! Deswegen stolziert er auch die ganze Zeit um dich herum …“ „Glaub mir, er geht mir damit wahrscheinlich genauso auf die Nerven, wie jedem anderen auch!“, brauste Angel los und fuhr sich dabei durch das Haar. Maya grinste breit und schüttelte den Kopf. „Du scheinst ja hoffnungslos verschossen zu sein.“, bemerkte sie. „So ein Quatsch!“ „Und leugnen macht alles nur viel schlimmer!“ „Hörst du jetzt endlich mal auf!“ „Warum willst du nicht zugeben, dass du in ihn verliebt bist?“ „Weil ich es nicht bin!“ „Ach, Angel! Warum machst du es einem nur so schwer?“ „Du versuchst mir die ganze Zeit über einzureden, dass ich in Joe verliebt bin und du bist der Meinung, ich mache es dir schwer?“ „Tja, das tust du doch auch!“ „Na? Leugnet sie mal wieder, dass sie in mich verliebt ist?“ Angel schlug mehrere Male mit dem Hinterkopf gegen die hintere Bettkante und knirschte mit den Zähnen. „Warum kann der nicht einfach da bleiben, wo er Pfeffer wächst?“ „Weil du da nicht bist.“, säuselte er und warf sich schwungvoll auf die Kante ihres Bettes. Mayas Lächeln wurde breiter und sie rutschte bereitwillig ein Stück zur Seite, um ihm ein wenig mehr Platz zu machen. „Da hörst du es! Er hat Sehnsucht nach dir!“ „Falsch! Er hat Sehnsucht nach meinen Abweisungen.“ Joe lehnte sich ein Stück nach hinten und näher an Maya heran. „Das sagt sie jedes Mal! Dummerweise glaubt sie den Mist auch, den sie redet.“ Die Schmerzen ignorierend holte Angel aus und trat Joe gegen die Beine, was ihn vor Überraschung vom Bett fliegen ließ. Maya funkelte Angel an. „Sei nicht so gemein!“, fauchte sie, was ihre Freundin verzweifelt zur Kenntnis nahm. „Super! Jetzt treibt er sogar zwischen uns einen Keil!“ „Das ist nicht wahr! Du bist doch diejenige, die sich unmöglich benimmt.“ „Ladys, Ladys, bitte! Streitet doch nicht wegen mir!“, warf Joe ein und hob beschwichtigend die Hände. Angel reichte es. Wütend schlug sie die Decke zurück, soweit es Maya zumindest zuließ, schwang die Beine aus dem Bett und sprang auf. Eine Sekunde lang schnappte sie erschrocken nach Luft, als sie bemerkte, wie schwach sie auf den Beinen war. Kein Wunder. Die letzte Woche hatte sie tatsächlich nur dann das Bett verlassen, wenn sie mal die Toilette hatte nutzen müssen. Da Carlisle ihr strengste Bettruhe verordnet hatte, war ihr Zimmer bis jetzt das einzige gewesen, was sie in den letzten Tagen intensiv genutzt hatte. Taumelnd stolperte sie zur Tür, wo sie sich am Türrahmen festklammerte und tief durchatmete. Schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen und ein merkwürdiges Schwindelgefühl griff nach ihr. „Angel, warte doch!“, rief Maya, die sofort vom Bett sprang und auf ihre Freundin zulief. Joe war schneller. Sanft ergriff er sie um die Hüften und hielt sie fest. „Du weißt, was Carlisle gesagt hat.“, knurrte er. Von seiner aufgekratzten und wilden Art war nichts mehr übrig. Sein Blick war ernst, besorgt und streng zugleich. Angel wehrte sich wütend, doch trotz ihrer Kräfte war sie diesmal einfach nicht imstande, sich gegen ihn zu behaupten. „Das ist nicht witzig, Angel! Wenn Carlisle dir sagt, dass du im Bett zu bleiben hast, solltest du das auch beherzigen. Und jetzt komm schon!“, forderte er sie auf. Eine Aufforderung, der sie nicht von allein Folge zu leisten brauchte, denn ohne ein weiteres Wort hob er sie vom Boden auf und trug sie zurück. Angel zog die Augenbrauen zusammen. Diesmal nicht. Noch einmal sämtliche Kraft mobilisierend schlug sie ihm so hart wie möglich gegen die Brust. Ein überraschtes Keuchen war die Antwort und zu ihrem Erschrecken stolperte er zurück. Eine Sekunde lang hing sie wie schwerelos in der Luft, ehe sie zu Boden stürzte. Das Poltern musste noch zwei Etagen tiefer zu hören gewesen sein, denn kurz darauf erschien Carlisle auf der Bildfläche und blickte Angel streng an. „Warum kannst du nicht einmal auf das hören, was ich sage?“, fauchte er, packte sie bestimmt aber dennoch vorsichtig bei den Schultern. „Alles in Ordnung?“ „Es geht schon!“, knurrte sie und schob ihn beiseite. „Was ist denn plötzlich mit dir los?“, fragte er verwundert und half ihr dabei, in das Bett zurückzukriechen. „Ich bin genervt! Darf ich das nicht sein, oder wie?“ „Und wovon?“ Angel tat nachdenklich. „Wovon könnte ich wohl genervt sein? Vielleicht von Joe! Vielleicht von meinem Fluch, die letzten Tage nur hilflos hier herumliegen zu dürfen, vielleicht an dieser gottverdammten, mich wahnsinnig machenden Hilflosigkeit, die ich einfach nicht loswerde!“, schrie sie aufgebracht und schlug wie zur Bestätigung mit beiden Fäusten kräftig auf das Bett – das unter ihr zusammenbrach. Joe kicherte leise auf und auch Maya konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Einzig Carlisle sah besorgt aus. „Ich kann dich ja verstehen, aber …“ „Kannst du das wirklich? Du bist doch nicht in meiner Situation!“ „Aber ich kann verstehen, dass dich das wahnsinnig macht, nicht tun zu können, was du willst.“, wandte er ein, griff nach ihrem Arm und half ihr aus dem zerstörten Bett. „Hör zu, Angel! Du hast nur noch einen Lungenflügel … versteh doch, dass du es jetzt zum Anfang erst einmal ein bisschen langsamer angehen musst.“ „Ein bisschen langsamer? Carlisle, ich werd noch das Laufen verlernen!“ „Okay, okay, okay! Ich mach dir einen Vorschlag: Ich lasse dich von jetzt an jeden Tag …. sagen wir mal für fünf Stunden das Bett verlassen, unter Aufsicht natürlich, da wirst du nicht drum herum kommen.“ „Klingt gut … jetzt kommt das Aber.“ „Aber! Im Gegenzug dazu … reißt du dich für die nächsten zwei Monate zusammen. Nicht die kleinste Aufregung, haben wir uns verstanden?“ „Das ist unfair! Wie soll ich das schaffen, wenn Joe, Jasper, Emmett … die größten Kasper auf diesem Planeten dieses Haus bewohnen?“ „Entscheide dich!“ „Das ist hart, das weißt du!“ „Das ist aber meine Bedingung. Und! Wenn ich dir etwas sage, dann tust du das auch! Keinen Widerspruch!“ Angels Gesichtszüge verhärteten sich augenblicklich. „Sogar die Sklaverei war angenehmer!“ „Und?“ „Na ja …“ „Ich weiß, dass dir das hart vorkommt, aber du musst bedenken, dass ich dir diese Bedingungen nur deshalb stelle, weil ich will, dass du so schnell wie möglich wieder vollkommen auf die Beine kommst.“ Angel seufzte. „Einverstanden.“ „Sehr gut! Und jetzt ab ins Bett. Du schläfst erst einmal bei Maya im Zimmer.“ „Was? Ich dachte …“ Carlisle räusperte sich bedeutungsvoll, was Angel in sich zusammensinken ließ. „Keinen Widerspruch, schon klar …“ Mit hängenden Schultern folgte sie Maya, die voranschritt. „Warum pflanzt ihr mir nicht einfach einen kleinen Minicomputer ein, dann könnt ihr mich besser programmieren.“, knurrte sie verbissen, bevor sie das Zimmer verließen. Wie Angel die nächsten zwei Monate überstanden hatte, wusste sie selbst nicht, doch sie musste überrascht feststellen, dass sie es tatsächlich schaffte, sich zusammenzureißen und sämtliche Aufregungen auszublenden. Obwohl Joe sich mittlerweile richtig Mühe gab, ihre Nerven bis zum Zerreißen zu strapazieren, herrschte tiefste Stille im Hause der Cullens. Carlisle seufzte erleichtert und blickte Angel beruhigt an. „Tja … damit dürfte wohl endlich alles wieder so sein wie es sein sollte.“ Angels Augen leuchteten. „Das heißt?“ Dr. Cullen blickte auf das Klemmbrett in seiner Hand und nickte. „Deine letzten Tests waren ausgezeichnet, deine Rippenbrüche sind vollkommen verheilt … erstaunlich zwar, aber für eine Jägerin nicht ungewöhnlich. Und den fehlenden Lungenflügel scheinst du auch nicht mehr zu bemerken. Ich denke du bist wieder komplett auf dem Damm.“ Angel sprang auf. „Ha!“, rief sie laut – so laut, dass es wahrscheinlich noch ein paar Kilometer entfernt zu hören gewesen war. Carlisle hob beschwichtigend die Hände. „Jetzt flipp nicht gleich aus.“ „Ich soll nicht gleich ausflippen? Zwei Monate hab ich mich komplett am Riemen gerissen, war superartig, hab alles gemacht, was du wolltest und jetzt bin ich endlich frei! Da hab ich doch wohl allen Grund auszuflippen.“ „Den hast du allerdings. Denn meiner Meinung nach bist du sogar schon seit zwei Wochen wieder fit.“ Angels Miene verdüsterte sich. „Du hast mich zwei Wochen länger schmoren lassen?“ „Dafür kann ich aber jetzt mich absoluter Sicherheit sagen, dass du keinerlei Probleme mehr haben wirst.“ „Na gut … dir sei verziehen. Aber dafür …“ Angel rieb sich boshaft grinsend die Hände. Carlisle seufzte. „Von Emmett solltest du dich trotzdem erst einmal fernhalten.“ „Das macht gar nichts.“ „Und Joe scheidet auch aus!“, fügte er warnend hinzu. Angels Lächeln verschwand. „Ach komm schon, Carlisle! Wo bleibt da der Spaß? Wochenlang musste ich mir alles Mögliche von den beiden anhören und jetzt darf ich mich nicht einmal mehr rächen?“ Flehend faltete sie die Hände wie zum Gebet, rutschte auf Knien an ihn heran und blickte ihn mit Hundeaugen an. „Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte, bitte …“ Dr. Cullen musste gegen seinen Willen Lachen. „In den nächsten zwanzig Minuten bin ich vollkommen taub und blind.“, war das einzige, was er hervorbrachte. Keine zwei Sekunden später war sie aus dem Zimmer. Carlisle grinste noch immer, bis fünf Minuten später ein Schrei von Emmett die Stille zerschnitt und weitere fünf Minuten später sich Joes Wutgeschrei dazugesellte. Wie versprochen verließ er zwanzig Minuten später das Zimmer, um nach dem Rechten zu sehen. Zu seiner Überraschung fand er Joe und Emmett im Wohnzimmer. Beide hatten die Arme vor der Brust verschränkt und blickten mit mörderischen Mienen zu Angel hinüber, die grinsend auf der Couch saß und vor sich hinkicherte. „Jungs! Ich weiß, ihr nehmt es ihr übel und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich gerade furchtbare Rachepläne in euren Köpfen emporarbeiten, aber … bedenkt mal, was sie sich in den letzten Monaten von euch anhören musste und noch nicht einmal die Möglichkeit hatte, sich zu wehren.“ „Willst du gar nicht wissen …“ „Nein, ich will nicht wissen, was sie mit euch gemacht hat! Denn das hieße, dass ich sie deswegen schelten müsste und ehrlich gesagt … steht mir gerade nicht wirklich der Sinn danach, mich mit einer hyperaktiven Jägerin anzulegen.“, wehrte Carlisle ab und zwinkerte kaum merklich Angel zu, die sich erleichtert seufzend erhob und mit erhobenem Kopf das Zimmer verließ. „Das war alles?“ Maya konnte nicht anders und prustete los. „Zwei bärenstarke Vampire und… und sie jammern rum, wenn … wenn man ihnen am Ohrläppchen zieht?“ Maya war jetzt nicht mehr zu halten. Ihr tränten bereits die Augen und mit auf den Bauch gepressten Händen wand sie sich auf Angels Bett, während sie immer noch lachte. Angel musste ebenfalls kichern. „Krieg dich mal wieder ein.“ „Würd ich ja gern, aber die Vorstellung, dass … hi hi hi … Vampire, die jammern, weil ein Mädchen ihnen die Ohren lang zieht, das findest du in keinem Bilderbuch.“ „Vergiss nicht, dass ich kein normales Mädchen bin! Wenn ich ihnen an den Ohren ziehe, dann tut das auch wirklich weh.“ „Schön, wenn dich das so amüsiert!“ Angel grinste noch breiter, als über ihr Joe auftauchte, der mit funkelnden Augen auf sie herabblickte. Angel seufzte übertrieben. „Es amüsiert mich nicht nur, mein lieber Joe, ich genieße es!“ Ein kurzes Grinsen flackerte über sein Gesicht, bevor es sich sofort wieder verdüsterte. „Genieße es, solange du noch kannst.“ Angel runzelte die Stirn und blickte ihn überrascht. „Was ist denn mit dir auf einmal los? Wo ist mein optimistisches Grinsen?“ „Auf das wirst du wohl in nächster Zeit verzichten müssen.“, schaltete sich Carlisle ein, der soeben das Zimmer betrat. Seine Miene machte den beiden Mädchen deutlich, dass keine guten Nachrichten auf sie warteten. Maya rieb sich fröstelnd die Arme. „Du siehst aus, als wäre jemand gestorben.“, bemerkte sie leise und kroch noch tiefer in den Sessel hinein. Carlisle und Joe wechselten noch einen flüchtigen Blick, bevor sie gleichzeitig erklärten: „Wir haben ein ziemlich ernstes Problem.“ Kapitel 15: Gelüftetes Geheimnis -------------------------------- Maya drückte sich eng an Edward, der ihr den linken Arm um die Schulter gelegt und sich gleichzeitig ein wenig vorgebeugt hatte. Sein Blick war auf seinen Bruder Joe gerichtet, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und mit finsterer Miene aus dem Fenster und in die Ferne starrte. Angel hockte im Sessel, auf dessen Lehne Jasper saß, der Alice’ Hand umklammerte. Carlisle und Esme saßen neben Maya und Edward auf der Couch. Rosalie und Emmett hatten sich hinter ihnen postiert. „Also! Was für Probleme haben wir genau?“, fragte Angel schließlich und ihr Blick bohrte sich förmlich in Joes Rücken, der sich keinen Millimeter bewegte. „Joe!“, rief sie noch einmal nachdrücklich, als er nicht reagierte. „Sie kommen!“, war das Einzige, was er hervorbrachte, bevor er sich wieder in Schweigen hüllte. Verzweifelt blickte Angel erst Edward und dann Alice an. „Hilf mir! Was meint er damit, dass sie kommen?“, jammerte sie und fuhr sich aufgeregt durch das Haar. Edward warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu und lehnte sich dann gegen die Couchlehne hinter sich. Maya drückte sich fester an ihn. „Es geht um Die Erlöser.“ „Wie überraschend.“, bemerkte Maya trocken. „Wann hab ich jemals erlebt, dass irgendein bestehendes Problem nichts mit Vampiren zu tun hat?“ „Das sollte niemand auf die leichte Schulter nehmen.“, wandte Edward kühl ein, was Maya mit einem bösen Blick zur Kenntnis nahm. „Tu ich doch überhaupt nicht.“, entgegnete sie und wandte beleidigt den Blick ab. „Was ist denn mit diesem Clan? Kommen sie zurück? Veranstalten sie ein Freudenfeuer, um uns in ihren Kreis aufzunehmen? Oder kehren sie der bösen Seite in ihrem Inneren den Rücken und schließen sich uns an?“, fragte Angel mit einem sarkastischen Grinsen, das Edward zeigte, dass sie keineswegs mit guten Nachrichten rechnete. „Sie kommen zurück.“, meldete Joe sich wieder zu Wort. Noch immer kehrte er ihnen den Rücken zu. Angel zuckte mit den Schultern. „Na gut! Dann zeigen wir ihnen eben, was wir von ihnen halten und...“ „Du verstehst nicht, Angel! Sie kommen zurück!“ Angel verdrehte die Augen und sprang auf. „Na schön, du Schlauberger! Dann drück dich gefälligst auch mal ein wenig deutlicher aus! Einzelne Wortfetzen bringen uns nicht wirklich weiter.“ Joe lachte kurz und trocken und wandte sich ihr zu. „Du hast keine Ahnung, womit du es zu tun hast, Angel!“ „Doch, die hab ich bestimmt. Ich hab von Carlisle und den anderen schon eine Menge Informationen erhalten, vielen Dank.“ „Du hast lediglich das erfahren, was sie auch über diese Gruppe wissen. Aber das heißt noch lange nicht, dass du alles über sie weißt.“ Angels Augen loderten. „Jetzt hab ich aber gleich die Schnauze voll! Entweder du sagst mir jetzt klipp und klar, was los ist oder ich ... ich ...“ Joe lächelte freudlos. „Sonst was? Willst du mich aus dem Weg räumen? Angesichts der Schwierigkeiten, in denen du und Maya stecken, glaub ich kaum, dass das dein Plan wäre.“ „Aber Angel hat Recht, Joe! Du scheinst viel mehr über diese Gruppe zu wissen, als die anderen. Warum klärst du uns nicht endlich auf?“, warf Maya ein, die bereits einen Ausbruch von Angel befürchtete. Jasper, der dasselbe spürte, ergriff Angels Schulter und zog sie zurück in den Sessel. Seine Hand blieb auf ihrer Schulter. Einen Augenblick lang herrschte angespannte Atmosphäre, bis Joe seufzte und sich auf die andere Lehne des Sessels setzte, in dem Angel hockte und vor sich hin brummte. „Es stimmt. Ich weiß eine Menge über diese Gruppe.“ „Woher?“, fragte Maya sofort. „Tja ... ich bin nicht sicher, ob ...“ Angel fuhr hoch und blitzte ihn an. „Keine Ausflüchte mehr, Joe! Was geht hier vor? Wer bist du? Und wo warst du die ganze Zeit? Warum hast du deinen Bruder zurückgelassen? Spuck’s endlich aus! Ich hab es satt, die ganze Zeit über dich im Unklaren zu sein!“ Jasper sprang auf und packte Angel um die Schultern. „Beruhige dich!“ „Nein, Jasper! Diesmal nicht! Ich will jetzt endlich die Wahrheit wissen! Ich will endlich wissen, womit wir es wirklich zu tun haben! Verzerrte Bilder kann ich nicht brauchen. Das hilft mir im Kampf gegen diese Biester nicht weiter!“ „Willst du die Kuscheltiervariante oder die harte Realität?“ „Joe!“, fauchte Jasper, schob Angel hinter seinen Rücken und baute sich vor dem Vampir auf. „Was soll das werden, Jasper? Glaubst du, dass du sie vor allem beschützen kannst? Willst du ihr auf Ewig hinterher dackeln, um zu verhindern, dass sie je wieder in Schwierigkeiten gerät?“ „Ich weiß zwar nicht, wovon du redest, aber ...“ „Ach wirklich nicht? Nun, ich kann mich irren, aber ich glaube, ich habe in den letzten Tagen einen ziemlich guten Eindruck über dich und deine Beziehung zu Angel bekommen. Dass du Alice wegen dieser Frau einfach so in den Wind schießt, find ich schon ...“ „Joe, hör auf! Das ist ausgemachter Unsinn!“, meldete sich jetzt Edward zu Wort. „Du interpretierst da etwas hinein, das überhaupt nicht stimmt. Jasper ist nicht in Angel verliebt. Das heißt ... na ja ...“ Sein Blick huschte hinüber zu dem blonden Vampir, dessen Gesichtsausdruck völlig versteinert war. „Na ja was?“, fauchte Joe und verschränkte herausfordernd die Arme vor der Brust. „Was Edward sagen wollte, ist, dass ich sie in gewisser Weise schon liebe...“ Zu Angels Überraschung knurrte Joe plötzlich. Ein tiefes, bedrohliches Brummen, das sich seine Brust emporarbeitete. „Aber nicht so, wie du vielleicht denkst. Es ist eher so, dass ...“ Angel warf Maya einen unsicheren Blick zu. Carlisle räusperte sich bedeutungsvoll. Emmett grinste breit. „Warum machst du so ein Geheimnis draus? Wir haben mittlerweile herausgefunden, dass Angel Jaspers Nichte ist?“ Joe runzelte die Stirn. „Jaspers Nichte?“ Einen Moment lang betrachtete er Angel forschend und hob schließlich anerkennend eine Augenbraue. „Gut gehalten, möchte ich sagen.“ Angel verdrehte die Augen. „Halt doch die Klappe!“ „Jaspers Zwillingsbruder war Angels Ur-Ur-Ur-Großvater.“ Joe blickte einen Moment völlig verdattert drein und brach dann in schallendes Gelächter aus. „Das heißt, Jasper ist … Ich glaub’s nicht! Der .... der alte Jappo .... Angels Onkel ...“ Jasper hob die Augenbrauen und warf über seine Schulter hinweg Angel einen kurzen Blick zu, die ihn grinsend erwiderte. „Jappo?“, kicherte sie, was auch Emmett grinsen ließ. „Jappo… warum bin ich nicht darauf gekommen?“ „Weil das nicht ganz deine Kragenweite ist, Emmett!“, beantwortete Maya ihm die Frage mit einem bissigen Unterton. Emmetts Grinsen verschwand schlagartig. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er Mayas Hinterkopf, beugte sich langsam vor und knurrte. „Jetzt werd mal nicht frech, Kleines! Edward wird nicht immer da sein, um dich zu beschützen.“ Eine kleine Sekunde lang flackerte Unsicherheit in Mayas Augen auf. Doch kurz darauf lächelte sie süßlich und verschränkte die Arme vor der Brust. Emmett runzelte verwirrt die Stirn. Ein süßliches Lächeln war keineswegs etwas, was er erwartet hatte. Den heransausenden Kerzenständer bemerkte er erst, als es bereits zu spät war. Mit der Geschwindigkeit einer Überschallrakete krachte das Metall gegen sein Kinn und schleuderte ihn ein paar Schritte zurück. Einen Moment lang ruderte er mitten in der Luft mit den Armen, bevor er polternd zu Boden flog und benommen liegen blieb. Während Maya sich lachend an Edwards Brust drückte, der sich ein Grinsen ebenfalls nicht verkneifen konnte, blickte Joe Angel verdattert an, die mit triumphierenden Blick Emmett anstarrte, der sich bereits wieder auf die Beine gekämpft hatte. „Na schön, Jägerin! Jetzt reicht es! Ich lass mir ja so Einiges gefallen, aber irgendwann ist auch bei mir Schicht im Schacht!“, knurrte er und kam drohend auf Angel zu. Joe und Jasper reagierten gleichzeitig und sprangen vor Angel, die völlig verdattert dreinsah. „Jungs, ist schon in Ordnung. Ich brauch keinen Bodyguard mehr.“ „Überlass diese Entscheidung mal lieber uns, Kleines!“ Angel kniff die Augen zusammen. „Kleines?“ Joe schmunzelte. „Wär dir Pummel lieber?“ „Nicht unbedingt.“ „Dann wirst du damit leben müssen.“ Angel grinse boshaft. „Würde ein ordentlicher Tritt in deinen Allerwertesten dir helfen, deine Kreativität ein wenig fließen zu lassen?“ Joe lächelte ebenso böse zurück. „Vielleicht nicht. Aber er würde dafür sorgen, dass ich mich einfach mal zurückziehe und Emmett freie Bahn lasse.“ „Das würdest du nicht wagen.“ „Was macht dich da so sicher?“ „Weiß nicht!“ Angel tat nachdenklich. „Vielleicht die Tatsache, dass du Hals über Kopf in mich verschossen bist, schätze ich.“ Joe schnaubte. „Sicher!“ „Ach komm schon! Gib’s doch endlich zu!“ „Warum gibst du nicht erst einmal zu, dass du in mich verschossen bist?“ „Weil das absoluter Quatsch ist.“ „Ist es nicht.“ „Ist es doch!“ Joe baute sich vor ihr auf. „Ist es nicht!“ Angel straffte die Schultern. „Ist es doch!“ „Ist es nicht!“ Joes Gesicht war nur noch ein paar Millimeter von ihr entfernt. Angel knirschte mit den Zähnen und stieß schließlich ohne Vorwarnung gegen Joes Brust. „Ist es doch!“ Joe flog gegen die gegenüberliegende Wand, war aber ebenso schnell wieder auf den Beinen. „Angel, Joe! Hört gefälligst auf mit diesem …“ Doch Joes gut platzierter Schlag schleuderte Angel bereits durch den Raum und gegen ein nahegelegenes Bücherregal. Carlisle blickte seufzend zur Decke und schüttelte den Kopf. „Die brauchen dringend eine eigene Wohnung.“ Angel war indes wieder auf Beine gesprungen. Einen kurzen Moment taxierten sich die beiden intensiv, bevor sie gleichzeitig aufeinander losgingen. Mit großen Augen beobachtete die Familie Cullen, wie sich der Vampir und die Jägerin gegenseitig in die Mangel nahmen und immer wieder aufeinander einschlugen. Besorgt warf Maya Carlisle einen Blick zu. „Wollt ihr nicht was machen?“, fragte sie kleinlaut. Dr. Cullen zuckte hilflos mit den Schultern. „Lass mal! Die müssen sich erst einmal austoben. Das kann noch ein paar Minuten dauern.“ „Aber wenn sie sich verletzen.“ „Joe würde Angel niemals ernsthaft etwas tun.“, schaltete sich Edward ein. Maya blickte ihn unsicher an. „Was macht dich da so sicher?“ „Na ja … auch wenn er es Angel gegenüber nicht zugegeben hat … er ist Hals über Kopf in sie verschossen.“ „Deswegen verprügelt er sie?“ „Hast du dich bisher noch nie mit deinem Partner gestritten?“ „Das nennst du streiten?“ „Nicht doch! Das nenne ich diskutieren.“ Maya schluckte. „Na gut. Wenn das so ist, dann werde ich niemals mit dir diskutieren.“ Ein lautes Krachen ließ sie zusammenzucken und als sie wieder aufblickte, konnte sie nur noch sehen, wie Angel und Joe, die durch die Fensterscheibe gekracht waren und ineinander verkeilt einen sanften Hügel hinabrollten. Angel war froh, dass es Joe war, der mit voller Wucht gegen den Baumstamm donnerte. Ihr selbst hätte dieser Aufprall mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit mehrere Knochen gebrochen. Stattdessen purzelte sie direkt in ihn hinein. Benommen blieben sie liegen und starrten zum Himmel empor, der nur schwach durch das dichte Blätterdach zu erkennen war. Ächzend erhob sich Angel schließlich und rieb sich den Kopf. „Idiot!“, zischte sie nur und kämpfte sich schwankend auf die Beine. Joe, der sich ebenfalls erhob, funkelte sie beleidigt an. „Wer musste denn unbedingt Superman und Lois spielen?“ „Hey, ich bin ja wohl um Einiges geschickter als Lois Lane, klar?“ „Aber dafür genauso zickig und halsstarrig.“ „Zickig und halsstarrig?“ „Ganz genau!“ Angel stemmte die Hände in die Hüften und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ein wenig größer zu wirken. Joe belächelte ihren kläglichen Versuch. „Süß! Soll mich das beeindrucken?“ „Das nicht!“ Ein ordentlicher Tritt gegen die Schienenbeine ließ ihn einsinken. „Aber das!“, fauchte sie und schrie auf, als seine Hand ihr Fußgelenk umklammerte. Eine Sekunde später segelte sie durch die Luft und landete unsanft auf dem Rücken. Stöhnend stützte sie sich auf ihre Ellenbogen und blitzte ihn an. „Noch mehr solcher Stunts auf Lager?“ „Einige!“ „Gut!“ Mit den Füßen holte sie Schwung und trat ihm ohne Vorwarnung gegen die Brust, was ihn rücklings gegen den Baumstamm krachen ließ. „Ich nämlich auch!“ Eine Sekunde später waren sie gleichzeitig wieder auf den Beinen und fixierten sich mit finsteren Blicken. Doch kurz darauf grinste Joe. „Das ist doch albern.“ „Albern?“ „Du kannst nie im Leben gegen mich gewinnen.“ „So, kann ich nicht? Das seh ich aber anders.“ „Dann solltest du dir eine Brille zulegen. Du bist niemals im Leben in der Lage oder in der Verfassung, mich ernsthaft fertig zu machen. Wohingegen ich ja wohl sämtliche Vorteile auf meiner Seite habe.“ „Hunde, die bellen, beißen nicht, Joe! Und genauso bist auch du. Du bellst immer nur, machst aber niemals ernst, weil du nicht den Mumm dazu …“ Angel hatte keine Zeit mehr, den Satz zu beenden. Mit entschlossener Miene und einer ungeahnten Geschwindigkeit schoss Joe plötzlich vor und auf sie zu. Mit seinen eiskalten Händen umklammerte er ihre Arme wie ein Schraubstock und drückte sie fest gegen den nächstgelegenen Baum. Angel stemmte sich gegen seinen Griff – ohne Erfolg. „Bemüh dich nicht, Angel! Du wirst meinen Griff nicht brechen.“ „Das werden wir ja sehen. Ich … ich krieg … krieg dich schon klein.“ Immer noch verzweifelt bemüht, versuchte sie, ihn zurückzuschieben, doch Joe rührte sich keinen Millimeter. Enttäuschung machte sich in ihr breit. So etwas war ihr noch nie passiert. „Bist du endlich fertig?“ „Lass mich gefälligst los!“ „Bist du fertig?“, wiederholte er seine Frage mit einem durchdringenden Blick, der sie beinah durchbohrte. Angel erschauerte kaum merklich. „Ich will, dass du mich endlich loslässt.“ „Ich lass dich erst los, wenn ich das Gefühl habe, dass du keine Gefahr mehr darstellst.“ „Du hast also Angst vor mir?“ „Du bist viel zu wütend, als dass ich vor dir Angst habe. Aber diese Wut macht dich ein wenig blind, wenn ich das mal sagen darf und das wird dich in noch größere Gefahr bringen.“ „Okay, ich hab’s geschnallt, ich bin eine Gefahr für mich selbst, lässt du mich jetzt los?“ „Herr Gott nochmal!“, fuhr er plötzlich auf. Angel zuckte zusammen. „Was hat der damit zu tun?“, murmelte sie leise vor sich hin und beobachtete Joe unsicher. Seine Augenbrauen hatten sich zusammengezogen und ließen seinen Blick noch gefährlicher werden. „Kannst du nicht endlich mal Ernst sein!“ „Das sagst ausgerechnet du? Wer hat denn in den letzten Wochen immer nur den Clown gespielt?“ „So etwas wie gute Schauspieler kennst du nicht, was?“ „Und du hast von dem Wort Taktgefühl wahrscheinlich auch das letzte Mal im Jahr 1625 gehört, was?“ „So alt bin ich ja noch nicht einmal!“ Angel verdrehte die Augen und blickte mit ausdruckslosem Gesicht zur Seite. „Was ist?“, fragte Joe leicht verunsichert und lockerte seinen Griff. Angel rührte sich nicht. „Angel?“ Als sie noch immer nicht reagierte, entließ er sie ganz aus seinem Griff. „Komm schon, was ist los? Sag doch was!“ Und endlich rührte sie sich. Ihr Blick bohrte sich beinah in seine Augen und doch war er von tiefer Traurigkeit erfüllt. „Warum sagst du mir nicht endlich mal, wer du bist? Ich hab das Gefühl, bisher immer nur an der Oberfläche gekratzt zu haben. Warum glaubst du, dass du so viel mehr über Die Erlöser weißt als die anderen?“ „Eine ganze Menge Fragen auf einmal.“ „Berechtigte Fragen, wenn du ehrlich bist!“ Joe fuhr sich durch das Haar. „Es wird dir nicht gefallen zu hören, wer ich wirklich bin.“ „Versuch es doch!“ „Es wird dir Angst machen!“ „So schnell schüchtert man mich nicht ein.“ Joe ergriff ihre Schultern und drückte sie wieder gegen Baum. Sein Gesicht war nur noch Millimeter von ihrem entfernt und sein Blick war plötzlich so klar und durchdringend, dass sie tatsächlich Angst bekam. „Du wirst mich hassen.“, flüsterte er und drückte seine Lippen auf ihre Stirn. Angel erschauderte und schloss die Augen. Ihre Gedanken wirbelten auf einmal wie wild umher. Was meinte er damit, dass sie ihn hassen würde? Zitternd blickte sie ihm in die Augen. Und in diesem Moment war ihr selbst klar, dass sie ihn niemals würde hassen können. Zu groß war die Abhängigkeit, in die sie geraten war. Zu groß war der Wille, ihn immer in ihrer Nähe zu haben. „Wer bist du, Joe?“ Joe straffte die Schultern und entfernte sich einige Schritte von ihr. Ihr den Rücken zuwendend blickte er in die Ferne und schob die Hände in die Hosentaschen. „Versprichst du mir, mich nicht gleich zu vernichten, wenn ich dir das sage?“ Angel runzelte die Stirn. „Joe, jetzt machst du mir wirklich Angst.“ „Versprich mir nur eines: Hör mir erst zu! Lass mich dir meine Geschichte erzählen und dann … lass ich dir freie Hand.“ Angel begann zu zittern. „Was …“ „Versprich es mir nur einfach.“ „O…okay!“, antwortete sie nach kurzem Zögern und schlang die Arme um ihren Oberkörper. Joe wartete noch einen Moment, ehe er sich ihr wieder zuwandte. Seine Miene war angespannt und eine seltsame Mischung aus Angst und Verzweiflung lag in seinem Blick. Angel wartete ungeduldig und versuchte, das Zittern unter Kontrolle zu bringen. Joe holte tief Luft. „Ich … bin derjenige, der deine Eltern auf dem Gewissen hat.“ Kapitel 16: Joes Geschichte --------------------------- „Ist das wahr?“ Maya sprang auf und funkelte Edward an. „Ist das wirklich wahr?“ „Maya, bitte …“ „Und obwohl du das weißt, lässt du meine beste Freundin mit diesem … mit diesem … diesem Monster allein?“, schrie sie aufgebracht und fuhr sich durch das Haar. Edward sprang ebenfalls auf und ergriff ihre Handgelenke. „Maya, hör mir doch zu!“ „Verdammt nochmal, Edward! Der Kerl hat Angels Eltern auf dem Gewissen und du lässt sie mit ihm allein?“ „Jetzt hör mir doch endlich mal zu!“ „Vergiss es! Ich will keine dumme Ausrede hören! Ich will, dass du dich jetzt sofort aufmachst und Angel aus seinen Klauen befreist!“ „Maya, bitte! Er wird ihr nichts tun!“ „Was macht dich da so sicher?“, brauste sie weiter. Emmett ergriff ihre Schultern und blickte über ihren Kopf hinweg Edward an. „Komm schon, Edward! Erklär es ihr!“ Maya runzelte die Stirn und warf über ihre Schulter hinweg einen kurzen Blick auf Emmett, ehe sie sich wieder an Edward wandte. „Was meint er damit? Was sollst du mir erklären?“ „Was Emmett meint, ist, dass wir dich vielleicht ein wenig genauer über Joe aufklären sollten.“ „Gut! Aber das könnt ihr machen, wenn wir Angel gere…“ „Das ist nicht nötig.“, wandte Alice mit ihrer melodischen Stimme ein, befreite Maya sanft aus Edwards Griff und platzierte das Mädchen neben sich auf dem Sessel. „Joe ist gerade dabei, ihr alles zu erklären. Mach dir keine Sorgen um Angel. Ihr wird nichts passieren.“ Maya verschränkte mit knirschenden Zähnen die Arme vor der Brust. „Warum habt ihr uns das so lange verschwiegen? Warum hat keiner von euch bisher gesagt, dass Joe Angels Eltern umgebracht hat? Ich dachte, Angel und ich gehören mittlerweile schon zur Familie!“ „Das tut ihr auch.“, wandte Carlisle ein, was ihm einen finsteren Blick von Maya einbrachte. „Und warum habt ihr uns dann die ganze Zeit über angelogen?“ „Haben wir das?“ „Sicher!“ „Wir haben euch lediglich nicht alles über Joe erzählt. Angelogen haben wir euch nicht.“ Maya fuhr sich erneut durch das Haar und blickte schließlich Carlisle mit bohrendem Blick an. „Wer ist Joe wirklich?“ Carlisle wandte sich kurz an Edward und holte schließlich tief Luft, bevor er begann, es ihr zu erzählen… „Du hast was?“ Angel hatte das Gefühl, ein dicker Kloß würde ihre Kehle verschließen. Die Luft wurde knapp und hastig atmete sie tief ein und aus. Das Zittern war verschwunden. Stattdessen ballte sie die Hände zu Fäusten und bemühte sich, die Wut in ihrem Inneren unter Kontrolle zu bringen. Ein Zorn, wie er sie noch nie beherrscht hatte, ergriff von ihr Besitz und raste wie ein tödliches Gift durch ihre Adern. „Ich weiß, dass du jetzt wütend bist…“ „Wütend?“ „Sauer …“ „Sauer?“ „Und … rasend vor Zorn…“ „Sei still! Ich will kein Wort mehr hören!“ „Angel, bitte …“ „An deiner Stelle solltest du jetzt Laufen! Lauf! Lauf, so schnell du kannst, bevor ich mich wieder daran erinnere, wie ich meine Beine bewege! Denn wenn ich dich einmal in meinen Fingern habe, wirst du nicht mehr in einem Stück davonkommen.“ „Du hast versprochen, mir zuzuhören!“ „Zuhören?“, schrie sie aufgebracht und Joe hätte schwören können, dass ihre Augen einen Moment lang vor Zorn rot aufblitzten. „Du verlangst von mir, dass ich dir zuhöre, wenn du mir erzählen willst, wie du Familie abgeschlachtet hast?“ „Nein, warte doch! Ich …“ „Joe! Ich will, dass du verschwindest! Ansonsten garantiere ich für nichts.“ „Du bist wütend und das kann ich verstehen.“ „Gar nichts kannst du! Du hast meine Familie auf dem Gewissen!“ „Und genau da liegt der Punkt! Ich hab sie auf dem Gewissen … aber ich habe sie nicht getötet!“ Angel raufte sich die Haare und schrie einmal kurz und laut auf. „Hörst du dich eigentlich selbst reden? Gerade eben erzählst du mir, dass du meine Familie auf dem Gewissen hast und jetzt willst du mir erzählen, dass du sie nicht getötet hast! Entscheide dich endlich mal!“ „Angel, bitte! Hör mir doch einfach zu.“ Joes Blick bohrte sich in ihre Augen. Angel schob die Hände in die Hosentaschen und atmete tief durch. „Ich geb dir fünf Minuten, bevor ich mich endgültig vergesse.“ „Fünf Minuten, das reicht im Leben nicht, um dir alles zu erklären.“ Angel blickte demonstrativ auf die Uhr. „Jetzt sind es nur noch viereinhalb Minuten.“ Joes Augen blitzten. „Na schön! Dann leg los!“ Angel runzelte die Stirn. „Wie bitte?“ „Wenn ich nur viereinhalb Minuten hab, um dir alles zu erklären, dann lass ich es lieber.“ „Du würdest lieber von mir in die Mangel genommen werden, als mir alles zu erklären?“ „Was soll ich dir innerhalb von viereinhalb Minuten erklären?“ „Zweieinhalb!“ „Was?“ „Es … sind nur noch zweieinhalb Minuten.“ Joe schnaubte und wandte sich ab. „Ich glaub das einfach nicht.“ „Hey, komm mir ja nicht so, klar? Du tauchst hier einfach auf und wirfst mir dann an den Kopf, dass du meine Familie auf dem Gewissen hast! Was erwartest du da von mir? Dass ich dich in die Arme nehme, dir über den Kopf streichle und sage, dass alles wieder in Ordnung kommen wird?“ „Sicher nicht, aber … hör mir doch einfach nur zu. Bitte!“ Angel dachte einen Moment lang nach und ließ sich dann auf der dicken Baumwurzel hinter ihr nieder. „Na schön. Leg los.“ Joe seufzte erleichtert, ging ein paar Schritte auf sie zu und setzte sich dann ihr direkt gegenüber auf eine weitere Wurzel, ehe er begann… „Nein! Das kann nicht sein!“ Raphaels Faust donnerte kraftvoll auf den Stein nieder, der in winzige Staubkörnchen zerbröselte. Joe verdrehte die Augen. Jedes Mal das Gleiche. „Das war jetzt mittlerweile der zehnte Thron, den du zertrümmert hast. Die Schleifer haben langsam die Schnauze voll.“ „Halt’s Maul!“ „Krieg dich wieder ein!“ „Ich soll mich wieder einkriegen? Dieses kleine verdammte Dreckstück von einer Jägerin hat einen meiner besten Männer umgenietet und ich soll mich wieder einkriegen.“ „Carlos war ein Idiot, dessen Verstand gerade Mal von Zwölf bis Mittag reichte. Was erwartest du da?“ Raphales Augen glühten tiefrot, als er sich Joe näherte und ihn anknurrte. „Was ich erwarte, ist … dass du mir endlich mal mit etwas mehr Respekt begegnest.“ „Dann tu mir den Gefallen und schicke auch mal richtig fähige Männer in den Kampf gegen die Jägerin. Andererseits … wird das wohl nichts mit dem Respekt.“ „Hast du vergessen, dass ich dich nur aus lauter Großmütigkeit in unserer Gruppe aufgenommen hab? Die Erlöser sind ziemlich wählerisch…“ „Erzählt mir keinen Quatsch! Deine Gruppe war ziemlich geschrumpft, als ich dazugestoßen bin.“ Raphael grinste boshaft. „Na schön, mein lieber Joe! Wenn du so sehr von dir selbst überzeugt und der Meinung bist, dass du alles besser kannst … dann werde ich dich jetzt auf die Jägerin ansetzen.“ „Ach wirklich? Lässt du zur Abwechslung mal einen richtigen Vampir an die Sache ran, ja?“ Überheblich grinsend schnippte er sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich zeig dir jetzt mal, wie ein Profi das macht.“ „Du bist ja ziemlich von dir überzeugt.“ Joe zuckte mit den Schultern. „Das liegt daran, dass ich weiß, wie man die Jägerin am besten packen kann. Man muss sie systematisch ausschalten … Stück für Stück fertig machen, bis sie nur noch ein Schatten ist. Und dann …“ Ein weiteres Mal schnippte er. Raphael gab – wenn auch nur ungern – zu, dass Joe ihn beeindruckte. Als Vampir war er ein vielversprechendes Talent und er zweifelte keine Sekunde daran, dass es ihm gelingen würde, die Jägerin zu vernichten. „Und wie willst du vorgehen?“ Joe tippte sich nachdenklich gegen das Kinn. Sein honigblondes Haar wehte sanft in der Briese umher, die durch die Höhle floss. „Ich denke, ich werde sie erst einmal beobachten. Und wenn ich dann jedes noch so kleine Detail über sie weiß, geht der Spaß erst richtig los.“ „Ich schwör dir, Maya! Der Kerl wirkte irgendwie … nicht so, als wäre er wegen seines Durstes auf der Jagd gewesen.“ Maya seufzte. „Warum musst du den Vampiren auch immer gleich den Kopf abreißen?“ Angel zuckte mit den Schultern. „Weil es dann am einfachsten ist, den Rest auseinander zu nehmen.“ Maya, die gerade in ihren Apfel beißen wollte, hielt mitten in ihrer Bewegung inne und schluckte mit angewidertem Gesichtsausdruck. „Ich glaub … den heb ich mir für später auf.“, murmelte sie und stopfte ihn zurück in ihre Tasche. Angel kicherte. „Entschuldige. Ich wollt dir nicht den Appetit verderben.“ „Vergiss es einfach, okay?“ Angel – immer noch kichernd – schulterte ihren Rucksack und ging weiter. Maya schlenderte neben ihr weiter. „Sag mal … deine Eltern wissen immer noch nicht über dich und dein Jägerinnendasein Bescheid?“, fragte Maya leise und blickte ihre Freundin verstohlen von der Seite an. Angel schüttelte den Kopf. „Nein! Und ehrlich gesagt, ist mir das auch lieber so.“ „Kann ich verstehen.“ „Ich würde sie dadurch doch nur …“ „… in Gefahr bringen. Ich weiß schon. Andererseits … solltest du bedenken, dass sie, wenn sie es wüssten, dann vielleicht eher auf sich achten würden.“ „Ein gutes Argument.“ Maya lächelte schwach. „Aber du wirst es ihnen trotzdem nicht sagen.“ „Ich kann es einfach nicht, verstehst du?“ „Klar tu ich das! Ich meine … ich hab dir ja am Anfang auch nicht geglaubt.“ „Die würden mich in die Klapsmühle stecken. Außerdem … bin ich so froh, dass wenigstens Zuhause alles so harmonisch verläuft.“ Maya streckte sich. „Sag mal … was hältst du von einer schönen Shoppingtour?“ Angel lachte. „Ach Maya … du weißt einfach ganz genau, was Frauen wollen.“ „Kunststück! Ich bin ja schließlich eine!“ Lachend gingen sie weiter. Joes funkelnde Augen bemerkten sie nicht. „Die Kleine ist interessanter als ihre Vorgängerinnen.“, bemerkte Joe, der lässig an der Wand lehnte und sich über das Kinn strich. Raphael und sein Gefolge blickten ihn überrascht an. „Was meinst du?“ Joe verdrehte die Augen. „Ist euch das noch nie aufgefallen? Was wisst ihr noch über die anderen Jägerinnen?“ „Was soll das? Ich hab keine Zeit für Ratespiele.“ Joe lachte. „Ist euch noch nie aufgefallen, dass eure bisherigen Jägerinnen allesamt Einzelgängerinnen waren? Keine von ihnen hatte Freunde oder eine Familie, die sich um sie gekümmert hatten. Und unsere kleine Angel hier … hat beides. Eine beste Freundin, mit der sie einkaufen geht und eine Familie, in der alles wunderbar harmonisch ist.“ „Worauf willst du hinaus?“ „Ist das nicht offensichtlich? Was würde denn passieren, wenn jemand ihre heile Welt … ganz plötzlich auseinander nehmen würde?“ Zwei Wochen später… Locker ließ Angel den Pflock immer wieder kreisen und blickte sich dabei pfeifend um. Ihr Gehör war auf jedes noch so kleine Geräusch fixiert – immer darauf bedacht, dass ein Vampir plötzlich aus dem Unterholz durchbrechen konnte. In einer fließenden Bewegung warf sie ihr Haar nach hinten und band es mit einem Haargummi zusammen. Joe beobachtete sie. Jede noch so kleine Bewegung nahm er wahr. Er konnte ihre Kraft spüren, die sie in seichten Wellen ausstrahlte. In dem kalten hellen Mondlicht funkelten ihre Augen wie klare Diamanten. Joe biss sich auf die Lippe. Jetzt war die Gelegenheit … Langsam machte er einen Schritt auf sie zu … und brach wieder ab. Mit knirschenden Zähnen ging er wieder in die Hocke und schlug sich mit der Faust auf das Knie. Er konnte es nicht. Er konnte es einfach nicht. Zu tief war Angel in den letzten zwei Wochen, die er sie intensiv beobachtet hatte, in sein Innerstes vorgedrungen. Genau aus diesem Grund hatte er sich auch in den letzten Tagen nicht mehr bei Raphael blicken lassen. Die Vampire hätten sofort bemerkt, dass er von ihr abhängig geworden war, dass er mehr für sie empfand, als es ihm eigentlich zugestanden hätte. Und genau das hätte ihm das Genick gebrochen. Leise und anmutig erhob er sich wieder. Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick auf Angel zog er sich wieder zurück. „War wohl nicht viel los heute Nacht, was?“, fragte Maya, was Angel nicken ließ. „Ja, die scheinen zu wissen, dass sie sich nicht mit mir anlegen sollten. Ist doch schön, kann ich wenigstens mal früher schlafen gehen.“ „Vergiss es! Du hast noch Hausaufgaben.“ „Das wird überbewertet!“ Maya blickte sie entrüstet an. „Du hängst schon fünf Wochen hinterher! Hol doch mal endlich etwas auf!“ Angel ließ den Kopf hängen. „Komm schon, Maya! Hab Erbarmen… Ich bin müde.“ Maya verdrehte die Augen und seufzte. „Na schön … schreibst du halt morgen wieder von mir ab. Aber das ist das letzte Mal, das schwöre ich dir!“ Angel grinste breit und schob die Hände in die Hosentaschen. „Das hast du die letzten fünfzig Mal auch schon gesagt.“ „Diesmal mach ich Ernst.“ „Sicher…“ Immer noch lächelnd schob sie ihren Schlüssel ins Schloss und erstarrte. Knarrend glitt die Tür einen Spalt breit auf, ohne dass sie den Schlüssel überhaupt gebraucht hatte. Verwirrt blickte sie Maya an, die beunruhigt dreinblickte. „Was hat denn das zu bedeuten?“, flüsterte sie und schlang die Arme um den Oberkörper. Angel biss sich auf die Lippe und schob die Tür zitternd weiter auf. Das Blut an den Wänden bestätigte ihre Befürchtung. Rasch presste sie die Hände vor dem Mund, um nicht laut los zu schreien. Der widerliche salzige Geruch hing in der Luft wie eine schwere Parfümwolke und erfüllte die gesamte Wohnung. Sämtliche Möbel waren umgeworfen worden, der Spiegel über dem Kommode im Flur zeigte mehrere Risse und war über und über mit Blutspritzern bedeckt. Tränen der Verzweiflung rannen über ihre Wangen und ein unkontrollierbares Zittern erfasste sie. Maya, geschockt von dem Bild, folgte ihr wie apathisch. Auch sie hatte die Hände auf den Mund gepresst und blickte mit feuchten Augen auf die grausige Bescherung. Die gesamte Wohnung war vollkommen verwüstet. Erst als Angel gequält aufschrie, wusste Maya, dass sie mit ihrer Vermutung Recht behielt. Ebenfalls vor Kälte zitternd trat sie neben sie und sah gleich wieder weg. Dass Angels Eltern tot waren, daran bestand kein Zweifel mehr. Würgend rannte sie aus der Wohnung und übergab sich im Flur. Angel blickte wie apathisch auf die Überreste ihrer Eltern. Wut, Angst, Verzweiflung, Hass … all das arbeitete sich im selben Moment in ihr hoch und ließ sie so heftig zittern, dass sämtliche beweglichen Gegenstände in ihrem Umkreis zu beben begannen. Der Schrei, den sie kurz darauf ausstieß, war noch die gesamte Straße zu vernehmen. „Ihr habt was?“ Joe blickte Raphael geschockt an, der triumphierend auf seinem neuen Thron aus Stein saß und lässig mit dem Finger auf die Lehne tippte. „Wir haben ihre Familie ausgerottet. Eine schöne Sauerei, die wir da angerichtet haben. Dürfte unserer kleinen Jägerin wohl einen schönen Schrecken einjagen. Mal sehen, wie lange es dauert, bis sie diesen Schock überwunden hat.“ Joe schluckte kaum merklich. Das durfte nicht wahr sein. Er selbst war derjenige gewesen, der diesen Vorschlag gemacht hatte. Doch damals war ihm noch nicht klar gewesen, dass er sich Hals über Kopf in die Jägerin verliebt hatte. Jetzt hatten die Vampire diesen Vorschlag Realität werden lassen und ihre Eltern auf grausame Art und Weise umgebracht. „Was ist los, Joe? Ich weiß, es war dein Vorschlag gewesen und eigentlich hättest du den Vorrang haben müssen, aber … du hattest dich in den letzten Tagen kaum blicken lassen, daher … hab ich einfach gehandelt. Und jetzt? Kümmerst du dich um den Rest?“ Joe blickte wie benommen zu Boden. Seine Gedanken kreisten um Angel. Hatte sie die grausige Bescherung schon gesehen? War ihre Freundin bei ihr? Wie ging es ihr? Hatte die Verzweiflung schon nach ihr gegriffen? „Joe?“ Erst jetzt registrierte er, dass Raphael mit ihm sprach. Rasch schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder an den Anführer der Erlöser. „Wie bitte?“ „Alles in Ordnung?“ „Sicher!“ „Ich … wollte eigentlich wissen, ob du dich um den Rest kümmerst, aber …“ „Nein, nein! Ich mach das schon.“, versicherte er schnell und verschwand ohne ein weiteres Wort. Angel schüttelte langsam und ungläubig den Kopf. All das, was Joe ihr gerade erzählt hatte, konnte sie gar nicht fassen. „Das war das letzte Mal, dass ich Die Erlöser gesehen habe. Verstehst du, was ich meine? Es war mein Fehler, dass sie überhaupt auf diese Möglichkeit gekommen sind. Dummerweise hab ich zu spät erkannt, was ich wirklich für dich empfinde.“ Maya wischte sich die Tränen weg. „Das heißt … Joe kannte Angel schon seit Monaten?“ „Er hat Die Erlöser verlassen, als ihm klar wurde, dass er niemals in der Lage sein würde, Angel zu töten. Er ist der Spur der Gruppe gefolgt und so hier gelandet. Er hat sich solange im Hintergrund gehalten, wie es ihm möglich war. Aber … als du dann in Gefahr warst und ich nicht eingreifen konnte, konnte er sich nicht mehr verstecken.“ „Warum ich? In mich war er doch nicht verliebt!“ „Aber Joe weiß, wie sehr es Angel schmerzen würde, wenn du nicht mehr da wärst.“, erwiderte Edward leise. Maya senkte den Kopf und vergrub das Gesicht in den Händen. „Das glaub ich einfach nicht. Er hat uns die ganze Zeit beobachtet und wir haben es nicht einmal bemerkt.“ Keiner der Cullens wusste etwas darauf zu sagen. Edward legte behutsam seinen rechten Arm um ihre Schulter und versenkte sein Gesicht in ihrem Haar. „Er hat sie wirklich gern, nicht wahr?“, stellte Maya fest und kuschelte sich fest an Edward. Edward lächelte. „Mindestens genauso gern, wie ich dich.“ „Ich hab deine Eltern nicht getötet, Angel!“ Joe hockte dicht vor dem Mädchen, das wie traumatisiert dasaß und ihm zitternd in die Augen sah. Tränen vernebelten ihr die Sicht. „Ich habe nur den Fehler gemacht, ihnen den Hinweis zu geben, was sie machen sollten, um dich zu erwischen. Und das tut mir leid.“ Angel räusperte sich. „Du … hast Maya und mich zwei Wochen lang beobachtet, ohne dass wir das mitbekommen haben?“ „In der Tat.“ „Beachtlich! Das schafft nicht jeder.“ Joe lächelte schwach und strich ihr schließlich zögernd die Tränen aus dem Gesicht. „Ich hoffe nur … dass du mir das Alles verzeihen kannst.“ Langsam wanderte seine eiskalte Hand ihre Wange hinab und stoppte unter ihrem Kinn. Sein Gesicht näherte sich ihrem, während Angels Herz wie verrückt zu klopfen begann. Wie abgesprochen öffneten sich gleichzeitig ihre Lippen. Und dann zerriss ein bedrohliches Jaulen vermischt mit einem tiefen Knurren die Stille um sie herum… Kapitel 17: Die Vision ---------------------- „Verdammt!“ Alice sprang so rasch auf, dass Maya vor Schreck zusammenzuckte. Verstört blickte sie sie an. „Was ist los?“ Doch statt zu antworten, raste Alice durch das zerstörte Fenster in den Wald hinein, gefolgt von Edward, Emmett, Jasper und Rosalie. Carlisle blickte ihnen hinterher und drückte dabei Esme fester an sich. Maya runzelte die Stirn „Was haben die denn plötzlich?“ Unsicher blickte Dr. Cullen sie an und seufzte. „Joe und Angel stecken in Schwierigkeiten.“ „Die Erlöser?“ Maya war aufgesprungen und griff nach seinem Ärmel. „Sind es Die Erlöser?“ Zu ihrer Überraschung schüttelte der Arzt den Kopf. „Nein … die nicht.“ „Aber … was dann?“ „Das Rudel.“ Maya verstand nur Bahnhof. Das Rudel. Was meinte er damit? „Was für ein Rudel?“ Doch bevor Carlisle antworten konnte, zerriss ein unmenschliches Jaulen gefolgt von einem wütenden Knurren die Stille. Maya sog scharf die Luft ein und taumelte auf das Fenster zu. Eine Sekunde lang rauschten die Geräusche des Waldes durch ihren Kopf, begleitet von dem wütenden Knurren und dem gequälten Jaulen, bevor ihr Blick von Leere erfüllt wurde. Carlisle bemerkte Mayas Ausfall als Erster. Alarmiert blickte er auf, als sie einfach in sich zusammensackte und ihr Herzschlag einfach aussetzte. Esme schnappte nach Luft, während Carlisle rasch neben dem leblosen Mädchen in die Knie ging. Joe und Angel sprangen gleichzeitig auf. Glühende Augenpaare beobachteten sie und nahmen nach und nach Formen und Gestalt an. Joe knurrte. Ein bedrohliches Knurren, das ihr tatsächlich Angst machte. Sein Arm schob sich um ihre Taille und zog sie hinter sich. Angel zitterte. Werwölfe. Wenn es etwas gab, womit sie sich im Leben nicht anlegen wollte, dann waren es Werwölfe. Sie wäre zwar in der Lage, sich gegen sie zu wehren, aber man musste sein Glück auch nicht unbedingt herausfordern. „Joe, lass uns verschwinden. Bitte!“ „Das würden wir niemals schaffen.“ „Und was machen wir dann?“ „Ganz ruhig. Es ist nichts passiert, was einen Angriff durch sie rechtfertigen würde.“ Doch offenbar lag er mit seiner Vermutung ziemlich daneben, denn einer der Wölfe, der Größte unter ihnen, setzte zum Sprung an. Seine Zähne waren gefletscht und Geifer tropfte aus seinem Maul. Angel vergrub ihr Gesicht zwischen seinen Schulterblättern, als eine Sekunde später ein scharfer Schmerz durch ihren Körper raste. „Maya.“, stieß sie hervor und dann wurde alles schwarz. Jasper und die anderen hatten sich um Angel versammelt, die bewusstlos auf dem Erdboden lag. Ein Knurren und Fauchen erfüllte die kleine Lichtung und wurde von wildem Gejaule beantwortet. „Jacob, bitte! Komm wieder zur Vernunft!“, rief Edward laut und richtete sich in einer anmutigen Bewegung zu seiner vollen Größe auf. Joe, der noch immer über Angel kauerte, fauchte erneut, als Jacob sich langsam seinem jüngeren Bruder näherte. Jacob antwortete mit einem lauten Knurren. „Nein! Nicht!“, rief Edward und brachte Joe mit einer scharfen Geste zum Schweigen. Wenn auch nur widerwillig verstummte der Vampir, hatte aber immer noch die Zähne gefletscht und ließ Jacob keine Sekunde aus den Augen. Rosalie, Emmett, Jasper und Alice hielten unterdessen die restlichen Wölfe in Schach, die sich bis auf ein paar Meter genähert hatten. Ihre glühenden Augen waren auf Joe gerichtet, der Angel fest an sich drückte. So einfach würde er es ihnen nicht machen. Und dann nahm der Anführer – Jacob – seine menschliche Gestalt an, verwandelte sich vor seinen Augen zurück. Joe runzelte die Stirn. So etwas war ihm noch nie untergekommen. Edward stieß zischend die Luft aus. „Danke, Jacob.“ „Das hat noch lange nichts zu bedeuten!“, wischte dieser seine Bemerkung beiseite und funkelte Joe an. „Sag mir lieber, wer das ist und was er vorhat!“ Joe knurrte. „Das ist Joe! Mein Bruder.“ „Sieh einer an. Ich dachte, Vampire untereinander sind generell Brüder.“ „Er ist mein leiblicher Bruder.“ „Älter oder jünger?“ „Älter.“ Jacob grinste boshaft. „Ich hätte glatt auf das Gegenteil getippt.“ Joe fauchte laut, was mit einem bedrohlichen Knurren der übrigen Wölfe beantwortet wurde. „Ruhe!“, riefen Jacob und Edward gleichzeitig und augenblicklich kehrte wieder Stille ein. „Er hat das Mädchen bedroht!“, fuhrt Jacob fort und deutete auf Angel, die immer noch bewusstlos in Joes Armen lag. Edward schüttelte den Kopf. „Das würde er niemals tun. Angel ist sicher, das schwöre ich dir.“ „Und das soll mir als Garantie reichen?“ „Du hast mein Wort.“ Ein Knurren zu Edwards Rechten durchbrach die Stille und Jacob nickte wie zur Zustimmung. „Er hat vollkommen Recht! Du hattest auch geschworen, immer gut auf Bella und Renesmee zu achten!“ Ein bitterer Schmerz flackerte in Edwards Augen auf und trübte sein Blickfeld. Jasper und Emmett knurrten bedrohlich und funkelten über ihre Schultern hinweg Jacob an, der mit finsterer Miene Edward beobachtete. „Das war nicht nötig, Jacob!“, fauchte Jasper und wandte sich schließlich gänzlich dem Werwolf zu. „Was damals passiert ist, ist nicht Edwards Schuld!“ „Soll das heißen, Bella war selbst Schuld!“ „Niemand war es! Aber wenn du unbedingt jemandem die Schuld in die Schuhe schieben möchtest, dann nimm dir die Volturi vor. Immerhin waren sie es, die …“ Jasper sprach nicht weiter. Jacob lachte freudlos. „Du drehst dir das aber ganz schön zurecht, Reißzahn!“ „Glaub nicht, dass du der einzige bist, dem die Sache nahe geht! Uns hat es auch tief getroffen!“ „Merken tut man das nicht!“ „Nur weil sie nicht jeden Abend den Mond anheulen, muss das noch lange nicht heißen, dass sie nicht trauern!“, ging Joe dazwischen, der sich mittlerweile erhoben hatte und Angel in den Armen hielt. Jacobs Augenbrauen zogen sich zusammen. „Lass sie los!“ „Ich werd ihr schon nichts tun!“ „Wer garantiert mir das?“ „Ich selbst!“ „Na wenn das alles ist…“ „Jacob, bitte! Glaub mir einfach, dass Joe ihr nichts tun wird! Dazu wäre er nie imstande!“ „Ich nehme an, weil er so mächtig in sie verliebt ist, richtig?“ „Und weil sie ohne Probleme dazu in der Lage wäre, sich zu wehren!“ Mit einem Anflug von Freude bemerkte Joe, wie Unsicherheit in Jacobs Augen aufblitzte. „Was meinst du?“ „Sie ist nicht völlig wehrlos.“ „Was außer einem Vampir oder einem Werwolf soll in der Lage sein, sich gegen einen Vampir zu wehren?“, fauchte Jacob und verschränkte herausfordernd die Arme vor der Brust. Joe grinste böse. „Jemand, der auch für euch zum Alptraum werden könnte.“ „Ein Vampir!“, stieß Jacob verächtlich hervor, was eine neues Knurr- und Jaulorchester auslöste. Joe schüttelte anmutig den Kopf. „Sie ist kein Vampir! Sie ist durch und durch ein Mensch!“ „Was ist sie?“, schrie Jacob außer sich und begann zu zittern. Mit einem Mal schien er um einige Zentimeter zu wachsen, sein Gesicht verformte sich leicht und bildete bereits den Ansatz einer Wolfsschnauze, als er sich wieder beruhigte und seine menschlichen Gesichtszüge wieder annahm. Edward warf über seine Schulter hinweg einen weiteren Blick auf Angel, ehe er antwortete. „Sie ist die Jägerin.“ Verwirrt blickte sich Angel um, bis sie Maya entdeckte, die einige Meter von ihr entfernt am Rand einer Klippe stand und wie apathisch in die Tiefe starrte. „Maya!“ Keine Reaktion. Angel zuckte mit den Schultern und ging auf ihre Freundin zu. Um sie herum herrschte eine beunruhigende Finsternis, die nur durch ein bedrohliches feuerrotes Licht unterbrochen wurde. Verdorrte Bäume säumten ihren Weg. Eine trockene Ödnis, die sie ein wenig an die Hölle erinnerte. Endlich hatte sie ihre Freundin erreicht und legte ihr vorsichtig eine Hand auf die Schulter. „Maya?“ „Es ist so dunkel.“ Mayas Stimme war tonlos und nur noch ein Flüstern. Ein Flüstern, das Angel an Sandpapier erinnerte. „Na ja … strahlende Helligkeit herrscht nun wirklich nicht, aber … siehst du überhaupt nichts?“ „Nur sie.“, antwortete das Mädchen und deutete in die Ferne. Angel runzelte die Stirn. Zu sehen war nichts. „Da … da ist doch nichts.“, widersprach sie. „Aber da wird es sein.“ „Maya, langsam machst du mir Angst.“ „Angst macht vorsichtig! Und ohne Angst gibt es keinen Mut.“ Angel fuhr sich verstört durch das Haar. „Maya, bitte! Was ist los mit dir?“ „Die Schlacht ist nicht mehr weit entfernt.“ „Schlacht? Was für eine Schlacht denn?“ „Die alles entscheidende Schlacht.“ Angel schüttelte den Kopf. Was ging hier vor? Und dann vernahm sie das Knacken – und Schritte. Weit entfernt und doch nah genug, um die Verantwortlichen zu erkennen. Aus der tiefen Dunkelheit vor ihr, weit unten in der Schlucht tauchten sie plötzlich auf. Hunderte von Vampiren mit tiefrot glühenden Augen, gefletschten Zähnen und einem mehr als nur hungrigen Ausdruck in den Gesichtern. Ihre Blicke waren nach oben gerichtet, direkt auf Angel und Maya, die noch immer am Rand der Klippe standen und fassungslos hinabstarrten. Eine Armee von Vampiren, die sich ihnen näherte. Angel griff nach Mayas Hand. Sie war eiskalt und vollkommen leblos. „Maya!“ Maya reagierte nicht. Angel zerrte an ihrer Hand, um zu verschwinden, doch ihre Freundin rührte sich keinen Millimeter. Verängstigt blickte sie das Mädchen an und erstarrte. Mayas Augen waren blind, milchig. Das Haar hing stumpf und kraftlos an den Seiten herab. Und nach und nach fiel auch ihre gesamte Erscheinung in sich zusammen und zerbröselte zu Staub. Angel schrie. „Sie kommt zu sich.“ „Hast du den Herzschlag wieder?“, fragte Esme und seufzte erleichtert, als Carlisle nickte. Noch immer hielt er Mayas Handgelenk fest und prüfte ihren Puls, der immer mehr an Kraft zunahm. Das beruhigende monotone Schlagen ihres Herzens beruhigte ihn sofort. „Was war denn los?“ Carlisle zuckte mit den Schultern. „Das kann ich dir auch nicht sagen. Sie war … einfach weg.“ „Aber … Maya ist doch gerade mal … ein Herzinfarkt in dem Alter?“ „Das war kein Herzinfarkt.“ „Was dann?“ „Ich weiß es nicht.“ Und in seinen Augen konnte Esme erkennen, dass er wirklich nicht die leiseste Idee hatte… „Ruhig, Angel! Ganz ruhig! Alles okay!“ Joe drückte Angel an sich und strich ihr beruhigend über das Haar, während sie langsam und allmählich mit dem Schreien aufhörte. Das Rudel Werwölfe kauerte sprungbereit am Boden und knurrte unablässig. „Angel, bitte! Beruhige dich wieder!“ Joe schob sie ein Stück von sich weg, umklammerte aber noch immer ihre Schultern, während er ihr fest in die Augen sah. „Es ist alles in Ordnung.“ Einen Moment lang herrschte Schweigen. Das Knacken von Ästen und das Gezwitscher von Vögeln umgab sie und eine leichte Briese zog durch die Lichtung. Joe seufzte erleichtert und zog Angel wieder in seine Arme. „Siehst du. Es ist alles okay.“ „Was war denn plötzlich los?“, fragte Rosalie, die mit dem Rücken zu Joe stand und noch immer argwöhnisch das Wolfsrudel beobachtete. „Ich weiß es nicht. Aber wir wollten sie zurückbringen. Ich hab das Gefühl, das war nur die Spitze des Eisberges. Edward, kannst du hören, was sie gerade beschäftigt?“ Zerknirscht schüttelte dieser den Kopf. „Sie blockiert mich.“ Nicht nur Joe horchte alarmiert auf. Jasper, Emmett und Alice blickten ihn ebenfalls geschockt an. „Sie blockiert dich?“, fragte Jasper stirnrunzelnd und warf Angel wieder einen beunruhigten Blick zu. „Irgendetwas … hält mich momentan davon ab, ihre Gedanken zu hören.“ Das Schweigen, das daraufhin folgte, war noch unangenehmer als vorher. „Und die Wölfe?“, fragte Joe so leise, dass es ein Wunder war, dass Edward ihn überhaupt hatte hören können. Edward wandte sich an Jacob, der dem grauen Wolf neben sich einen kurzen Blick zuwarf. Der legte den Kopf schief und knurrte sofort. Jacob zuckte mit den Schultern. „Offenbar hat er das gleiche Problem.“ Joe schüttelte aufgebracht den Kopf und hob Angel auf. „Dann geht es halt nicht. Ich bringe sie zu…“ Überrascht stutzte er. Auch Edward runzelte die Stirn und blickte auf Angel. Es war schwach gewesen, doch er war sich sicher, dass sie etwas gesagt hatte. Joe blickte auf Angel hinab. „Was hast du gesagt?“ Es dauerte einen Moment lang, bis sie das leise Wimmern vernahmen. „Maya…“ Kapitel 18: Glück ----------------- Mayas Puls war fast wieder im Normalbereich, während Angels Zitteranfall bereits vorüber war. Carlisle seufzte erleichtert. „Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, weißt du das?“ Emmett grinste. „Und das will bei einem Vampir wie dem guten alten Carlisle was heißen!“, lachte er und schlug dabei Jasper kräftig auf die Schulter. Jasper knurrte und schob ihn zur Seite. „Du kannst einem auch manchmal echt auf den Zeiger gehen. Hast du nichts zu tun?“ „Doch, wieso?“ „Ich dachte, du könntest uns mal ein paar ruhige Minuten schenken, indem du dich einfach mal verkrümelst.“, bemerkte Jasper bissig und verschränkte die Arme vor der Brust. Emmett schob schmollend die Unterlippe vor. Joe, der neben Angel auf der äußersten Kante des Sessels saß, grinste Emmett an. „Tja … jetzt bist du wohl wieder die Nervensäge. Hab dir ja auch lange genug den Rang abgelaufen, nicht wahr?“ „Großer, eins solltest du wissen! Mir kann man nicht so leicht den Rang ablaufen.“ „Na, ich weiß nicht! Joe hat dir schon ganz schön Konkurrenz gemacht.“, bemerkte Dr. Cullen, der Maya sanft auf die Schulter klopfte und ihr beim Aufsetzen half. „Alles wieder in Ordnung.“ Maya griff sich an die Stirn. „Was war denn los gewesen?“ „Das frag ich mich auch noch. Aber das krieg ich schon raus.“ Carlisle blickte sie noch einen Moment forschend an, bevor er sich abwandte. Maya warf Angel einen kurzen Blick zu. Beiden war klar, dass in der letzten halben Stunde etwas passiert war, das jenseits ihrer Vorstellungskraft lag. Noch hatten sie niemandem etwas davon gesagt. Nach Angels Anfall hatte Joe sie auf direktem Weg zu den Cullens zurückgebracht. Von dem Wolfsrudel war einzig und allein Jacob noch da, der etwas weiter abseits stand und mit finsterem Blick die Vampire beäugte. Angel hockte zusammengekauert auf dem Sessel und hatte die Beine an die Brust gezogen. Das Bild der Vision hing noch immer in ihren Gedanken. „Hat Joe dir mittlerweile alles über sich erzählt?“, fragte Edward, dessen Blick auf seinen Bruder gerichtet war. Joe funkelte ihn an. „Keine Sorge, Brüderchen! Der große böse Wolf hat seine bösen Taten gestanden und Absolution erteilt bekommen.“, giftete er zurück. Edward grinste. „Wurde ja auch langsam Zeit.“ „Es hätte noch so einiges mehr passieren können, wenn nicht irgendwer dazwischengefunkt hätte.“, maulte Joe und warf einen finsteren Blick auf Jacob, der belustigt dreinsah. „Hab ich etwa bei irgendetwas gestört?“ „Nicht doch! Ich reg mich immer so auf!“, wiegelte Joe ab und fauchte. „Du hast nicht nur bei irgendetwas gestört, sondern bei dem Schönsten, was man sich …“ „Joe!“, rief Angel warnend und rammte ihm ihre Beine ins Kreuz, was ihn vornüberschleuderte. Vollkommen perplex um zu reagieren, krachte er ungebremst mit dem Kinn gegen den Couchtisch. Maya schlug die Hand vor dem Mund und kicherte, während Angel sich auf die Unterlippe biss und aufsprang. „Hoppla! Entschuldige, das …“ „… war ja wohl vollkommen unnötig! Mein Name hätte schon gereicht!“, knurrte Joe, während er sich das Kinn rieb und Angel böse beäugte. „Aber warte mal, das kriegst du wieder!“, schwor er mit drohendem Finger. Angel schluckte. „Genau das befürchte ich ja.“ „Wenn er dir zu nahe kommt, sag mir Bescheid. Ich kümmere mich dann um ihn.“, wandte Jacob ein, der Joe drohend beäugte. Angel stöhnte. „Dieser gottverdammte Krieg zwischen Vampiren und Werwölfe… der macht mich nochmal irgendwann krank. Ihr habt doch bisher auch friedlich nebeneinander gelebt … könnt ihr das nicht weiter so machen?“ „Wenn einer von ihnen frech wird nicht.“ „Es wird schon keiner frech, mach dir darüber keine Gedanken!“, fauchte Angel und verschränkte die Arme vor der Brust. „Außerdem kannst du dich ruhig um deine eigenen Angelegenheiten kümmern, Maya und ich kommen bestens klar!“ „Sicher doch!“, entgegnete Jacob, dessen Stimme vor Sarkasmus nur so troff. Angel kochte vor Wut und ballte die Hände zu Fäusten. Joe grinste und rieb sich die Hände. Das konnte noch interessant werden. Das Grinsen wurde breiter und das Leuchten in seinen Augen stärker, als Angel zielstrebig auf Jacob zumarschierte und ihn kräftig gegen die Brust schlug. Unbeholfen stolperte Jacob zurück und blickte sie überrascht an. Das Bild von Bella, wie sie ihm einen Kinnhaken verpasste, kroch in seine Gedanken. Damals hatte sie sich bei diesem Versuch die Hand gebrochen und jetzt stand wieder eine Frau vor ihm, die es tatsächlich schaffte, ihn zu Fall zu bringen. Angel musste seine Gedanken gelesen haben, denn ein boshaftes Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. „Da staunst du, was? Und jetzt stell dir mal vor: Wenn ich es schon schaffe, dich mit … sagen wir mal halber Kraft zurückzustoßen … was würde passieren, wenn ich mal richtig aushole? Von deinem Kiefer dürftest du dich dann wohl verabschieden!“ Jacob knurrte, während Joe und Emmett gleichzeitig losprusteten. Selbst Edward konnte ein selbstgefälliges Lächeln nicht verhindern. „Ja … knurr nur herum! Wird dir aber auch nicht viel bringen! Und wenn du mir weiter so auf die Nerven gehst und der Meinung bist, dass du unsere Freunde hier beleidigen musst, dann pass auf, dass du mir nicht in die Quere kommst, sonst leg dich dir ein Flohhalsband um und dann wollen wir mal sehen, wer wirklich der Stärkere ist. Du oder ich!“ Jacobs Knurren nahm an Lautstärke zu. Ein Zittern überfiel ihn, während er mehrere Zentimeter in die Höhe schoss. Sein Gesicht verformte sich, Fangzähne ragten aus seinem Maul hervor. Angel verdrehte die Augen, während Carlisle, Jasper und Joe vor das Mädchen sprangen und abwehrend die Hände hoben. „Bleib ruhig, Jacob!“, rief Carlisle, der dem Werwolf am nächsten stand. Jacobs Verwandlung stockte. Geifer troff aus seinem Maul. Jasper und Joe packten Angel in der Zeit an den Armen und schoben sie ein Stück zurück, um Abstand zwischen sie und Jacob zu bringen, dessen Augen mörderisch funkelten. „Komm wieder runter, Angel! Ich weiß, die Versuchung ist groß, aber … du solltest es nicht übertreiben.“, murmelte Jasper, während er sie hinter seinen Rücken schob und Jacob beobachtete, der sich langsam wieder zurückverwandelte. „Vielleicht sollte man dich besser an die Leine legen!“, fauchte Jacob, nachdem er seine Menschengestalt wieder angenommen hatte. Angel gähnte demonstrativ, was Jasper genervt aufstöhnen ließ. Wütend ließ er seinen Ellenbogen zurückschnellen, der sie direkt in die Magengrube nach. Keuchend knickte sie ein wenig ein. „Autsch! Jasper … war das jetzt nötig?“ „Leider ja! Sonst hörst du ja niemals auf.“, fauchte er leise. „Mann, nix darf man hier machen!“, brummte sie vor sich hin und stolzierte zu Maya hinüber, die schadenfroh grinste. „Sei bloß vorsichtig, Jägerin! Jetzt hast du mich vielleicht auf dem kalten Fuß erwischt, aber das wird dir nicht noch einmal gelingen!“ Angel, die Jacob den Rücken zugewandt hatte, legte den Kopf schief und grinste Maya an. „Ist er nicht süß? Genau so süß wie seine Drohungen!“ Maya biss sich auf die Unterlippe. „Angel, komm schon! Vielleicht solltest du wirklich aufhören!“ Ergeben senkte sie die Schultern. „Na schön … hör ich eben auf.“ Maya nickte dankbar und formte mit den Lippen „Wir sollten reden“, bevor sie sich zurücklehnte und an Angel vorbei zu Jacob starrte. Angel seufzte und nickte kaum merklich. „Hör zu, Jacob!“, hörten die beiden Mädchen Carlisle reden und wandten sich ihm interessiert zu. „Wir hätten noch etwas mit Angel und Maya zu besprechen. Aber vielleicht könntest du morgen mit deinem Rudel noch einmal vorbeisehen. Ich fürchte, dass etwas auf uns zukommen wird, bei dem wir uns ein weiteres Mal zusammentun müssten.“ Jacob lag es auf der Zunge, ihm zu sagen, er würde einen Teufel tun und ihnen helfen, doch er riss sich zusammen und nickte nur. Und mit einem letzten finsteren Blick auf Angel, die ihm süßlich lächelnd zuwinkte, verschwand er im Wald. Eine Sekunde später wirbelte Dr. Cullen auch schon herum und blickte Maya und Angel nacheinander an. „Und wir … sollten, glaube ich, mal miteinander reden.“ Maya und Angel warfen sich einen unbehaglichen Blick zu. Carlisle klang keineswegs freundlich, eher kühl – beinahe wütend. „Okay, jetzt reicht es mir langsam! Ich will – und wagt es nicht, mir in irgendeiner Weise zu widersprechen – wissen, was vorhin los war!“, wetterte er los, sobald sie dein privates Zimmer erreicht hatten. Wie zwei gescholtene Schulmädchen standen sie vor seinem Tisch und blickten betreten zu Boden. Keine von beiden traute sich zu antworten. „Angel? Maya? Ich warte!“ Verlegen tauschen sie einen kurzen Blick aus, bis sich Maya mutig straffte. „Ehrlich gesagt, wissen wir das selbst nicht wirklich!“ Dr. Cullen rieb sich die Schläfen. „Maya … du warst kurzzeitig Tod, ist dir das klar? Angel hatte eine Art epileptischen Anfall und das scheinbar zur gleichen Zeit, als du leblos hier im Wohnzimmer auf dem Teppich lagst! Was geht hier vor?“ „Das … wissen wir auch nicht so ge…“ „Aber ihr ahnt etwas! Sag mir endlich die Wahrheit!“ Maya seufzte. „Wir … hatten so eine Art Vision!“ Überrascht hob er die Augenbrauen. „Eine Vision? Jeder seine eigene oder..:“ „Nein! Irgendwie … hatten wir beide die gleiche Vision … zur selben Zeit!“ „Hattet ihr so etwas schon öfter?“ „Nein, nur …“ Maya brach ab und biss sich auf die Unterlippe. Carlisle funkelte sie an. „Nur was?“ Maya trat nervös von einem Bein auf das andere. „Na ja … ich hatte schon mal Visionen.“ „Oft?“ „Es geht!“ „Und warum hast du bisher nichts davon erzählt?“ Nachdenklich blickte sie ihn an, bis sie schließlich ergeben mit den Schultern zuckte. „Ich weiß es nicht.“ „Und du?“, wandte er sich an Angel, die wie zur Abwehr die Hände hob. „Das war meine erste Vision, ich schwöre es!“ „Irgendwelche anderen, verborgenen Talente, von denen ich wissen sollte?“ Angel druckste ein wenig herum. „Zählt Bauchtanzen auch dazu?“ „Du hältst dich mal wieder für ziemlich witzig, was?“ Beschämt blickte sie zu Boden. „Nein … sonst gibt es nichts.“ „Gut, dann hört mir jetzt mal gut zu, ihr zwei! Wir schaffen es nur dann gemeinsam, aus dieser Lage das Beste zu machen, wenn ihr uns auch vertraut und uns alles erzählt, was für uns wichtig sein könnte, verstanden? Innerhalb einer Familie sollte man nicht so viele Geheimnisse voreinander haben. Ein paar Kleinigkeiten vielleicht, aber so etwas nicht!“ Angel blickte ihn mit großen Augen an. „Was?“, fragte er stirnrunzelnd. „Innerhalb einer Familie?“, wiederholte sie leise, was ihn überrascht blinzeln ließ. „Ich meine… sind wir denn schon eine Familie?“ Carlisle blickte Maya kurz an, bevor sie beide gleichzeitig zu Angel hinübersahen, die auf seltsame Weise gespannt wirkte – als hinge ihr Leben von dieser Information ab. Carlisle lächelte weich. „Die Frage kannst du dir selbst beantworten.“, sagte er, stand auf und verließ das Zimmer. Angel blickte noch einen Moment auf die Stelle, an der der Arzt zuvor gesessen hatte und lächelte dann. Ein Lächeln, das immer mehr zu einem Strahlen wurde. Überglücklich blickte sie Maya an, die ein wenig erschlagen wirkte. „Was ist denn mit dir los?“, fragte sie überrascht. „Maya, ich … ich hab endlich wieder eine Familie!“, schrie sie begeistert und fiel ihrer Freundin stürmisch um den Hals. Maya wirkte einen Moment lang vollkommen überrumpelt, bevor sie Angels Druck sanft erwiderte. Eine Sekunde später spürte sie die Freudentränen, die Angels Wangen hinabliefen, auf ihrer Schulter und zum ersten Mal war sie sicher, dass Angel wirklich glücklich war. Kapitel 19: Falsch geküsst -------------------------- Ja ... ich weiß, es hat laaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaang gedauert, aber jetzt hab ich tatsächlich mal wieder ein Kapitel geschafft. Hoffe, es gefällt. Würde mich über Kommis jedenfalls seeeeeeeeeeeeeeeeeeehr freuen. Viel Spaß!!! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ „Visionen?“ Emmett blickte Maya grinsend an. „Nur Verrückte haben Visionen! Wundert mich, dass ich nicht früher darauf gekommen bin, dass du mit so etwas gesegnet bist.“ Maya setzte gerade zu einem Konter an, als Alice‘ Ellenbogen wie aus dem Nichts erschien und gegen Emmetts Hinterkopf krachte, der mehrere Schritte nach vorn taumelte, ehe er sich wieder fangen konnte. Maya grinste böse. „Und nur vollkommene Deppen lassen solche Sprüche los, während zwei weitere Wesen im Raum sind, die mit dieser Gabe gesegnet sind.“, erwiderte sie süßlich und zwinkerte Alice zu, die zufrieden grinste. Angel, die sich in ihren Stammsessel gekuschelt hatte, hatte den Blick gesenkt und kicherte schadenfroh. „Lachst du mich etwa aus?“, fauchte Emmett drohend. Angel hob den Blick und tat unschuldig. „Wer ich?“ „Ich seh niemanden, der sonst noch dämlich kichert.“ „Aber Emmett … wer wird denn so eine Spaßbremse sein? Bist doch selbst schuld, wenn du dich um Kopf und Kragen redest.“ „Leute, kommt schon! Bleibt mal beim Thema!“, ging Edward dazwischen, was Maya besorgt zur Kenntnis nahm. In den letzten Minuten hatte er eine seltsame Wendung vollzogen. Die Tatsache, dass Maya Visionen hatte, schien ihm nicht zu behagen. „Edward hat Recht! Wir sollten uns auf das Eigentliche konzentrieren. Mayas Vision hat offenbar gezeigt, dass …“ „… Die Erlöser angreifen werden.“, unterbrach Alice Dr. Cullen, deren Blick leicht verschleiert war. Angel seufzte. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sich Alice das Gleiche offenbarte wie ihrer Freundin. Blieb nur zu hoffen, dass sie nicht haargenau dasselbe gesehen hatte, wie Angel. Aus irgendeinem Grund wusste sie, dass es nur Ärger geben würde, wüsste Alice, was Angel bezüglich Maya gesehen hatte. „Ganz genau!“, stimmte Carlisle zu und blickten jeden seiner Schützlinge nacheinander an. „Die Frage ist nur, was wir jetzt unternehmen. Offenbar ist ihre Gruppe um einiges größer als erwartet. Es dürfte schwer werden, sich allein gegen sie zu behaupten, selbst wenn wir die Jägerin dabei haben.“ Joe holte tief Luft. „Und wenn wir uns an die Werwölfe wenden?“ „Vergiss es!“, schoss Angel sofort los und sprang auf. „Keine zehn Pferde kriegen mich dazu, mit diesen Biestern gemeinsame Sache zu machen!“ „Angel!“ „Ist schon schwer, Vampiren zu trauen, aber bei Werwölfen hört der Spaß auf!“ „Angel!“ „Diese Viecher sind unberechenbar! Ein falsches Wort und du bist ein Haufen blutiger Masse, bevor du überhaupt gemerkt hast, dass er sich verwandelt hat!“ „Angel, jetzt bleib doch mal ruhig!“, fauchte Joe laut. „Nein, Joe! Ich bleib nicht ruhig! Das, was vorhin passiert ist, mag vielleicht noch Spaß gewesen sein, aber um mit ihnen gemeinsam in den Kampf zu ziehen, da reicht mein Vertrauen bei weitem nicht aus! Und nichts, was du mir jetzt sagen willst, wird mich umstimmen können!“, setzte sie hinzu, als sie bemerkte, wie Joe zum neuerlichen Schwung ausholte. Wütend verschränkte dieser die Arme vor der Brust. „Na schön! Was aber, wenn wir keine andere Wahl haben? Was, wenn ich dir jetzt sage, dass wir allein nicht die geringste Chance gegen sie haben? Nicht einmal mit dir!“ „Selbst dann nicht! Und du kannst dich meinetwegen auch auf den Kopf stellen, mich verprügeln, alles Mögliche! Aber ich werde mit keinem Werwolf gemeinsame Sache machen.“ Hinter ihrem Rücken versteifte sich Jasper kaum merklich. „Du würdest also zulassen, dass wir alle dabei draufgehen?“ Edwards Augen blitzten. „Du würdest zulassen, dass Maya dabei umkommen könnte?“ Auch Maya blickte sie wütend an. „Du stellst dein eigenes Wohl über das Wohl aller hier im Raum?“, fragte sie ungläubig. „Du verlangst von uns, dass wir nur deine eigene Meinung akzeptieren? Auch wenn sie noch so unlogisch ist?“, setzte Carlisle hinzu. Angel blickte sich geschockt um. „Ich weiß nicht, ob euch das so richtig klar ist, aber … Werwölfe gehören zu den wohl unkontrollierbarsten Geschöpften auf diesem Planeten. Wer gibt euch die Sicherheit, dass sie sich nicht auf euch stürzen?“ „Vielleicht die Tatsache, dass die Wölfe Die Erlöser genauso loswerden wollen wie wir?“, wandte Emmett ein. Zum ersten Mal spielte er nicht den Kasper, sondern blickte die Jägerin mit todernster Miene an. „Na schön! Und wer garantiert dir, dass sie nicht gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und euch gemeinsam mit der Erlösergruppe erledigen?“ „Das ist eine Sache des Vertrauens.“, wandte Edward ein, was Angel die Augen verdrehen ließ. „Wie konnte ich nur? Dir mag es vielleicht leicht fallen, ihnen zu trauen, aber mir nicht! Mir … fiel es schon schwer, Vampiren Vertrauen entgegenzubringen, wie soll ich da mein Leben in die Hände von Werwölfen legen?“ Carlisles Augen blitzen auf. „Ich versteh nicht ganz! Soll das heißen, dass du uns nach alldem noch immer nicht vertraust?“ „Das soll lediglich heißen, dass meine Überwindungskunst bereits ihre Grenzen erreicht hat!“ „Das hört sich für mich so an, als würdest du uns nur zwangsweise vertrauen.“ „Nein, aber …“ „Aber was? Sag mir mal eins, Angel! Hat dir in den letzten Wochen irgendjemand auch nur den kleinsten Anlass gegeben, um nicht darauf zu vertrauen, dass wir deine Freunde sind, mehr noch … eigentlich schon deine Familie? Einer von uns ist dein letzter, noch lebender Verwandter, also …“ „Na ja wirklich leben tut er ja auch nicht mehr!“ Noch während Angel diese Worte sprach, wusste sie, dass sie zu weit gegangen war. Geschockt schlug sie die Hände vor den Mund und blickte erst Carlisle und dann Jasper mit aufgerissenen Augen an, der sich nach einem kurzen Blick abwandte und sich langsam auf die Lehne der Couch sinken ließ. Sekundenlang herrschte betretenes Schweigen. Angel schluckte schwer. Ein dicker, unüberwindbarer Kloß hatte ihre Kehle verstopft. Innerlich hasste sie sich bereits für diese Frechheit, ekelte sich vor sich selbst. Carlisle hatte vollkommen Recht. Jeder der Cullens hatte ihr in den letzten Wochen ohne Probleme das Gefühl gegeben, ein Teil der Familie zu sein. Den Tränen nahe wirbelte sie herum und stürzte aus dem Zimmer, aus dem Haus in den Wald, rannte so schnell und so lange, bis sie das Gefühl hatte, ihre Rippen müssten zerspringen und ihr Lungenflügel platzen. Schluchzend sank sie auf eine Baumwurzel und verbarg das Gesicht in den Händen. Warum lief plötzlich alles schief? Gefangen in einem verrückten Strudel wirbelten ihre Gedanken durch ihren Kopf, nicht in der Lage, sich in eine logische Reihenfolge zu ordnen. Erst nach Stunden, so hatte sie das Gefühl, vernahm sie leichte Schritte hinter sich und ein kurzer Blick über die Schulter hinweg machte ihr klar, dass Jasper ihr gefolgt war. Ohne ein weiteres Wort ließ er sich neben sie auf die Erde sinken, zog die Beine an und sah zum Himmel hinauf. Angel rückte ein Stück von ihm weg und wandte den Blick ab. Sie schämte sich zu sehr, um ihm auch nur eine Sekunde lang in die Augen sehen zu können. Es dauerte allerdings nicht lange, bis eine angenehme Welle von Beruhigung auf sie zugriff und ihre Sorgen eindämmte, als wären sie plötzlich in Watte gepackt. Verwirrt wischte sie die Tränen aus dem Gesicht. Mit einem Mal war alles gar nicht mehr so schlimm. „Fühlst du dich jetzt besser?“, fragte Jasper leise, den Blick immer noch in die Höhe gerichtet. Angel blickte ihn überrascht an. „Bist du das?“ Ein Lächeln war die Antwort. „Möglich?“ „Du ... beeinflusst Gefühle?“ Immer noch lächelnd verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und ließ sich zu Boden sinken. „Dein alter Onkel hatte schon immer ein Gespür für die Gefühle von anderen.“ Angel schüttelte ungläubig den Kopf. „Ach und seit der alte Herr sich unter das Vampirvolk gemischt hat, manipuliert er sie, ja?“ „Sieht ganz so aus!“ Angel betrachtete Jasper noch einen Moment lang von der Seite, ehe sie sich wieder abwandte. Verlegen begann sie mit ihren Fingern zu spielen. Die Welle von Gleichgültigkeit und Beruhigung prallte wieder von ihr ab und Frustration machte sich breit. „Was ist los mit dir?“, fragte Jasper, dem ihr Gefühlsumschwung dank seiner Fähigkeiten nicht entging. Angel seufzte und schüttelte den Kopf. „Gar nichts.“, wiegelte sie ab und sprang auf. Doch weiter als zwei Schritte kam sie nicht, da hatte der Vampir sie bereits eingeholt und ihren Arm ergriffen. „Angel, jetzt lauf doch nicht gleich weg.“ „Jasper, kannst du mir nicht einfach den Rest meiner Würde und mich gehen lassen?“ Überrascht hob er die Augenbrauen. „Den Rest deiner Würde, was soll dieses Gerede?“ Ergeben senkte sie den Kopf. „Na schön …ich … versuch mich nur gerade vor meiner Entschuldigung zu drücken, das ist alles.“ „Entschuldigung?“ Verlegen druckste sie einen Moment herum. „Na ja … was ich vorhin gesagt habe …“ „Lass mal, Angel!“ „Nein! Das … kann ich nicht auf sich beruhen lassen. Ich hätte das nicht sagen sollen.“ Ein freches Grinsen huschte über sein Gesicht. „Ehrlich gesagt … von dir ist man solche Frechheiten ja mittlerweile gewöhnt.“ Angel ließ sich von seinem Lächeln anstecken und schlug ihm gegen die Schulter. „Hey, ich entschuldige mich gerade!“, lachte sie und entfernte sich einige Schritte. Die Hände in die Hosentaschen vergraben, folgte Jasper ihr. Schweigend liefen sie einige Meter nebeneinander her, bis sie eine kleine Lichtung erreicht hatten, über dessen grüner Wiese sich vereinzelt Sonnenstrahlen durch die dunklen Wolken kämpften. Verträumt blickte Angel hinauf ins Licht, ohne zu merken, dass sie von Jasper intensiv beobachtet wurde. Erst als er sie wieder ansprach, erinnerte sie sich daran, dass sie nicht allein war. „Würdest du mir eine Frage beantworten?“, fragte er leise und trat auf die Lichtung. Ein kreisrunder Fleck Sonnenlichts war nur noch Zentimeter von ihm entfernt, doch schon jetzt konnte sie den Anflug eines Schimmerns auf seiner Haut erkennen. „Was für eine Frage denn?“ Jaspers Blick wurde hart, als er in die Sonne trat. „Wann fängst du endlich an, dich so zu akzeptieren, wie du bist?“ Angel kniff die Augen zusammen. Obwohl das Licht nur schwach auf ihn herabschimmerte, funkelte seine Haut so hell, dass sie tatsächlich die Augen mit den Händen abschirmen musste. Vollkommen überrascht von diesem Effekt stolperte sie rückwärts und gegen einen Baum, in dessen Rinde sie schließlich die Fingernägel vergrub. Von Jasper waren nur noch die äußeren Konturen zu erkennen, bis er schließlich langsam aus dem Licht heraustrat. Angel hatte das Gefühl, Gott persönlich gegenüber zu stehen, so majestätisch wirkte dieses Auftreten und beängstigend zugleich. „W… was war die Frage?“, stammelte sie, als ihr klar wurde, dass sie nicht mitbekommen hatte, was er von ihr wollte. Die Arme zu beiden Seiten ihres Kopfes am Baumstamm abstützend blieb er dicht vor ihr stehen, nahm ihr jede Möglichkeit zur Flucht. „Geboren mit der Kraft einer Göttin, vielleicht nicht ganz so schlau wie deine beste Freundin, aber mindestens genauso schön … eine Jägerin, Angel! Das ist das, was du bist!! Aber wann fängst du endlich an, das auch zu akzeptieren?“, knurrte er, wobei sie sich gleichzeitig fragte, wie er es schaffte, seiner Stimmte trotzdem einen weichen Klang zu geben. Verunsichert drückte sie sich gegen den Baum und wandte den Blick ab. „Ich weiß nicht, was du meinst.“, wich sie aus, was er mit einem Schnauben quittierte. „Ich bin vielleicht kein Gedankenleser wie Edward oder kann in die Zukunft schauen wie Alice, aber deine Gefühle kannst du vor mir nicht verbergen. Ich weiß, dass du dich selbst verabscheust, dass du es hast, das zu sein, was du bist! Ich kann nur nicht verstehen warum!“ Wütend funkelte sie ihn an. „Du hast Recht! Du kannst es nicht verstehen.“, brummte sie und versuchte, unter seinen Armen hindurchzutauchen. Ohne Erfolg. Jasper ergriff ihre Arme und drückte sie wieder gegen den Baum. „Du hast meine Frage nicht beantwortet.“ „Weil es da nichts zu beantworten gibt und jetzt lass mich gefälligst gehen.“ Jaspers Augen leuchteten, als er den Kopf schüttelte. Ein seltsame roter Schimmer flackerte kurz in seinem Blick auf, um gleich wieder zu verschwinden. Angel fühlte sich nicht wohl. Sie wusste, dass Jasper der einzige der Cullens war, der noch immer Schwierigkeiten hatte, sich gegen den Geruch von Blut zu behaupten. Aber wäre sie in der Lage, sich gegen ihn zu verteidigen, wenn es soweit käme? „Jasper, du solltest vielleicht…“ „Warum umgibt dich dann in letzter Zeit so ein Nebel von Hassgefühlen auf dich selbst? Und wenn ich es richtig gedeutet hab, dann schwingt auch noch eine gehörige Portion Verachtung mit darin herum!“ Angels Schweigen war Antwort genug. „Komm schon! Warum fällt es dir so schwer zu akzeptieren, was du bist? Immerhin … lebst du noch, oder? Ein Mensch, der mit Leichtigkeit Metalltische auseinander nehmen kann und keine Angst haben muss, nachts eventuell überfallen zu werden… was ist so schlimm daran?“ Angel kaute auf ihrer Unterlippe. „Der war schon rostig.“, brummte sie. Jasper lächelte schwach. „Niemand zwingt dich dazu, Vampire zu jagen. Wenn du es so hasst, dann tu es einfach nicht. Es ist doch schließlich ganz allein deine Entscheidung.“ Angel richtete sich ein wenig auf. „Sagst du mir das jetzt in deiner Eigenschaft als Onkel?“ „Nein! Ich sag dir das in meiner Eigenschaft als Freund.“ Der Abstand zwischen ihnen wurde kleiner. „Als bester Freund.“, verbesserte er sich. Ein seltsames Gefühl kroch plötzlich in ihr hoch. Ein Kribbeln, das ihren gesamten Körper erfasste. Mit einem Mal war es gar nicht mehr so einfach, sich auf den Beinen zu halten. Sachte glitten ihre Fingerspitzen über den Kragen seiner Jacke, während er langsam seinen Kopf neigte. „Heut läuft so einiges quer.“, murmelte sie leise und verfestigte den Griff um seinen Kragen. „Allerdings.“, stimmte er zu. Seine Hände umfassten ihr Gesicht. „So einiges.“; fügte er noch hinzu, bevor er seine Lippen auf ihre legte. Innerlich schnappte sie nach Luft. Ihr war klar, hätte sie nicht diese besonderen Fähigkeiten, würde sie bereits jetzt mit zahlreichen blauen Flecken gesegnet sein. Er drückte sie so fest gegen den Baum, dass sie das Gefühl hatte, jede einzelne Rille spüren zu können. Ihre Finger vergruben sich in seinem Haar, pflügten durch die wilden Locken, als hätte sie Angst, er könnte von einer Sekunde auf die andere einfach verschwinden. Angel wusste nicht, wie lange der Kuss andauerte, aber sie hatte das Gefühl, dass Stunden vergangen waren, bevor sie sich geschockt trennten und verlegen dem Blick des jeweils anderen auswichen. Angel fuhr sich durch das Haar. „Gott … ich … Alice bringt mich um.“ Jasper hob die Schultern. „Oder mich.“ „Na ja … oder ich übernehme das für sie.“ Joes Stimme war von Hass gezeichnet und mit einer unglaublichen Wut im Bauch und in seinem Blick stürzte er aus dem Schatten einer Ulme hervor und ging auf Jasper los. Kapitel 20: Gefühle ------------------- Angel war zu perplex, um sofort zu reagieren. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen stießen Jasper und Joe zusammen und flogen im hohen Bogen hinaus auf die Lichtung. Ein wildes Fauchen und Knurren hallte über die Lichtung hinweg und versiegte nach mehreren Kilometern zwischen den Bäumen des Waldes. Mit ungläubiger Miene beobachtete Angel, wie Jasper und Joe sich immer wieder ineinander verbissen. Zu Joes Pech war Jasper ihm an Erfahrung im Kampf meilenweit überlegen, so dass er bereits nach kurzer Zeit die Oberhand gewann und Joe immer weiter zurücktrieb. Erst als ein gut platzierter Schlag von Joe Jasper weit zurückschleuderte, erwachte Angel aus ihrer Trance und so schnell sie konnte, hetzte sie Joe hinterher, der bereits los stürmte, um seinem Gegner den Rest zu geben. „Joe, hör auf! Hör auf!“, schrie sie wütend und verzweifelt zugleich, doch der Vampir hörte nicht hin. Angel mobilisierte sämtliche Reserven und beschleunigte ihr Tempo, bis sie es tatsächlich schaffte, Joe zu überholen. Mehrere Meter vor ihm stoppte sie. Mit einem letzten Blick auf Jasper wirbelte sie herum, holte Schwung und trat Joe mit ganzer Kraft gegen die Brust. Ungebremst und überrascht von ihrer Aktion flog er mehrere Meter über die Lichtung, bevor er im Staub landete und mit wütender Miene zu ihr hinüber starrte. Seine Augen glühten gefährlich. „Krieg dich bloß wieder ein!“, fauchte Angel und stemmte die Hände in die Hüften. Joe rappelte sich auf – so schnell, dass sie sich sicher war, in der Zeit nicht ein einziges Mal geblinzelt zu haben. „Interessant zu sehen, wie gut du dich mit einem Onkel verstehst!“ Angel schnaubte und verschränkte gelangweilt die Arme vor der Brust. „Interessant zu sehen, wie eifersüchtig du bist!“, entgegnete sie und zuckte nicht einmal zusammen, als Jasper neben ihr auftauchte. Zahllose halbmondförmige Wunden bedeckten seine Arme und den oberen Teil seiner Brust und seine Augen schossen Blitze in Joes Richtung. „Sind dir die Sicherungen durchgebrannt oder was?“, knurrte er und knöpfte sich demonstrativ sein Shirt wieder zu. „Irgendeiner muss doch auf euch aufpassen. Und ich hatte ja offenbar Recht oder nicht?“, brummte Joe zurück. Angel verdrehte die Augen. „Mein Gott! Ist ja süß!“ Mit genervter Miene wandte sie sich an Jasper. „Geh mal ruhig! Das krieg ich schon allein hin.“ Jasper blickte sie zweifelnd an. „Ist das dein Ernst?“ „Glaub mir! Der frisst mir gleich aus der Hand.“ Jasper war noch immer nicht überzeugt. Doch als Angel ihm ihre Hände ins Kreuz drückte und ihn voran schob, gab er sich geschlagen und raste davon. Kaum war er außer Sicht, stürmte Angel vor und rammte Joe ihren Zeigefinger gegen die Brust. „Was sollte das werden, du aufgeblasener, an mangelnder Intelligenz leidender Irrer? Warum stürzt du dich auf Jasper, wie ein wild gewordener Tiger?“ „Das war das einzig Richtige, was ich tun konnte!“ „Ach! Hattest du Angst, er würde mich auffressen oder was?“ „Weiß du, hättest du mir früher erzählt, dass Jasper nicht dein Onkel sondern dein Lover ist, dann wäre…“ „Wie bitte? Sag mal, geht’s dir auch wirklich gut?“ „Ich hab mich nie besser gefühlt! Allerdings würde es mir besser gehen, wenn du mir die Möglichkeit gegeben hättest, Jasper seinen besten Kumpel in den …“ „Joe! Reiß dich endlich mal zusammen! Zwischen Jasper und mir ist absolut überhaupt gar nichts.“ „Na wie gar nichts sah das aber nicht aus!“ „Könntest du deine Eifersucht mal wieder in den Griff bekommen?“ „Eifersucht? Ich?“ „Ja, Eifersucht! Soll ich es dir nochmal buchstabieren?“ „Ich bin doch nicht eifersüchtig!“ „Ach wirklich! Und deshalb prügelst du Jasper fast zu Tode, ja?“ „Oh, der Kleine kann mehr ab, als du denkst!“ „Der Kleine, mein lieber Joe, hat ein paar Jahre mehr auf dem Buckel als du! Und über Kurz oder Lang hätte er dir den Hintern versohlt! Und jetzt komm mal wieder auf den Boden und reg dich ab!“ „Stehst du auf ihn?“ Angel war von der Offenheit der Frage so verblüfft, dass sie einige Sekunden lang gar nichts mehr sagen konnte. Stattdessen blickte sie ihn mit einem frechen Grinsen an und antwortete gar nicht. Joe kniff die Augen zusammen. „Also doch!“ Noch immer antwortete sie nicht, was ihn in den Wahnsinn trieb. Aufgebracht ließ er seine Knochen knacken, wirbelte herum und wollte los stürmen. „Den mach ich …“ „Joe!“ Lachend packte sie ihn am Kragen und hielt ihn fest. „Jetzt sei doch nicht albern.“ Wütend fuhr er wieder herum, packte ihre Schultern und zog sie näher an sich. „Ist zwischen dir und Jasper was oder nicht?“ „Natürlich nicht!“ „Und warum dann der Kuss?“ „Mann, Joe! Hattest du noch nie ’n Ausfall gehabt? Das war … ein Ausrutscher, sonst nichts. Und jetzt spiel nicht den kleinen Jungen, der schmollt, weil er kein Eis bekommen hat.“ Sekundenlang starrte er sie nur an. „Und da ist wirklich nichts?“ Angel verdrehte die Augen und legte ihre Arme um seinen Nacken. „Komm her, du kleiner Vampirjunge.“, knurrte sie, zog ihn zu sich hinab und küsste ihn. Es war nur ein kurzer Kuss, aber sie legte alles in diesen einen Moment, um ihm klar zu machen, dass sie es ernst meinte. „Und? Endlich überzeugt?“, fragte sie, als sie sich schließlich von ihm gelöst hatte. Joe dachte kurz nach. „Noch nicht ganz. Ich brauch noch ein wenig mehr Überzeugung.“ Diesmal machte er den ersten Schritt, bis sie sich einige Sekunden später wieder voneinander lösten. Angel schmunzelte. „Damit dürfte die Sache doch hoffentlich geklärt sein.“ Joe schüttelte den Kopf. „Es heißt doch, dass alle guten Dinge drei sind.“ Angel grinste frech. „Wer sagt, dass es gut war?“ Der nächste Kuss dauerte wesentlich länger und endete auch nicht, als sie langsam zu Boden sanken. Edward richtete sich so plötzlich auf, dass Maya fast von der Couch flog. Überrascht blickte sie ihn an. Mit aufgerissenen Augen und steifer Haltung saß er da, ohne auch nur ein einziges Mal zu blinzeln. Sekunden später schüttelte er den Kopf, als wolle er etwas aus seinem Kopf vertreiben. „Alles in Ordnung?“, fragte sie behutsam und legte ihm ihre rechte Hand auf die Schulter. „Sicher … alles klar.“, brummte er, bevor er seine rechte Hand kurz und heftig mehrere Male gegen die Schläfe schlug. „Definitiv nicht, sonst würdest du dich nicht so benehmen.“ „Es ist alles in Ordnung.“, fauchte er und sprang auf. Mit wütendem Schritt stürmte er zum Fenster und riss es stürmisch auf. „Könntet ihr vielleicht ein wenig leiser sein!“, schrie er so laut, dass es wahrscheinlich noch in Kanada zu vernehmen gewesen war. Maya runzelte die Stirn und blickte dann Alice hilfesuchend an. „Sind seine Schaltkreise gerade durchgeschmort oder warum benimmt er sich so?“ Alice lächelte. „Es geht um Angel und Joe.“, war das Einzige, was sie sagte. „Oh.“, machte Maya lediglich, bevor sich ihre Augen vor Erstaunen weiteten. „Oh!“, rief sie noch einmal, als ihr klar wurde, was Alice meinte. Wütend blickte sie Edward an. „Das ist kein Telefonsex, Edward! Also lass die beiden in Ruhe!“, fauchte sie und verschränkte erwartungsvoll die Arme vor der Brust. Empört blickte der Vampir sie an. „Weil es ja auch so eine Freude ist, den beiden dabei zuzuhören.“, knirschte er und schlug das Fenster zu. Ein ohrenbetäubendes Splittern erklang, als Jasper, der wie ein Irrer aus dem Wald gestürmt kam, ungebremst gegen das Fenster krachte und Tausende von Glassplittern sich in alle Richtungen verteilten. Offenbar hatte der Vampir vorgehabt, durch das geöffnete Fenster ins Wohnzimmer zu springen, allerdings nicht mit Edwards Vorhaben, das Fenster wieder zu schließen, gerechnet. Wie ein begossener Pudel stand er inmitten der zahllosen Glasscherben und funkelte Edward an. „Dankeschön! Ein einfaches Nein hätte auch gereicht, dann wäre ich durch die Tür gekommen.“ Maya schlug die Hand vor den Mund, um ihr Kichern zu verbergen, während Alice aufsprang und immer noch lächelnd auf ihn zuging. „Wir beide müssten uns mal unterhalten, mein lieber Jasper!“, säuselte sie mit ihrer angenehmen Singsangstimme, in der ein merkwürdiger Unterton mitschwang, den Maya nicht identifizieren konnte. Überrascht beobachtete sie, wie Alice ihren Vampirpartner am Kragen packte und aus dem Zimmer schleifte. Doch offenbar war Maya nicht die einzige, die von Alice‘ Gefühlsumschwung überrascht war. Esme und Carlisle blickten ihr verwirrt hinterher, während Emmett sich mit breitem Grinsen die Hände rieb. „Ihr macht Feuer und ich sammle Jaspers Einzelteile ein.“, lachte er, was Esme mit einem scharfen Emmett quittierte. „Wieso? Was ist denn los?“, fragte Maya beunruhigt. Edward schüttelte jedoch den Kopf. „Das ist eine Sache zwischen Joe, Angel und Jasper! Das muss dich nicht interessieren.“ „Aber wenn Alice kurz davor ist, Jasper …“ „Maya! Es wird schon alles gut gehen, vertrau mir!“, bat er und blickte, ohne eine Antwort abzuwarten, nach draußen. Einen Moment lang wirkte er vollkommen abwesend, bis er sich ihr wieder zuwandte. „Würdest du mit mir kommen?“, fragte er und streckte ihr seinen Arm entgegen. Maya blinzelte überrascht. Ein seltsames Funkeln hatte von Edwards Augen Besitz ergriffen, weshalb sie nur zögernd nach seiner Hand griff und sich von ihm aus dem Zimmer und aus dem Haus geleiten ließ. Schweigend folgten sie einem breiten Pfad, der sich wie ein Flussbrett durch den Wald schlängelte. Maya fiel auf, dass sie sich in entgegengesetzter Richtung zu Joe und Angel fortbewegten und grübelte hastig, was Edward vorhaben konnte. „Du kommst sowieso nicht drauf. Also zerbrich dir nicht dein Köpfchen.“, lachte Edward, der ihre verwirrten Gedanken offenbar gelesen hatte. Wütend blickte sie ihn an. „Weißt du, so gern ich dich auch habe, dein Gedankenlesen geht mir tierisch auf den Wecker.“ „Ich weiß! Aber du bist so süß, wenn du dich aufregst.“ Maya blieb stehen und entzog ihre Hand seinem Griff. Edward fuhr überrascht herum. „Was ist?“ „Ich finde das einfach nicht gerecht. Ich meine, selbst wenn ich in der Lage wäre, deine Zeit stillstehen zu lassen, würde ich es niemals tun. Genauso solltest du also auch nicht versuchen, meine Gedanken zu lesen.“ Edward legte den Kopf und grinste. „Sie sind aber so unglaublich interessant.“ Maya verdrehte die Augen. „Ich finde das Paarungsritual von Elefanten auch interessant, aber ich muss nicht unbedingt life dabei sein.“, zischte sie wütend und verschränkte zum Nachdruck ihrer Worte die Arme vor der Brust. Edward hob eine Augenbraue. „Warum plötzlich so schnippisch?“ „Weil es mich einfach wahnsinnig macht. Ich meine … ich kann ja nicht mal an irgendetwas Erotisches denken, ohne dass es dir gleich auf die Nase gebunden wird.“ Obwohl Maya beinah schrie vor Wut, schaffte sie es nicht, Edward aus dem Gleichgewicht zu bringen. Noch immer grinste er breit. Die Hände in die Hosentaschen geschoben, kam er auf Maya zu, bis er nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt war. Herausfordernd blickte er auf sie herab, während Maya mit Mühe und Not versuchte, ihre wütende Miene beizubehalten. „Du willst also an erotische Dinge denken, ja?“ „Das … war doch nur so ein blödes Beispiel!“, stotterte sie. Innerlich schalt sie sich dafür, dass ihre Fassade bereits zu bröckeln begann. Warum nur war es so schwer, Edward zu widerstehen? „Das ist Tatsache, daran musst du dich gewöhnen.“, beantwortete er ihre Gedanken, was sie fast an den Rand des Wahnsinns brachte. „Du sollst das lassen!“, zischte sie nochmals. Edward lächelte schief. „Gut, dann lass ich es! Kommen wir lieber nochmal auf die Sache mit den erotischen Gedanken zurück.“, flüsterte er. Maya konnte nicht verhindern, dass ein Lächeln über ihre Lippen glitt und der leichte Hauch von Röte sich auf ihre Wangen legte. „Das hat überhaupt nichts mit dir zu tun.“, entgegnete sie in dem vergeblichen Versuch, ihm eine Abfuhr zu erteilen. Edward schnaubte. „Sicher.“ Seine Fingerspitzen glitten unter ihr Kinn. „Da hab ich aber in letzter Zeit ganz andere Dinge von dir gehört.“ Langsam hob er ihr Kinn ein wenig an, beugte sich selbst leicht herab. „Alles nur vorgespielt.“, flüsterte Maya mit zittriger Stimme. „Aber natürlich.“, murmelte er, bevor er eine Sekunde später seine Lippen auf ihre legte. Im selben Moment merkte sie schon, wie sie den Boden unter den Füßen verlor. Ihre Knie glichen der Beschaffenheit von rohen Eiern, so wacklig war sie plötzlich auf den Beinen. Und hätte Edward sie nicht ganz fest umschlungen, wäre sie wahrscheinlich ihn Ohnmacht gefallen. Doch allein die Tatsache, dass sie so fest gegen seine steinharte Brust gedrückt wurde, hielt sie bei Bewusstsein. Und spätestens als Edward ihr Shirt immer höher schob, wurde ihr klar, wo dieser Kuss enden würde. Angel setzte sich auf und rieb sich ächzend den Nacken. „Das war ja mit Abstand die blödeste Idee, die man haben kann.“, knurrte sie und ließ mehrere Male ihren Kopf kreisen, bis sie das Gefühl hatte, sich wieder bewegen zu können. Joe grinste. „Na also so schlecht fand ich es nicht.“, entgegnete er und zog sie wieder zu sich hinab. Angel lächelte kurz zuckersüß, ehe sie sich wieder aufrichtete. „Jetzt wo du es sagst. Ich fand die Baumwurzel auch nicht schlecht, die mir den Nacken verbeult hat.“ Joes Grinsen wurde breiter, während er sich aufsetzte und sich ihr immer mehr näherte. „Von dem ganzen anderen Rest abgesehen, ja?“ Jetzt war es an Angel, breit zu grinsen. „Also als Highlight würde ich das jetzt nicht bezeichnen. Da hatte ich schon bessere Akrobaten.“ „Wie beschämend! Dann hast du dich also nicht für mich aufgespart?“ Angel verdrehte die Augen. „Ist das jetzt immer so? Dass du nach jeder Nummer an übersteigertem Selbstwertgefühl leidest?“ „Wenn du danach immer zickig sein darfst?“ „Zickig? Ich?“ „Ja, zickig! Soll ich es dir buchstabieren?“ Angel wusste einen Moment lang nicht, was sie entgegnen sollte, weshalb sie kurzerhand auf die Beine sprang und nach ihren Klamotten griff. Kaum fertig angezogen, wirbelte sie herum und funkelte ihn an. „Wer hat überhaupt jemals behauptet, dass es ein nächstes Mal geben wird?“, fauchte sie, was ihn überrascht dreinblicken ließ. „Wieso nicht?“ Angels Lächeln war breit und frech. „Mit so einer Pfeife kann ich einfach nichts anfangen, weißt du?“ „Pfeife?“ „Na, Schlappschwanz wäre auch noch eine Möglich…“ Joe schoss vor, packte ihren Hals und drückte sie gegen den nächstgelegenen Baum. Angel blieb die Luft weg und erschrocken starrte sie ihn an. „Ich kann dir auch ganz andere Facetten zeigen, meine Süße!“, säuselte er und ließ seine freie Hand über ihre Taille gleiten, immer tiefer, über ihre Oberschenkel und wieder höher. Angel schloss die Augen und sammelte sich innerlich. Doch er machte es ihr schwer, ihm zu widerstehen. Um einen klaren Kopf zu bekommen, rammte sie ihren Hinterkopf gegen die harte Rinde, krallte sich mit ihren Fingernägeln fest und unterdrückte das aufsteigende Gefühl, während er sie noch immer fest gepackt hielt. Joes Augen leuchteten beinah. „Vielleicht überzeugt dich das ja ein wenig!“ Angels Knoten platzte. Ohne weiter nachzudenken, ließ sie ihr Knie in die Höhe schnellen und traf ihn genau da, wo sie treffen wollte. Joe knickte ein – und begann zu lachen. Zweifelnd blickte sie auf ihn hinab. Sie musste zugeben, dass sie nicht ganz sicher war, ob Joe einfach nur den Verstand verloren oder ob sie ihm tatsächlich nicht so wehgetan hatte, wie beabsichtigt. Langsam kam er wieder auf die Beine – noch immer lachend. „Weißt du … Respekt! Du bist die Erste, die es geschafft hat, mir bei dieser Aktion zu widerstehen. Bisher haben sich die Frauen immer auf mich gestürzt, wenn ich das bei ihnen durchgezogen hab.“ Angel kniff die Augen zusammen. Sie wusste nicht warum, doch die Tatsache, dass das soeben Erlebte nicht ausschließlich ihr gegolten, sondern offenbar schon vielen Frauen vor ihr gedient hatte, machte sie wütend. „Tut mir wirklich leid, dass ich jetzt nicht in dein schäbiges Muster passe!“, fauchte sie, duckte sich unter seinem Arm hinweg und stapfte durch den Wald zum Haus der Cullens zurück. Joe blickte ihr überrascht nach. „Was ist denn jetzt schon wieder?“ „Frag deine anderen Frauen!“, schrie sie noch, bevor sie zwischen den Bäumen verschwand. Joe hob die Schultern. „Und welche von den vielen?“, murmelte er, bevor er nach seinem Shirt griff und es sich immer noch ratlos über den Kopf streifte. Mayas Kopf ruhte auf Edwards Brust, der ihr immer wieder über die Arme strich und zum Himmel emporblickte. Es war so lange her. Die Zeit mit Bella kam ihm so ewig zurückliegend vor, dass er sich nicht einmal mehr sicher war, ob er sie nur geträumt hatte oder ob sie Wirklichkeit gewesen war. Überrascht musste er feststellen, dass er – seit Maya ihm über den Weg gelaufen war – immer weniger an Bella dachte. Stattdessen löste das Mädchen, das jetzt in seinen Armen lag, die Bilder ihrer Vorgängerin immer mehr ab, bis kaum noch etwas übrig blieb, außer den Augenblicken, die er mit Maya allein genossen hatte. Zum wahrscheinlich hundertsten Mal fragte er sich, ob er sich nach Bellas Tod tatsächlich geschworen hatte, niemals wieder jemanden so nahe zu kommen. Hatte er wirklich vorgehabt, sich von den Wölfen zerfleischen zu lassen, um dem Schmerz endgültig zu entfliehen, der ihn seit ihrem Verschwinden beherrscht hatte? Maya regte sich und schlug die Augen auf. Schweigend sah er in ihre klaren grünblauen Augen und wusste in diesem Moment, zu wem er wirklich gehörte. Kapitel 21: Ausbrüche --------------------- „Was soll das heißen, sie hat dich einfach stehen lassen?“, fragte Maya, während sie ihre Bettdecke glättete. Über ihre Schulter hinweg warf sie einen verwirrten Blick auf Joe, der mit verschränkten Armen am Türrahmen lehnte und finster drein starrte. „Wie ich es schon sagte. Sie ist einfach gegangen!“ Maya dachte einen Augenblick lang nach. „Hast du denn irgendetwas zu ihr gesagt?“ „Was soll ich schon großartig gesagt haben? Wir haben uns auf der Lichtung ein wenig amüsiert und dann … ist sie gegangen.“ Maya fuhr herum und funkelte Joe an. „Jetzt verkauf mich mal hier nicht für dumm, mein Lieber! Angel ist nicht so, dass sie nach so einer Nummer einfach mal die Flocke macht. Irgendetwas muss doch gewesen sein. Ich weiß, dass du was gesagt hast, was ihr nicht passte, sonst hätte sie dich bestimmt nicht einfach so stehen, lassen. Dafür hat sie dich zu gern.“ Joe runzelte überrascht die Stirn. „Sie hat mich gern?“ Maya verdrehte die Augen. „Dein Verstand scheint öfter mal Aussetzer zu haben, kann das sein? Natürlich hat sie dich gern! Vielleicht sogar noch mehr als das! Ihre Art, sich zickig aufzuführen, beweist das doch!“ „Und warum sagt sie mir das dann nicht?“ Nur mühsam gelang es Maya, die Beherrschung zu wahren. „Okay, Joe! Für ganz Doofe! Frauen sind kompliziert, das muss sogar ich zugeben. Und es gibt tatsächlich einige, die es nicht fertig bringen, einem Mann gegenüber zuzugeben, dass sie in ihn verliebt sind. Ich hätte keine Probleme, das Edward ins Gesicht zu sagen, aber Angel… ist da ein wenig anders gestrickt.“ Joe hob eine Augenbraue. „Angel und schüchtern? Nie im Leben!“ „Natürlich ist sie schüchtern! Was glaubst du, warum sie immer die Harte markiert? Weil sie sich nicht traut, sich dir zu offenbaren.“ Joe knirschte mit den Zähnen. „Warum müsst ihr Frauen eigentlich alles immer so kompliziert machen? Als ob ich weglaufen würde, wenn sie mir die Wahrheit sagt.“ „Ehrlich, Joe! Du brauchst ein Lexikon, damit du mal verstehst, wie manche Frauen ticken.“ „Hätte ich mir schon längst angeschafft, wenn die nicht alle mehr als Tausend Seiten hätten!“, konterte er, was Maya mit zusammengekniffenen Augen zur Kenntnis nahm. „Also … was hast du zu ihr gesagt?“ „Gar nichts!“ „Das kann ich dir aber einfach nicht glauben!“ „Ich hab nichts gesagt … na ja … vielleicht … vielleicht schon, aber … das war unmöglich der Auslöser!“ „Raus mit der Sprache!“ „Ach ist doch nicht so wichtig!“ „Willst du jetzt von mir wissen, warum sie dir die Kalte Schulter zeigt oder nicht? Dann runter mit den Hosen und raus mit der Sprache!“ „Das war ehrlich nichts. Na ja .. .ich hab halt ein bisschen mit ihr herumgespielt … besser gesagt … an ihr! Aber irgendwie ist sie darauf nicht eingestiegen. Und da hab ich halt nur festgestellt, dass sie … dass ihre Vorgängerinnen anders reagiert hätten, die hatten nämlich nicht so eine Widerstandskraft. Tja und dann … meinte sie nur so etwas wie Tut mir leid, dass ich nicht in dein Beuteschema passe und ist gegangen. Und als ich wissen wollte, warum sie geht, meinte sie nur noch, dass ich meine anderen Frauen fragen solle. Was auch immer das heißen sollte. Das war alles! Völlig harmlos!!“, rief er verzweifelt und blickte Maya überrascht an, die ihn kopfschüttelnd und mit leicht geöffneten Lippen anstarrte. „Und da wunderst du dich, dass sie einfach so gegangen ist, ja?“ Hilflos breitete er die Arme zu beiden Seiten aus. „Was hab ich denn bitteschön falsch gemacht?“ Maya stemmte die Hände in die Hüften. „Du schläfst mit meiner besten Freundin und wirfst ihr dann an den Kopf, dass ihre Vorgängerinnen um einiges …. williger waren als sie und wunderst dich, dass sie dir davon läuft? Sag mal, bist du denn völlig bescheuert?“ „Ich hab doch nur …“ „Du hast doch nur … verschon mich damit! Absoluten Mist verzapft, das hast du! Das wird dich eine ganze Menge kosten, die Wogen wieder zu glätten.“ „Aber … was war denn so schlimm daran? Du tust ja gerade so, als hätte ich ihr gesagt, sie wäre die absolute Niete im Bett!“ „Joe! Keine Frau will von ihrem Freund hören, dass seine bisherigen Frauen um einiges besser waren als sie selbst! Im Prinzip hast du ihr nichts Anderes gesagt, als das sie einfach nur … ein weiterer Pokal in deiner Sammlung ist, der noch nicht einmal besonders gut war!“ „Aber das stimmt doch gar nicht!“ „So hat es sich für sie aber angehört!“ „Ach so und weil ihre beschränkte Auffassungsgabe ihr so einen Unsinn vorspielt, bin ich der Böse oder was!“ „Hey, wag es ja nicht, Angel als dumm hinzustellen, klar? Immerhin war sie nicht diejenige, die so einen blöden Spruch losgelassen hat! Wie wäre es dir denn gegangen, wenn sie dir an den Kopf geworfen hätte, dass du nichts Besonderes warst?“ „Hat sie ja!“ „Ach was?“ „Um genau zu sein, dann hatte sie mir an den Kopf geworfen, dass wahrscheinlich nichts Weiteres zwischen uns laufen wird, weil sie mit einer Pfeife wie mir nichts anfangen kann.“ Maya schluckte kaum merklich, fasste sich aber schnell wieder. „Und da fällt dir nichts Besseres ein, als es ihr mit gleicher Münze zurückzuzahlen, ja? Einfallsreich, muss ich ja sagen!“ „Aber ich darf nicht den Beleidigten spielen, was?“ „Ich glaube nicht, dass sie das wirklich ernst gemeint hat. Ich denke, sie wollte dich einfach nur trietzen.“ Joe hob die Schultern. „So was macht die?“, fragte er kleinlaut, was Maya die Augen verdrehen ließ. „Sag mal … leidest du an Hirnmassenschwund oder was? Wie lange wohnen wir jetzt schon zusammen in diesem Haus? Ein paar Monate! Und da hast du es immer noch nicht gecheckt, wie sie drauf ist?“ „Zu meiner Verteidigung! Angel ist ziemlich undurchschaubar!“ „Blödsinn, sie ist wahrscheinlich einer der durchschaubarsten Menschen auf diesem Planeten!“ „Für jemanden wie Jasper bestimmt!“ „Jetzt fang nicht schon wieder mit diesem Kinderkram an! Sie haben sich geküsst, na und? Vorrübergehende Verwirrungen hat jeder mal!“ „Du auch?“, fragte Joe mit einem gefährlichen Grinsen auf den Lippen. Maya hob abwehrend die Hände. „Vergiss es! Solche Nummern brauchst du gar nicht erst durchziehen! Wenn du die Sache wirklich aus der Welt schaffen willst, dann klär das mit ihr, aber lass mich aus dem Spiel! Dadurch würdest du alles nur noch schlimmer machen! Außerdem … würde Edward dich ohne mit der Wimper zu zucken umbringen!“ „Dazu wäre mein Brüderchen nicht in der Lage.“ „Sag das nicht!“ „Glaub mir, Schätzchen! Ich kenne meinen Bruder.“ „Aber mich offensichtlich nicht.“, erklang Jaspers drohende Stimme. Joe versteifte sich augenblicklich und blickte geringschätzig über seine Schulter hinweg auf den blonden Vampir, der mit funkelnden Augen im Flur stand. „Wenn du Angel auch nur in irgendeiner Art und Weise weh tun solltest, erlebst du das nächste Jahrzehnt nicht mehr! Haben wir uns verstanden?“ Joe hob die Brauen. „Das sagst ausgerechnet du? Machst mir deiner Nichte rum, obwohl du selbst bereits vergeben bist! Findest du das anständig?“ „Das Thema ist durch, Joe! Hör auf, die alten Kamellen auszugraben!“ „Wie du wohl reagieren würdest, wenn ich mit Alice so herummachen würde. Könntest du dann auch so ruhig bleiben?“ „Joe, ich warne dich!“ „Wovor denn? Vor dir? Du kannst Angel nicht in Watte packen.“ „Ich kann aber verhindern, dass ihr von Innen heraus wehgetan wird. Und davor ist niemand in diesem Haus sicher.“ „Dann solltest du vielleicht bei dir anfangen, meinst du nicht auch? Muss dich ja tierisch wahnsinnig machen, dass ich der erste von uns beiden war, der sie flachgelegt hat.“ Maya war zu entsetzt von Joes Worten, um auch nur daran zu denken, Jasper aufzuhalten, der sich fauchend auf Joe stürzte. Mit der Kraft zweier Kanonenkugeln krachten sie gegen die Wand und schlugen tiefe Löcher in den Beton. Zitternd wich Maya immer mehr zurück und blickte mit tränenden Augen auf die beiden Vampire, die sich ineinander verbissen und mit Schlägen traktierten. Zu ihrem Entsetzten bewegten sich die beiden Kämpfenden mit geschmeidigen und hastigen Bewegungen immer mehr auf sie zu, so schnell, dass sie unmöglich einen guten Zeitpunkt abpassen konnte, um aus dem Zimmer zu fliehen. Der Abstand schmolz immer mehr, bis einer von beiden – Maya konnte nicht genau sagen, wer – sie im Gesicht erwischte und im hohen Bogen durch das Fenster nach draußen beförderte. Noch im Fallen spürte sie, wie sich mehrere Glassplitter in ihren Armen verfingen, bevor sie mit einem ekelerregenden Geräusch auf dem Boden aufprallte. Keine zwei Meter von ihr entfernt landeten auch Jasper und Joe auf ihren Füßen und gingen gleich darauf wieder aufeinander los. Mühsam schaffte sie es, sich auf die Beine zu kämpfen und sich humpelnd einige Schritte von ihnen zu entfernen, ehe sie an der Außenwand des Hauses zusammensackte und immer noch zitternd auf die beiden Vampire starrte. Erst nach Stunden, so kam es ihr vor, hörte sie die federleichten Schritte von Edward und Emmett, die sich zwischen die beiden Kämpfenden stürzten und die beiden Vampire voneinander trennten. Emmett hatte Joe im Schwitzkasten, während Edward Jasper von weiteren Kampfaktivitäten abhielt. Carlisle, der sowohl Jasper als auch Joe mit einem mörderischen Blick bedachte, wandte sich sofort Maya zu, die wimmernd die Knie an die Brust gezogen hatte und wie verrückt zitterte. Sie spürte bereits, wie die Gesichtshälfte, die entweder von Joe oder Jasper in Mitleidenschaft gezogen worden war, anschwoll. „Ist schon okay, Maya! Bleib ganz ruhig.“, beruhigte Carlisle das Mädchen, das ihn mit aufgerissenen Augen anstarrte. Behutsam half er ihr auf die Beine, hob sie hoch und trug sie ins Haus. Im selben Augenblick erschien Angel auf der Bildfläche, die Carlisle verwirrt hinterher blickte und sich dann an Edward wandte. „Was ist denn hier los?“ Edward knurrte und stieß Jasper hart gegen den Hinterkopf. „Frag die beiden Hornochsen hier!“ „Joe und Jasper sind aufeinander los gegangen und wie es aussieht, ist Maya dabei irgendwie ins Schussfeld geraten und durchs Fenster geflogen.“ Angels Augen weiteten sich mit jedem Wort, das Emmett sprach, bis sie die Größe von Tennisbällen erreicht hatten. Wortlos starrte sie Joe und Jasper an, die sich noch immer mit düsteren Blicken traktierten. „Vielleicht solltest du endlich mal Klartext mit den beiden reden, denn soweit ich das mitgekriegt habe, ging es bei dem Streit um dich!“, brummte Edward und zog Jasper brutal zurück, als dieser Anstalten machte, sich aus dessen Griff zu befreien. Angel verschränkte die Arme vor der Brust. „Worauf du dich verlassen kannst. Ihr könnt sie loslassen.“ Emmett schnaubte. „Bist du sicher? Möglich, dass wir damit den dritten Weltkrieg auslösen.“ „Die benehmen sich schon, keine Sorge!“, versicherte Angel ihm kühl, die zielstrebig zwischen die beiden Raufbolde trat und darauf wartete, dass Emmett und Edward die beiden aus ihren Griffen entließ. Noch zögerten sie, doch Edward, der in Angels Gedanken lesen konnte, dass sie offenbar alles unter Kontrolle hatte, lockerte seinen Griff um Jasper und ließ ihn frei. Emmett folgte seinem Beispiel. Und tatsächlich hielten sich die beiden zurück. Knurr- und Fauchlaute zischten Angel um die Ohren, doch dabei blieb es auch. „Geht mal ruhig und kümmert euch um Maya. Das schaff ich auch allein.“ Keiner von beiden war sonderlich begeistert, Angel mit den zwei aggressiven Vampiren allein zu lassen. Andererseits war ihnen auch klar, dass selbst zwei gefährliche Vampire nichts waren im Vergleich zu einer äußerst gefährlichen und wütenden Jägerin. Und Angel kochte vor Wut. Den Blick noch immer auf Jasper und Joe gerichtet, zogen sie sich langsam ins Haus zurück, bis sie außer Sicht waren. Kaum waren Edward und Emmett verschwunden, wandte sich Angel zuerst an Joe und dann an Jasper. „Und ihr zwei kommt jetzt mit! Und wenn ihr auch nur minimale Anstalten macht, noch einmal aufeinander los zugehen, vergesse ich mich!“ Damit stapfte sie los und wie zwei bedröppelte Hunde folgten die Vampire ihr. Ohne genaues Ziel stolperte Angel durch den Wald, bis sie genug Abstand zwischen dem Haus der Cullens und sich gebracht hatte. Wütend wirbelte sie herum. „Sagt mal, sind bei euch jetzt die Sicherungen komplett durchgebrannt oder was? Was sollte dieser Zirkus vorhin? Ist euch eigentlich klar, wie albern ihr euch gerade aufgeführt habt?“ „Er hat doch angefangen!“, fauchte Joe und deutete anklagend auf Jasper, der wütend knurrte. „Hör auf, so einen Unsinn zu reden! Du warst doch derjenige, der …“ „Ruhe! Alle beide! Mir ist es vollkommen egal, wer angefangen hat und wer nicht! Tatsache ist, dass ihr gerade kurz davor ward, meine beste Freundin umzubringen!“ „So schlimm war es nun auch wieder nicht!“ Angel rang nach Beherrschung. Ihre Geduld wandelte gerade auf einem sehr schmalen Grad und im Moment schwankte sie stark in Richtung Ausraster. „Joe! Du bist vielleicht ohne Probleme in der Lage, einen Fenstersturz zu überleben. Ich mit Mühe und Not eventuell auch! Aber Maya ist noch immer ein ganz normaler Mensch! Das sie sich dabei nicht sämtliche Knochen gebrochen hat, ist ein Wunder!“ „So weit wäre es nie gekommen, wenn Jasper sich nicht wie ein kompletter Irrer aufgeführt und mich angegriffen hätte! Ich hab mich nur verteidigt!“ „Deine Einstellung war zum Kotzen, nur falls du es vergessen haben solltest!“, verteidigte sich Jasper. „Tut mir leid, wenn meine Einstellung dir nicht gepasst hat, aber …“ „Würdet ihr jetzt endlich mal aufhören!“, schrie Angel. „Wenn ihr ein Problem habt, dann klärt das auf normale Art und Weise und nicht durch wilde Prügelorgien! Und wenn es dabei um mich geht, dann klärt das mit mir und lasst meine beste Freundin am Leben! Wenn ich noch einmal erleben muss, dass ihr euch im Haus um irgendetwas prügelt und sei es wegen einem bescheuerten Sitzplatz, dann mach ich kurzen Prozess!“ Joes Augen funkelten. „Reg dich nicht so künstlich auf, Angel! Maya ist ja überhaupt nichts passiert!“, fauchte er wütend und zuckte kaum merklich zusammen, als Edwards Stimme die kurz darauf herrschende Stille zerschnitt. „Sie hat ein paar angeknackste Rippen, zwei gebrochene Finger, etliche tiefe Schnitte und einen ordentlichen Schock.“ Edwards Stimme war so eiskalt, dass sie Angel einen Schauer über den Rücken jagte. Mit Genugtuung beobachtete sie, wie Edward auf Joe zuging, ihn brutal am Kragen packte und gegen den nächstbesten Baumstamm drückte. „Und jetzt hör mir mal gut zu, mein Freundchen! Ich mag ja dein Bruder sein, aber wenn du noch einmal so mit meiner Freundin umspringst, mach ich dich fertig! Ich kann es nämlich absolut nicht leiden, wenn man dem Mädchen wehtut, dass ich liebe! Da hört sogar meine Geschwisterliebe auf!“ Joe brummte. „Ist ja noch nicht einmal sicher, dass ich es war, der sie er…“ „Mir ist es so ziemlich egal, wer sie aus dem Fenster geschleudert hat! Allein schon die Tatsache, dass es überhaupt so weit gekommen ist, reicht aus! Ich wollte nur klarstellen, dass ich so etwas nicht noch einmal erleben will! Maya ist die einzige von uns allen, die körperlich am Schwächsten ist und es wäre echt nett, wenn ihr ein wenig darauf Rücksicht nehmt! Noch einmal zum Verständnis: Maya ist nicht Angel, die immerhin einiges an Schlägen aushalten kann!“ Angel grinste. Deutlicher hätte sie es nicht ausdrücken können. Als Edward sich wieder von Joe abwandte und ging, schloss sie sich ihm an. „Eddie … dafür könnte ich dich küssen.“ „Nenn mich nicht noch einmal Eddie!“ „Entschuldige!“ Schweigend gingen sie ein paar Schritte nebeneinander her, bis Edward in seine Jackentasche griff und eine Zigarette zu Tage fördert. „Carlisle hat seine Erlaubnis gegeben. Ich glaube, die kannst du nach diesem Schock gut gebrauchen.“ Angel seufzte erleichtert und zündete sie rasch an. Zwei Züge später entspannte sie sich wieder ein wenig und schlenderte jetzt lässig den Weg entlang. „Wie geht’s Maya!“ „Sie hört nicht auf zu zittern.“ „Solltest du dann nicht bei ihr sein?“ Edward lächelte schwach. „Sollte ich! Aber … ich musste erst einmal meinem Bruder ins Gewissen reden.“ „Richtig so!“, bestätigte Angel und blies eine Rauchwolke in die Luft. „Und dich wollte ich bitten, den beiden endlich einmal auf den Zahn zu fühlen. Ich kann nicht am Laufenden Band darauf achten, dass sie Maya am Leben lassen. Ich will die Zeit mit ihr sinnvoll nutzen und nicht immer …“ „Hey, reg dich nicht auf! Ich hab den beiden schon ins Gewissen geredet. Die werden sich von jetzt an beherrschen.“ „Was macht dich da so sicher?“ „Warum zweifelst du so an mir?“ Edwards Augen glühten. „Weil ich weiß, dass du dir selbst nicht ganz sicher bist! Du weißt immer noch nicht genau, was du eigentlich für Jasper empfindest … und das, obwohl du bis über beide Ohren in Joe verliebt bist! Werd dir selbst erst einmal über deine Gefühle klar, ehe du den beiden ins Gewissen redest. Sehr überzeugt sind sie nämlich noch nicht!“ Damit ging er. Angel starrte ihm geschockt hinterher. Wie war es nur möglich, dass er sie derart hatte durchschauen können? Gedankenverloren nahm sie einen weiteren Zug. Ob sie wollte oder nicht, aber Edward hatte vollkommen Recht. Hinzu kam, dass ihr die ganze Situation immer mehr ihrer Kontrolle entglitt. Auf Dauer würden Joe und Jasper keineswegs zu bändigen sein, das war ihr klar. Mit gesenkten Schultern schlurfte sie ins Haus zurück, wo Maya immer noch zitternd auf der Couch lag. „Hey! Wie geht’s dir?“, fragte sie und ließ sich behutsam neben ihr auf die Couchlehne sinken. „Bestens.“, knirschte sie und schlang die Arme um ihren Oberkörper, um das Zittern zu unterdrücken. „So siehst du auch aus!“ „Blöde Sprüche kann ich nicht brauchen, klar?“ „Hey, warum gehst du auf mich los?“ „Weil du offenbar nicht in der Lage bist, deinen Vampirkerlen mal klar zu machen, wer auf welcher Treppenstufe steht! Hättest du das längst gemacht, würde ich jetzt nicht hier liegen!“, fauchte Maya, worauf Angel keine Antwort wusste. „Ich versteh einfach nicht, warum du Joe nicht offen und ehrlich zugibst, dass du ihn magst und stattdessen immer noch so blöde Spielchen spielst! Ist doch kein Wunder, dass er und Jasper sich an die Gurgel gehen, wenn sie nicht wissen, was Sache ist!“ „Einen Augenblick mal! Noch hat Jasper noch immer Alice, klar? Dürfte ja wohl selbstverständlich sein, dass ich da niemals im Leben dazwischen funken würde! Außerdem ist er mein Onkel … warum sollte ich etwas mit meinem Onkel anfangen?“ „Sag das nicht mir! Sag es Joe, denn offenbar ist er immer noch der Meinung, dass zwischen dir und Jasper was läuft!“ Angel kniff die Augen zusammen und sprang auf. Beleidigt stürmte sie aus dem Zimmer. Edward sah Angel kurz nach und blickte dann Maya überrascht an. „Was war das denn?“ „Ein Ausbruch der bitternötig war.“, knurrte Maya, während sie den Kopf auf ihre Knie abstützte. „Nicht schlecht! Der übertrifft ja sogar meinen.“ „Du hast ihr auch schon die Leviten gelesen?“ Lächelnd setzte sich Edward neben sie und strich ihr durch das Haar. „Nur mein Ausbruch war nicht so heiß wie deiner? Schade, dass deine Rippen angeknackst sind.“ Maya hob den Kopf und lächelte frech. „Macht überhaupt nichts.“, murmelte sie und streckte sich ihm entgegen. „Meine Lippen funktionieren noch blendend. Und das, was sie verstecken, ebenso.“ Als Carlisle fünf Minuten das Zimmer betrat, lagen sich Edward und Maya noch immer in den Armen. Kapitel 22: Unheimliches Ereignis --------------------------------- „So ganz allein, Jägerin? Wo sind denn deine Blutsaugerfreunde?“ Angel erschrak so heftig, dass sie kurzerhand von dem Baumstumpf segelte, auf dem sie bis vor ein paar Sekunden noch gesessen hatte. Wütend starrte sie zu Jacob hinauf, der über ihr stand und breit lächelte. „Seit wann bist du denn so schreckhaft? So kenne ich dich gar nicht.“ Angel kniff die Augen zusammen. „Was ja nicht schwer ist, wenn man bedenkt, dass du mich erst seit ein paar Stunden kennst. Woher sollst du schon Genaueres über mich wissen?“ „Vielleicht beobachte ich dich ja.“ Angel verdrehte die Augen. „Ja ... und vielleicht besucht mich der Weihnachtsmann im Dezember ja auch persönlich. Hältst du mich echt für so bescheuert und naiv, dass ich dir das abkaufe? Ich bin nicht auf den Kopf gefallen, Jake! Ich krieg es mit, wenn man mich beobachtet und deine Visage hab ich in letzter Zeit nicht einmal als Schatten gesehen.“ Jakes Miene verfinsterte sich schlagartig. „Deine große Klappe wird dich nochmal in echte Schwierigkeiten bringen.“ „Meine Vorliebe zu Zigaretten und Sex wahrscheinlich auch. Und wie man sieht, genieße ich beides noch immer.“ „Stört es dich gar nicht, dass ich dir mit einem einzigen Schlag den Kopf abreißen könnte, wenn ich wollte?“ „Was willst du? Mich blöd zuquatschen? Keinen Friseur, dem du das antun kannst?“ Mit den Zähnen knirschend packte er sie blitzschnell am Arm und riss sie stürmisch auf die Beine. „Hör mal! Von einem Früchtchen wie dir lass ich mich garantiert nicht auf den Arm nehmen. Entweder krieg ich endlich mal den Respekt, der mir zusteht oder ...“ „Oder was? Verpetzt du mich bei meinen Vampirfreunden? Lässt du mich zur Strafe stundenlang in einer Ecke stehen? Ich hab keine Angst vor dir, falls du es noch nicht ganz mitbekommen hast. Du jagst mir ungefähr genauso viel Angst ein wie ein kleines verschrecktes Eichhörnchen. Also mach die Fliege, bevor ich wirklich sauer werde! Ich hab momentan genug Probleme, um die ich mich kümmern muss und da stört eine halbe Portion wie du so ziemlich.“ Angel hatte keine Zeit mehr zu reagieren, als Jake sie vor Wut zurückschleuderte. Mit ungeahnter Schnelligkeit krachte sie gegen den nächstbesten Baum und sank benommen auf die Knie. Ihr Rücken brannte wie Feuer und ihre Gelenke schmerzten höllisch. Wütend funkelte sie ihn an. „Unnötig, Kleiner! Echt unnötig! Und ziemlich hinterhältig, wenn ich das mal so sagen darf.“ „Ich hab dir gesagt, dass dein elendes Schandmaul dich nochmal in arge Bedrängnis bringen wird.“ „Kein Grund, gleich brutal zu werden, klar? Mit bösen Worten um sich zu schmeißen, ist eine Sache. Gleich handgreiflich zu werden eine andere.“ Jake knurrte. Seine Gesichtszüge verformten sich. Der Ansatz eines Pelzes bedeckte bereits fünfzig Prozent seines Körpers und das drohende Knurren in seiner Kehle wurde immer lauter. Angel richtete sich auf und drückte sich gegen den Baum. Die Sache würde gleich ziemlich hässlich werden, das war klar. Während Jake seine Verwandlung vollzog, huschte ihr Blick hastig nach allen Seiten auf der Suche nach etwas, mit dem sie sich wehren konnte. Ihr Blick fiel gerade rechtzeitig auf einen dicken schweren Ast, der keinen halben Meter von ihr entfernt auf dem Erdboden lag. Jake setzte bereits zum Sprung an, als sie nach dem Ast griff, ihn durch die Luft wirbelte und gegen Jakes Flanke krachen ließ, der bereits auf sie zugeflogen kam. Jaulend wurde der Wolf zur Seite und gegen einen nahegelegenen Baum geschleudert, der in der Mitte einknickte. Der riesige Wolf rappelte sich allerdings rasch wieder auf und schüttelte sich einmal kurz, bevor er wieder in Angriffsstellung ging. Geifer tropfte auf seinem Maul, während er die Zähne fletschte und mit gesträubtem Fell auf sie zuglitt. Angel umklammerte das Holz noch fester. Von dem nächsten Schlag würde er sich nicht so leicht erholen, dafür würde sie sorgen. Die Gestalt, die sich zwischen die Jägerin und den Wolf schob, als dieser zum Sprung ansetzte, war nur als verschwommener Schemen wahrzunehmen, so schnell war er. Es war auch nur ein lautes Krachen zu vernehmen, als der Werwolf gegen Jasper donnerte und zurückprallte. Angel wischte sich den Schweiß von der Stirn und sank erschöpft zu Boden. Jasper wagte es jedoch noch immer nicht, sich zu rühren. Sein Blick war hart und eiskalt und drohend auf Jacob gerichtet, der knurrend von rechts nach links lief, auf der Suche nach einem perfekten Winkel um anzugreifen. „Mach keinen Fehler, Jacob! Die Sache wird anders ausgehen, als du es dir ausmalst.“, knurrte Jasper leise, doch laut genug, um die Drohung in seiner Stimme heraushören zu lassen. Angel kroch eine Gänsehaut über den Rücken. Obwohl sie sich mit Jasper an ihrer Seite bereits um einiges sicherer fühlte, war sie noch immer unsicher, wie die Geschichte ausgehen würde. Sicher war, dass Jasper keine Angst vor dem Werwolf zu haben brauchte. Doch eben so sicher wusste sie, dass Jacob keine Angst vor Jasper hatte. Ein ewiger Kreis, der nur durch die Niederlage eines Feindes durchbrochen werden konnte. Das wütende Knurren Jakes hallte über die Lichtung und ließ Angels Nackenhaare sich sträuben. Mit einem Mal empfand sie tatsächlich so etwas wie Angst. Was, wenn sie sich dieses eine Mal komplett überschätzt hatte? „Jake, komm schon! Sei doch vernünftig!“ Das Knurren wurde lauter. „Du kannst nicht gewinnen. Und das weißt du auch.“ Zähnefletschen. „Allein magst du ja Chancen haben, aber gegen einen Vampir und eine Jägerin bist du im Nachteil, also lass es lieber!“, rief Jasper und beinah gleichzeitig fühlte Angel, wie eine Welle von Gleichgültigkeit durch den Wald floss. Benommen sank sie nach vorn und landete mit dem Gesicht voran im feuchten Moos. Jasper riskierte es und wagte einen Blick über die Schulter auf Angel. „Hoppla...“, murmelte er und wandte sich aber gleich wieder Jake zu, dessen Augen leicht benebelt wirkten. Und endlich – nach gefühlten drei Stunden – zog er sich langsam zurück. Die Ohren noch immer angelegt und die Zähne gefletscht, glitt er rückwärts durch die Büsche in den Schatten des Waldes zurück und verschwand. Jasper stieß einen leisen Seufzer aus und stützte sich kurz auf den Knien ab, ehe er sich wieder um Angel kümmerte, die auf dem Boden kauerte und die Knie fest umschlungen hatte. Wütend blinzelte sie ihn an. „Hättest du deine ach so tollen Fertigkeiten nicht auf Jacobs Umfeld begrenzen können?“, fauchte sie wütend, während sie sich den Dreck aus dem Gesicht wischte. Jasper schmunzelte. „Dass du aber auch an allem etwas zu meckern hast.“ Angel reagierte nicht, starrte stattdessen abwesend in die Ferne. „Du siehst irgendwie fertig aus.“, versuchte Jasper erneut, ein Gespräch in Gang zu setzen. „Und das wundert dich? Du prügelst dich mit Joe, bringst meine beste Freundin dabei fast um und ... Herr Gott nochmal, Jasper, du benimmst dich die ganze Zeit über wie ein kleines Kind. Sei doch mal ehrlich ... nervt dich das nicht selbst?“ „Sicher nervt es mich! Aber noch viel schlimmer finde ich es, dass du dich in den letzten Tagen komplett aus unserem Leben zurückziehst. Warum sprichst du nicht einfach mal mit Joe? Ich meine, dass dich seine Weibergeschichten nicht interessieren, ist jedem von uns im Haus klar ... nur ihm nicht! Warum machst du ihm das nicht endlich mal klar? Ich meine ... du tust doch sonst immer so superstark ... warum ziehst du dann jetzt den Kopf ein?“ „Tu ich doch überhaupt nicht!“ „Natürlich tust du das! Denn wenn du es wirklich würdest machen wollen, dann hättest du sofort nach unserer Prügelei den Mund aufgemacht!“ Wütend sprang sie auf und funkelte Jasper an. „Und seit wann spielst du hier den Seelenklempner? Du hast doch überhaupt keine Ahnung, wie ...“ „Hörst du jetzt endlich mal auf!“, fuhr er sie an, packte ihre Arme und schubste sie ein Stück zurück. Immer noch wütend tippte er sich gegen die Schläfe. „Da drinnen, Angel! Da drinnen und hier“, er tippte sich gegen die Brust, „da kann ich ganz genau fühlen, was in dir vorgeht ... und es sind weiß Gott keine angenehmen Dinge! Und ehrlich gesagt, macht es mich langsam verrückt!“ Angel kniff die Augen zusammen. „Ich denke, du bist Meister im Manipulieren! Dann mach doch was dagegen!“ Seufzend schüttelte er den Kopf. „Du verstehst es einfach nicht. Es zu unterdrücken, würde rein gar nichts bringen. Es würde alles nur noch schlimmer machen!“ „Tja, dann fürchte ich, wirst du damit leben müssen!“ Angel setzte sich in Bewegung und wollte an ihm vorbei zurück ins Haus, doch ein heftiger Schlag von Jasper ließ sie zurückstolpern. Vollkommen überrascht starrte sie ihn an, die Hand gegen die Stelle im Gesicht gepresst, die durch seinen Schlag in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Jasper sah sie mit einem Blick an, der ihr klar machte, dass er wütend auf sich selbst war. Er hatte die Beherrschung verloren. „Angel, es ... es tut mir ...“ „Spar es dir, Jasper! Okay? Lass es einfach bleiben! Das Thema ist damit beendet.“, fauchte sie und konnte nur mühsam den Tränennebel wegblinzeln, der sich bereits in ihr aufstaute. Jasper knirschte mit den Zähnen. „Angel, bitte ... ich ...“ „Ich hab gesagt, du sollst es lassen! Lass mich ... einfach in Ruhe, ja? Wenn dir die Art, wie ich meine Probleme mit Joe löse, nicht gefällt, dann schön und gut! Aber schlag mich nie wieder, hast du verstanden?“ „Du kannst aber auch gern weiter zuschlagen, wenn du darauf stehst, von mir in die Schranken gewiesen zu werden.“, erklang Joes Stimme auf der Lichtung, was Angel mit Unbehagen zur Kenntnis nahm. Jetzt würde die Sache wirklich böse werden. Besonders, wenn Joe Jaspers Schlagaktion mitbekommen hatte. Übelkeit stieg in ihr auf und der Drang, auf irgendeine Weise unsichtbar zu werden, wurde immer mächtiger. Jaspers Augen schimmerten gefährlich, als Joe auf die Lichtung trat und zwischen ihm und Angel stehen blieb. Angel biss sich auf die Unterlippe. Selbst von hinten konnte sie erkennen, wie sehr Joe mit sich haderte. Seine Muskeln bebten vor Anspannung. „Ich weiß gar nicht, was du dich hier eigentlich einmischst. Es mag vielleicht zum Teil auch um dich gehen. Das gibt dir aber noch lange nicht das Recht, dich einfach in unser Gespräch einzumischen.“ „Genauso wenig wie du das Recht hast, Angel zu schlagen!“, fauchte Joe laut, was das drohende Knurren in seiner Kehle allerdings nicht zu übertönen vermochte. „Was für dich wie Schlagen aussah, war in Wirklichkeit nur eine kleine Meinungsverschiedenheit! Sie ist eine Jägerin, Joe! Auch wenn es wie ein Schlag wirkte, war es im Grunde nichts weiter als eine sanfte Ohrfeige für sie.“ Angel riss überrascht die Augen auf. So sah Jasper die Sache also. „Wie bitte? Sanfte Ohrfeige? Warum stehst du nicht dazu und gibst zu, dass es ein richtiger Schlag war? Unter Ohrfeigen stelle ich mir nämlich was ganz anderes vor!“ Joe grinste. „Sie scheint offenbar doch nicht so hörig zu sein, wie du glaubst, was?“ „Das sagst ausgerechnet du? Nur zur Information, mein lieber Joe...“, Jasper verschränkte die Arme vor der Brust und trat auf seinen Rivalen zu, so nah, dass nur noch wenige Millimeter die beiden Kontrahenten trennten. Obwohl Joe ein kleines Stück größer war als Jasper, wirkte er in diesem Moment in sich zusammengesunken, als würde er sich vor Jasper ducken. Angel schnappte panisch nach Luft. Was hier gerade geschah, ging über die Grenzen des Normalen hinaus. Sie hatte mit beiden versucht zu reden. Sie wollte mit Joe sprechen. Doch die Tatsache, dass sie die ganze Zeit über nicht in der Lage war, ehrlich zu sein, schien jetzt seinen Tribut zu zollen. Joe und Jasper standen genau auf der Schwelle zwischen Angriff und Rückzug. Und sie hatte das ungute Gefühl, dass sich das Gewicht der beiden immer mehr auf den Angriff verlagerte. Sie musste etwas unternehmen, sofern sie nicht wollte, dass der Tag mit dem Tod einer der beiden endete. Mühsam versuchte sie, irgendein Wort herauszubringen. Doch die Panik, die sie umschloss, schnürte ihr förmlich die Kehle ab und verhinderte, dass sie auch nur ein leichtes Krächzen von sich geben konnte. Die Luft um sie herum begann zu flimmern. Eine unerträgliche Hitze erfasste von ihr Besitz, die kurz darauf von eisiger Kälte abgelöst wurde. Ihre Knie schlotterten wie verrückt und drohten nachzugeben. „... ich an deiner Stelle, Joe! Ich würde mal ganz ruhig sein. Auch wenn du der Meinung bist, dass du der unwiderstehlichste Kerl auf diesem Planeten bist ... was ich mal arg bezweifeln möchte; auch wenn du glaubst, dass du Welpenschutz genießt, weil du Edwards Bruder bist... bei mir beißt du auf Granit. Aus der Liste der gefährdeten Tierarten, die ich heimlich führe, kommst du erst heraus, wenn ich wirklich das Gefühl habe, dass keine Bedrohung mehr von dir ausgeht.“ „Ich stehe auf der Liste der gefährdeten Tierarten? Müsste ich nicht eigentlich unter „Mordsgefährlich“ aufgelistet sein?“ Jaspers Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Du bist gefährdet, weil ich dich in jeder noch so kleinen Sekunde im Auge behalte ... und weil du kurz davor bist, von mir in Stücke gerissen zu werden!“ Angels Panik nahm Überhand. Keuchend ging sie in die Knie, was die Vampire nicht bemerkten. Noch immer taxierten sie sich mit ihren Blicken. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Kampf ausbrach. Hastig rappelte sie sich auf. Der Schweiß lief ihr über die Stirn, als sie auf die beiden zulief. Sie hatte noch nicht die geringste Ahnung, wie sie die beiden aufhalten sollte, doch eines war klar. Sie musste eine Auseinandersetzung verhindern. Angel stieß Jasper in dem Moment zurück, als Joe ausholte. Von ihrem Manöver vollkommen überrumpelt, konnte Joe seinen Schlag nicht mehr stoppen, so dass seine Handkante Angels Hinterkopf traf. Das Mädchen wurde zu Boden geschleudert und ein hässliches, lautes und übelkeiterregendes Knacken schallte durch den Wald. Dann herrschte Stille. Es war eine Stille, die deutlich machte, dass in den letzten Sekunden etwas Schreckliches geschehen war, etwas Ungeheuerliches. Die Tiere des Waldes waren verstummt ... schwiegen in Anbetracht der Tatsache, dass in ihrem Wald etwas Furchtbares von Statten gegangen war. Jasper, der durch Angel zu Boden geschleudert worden war, starrte geschockt auf das Mädchen, das bäuchlings und ohne jede Regung auf dem Boden lag. Der Kopf war zur Seite gewandt und ihre Augen blickten leer und ohne jeden Glanz in seine Richtung. Zitternd stand er auf, den Blick noch immer auf Angel gerichtet. Auch Joe stand wie gelähmt da. Sein Blick war auf seine Hand gerichtet, die das Unglück vollzogen hatte. Wütend ballte er sie zur Faust und ging neben Angel in die Knie. Unsicher schwebten seine Hände über ihren Schultern ... zitternd. Er wagte es nicht, sie anzufassen, doch er konnte sie auch nicht so liegen lassen. Jasper geriet in sein Blickfeld. Er hatte sich ihm gegenüber niedergelassen und blickte vollkommen apathisch auf seine Nichte, deren Haar stumpf über ihre Wange fiel und einen Teil ihres Gesichtes verbarg. „Was hast du getan?“, flüsterte Jasper heiser und blickte Joe funkelnd an. Joe schüttelte zittrig den Kopf. „Das hab ich nicht gewollt.“ „Was hast du getan!“ Jasper schrie fast. Joe sprang auf und wich zurück. „Ich wollte nicht...“ „Du hast sie umgebracht!“ Jasper sprang so hastig auf, dass ihn sein eigener Schwung zunächst zurückwarf, ehe er sich auf Joe zu stürzen versuchte. „Jasper, warte! Das war keine Absicht! Ich ...“ „Du bist so ein gottverdammter Idiot! Du hast Angel auf dem Gewissen, ist dir das eigentlich klar? Nach den Eltern jetzt auch die Tochter! Hast du dein Ziel endlich erreicht, ja? Was gibt’s denn als Belohnung? Den Thron als Anführer der Erlöser?“, schrie Jasper aufgebracht. Seine Augen leuchteten in einem feurigen rot und fixierten Joe mit unergründlichem Hass. Zum ersten Mal spürte Joe so etwas wie Angst und Unsicherheit. Taumelnd wankte er zurück, immer darauf bedacht, genügend Abstand zu Jasper zu haben, dessen Wut förmlich zu spüren war. Der Vampir kauerte sich nieder, nahm Joe ins Visier. Kaum zu bändigende Mordlust stand in seinem Gesicht geschrieben und mit der zwanzigfachen Geschwindigkeit eines ICE schoss er auf Joe zu. Es dauerte keine zehn Sekunden, bevor ein schreckliches metallisches Reißen durch den Wald hallte und das Tiervolk ein weiteres Mal verstummen ließ. Zur selben Zeit richteten sich drei Personen im Hause der Cullens in drei unterschiedlichen Zimmern und doch zeitgleich panisch auf und blickten keuchend aus dem Fenster. Die Nacht hatte sich leise über das Haus der Cullens gelegt und ein sanfter Hauch von Kälte glitt durch die geöffneten Fenster in ihre Zimmer. Wie von unsichtbaren Fäden gehalten, stiegen alle drei, unabhängig von einander, aus ihren Betten und steuerten die Fenster an. Und während sich ihre Atmung und bei einer von ihnen sogar der Herzschlag wieder halbwegs normalisierte, wurde allen dreien - Angel, Jasper und Joe - klar, dass der Traum ein Zeichen war – ein Zeichen dafür, was passieren würde, sollte ihre Fehde noch länger andauern. Jasper lehnte den Kopf gegen den Fensterrahmen. „Sprich endlich mit ihm, Angel.“; flüsterte er leise gen Himmel. Joe legte den Kopf in den Nacken und schluckte die Tränen hinunter. „Sag mir endlich die Wahrheit.“ Und Angel rieb sich zitternd die Arme in der Hoffnung, etwas Wärme durch ihre erkalteten Glieder schicken zu können. „Ob ich nun will oder nicht ... aber da muss ich jetzt wohl durch...“ Fünf Minuten später glitten alle drei wieder in ihre Betten, dem nächsten Tag entgegenfiebernd. Kapitel 23: Angel braucht Hilfe ------------------------------- Carlisle runzelte überrascht die Stirn, als Angel die Küche betrat. „Deine Hautfarbe hat auch schon mal gesünder ausgesehen.“ Angel lächelte schwach. „Und meine Träume waren auch schon mal angenehmer.“ „Schlecht geschlafen?“ „Ach überhaupt nicht.“ „Also doch.“ Genervt blickte sie ihn über den Tresen hinweg an. „Soll das jetzt ein Verhör werden?“ „Kommt es dir denn wie ein Verhör vor?“ „Doc! Ich hab heute Nacht ziemlich beschissen geschlafen, hatte einen äußerst üblen Traum und fühl mich im Moment, als hätte jemand seinen neuen Traktor an mir ausprobiert. Stellen Sie mich heute nicht auf die Probe, ja?“ Carlisle antwortete nicht. Stattdessen beobachtete er sie, wie sie mit hängenden Schultern vor dem Tresen stand. Ihre gesamte Erscheinung wirkte in sich zusammengesunken. „Bist du sicher, dass du nicht darüber reden willst? Die paar Schlucke Wasser, die aus dem Wasserhahn fließen, wirken munterer als du.“ „Wahrscheinlich wirkt sogar eine Schnecke flotter neben mir.“ Carlisle betrachtete sie noch einen Moment, griff dann nach der Kaffeekanne und goss dampfenden Kaffee in eine Tasse, die er ihr schließlich entgegenhielt. „Komm schon! Ein Schluck Kaffee und dann raus mit der Sprache.“ Angel verdrehte die Augen, nahm aber das Angebot an und trank hastig zwei Schlucke. Beinah sofort merkte sie, wie die Lebensgeister in ihre Glieder zurückkehrten. Dankbar ließ sie sich auf einen Stuhl neben dem Tresen nieder und drehte den Kaffeebecher in ihren Händen von rechts nach links. „Hast du schon mal so richtig schlecht geträumt? So schlecht, dass du ... dass du das Gefühl hast, du bist nach dem Aufwachen plötzlich jemand ganz anderes?“, fragte sie schließlich, was den Arzt die Stirn runzeln ließ. „Dich muss der Traum ja ganz schön aus dem Ruder gerissen haben, wenn du mir so eine Frage stellst. Was ist los?“ „Hast du oder hast du nicht?“ Dr. Cullen beobachtete Angel einen Moment lang forschend, ehe er aus dem Fenster sah. „Zählt das Gefühl nach dem Erwachen aus dem Todesschlaf auch?“ Schlagartig biss sich Angel auf die Unterlippe. „Entschuldige, das ... war ein Schlag unter die Gürtellinie. Ich wollte nicht ...“ „Vollkommen in Ordnung! Ich mach dir doch keinen Vorwurf. Aber warum fragst du so etwas?“ Gähnend ließ sie den Kopf in den Nacken fallen und starrte zur Decke. „Vielleicht ... hatte ich heute Nacht so eine Art Offenbarung.“ „Bezüglich Joe?“ Vor Schreck kippte sie fast mit dem Stuhl um. „Wie bitte?“ Carlisle zuckte mit den Schultern. „Das wäre das einzig Logische, was mir momentan einfällt. Du machst dir Gedanken um dich und Joe, stimmt‘s?“ Angel blickte zerknirscht drein. „Zum Mäusemelken ist das. Ich muss mir echt noch mehr Probleme zulegen, damit die Auswahl ein bisschen größer ist.“ „Joe, dein Techtelmechtel neulich mit Jasper und Die Erlöser reichen dir noch nicht als Probleme?“ „A, B oder C als Antwort, na toll, Standard. Ich möchte lieber mal, dass es heißt: Entscheiden Sie sich für A, B, C, D, E, F, G, H...“ „Schon gut, schon gut! Entschuldige, dass ich gefragt habe. Aber wenn du eine solche Auswahl möchtest, hast du noch eine Menge Arbeit vor die, um entsprechend viele Probleme zu schaffen.“ „Nicht nötig, ich bräuchte nur nach Italien zu reisen, dann erledigt sich das ganz von selbst.“ Carlisle schmunzelte. „Eine Offenbarung also bezüglich Joe? Welcher Art denn genau?“ Angel drehte den Kaffeebecher in ihren Händen. Ihrem Gesicht war anzusehen, dass sie innerlich einen Kampf focht. Sollte sie es ihm sagen? Oder sollte sie es doch lieber bleiben lassen? Angel wusste, dass Dr. Cullen ein Vampir war, dem das Wohl der Wesen um ihn herum sehr wichtig war. Daher konnte sie sich ohne Probleme ausmalen, was er davon halten würde, wenn sie ihm die Wahrheit über ihren Traum berichten würde. Carlisle bemerkte ihren Sinneswandel, bevor sie auch nur ein Wort gesprochen hatte. „Du musst es mir nicht sagen. Tu ganz das, was dir als bester Weg erscheint. Aber tu nichts, wozu du dich nur gezwungen fühlst.“ Für einen Moment lang sah sie ihn unschlüssig an, bis sie schließlich nickte. „Trotzdem danke fürs Zuhören.“ Sie warf noch einmal einen kurzen Blick auf ihren Kaffee, nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. „Wer hat denn den Kaffee gemacht?“ „Ich.“ Angel runzelte die Stirn. „Ich mag dich, Carlisle! Deswegen werd ich dir nicht die Wahrheit sagen.“, grinste sie und steuerte die Tür an. „Du elender Frechdachs.“, murmelte der Vampir, was Angel noch einmal stoppen ließ. Lächelnd wandte sie sich um und zwinkerte, bevor sie schließlich die Küche verließ... .... und prompt mit Maya zusammenstieß. Nur mit Mühe und Not schafften sie es, einen Sturz die Treppe hinab zu vermeiden. „Himmel nochmal! Angel! Pass doch auf!“ Angel hob die Hände. „Entschuldige! Böse Absichten waren in keinster Weise vorhanden, ich schwöre.“ Maya verdrehte die Augen. „In welchem Land warst du denn versunken, dass du so verträumt durch die Gegend wandelst?“ „Gar nicht! Ich ... ich ... ach keine Ahnung.“ Maya schnalzte mit der Zunge, ehe sie die Hände in die Hüften stemmte. „Was ist los?“ „Schlecht ... geträumt, das ist alles.“ „Das muss aber ein echt beschissener Traum gewesen sein, wenn du so drauf bist. Aussehen tust du nämlich auch, als ob dich jemand schon einmal durchgekaut hat.“ Angel schnaubte. „Danke, das hat mich jetzt aufgebaut.“ „Ja, soll ich dir lieber was vorlügen?“ „Nein, aber ... kannst du keine Wattebäuschchen unter die Wörter packen, wenn du mir sowas sagst?“ Maya kicherte. „Und vielleicht noch ein paar Zuckerstangen dabei verteilen?“ Angel breitete die Arme aus. „Siehst du, du weißt doch, was du zu tun hast. Dass man dich aber auch immer nochmal daran erinnern muss!“ Maya lehnte sich gegen das Geländer. „Was hast du denn geträumt?“ Angel setzte zu einer Antwort an, schaute dann aber kurz über die Schulter hinweg zur Küche, wo Carlisle noch weilte und schüttelte dann den Kopf. „Nicht hier.“ „Wie du meinst.“ Ohne Protest folgte sie Angel in ihr Zimmer und warf sich schwungvoll auf das Bett. „Und jetzt raus mit der Sprache.“ Statt zu antworten, ging Angel zum Fenster hinüber und schaute hinaus in die Ferne. Ein Zittern durchlief ihren Körper und ein Hauch von Panik überschattete ihr Gesicht. Mayas Augenbrauen zogen sich zusammen. „Angel, was ist? Du hast doch was.“ „Ka ... kannst du dich noch an unsere gemeinsame Vision erinnern?“ Angels Freundin verzog das Gesicht. „Sicher! Leider viel zu deutlich. Träume oder Visionen, in denen man seinen eigenen Tod sieht, vergisst man nicht so schnell.“ „Wie wahr.“ „Warum fragst du?“ Angel blickte Maya an. Unsicherheit lag in ihrem Blick. „Weil ich genau das geträumt habe. Mit mir in der Hauptrolle.“ Maya verschränkte die Arme vor der Brust. „Und? Bist du verbrannt? Von der Brücke gefallen? Ertrunken?“, fragte sie zerknirscht. „Warum bist du denn so ...“ „Das geht nicht gegen dich, Angel! Aber ... ich hasse solche Träume, deswegen bin ich grad ein wenig ...“ „Na solange es nur deswegen ist.“ „Und? Wie bist du nun gestorben? Ein Traum, den man gern auf Ewig in Erinnerung behalten möchte oder?“ Angel reagierte nicht, starrte Maya stattdessen nur abwesend an. „Angel, hallo! Was ist? Willst du darüber reden oder nicht?“ „Es war Joe.“, flüsterte sie mit heiserer Stimme. „Wie war das?“ „Joe ... hat mich umgebracht.“ Maya zuckte zusammen. Die Panik, die Angels Stimme beherrschte, machte ihr Angst. Noch nie hatte Angel dermaßen panisch reagiert. Angst und Panik kannte sie eigentlich nicht. Und doch schien sie der Traum mehr zu belasten, als sie bislang geglaubt hatte. Das Zittern, das ihren gesamten Körper beherrschte, die Angst in ihren Augen, die Panik in der Stimme... Regungen, die Maya beunruhigten. „Bist du wirklich in Ordnung?“ Angel nickte, obwohl ihre Körpersprache etwas ganz Anderes aussagte. „Ja ... m... mir geht’s gut.“ „Angel, es war nur ein Traum! Du lebst doch schließlich noch oder?“ „Aber ... es war so real.“ „Und doch war es nur ein Traum. Das bedeutet doch nicht, dass er auch wahr werden wird.“ „Aber was wenn doch?“ „Das würde Joe niemals tun und das weißt du auch!“ „Sicher! Absichtlich würde er es nicht tun. Aber er hat es ja auch nicht mit Absicht getan. Es ... war ein Unfall. Er hatte sich mit Jasper gestritten ... und als sie aufeinander losgehen wollten, bin ich dazwischen gegangen und statt Jasper hat Joe mit erwischt und ich ...“ Überrascht bemerkte Maya, dass Tränen in Angels Augen glitzerten. Rasch sprang sie auf und nahm ihre Freundin in die Arme. „Hey ... ist doch gut, Süße! Das war nur ein Traum.“ „Aber ... was wenn er real wird?“ „Das wird er nicht.“ „Vielleicht nicht haargenau auf diese Weise, aber es kann doch ein Zeichen sein, was passieren könnte oder würde! Vielleicht geschieht es ja nur auf eine andere Art.“ Mayas Augen blitzten. „Das wird es nicht, Angel!“ Angel wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Das würde Joe nicht tun, oder? Er hat doch ... ich meine ... es ist doch so, dass er mich mag oder?“ Maya dämmerte schlagartig, was Angels wirkliches Problem war. Sie hatte keine Angst vor ihrem Tod ... ihr machte die Tatsache Angst, dass Joe derjenige sein könnte, welcher ihren Tod verursachen würde. Schmunzelnd ließ sie sich auf das Bett sinken. „Du bist ein ganz schönes Dummerchen, Angel! Du hast gesagt, im Traum haben sich die beiden gestritten. Gut, wenn du nicht willst, dass es passiert, dann klär die ganze Angelegenheit auf. Sag Joe, was du für ihn empfindest. Dann hört er auf, Jasper als einen möglichen Liebhaber und somit Konkurrenten zu sehen und er weiß, dass er der einzige für dich ist.“ Angels Augen erreichten Rekordgröße. „Ich soll ihm sagen, dass ich ihn gern hab?“ „Was ist denn das Problem an der Sache? Du gehst hin, sagst Joe, ich mag dich. Gibst ihm am besten noch einen dicken Kuss und die Sache ist gegessen.“ Angel kniff die Augen zusammen. „Sag mal, hörst du eigentlich auch, was du da redest oder ist nur so ein lautes Summen in deinen Ohren?“ „Was ist denn dein Problem? Als ob das so schwer ist.“ „Ich kann so etwas einfach nicht.“ „Ach nicht doch, Angel! Du reißt Türen aus den Angeln, du zerdepperst Metalltische, du jagst Vampire ... aber du hast Angst davor, einem Kerl zu sagen, dass du ihn magst, wenn nicht sogar liebst?“ Angel zuckte mit den Schultern. „Knochenbrüche sind da angenehmer.“ „Du spinnst doch echt! Als ob Joe dir den Kopf abrei... ok blödes Beispiel! Aber eines ist klar! Solange du Joe nicht klar gemacht hast, dass er auf deiner Liste an erster Stelle steht, wird der Streit zwischen ihm und Jasper andauern. Du musst es ihm sagen, sonst knallt es wirklich irgendwann. Und die Feuerstellen schwelen jetzt schon, der Brand ist also nicht mehr weit entfernt. Wenn du nicht bald anfängst, Feuerwehrfrau zu spielen...“ Angel seufzte. „Kannst du es ihm nicht sagen?“ Maya hob die Augenbrauen. „Ich soll Joe sagen ... wir sind doch nicht mehr im Kindergarten, Angel!“ „Natürlich nicht, aber ... wie macht man sowas ...“ „Junge, Junge ... ich fürchte, du hast dich zu viel um die Vampire und zu wenig um die Männer gekümmert.“ „War doch eine gute Vorbereitung. Joe ist ja schließlich ein Vampir!“ „Verdreh nicht meine Worte! Du weißt ganz genau, wie ich das meine!“ Angel seufzte erneut. „Na schön! Ich sehe zu, was ich machen kann. Gott, mir wird schon beim Gedanken daran schlecht.“ Maya grinste und klopfte Angel auf den Rücken. „Positiv denken, Angel! Alles wird gut!“ „Ja ... ganz ... bestimmt.“ Angel blickte Maya fest in die Augen. „Er mag mich doch wirklich, oder? Es ... ist doch nicht, dass ich ... für ihn nur eine schnelle Nummer bin, nicht wahr?“ Maya lächelte. „Dann würde er keinen Kleinkrieg gegen Jasper führen und so eifersüchtig sein.“ Angel nickte. „Richtig.“ Mit wirren Gedanken und schwirrendem Kopf griff sie nach ihrer Jacke und verließ das Zimmer. Was sie jetzt brauchte, war Ruhe. Und der Wald war dafür am besten geeignet. „Joe, ich mag dich.“ „Joe, ich find dich super nett.“ „Ich finde dich ganz toll.“ „Joe ... du bist einfach richtig süß.“ Frustriert schleuderte sie den dicken Ast zur Seite. „Verdammt nochmal! Es kann doch nicht so schwer sein, jemandem zu sagen, dass man ihn gern hat.“, knurrte sie und fuhr sich aufgeregt durch das Haar. „Vielleicht ...“ Angel blieb stehen. „Ja, vielleicht ... Wollen wir zusammen sein? Ich find dich nämlich super ...“, beinah sofort schüttelte sie den Kopf. „Fehlen noch die Ringelzöpfe und ein paar Lollys und ich könnte mich ohne Probleme in den Kindergarten einweisen lassen.“, brummte sie. „Wie wäre es denn einfach mal mit improvisieren, wenn du direkt vor ihm stehst?“, vernahm sie Emmetts Stimme von der Seite. Geschockt sah sie ihn an. „Hörst du schon lange zu?“, fragte sie mit panischer Stimme. Emmett schüttelte grinsend den Kopf. „Nein.“ „Gott sei Dank!“, seufzte sie erleichtert. „Erst seit ... Joe, ich finde dich super nett.“ „Und wenn du das jemandem erzählst ...“ „... sind Schmerzen für mich nichts Unbekanntes mehr, richtig?“ „Als Schmerz wirst du das nicht mehr definieren, das versprech ich dir.“ „Aber, aber ... du wirst doch deinem Onkel keine Schmerzen zufügen wollen oder?“ „Aber, aber ... du wirst doch deine Nichte nicht in eine peinliche Situation bringen wollen oder?“ Emmett zuckte grinsend mit den Schultern. „Verlockend wäre es schon.“ „Siehst du? Ich wusste, dass wir uns verstehen.“ Minuten des Schweigens folgten, während sie langsam nebeneinander den Waldweg entlang schlenderten. „Du hast Probleme damit, Joe zu sagen, dass du ihn gern hast?“ „Tja ... das wird einmal auf meinem Grabstein stehen: Sie jagte Vampire, sie nahm Metalltische auseinander, sie riss Türen aus den Angeln – aber sie war eine Niete, wenn’s um’s Kleingedruckte bei den Männern ging.“ Emmett hob die Augenbrauen. „Das sollte dann aber ein großer Grabstein sein.“ „Und vergoldet, nicht vergessen!“ „Dann lass es gleich in pures Gold eingravieren. Das hält dann wirklich für die Ewigkeit.“ „Emmett, wie sagst du Rosalie, dass du sie gern hast?“, fragte sie verzweifelt und breitete hilflos die Arme aus. „Ich .... kann so etwas einfach nicht. Ich bin für so etwas nicht geschaffen. Ich ... bin für’s Grobe geschaffen, nicht für Feinheiten.“ Emmett ging in die Hocke, zupfte eine Blume von ihrem Stängel und betrachtete sie eingehend. „Wenn ich dir heute eine Gitarre geben und dich bitten würde, darauf zu spielen...“ „Dafür hätte ich kein Talent. Und ich hätte auch gar keine Ahnung, wie das geht.“ „Das ist richtig. Aber dass bedeutet noch lange nicht, dass du nicht die Fähigkeit hast, auf der Gitarre zu spielen. Ob du das Talent dazu hast, es wirklich gut zu machen, spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass du die Fähigkeit dazu hättest, sie überhaupt zu spielen. Alles Andere sind Feinheiten, die du durch Übung ausbauen kannst. Es gibt nichts, was ein Mensch wirklich nicht kann. Wenn er will, kann er es. Und genauso liegt es bei dir. Vielleicht bist du nicht gut darin, vielleicht hast du auch kein Talent dazu, jemandem deine Gefühle zu offenbaren. Aber du hast die Fähigkeit, es zu tun. Und da solltest du dir selbst niemals etwas Anders einreden. Du kannst es, Angel! Aber du musst es auch wollen!“ Nachdenklich blickte Angel auf Emmett hinab. Sein Blick war ernst und doch sanft. Zum ersten Mal seit sie ihn kannte, hatte sie nicht einmal ansatzweise das Bedürfnis, mit ihm zu streiten. Zum ersten Mal wollte sie einfach nur, dass er ihr zuhörte, dass er ihr half. Und sie musste feststellen, dass ihr diese Seite an ihm weitaus besser gefiel. Emmett erhob sich wieder und ging auf sie zu, die Blume noch immer in der Hand. „Allerdings ... gibt es eine Menge Dinge, die man nicht planen kann. Und jemandem zu sagen, dass man ihn gern hat, gehört dazu. Selbst wenn du dir jetzt zu Recht legst, was du ihm sagen willst, es wird sowieso anders kommen. Lass es auf dich zukommen.“ Schmunzelnd hielt er ihr die Blume entgegen, die sie schweigend annahm und unschlüssig betrachtete. „Wenn du vor ihm stehst, Angel ... dann weißt du schon, was du sagen musst.“ Angel hob den Blick und sah Emmett dankbar an. Noch immer war sie unsicher, doch die Angst war verschwunden. Ohne ein Wort zu sagen, fiel sie ihm um den Hals. Emmett grinste breit und drückte sie an sich. Doch es vergingen nur wenige Sekunde, ehe er – immer noch grinsend – murmelte. „Hast du eigentlich gewusst, dass es noch nie vorgekommen ist, dass eine Nichte älter wurde als ihr Onkel?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)