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Alabasta no Suna Oasis

アラバスタの砂·オアシス
von

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Sunny

Sunny.
 

So hatte Kebi es genannt, da sie seinen wahren Namen nicht kannten.

Ein kleines Mädchen unter einem braunen Schopf, dessen wiesengrüne Augen überrascht aus dem Schatten eines zerfallenen Hauses lugten. Blass, in einem glaukblauen Pyjama, saß es mutterseelenallein in dieser toten Siedlung, die mittlerweile ebenfalls zum Opfer der großen Dürrekatastrophe geworden war.
 

Die Rebellen waren von ihrem derzeitigen Hauptquartier hergekommen, um sich ein Bild von der Verwüstung zu machen und gegebenenfalls Brauchbares aufzulesen, das die ehemaligen Bewohner in ihrer Hast zurückgelassen hatten.

Kebi bemerkte es als Erster. Nach anfänglichem Erstaunen, welches sich in einem langen, starren Erwidern des grünen Blickes aus dem Schatten äußerte, rief er Corsa heran, der sich in der Nähe mit Erik über ein paar Werkzeuge für die Feldbestellung gekniet hatte: „Leader, komm mal her und sieh dir das an! Du wirst es mir sonst nicht glauben!“

Der sandblonde Rebellenanführer, von Gewissen "Leader" genannt, trat mit gemächlichen Schritten näher an den Grund für Kebis Aufregung und warf mit seinem langen Mantel einen Schatten auf die kleine Gestalt, der tiefer und bedrohlicher war als jener der schützenden Ruine. Dort, wo sie seine Augen zu erkennen suchte, machte eine violett gefärbte Brille ihn ihr nur noch unheimlicher. Quer über seinen Rücken ruhte ein beeindruckendes Schwert, wie sie ein solches noch nie gesehen hatte. Ungeachtet des ariden Klimas wurde ihr kalt.

„Wo sind deine Eltern?“, sprach er in einem Ton, als hätte seine Stimme Wärme und Zuneigung niemals kennengelernt.

Sie war nicht in der Lage, eine Antwort zu geben.

„Ich sag’ mal Okame Bescheid, die soll sich um sie kümmern“, teilte der andere ihm mit.

„Tu das, und sucht nach weiteren Überlebenden. Vielleicht sind ihre Eltern in der Nähe.“

„Dann hätten sie sich doch längst gezeigt! Sie konnten nicht wissen, dass wir Rebellen sind.“

„Aber sie könnten unsere Waffen gesehen haben“, hielt ihm der Blonde vor Augen, ohne die finsteren Gläser von ihr abzuwenden.

„Nein.“

Nun starrte auch der mit der Fliegerbrille sie wieder an. Und zwar so, als hätte er eine Sandora-Echse "Guten Tag, mein werter Herr" sagen hören.

„Sie sind nicht hier?“, fragte Corsa mit einer Spur von Verwunderung nach. „Wo dann?“

„Weg“, antwortete das Mädchen.

„Wo ist "weg"?“, hakte Kebi nach.

„…Nanohana“, sagte es schlicht.

Nanohana, die Hafenstadt im Süden Alabastas. Ihre günstige Lage am Meer verschonte sie bisher von dem Unglück, das fast das gesamte Königreich heimsuchte.

Kebi plusterte die Wangen auf. „Das ist wirklich "weg". Weit weg.“

„Wir nehmen sie erst mal mit“, beschloss Corsa. „Dann sehen wir weiter.“

Das Kind fixierte ihn schockiert, öffnete den Mund, schaffte es jedoch nicht, seinen Widerwillen in Worte zu wandeln, denn kaum dass Kebi es umfasste, übermannte es die Erschöpfung und eine sanfte Ohnmacht.
 

Die Nacht spannte ihr tintenblaues Zelt über den Wüstenstaat und verscheuchte allmählich die Hitze des Tages, als Corsa sich von den anderen absetzte, die um ein großes Lagerfeuer hockend versuchten, die unerbittliche Kälte noch eine Weile auf Abstand zu halten. Trübsal und Ratlosigkeit beherrschten die Gedanken derer, die ihm vertrauten, und niemand hier sprach ein einziges Wort. Über einen Haufen Schutt hinweg erreichte er das Innere jener Hütte, in der sie die Kleine untergebracht hatten. Als er im Dämmerlicht einer Lampe Okames skeptischen Blick registrierte, wusste er nicht mehr, ob er wo hatte ankommen wollen oder vor etwas geflüchtet war. „Wie geht es ihr?“

„Unverändert“, berichtete sie ihm ernst. „Sieh sie dir an: Sie hat kaum Farbe und holt schwer Luft. Das warme Wasser, das wir haben, kann sie nicht kühlen. Ich brauch’ kein großes medizinisches Fachwissen, um zu sehen, dass sie dem Tod näher ist als dem Leben. Keine Ahnung, ob sie’s schaffen wird.“

Er nickte. „Geh zu den anderen und wärme dich am Feuer auf. Ich bleibe bei ihr.“

Sie setzte sich in Bewegung, doch neben ihm blieb sie stehen. Ohne einander anzuschauen, legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. „Gib dir nicht die Schuld. Dein Entschluss hat die Rebellion nicht begonnen. Er hat sie organisiert und ihr ein gemeinsames Ziel gegeben. Du machst das Beste aus einer Scheißsituation. Wir vertrauen nach wie vor auf dich, aber wir erwarten nichts von dir, was wir selbst nicht können.“

„Danke“, erwiderte er trocken.

Nachdem Okame das Zimmer verlassen hatte, tauchte der Yubaner den Lappen in die Wasserschüssel. Die Feuchtigkeit auf ihrer Stirn ließ die Kleine stöhnen, den Kopf hin- und herbewegen. Ein heiseres „Mama“ glitt über ihre Lippen, und er schämte sich dafür, der Einzige zu sein, der bei ihr war und ihr seine Hand anbieten konnte. Als sich seine behandschuhten Finger zögernd um die ihren geschlossen hatten, öffnete sie die Augen. Der Ausdruck der Enttäuschung in selbigen, da sie ihn erkannte, traf ihn. Er verspürte den Drang, den Blick abzuwenden, was für jemanden, der den alabastanischen König rücksichtslos kritisiert und beschuldigt hatte, ungewöhnlich war. Er wollte die Hand zurückziehen, doch sie hielt sie fest.

„Ist schon okay“, beschwichtigte sie ihn, als hätte sie seine Gedanken gelesen. „Wenn du meine Hand trotzdem hältst.“

Er setzte sich neben das Bett auf einen Stuhl und kam seinem Teil dieser Abmachung nach.

„Bringst du mich zu meiner Mama?“

Zu spät ertappte er sich dabei, wie er zaghaft nickte. Er wollte sie nicht belügen, ihr keine falsche Hoffnung machen. Aber genauso wenig wollte er diesem kranken Kind den letzten Mut nehmen.

Auch ihre zweite Hand fand zu seiner und umklammerte sie. Er blickte zu ihr und in zwei Augen, die nicht mehr nur wegen des Fiebers glänzten. „Jetz’ gleich?“

„Die anderen waren lange unterwegs und brauchen eine Pause. Außerdem bist du krank und solltest dich bis morgen schonen.“

„Und was ist, wenn ich morgen schon tot bin, wenn du aufwachst?“, protestierte sie. „Was, wenn ich, sobald ich die Augen zumach’, sie nie wieder öffnen werde?“

Er verzog keine Miene.

Und dann war sie es, die ihre Hände zurückzog. „Du sagst, du würdest mich zu meinen Eltern bringen, aber in deinem Kopf hast du mich doch nur angelogen! Morgen bin ich euch sowieso egal! Morgen bin ich eh tot, also warum…?!“

Nimm dieses verdammte Wort nicht mehr in den Mund!“, fuhr er sie unvermittelt an.

„Indem man nich’ drüber redet, löst es sich nich’ einfach so in die Luft auf!“, konterte sie, doch mit den Tränen eines Kindes in den Augen, das Angst davor hat, die Wut eines Erwachsenen auf sich zu ziehen.

Sie waren es, die ihn daran erinnerten, dass er es hier nicht mit König Kobra zu tun hatte.

„Es macht gar kein’n Sinn, einen, der sterben wird, noch wo hinzubringen…“ Ihre Finger ballten sich zu kleinen Fäusten. „Denn… denn wenn er stirbt, dann bringt ihm… bringt ihm das ja auch nichts mehr. Aber…“ Sie schluchzte ungehalten. „…aber ist das denn wirklich so böse von mir, nur weil ich nich’ schon wie tot behandelt werden will, bevor ich es wirklich bin?!“

Corsa ließ sie weinen.

Ein Pferd wieherte in die alles neutral beobachtende Nacht. Der Wind nahm zu, rauschte durch den Eingang und ließ die Flamme der Lampe tanzen. Die braunen Schatten wackelten an den orange getönten Wänden. Staub und Steine rieselten von der Decke und landeten weich im Sand, den der letzte und vernichtende Sturm bis in die Häuser geschleudert hatte. Unbeeindruckt von der Brise behielt er seine kleinen Dünen bei, als ob nichts jemals in der Lage sein würde, den überschüssigen Sand wieder aus diesem Dorf zu vertreiben.

„Also gut“, gab Corsa schließlich nach.

Als hielte sie selbst ihre Bitte für vollkommen abwegig, starrte sie ihn an.
 

Während er im bleichen Schein des Mondes sein Pferd sattelte, erwischte ihn Kebi. Den Ernst in seinen Zügen nicht gleich zur Kenntnis nehmend, gähnte sein Freund ausgiebig. „Wo zum Teufel willst du jetzt noch hin, Leader?“

„Nach Nanohana“, antwortete er entschieden, ohne in seinem Tun innezuhalten.

Sofort war Kebi hellwach. „Nanohana?! Was willst du dort?“ Corsa brauchte nichts zu sagen, damit er nach wenigen Sekunden eine unangenehme Vorahnung entwickelte: „Doch… doch nicht etwa Sunny zurückbringen?“

„Genau das“, bestätigte er sie hart. „Ich werde nach Nanohana reiten und sie ihren Eltern übergeben. Wartet nicht auf mich. Morgen früh brecht ihr auf und kehrt nach Yuba zurück. Wir treffen uns dort.“

„Aber…! Leader! Du kannst doch nicht allein…!“

Er befestigte die Zügel. „Mit dem Pferd ist der Weg nicht so lang. Während meiner Abwesenheit hast du das Kommando. Enttäusch mich nicht.“

„Hör mir doch mal zu!“ Er langte nach seinem Arm, doch der Rebellenanführer schüttelte ihn mühelos ab.

„Tu, was ich dir sage. Ich werde gehen, und niemand wird mich davon abhalten, verstanden? Niemand. Ende der Diskussion.“

Er sprach nicht sehr laut. Corsa musste nicht laut sprechen, um die Menschen zu überzeugen. Er hatte diese spezielle Art an sich, andere im Innersten zu berühren. Deshalb folgten ihm die Aufständischen dieses Landes. Deshalb konnte auch Kebi jetzt nichts weiter unternehmen, als seinem Chef und Freund bestürzt nachzuschauen.

Aber er kannte Corsa seit einem Jahrzehnt, und die Erfahrung ließ ihn darauf vertrauen, dass er tatsächlich zurückkehren würde.

Frieden in Arbana

Ein Tropfen.
 

Ein weiterer.
 

Zwei weitere. Drei. Vier. Fünf. Dann ein ganzer Schwall Wasser. Es schwappte über den Rand des hölzernen Eimers und nässte den sandigen Boden. Ein lachendes Gesicht. Zwei. Drei. Kinderlachen. Sogar eine Blume reckte sich mutig dem Himmel entgegen, auf ihren Blüten noch den Tau des Morgens tragend. Blumen waren selten in Arbana.

Prinzessin Vivi Nefeltari von Alabasta beobachtete zufrieden, wie die Leute in ihren hellen Gewändern Werkzeuge durch die Straßen transportierten oder bereits an den versehrten Häusern hämmerten. Halbwüchsige trugen eifrig glucksende Eimer Wasser umher. Ein paar Jungen schlürften es aus der Hand, Tiere aus den Pfützen. Einige Mädchen tollten kichernd und einander rufend im großen Brunnen herum, der im Sonnenlicht funkelte wie ein riesiger Teller voller Diamanten. Jedem war ein Lächeln auf die Züge geschrieben, als gäbe es kaum etwas Schöneres, als das Land neu aufzubauen. Keine Tränen mehr, kein Blutvergießen. Alabasta war ein Ort des Friedens geworden.

Karuhs aufgeregtes Schnattern übertönte die Geräuschkulisse der tüchtigen Arbeiter.

Die Rennente tobte über den Vorhof, auf welchem sich bereits wieder erstes Grün aus dem Boden hervortraute, schmetterte mit ihren sonnengelben Flügeln und hüpfte in einem Radius von sicherem Durchmesser um zwei lauernde Gestalten her. Vivi lehnte sich über die Brüstung des Balkons und schaute zu ihnen hinunter.

Der eine, groß und stämmig wie ein Schakal, der sich passiv verhielt.

Der andere, geschwind und aggressiv, der eindeutig die leitende Rolle übernahm.

Ein heißer, leidenschaftlicher Tanz.

Sie wirbelten umeinander her, stießen auf den anderen, entfernten sich, bald schnell, bald langsam, die Augen stets an das Gegenüber heftend, tanzend zu einer Melodie, die allein vom klirrenden Kreuzen und heiseren Reiben zweier Stahlklingen improvisiert wurde. Wie einer zwanglosen Choreografie folgend, stimmte sich jede einzelne Bewegung des einen auf den anderen ab.

Doch dann…

Der Ungestüme holte aus, stürmte auf den Schakal zu und vertraute schier seine gesamte Kraft dieser Attacke an, welche den Kampf beenden sollte. Anfängerfehler, meinte er unerwartet im spöttischen Lächeln seines Kontrahenten zu lesen, als es bereits zu spät war: Der Attackierte wich – die Ruhe selbst – zur Seite aus und ließ den Angreifer, dem es nicht mehr gelang, seines Schwunges Herr zu werden, schlichtweg an sich vorbeistolpern. Der Schlachtruf des Überrumpelten ging noch im Lauf nahtlos in ein halb befürchtendes, halb verärgertes Schreien über, bis er just das Gleichgewicht einbüßte und auf den Untergrund stürzte. Genau wie damals.

Er registrierte das Herannahen seines Tanzpartners, welcher ihm die Wahl zwischen Kapitulation und Tod überließ. An Ersteres nicht einmal einen Gedanken verschwendend, rollte er sich auf den Rücken und wollte gerade nach seinem Schwert greifen, als er bereits die kalte Klinge an seiner Kehle spürte.

Langsam verlor sich die Hitze des Kampfes und machte einer unangenehmen Schwüle Platz. Er schnaufte schwer. Sein Herz raste. Der Drang, zu handeln, war mächtig, doch die lange Schneide zwang ihn zur Ruhe. Es war unsagbar schwierig, zu akzeptieren, dass er nichts mehr tun konnte.

Er schloss die Augen. Atmete resignierend aus. Wartete, bis die bedrohliche Waffe durch eine versöhnende Hand ersetzt wurde, die ihn auf die Füße zog.

Schon ein wenig mitfühlend betrachtete Chaka seinen Schützling, der diesen Blick zwar tapfer und unnachgiebig hinter zwei violetten Brillengläsern erwiderte, jedoch vollkommen aus der Puste war, während er selbst nicht das geringste Anzeichen einer Erschöpfung verspürte. „Du denkst zu offensiv“, tadelte der Kommandant der Leibwache ihn wohlmeinend. „Indem du wieder und wieder blind angreifst, vernachlässigst du deine Deckung und deine Kondition. Statt willkürlich einfach nur das auszuführen, was dir gerade durch den Kopf schießt, musst du dich an einem gut durchdachten Plan orientieren.“

„Und wie genau soll das gehen?“, verlangte der zu wissen, der es eigentlich verabscheute, kritisiert zu werden. Verdruss färbte seine raue Stimme.

„Komm, ich zeig’s dir.“ Chaka steckte sein Ōdachi ein, trat dicht hinter seinen verwunderten Lehrling und legte seine Arme an, seine Hände auf die des Kleineren, um dessen Bewegungen gemeinsam mit ihm koordinieren zu können. „Dein Griff um das Schwert ist viel zu verkrampft. Du brauchst nicht so viel Kraft in die Schläge zu setzen. Die Energie kommt aus deinem Zentrum, nicht aus den Armen. Schließlich kämpfst du ja nicht mit einer Hacke.“

Zur Verdeutlichung hob er die Klinge, wobei zwar noch immer die Hände des jungen Mannes um den Schaft lagen, die seinen nun allerdings die Führung übernommen hatten, und schwenkte sie probeweise herum.

„Merkst du es?“

Corsa nickte bedächtig.

„Halt es locker.“

Er versuchte, der sanften Forderung nachzukommen. Stück für Stück löste sich die Spannung, glitt von seinen Fingern gleich viel zu engen Handschuhen, von beiden Händen, die das nahezu zwei Meter lange Schwert gemeinsam halten mussten.

Als er meinte, dass Corsa es nun fest genug im Griff hatte, entfernte sich Chaka allmählich. „Gut so. Schön locker halten. Ja, genau… Das sieht einem zukünftigen Ritter doch schon ähnlicher, findest du nicht?“

Den Kommentar hätte er sich vielleicht verkneifen sollen. Denn kaum dass er ihn vernahm, entwischte Corsa auf einen Schlag all seine mühsam aufrechterhaltene Konzentration, woraufhin das emporgerichtete Schwert Richtung unten sauste, wo sich die Spitze zentimetertief in die Erde fraß.

Der königliche Leibwächter wollte sich nach dem Rechten erkundigen, als Corsa ihm, ohne sich umzudrehen, nüchtern widersprach: „Bis dahin ist es noch ein weiter, beschwerlicher Weg. Ich habe längst nicht das Zeug dazu, und außerdem… außerdem bin ich mir nicht einmal sicher, ob ich das überhaupt will…“ Er senkte den Kopf und schloss die Augen.

Chaka verstand das. Chaka verstand seine Schützlinge immer. Brüderlich legte er ihm eine Hand auf die Schulter. Leicht die Lider hebend, musterte er sie verstohlen. Die Hände des Schakals waren groß und stark, wie der Schakal selbst – äußerlich wie innerlich. Man kann durchaus behaupten, dass Corsa eifersüchtig war. Eifersüchtig auf Leute wie ihn, wie Peruh, den Falken… Menschen, die richtige Helden waren…

„Du bist verunsichert“, wusste Chaka verständnisvoll. „Das gibt sich. Lass dir nur Zeit. Eine gewichtige Antwort soll nie eilen, sonst ist sie unehrlich und du wirst später bereuen, sie gegeben zu haben.“

Aber Corsa war ungewiss, ob er jemals eine Entscheidung würde treffen können. Jeder versuchte, ihm Mut zu machen: Chaka, Peruh, Igaram, König Kobra… Ja, selbst sein Vater riet ihm, nach Arbana zu gehen und sich dort als stellvertretender Befehlshaber der königlichen Armee zu verpflichten, der fortan nur noch Chaka, Peruh, Igaram und der Thronfamilie selbst untergeben wäre. Er würde zum Ritter geschlagen werden, weil er bewiesen hätte, dass er sein Volk liebte. König Kobra könnte sich keinen besseren Hauptmann vorstellen als denjenigen, der mit nur neunzehn Jahren fähig gewesen war, zwei Millionen Rebellen zu organisieren und anzuleiten, der den Menschen eine Inkarnation von Stärke und Hoffnung, Garant einer existierenden Zukunft Alabastas gewesen wäre.

Nachvollziehen konnte der ehemalige Rebellenanführer die Befürwortung des Monarchen nicht. Er wollte keinen Orden auf seiner Brust tragen dafür, dass er Tausende von Leuten in den Tod geschickt, das Volk gespalten und das Land zerstört hatte, friedliche Menschen zu Mördern werden ließ, weil er auf die simpel gestrickte List eines Krokodils hereingefallen war. König Kobra behandelte die Rebellion wie eine Rauferei unter Kindern und ihren Verantwortlichen wie einen verlorenen Sohn, der zurückgekehrt war. Unter den Gegnern des Bürgerkrieges würde Corsas gesellschaftliche Erhebung Argwohn und Missfallen erregen – war Kobra das klar?

„Eine Runde noch?“, fragte Chaka ihn.

Er nickte und richtete das schwere Schwert aus, wobei er penibel darauf achtete, seine soeben korrigierten Fehler nicht zu wiederholen.

„Vielleicht gelingt es dir dieses Mal, sie zu beeindrucken“, meinte Chaka mit einem seltsam belustigten Lächeln. Ein lautloser, gar schon heimlicher Deut des Schakals nach oben beantwortete bald seine ungestellte Frage: Da der junge Yubaner die strahlend weiße Palastmauer aufwärts verfolgte, bis zur Brüstung eines Balkons, erkannte er, wer gemeint war. Seine Kinnlade sank unmerklich hinab.

Dort oben stand niemand Geringeres als Prinzessin Vivi von Alabasta. Ihr azurblaues Haar und das lange, leuchtende Kleid wehten schier schwerelos in einer Brise, während sie lachte und zu ihnen hinunterwinkte.

Lachte? Über ihn?

Verlegen neigte Corsa den Kopf. Irgendwie war es ihm unangenehm, dass die Prinzessin ihm beim Trainieren zusah…

In diesem Moment betrat Lord Igaram die Grünfläche des Hofes. Der majestätische Berater hatte seinen Posten als Oberbefehlshaber der Armee inzwischen ganz an Chaka und Peruh abgetreten und unterstützte König Kobra bei der horrenden Schreibtischarbeit, die es nach der Krise des Reiches zu bewältigen galt. Als Corsa seiner ansichtig wurde, wandte er sich urplötzlich ab und spazierte wie zufällig in die Igaram entgegengesetzte Richtung. Chaka ließ ihn jedoch keinen vierten Schritt setzen.

„Maa-maa-maaaaaaaaaa!“

„Was gibt es denn, Igaram?“, wollte der Kommandant freundlich wissen und zog den Würdegern-Flüchtling mühelos in ihre Mitte.

Der eindrucksvolle Mann mit dem noch eindrucksvolleren Antlitz und der eindrucksvollsten Haarpracht überhaupt räusperte sich. „Ich muss den jungen Herrn nun Eurer sicherlich notwendigen Aufsicht entreißen, Lord Chaka. Die Sitzung mit den Sachverständigen steht unmittelbar bevor, und – mit größtem Verlaub! – so kann ich dem Repräsentanten der bedeutungsvollen Handelsbasis Yuba auf gar keinen Fall Eintritt in den königlichen Audienzsaal gewähren!“

„Was soll denn das heißen?!“, beschwerte sich Corsa angeschwärzt.

„Und erst recht nicht dem ehrenwerten Herrn Ritter!“, fügte Chaka schadenfreudig hinzu, sodass der Gemeinte wie verraten zu ihm herumwirbelte.

Chaka!

Von einem der Kommandanten als Ritter bezeichnet und akzeptiert zu werden, war in der Tat eine große Wertschätzung, allerdings fühlte er sich schon jetzt vollkommen überfordert.

Schon stand Igaram neben ihm und schnüffelte an seinem Mantel herum. Geniert stolperte er zur Seite. „Was soll das?!“

Als die überwältigende Frisur sich wieder aufrichtete, visierte ihn das Gesicht dazwischen an, als hätte es ihn gerade beim Einstecken eines Juwels aus der Schatzkammer ertappt. „Das ist ja unerträglich, junger Mann! Wie lange tragen Sie diese Lumpen schon? Sie stehen vor Dreck und riechen nach Feld und Schweiß, genau wie Sie selbst! Ich werde unverzüglich eine Vollwäsche beantragen, danach gibt’s frische Kleider und einen Benimmregel-Crashkurs! Pfui! Wollten Sie der Prinzessin etwa in dieser erbärmlichen Aufmachung gegenübertreten? Schämen Sie sich denn gar nicht?“

Corsa spürte eine andere Hitze als die des vorangegangenen Duells hinter seinem Gesicht und traute sich nicht, zu überprüfen, ob Vivi weiterhin Zeugin des Geschehens war.

Chaka lachte warmherzig auf. „Genau: Lass dich mal ordentlich herausputzen, Kleiner! Es wird Zeit, dass du dein diplomatisches Können unter Beweis stellst! Zeig diesen Gutachtern, dass Alabasta trotz der zurückliegenden Schicksalsschläge immer noch ein starkes, schönes Land voller Zuversicht und Kampfgeist ist!“

„Da pflichte ich bei!“, kommentierte Igaram und schnappte mit Karuh nach den Armen des sich nun heftig, aber vergeblich zur Wehr setzenden Ex-Rebellen.

„Loslassen! Loslassen! Lasst mich los, verdammt!“

Ohne jede Gnade zerrten die beiden ihn in das Innere des Palastes.

Hoch über ihnen brach Vivi, die das Spektakel mit Freude verfolgt hatte, in ein helles Gelächter aus. „Der Arme!“

Ihr Vater, König Kobra, näherte sich ihr mit einem zufriedenen Lächeln. „Mach dir keine Sorgen, mein Kind. Igaram weiß schon, was er tut. Wenn du Corsa das nächste Mal begegnest, dann wirst du ihn bestimmt nicht mehr wiedererkennen.“

Corsa nicht mehr wiedererkennen? Vivis Lächeln versiegte. Eben das war es doch, was sie nicht wollte!

Die Jugend Alabastas

Später – sie schritt allein durch die breiten Korridore des Palastes – sinnierte Prinzessin Vivi über das Bevorstehende. Die Audienz, an der nicht nur Corsa, sondern natürlich auch sie teilnehmen würde, war ohne Frage von enormer Bedeutung für den Erhalt der Würde Alabastas gegenüber den anderen Staaten der Grand Line sowie auch der Weltregierung. Die Gutachter würden sich pedantisch über den Zustand des genesenden Landes informieren und abwägen, ob Unterstützung von außerhalb nötig war. Ein huldreiches Angebot, aber ihrem Vater war es wichtig, dass Alabasta unabhängig blieb. Insgeheim glaubte sie, dass er keine fremde Hilfe annehmen wollte, weil er befürchtete, erneut hereingelegt zu werden. Und vielleicht war dieses Misstrauen gar nicht so fehl.

Vivi kannte ihre Aufgabe. Sie würde viele, mitunter unangenehme Fragen beantworten müssen und auch mit Widersprüchen rechnen, aber darauf war sie vorbereitet. "Jeder muss das tun, was er am besten kann!", erinnerte sie sich an die Devise eines scharfsinnigen Ingenieurs mit schwarzen Locken. Sie war viel stärker und selbstbewusster geworden, seit sie damals mit Igaram und Karuh aufgebrochen war, die Baroque-Firma zu infiltrieren, und gewissen Piraten hatte sie dafür ganz schön zu danken. Sie schuldete ihren Freunden so viel – das Geringste war, dass, wenn die wohl ungewöhnlichste Piratenbande irgendwann einmal hierher zurückkommen würde, sie stolz auf ihre Prinzessin sein konnte.

Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Eher als dieses bemerkte sie den merkwürdigen Schatten an einer der Säulen. Sie blieb stehen. Als hätte er nur darauf gewartet, dass sie ihn zur Kenntnis nahm, rührte er sich, und hinter der hellen Architektur hervor trat ein Mensch, der ihr unbekannt war. Streng geglättetes Haar, ein schwarzer Frack, ein eleganter Gang – nichts, was einem Sorgen bereiten muss. Dieses unheilvolle Grinsen jedoch, diese Rabenaugen… Sie verhießen nichts Gutes. Oder war sie nun schon genauso misstrauisch wie ihr Vater?

„Prinzessin Vivi Nefeltari von Alabasta!“, begrüßte sie der Fremde freudenfeurig und breitete seine Arme aus wie ein Zirkusdirektor, der seine Attraktionen ankündigt. „Welch eine Ehre, Euch anzutreffen!“

Vivi vermochte seine Begeisterung nur bedingt zu teilen. „Wer sind Sie?“

Eine tiefe Verneigung. „Crétin Freluquet, meines Zeichens nach Fachmann für Wirtschaft und Finanzen.“

„Einer der Herren Gutachter?“

„Überrascht Euch das?“

„N-nein!“

Schon. Sie hatte sich die Gäste irgendwie anders vorgestellt. Aber nun, wo dieser Mann sich als einer derselben preisgegeben hatte, fragte sie sich, weshalb er eigentlich nicht so hätte aussehen sollen.

„Gestattet mir die Anmerkung, verehrte Prinzessin: Die Gerüchte, die ich hörte, entsprechen wahrlich der Realität: Ihr seht bezaubernd aus, ganz vorzüglich!“

„Äh… Danke“, erwiderte sie, unentschieden, was sie von ihm halten sollte.

„Keine falsche Bescheidenheit, bitte“, tadelte er sie wie ein kleines Kind. „Tragt Eure Schönheit erhobenen Hauptes, so wie es sich für die Regierung dieses Landes gehört.“

„Sie glauben an Alabasta?“, fragte sie ihn da hoffnungsvoll.

„Selbstverständlich! Ich wurde zwar herbeordert, um mich zu vergewissern, aber… Ganz unter uns: Ich habe nie an diesem Land gezweifelt.“

„Und wir werden Ihnen beweisen, dass es auch gar keinen Grund dazu gibt!“, versprach Vivi ihm, von Erleichterung erfüllt. „Alabasta ist stark, denn es fundamentiert auf dem Vertrauen zwischen allen, die es bewohnen – vom Bauern bis zum König!“

„Tatsächlich? Ich… bin gespannt!“

Jäh drückte er ihr einen Kuss auf den Handrücken. Sie wusste, dass dies eine gewöhnliche Höflichkeitsfloskel darstellt, die ein Mann einer Dame erbringt, aber es traf sie absolut unvorbereitet.

„Wenn Ihr Alabasta mit gleichem Enthusiasmus zu führen wisst, wie Ihr von ihm sprecht, Eure Hoheit“, meinte er dann, „sage ich ihm eine prachtvolle Zukunft weis.“ Mit einem Lächeln wandte er sich von ihr ab und stolzierte in Richtung der kolossalen Flügeltür am Ende des Flures davon.

Etwas irritiert blickte sie ihm nach. Um sich länger Gedanken über dieses Treffen zu machen, blieb ihr keine Zeit, denn gerade kamen ihr Vater und Igaram von hinten auf sie zu.

„Vivi! Du siehst fabelhaft aus!“, bewunderte Ersterer sie sogleich.

„Da hat Seine Majestät vollkommen Recht“, pflichtete sein Berater ihm bei. „Eine Augenweide!“

„Hört doch auf! Ich werde noch ganz verlegen!“ Sie überlegte, ob sie den beiden von Freluquet berichten sollte, unterließ es jedoch, weil sie es nicht für erwähnenswert erachtete.

„Daran wirst du dich gewöhnen müssen“, brachte Igaram ihr nahe. „Das Leid einer hübschen Regentin besteht darin, mit schwülstigen Komplimenten taktvoll umgehen zu müssen.“

„Du bist deiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten“, schwärmte ihr Vater.

„So muss eine Prinzessin aussehen!“, prahlte Igaram.

„Nicht wahr? Das ist meine Vivi.“

„Ihr könnt so stolz auf sie sein, Majestät!“

„Das bin ich seit fast siebzehn Jahren, Igaram.“

„Und Ihr habt allen Grund dazu, Majestät!“

„Ich weiß, Igaram.“

„Eure Majestät?“

Abrupt hielten die beiden inne. Auch Vivi merkte auf. Sie erkannte die Stimme gleich wieder.

König Kobra und Igaram tauschten einen vielsagenden Blick aus, ehe sie zu beiden Seiten auseinanderrückten und der Prinzessin so die Sicht freigaben auf jenen, an den sie in all der Nervosität gar nicht mehr gedacht hatte. Ihre Augen weiteten sich; ihr Mund fuhr auf. Im ersten Moment noch überrascht, war Vivi im nächsten bereits fasziniert. Ihr Vater hatte Recht behalten: Igaram hatte ganze Arbeit geleistet.

Eine noble, weiße Uniform mit goldenen Bordüren kleidete ihn, deren Rock durch vier strahlende Knöpfe ordentlich geschlossen war und durch einen breiten Gürtel eng an seiner schmalen Taille lag. Schwarze Lederhandschuhe und Stiefel gaben ihm etwas Militärisches, und die funkelnden Epauletten waren einem Ritter würdig. Ein kamelfarbener Umhang aus erlesenem Stoff glitt hinter ihm her wie ein federleichter Schleier. Sein feines Haar war akkurat zurückgekämmt und schimmerte hell im Licht der großzügigen Sonne. Nichts ließ mehr auf einen Landarbeiter schließen; nichts deutete auf den alten Corsa hin bis auf den unverwechselbar scharfen Blick, die Narbe über seinem linken Auge sowie die violette Sonnenbrille, welche er noch immer trug, obwohl es, wie Vivi fand, nichts gab, was er dahinter verstecken müsste.

Ehe ein Wort fiel, warf er sich vor ihr auf ein Knie und senkte das Haupt. Das hatte Vivi nicht kommen sehen. Die Geste wirkte mechanisch… kühl. Es erinnerte sie daran, welcher Abgrund sich zwischen zwei Freunden auftut, wenn aus Kindern Erwachsene werden und jeder sich auf die ihm zugeteilte Position begibt. Es erinnerte sie daran, wie vergänglich Freundschaft sein kann.

Für das Wohl ihres Landes schluckte die Prinzessin ihre Furcht hinunter und lächelte. „Du siehst gut aus.“ Und kurzerhand hob sie ihm die Brille von der Nase. „Aber die passt jetzt nicht mehr.“

Corsa wirkte, als wollte er protestieren, doch kein Laut verließ seinen Mund. Ohne die Gläser und ihr so nahe offenbar nicht länger imstande, einem Blick standzuhalten, neigte sich sein Antlitz allmählich gen Teppich. Puder aus gebrannter Tonerde ließ es ebenmäßiger erscheinen, wenngleich es auch nicht die Narbe überdeckte, welche er sich zugezogen hatte, als er sie vor einem Entführer rettete. Auch mit dem Parfüm hatte Igaram nicht gespart: Ein intensiver, herber Duft nach Sandelholz umgarnte Vivi, die diesen Mann, zu dem ihr Kindheitsfreund urplötzlich geworden war, eingehend betrachtete, jedes Detail von ihm aufnehmend. Das Aroma schien zu ihr zu wispern und lud sie ein, näher zu kommen, nicht nur zu schauen, zu riechen, sondern auch zu tasten, zu spüren, mit nackten Händen jede Kontur, jede Einzelheit dieses auf einmal vollkommenen Wesens zu erforschen. Das Gesicht, die Augen, die Nase, die Lippen…

Corsa nieste.

„Gesundheit!“, riefen der König und Igaram im Chor.

„Sorry, Vivi“, entschuldigte er sich rasch. „Aber dieses ganze Zeug, es…“

„Ist schon okay.“ Sie rang sich ein entspanntes Lächeln ab, was ihr nicht ganz gelang.

„Bist du aufgeregt?“

„Nein. Ja. Nein! Ähh… Ja. Nein. Nein! Vielleicht… ein kleines bisschen.“

„Du schaffst das. Du hast das Zeug dazu. Und ich werde an deiner Seite sein.“

Unvermittelt legten sich seine Hände auf ihre Arme, und die Membran des Standesunterschiedes, die zwischen ihnen – oder eher: Um Vivi her – existiert hatte, war überwunden. Seine Direktheit ermöglichte es ihr, ihn als ihren besten Freund zu identifizieren und zu realisieren, dass der Junge Corsa und der Mann Corsa eine und dieselbe Person waren. Es gab keinen Grund, ihm nicht zu vertrauen. Sich von etwas lösend, nahm sie die Einladung wahr und lehnte sich an ihn. „Gib mir etwas von deiner Stärke ab“, flüsterte sie. „Bitte, Leader. Bitte.“

Wie lange? Wie lange schon war sie ihm nicht mehr derart nahe gewesen? Als sie sich während der Rebellion nach Jahren endlich wiedergesehen hatten, war ihnen keine Zeit für vertrauten Umgang miteinander geblieben. Zu beschäftigend waren die Gedanken um dasselbe Ziel gekreist, welches beide auf unterschiedlichen Wegen zu erreichen suchten: Frieden im Land Alabasta. Frieden in ihrer Heimat.

Die beiden Alten schmunzelten über dieses Bild von tiefer Verbundenheit.

„Igaram, sieh nur: Prinzessin Vivi Nefeltari von Arbana und die Stimme des Volkes Corsa Kahira von Yuba, vereint als junge Repräsentanten Alabastas. Zwei, die für das Wohl der Bevölkerung bis an ihre Grenzen gegangen sind und wahrscheinlich noch weit darüber hinaus. Kein Horizont war ihnen zu fern und kein Himmel zu hoch. Selbstlos, tapfer und entschlossen haben sie sich für die Menschen in diesem Land eingesetzt, wo andere längst das Handtuch geworfen haben.“

„Ja, Eure Majestät“, stimmte Igaram ihm zu. „Ich habe schon damals geahnt, dass die beiden für etwas Großes vorgesehen sind.“

„Sie verkörpern die Hoffnung und die Blüte des Landes. Es wird keine leichte Aufgabe sein, denn sie werden schwere Bürden zu lasten und zahlreiche Prüfungen zu bestehen haben, aber ich weiß, dass niemand besser geeignet ist als sie. Eine Regierung mit Herz… Die Jugend Alabastas… So habe ich mir das vorgestellt.“ Er hob die Stimme: „Corsa! Vivi! Es wird Zeit!“

Sie lösten sich voneinander. Die Thronerbin klappte die Brille zusammen und steckte sie ihrem Besitzer in eine Tasche der Uniform. Das Oberhaupt des Staates schritt mit hinter dem Rücken verschränkten Händen auf sie zu, sein galenitumrandetes Augenmerk auf Corsa richtend.

„Ich vertraue dir für die bevorstehende Audienz meine Tochter an, mein Junge, genau wie mein Land, und ich erwarte, dass du dich dieser großen Ehre als würdig erweisen wirst. Einen Fehler werde ich dir nicht verzeihen. Nun antworte mir: Fühlst du dich dieser Aufgabe gewachsen?“

„Majestät…“ Corsa stand aufrecht, sah ihm direkt in die steinige Miene. Allein eine zur Faust geballte Hand verriet ihm, dass der Junge doch ein wenig angespannter war, als er sich geben wollte. „In der Vergangenheit sind Dinge geschehen, die ich gerne rückgängig machen würde, wenn ich es nur könnte. Doch die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Trotzdem… bin ich meiner Schuld nicht machtlos ausgeliefert – niemand ist das. Einst habe ich das Schwert gegen Euch erhoben, Majestät, aber nun lasst es mich wenden, auf dass ich jedes Übel, das diesem Land zu schaden droht, von ihm fernhalten kann!“

König Kobra Nefeltari entsann sich früherer Jahre, in denen der geradlinige Junge, der schon immer irgendwo ein Rebell gewesen war und es wohl stets bleiben würde, vor ihm gestanden und mit ihm über die Zustände in Alabasta diskutiert hatte. Acht Jahre, siebzehn Jahre, nun fast zwanzig… Und jedes Mal war er entschlossener gewesen als zuvor. Aus dem aufrichtigen Kind war ein gerechter Mann geworden, und Kobra schien es, als hätte er dessen Entwicklung miterlebt wie die eines eigenen Sohnes.

Er nickte, und falls Corsa auf ein königliches Urteil seiner Ansprache wartete, so tat er das vergebens. Es war gut, wenn er nicht direkt erfuhr, wie andere ihn bewerteten, denn damit würde er umzugehen lernen müssen.

„Machen wir uns auf den Weg“, sprach der König stattdessen in die Runde. „Unsere Gäste dürften bereits im Audienzsaal eingetroffen sein, und wir wollen die Herren doch nicht zu lange im Zweifel irren lassen, oder?“

Ihm antworteten zuversichtliche Gesichter.

Doch ehe sie sich fortbewegen konnten, geschah etwas Unvorhersehbares: Ein Mann in lockerer Kleidung, mit einfachem Gesicht und einer Fliegerbrille auf der Kappe stolperte mit rutschenden Sohlen und bemüht rudernden Armen auf sie zu. Zwischen ihnen stürzte er auf alle Viere.

Corsa erkannte ihn sofort. Er kniete sich zu dem Kerl hinab, bei dessen Anblick sich Igaram fragte, wie der überhaupt an den Wachen vorbeigekommen war, und sah ihm fest in die Augen. „Kebi, was machst du hier? Ist etwas passiert? Rede!“

Kebi fiel es schwer, seinem langjährigen Freund zwischen den hastigen Atemzügen zu antworten. Mehr als die Erschöpfung hemmte ihn die Antwort selbst. Corsa sollte sich auf seine Aufgaben in der Hauptstadt konzentrieren, aber das… das musste er unbedingt wissen: „Leader…! Du musst… schnell zurück…! Onkel Toto… Er…!“

Allein diese Worte alarmierten Corsa dermaßen, dass er Kebis Schultern ergriff und ihn kräftig schüttelte. „Was ist mit meinem Vater, Kebi?! Was ist passiert?!“

Angriff der Sandora-Echsen!

Die Nacht eignete sich, um ganz durchzureiten. Die Wüste kühlte auf Minusgrade ab und hauchte einen gar eisigen Wind über ihre Dünen, der das Pferd gut antrieb. Corsa achtete darauf, dass die kleine Gestalt in ihrer Decke eingehüllt blieb. Mit einem Arm drückte er sie fest an sich, damit sie nicht hinunterfiel. Trotz des rasanten Tempos meinte er, ihr Herz kämpfen zu spüren. Und jeder dieser verzweifelten Schläge könnte ihr letzter sein. Es war unüberlegt von ihm gewesen, einfach loszureiten, nur um dem Wunsch eines sterbenden Kindes nachzukommen, das noch gar nicht über die Erfahrung verfügte, um die Konsequenzen seiner Entscheidungen abschätzen zu können. Und das hatte er nun davon: Eine weite Reise durch den unbarmherzigen Erg Alabastas mit nur geringem Proviant und der Ungewissheit, ob dieses starrsinnige Mädchen sie überhaupt überstehen würde.
 

Sie erwachte mit einem Stöhnen.

Wie ein unsterblicher Despot thronte die Sonne über ihr und sandte ihre heißen Untertanen aus. Sie schwelten auf ihrer Haut, auf ihren Augen, in ihrem Hals, der so trocken war wie die Wüste selbst. Durst. Obschon sie davon überzeugt war, dass echte Stille ein sehr, sehr seltenes Phänomen darstelle, sie mitunter ein Recht nur des Todes sei, so wie allein der Blinde wirklich nichts sieht, glaubte sie gegenwärtig, von Stille umgeben zu sein, was womöglich bedeutete, gerade zu vergehen, sich inmitten jenes Aktes des Sterbens zu befinden, kurz bevor auch das Sehen für immer versiegt.

Dann hörte sie ein Pferd wiehern.

Durst… Durst!

Sie roch das erhitzte Material eines Handschuhs und schnappte sofort nach dem, was er schützte.

Durst! Durst! Durst!

Aber sie bekam keinen Ton heraus. Enttäuscht wollte sie die Augen schließen und einschlafen, ehe sie spürte, wie ihr schmerzender Kopf gehoben und ihr etwas an den Mund gehalten wurde, das sie nach wenigen Sekunden als einen Flaschenhals identifizierte.

Wasser!

Gierig und nicht bereit, bescheiden zu sein, begann sie zu trinken, aber die Hände, die sie hielten, übten mehr Einfluss auf die ersehnte Flüssigkeit aus als ihr Mund und gestatteten nicht, dass sie sich verschluckte. Ein klarer Fluss, wie man ihn seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte, sprudelte fröhlich durch ihren Körper und schwemmte die saugende Entmutigung, welche sich in diesem breit gemacht hatte, hinfort. Ihre Lippen trennten sich von der Flasche, und behutsam schwebte ihr Kopf auf etwas Weiches, das vorher noch nicht dagewesen war. Traurig nahm sie zur Kenntnis, dass die Hände sich entfernen wollten. Ihre kleinen rutschten schlichtweg von seinen langen Fingern, wie als wäre er eine Brise, die man unmöglich halten kann, und kein Wort wagte es, ihn am Gehen zu hindern. Sie wollte nicht alleine sein. Ihre Mama hatte sie nie allein gelassen, wenn es ihr mal schlecht gegangen war. Sie hatte sie gestreichelt und die allerschönsten Melodien gesummt, damit es niemals ganz still wurde.

Aber ihre Mama war nicht mehr.

Sie dachte an gestern. Ja, gestern, als die Umstände ihn gezwungen hatten, sie dicht an sich zu drücken. Dort, zwischen ihm und dem Nacken des großen, schwarzen Tieres, hatte sie sich wohl gefühlt. Fast wie bei Papa, der sie wie ein Ritter vor jedem großen oder kleinen Übel oder auch vor dem blöden Nachbarsjungen beschützt hatte.

Ihr Kopf pochte quälend. Ihre Glieder zitterten. Innerlich fror sie und außen schien sie zu verbrennen. Ihr blauer Lieblingsschlafanzug war von Schweiß durchnässt. Ihr Haar klebte dünn und platt an ihrer Haut.

Sie kannte ihn ja gar nicht. Was, wenn er zu dem Entschluss kommen würde, dass es doch keinen Sinn machte?

Durst. Alles, was dazu fähig war, streckte sie nach ihm, nach der Flasche aus. Sie ahnte nicht, dass Corsa bereits von ihrer Seite gewichen war, weil er einen jener Kakteen entdeckt hatte, von denen er wusste, dass der Verzehr ihres Wassers heftige Illusionen verursachte. Dennoch konnte er es verwenden, um das Pferd und sein eigenes Gesicht zu befeuchten. Die Kühle wirkte wie ein Balsam. Auch Sunnys Temperatur würde er mit ihm etwas lindern können. Er stand auf, um das Mädchen zu holen, da ließ ihn etwas innehalten. Er lauschte.

Zehn Sekunden.

Zwanzig…

Sein treuer Hengst hatte die Ohren aufmerksam erhoben und wurde nervös.

So schnell er konnte, hetzte er zum Zaumzeug, dass er dem Tier der Entspannung wegen abgenommen hatte, langte noch im Laufen danach und eilte zurück. Hastig legte er es um, zog den Sattel und die Trense fest, dann rannte er zu Sunny, hob sie mitsamt seinem Mantel auf und trug sie zu dem Pferd, das just wiehernd in die Höhe stieg.

„Ruhig“, befahl er mit scheinbarer Fassung, seine eigene Aufregung unterdrückend. Sie mussten weg. Das dumpfe Beben des Sandes wurde stärker, immer stärker… Und es hatte ein Ziel…

Mit einem Satz schwang er sich samt Kind auf den Rücken des Pferdes und spornte es zur Flucht an. Mit gekonnten Kapriolen flog es über die hohen Dünen, die unweit hinter ihm zu explodieren schienen. Corsa biss die Zähne zusammen. Ein Sandora-Echsenpaar auf der Jagd hatte ihm gerade noch gefehlt! Die Riesenreptilien waren meist zu zweit anzutreffen und von äußerster Gefährlichkeit, vor allem aufgrund ihrer wahnsinnigen Geschwindigkeit und unermüdlichen Ausdauer. Wenn sie erst einmal aus dem Sand getaucht waren, unter dem sie sich jetzt noch verbargen, würde das Überleben von Zufällen und viel Glück abhängen. Und so, wie er die Viecher kannte, würden die sich nicht erst bitten lassen.

Als die eine vor ihnen den emporschießenden Sandgeysiren entstieg und sich das Ross daraufhin erschrocken auf die Hinterhufe begab, gelang es dem überraschten Corsa nur mit Mühe, sich und Sunny festzuhalten. Zu sehr hatte er sich auf den Lärm und die Gewalt hinter ihnen konzentriert. Der Staubnebel lichtete sich, und sie standen vor einer riesigen Höhle, aus der eine schimmelige Böe wehte. Weiße, messerscharfe Stalagmiten sowie Stalaktiten säumten ihren Eingang, und ihr wenig einladender Teppich bestand aus einer breiten, schwülen Zunge. Es war eine Höhle, die man nicht betritt, sondern die sich ihre Besucher selbstständig holt – ohne Aussicht auf Rückkehr: Das Maul einer Sandora-Echse.

Corsa befahl dem Rappen, zu wenden, obwohl er sich im Klaren darüber war, dass es um ihre Chance, zu entkommen, miserabel stand. Die Echsen waren schneller als sein Reittier. Eine minimale Hoffnung hielt ihn davon ab, sich allmählich mit dem Unausweichlichen anzufreunden. Eine Hoffnung, die keimte, weil er Sunny nicht seinem Schicksal aussetzen wollte, und die den Gedanken nährte, dass die Echsen noch immer durch zufällig vorüberfliegende Schwindelreiher oder einen erschnupperten Umzugskrebs abgelenkt werden könnten.

Nun brach auch die zweite Echse mit einem ohrenbetäubenden Getöse durch den Sand und nahm die Verfolgung auf. Sie schienen sich für die Hatz Zeit zu lassen, so als wollten sie ihnen Angst machen. Eigentlich ausgeschlossen, dass die Viecher so denken konnten. Aber Corsa hatte Angst. Um Sunny. Es war nicht das erste Mal, dass er auf Sandora-Echsen traf. Es war bloß das erste Mal, dass er dabei auf jemanden Rücksicht nehmen musste.

Sein Pferd preschte in Windeseile über die hindernisreiche Fläche, hatte zunehmend Schwierigkeiten, nicht auf dem nachgebenden Untergrund zu verrutschen oder in ihm stecken zu bleiben. Mehr angespornt von seinem eigenen, instinktiven Fluchtinteresse denn durch die stummen Befehle seines Herrn, gab es alles, um den in der Nahrungskette Alabastas höher gestellten Geschöpfen zu entgehen. Gegen deren Riesenlatschen war es jedoch machtlos. Sie schienen dem Spiel nun ein Ende setzen zu wollen und holten auf.

Corsa zog sein Schwert.

Eines der hungrigen Reptilien war ihnen so nahe, dass er erneut den Tod riechen konnte, der aus dem Rachen der Bestie atmete. Ihm war klar, dass sie verloren wären, würden sie nicht kämpfen. Er durfte nicht länger auf Ablenkungen hoffen, die ohnehin nie kommen würden.

So weit wie ihm möglich, wandte er sich um und richtete das Schwert aus, den beiden Sandora-Echsen in die wahnerfüllten Augen blickend. Die seinen wurden schmal. Wenn er den günstigsten Moment abpassen und ihre Schwachstellen treffen würde, dann…

Plötzlich ertönte ein neuer Lärm zwischen dem Donnern der Echsen, dem Trommeln der Hufe, dem Scheppern des Zaumzeugs sowie dem Hämmern seines eigenen Herzens: Schreie! Hastig richtete er sich wieder nach vorne und sah Sunny ohne Unterbrechung kreischen! „Hör auf!“, drängte er sie. „Sei bloß still!“

Den folgenden Angriff der Verfolger sah er nicht kommen: Eine große Klaue stampfte direkt neben ihnen auf, erwischte sie zwar nicht, doch riss das Pferd von den Beinen, wobei dessen Reiter hilflos hinuntergeworfen wurden. Corsa verlor das Mädchen und wirbelte mehrmals herum, ehe er zum Liegen kam und seinem Tier nur noch nachschauen konnte, das völlig außer Kontrolle geraten war. Vergeblich versuchte er, es zurückzupfeifen. Ungezügelt galoppierte es durch den schmalen Spalt zwischen den beiden Schuppenmonstern, was denen nicht entging. Während Corsa nach seiner Waffe griff und auf die Echsen zustürmte, hatten die schon das Interesse an ihm verloren, änderten ihre Richtung und rasten dem schwarzen Appetithäppchen hinterher, das deutlich mehr herzumachen schien.

Sinnlos.

Nach einigen Metern der Verfolgung blieb Corsa keuchend stehen und ließ die Klinge sinken. Die Echsen wurden gen Horizont immer kleiner. Er schlug sich die Hand gegen das erhitzte Gesicht. „Verdammt…“

Die Bedrohung waren sie auf diese Weise zwar losgeworden, aber erstens hatten sie kein Reittier mehr und zweitens war eben dieses nun höchster Gefahr ausgesetzt.

Es war sein erstes Pferd gewesen. Eines der wunderschönen Fohlen aus der königlichen Zucht. Der König persönlich hatte ihm die Zügel in die Hand gedrückt. Noch ziemlich genau erinnerte er sich an die erstaunten Blicke der Mitglieder des Suna Suna Clans, als er ihnen Winter vorgestellt hatte und damit geprahlt, was er bereits alles auf ihm anstellen konnte.

Winter.

Obwohl er niemals einen erlebt hatte und es auch nie würde.
 

Mit gesenktem, hinter den stark beleuchteten Gläsern verborgenem Blick kehrte er zurück an die Stelle, wo ein aufgelöstes Mädchen mit tränennassen Wangen auf ihn wartete. Zumindest schrie Sunny nicht mehr. Sie schien zu ahnen, in welcher Verfassung der Rebellenanführer gegenwärtig war. Vermutlich zur Besänftigung seines Gemüts deutete sie auf die Tasche mit dem Proviant, welche etwas weiter entfernt im Sand lag. „Ist auch runtergefallen.“

Corsa hob sie auf und überprüfte, ob alles drinnen enthalten war.

„Wie geht es jetz’ weiter?“, fragte eine heisere, regelrecht ängstliche Stimme. Angst? Sah er wirklich so schrecklich aus, dass man Angst vor ihm haben musste?

Er rang um Beherrschung und fuhr sich durch das dunkelblonde Haar, damit es nicht mehr so wirr im Gesicht hing. „Wir setzen die Reise fort.“

„Ohne Pferd?“, wollte sie sich verwundert vergewissern.

„Wir haben keine Wahl.“

Ohne Pferd durch die Wüste? Bis nach Nanohana war es noch entsetzlich weit. Aber das war es in jede Richtung. Es gab kein Zurück.

Allerdings konnte er ihr das Laufen der langen Strecke unmöglich zutrauen…

Getrocknetes Blut

Sand wirbelte auf.

Seite an Seite ritten die beiden Vertreter Alabastas durch die widerspenstige Wüste. Ein Sandsturm schlug ihnen entgegen. Sie zogen sich die Kragen der Umhänge vor den Mund. Obwohl er sich vor ihrem Aufbruch umgezogen hatte und damit auch wieder die Sonnenbrille trug, merkte Prinzessin Vivi ihrem Freund an, was er von der Begleitung durch sie hielt. Und als der Sturm sich gelegt hatte, bestätigte er bald ihren Verdacht: „Warum folgst du mir?“

„Weil Onkel Toto in Gefahr ist!“, rief sie brüsk zurück, als wäre es vollkommen selbstverständlich.

„Das ist meine Sache!“, blockte er strikt ab.

„Ist es nicht! Ich kenne ihn fast genauso gut wie du, und deshalb geht es auch mich etwas an!“

Corsa schnaubte nahezu verächtlich, dann gab er seinem Pferd die Anweisung, das Tempo zu erhöhen.

Angesäuert sah Vivi ihm hinterher. „Er versucht, uns abzuhängen! Karuh, lauf schneller!“

Die Rennente krächzte bestätigend und beschleunigte auf eine Stundenkilometerzahl, die den Rappen weit hinter sich ließ.

„Angeberin…“ Dieses Mal war es der ehemalige Rebellenanführer, der dumm aus der Wäsche schaute. Anders als die Prinzessin konnte er seinem Tier nicht befehlen, sich durch den Sand zu mähen wie eine Sandora-Echse. Zu seiner Erleichterung zügelte Vivi Karuh, sodass sie wieder nebeneinander liefen.

„Du wirst mich nicht los, Sturkopf!“, stellte sie ihm unmissverständlich klar.

„Du hättest in Arbana bleiben sollen!“

„Weil du dann keine Angst um mich haben musst oder weil du dich dann richtig austoben kannst?“, forderte sie ihn heraus.

Pure Entschlossenheit entgegnete ihm aus ihren auberginengrauen Augen und ließ ihn schweigen, ohne dass sich seine Bedenken damit erledigt hatten. Falls sein Vater entführt worden war, wie Kebi vermutet hatte, dann steckte bestimmt dieser Kerl dahinter, der in Yuba schon länger sein Unwesen trieb. Dass sie jenen Verbrecher nie erwischten, schadete nicht nur der sich noch regenerierenden Wirtschaft der Oase, sondern auch Corsas Stolz. Ein zukünftiger Ritter und Heeresführer, der sich von einem dreisten Räuber auf der Nase herumtanzen ließ?

Vielleicht war es auch die Befürchtung, dass Vivi genau das herausfinden könnte, die hartnäckig verhindern wollte, dass er die Begleitung durch sie akzeptierte. Was würde sie von ihm denken?

„Dein Starrsinn wird dir noch zum Verhängnis.“

Er schaute sie an.

„Wenn du Vater… wenigstens Peruh um Hilfe gebeten hättest, hätte er schon mal vorausfliegen können. Bis wir Yuba erreichen, kann sich alles Mögliche abgespielt haben! Aber statt vernünftig zu sein und den Stolz zumindest deines Vaters wegen zu vergessen, löst du lieber alles ganz auf eigene Faust, ist es nicht so?“

„Vivi“, knurrte er. Musste sie ausgerechnet jetzt mit einer Standpauke ankommen? Natürlich wäre Peruh, der Falke, viel schneller in Yuba gewesen, aber hätte es ihnen etwas genützt? Peruh wusste zu wenig über den Feind, über Yuba, und hatte gewiss eigene Pflichten im Palast am Hals.

„Wir sind doch Freunde“, flüsterte sie enttäuscht. Sah er in ihr wirklich nur die schutzbedürftige Prinzessin, die hinter alabasterweiße Wände eingesperrt gehörte? Das Bild, welches er von ihr zu haben schien, ärgerte sie nicht nur – es verletzte sie auch. Dass sie sich während ihrer langen Abwesenheit sehr verändert hatte, dass sie unzähligen Gefahren getrotzt und zeitweise das Leben einer echten Piratin geführt hatte, beeindruckte ihn offenbar nicht. Bei den Piraten war das anders gewesen: Unter ihnen hatte sie nie das Gefühl gehabt, eine Prinzessin zu sein. Keine affektierte Höflichkeit, keine erzwungene Scheu. Im Gegenteil: Die Strohhüte waren ihr gegenüber manchmal richtig respektlos gewesen – aber stets auf eine liebevolle Weise: Kissenschlachten, die ehrliche Kritik an ihren illusionären Hoffnungen… Und Namis flinke Kopfnüsse würde sie auch nicht vergessen. "Glaubst du im Ernst, es ist fair, uns vorzutäuschen, dass es dir gut geht?! Freunde merken das, wenn du lügst!"

Corsa würde das nie tun. Er würde es niemals wagen, sie zu hauen oder ihr ins Gesicht zu sagen, was ihm an ihr nicht passte. Sie stellte jedes Mal fest, wie der Rebell, der einst selbst vor ihrem Vater kein Blatt vor den Mund genommen hatte, Mauern um sich her aufstellte, sobald sie sich bloß begegneten. Seit geraumer Zeit kam er oft in die Hauptstadt, und dennoch hatten sie nie ein Gespräch geführt, das mehr als ein paar Silben umfasste, als würde er sich plötzlich nicht mehr als würdig erachten, nach den Gedanken und Gefühlen einer Prinzessin zu fragen, die ihn als Anführer bezeichnete.

Wann hatte sie ihn das letzte Mal lachen sehen?
 

Der Abend schüttete seine tieforangene Farbe über Himmel und Erde, und die Sonne balancierte schläfrig auf der unebenen Linie des Horizonts, im Begriff, ihr Auge bald zu schließen, als sie nach einem pausenlosen Ritt in Yuba ankamen, wo man den Sohn des Bürgermeisters erwartungsvoll und die Prinzessin ziemlich erstaunt empfing.

Corsa sprang von seinem Pferd und wandte sich an Okame, die gleich auf ihn zugesteuert war. Wie Kebi war auch sie nicht nur Rebellin, sondern auch eines der Wüstenkids, Mitglied des Suna Suna Clans gewesen.

„Wo ist Kebi?“, wollte die junge Frau mit ihrem stets resoluten Blick direkt wissen.

„Er erholt sich in Arbana. Wie ist die Lage?“

„Wir haben keinen Schimmer, wo sich die Ratte verkrochen hat. Vielleicht irgendwo in der Umgebung, aber bestimmt nicht hier in Yuba. Was, meinst du, hat der mit deinem Vater vor?“

„Er wird ihn wahrscheinlich als Druckmittel verwenden wollen, um ganz ohne einen krummen Finger an unsere Ernte zu gelangen. Aber dieses Mal kriege ich ihn, und dann gnade ihm jede Seekatze.“ Er schaute zu Vivi, die den erschöpften Karuh mit Streicheleinheiten versöhnte. Auch sein Hengst wirkte kraftlos. „Wir benötigen Pferde. Dann sehen wir uns mal um.“

„Vivi auch?“, fragte Okame mit einer Spur skeptischer Verwunderung. „Ich wusste gar nicht, dass ihr noch Kontakt habt!“

„Vivi auch“, wiederholte er tonlos, ohne auf den zweiten Teil von dem, was sie gesagt hatte, einzugehen.

Sie bohrte auch nicht nach und winkte einen Mann herbei, der einen Schecken an den Zügeln führte. Viele der Pferde und Kamele waren bereits im Einsatz, denn der herzensgute Toto war sämtlichen Bewohnern der Siedlung ein stilles Idol – für jene, die keinen mehr hatten, sogar eine Vaterfigur. Ohne ihn – da waren sich alle einig – wäre Yuba nicht förmlich aus dem Sand gesprossen, und ganz gewiss hätten sie ohne ihn, der er als Einziger nie an dem König oder der Oase gezweifelt hatte, niemals hierher zurückkehren können.

„Nehmt dieses.“ Okame übergab ihm die Zügel. „Findet den verfluchten Typen und jagt ihn zur Hölle!“

Corsa nickte. Dann drehte er sich um. Vivi war bereits aufgestanden und beäugte ihn erwartend. „Steig auf, Vivi, wenn du unbedingt mitwillst. Karuh kann sich hier ausruhen; hier ist es sicher.“

Er stieg auf den Sattel und hielt ihr hinter seinem Rücken eine Hand entgegen, an der sie sich auf den hohen Rumpf des Tieres ziehen konnte.

„Halt dich fest“, warnte er sie. „Ein Pferd zu reiten ist etwas anderes als auf dem Rücken einer Rennente zu sitzen, die dich auch noch gut kennt.“

„Ist gut“, bestätigte sie und legte die Arme um ihn.

Die durcheinanderlaufenden Menschen machten nun Platz, als sie Richtung Wüste ritten, und einige sahen ihnen nach, was Okame gar nicht gern hatte: „Nicht trödeln, Leute! Sucht weiter! Jede Sekunde zählt, kapiert?“
 

Nachdem die höchsten Türme der Siedlung vom Horizont verschluckt worden waren, bat Vivi Corsa, anzuhalten. „Hast du überhaupt ein Ziel?“

Er verneinte widerwillig.

„Wohin willst du dann?“, fragte sie ihn verstimmt und sprang hinunter.

Verschattete Brillengläser waren auf sie gerichtet. „Ich muss meinen Vater finden!“

„Das weiß ich ja!“ Was die Prinzessin nicht wusste, war, ob sie gerade sauer auf ihn sein oder Mitleid empfinden sollte. „Aber wie willst du das schaffen, wenn du gar keinen Anhaltspunkt hast? Willst du die ganze Wüste durchforsten?“

„Soll ich über Landkarten brüten, während mein Vater in Gefahr ist?“, erwiderte er heftig.

„Nein!“, rief sie zurück. „Aber mal kurz nachdenken!“

„Ich brauche nicht zu stehen, um nachzudenken!“

„Dann denk laut!“

„Warum?“

„Weil ich wissen will, was du denkst!“

„Es tut doch nichts zur Sache, was ich denke!“

Sie ballte die Fäuste. „Oh doch! Denn als du das letzte Mal nachgedacht hast, haben kurz darauf zwei Millionen Menschen Arbana überfallen!“

Schlagartig veränderte sich die gereizte Atmosphäre. Die Energie, die zwischen ihnen hin und her geworfen wurde, fülliger und fülliger werdend wie ein Ballon, der bald platzen wird, verdampfte jäh an der erkaltenden Hülle des damaligen Rebellenchefs, und Vivi, die schon Atem für den nächsten verbalen Gegenangriff geholt hatte, ließ ihn mangels Zündstoff wieder frei. Erst da begriff sie, was sie soeben gesagt hatte.

„Lass uns hier suchen“, ordnete Corsa knapp an.

Sie nickte wie eine Marionette, die von den Fäden einer unbeteiligten Vernunft regiert wurde.

Die beiden trennten sich und suchten entfernt voneinander nach Hinweisen auf Totos höchstwahrscheinlich unfreiwilligen Aufenthaltsort. Die Augen starr auf ihre Füße richtend, als erwartete sie, in eine Falltür zu tappen, versuchte Vivi zu verdrängen, was vorher laut geworden war. Es hatte ihren Mund nicht als Anklage verlassen, aber Corsas Gehör als eine erreicht. Just wurde ihr klar, dass die Schäden der Rebellion zwar in den Städten und Dörfern beseitigt werden konnten, nicht jedoch in den Seelen ihrer Bewohner. Wenn Blut auf der Haut verkrustet, weil niemand es abgetupft hat, dann wäscht auch ein Regen es nicht mehr fort. Sie wollte sich entschuldigen.

„Lead…!“ Plötzlich stolperte sie. Der weiche Sand fing ihren Sturz ab, sodass sie unversehrt hätte aufstehen können, wenn nicht etwas anderes sie davon abgehalten hätte. Stattdessen ließ sie sich also sinken, bis ihre Wange den feinkörnigen Grund berührte, welcher sich heiß an ihre Haut schmiegte, und wartete.

Ihr Anführer hatte ihren Fall nicht zur Notiz genommen. Konzentriert suchte er die nichts verratende Umgebung ab, doch sie merkte, dass er tief in Gedanken versunken war. Beim Beobachten seiner langen, für sie um 90 Prozent verkehrt stehenden Gestalt wurde ihr bewusst, wie wichtig es war, seinen letzten Verwandten gesund zu finden.

Sie zog scharf die Luft ein, als endlich das geschah, worauf sie gehofft hatte. Mit aufgeregten Fingern fegte sie über den Sand, änderte dessen Gefüge und entdeckte doch nichts Ungewöhnliches. Trotzdem war sie sich ganz sicher. So sicher, dass es genügte, um Corsa aus seiner Grübelei zu reißen: „Leader, komm schnell!“

Besagter blickte sich nach ihr um, schrak auf, da er sie regungslos liegend ausmachte, und verlor keine Zeit, zu ihr zu stoßen. „Vivi! Bist du verletzt?“ Er kniete sich zu ihr.

„Nein“, entgegnete sie beschäftigt. „Aber ich habe vielleicht etwas gefunden.“

Natürlich verstand er nicht gleich: Eine Prinzessin, die auf dem Boden lag, weit und breit nichts zu sehen…

Entschieden platzierte sie ihm eine Hand auf das Haar und drückte seinen Kopf neben den ihren, sodass sie dicht beieinander lagen. „Hör doch mal“, signalisierte sie ihm, ehe es still zwischen ihnen wurde. Mausoleumsstill. Keine Brise pfiff, keine Düne rauschte. Corsa, der aktuell keine Zeit für irgendwelche Spiele aufbringen konnte, wollte sich schon erheben und erkundigen, was das eigentlich sollte, doch auf einmal war es nicht mehr nur die Hand auf seinem Hinterkopf, die sein Vorhaben verhinderte.

„Merkst du’s?“, fragte Vivi ihn, und er bestätigte mit einem Nicken. Also hatte sie es sich nicht eingebildet: Da waren tatsächlich Rufe zu hören, wie aus den Tiefen der Wüste. Als würde der Sand selbst leise klagen.

Ihr Freund schwang sich auf und blickte, nach einem Einverständnis haschend, auf sie hinunter. Sie folgte ihm. Mit nichts als den Händen begannen die beiden, an Ort und Stelle zu graben. Erst flach, wurde die Mulde rasch konkaver, und je länger sie arbeiteten, desto lauter wurde die Stimme aus dem Untergrund.

„Ich glaub’, ich hab’ etwas!“, stieß Vivi freudestrahlend aus und beschleunigte ihre Bewegung. Das Graben fiel ihr plötzlich ganz leicht. Corsa wollte sie noch warnen, doch da war es bereits zu spät: Der Boden unter der sich vorneigenden Thronerbin gab unvermittelt nach, rutschte mit ihr und ihrem erschrockenen Aufschrei in den sich öffnenden Schlund; und obwohl Corsa versuchte, sie noch zu greifen, landete sie schließlich mit einem dumpfen Geräusch auf dem Grund des Erdinneren.

Die letzten Sonnenstrahlen ermöglichten es ihm gerade noch, ihren blauen Schopf zu erkennen. Sie stand auf, klopfte sich den Umhang sauber und drehte sich orientierend um die eigene Achse. Dann erstarrte sie. Da sie nicht selten unter den hohen Dünen Alabastas verborgen lagen, war Corsa gleich auf die Idee gekommen, dass es sich bei dem da unten vermutlich um eine antike Ruine handelte. Aber worauf starrte Vivi so fassungslos?

Als die Rufe wieder ertönten – nun ganz klar und deutlich – warf er die Ungewissheit und die Sorge von sich wie einen schweren Mantel und sprang ohne weiteres Zögern hinab. „Vater!“, rief er, im Schatten des unterirdischen Raumes einen bejahrten Mann, an Händen und Füßen mit Hanfseilen fest verschnürt, ausmachend.

Der Gefangene war sichtlich erleichtert. „Corsa, mein Junge! Ich bin ja so froh!“

Während sich die beiden um seine Fesseln kümmerten, fiel Corsa auf, dass die Augen seines Vaters verdächtig schimmerten. Er musste Angst durchgestanden haben, schreckliche Angst, wohingegen er, der doch für Yuba und dessen Bürger verantwortlich war, in Arbana herumgehangen hatte. Er hätte niemals gehen dürfen…

„Wer war das?“, hörte er Vivi aufgebracht fragen. „Wer hat dich entführt, Onkel Toto?“

Es schien dem Alten jede Menge Überwindung zu kosten, mit der Antwort herauszurücken, so als würde er einen Freund verraten, der aus verzweifeltem Hunger einen Apfel vom Baum des Nachbarn gestohlen hat. In der Tat sollte die Aufklärung sie entsetzen. Selbst Corsa entglitten die Züge, als sie nach gefühlten Minuten endlich ausgesprochen wurde: „Vorher… möchte ich euch bitten, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen“, gab Toto ihnen ernst und noch etwas heiser zu verstehen. „Ich kann es ja selbst nicht fassen. Es war… Nun – Kebi hat mich hierher verschleppt. Es tut mir Leid, Corsa.“

In Vivis Kopf ratterte es, ohne dass sie zu irgendeinem Ergebnis kam. Sie kannte Kebi und wusste, dass er ein guter Freund des Ex-Rebellenchefs war – eines der ersten Mitglieder des Suna Suna Clans. „Leader…“

Er reagierte nicht auf sie. Sein Kiefer zitterte leicht – ob vor Enttäuschung oder Wut, sie konnte es nicht sagen. „Kebi“, wiederholte er rau. „Das kann nicht sein… Warum sollte er… warum sollte Kebi meinen Vater entführen?“

Das Wasser wird knapp

Dieses harmonische Wiegen, höchst angenehme Nebenwirkung der lautlosen, steten Schritte auf dem weichen Sand, ließ sie zufrieden summen. Stück für Stück, so als wäre sie langsam einsickernder Regen, schmiegte sie sich vertraulicher an den Stoff, atmete dabei mit jedem Zug den Strandduft seines Haares ein und fühlte sich irgendwie geborgen. Ihrem ganzen Gewicht wurde gestattet, sich auf seinen Rücken zu laden, sodass sie sich leicht wie ein hohles Stück Treibholz vorkam, ein Stück Treibholz mit zwei frei baumelnden Unterschenkeln, das sich sicher sein durfte, dass es niemals fallen gelassen werden würde.

Sunny schlug die Augen auf. „Ich glaub’, mir geht’s schon sehr besser!“ Und das musste natürlich ausgenutzt werden! Erquickt warf sie ihre Arme um den Hals desjenigen, der sie trug. „Herr Cooorsaaaa!“

Auf einmal wurde es weiß. Reflexartig kniff Corsa die Augen zusammen und wandte sie ab von einer Sonne, die er so lange nicht mehr auf ihnen gespürt hatte. Die ungewohnte Freiheit um seinen Nasenrücken, vor allem aber Sunnys Lachen, welches heller war als die blendenden Strahlen, stellten die unmissverständlichen Folgen dar eines gelungenen Diebstahls der gefürchteten Zehn-Finger-Crew von Piratenkapitänin Sunny: Seine Brille war weg!

„Der ärgerliche Fremdkörper im Gesicht des Patienten wurde erfolgreich amputiert“, beglückwünschte sie seriös ein imaginäres Ärzteteam. „Meine Kollegen? Wir dürfen uns ausgiebig auf die Schultern klopfen!“

„Lass das“, tadelte er sie, weniger genervt wegen ihr als durch die ihn jetzt mit Kopfschmerzen attackierende Hitze.

Das kranke Mädchen überhörte ihn schlichtweg und klappte seine Errungenschaft zu und wieder auf, zu und wieder auf wie die Flügel einer mechanischen Möwe. „Oh“, machte es unvermittelt. „Kaputt.“

„Waaas?!“

„War nur Spaß!“, lachte es ausgelassen und setzte sie sich mit einer schwungvollen Bewegung selbst auf.

Na gut. Sollte sie ruhig ein wenig damit spielen, wenn es sie glücklich machte. Ja… Das war ein akzeptabler Kompromiss… Die Zeiten waren hart; die Kinder hatten nicht viel zu lachen. Da war – wenn es dann doch einmal passierte – jedes Lachen wie ein Traum jener Art, von der man sich einen wünscht zu haben, bevor man einschläft. Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet ihm – dem Wegbereiter des Aufstandes, dem Demagogen – so viele schöne Träume zuteil wurden, seit er Sunny kannte.

„Guck ma’ schnell, wie ich aussehe!“

Kinder verdienen es, in einer Welt aufzuwachsen, die ebenso schön ist wie ihre Freude. Ohne Gewalt. Ohne Krieg. Ohne einen schlechten König.

„Guckst du?“

Kobra. Dieses egoistische Stück Sch…!

Just schoben sich zwei kleine Hände vor sein Gesicht, und statt rot sah er nun wieder violett, als die weißen Bügel endlich an ihren Platz zurückkehrten. Violett inklusive wilder Fingerabdrücke.

„Woran denkst du?“, hörte er Sunny fragen.

„Das würdest du nicht verstehen“, wies er sie knapp ab und stellte fest, wie wenig Lust er empfand, den Mund zu bewegen. Er hatte keine Ahnung, wie weit es noch bis zu ihrem Ziel war.

„Dann denkst du bestimmt über Alabasta nach und darüber, wie blöd es allen geht!“, kombinierte sie, stolz auf sich selbst. „Guck nich’ so! Immer, wenn die Großen sagen, wir würden das nich’ verstehen, reden sie darüber!“

Die Kinder mussten lernen, flugs erwachsen zu werden, um ihren verzweifelt arbeitenden Eltern nicht zur Last zu fallen. Es war eine falsche Annahme, sie würden weniger mitbekommen, wenn man sie aus den Gesprächen hielt. "Indem man nicht drüber redet, löst es sich nicht einfach in Luft auf". Er erinnerte sich.

„Außerdem bist du doch der Boss von all denen, die für uns kämpfen, oder? Ihr rebellt gegen den König, stimmt’s? Ihr werdet uns retten!“

"Retten"… Wenn es bloß so simpel wäre. „Woher… weißt du das?“

„Mann, da fragst du aber was!“, erwiderte sie geradezu empört. „Das ganze Land spricht doch von dir! Überall reden sie von dem Rebellenprinz Corsa, der uns den Regen wiederbringen wird und alle retten tut! Und dann siehst du ihre Gesichter hell werden, wie wenn sie über Sir Crocodile reden!“

Er hatte nicht gewusst, dass man sich solche Dinge über ihn erzählte. Wenn auch der Vergleich mit Alabastas mysteriösem "Volkshelden", welcher es seit Beginn der katastrophalen Dürre vorzog, sich tief in seiner davon unbetroffenen Kasinostadt Rainbase zu verschanzen, für Corsa eine eher zweifelhafte Ehre war, so führte er ihm doch anschaulich vor Augen, was für eine Verantwortung ihm oblag.

„Findest du den König doof?“

„Ich mag ihn zumindest nicht sehr.“

„Also glaubst du, dass er schuld ist?“

„Wer sollte sonst für all das in Frage kommen?“

„Weiß nich’, aber… ich kann mir nich’ vorstellen, dass er uns so was antut. Dafür hab’ ich ihn einfach viel zu lieb in meiner Erinnerung!“

Der junge Mann seufzte und dachte an seinen Vater, der in Yuba beharrlich die Felder pflügte, während rings um ihn her die Rebellen ihre Waffen wetzten. „Manchmal irrt man sich eben in den Menschen.“

„Du vielleicht, aber ich verirre mich nie! Prinzessin Vivi“ – bei der prompten Erwähnung dieses Namens öffnete Corsa den Mund, als wollte er dem Kind zuvorkommen, stockte jedoch und schloss ihn gleich wieder – „hab’ ich ma’ richtig von Nahem gesehen! Sie hat sich zu mir gehockt – nich’ wie viele Große, so von oben herab – und dann – halt dich fest – hat sie mich angelächelt! Mir war das irgendwie voll peinlich… Aber auf eine schöne Weise! Davon werd’ ich noch meinen Enkeln berichten! Ich vertrau’ ihr!“

Der Prinzessin vertrauen? Ihretwegen, die sie einst so etwas wie seine Sandkastenfreundin gewesen war, zierte die Narbe sein linkes Auge, und er erinnerte sich, ziemlich stolz darauf gewesen zu sein. Selbst heute noch fühlte er sich durch dieses Mal mit der Thronerbin verbunden. Wie ein mystischer Schwur schien es ihn für immer als ihren Beschützer gebrandmarkt zu haben.

„Magst du die Prinzessin auch nich’? Gibst du ihr auch Schuld? Hasst du sie etwa?“

Verschwunden war sie – verschwunden während einer Zeit, in der ihr Land sie mehr gebraucht hätte als jemals zuvor. Er hatte sie angeschrien, ihr Vorwürfe und Anklagen gemacht, hatte geheult und sie auf den Knien angefleht, zu bleiben. Sie hätte den Menschen Hoffnung schenken können; auf sie hätten sie gehört. Gemeinsam hätten sie Alabasta retten können. Doch Vivi hatte es vorgezogen, zu gehen.

Hasste er sie? Hasste er sie wie seinen Vater und den König? Er war es leid, hassen zu müssen. Er hatte keine Kraft mehr dazu…

Sunny ordnete sein Schweigen natürlich vollkommen falsch ein: „Wusst’ ich’s doch!“

Hätte er in ihre übliche Engelsmiene schauen können, so wäre er verblüfft gewesen über das verwegene Grinsen, welches ihn dort erwartet hätte.

„HERR CORSA IST VOLL IN DIE PRINZESSIN VERKNAAHAAALLT!!!“

Ein Ei in der Pfanne auf einem der Sonne gnadenlos ausgesetzten Stein hier mitten in der Wüste hätte nicht heißer werden können als ihm augenblicklich, und zum ersten und einzigen Mal an diesem Tag war er dankbar dafür, dass sie noch meilenweit von jedem bewohnten Gebiet entfernt waren. „Ähhh…“ Nicht einmal die Sandora-Echsen hatten sein Herz solcher Turbulenz ausgesetzt! „Wir waren gute Freunde. Das ist alles.“

„DU LÜÜHÜÜÜGST! Du bist ganz rot!“

„Wegen der Hitze. Es… es ist ungewöhnlich… heiß…“

„"Ungewöhnlich"? Ha! Du versprichst dich bereits in Widersprüche!“

„I-ich…?“

„Außerdem schwitzt du ja nich’ ma’!“

Seine Beine knickten ein, und er landete auf dem Knie. Sofort änderte sich Sunnys Stimmung: „Ist alles gut?“

Auf dem Rücken ihres Trägers nahm sie jedes geringe Zittern wahr, das durch seinen Körper ging, während er sich wieder in die Höhe rang. „Ja… Geht schon wieder.“

Das Gesicht des Mädchens erstarrte in seiner Sorge. Vier Schritte weiter stockte er vor Schmerz, blieb jedoch oben. „Bin ich zu schwer? Soll ich runter?“

Nein!“, fuhr er es an, offenbar viel grober als beabsichtigt, denn schon in der nächsten Sekunde besann er sich. „Nein. Ist schon okay.“

Sunny traute sich nicht, offen auf ihrem Zweifel zu bestehen. Tatsächlich passte sich die Regelmäßigkeit seines Ganges bald wieder dem Vertrauten an. Sie bemerkte ihm gegenüber eine innige Dankbarkeit, als ihr bewusst wurde, was er für sie auf sich nahm. Eine Dankbarkeit, die von solcher Ehrlichkeit und Tiefe war, dass Sunny sich gegenwärtig nichts lieber wünschte, als sich angemessen erkenntlich zeigen zu können, wie es Worte allein nicht vermochten. Nur: Wie? Sie besaß nichts, um ihn zu bezahlen; sie konnte ihm nichts schenken. Was sollte sie tun?
 

„Gar nichts“, sagte er schlicht, vor dem Hintergrund einer obskuren Nacht.

„Gar nichts?“, wiederholte sie mutlos. Gewickelt in Wolldecke und seinen Mantel kauerte sie dennoch bibbernd vor dem kleinen Lagerfeuer. Ihre eigene Stimme kratzte ihr im Hals.

„Jeder Mensch hätte das getan“, erklärte er sich ihr in einem Tonfall, der sie an Langeweile erinnerte.

„Stimmt ja gar nich’!“, widersprach sie ihm strikt. „Du tust ja gerade so, als hätt’ ich dich gebeten, mir was vom Kiosk mitzubringen oder so!“

„Hast du keinen Hunger?“ Er nickte dem Brot zu, das vor ihr lag.

„Nich’ wirklich.“

Eine Antwort, die seine Sorge bestärkte. Jedes Verneinen, jedes Ablehnen stellte ein bekümmerndes Indiz ihrer zunehmenden Schwäche dar. In den vergangenen Stunden hatte sich ihr Zustand sichtbar verschlechtert. Seine Machtlosigkeit, etwas dagegen unternehmen zu können, ließ ihn sich erbärmlich fühlen.

Das Feuer zwischen ihnen züngelte in die Luft, als könnte es davon gar nicht genug bekommen, wackelte im schneidenden Wind und warf ein ruheloses Schattenspiel auf die zerbrochenen Wandstümpfe eines ehemaligen Tempels, an denen die Reisenden sich niedergelassen hatten. In seiner Sprache aus Knisterlauten erzählte es Geschichten über andere Wanderer, die es bisher begleitet hatte, obzwar keiner der beiden Zuhörer sie verstehen konnte. Den dichten, grauen Rauch, welchen es dabei ausstieß, verleibte sich ab einer unbestimmten Höhe der sternenklare Himmel scheinbar ein. Es war nicht still, aber ruhig. Allein Corsas gepresstes Atmen fügte sich nicht in die beschwichtigende Kulisse. Das fiel Sunny nun auf. Beklommen sah sie in das fahle Gesicht ihres Retters. „Herr Corsa?“

„Hm?“ Endlich regten sich die Pupillen hinter den dunklen Gläsern, fanden langsam zu den ihren. In diesem Moment fasste sie nach der Wasserflasche neben sich, hob und schüttelte sie vor seinen verstehenden Augen. Beide lauschten dem munter glucksenden Schwall, der inzwischen viel Raum in dem Zinnbehälter zum Wippen hatte. Es war höchste Zeit, Nanohana zu erreichen.

„Ein Schluck ist noch drin“, murmelte Sunny.

„Nimm ihn zu dir, wenn du durstig bist“, gestattete er ihr, obschon dem nächsten Mal mit Unbehagen entgegensehend, sobald sie fragen, aber er ihr nichts mehr würde anbieten können.

„Und du?“, wollte sie da wissen. „Du hast doch die ganze Zeit nichts getrunken; ich hab’s genau gesehen!“ Mit schimmernden Augen senkte sie den Kopf. „Oder eben… nich’ gesehen…“

Sie hatte Recht: Er hatte es tatsächlich nicht getan. Er hatte sich so entschieden, um ihr zu helfen.

In ihrem dicken Kokon aus Stoff robbte sie um die Feuerstelle zu ihm her.

Um ihr zu helfen… Doch da er jetzt darüber nachdachte…

Kleine Hände tasteten nach seinem ausgestreckten Bein, dessen Muskeln vor Flüssigkeitsmangel bereits steif waren, zogen ihre Besitzerin näher an ihn, bis ihre weichen Fingerkuppen die trockene Haut seiner Wange berühren konnten.

Wie hilfreich wäre es für sie, wenn er nicht mehr weiter könnte? Wenn er bewusstlos werden… und vielleicht nicht wieder aufwachen würde?

An seiner Seite machte sie sich klein, vergrub die runden Fäuste und ihr Gesicht in sein Hemd. „Tut mir Leid!“, schluchzte sie unerwartet. „Es tut mir so Leid! Ich wusste ja, dass es egoistisch von mir ist! Ich hab’ nur an mich gedacht, aber…“

Ihr Griff festigte sich.

„…ich wollte doch nich’, dass du deswegen stirbst! Oder dein Pferd…! Nein, das hab’ ich alles niemals beabsichtigt! Bitte, Herr Corsa: Du musst mir das glauben!“

Die Schluchzer durchzuckten ihren wehrlosen Leib.

„Bitte bleib bei mir!“

Eine Hand an ihrem nassen Antlitz ließ sie innehalten. Erschrocken sah sie auf, als sie die beinahe sanfte Berührung eines Mannes spürte, der getötet hatte. Sie sah in die Augen eines Mörders und erkannte Lebensermüdung und Resignation.

Die Flasche wurde an ihre vor Erstaunen geöffneten Lippen geführt. „Du bist müde“, sprach er ruhig, aber restriktiv. „Trink und ruhe dich aus.“

Der Autorität seiner dunklen Stimme hatte sie nichts entgegenzusetzen. Regelrecht willenlos schluckte sie das Wasser, ohne den Blick von ihm zu wenden. Und dann, als sie schätzte, ungefähr die Hälfte getrunken zu haben, hob sie ihren Zeigefinger und drückte mit diesem die Flasche von sich fort. „Und jetz’ du.“

Er zögerte.

Doch Sunny duldete keine Ausflucht: Sie streckte sich, umklammerte jene Hand, die die Flasche hielt, und schob sie zu seinem Mund. „Lass uns teilen“, schlug sie mit halb erstickter Stimme vor – lächelnd, während die Tränen noch in ihren hellgrünen Augen glänzten. Sie sah verzweifelt aus, glitt jedoch in sichtliche Zufriedenheit, als er endlich nachgab.

Corsa seufzte auf, warf die nun leere Flasche zur Seite, ehe er den Kopf gegen die Wand hinter sich fallen ließ und allmählich an ihr niederrutschte.

Das kontinuierliche Ziehen an seinem Schal verhinderte, dass er sofort wegdriftete. „Kann ich heute bei dir schlafen?“, flüsterte jemand.

„Darüber will ich jetz’ nich’ mehr diskutier’n…“, erwiderte er undeutlich, ohne seine Lider noch einmal nach oben zu bemühen, legte einen Arm um ihren Rücken und zog sie an sich.

„Danke… Ich hab’ dich lieb…“

Er hörte es bereits nicht mehr.

Expedition im Dunkeln

„Was ist das hier?“

Die Prinzessin hatte sich erhoben und von den anderen fortbegeben, um sich ein genaues Bild von der düsteren Kammer, die sie umschloss, zu machen sowie außerdem von dem aktuellen Thema Kebi abzulenken, welches Corsa stark beschäftigte. Er hatte sich nicht einmal gerührt, seitdem er die Wahrheit aus dem Mund seines Vaters erfahren hatte.

„Eine weitere, viel zu erzählen habende Ruine“, antwortete der ihr und richtete sich ächzend auf. „Ich kenne mich hier nicht aus, weil die Schnüre meinen Bewegungsdrang etwas eingeschränkt haben, aber wenn mich meine alten Augen nicht trügen, geht es dort weiter.“ Er hob seinen Arm in die Richtung eines im Schatten liegenden Korridors.

„Ich frage mich, wo der Weg wohl hinführt?“ Vivis Stimme war erwachende Abenteuerlust zu entnehmen. „Die antiken Ruinen sind sehr bedeutsam für die uns nur fragmentarisch bekannte Geschichte Alabastas. Manchmal findet man erstaunliche Schätze und Tafeln, auf denen die Kultur unserer Ahnen verzeichnet ist.“

Kebi scheint sie entdeckt zu haben“, nahm Toto an. „Jedenfalls macht sie auf mich einen noch ziemlich unerforschten Eindruck. Mit meinem kleinen Finger konnte ich ganz klare Bilder in den Staub malen! Wollt ihr sie sehen?“

Corsa überlegte, ob dies der Grund sein könnte. Sehnte sich Kebi nach dem Ruhm, welcher ihn für seinen Fund erwarten würde? Derart nahe an der Oase Yuba gelegen, hatte er vielleicht befürchtet, jemand anderes würde über die Ruine stolpern und sie als Erster den Archäologen im Palast melden. Aber verdächtigte er ausgerechnet auch seinen "Onkel" Toto solch einer Tücke? Und wieso ließ er sich Zeit damit, seine Entdeckung öffentlich zu machen? Er musste unbedingt dahinterkommen.

„Vater“, wandte er sich an den örtlichen Bürgermeister. „Ich möchte, dass du nach Yuba zurückkehrst. Alle suchen nach dir; du musst sie beruhigen. Vivi und ich werden uns das hier mal genauer anschauen.“

„Aaach…“ Der Alte trat auf ihn zu, grinste den hochgewachsenen Mann kampflustig von unten an. „Gib doch zu, dass du dir Sorgen machst. Du hast Angst um meine morschen Knochen, ist es nicht so?“ Um die Stabilität eben jener unter Beweis zu stellen, packte er sich an seinem Arm und ließ diesen rasant umherkreisen – KNACKS! „AAAAAAAAH!“

„Onkel Toto!“

Der ehemalige Rebell schlug sich eine Hand an die Stirn. „Vater, bitte: Geh nach Hause. Oben steht ein Pferd; das kannst du nehmen.“

Toto, dessen Arm von Vivi auf bleibenden Schaden hin untersucht wurde, nickte einsichtig. „Also gut. Aber passt auf euch auf, ihr zwei, hört ihr? Wenn es zu dunkel oder gefährlich wird, kehrt ihr sofort um, habt ihr mich verstanden? Keine Mutproben!“

„Ich bin kein Kind mehr“, murmelte Corsa beleidigt.

„Ich will dich ja nicht bevormunden. Ich mache mir nun mal genauso viele Sorgen um dich wie du dir um mich.“

„Ich kann mich gut verteidigen.“

„Dieser Überzeugung warst du vor zwei Jahren auch schon, mein Sohn. Und als du dann wiederkamst, hattest du mehr Löcher von irgendwelchen Einschüssen, als ich in der Zwischenzeit in Yuba gegraben hatte.“

Corsa vernahm Vivis unterdrücktes Kichern. Er stöhnte.
 

Nachdem sie den mageren Greis durch das Leck in der Decke zurück an die Oberfläche verfrachtet und sich versichert hatten, dass er auf den Schecken geklettert war, begaben sich die beiden Freunde auf den Weg. Konzentriert folgten sie dem Gang, der schlicht geradeaus verlief. Das schwindende Abendlicht hatte keine Chance, sie so weit zu akkompagnieren, sodass Corsa bald einen leichten Zug spürte, den Vivis sich an seinen Mantel heftende Finger verursachten.

„Es riecht seltsam“, stellte sie auf einmal fest.

„Der Muff der Antike“, bestätigte er.

„Das meine ich nicht.“

„Ich rieche sonst nichts.“

„Oh! Natürlich nicht.“

Er blieb stehen, und Vivi lief gegen seinen Rücken. Nicht imstande, sie in der Dunkelheit auszumachen, vermochte er nicht zu erkennen, ob sie lächelte oder ernst war. „Was hast du, Vivi?“, forderte er sie auf, sich ihm zu erklären.

„Ach, gar nichts“, winkte sie ab und ging weiter.

Er brauchte einen Moment, um das zu registrieren und zu ihr aufzuschließen. „Was ist los? Stimmt etwas nicht?“

Doch statt sich der Situation angemessen zu verhalten, begann sie, zu kichern. „Es ist nichts, Leader!“

„Warum sagst du dann so etwas?“ Er hob die Hände, um sich zu vergewissern, wo sie war, hegte zugleich allerdings Bedenken, sie tatsächlich aus Versehen zu berühren.

„Was meinst du?“

„Dass du etwas riechst, das ich nicht riechen kann.“ An seiner Schulter landete abrupt die Wand.

„Ich hatte einfach Lust, etwas zu sagen. Hast du das nicht, manchmal?“

„Nicht jetzt“, entgegnete er schroff. Kurz bevor er gegen die andere Wand laufen konnte, zog sie ihn an ihre Seite und lachte erneut.

„Es ist echt süß, wie du dir um alles immer so viele Gedanken machst, Leader, aber nun entspann dich doch mal!“

Ein einziges Mal war er dankbar für die verdammte Finsternis, die niemanden irgendetwas sehen ließ.

Vivi nahm einen seiner Arme in Beschlag. Eine Weile gingen sie so nebeneinander her. Der Verlauf des Tunnels änderte sich nicht im Geringsten. Es erweckte den Eindruck, sie würden gar nicht vorankommen.

„Leader? Du hast vorhin davon gesprochen, dass du ihn dieses Mal kriegen wirst… Wen meinst du?“

Er machte eine bagatellisierende Geste, ehe er gewahrte, dass sie diese ja gar nicht sehen konnte. Sie hätte nichts davon mitkriegen dürfen. Lediglich der Fortschritt brauchte die Königsfamilie zu interessieren, nicht aber die Probleme in Yuba. Doch nun würde Vivi ohnehin nicht mehr lockerlassen. „Irgendein Aufschneider vergreift sich ständig an unseren Erzeugnissen. Er kennt keinen Skrupel und verwüstet scheinbar wahllos Wohnungen, sobald ihre Eigentümer nicht zuhause sind. Du kannst mir glauben, dass wir nichts unversucht lassen, um ihn zu erwischen, aber der ist flink wie ein Fennek und stellt sich gar nicht mal dumm an.“

„Ist er aus Yuba?“

„Das vermute ich, und das ist es auch, was ich nicht verstehe: Es ist genug für alle da. Yubas Wirtschaft bietet niemandem einen Anlass, sich mehr zu nehmen, als ihm zusteht.“

„Wisst ihr nicht, wie er aussieht? Kennt ihr nicht seinen Namen?“

„Er verbirgt sein Gesicht hinter einer ziemlich schrägen Maske und vermeidet es, zu sprechen. Aber lass das mal meine Sorge sein. Hiermit hat er wohl nichts zu tun; schließlich war es ja Kebi, der meinen Vater entführt hat.“

„Leader, ich verstehe das nicht: Warum Kebi?“

Müßig zuckte er mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung, Vivi. Ich hoffe, das werden wir noch herausfinden.“

Der Weg wollte einfach kein Ende nehmen. Ungestört hallten ihre Schritte durch die Schwärze und ließen Vivis Begeisterung für dieses Unterfangen eingehen wie eine Pflanze ohne Bewässerung. Wer bitte würde so einen Riesentunnel konstruieren ohne irgendetwas, das er miteinander verbindet? Trotzig klammerte sie sich an ihre Überzeugung, dass hier früher oder später einmal etwas kommen würde – wenn sie auch noch nicht wusste, was. Es könnte etwas Aufschlussreiches sein… etwas Faszinierendes. Es könnte genauso wahrscheinlich etwas Furchtbares sein. Besonders Corsa schien die Vorahnung einer Gefahr nicht loszulassen. Die Prinzessin spürte, wie angespannt er war. Sie nahm es ihm nicht übel, immerhin konnte sie sich vorstellen, wie stressig die vergangenen Wochen für ihn gewesen sein mussten: Ein ewiges Hin und Her zwischen Yuba und Arbana, ohne zu wissen, wo er bleiben sollte, wo er hingehörte. Die Augen und Ohren ihres Vaters lasteten auf ihm, erwarteten jene Entscheidung, die seine Zukunft unwiderruflich in eine doktrinär ausgeschilderte Bahn lenken würde. Sie wünschte sich, ihn irgendwie unterstützen zu können, war sich allerdings bewusst, dass niemand das Recht hatte, ihm die Bürde seiner Wahl von den Schultern zu nehmen.

„Vivi.“

Sein leicht verdutzter Ton holte sie aus ihren Gedanken. Sofort fiel ihr der blasse, wippende Schein ins Auge. Ihre Miene erhellte sich. „Licht! Da vorne muss etwas sein!“ Sie löste sich von ihm und rannte der Dämmerung entgegen. Nach wenigen Metern straften die zerklüfteten Bodenplatten ihre Eile ab: Sie stürzte; ein scharfer Schmerz fuhr durch ihren Fuß.

„Vivi! Ist was passiert?“ In Anbetracht der blendenden Dunkelheit fand Corsa sie erstaunlich schnell.

„Mann… Ich bin heute wirklich ungeschickt.“

„Lass mal sehen.“

„Du siehst doch sowieso nichts“, gluckste sie gerührt. Vorsichtig setzte sie sich auf. Sie hörte Stoff rauschen. Als sie Corsas bloße Hände auf ihrer Haut spürte, zog sie überrascht die Luft ein.

„Tut es da weh?“, erkundigte er sich sofort.

Ein einziges Mal war sie dankbar für die verdammte Finsternis, die niemanden irgendetwas sehen ließ.

„Vivi?“

„Ähhh… Schau mal ein Stück weiter unten.“

Er berührte ihr Fußgelenk. „Hier?“

„Au! Ja…“ Doch der Schmerz verlor komplett an Geltung, da er ihren Fuß behutsam von der Sandale befreite und auf seinem Knie bettete.

„Manchmal bist du aber auch ein Tollpatsch…“

„Wie bitte?!“

„Beruhige dich. War nur Spaß.“

Sie plusterte die Wangen auf und schickte einen eingeschnappten Blick dorthin, wo sie ihn vermutete. „Wie kommt’s, dass sich "Spaß" bei dir genauso anhört wie eine Kondolenzbekundung, hm? Kannst du mir das mal erklären?“

„Nimm es dir nicht so zu Herzen, Vivi. Ich wollte dich sicher nicht kritisieren.“

Da hielt sie inne. Stimmt: Sie fühlte sich kritisiert. Und reagierte darauf wie ein verwöhntes Mädchen, das seinen Dessert-Nachschlag nicht bekommt. Wie würde sie sich dann erst ertappen, wenn er einmal ernste Kritik ihr gegenüber äußerte, wie sie es sich von ihm wünschte?

Seine Finger tasteten ihren Fuß ab, als wäre er aus Porzellan. Wegen der Unmöglichkeit, sie zu sehen, nahm die junge Frau sie nur noch differenzierter wahr: Sie waren trocken und rau von der vielen Feldarbeit unter der stechenden Sonne. Voller äußerst feiner Narben – wie ein subtiles Netz, das sich über seine Handflächen zog. Niemand im Palast hatte solche Hände. Nicht einmal Ruffy hatte solche Hände. Zugleich waren sie schmal. Zu schmal für jemanden, der so ein Schwert hielt. Der zwei Jahre lang gekämpft hatte.

„Ist ein bisschen aufgeschürft, scheint aber nichts gebrochen zu sein. Kommst du hoch?“

„Leader?“, fragte sie in die Schwärze, die sie umgab.

„Ich bin hier.“

„Leader, es…“ Sie streckte die Arme aus. Ihre Hände orientierten sich an jener Stelle, wo sie miteinander Kontakt hatten, kletterten den Ärmel seines Mantels hinauf und fanden seine Schultern. „Es tut mir Leid.“

„Dass du gestolpert bist?“

„Das, was ich vorhin gesagt habe.“

„Ach… Das ist doch schon längst vergessen.“

„Nein“, versetzte sie. „Es war ungerecht von mir. Ich hätte so etwas nicht sagen dürfen. Nimm meine Entschuldigung an.“

Seine Stimme wurde kühl. „Was willst du denn zurücknehmen? Die Wahrheit?“

Sie kam nicht dazu, darauf zu antworten.

„Der Angriff auf Arbana war meine Schuld“, erklärte er, beinahe jedes Wort betonend, als würde er stur einen Satz in einer ihm selbst fremden Sprache vortragen. „Ich habe ihn geplant und durchgeführt. Du kannst mir die Verantwortung dafür nicht nehmen, Vivi, und ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum du das überhaupt willst. Niemand hasst mich oder hat mich deswegen bestraft.“

„Dafür hasst und bestrafst du dich selber dafür, hab’ ich Recht?“

„Woher willst du das wissen?“

„Leader, ich sehe es. Ich sehe dich. Wann immer du in Arbana bist: Ich sehe dich trainieren, ich sehe dich spazieren, ich sehe dich mit meinem Vater und ich sehe dich nachdenken. Die Brille schützt dich nicht vor elf Jahren Bekanntschaft.“

Neun Jahre“, korrigierte er sie streng. „Du vergisst, dass du zwei Jahre lang nicht dagewesen bist.“

„Zwei Jahre, in denen du trotzdem fest an mich geglaubt hast, nicht wahr?“

Ihre Hand an seiner Wange verriet ihr, dass er eingestehend sein Haupt senkte.

„Die Rebellion ist vorbei, Corsa“, flüsterte sie. „Und du bist mehr als der Anführer der Rebellen. Weil meine unbedachte Aussage dir das Gegenteil vermittelt hat, möchte ich, dass du sie mir verzeihst.“

"Wenn Freunde dir anbieten, dich fallen zu lassen", hörte sie Sanji in ihrer Erinnerung zwischen zwei Zigarettenzügen wie beiläufig erwähnen, "dann kannst du darauf vertrauen, dass sie auch stark genug sind, dich aufzufangen."

Vivi schmunzelte. „Wann hat dich das letzte Mal jemand in den Arm genommen? Wann hast du das letzte Mal gelacht… oder geweint?“

Der kristallklare Klang einer zerspringenden Wasserperle nutzte die Pause.

„Wann hast du dich zuletzt einmal ehrlich mit jemandem unterhalten? Über dich… über deine Ziele… und deine Ängste?“

Unversehens flüchtete ein schmales Rinnsal Nässe von seiner Wange auf ihren Daumen. Sie vermochte es in diesem Augenblick so schwer zu fassen wie damals den ersten Tropfen Regen auf ihrer Haut nach drei schier endlosen Jahren. Konnte das wirklich…?

„Es tropft von der Decke“, stellte Corsa fest und entzog sich ihrem Kontakt, indem er aufstand. „Hier – nimm meine Hand. Ich helfe dir hoch. Schaffst du das?“

Sie starrte in die Richtung, aus der seine Stimme kam, und rührte sich nicht.

„Vivi?“

„Ich… ich sehe deine Hand nicht, Leader.“

„Ja, natürlich“, räumte er ein.

Linkisch forschten sie nach ihrem Gegenüber. Als sie sich endlich fanden, nahm Vivi zur Kenntnis, dass er sich die Handschuhe wieder übergestreift hatte.

„Sei vorsichtig mit deinem Fuß. Er ist zwar nicht schlimm verletzt, aber überstürzen solltest du trotzdem nichts. Stütz dich an mich, in Ordnung?“

„In Ordnung. Danke, Leader.“

Corsa beschränkte sie auf ein mäßiges Tempo. Nur träge nahm der flackernde Schein an Intensität zu. Wie sich also sehr langsam, aber ebenso sicher herausstellte, warfen ihn an den Wänden befestigte Fackeln. Sie beleuchteten zwei Säulen, welche in kompliziert gestalteten Kapitellen endeten und gleich verantwortungsvollen Wächtern den Abschluss des Tunnels flankierten: Ein Torbogen, der sich in eine gar gigantische, mit unzähligen weiteren Fackeln ausgestattete Halle öffnete.

„Falk sei Dank!“, stieß Vivi erleichtert aus. „Es tut so gut, wieder etwas sehen zu können!“

„Was ist das?“, rätselte ihr Begleiter bereits.

Vor ihnen führte eine Treppe hinab. Sie blickten auf ein verwirrendes System aus Wänden und Gängen, das die gesamte Fläche der Höhle für sich in Anspruch nahm. Vivi erinnerte sich, Vergleichbares schon einmal in fernen Ländern kennengelernt zu haben, in den prachtvollen Gärten zeigefreudiger Adliger – allein bestanden die Wände dort aus minutiös zurechtgestutzten Hecken, nicht wie hier aus robustem Stein. „Ein Labyrinth. Sieh nur, wie riesig es ist. Sollen wir wirklich hineingehen?“

„Wir haben keine Wahl, wenn wir uns umschauen wollen. Versuchen wir es hiermit.“ Corsa präsentierte ihr eine Garnrolle.

Sie musste lachen. „Für so einen Zweck immer dabei?“

„Später wirst du wahrscheinlich dafür dankbar sein.“

Sein Tonfall ließ sie verstummen. Sie hatte sie beide lediglich etwas auflockern wollen.

„Gehen wir.“

Vivi übernahm die Führung, die Richtungen intuitiv wählend, derweil Corsa hinter ihr den Faden von der Spule löste, um die zurückgelegte Strecke zu markieren. Solange es gewährleistet war, dass sie sich nicht verlaufen konnten, scheute sich die Prinzessin nicht, entscheiden zu müssen.

So nah dran

Das Feuer war längst erloschen, als Corsa am nächsten Morgen die Augen öffnete – Korrektur: Am Mittag, denn die gleißende Sonne stach ihn, wie er feststellte, bereits aus dem Zenit des wolkenlosen Himmels. Weiterhin stellte er fest, dass Sunny verschwunden war – zumindest war sie nicht mehr dort, wo er sie gestern hingelegt hatte. Trotz des Schlafes fühlte sich sein Körper träge und schwer an, ließ sich kaum in die Höhe manövrieren. Und oben angekommen, fiel die Schwerkraft des Standes über seinen Verstand her wie ein schwarzes Grabtuch, das sich über sein Sichtfeld legte. Um Klarheit bemüht, schweifte sein Blick über das friedliche, blendend gelbe Areal.

Dort war das Mädchen. Mit dem Rücken zu ihm stand es auf einer Anhöhe und starrte auf den Horizont, als versprächen ihm dessen ausgebreitete Arme das glitzernde Meer. Sunny… stand. Das war befremdlich. Krankheit, Hitze, Dürre und Mutlosigkeit zerrten an ihr. Und dennoch stand sie.

Corsa löschte das Lagerfeuer und beschloss, zu ihr zu gehen. Er trat vorwärts, näherte sich ihr jedoch wohl nicht, denn ihre Erscheinung wollte einfach nicht größer werden, wie es die Logik einer schwindenden Entfernung nun einmal fordert. Er ließ die Dünen rings umher hinter sich… Oder glitten sie an ihm vorbei?

Als er neben Sunny gestoppt hatte, blinzelte er über den Hügel hinaus, direkt der prallen Sonne entgegen, die ihr gesamtes Reich in Weiß tauchte. Den pressenden Kopfschmerzen widerstehend, vermochte er zu beobachten, wie sich allmählich graue Linien aus dem Lichtozean erhoben, gleich einer von unsichtbarer Hand gezeichneten Vedute. „Das ist…“, hörte er sich fassungslos ausstoßen.

„…Nanohana“, lächelte Sunny.

Pastellblau erstreckten sich vor ihnen die bauchigen Kuppeln und quadratischen Gebäude der Hafenstadt. Corsa war, als könnte er bereits die Stimmen der Kaufleute ihre Waren anpreisen hören, die frischen Böen in den sich wölbenden Segeln der Handelsschiffe spüren, die tausend Aromen der kostbaren Parfüms sowie jenes des Salzwassers riechen.

„Steig auf!“ Seine Stimme bebte vor Aufregung, während er ostentativ an Winters Zügeln zog. „Es ist nicht mehr weit, dann bist du zuhause!“

Sie verharrte unheimlich ruhig, geradezu still. Wahrscheinlich hatte sie gar nicht mehr daran geglaubt, dass sie – dass er es tatsächlich schaffen würde.

„Sunny!“ Er drehte sie an ihrer Schulter zu sich herum und blickte in das eingefallene Gesicht eines Toten. Entsetzt stolperte er zurück und fiel in ein bodenloses Loch.
 

Nach Sauerstoff schnappend stieß er sich auf und hustete, bis seine Atemwege endlich frei waren. Eine Hand klopfte ihm auf den Rücken. „Geht’s wieder?“

Diese Stimme…

„Vivi…?“, hauchte er erschöpft. Er hatte keine Ahnung, wie die Prinzessin her- oder wie er zu ihr gekommen war, aber er wäre der letzte Mensch auf der Sommerinsel gewesen, der sich über diese rätselhafte Fügung beschwert hätte. Irgendwie versicherte ihm ihre bloße Anwesenheit, dass alles gut werden würde. Doch Sunny…

Ein helles Kichern. „Du denkst ja schon wieder nur an sie!“

Den Kopf hebend, blickte er unmittelbar in zwei große, wiesengrüne Augen. Irritiert war er an sie gebannt.

„Du hast geträumt“, klärte ihn das dazugehörige Gesicht auf. „Und dann bist du aufgewacht und hast gehustet. Oder du hast gehustet und bist dann aufgewacht. Hast dich wohl verschluckt.“

Ein Traum? Er hatte ewig nicht mehr geträumt. In dieser beschissenen Zeit waren die Nächte zum Schlafen schon zu kurz. Er tastete nach seiner Brille und setzte sie auf. „Wie geht’s dir?“

„Geht so“, murmelte Sunny. Doch die zahlreichen Symptome, die zu verbergen ein Kind nicht imstande war, verrieten ihm, dass sie ihm nicht die Wahrheit sagte: Sie fieberte sichtlich, hatte einen regelrecht blauen Kopf sowie geschwollene Finger und fiel kurz darauf bewusstlos in seine Arme.

Er zwang sich auf die Beine, die sich weigerten, ihn und die Kranke weiterhin zu tragen, und setzte den Marsch fort. Wie der geistlose einer Puppe rollte ihr Kopf auch später auf seiner Schulter hin und her; die Arme ließ sie schlaff baumeln. Mit nichts vermochte er sie zum Lachen zu bringen, sie wenigstens für Sekunden von ihrer Pein abzulenken. Während die Sonne über ihnen ihren gewohnten Bogen entlangstolzierte und dabei so unerträglich viel schneller war als er, sah Corsa ein, was für ein Versager er war. Sein jugendlicher Elan war zu der Resignation eines Sterbenden gealtert, und weitere Stunden desorientierten Wanderns durch den unveränderlichen Erg später schien er tatsächlich tot zu sein. Sunny, in einem Zustand zwischen Bei-ihm-sein und Sehr-weit-weg-von-ihm, lallte mittlerweile nur noch vor sich hin: „Weil es etwas gibt, das mir… wichtig is’… Weil ich endlich weiß, dass ich es… beschützen will… verabschiede ich euch… und hoffe, ihr vermisst… mich auch… so wie… ich euch…“

Corsa hörte ihr mit verzweifelter Wut zu.
 

Obwohl so viele wichtige Worte noch zu diesem Zeitpunkt leider ungesagt sind

Versuche ich trotzdem froh zu sein, Stück für Stück, während ein neues Abenteuer für Euch jetzt beginnt

Ich hab' gelernt, dass man den Weg, den man wählt, selbst ebnen muss, bevor man ihn entlanggeht

Und dass es manchmal mutiger ist, nett zu sein, wenn Dein ärgster Feind vor Dir steht
 

Und obwohl ich Euch versprach, dass ich nicht weine, wenn Ihr geht

Gelingt es mir jetzt doch nicht, dass die Flut der Tränen endlich steht

Es ist nicht Traurigkeit, Enttäuschung oder Wut

Ich weine, denn erst Ihr gabt mir dazu den Mut
 

Weil es etwas gibt, das mir wichtig ist

Weil ich endlich weiß, dass ich es beschützen kann

Steuert heute mein Schiff, das seine Segel hisst

Den Heimathafen an
 

Sunny starb. Und er war unfähig, etwas dagegen zu unternehmen. Hier fand eine Schlacht statt, in die er sich nicht einmischen konnte – egal, wie heftig er sich dies wünschte. Ihm war von Anfang an klar gewesen, dass er als Anführer der Rebellen kein einziges Leben retten würde. Nein: Diesbezüglich hatte er sich nie etwas vorgemacht. Wie jeder andere konnte auch er die Opfer lediglich beklagen und sich fragen: Wie viele noch…? Wie viele Tote noch…?!
 

Ich danke Euch, ich danke Euch all'n

Denn dank Euch war ich nicht allein
 

Weil es etwas gibt, das mir wichtig ist

Sag' ich Euch Lebwohl, auf dass wir uns wiederseh'n

Lasst mich das Zeichen seh'n, das mich niemals vergisst

Und nur wir acht versteh'n
 

Ihr dürft nicht verlier'n, nein, gebt Euch nicht auf

Bis zu jenem Tag, an dem wir uns endlich wiederseh'n

Ganz egal, was geschieht: Ich glaube fest an uns

Und werde weitergeh'n
 

~ compass ~
 

Er hielt an.

„Wases’ los…?“, nuschelte Sunny, sich gemächlich regend. Da von ihrem Träger keine Antwort folgte, stützte sie ihre Hände auf seine Schultern und drückte sich angestrengt atmend hinauf, um eine freie Sicht zu erringen. Ein paar Meter vor ihnen machte sie ein kakaobraunes, rundes Etwas aus, das dort einfach herumlag. „Lecker…“

„Das ist nichts zu essen“, korrigierte Corsa sie gereizt. Denn er kannte dieses Ding – zumindest die Rasse, jener dieses Ding angehörte – und fand, dass es kein zweckloseres Geschöpf auf Alabasta gab. …Jedenfalls bis jetzt, da die Neugier unverhofft etwas Leben durch das Mädchen sprudeln ließ.

„Was dann?“, wollte es wissen.

„Das ist ein Wüstenflausch.“

„Ein waaas?“

„Ein Wüstenflausch“, wiederholte er geduldig und näherte sich dem Objekt, um es aufzuheben. Er drehte es herum – und Sunny erschrak vor dem, was sie unerwartet aus dem haarigen Büschel anstarrte!

„Ach, du meine Tüte!“, rief sie entgeistert. „Ein Gesicht!“

Um genau zu sein, starrte es gar nicht sie an, sondern einen ungewissen Punkt in der Luft. Die Mienen ausnahmslos aller Wüstenflauschs erinnerten aufgrund ihres ewig fixierten Blickes sowie des aufgeklappten Sabbermundes an jene von nicht zu sättigenden Greisen beim Auflauern junger, hübscher, sich mitunter entkleidender Damen. Daher sprach man in Alabasta auch davon, "jemandem zum Wüstenflausch zu machen", wenn man euphemistisch umschreiben wollte, was eine betrogene Frau mit ihrem untreuen Gatten anstellt. Infolgedessen waren die recht hässlichen Wüstenbewohner auch nicht auffällig beliebt unter den Menschen. Auch Corsa konnte sich der aufdringlichen Einbildung nicht erwehren, dass dieser bärtige Lustmolch verdammt gerne von einem Mädchen geherzt wurde, wie Sunny es gerade tat. „Und sooo flauschig!“, frohlockte sie. Das Teil hatte die Größe ihres Kopfes.

„Daher der Name“, erklärte er, sich auf einmal enorm entlastet fühlend. „Er guckt zwar etwas gestört, ist jedoch absolut friedfertig. Normalerweise lassen sie sich vom Wind durch die Wüste tragen, aber wenn sie irgendwo liegen bleiben so wie der hier, wollen sie ganz fest gedrückt werden.“

Es war ein befreiendes Gefühl, sie auf seinem Rücken endlich wieder lachen zu hören, obschon es im Vergleich zum Beginn ihrer Reise ein sehr ausgezehrtes Lachen war, das sie nur mit Mühe hervorbrachte. Aber sie lachte. Und war das nicht das Einzige, was zählte?
 

Mit der Kälte kam die Stille. Als der Himmel tiefblau über ihnen hing und der triste Mond die Dünen wie erstarrte Wellen auf einem knochenbleichen Meer erscheinen ließ, bettete Corsa das schon leise schnarchende Mädchen auf den Sand. Auch die Tieffliegerwolke in Sunnys Armen schien zu schlafen, denn sie bewegte sich nicht. Er legte sich neben sie und betrachtete ihr unschuldiges Antlitz. Seine Hand zitterte, als er sie erhob, um über den brünetten Schopf zu fahren, in dem eine knallgelbe Haarspange blinkte. Er stellte sich vor, wie ihre Mutter sie ihr angesteckt hatte, wie sie daraufhin ihr typisches Grinsen zeigte… und wie sie ihr anschließend durch das Haar streichen würde, genauso wie er es gerade tat, ohne dass sie es merkte, weil sie bereits so tief in ihrem Schlummer versunken war, dass er befürchtete, ihr Atem würde jeden Moment aussetzen und sie sterben – einfach so. Und er ihr vermutlich folgen.

„Corsa!“

Sunnys Stimme, als wollte sie ihn dafür tadeln, dass er mit den Gedanken von ihr abdriftete. Wie auf Befehl konzentrierte er alles, was er unter den gegenwärtigen Umständen noch aufzubringen imstande war, wieder auf sie; prüfte, ob sie wach geworden war, doch nein: Sie war es nicht.

„Corsa…!“

Ihr Mund rührte sich keinen Millimeter weit, und doch war eindeutig eine Stimme zu vernehmen. Abermals ein Traum? Eine Halluzination? Zügig setzte er sich auf, den penetranten Hammerschlägen auf einen imaginären Meißel gegen seine Schläfen wehrlos ausgeliefert. Er musste einen kühlen Kopf bewahren. Seine Intuition sagte ihm, dass Nanohana nicht mehr fern war. Oder seine Hoffnung. Eine Hoffnung gleich einem Strick, an dem man sich entweder festhalten oder erhängen kann.

Die Sonnenbrille wurde verschoben, da er sein Gesicht in die Handfläche rutschen ließ. Vater… Ob der Alte immer noch mit jenem unerbittlichen Blick am Ackern war? Der Rebellenanführer machte sich Sorgen um seine Mitstreiter, über die aktuelle Lage in den Städten und Siedlungen sowie um sein Pferd. Um Sunny hingegen keine – um sie hatte er Todesangst.

Als er sich wieder fallen ließ, um den Schlaf seiner kranken Freundin zu behüten, hatte sich – dezent wie der Wüstenwind, mit welchem er seit Jahren wanderte – der Wüstenflausch zwischen sie platziert, und statt Sunnys liebenswerten Zügen sah er nun in die anmaßende Visage dieses missratenen Traumfängers, als hätte der sich fest vorgenommen, bis zu ihrem Tod dort zu verharren – und sein abartiges Grinsen schien diesen nur noch herbeizubeschwören! Sunnys Finger streckten sich aus, auf der Suche nach ihrem scheußlichen Stofftier, doch ehe sie es berühren konnten, packte ihr Beschützer es an den Haaren und warf es in die Ferne. Wirbelnd wie ein zotteliger Spielball sauste es durch die Luft, deren Saum am Horizont schon hell glomm, und war just nicht mehr auszumachen. So weit hatte er es keinesfalls schleudern wollen; Sunny würde ihm das übelnehmen… Aber er würde ihr einfach erzählen, dass es wohl über Nacht abgehauen wäre.

Mit einer Spur von Genugtuung sank er wieder hinab, um endlich mit dem Gesicht des nichts ahnenden Mädchens vor den Augen einzuschlafen… Doch stattdessen griente ihn die überdimensionale Wollmaus an, die er soeben ohne Rückporto zum Mond versandt hatte! Sunny ertastete sie. Genüsslich quiekte sie in der innigen Umarmung und labte sich an Corsas triefender Wut. Der gönnte ihr nicht lange Zeit dazu: Schlagartig wach schwang er sich auf die Beine und wollte diesem Wüstenfussel ein- für allemal den Mitreisepass entziehen! Das Teil nahm daraufhin die Haare in die Hand. Unvorstellbar flott hopste es über die Dünen und ließ seinen hartnäckigen Verfolger es quer durch die vereinsamte Gegend jagen, bis es einen steilen Hügel erreichte, den es ohne Mühe erklomm. Corsas Schuhe hingegen fanden im leicht nachgebenden Sand nicht genug Halt. Blasiert glotzte das explodierte Kissen von oben auf ihn herab, verfolgte feixend seine kontinuierlichen Misserfolge, seinen jetzigen Versuch, die Höhe auf allen Vieren zu bewältigen, sowie die Tatsache, dass dies erstaunlich gut funktionierte. Erschrocken wirbelte es herum und rutschte den Abhang auf der anderen Seite hinunter, derweil Corsa sich auf die Spitze zog.

„Na? Was sagst du dazu?!“, rief er atemlos, aber voll Triumph, und lugte über den Rand des Hügels nach dem davon Verscheuchten. Augenblicklich sank seine Kinnlade hinab. Selig grinsend trieb dieser unfertige Wollpullover auf dem funkelnden Wasser des Sandora-Flusses dahin.
 

„Wir sind da, Sunny… Wir haben’s endlich geschafft.“

An der Grenze seines Blickfeldes sprossen die Gebäude Nanohanas aus dem Sandmeer. Ein paar Meilen lagen noch vor ihnen, doch die würde er schaffen. Der Wüstenflausch hüpfte voraus, als könnte er es kaum erwarten, in den von Händlern und Passanten überfüllten Gassen der Stadt verloren zu gehen. Nach kurzer Zeit war er verschwunden und hinterließ eine nahezu vollkommene Stille. Corsa setzte Sunny ab, um ihr die Sicht auf ihr gemeinsames Ziel zu ermöglichen. Sie stützend, erwartete er ihr überraschtes Luftholen, ihr aufgehendes Lachen, emporfliegende Hände und ihre glücklichen Schreie, doch er wartete vergebens. Da war nichts: Keine Freude, keine Skepsis, keine Erleichterung, keine Niedergeschlagenheit. Einfach nichts.

„Sunny?“

Wie auf Kommando kippte sie nach hinten um. Ein schmerzhafter Blitz jagte durch den Rebellen, dessen Schatten eine fürchterliche Ahnung war, aber es wäre die grässlichste Ironie, wenn sie sich bewahrheiten würde.

Corsa warf sich auf die Knie, suchte nach der Seele in ihren Augen. Versessen darauf, ans Ziel zu gelangen, hatte er kaum Rücksicht auf sie genommen. Wäre eine Rast doch angebracht gewesen? Hätte er mehr mit ihr sprechen sollen, um ihren Geist wach zu halten? Hätte er ihr irgendetwas zu trinken verabreichen müssen, und wenn es nicht anders gegangen wäre: Blut?

„Ich sterbe“, sagte Sunny.

„Nein!“, fuhr er sie hilflos an. „Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du dieses Wort nicht verwenden sollst?! Halt gefälligst durch!“

„Wir haben… doch beide gewusst, dass es unmöglich sein wird… Von Anfang an.“

Das war nicht gänzlich aus dem Blauen gegriffen. Und dennoch musste er alles tun, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. …Nein. Eigentlich, um sich selbst weiszumachen, dass alles gut werden würde. Er wollte sie nicht sterben sehen. Wollte auf keinen Fall dabei sein, wenn dieses Kind dem langen Kampf erlag. „Aber warum?“, hauchte er, an der Schwelle der Kapitulation.

Pupillen, die wie aus einer anderen Welt zu ihm zurückschauten und nicht verstanden.

„Warum wolltest du unbedingt, dass ich dich herbringe? Wenn du doch vorher gewusst hast, dass es sinnlos ist? Wir hätten dich retten können, Sunny! Wenn du uns begleitet hättest, dann…!“

„…würdest du jetz’ nich’ um mich trauern“, beendete sie den Satz und grinste ein letztes Mal.

Schockiert starrte er sie an.

„Ich hab’ überhaupt… gar keine Eltern mehr“, verriet sie ihm. Anschließend sanken ihre Lider wie eine Nacht über den Tag. Allein würde diese Nacht – das wusste er – eine ewige sein. Kühl streifte ihre Seele zwischen seinen ausgestreckten Fingern hindurch gleich Wasser, das immer einen Ausweg findet, so sehr man es auch zu halten sucht. Am liebsten wäre er weit fortgerannt – bar eines Zieles; bar der Absicht, stehen zu bleiben – doch seine Beine versagten ihm den Dienst. Schwärze spannte sich über sein Bewusstsein… Dann zerrte ihn jemand herum und zwang ihn, etwas zu schlucken. Blut!

„Corsa!“, ermahnte ihn verärgert der blanke Schädel unter einem brünetten Schopf, in dem eine gelbe Haarspange steckte. „Stell dich nicht an! Du wirst das jetzt trinken, hörst du? Zwing mich nicht, unsensibel zu werden, Kumpel! Das ist wichtig! Also trink es“, atmete Kebi besänftigt aus, da er sich endlich fügte. Wasser.

Hinter ihm erstreckte sich ein riesiger, schwarzer Schatten, in dem Corsa seinen treuen Rappen erkannte.

„Dein Gaul hat mich zu dir geführt“, berichtete Kebi ihm mit einer vorwurfsvollen Miene, die Wasserflasche zudrehend. „Das Tier ist klüger als du manchmal. Sieh dich nur an! Wir hätten dich niemals gehen lassen dürfen.“ Er unterfasste den Anführer der Rebellen und zog ihn in die Senkrechte.

„Was ist mit Sunny?“, begehrte dieser plötzlich auf und drehte sich so geschwind herum, dass Kebi ihn auffangen musste.

„Sunny?“

Corsa spiegelte den irritierten Blick seines Freundes, dann ließ er ihn schwenken.

„Du bist fast verdurstet, Leader, und die Sonne hat dir mächtig zugesetzt. Lass uns jetzt besser zurückkehren.“

Keine Spur von ihr. „Wie lange lag ich hier?“, fragte er durcheinander.

Kebi zuckte die Achseln. „Kommt drauf an, wann du zusammengeklappt bist.“

Doch wenn ein Sturm sie wirklich verschüttet hätte, wäre er es dann nicht ebenfalls gewesen…?

„Komm jetzt, Leader.“

Er nickte leer. Doch bevor sie auf den Rücken des Pferdes stiegen, kniete sich Corsa in den Sand und stellte ein kleines Holzkreuz auf.

„Es wird umfallen, ehe dieser Krieg zu Ende ist, wie deine anderen“, meinte Kebi missmutig. Aber er ließ seinen Freund die Angelegenheit geduldig zu Ende bringen.

Geheimnisse im Sand

"Abenteuer muss man nicht suchen", hatte ein grünhaariger Mann mit drei Schwertern einmal abwesend gemurmelt. "Wenn du dich nicht von vorneherein von ihnen wegdrehst, finden die dich sowieso. Jeder Tag – egal, wo du ihn beginnst – ist ein Abenteuer. Du musst es bloß geschehen lassen."
 

Das Ende der Schnur glitt aus seiner Hand.

Daraufhin blieben sie stehen, blickten sich nach der letzten Biegung um, hinter der das zurückleitende Garn verschwand. Soviel zur weiblichen Intuition.

„Dieser Weg führt uns nicht weiter“, sagte Corsa. „Wir müssen ihn zurückgehen und einen anderen versuchen.“

Vivi sah das skeptisch: „Wenn wir zurückgehen und das Garn dabei einrollen, um es erneut verwenden zu können, wie willst du dann sicher sein, dass wir nicht wieder denselben Weg einschlagen?“

„Ich habe mir die ersten Richtungen, die wir gegangen sind, gemerkt. Wenn wir dieses Mal andere wählen, sollte die Wahrscheinlichkeit gering sein.“

„Du weißt doch überhaupt nicht, wie das alles hier miteinander verbunden ist!“, beharrte sie auf ihrem Zweifel. „Es könnte so komplex sein, dass uns jeder Weg früher oder später hierher führt!“

„Und wenn früher, haben wir mehr Faden über und können uns weiter wagen.“ Er hob das Ende an, bereit, es einzusammeln. „Ehrlich, Vivi: Hast du eine bessere Idee?“

Stur wie ein Kind, das unbedingt etwas gekauft haben will, drehte sie sich jenem Gang zu, der unerschlossen vor ihnen lag.

Corsa musterte sie unglaubend. „Du willst tatsächlich weitergehen? Ohne…?“

„Leader!“ Sie wirbelte zu ihm herum. „Mein Leben soll nicht von einem Stück Stoff abhängen!“

„Du bist einfach zu sehr auf das Abenteuer versessen“, entgegnete er da. „Dich reizt das Geheimnis dieser Ruine, und deswegen willst du es so schnell wie möglich ergründen.“

Herausfordernd stemmte sie die Fäuste gegen ihre Hüfte. „Was deutest du damit an?“

„Dass du besser auf jemanden hören solltest, der alltäglich mit solchen Abenteuern konfrontiert wird und dir versichern kann, dass daran absolut nichts Spaßiges ist.“

„Leader!“, ermahnte sie ihn entrüstet.

„Reg dich nicht auf, Vivi. Ich weiß, dass du es im Palast nicht einfach hast, wo alle nur die Prinzessin in dir sehen, und du diese Gelegenheit natürlich ausnutzen willst, um…“

„Meinst du nicht, dass du etwas zu weit gehst?“ Sie hatte keine Lust, sich von jemandem, der innerhalb zweier Tage fünfmal erschossen wurde, vorschreiben zu lassen, nichts zu riskieren.

Und tatsächlich verstummte er.

„Ich glaube, wir beide sind alt genug auch für Abenteuer, die nicht spaßig sind. Wir werden aus diesem Labyrinth einfach eine riesengroße Karte machen!“

„Eine Karte?“, echote er erstaunt.

Die Prinzessin stapfte auf eine der Wände zu. Verfolgt von den verständnislosen Augen ihres Sandkastenfreundes hob sie dort etwas von dem weißen, staubenden Material auf, das überall auf dem Boden zu finden war, und kritzelte damit in Windeseile ein simples Gesicht auf die hohe, dunkle Mauer, welches Corsa gekränkt die Zunge zeigte.

„Na gut“, lenkte der ein. „Dann lass uns weitergehen.“

Fortan unterbrach also an jeder Abzweigung ein Schaben ihren Marsch, sobald Vivi ihre Wahl in einem dicken Kreidepfeil an der Wand ausdrückte. Nach einer Zeitspanne, die keiner der beiden noch einzuschätzen vermochte, die allerdings ohne Frage lang war, betraten sie eine Kammer, aus der drei Wege führten. Irgendetwas an diesem Raum erregte Corsas Missfallen.

„Oooooh nein!“

Er blickte seine Gefährtin aufmerksam an und bemerkte, dass sie ausgesprochen sauer war. „Was?“

In verspannter Haltung weilend, lenkte allein ihr Fingerzeig seine Augen auf den Boden. Quer von einem Gang zum anderen schimmerte dort das helle Garn im regen Licht der Fackel.

„Wir sind im Kreis gelaufen“, formte er die Tatsache überflüssigerweise in gesprochene Worte. „Vielleicht sollten wir unsere Expedition abbrechen und nach Yuba zurückkehren.“

„Dann wäre alles, was wir bis jetzt investiert haben, umsonst!“, widersprach sie.

Abermals schaute er sie an wie das Vögelchen in dessen verschlossenem Goldkäfig. „Was haben wir denn investiert?“

„Zeit“, warf sie ihm das Wort brüsk hin. „Eine Menge Zeit.“

„Wir werden noch viel mehr davon verlieren, wenn wir weiter hier umherirren.“

„Aber wir markieren alle Wege, die wir bereits gegangen sind! Die Anzahl der Räume, in denen wir noch nicht waren, reduziert sich immer weiter!“

„Die Ruine läuft uns nicht weg, Vivi“, versuchte er sie zur Vernunft zu bringen. „Wir haben lange nichts zu uns genommen und sollten nicht riskieren, uns müde und entkräftet in Gefilde zu wagen, die wir nicht kennen.“

Sie verschränkte die Arme, die Kreide immerzu in der Faust. „Du hast dich wirklich verändert, Leader!“

Er antwortete nichts darauf. Wie durch eine Vorahnung lösten sich seine Pupillen von ihr, und abrupt nahm sein introvertiertes Verhalten Farbe an. „Vivi! Der Faden!“

Sofort richtete sich ihr Blick auf die Steinplatten, auf denen eben dieser lag… liegen müsste! Er war weg!

„Jemand muss daran gezogen haben“, vermutete Corsa, und der Fackelschein verriet Vivi, dass seine Stirn feucht geworden war. „Jemand… oder etwas.“

Jeglichen Frust hatte die ehemalige "Piratin auf Zeit" für den Augenblick vergessen. Die Schnur war ihre Garantie gewesen. „Leader? Ich bin auf deiner Seite. Lass uns den Ausgang suchen.“
 

Eine zarte Hand spielte mit dem Ende des Garns. Dahinter ein mit sich selbst zufriedenes Lächeln, gefolgt von einem zweiten aus der Düsternis.

„Die Falle hat zugeschnappt!“, entzückte sich eine gewöhnungsbedürftige Stimme.

„Das hat sie“, bestätigte jene Person, die den Faden zwischen ihren Fingern rollte. „Aber sei trotzdem bloß vorsichtig. Unser Boss war’s nicht, und du hast gesehen, was aus ihm geworden ist.“

Das Grinsen der anderen verschwand. „Ja. Nun gibt es lediglich noch uns sowie ein paar Zerquetschte, die nicht wissen, was sie mit ihrem traurigen Rest Existenz anfangen sollen.“

Die verspielte Hand hielt inne. Große Augen trafen auf zwei schmale. „Du weißt, dass wir das hier nicht mehr für unseren Boss tun. Wir verfolgen jetzt eigene Ziele. Das weißt du doch, oder?“

Nach Sekunden: Ein Nicken.

„Super. Dann los.“
 

„Hier waren wir schon mal!“, stellte Vivi außer sich fest und schmiss den Kreiderest in eine Ecke, wo er zerbarst. Corsa hielt es für besser, zu schweigen. Eine Stunde schon irrten sie durch das unterirdische Labyrinth, seit ihnen aufgefallen war, dass die Schnur fehlte. Seine Begleiterin seufzte unverhohlen, dann wurde es still… und peinlich. Beide zwangen sich, an einem Ausweg zu tüfteln, dabei versuchten sie lediglich, sich selbst voneinander abzulenken. Früher hatten sie sich alles erzählen können. Inzwischen hatte die lange Trennung ihn zu einem Fremden werden lassen. Es war nicht so, dass sie ihn nicht leiden konnte. Aber wann immer sie nun an einen guten Freund dachte, erschien ihr nicht länger Corsas Bild, sondern das eines gewissen Piratenkapitäns. Dessen breites und ehrliches Grinsen, welches selbst einer Pessimistin wie ihr neue Zuversicht schenken konnte. Der Junge mit den Superkräften, der niemals aufgab. Und war er es nicht gewesen, der ihr Land gerettet hatte?

Es wurde eng in ihrer Brust. War es Liebe? Sie musste sich – ob sie ihn liebte oder nicht – wohl damit abfinden, dass sie Ruffy nicht mehr wiedersehen würde, auch wenn es dieser Wunsch war, dieser eine Wunsch nach grenzenloser Freiheit, mit dem sie morgens in den Tag startete und ihn abends abschloss. Corsa war ein Freund aus ihrer Vergangenheit. Die Zwischenfälle waren zu zahlreich und zu schwerwiegend, als dass es zwischen ihnen jemals wieder wie früher werden könnte. Am Ende der Rebellion war nicht einmal das Bedürfnis, ihn in die Arme zu schließen, mehr dagewesen. Sie hasste ihn nicht. Aber sie freute sich auch nicht ob seiner Anwesenheit. Eher schien es Gleichgültigkeit zu sein, was sie ihm gegenüber empfand. Eine Gleichgültigkeit, die sie erschreckte.
 

„Es ist ihr nicht aufgefallen“, kommentierte die schräge Stimme das Geschehen fasziniert. „Ihr Freund wird auf mysteriöseste Weise von ihr fortgelockt, und sie taucht tief in eigenen Gedanken.“

„Ist doch prima. Allein sind sie leichte Beute. Außerdem können wir uns so aufteilen, ohne dem anderen in die Quere zu kommen.“ In der bronzenen Spende einer der Flammen, die das Labyrinth erleuchteten, war ein rundes Gesicht zu erkennen, das von dichtem Haar umschmiegt wurde. Die Augen darin schienen in eine weite Ferne zu starren.

„Du lässt ihn eine Erscheinung von ihr sehen, nicht wahr, Rike?“, vermutete der andere, als ihm dies auffiel, und trat zu ihr in die Lichtkuppel. Sein Gesicht war überaus schmal und eingefallen, seine in Lumpen steckende Konstitution ausgezehrt. Auffällig waren die schwarze Afrofrisur sowie die schalkhaften Augen, die zweifelsohne etwas zu verbergen hatten.

„Anders wäre er nicht wegzukriegen gewesen. Obwohl natürlich auch du ihn hättest ködern können, schließlich bist du es ja, der sein Dorf seit geraumer Zeit regelmäßig plündert, Mister Six.“

„Von irgendetwas musste ich freilich leben, während ich ihn und die Ruine ausgekundschaftet habe. Fürderhin möchte ich dich bitten, damit aufzuhören, mich so zu adressieren. Die Baroque-Firma existiert nicht mehr. Es gibt keinerlei Grund, aus dem wir uns untereinander noch länger hinter diesen dämlichen Pseudonymen verstecken sollten. Nummern und Feiertage! Wer hat sich das bloß ausgedacht?“

Miss Easterbunny gluckste. „Hast ja Recht… Aber ich finde es trotzdem irgendwie lustig!“
 

„Leader? Leader!“

Wie hatte sie ihn nur verlieren können? Beziehungsweise: Was hatte ihn dazu getrieben, sich von ihr zu entfernen – ohne ein Wort?

„Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als ihn zu suchen. Oder sollte ich doch besser hier warten? Vielleicht sieht er sich nur kurz um; ich meine: Wieso sollte er sonst…? Ach, wäre Karuh bloß hier!“

Sie bereute es, ihre Rennente nicht mitgenommen zu haben. Seit jeher war sie ihr Bruder im Geiste gewesen – so voller Tapferkeit, um die sie sie nicht selten beneidete. Karuh war auch ausgesprochen weise: Stets wusste er, was zu tun war. Er hätte sie davon abgehalten, etwas Falsches zu unternehmen, und sie auf den richtigen Pfad gebracht. Aber er war nun einmal nicht hier. Allein in ihrer Fantasie stand Karuh in einer einsamen, rosa getönten Gegend voller riesiger Seifenblasen, salutierte und stieß ein ermutigen wollendes "Gaaaaaaaaack!" aus.

„Halloooo, Prinzeeeessin!“

Vivi schrak auf. Eine geradezu i-förmige Gestalt befand sich plötzlich vor ihr, abgemagert bis auf die Knochen und mit einem voluminösen Helm aus krausem Haar versehen. Und als wäre ihre Erscheinung nicht schon skurril genug, verneigte sie sich auch noch vor ihr!

„Die Sechs ist meine Glückszahl, doch verabscheue ich sie. Englischen Tee trank ich einst, bis er mir zum Hals heraushing. Darf ich mich vorstellen? Man nannte mich Mister Six, und ich bin – wie Ihr bestimmt bereits ahnt – ein hochrangiger Agent der Baroque-Firma! …Gewesen.“

Sie konnte es nicht glauben: „Aber die Baroque-Firma ist doch erledigt!“

„Deshalb sagte ich: "GEWESEN"!“, versetzte Mister Six verstimmt. Er hatte eine überzogene Art, zu gestikulieren, fiel Vivi auf. „Was allerdings nicht bedeutet, dass wir jetzt dicke Freunde werden können!“

Sie zog eine grimmige Miene. „Warum nicht? Warum können wir uns nicht einfach vertragen? Und jetzt komm mir bloß nicht damit, dass es bei euch Tradition sei, dem alabastanischen Königshaus Schaden zuzufügen!“

„Ob wir ihm tatsächlich geschadet haben“, sprach Mister Six geheimnisvoll, „entscheidet Ihr besser, nachdem wir bekommen haben, was wir wollen…“
 

*
 

Vivi wurde zurückgeworfen. Sie stieß gegen die Mauer, sank daran hinab und blieb stöhnend sitzen. Für seine schmächtige Figur verfügte Mister Six über ganz schön viel Kraft. Grinsend näherte er sich ihr, die mannslange Schaufel in seinen Fingern wendend, welche sich wie zerbrechliche Zweige von seinen Handtellern abspreizten. Irgendetwas Endgültiges hatte er mit dem Werkzeug vor. Sie vermochte es nicht zu sehen, da der Schlag auf ihren Kopf ihr Sichtfeld verschwimmen gelassen hatte, doch sie hörte das Quietschen, während er das eiserne Blatt vom Stiel drehte und einen anderen Kopf montierte. Fahrig suchten ihre Hände nach den Pfauenrädern. Als sie sie endlich zu fassen bekamen, wusste Vivi bereits, dass es zu spät war, sie einzusetzen: Mit einem schrillen Schrei ließ Mister Six seine Hacke auf sie niedersausen; in letzter Sekunde rollte sie sich jedoch zur Seite. Er stieß einen Fluch aus, ehe er registrierte, dass sie seiner Attacke nicht gänzlich entgangen war: Knurrend zerrte Vivi an ihrem Pferdeschwanz, der sich zwischen den spitzen Zinken der Hacke verfangen hatte!

„Errrrwischt!“

Lange ergötzte er sich nicht an der Szene: Er stürzte sich auf sie, drückte seine Finger in ihre Kehle! Vivi bemühte sich, ihn mit einer Hand loszuwerden, während die andere weiterhin an ihrem Haar zog. Es war widerlich, seinen Leib an einer Stelle zu berühren, wo sie buchstäblich zwischen seinen Rippen versank. In den spiegelnden Augen ihres Gegenübers sah sie die roten Äderchen länger und verzweigter werden, und ihr war klar, dass sie ob der unsinnigen Konzentration, welche sie dieser Beobachtung beimaß, jeden Augenblick das Bewusstsein verlieren würde. Sie war gefangen wie ein Käfer in den Fängen einer Wüstenbeere.

Da glitt ihr Fuß auf dem kahlen Stein aus und stieß versehentlich in Mister Six’ goldene Mitte, den dies sofort sämtlicher Energie beraubte. Vivi, selbst von diesem Glückstreffer überrascht, fing sich schnell und bündelte ihr Rachegelüst in der Faust, welche sie auf die wie ein Schnabel abstehende Nase des jaulenden Agenten fahren ließ. Er stürzte um. Mit endlich beiden Händen riss sie die Hacke aus der Spalte zwischen den Bodenplatten, in der sie steckte, und warf sie aus der gegenwärtigen Reichweite Mister Six’. Selbiger richtete sich gerade auf. Beide keuchten.

„Verdammtes Frauenzimmer!“

„Du solltest mich eben nicht unterschätzen!“ Ihr gelang ein entschlossenes Grinsen. Um ihre kleinen Finger her rotierten bereits jene aus scharfen Scheiben gegliederten Ketten, welche sie als "Pfauenräder" bezeichnete, mit solchem Tempo, dass sie aussahen wie zwei weite, fleißig arbeitende Kreissägen. „Und jetzt bin ich dran!“

Schon fraß sich eines der pfauenfarbigen Pendel in die Mauer. Um Haaresbreite war ihr Gegner ihm ausgewichen! Er staunte dennoch nicht schlecht.

„Furchterregend, nicht wahr?“, forderte sie ihn geradezu heraus, und ein Hauch ihrer früheren Identität Miss Wednesday schien in diesem Moment zurückgekehrt zu sein. „Wenn ich will, können diese unscheinbaren Schmuckstücke dich zerstückeln wie ein Laib Brot…“ Stolz nahm sie zur Notiz, wie Mister Six sich bemühte, seine Zahnreihen nicht aufeinanderklappern zu lassen. „Und wenn ich will, können sie auch ganz zahm sein… Nun – was denkst du? Was soll ich machen?“

Trotz der angestrengten Erhebung seiner Mundwinkel war ihm die Irritation abzulesen. „Sie – ähhh – zahm sein lassen?“

„Einverstanden!“ Vivi – keine erprobte Kämpferin, aber eine Spezialistin in der Handhabung ihrer Waffen – schleuderte mit sich kreuzenden Armen beide Pfauenräder auf den Baroque-Agenten zu. Dessen grausame Befürchtung realisierte sich nicht: Schwingend wanden sich die flachen Seiten der einzelnen Glieder um seinen Körper, ohne ihm einen Schnitt zuzufügen! Dafür war er nun abgeschnürt wie ein lange reisendes Paket. Die alabastanische Thronerbin musste zugeben, dass sie Spaß daran empfand, mittels eines Rucks an beiden Ketten ihn in einen hohen, heulenden Kreisel zu verwandeln. Da sein Schwung endlich erlahmte, hatte sie bereits die Schaufel auf sein Werkzeug geschraubt und knallte ihm diese mit einem „Fahr doch noch ’ne Runde!“ sowie einem DONG! auf den Schädel.

Während Mister Six also die Sternbilder an seinem derzeit sehr beschränkten Horizont bewunderte, wurde Vivi wieder ernst. Genau wie Sandora-Echsen traten Baroque-Agenten stets zu zweit auf… Sie lief los, ohne zu wissen, wohin sie musste. Leader, betete sie. Lass mich dich schnell finden!

Und unverhofft nahm sie einen Geruch wahr, der so gar nicht in dieses harte, staubige Ambiente passte.

Sie kicherte. "Es ist nichts, Leader!"

Es war unverkennbar ein Duft nach Sandelholz.
 

„Warum tut ihr das?“

„Geht dich nichts an!“, fauchte sie und holte mit den sechs Klingen aus, welche zwischen ihren Fingern klemmten. Corsa leitete ihren Angriff mühelos ab. Chakas Training zahlte sich nun aus.

„Ich glaube doch, wenn wir schon dafür sterben sollen.“

Es geschah aus einem Reflex, dass er dem Mädchen nach seiner nächsten Abwehr einen Stoß versetzte, der es zurückwarf. Es rollte sich ab und stand schon wieder auf den Beinen. „Nichts zwingt mich, auf deine lästigen Fragen zu antworten!“

Unbewusst bot es ihm immer wieder Trefferchancen, doch er nutzte sie nicht.

„Kämpf endlich wie ein Mann!“, zog Miss Easterbunny ihn auf. „Du wirst mich nie besiegen können, wenn du mich immer nur zurückdrängst! Willst du deiner Prinzessin nicht zur Hilfe eilen?“

Was für eine Frage… Natürlich wollte er das!

„Vielleicht hast du dir auch schon zu lange Zeit gelassen“, amüsierte sie sich, affektiert betroffen. „Ich höre sie gar nicht mehr schreien…“

„Dann hör genauer hin: PFAUENBAND-SLASHER!!!

Wie eine Kobra schoss das spitze Pendel zischend in jene Mauer, vor der die Baroque-Agentin gerade noch gestanden hatte.

„Vivi!“, hauchte Corsa erleichtert, als seine Freundin sich kampfbereit an seine Seite stellte.

Es war der Zeitpunkt für ihre Kontrahentin, die Taktik zu wechseln. Ohne den Auftritt der Prinzessin zu kommentieren, blieb ihr Augenmerk an deren Gefährten geheftet. „Hey, Rebellenprinz! Wie wär’s mit ein bisschen Hoʻoponopono? Die vergangenen Jahre waren ja nicht gerade glorios für dich!“

In der Erwartung, dass sie ihm Konkreteres ohnehin gleich aufdrängen würde, entgegnete er nichts darauf.

Sie gab sich scheinheilig. „Soll das etwa heißen, du erinnerst dich nicht mehr? An dieses Mädchen und die aussichtslose Reise nach Nanohana?“

Dies stahl ihm die Fassung. „Sunny?!“

„Tadamm!“

„Wie kannst du davon wissen?!“ Er schrie fast.

„Lass es mich dir zeigen…“

Jäh tauchte alles um sie her in ein ruhiges Gleißen. Vivi klammerte sich an einen Ärmel ihres Freundes, weil sie auf einmal die unerklärliche Angst verspürte, auch ihn daran zu verlieren. Dann zeichnete sich wieder eine Umgebung – eine andere Umgebung – aus dem Licht ab, und nach ihrem folgenden Blinzeln stand sie inmitten eines schlicht möblierten Wohnraumes, wie solche für die Hütten der Siedlungen jenseits Arbanas üblich waren. Da nichts weiter geschah, löste sie sich von ihm, um sich zu orientieren, und obschon Corsas erster Gedanke war, sie davon abzuhalten, ließ er sie ziehen. Er kannte dieses Haus. Aber aus irgendeinem Grund wollte er nicht hier sein.

Dann rief sie nach ihm.

Er beeilte sich, zu ihr zu gelangen, und nahm sich dabei vor, mit ihr sofort den Ausweg dieses unmöglich real sein könnenden Schauplatzes zu suchen, doch als er sah, was sie sah, erstarrte er.

Ein junger Mann von sechzehn oder siebzehn Jahren kniete, den beiden Beobachtern abgewandt, an einem von Sonnenlicht überfluteten Bett, dessen Decke sich leicht über dem Körper seiner Insassin wölbte. Parallel ruhten ihre Arme auf dem Textil; ihre Lider waren geschlossen.

"Mutter", sagte der Junge, den Verschluss einer Phiole mit seinem Messer schnitzend. "Dafür hat er die ganze Nacht über gegraben. Stattdessen sollte er besser hier sein. Aber das ist er nicht. Er kommt nie hierher."

Das Gefäß öffnete sich.

"Macht dir das überhaupt nichts aus?"

Er führte den Glashals an ihre spröden Lippen, doch eine entschiedene Hand stellte sich ihm in den Weg. Das Gesicht des Jungen drehte sich jenem der Frau auf dem Kissen entgegen. Zwischen schmalen, sandblonden Strähnen entdeckte Vivi Verwunderung – dann eine Erkenntnis… wachsenden Schock. Über die Decke rauschte ihre andere Hand gen seine, die den Schaft des Messers umschloss, und drückte sie.

„Sieh besser nicht hin“, hörte Vivi unerwartet Corsa flüstern, der etwas begriffen zu haben schien. „Sieh nicht hin, Vivi – bitte. Sieh nicht hin!

Prompt schlug etwas Flaches vor ihre Augen, und der dafür Verantwortliche zog sie davon. „Bist du verrückt geworden, Leader?! Du tust mir weh; lass das!“

Sie schüttelte den Kopf, zerrte an seiner Hand auf ihrem Gesicht und stieß ihm ihren Unterarm gegen die Flanke, aber er war einfach zu stark. Erst im Vorzimmer gewährte er ihr wieder freies Blickfeld, und sie nutzte es sofort, um ihm aufmerksam ins Gesicht zu schauen, das den Eindruck erweckte, er hätte soeben zum ersten Mal vor dem ganzen Druck auf ihn kapituliert. Aus seinen niedergeschlagenen Augen blickte das kollektive Leid eines Volkes im Krieg, und obwohl Vivi genau wusste, wofür sie es getan hatte, war sie sich plötzlich unsicher, ob es nicht ein irreversibler Fehler gewesen war, ihr Land für zwei Jahre verlassen zu haben.

„Ist dort etwas passiert, was ich… was niemand jemals erfahren sollte?“

Sein Griff glitt von ihr wie ein fallender Schleier. „Vergib mir…“

Die Pupillen an ihn gebannt, steuerte sie zurück in das Krankenzimmer. Am Türrahmen desselben angekommen, wurde sie bloß noch entsetzte Zeugin davon, wie etwas zerklirrte. Das Messer lag in der Lache einer entfesselten Flüssigkeit, die sich ihre Bahnen suchte gleich einem kriechenden Ungetüm. Und das leise "Vergib mir" des Jungen über dem reglosen Leib der Frau mischte sich mit dem des Mannes hinter ihr, wie ein Chor, der in einem brennenden Licht unterging.
 

Miss Easterbunny tauchte auf, und mit ihr waren sie wieder von den dunkelgrauen Steinwänden des Labyrinths umgeben. Vivi realisierte nur mühsam, was sich soeben ereignet hatte. Corsa schien völlig absent zu sein: Sein Blick fixierte einen zufälligen Punkt, so als würde er noch immer auf das Bild in diesem Zimmer starren, als wäre er in der Erinnerung gefangen.

„Die eigene Mutter…“, schnurrte Miss Easterbunny.

„Schluss jetzt!“, schrie Vivi sie an. „Hör sofort auf damit, was immer du tust!“

„Na, Prinzessin? Hast wohl etwas herausgefunden, das du lieber nicht wissen wolltest.“

„Sei still! Du hast doch keine Ahnung!“

„Jedenfalls nicht davon, wo du Mister Six gelassen hast… Aber kein Problem: Dann nehme ich mich eben auch deiner an!“

Doch dazu kam es nicht: Vivi schwang herum, riss den förmlich besinnungslosen Corsa mit sich und floh in den erhofften Schutz der verzweigten Gänge.

Nicht überrascht, dennoch verstimmt sah das Mädchen ihnen nach. „Na toll, dann spielen wir halt Fangen…“
 

Nach Minuten unüberlegten Laufens wusste sie zwar überhaupt nicht mehr, wo sie waren, aber immerhin kehrte eine wenn auch riskante Ruhe ein. Noch eine Kurve, dann öffnete sie die Finger um Corsas Handgelenk und stützte sich ächzend gegen eine Mauer. Die Kleidung klebte an ihrer Haut, und jede Blessur brannte. Vivi rang um Kontrolle über ihren Atem. Sie glaubte nicht, die beiden Verrückten so leicht abgehängt zu haben. Wie sie diese Typen kannte, machten die sich jetzt bestimmt ein Vergnügen daraus, ihr beim Angsthaben zuzuschauen. Mit der Ahnung, dass sie auch ihr Gespräch belauschen würden, wandte sie sich um. Corsa stand mit dem Rücken zur Wand nahe jenem Gang, durch welchen sie gerade gekommen waren. „Leader?“

Keine Reaktion.

„Leader!“

Als müsste sie ihn wachrufen.

„Corsa!“

Sie wollte nicht darüber sprechen, was sie wohl beide gesehen hatten.

„Sie hat Teufelskräfte! Glaub mir, das waren bestimmt…!“

„Wen interessiert’s, was es war?“ Auf einen Schlag war er wieder bei ihr. „Du willst wissen, ob es stimmt“, konfrontierte er sie mit einem Ton, den sie zuvor noch nie gehört hatte – nicht von ihm, nicht einmal von ihren Feinden; höchstens vielleicht von Crocodile.

Als kommende Regentin Alabastas, die ihren Staat auch bei internationalen Treffen wie der Reverie vertreten würde, hatte sie schon früh gelernt, drohende Eskalationen abzuwiegeln, ungeachtet ihres eigenen emotionalen Zustandes: „Du irrst dich. Die obskuren Fähigkeiten einer Feindin können mein Vertrauen in einen Freund nicht erschüttern. Ich schenke allein deinen Worten Glauben. Für mich waren es nur…“

Sein eisiger Blick ließ sie verstummen. „…Illusionen?“

„…Ja.“

Ihr war, als würde er sie gleich auslachen für ihre Naivität und die Angewohnheit, in jedem Bürger ihres Landes stets ausschließlich Gutes zu sehen.

„Sind es… etwa keine?“ Jeden ihrer zunehmenden Herzschläge vermochte sie deutlich wahrzunehmen. Ihr wurde heiß. „Leader, du…?“

Er schloss die Augen, als sie anfingen, zu schimmern. „Ja, es ist wahr: Ich habe es getan. Ich habe all die Menschen sterben lassen, die mir etwas bedeuteten!“
 

Munter wandte sich ihr das plüschige Antlitz eines Elches zu. "So darfst du darüber nicht denken! Erkältungen lehren uns erst, die Gesundheit richtig zu schätzen!"

Steter Tropfen

Unbewusst war Vivi an die andere Seite des Raumes gerückt. Das Schweigen machte die Situation zu einem Warten auf noch Schlimmeres: Auf eine Offenbarung der noch nicht vollständigen Wahrheit oder die Erkenntnis, dass sie zu viel erfahren hatte. Sie hätte mit ihm darüber reden sollen, klärende Fragen stellen, doch – obwohl die Beichte bloß wie neblige Vermutungen zwischen ihnen schwebte – sie tat es nicht. Brachte kein Wort hervor.

Natürlich hatte sie die Opfer seines mächtigen Schwertes längst erahnt. In einem Bürgerkrieg war dies für einen Kämpfer unausweichlich, wie innig sie diesen Fakt auch verabscheute. Viele Menschen um sie her mussten mit einem blutbefleckten Gewissen zurechtkommen. Selbst die Piraten hatten vielleicht gemordet. Aber die eigene Mutter…?

Tiefe Schatten schirmten die auf sie gerichteten Gläser der Sonnenbrille ab, als hätte ihr Träger sie dorthin befohlen. „Das zerstört dein Vertrauen in die kleine, paradiesische Traumwelt, nicht wahr, Prinzessin? Plötzlich bin ich nicht mehr der "Leader", nicht einmal mehr ein Freund. Und? Packt dich bereits das Verlangen, vor mir wegzurennen?“

„Corsa… Warum sagst du so etwas?“, erwiderte sie bedrückt. Sie war nicht in der Lage, etwas ähnlich Provozierendes zu entgegnen; wollte es auch gar nicht. Was sie wünschte, war, zu verstehen: Wie konnte er nun so kalt sein, wo er Sekunden zuvor noch kurz vor den Tränen gestanden hatte? Er erinnerte sie erschreckenderweise an den unberechenbaren Sir Crocodile, von dem sie geglaubt hatte, ihn ein für alle Mal los zu sein. Hätte sie geahnt, dass sie sich hier unten dergestalt verirren würden, wäre sie unverzüglich mit Toto und seinem Sohn aus diesem Loch gestiegen und hätte es verschütten lassen – für immer!

Die Wand hinter ihr explodierte buchstäblich, und gerade rechtzeitig rettete sie sich vor den absprengenden Steinen. Auf sicheren Sohlen landete Mister Six, stemmte seine Fäuste auf die herausragenden Hüftknochen und begutachtete das noch knisternde Loch. „Da soll noch einer behaupten, man komme nicht mit dem Kopf durch die Wand. Möchtet ihr meine Haarspray-Marke erfahren?“

Corsa ließ sein Schwert aus der Hülle schleifen.

Dieses Mal stellten sie sich ihnen nicht getrennt: Entspannt stieg Miss Easterbunny über die eingebrochene Mauer hinweg.

„Du verwendest Teufelskräfte, ist es nicht so?“, bombardierte Vivi sie gleich.

„Das ist richtig“, bestätigte sie leichthin.

„Dann sind die Ereignisse, die du uns gezeigt hast, auch niemals so passiert, nicht wahr?“

„Vivi…“, knurrte Corsa verärgert.

„Wie erstaunlich vielen höheren Baroque-Agenten kam auch mir der fragwürdige Genuss einer Teufelsfrucht zu. Es ist die "Toki Toki no Mi", die Ticktack-Frucht, und sie schenkt mir die Gabe, die Erinnerungen anderer zu lesen und sie ihnen wieder ins Gedächtnis zu rufen. Demnach ist deine Hoffnung vergebens, Prinzessin: Ich kann nur sehen lassen, was wirklich so geschehen ist.“

„Ich bin mir beinahe sicher, dass du diese gelesenen Erinnerungen auch manipulieren kannst!“, protestierte sie.

„Warum so mies drauf?“

„Weil ich die Klappe voll habe von der Baroque-Firma! Ihr werdet mir nicht noch einmal nehmen, was ich liebe!“

„Und was ist das?“ Die Brünette legte den Kopf schief. „Etwa dein Land? Täusche ich mich, wenn ich behaupte, dass es die Freiheit ist, nach der du dich sehnst?“

Vivi stockte.

„Was kümmert dich noch Alabasta und dessen Bevölkerung? Was ist mit den Piraten, Vivi? Du willst doch zu ihnen und mit ihnen segeln! Weg von der Verpflichtung und all dem Stress, hinein ins endlose Abenteuer mit deinen einzig wahren Freunden!“

Von der Seite spürte sie Corsas aufmerksames Starren. „Das ist nicht wahr!“, rief sie zurück und war sich zugleich bewusst, wie wenig überzeugt es klang.

Die Agentin appellierte weiter an ihr: „Jeder hier sieht doch, wie dein Herz unter dem Selbstbetrug zu leiden hat. Was für eine Erlösung brächte es nicht, wenn die Wahrheit nur endlich ausgesprochen wäre…?“

„Es reicht.“ Corsa stellte sich ihr in den Weg, und erst durch sein Einschreiten registrierte Vivi, wie nahe Miss Easterbunny ihr gekommen war. „Was sie denkt, will und liebt geht euch nichts an. Wenn ihr es auf einen Kampf anlegt, lasst ihn uns gleich hinter uns bringen.“

„Leader…“

Mit sich verdüsternder Miene sah das Mädchen an ihm hinauf. „Du stehst auf der falschen Seite, Corsa. Bin nicht ich es, die du beschützen willst? Und ist es nicht die Prinzessin, die du hasst?“

Vivis Augen weiteten sich. Sie vermochte dem Schütteln ihres Körpers keinen Einhalt zu gebieten. Nach dem fürchterlichen Geständnis: Was würde jetzt kommen? Sollte dieser Mensch, der ihre Kindheit komplettiert hatte, dank dessen sie sich selbige bewahrte wie ein vertrautes Märchenbuch, tatsächlich in Verbindung mit der Organisation ihres Todfeindes stehen? Wie lange bereits? Und würde er auch diesen Vorwurf bestätigen? …Hasste er sie?

„Nein. Ich habe sie nie gehasst. Keinen Augenblick meines Lebens. Einmal dachte ich, ich würde an ihr zweifeln. Aber dann verstand ich, dass es nicht Zweifel waren, die diese erschöpfende Unsicherheit bewirkten – sondern meine Angst um sie. Angst, weil ich nicht wusste, wo sie war. Angst, weil ich überhaupt nichts tun konnte, um bei ihr zu sein und sie zu unterstützen.“ Immer noch sprach er die Agentin an, und doch hatte Vivi das Gefühl, dass er seine Worte inzwischen gezielt an sie richtete. „Stattdessen musste ich ganz auf das Vermögen einer Handvoll mir völlig Fremder vertrauen. Es war eine Qual! Ich weiß, dass sie ihre guten Gründe hatte, mich nicht in ihr Vorhaben einzuweihen, aber… für Vivi hätte ich mich auch als Crocodiles Zigarrenschachtel getarnt, wenn es sein muss! Und deswegen weiß ich…“

Miss Easterbunny schnappte überrumpelt nach Luft, da die Schwertspitze scharf an ihrem Fleisch vorbei ihre Jacke zwischen die Mauersteine spießte.

„…dass ich ganz genau auf dem Platz stehe…“

Mister Six mischte sich ein, aber mittels eines einzigen Schrittes entging Corsa seinem Anschlag und ließ den Räuber vor sich vorüberziehen.

„…an den ich gehöre!“

Noch in dessen Flug griff der künftige Vizekommandant nach der Hacke, wirbelte deren Führer herum und rammte ihn an die nächstgelegene Wand, dass die Zähne des Agenten klapperten, als würden sie begeistert Beifall klatschen.

„Fretin!“ Miss Easterbunny konnte sich indessen befreien. Ihr Kollege ging neben ihr nieder.

Corsa stellte sich ihr wieder gegenüber. „Aber wie kommst du darauf, ich würde dich beschützen wollen?“

Die Sorge, welche Vivi eben auf den Zügen des Mädchens erspäht hatte, war wie fortgewischt, als es antwortete: „Rike.“

„Was?“

„Rike. Ihr habt mich nach meinem Namen gefragt, aber ich habe euch nicht geantwortet. Mein Name ist Rike.“

Die Prinzessin konnte sich überhaupt nicht daran erinnern, ihm eine derartige Frage gestellt zu haben, doch Corsa schien das nicht zu verwirren. Ganz im Gegenteil: „Du bist…?!“

Gemächlich und sehr ernst nickte es.

Allein der Gedanke ließ ihn erstarren. War dies möglich? Konnte sie binnen dieser geringen Zeitspanne überhaupt so extrem gealtert sein? Vivi rief ihm zu, dass er aufpassen sollte, doch die Worte zogen an ihm vorüber. Die leuchtend gelbe Spange in ihrem Haar… Die wiesengrünen Iriden. Sie war gar nicht tot…?

Blut benetzte den blanken Boden.

CORSA!

Wie ein Phantom huschte Rike an ihm vorbei. Drei Dolche hinterließen lange, rote Linien auf seiner Flanke, und nach zwei Sekunden breitete sich ein bedrohlicher Fleck auf dem weißen Hemd aus gleich einem unentrinnbaren Heer. Er war noch immer außerstande, es zu begreifen: Sie war hier… Sie war am Leben…

Zwei Arme stoppten seinen Fall.

„Sunny…?“, hauchte er schwach.

„Leader…“ Bekümmert musterte Vivi ihn und fühlte sich unerfindlich fehl an diesem Platz. Wer war "Sunny"?

Die Konsumentin der Teufelsfrucht stellte sich zur Verfügung, jenen Nebel in ihr etwas zu lichten: „Seine Mutter ist nicht die einzige Unschuldige, die auf sein Gewissenskonto geht“, erklärte sie ihr bitter. „"Sunny" war ein Mädchen, das in der jüngsten Trockenzeit Alabastas alles ihm Liebe verlieren musste. Bestimmt hat er dir nie von ihm berichtet. Hätte ich auch nicht, an seiner unbeneideten Stelle.“

„Worauf willst du hinaus?“, forderte Vivi sie auf, zum Wesentlichen zurückzukehren. „Und warum sollte ich dir glauben? Die Tricks der Handlanger Crocodiles klappen bei mir nicht mehr!“

„Hör dir die Wahrheit an und bilde dir anschließend dein eigenes Urteil über deinen Freund!“, entgegnete Miss Easterbunny scharf. „Einer Bürgerin deines Landes Gehör zu schenken, ist doch das Mindeste, was eine Prinzessin tun sollte, oder?“

Wie von einer gerechtfertigten Ohrfeige getroffen, senkte die Angesprochene den Blick.

„Er“, gab sich Rike erneut ihrer Erzählung hin; dabei erhellte sich ihr Ausdruck für zwei Sätze, „spendete ihr Hoffnung! Ihr Plan war geradezu absurd, aber er war so verständnisvoll“ – ohne jedes Arg kicherte sie – „oder vielleicht auch einfach doof, ihre Bitte nicht abzulehnen. Doch dann ließ er ihren Tod zu. Und das Mädchen, Sunny…“

„…bist du?“ Erwartungsvoll starrte die Zuhörerin Miss Easterbunny an.

In dem Augenblick ertastete Corsa ihren Arm. „Vivi – a-alles in Ordnung?“

„Das fragt ja der Richtige…“ Mit trommelndem Herzen wägte sie den Grad seiner Verletzungen ab, als er aufstand.

„Es tut mir Leid, Vivi. Ich wollte nicht, dass du das alles erfährst.“

Wann hätte er ihr so etwas jemals angemessen beichten können?

„Es hätte dich nur wieder an die Schrecken der Rebellion erinnert.“

„Und mich aus meiner "paradiesischen Traumwelt" geholt? Corsa… Solange Alabastas Bewohner wie Rike, Mister Six und du noch unter der Katastrophe leiden, möchte ich mit euch durch diesen Albtraum wandern!“

„Das weiß ich, aber kannst du das auch? Du hast nicht dasselbe erlebt, was wir erlebt haben… Genauso wie wir nichts von dem gesehen haben, was du sehen musstest. Aus diesem Grund kann ich dir auch nicht deine Sehnsucht nach den Strohhüten nehmen… Selbst wenn ich jedes Mal in deinem Gesicht sehe, wie sehr sie dich bedrückt.“

In diesem Moment wurde ihr einiges klar, aber es waren schmerzhafte Erkenntnisse. Als sie den Blick schweifen ließ – auf Miss Easterbunny, auf Mister Six’ Visage im Schatten – schien es ihr, als würden alle Corsas Überzeugung widerspiegeln. Sie kam sich vor wie die einzige Gegnerin hier. Ein trübes Meer von Fragen umwogte sie, und es war das einzige Gewässer, das sie zu fürchten lernte.

Mister Six attackierte, doch Corsa verteidigte sie gegen ihn. Wo Rike war, wusste Vivi nicht. Zunehmend zog sich ihre Sicht aus der Gegenwart zurück, der grelle Lärm sich kreuzender Klingen verschwamm, und sie lauschte allein ihrem Atem, ruhig wie die an den Strand spülenden Wellen der Grand Line. Vivi Nefeltari stand im seichten Wasser, und in ihren Fingern klemmte eine Botschaft wie ein Tanzaku: "Warte an der Mündung des Sandora-Flusses auf uns". Unweit von ihr vereinte sich das Wasser der blauen Schlagader Alabastas mit dem Ozean, und aus der Kimm tauchten die leuchtenden Segel eines bekannten Schiffes. Auf einer glitzernden Straße schwebte es ihr entgegen. Vivi lachte. Grinsend halfen ihr Zorro und Sanji aufs Deck, wo Lysop und Chopper sie stürmisch überfielen, und Nami winkte ihr von der kleinen Orangenplantage aus zu. Ihren Pferdeschwanz öffnend, warf die Prinzessin das Haupt zurück und nahm einen tiefen Zug lange vermisster Freiheit. Wie die Flügel eines Vogels, der stets auf Achse ist, flatterte ihr Haar in der erfrischenden Böe. Auf dem Meer scheint die Sonne immer zu strahlen.

"Vivi!"

Erschrocken öffnete sie die Augen. Ruffy hatte seine Hände auf ihre Schultern platziert und schüttelte sie heftig. Seine Miene war anders als sonst: Nicht fröhlich und unbeschwert; stattdessen zeichneten Ernst und Vorwurf Schatten auf seine jungenhaften Züge.

„Was hast du denn, Ruffy? Was ist los?“

"Du darfst nicht weglaufen, das ist feige!"

Sie formte ein versöhnliches Lächeln. „Aber ich laufe doch gar nicht weg. Im Gegenteil: Ich bin endlich hier!“

Es gelang ihr nicht, ihn damit anzustecken. Dieser Ausdruck seines Gesichtes war zwar rar, ihr jedoch nicht fremd, und wenn er ihn einmal aufsetzte, so stets aus einem sehr dringlichen Anlass. Auch ihr Lächeln verebbte.

"Hier bist du aber falsch. Es tut mir Leid, Vivi, aber ich kann dich so nicht mitnehmen. Die Flying Lamb ist kein Fluchtort, verstehst du? Aber genau dazu willst du sie machen. Manchmal glaube ich, du weißt gar nicht zu schätzen, was du hast."

Sie spürte ihr Kinn vibrieren; ihre Augen begannen, zu brennen. Monate der Trennung, des braven Wartens, und dies war Ruffys Gruß…? „Was fällt dir ein?!“, platzte es regelrecht aus ihr. „Ich weiß genau, was ich will! Ich belüge mich und alle anderen doch nur, indem ich daran festhalte, dass ich in Alabasta jemals richtig glücklich werden könnte! Ich gehöre hierhin! An die Seite meiner Freunde! An eure Seite!“

"Dann sei auch an unserer Seite", entgegnete der Kapitän der Strohhüte verwirrend. "Hör doch mal: Wir haben versprochen, wiederzukommen, und du wolltest solange auf uns warten, erinnerst du dich?"

„Ja, aber…!“

Endlich zeigte er ein breites, verschmitztes Grinsen. "Vertraust du uns etwa schon nicht mehr? Unser Platz ist auf diesem Schiff, und dein Platz ist in deinem Königreich – und trotzdem stehen wir immer Seite an Seite, solange du uns den Rücken deckst! Du hast Freunde und Familie dort, die dich lieben. Und ich weiß, dass du sie auch liebst. Gerade ist es dir egal, wohin du kommst, Hauptsache weg von Alabasta, weil dich die Ereignisse überfordern und du dir über deine Gefühle nicht im Klaren bist. Aber die Probleme lösen sich nicht in Luft auf, indem du einfach abhaust. Du musst mutig sein und ihnen entschlossen entgegentreten! Glaubst du mir?"

„Natürlich“, hauchte sie verblüfft.

"Das Meer läuft dir nicht weg; es ist zeitlos. Aber Alabasta ändert sich mit jedem Tag, der vergeht. Willst du nicht lieber den Fortschritt deines Landes beobachten als tagein, tagaus so’n olles Meer, das immer die gleichen Wellen macht?"

Darauf musste sie lachen. „Aber das Meer ist doch nicht langweilig! Außerdem sind es doch die Abenteuer, die unsere Reise so spannend machen!“

Er nickte. "Ja! Und je mehr Abenteuer wir an den verschiedensten Orten der Welt sammeln, umso mehr Geschichten haben wir uns zu erzählen, sobald wir uns wiedersehen! Wart’s nur ab, Prinzessin: Wenn ich erst mal König der Piraten bin, kommen wir und nehmen dich mal wieder mit auf einen Ausflug – vorausgesetzt, du kannst dich dann überhaupt noch von deiner Heimat trennen!"

Chopper, Zorro, Sanji, Nami und Lysop lächelten sie an, doch dann blendete die Sonne so intensiv, dass ihre Erscheinungen in jenem Licht verschwanden.
 

Vivi erwachte vollkommen desorientiert mit einem starken Zittern, das sie nicht einzuordnen vermochte. Corsa war ihr einziger Lichtblick; mit vor Sorge erregtem Gesicht schaute er auf sie hernieder.

„Leader, was ist los…?“, murmelte sie und merkte, wie er die Hände von eben jenen Stellen ihrer Schultern nahm, auf denen gerade noch Ruffys gelegen hatten. Sie fassten nach ihren und zogen sie vorsichtig auf die Beine.

„Wir müssen weg. Die Ruine stürzt jeden Moment ein. Kannst du laufen?“

Jetzt identifizierte sie ihr "Zittern" auch als Rumpeln und Wackeln der Umgebung, dermaßen gewaltig, als würde ein Paar Sandora-Echsen direkt unter ihnen hinwegrasen. Sie nickte. „Wo sind die Baroque-Agenten?“

„Geflohen, als das Beben begann. Und das sollten wir jetzt auch tun. Komm!“ Er schnappte nach ihr und suchte ihnen einen Weg aus dem Labyrinth. Unbeholfen stolperte sie hinterher. War sie also selbst Opfer der Ticktack-Frucht geworden! Dabei war ihr die Illusion so real erschienen. Wie ein Traum. Sie konnte nicht sagen, ob es ein schöner oder ein schlechter Traum gewesen war.

Einige Mauern fielen dem Beben bereits zum Opfer, und so bahnte es ihnen einen kürzeren Fluchtweg. Unter einem Regen von Schutt und Asche hindurch erreichten sie die Treppe, welche empor zum Torbogen mit den beiden ornamentierten Säulen führte. Corsa lief mit ihr hinauf, doch auf der letzten Stufe ließ er sie ihn überholen und versetzte ihr einen leichten Stoß, während er ihre Finger in einer fließenden Bewegung voneinander löste. Perplex hielt sie inne und warf den Kopf herum. „Worauf wartest du noch?“

Hinter ihm stürzten Teile von der Decke auf die Gänge des Labyrinths, um es zu begraben. Ein stickiger Geruch erhob sich, der selbst das spendabel aufgesprühte Parfüm niederzwang, welches Vivi nicht lange zuvor zu ihrem Freund hatte finden lassen. Dessen schmale Lippen bildeten einen geraden Strich. Er atmete eine Spur auffälliger als gewöhnlich, aber sonst wirkte er völlig ruhig auf sie. „Geh einfach weiter, Vivi. Du weißt, dass der Weg ab jetzt nur noch geradeaus verläuft. Am Ende musst du ein bisschen klettern – aber ich weiß, dass du das schaffst.“

„Und du?“ Eine fürchterliche Ahnung beschlich sie, und es war so sicher wie ausgeschlossen, dass diese sich nicht auch bewahrheiten würde: Natürlich würde er zurückbleiben, natürlich hatte er noch etwas zu erledigen. Selbstverständlich mit dem Versprechen, bald nachzukommen. Sie kannte solche Geschichten. Allerdings anders als in irgendwelchen Heldenepen gebot hier kein Poet, sondern rein der Zufall, ob er von einem Stein erschlagen wurde.

Ein bronzener Schimmer tanzte auf seiner natürlich gebräunten Haut. „Geh schon.“ Keine Erklärung. Kein Versprechen des Wiedersehens. Einfach ein "Geh schon", und das war’s?

„Spinnst du eigentlich?!“, brüllte sie ihn an und setzte sich in Bewegung. „Ich lasse dich hier nicht zurück! Ich lasse nicht zu, dass du da wieder runterspazierst! Was willst du überh…?!“

Ehe sie ihn erreichen konnte, gab der altehrwürdige Torbogen unter der Erschütterung nach und brach lärmend zusammen. Vivi stolperte aufschreiend zurück, während eine dicke, falbe Wolke ihr entgegenfuhr. Als sie die Augen wieder zu öffnen wagte, trennte ein massiver Haufen schwerer Felsbrocken sie von der Halle… und von Corsa. Sie rannte darauf zu, griff mit beiden Händen nach einem Stein und rüttelte daran, doch er bewegte sich um keinen Zentimeter. Allein war sie zu schwach.

„Corsaaa! Wenn du jetzt stirbst, dann wage es bloß nie mehr, mir in Arbana unter die Augen zu treten, hörst du?! Ich werde dich plattmachen! Hast du verstanden?! So was von abkanzeln werde ich dich!“

Wollte er mitsamt seinen Erinnerungen verschüttet werden…?
 

Staubschwaden umgeisterten sie. Der Boden fand nicht mehr zur Ruhe, und überall stürzten Meteore von diesem extrem begrenzten Himmel des verborgenen Labyrinths, welches sie tagelang studiert, von dem sie Karten gezeichnet, in jenem sie auch gewohnt hatten. Nur deswegen war ihr bekannt, dass die hohe Kuppel tatsächlich mit einer Myriade Gestirne verziert worden war, und obgleich sie diese nun nicht sehen konnte, so half es ihr doch, zu wissen, dass sie dort waren. Hätte sie ihre Kräfte weiter trainieren können, so wäre es ihr – wer weiß? – vielleicht gelungen, die Schublade der Erinnerungen dieses Tempels ebenso aufzuziehen wie die eines Lebewesens, und sie hätte erfahren, wer das Sternenfresko malen ließ und weshalb. Crétin hatte ja behauptet, sie würde gewiss eine erfolgreiche Archäologin abgeben. Mehr als jener Meteorit, unter dem sie klemmte, schmerzte Rike die Vorstellung, ihm könnte etwas zugestoßen sein. Im Kummer um jemanden, den sie gern hatte, hilflos und erschöpft dem Ende ausgeliefert, fühlte sie sich genauso wie damals. Ihre Gedanken schweiften zu ihm.

Aus dem Nebel trat seine hochgewachsene Gestalt. Gleich ruhenden Schwingen schwebten die Schöße seines Mantels hinter ihm her. Sein Konterfei eine unnachgiebige Maske, eine Maske der Enttäuschung und Wut. Weder das eine noch das andere konnte sie ihm verübeln.

So viel gab es zu sagen, jedoch wenig Zeit, um es zu tun. Das Gerüst der Halle stöhnte unter der Last von Kuppel und Sand – nicht mehr lange, dann würde es zusammenbrechen.

„Was willst du hier?!“, warf sie ihm entgegen, mit aller aufzubringenden Abneigung. „Ihr habt gewonnen! Zieh Leine!“

Er schwenkte den Kopf.

„Dann wird das hier auch dein Grab werden. Ist es das, was du willst?“ Es war komisch, aber ihr war, als müsste sie um jeden Preis verhindern, dass es dazu kam.

Doch Corsa setzte sich kein Stück weit in Bewegung. „Rike“, flüsterte er lediglich.

„Was?! Werd’ jetzt bloß nicht sentimental! Das ist echt nicht der richtige Zeitpunkt!“

„Ich will die Wahrheit wissen.“

„Pah! Als würde ich dir… auch noch zu deinem Seelenfrieden verhelfen! Du bist schuldig, Corsa! Was immer du erfährst, was immer du für wahr hältst: Ändert es was an den Sünden, die du begangen hast?“

„Ich wollte sie nicht sterben lassen. Ich bereue meine Fahrlässigkeit, aber ich wusste nicht…“

„Was hilft das noch?! Und wem?!“, fuhr sie dazwischen. „Glaubst du im Ernst, mich kümmern deine Ausreden, deine Gedanken?! Die Dinge sind passiert!“

„Aber du lebst, Sunny!“ Er gab einfach nicht auf.

„Woher nimmst du die Gewissheit, dass ich wirklich die bin, für die du mich hältst? Du jagst Wunschvorstellungen hinterher, Corsa, Fantasien der Vergangenheit, weil du hoffst, deine Fehler wieder gutmachen zu können! Du lebst zwischen den Geistern der Gefallenen, weil du dir ihre Tode vorwirfst! Dabei verdrängst du, dass manches halt nicht vergeben oder vergessen werden kann – manches muss man nun mal akzeptieren!“

Die Temperatur stieg an, als würde unter ihnen ein Lavabecken darauf warten, endlich durch die Steine sprengen zu dürfen. Corsas Blick heftete sich an die Platte, welche das Mädchen zu Boden presste. Sie war groß. Unmöglich würde er sie mit einer Hand anheben und es mit der anderen von den übrigen Trümmern befreien können. Diesen Plan also verwerfend, sank er vor überraschten grünen Augen auf ein Knie. „Ich werde dich jetzt langsam herausziehen. Es wird wehtun, aber du packst das. Gib mir deine Hände.“

„Vollidiot! Dafür ist keine Zeit!“

„Gib mir deine Hände“, versetzte er.

Irgendwo hoch oben knirschte, dann rauschte es, da Sand durch einen kontinuierlich weiterwurzelnden Riss in der Decke ins Innere strömte.

„Na mach schon!“

Eine Reihe Mauern unweit von ihnen krachte zusammen. Aufgeblähte Staubwolken, Produkt ihres Ruins, überfielen die beiden, sodass Rike bald kaum noch sein Gesicht zu gewahren imstande war, lediglich seine offenen Handflächen. „Es ist zu spät!“, brachte sie mühsam hervor, hoffend, dass ihre Worte ihn noch erreichten. „Selbst wenn du mich hier rauskriegst, wie willst du… es mit mir nach draußen schaffen? Ich glaub’, ich bin verletzt!“

„Sei nicht so stolz! Ich gehe nicht ohne dich! Dieses Mal nicht!“

Das komplette Gewölbe zitterte bedrohlich, sich vermöge seiner letzten Kraft wider den Druck von oben stemmend. Die restlichen Labyrinthwände donnerten zu Boden. Ganz so, als würde der Tod bereits in aller Seelenruhe seinen Kreis ziehen, sie dabei mit den Fingern ausknipsend, erloschen nach und nach die Flammen der Fackeln um sie her. Wenn Corsa sie rettete, würde er sterben.

„Wir gehen zusammen, Rike, hörst du? Du wirst ein neues Leben anfangen, und ich bleibe für immer bei dir! Weißt du noch, was du zu mir gesagt hast? Du willst nicht eher wie tot behandelt werden, bevor du es wirklich bist – also hör auf, dich tot zu stellen, und komm jetzt mit mir! Rike, bitte!“

Der Lärm wurde so laut, dass seine vertraute Stimme darin versank, und der Staub so dicht, dass sie nicht einmal mehr seine Hand ausmachen konnte, falls er sie ihr überhaupt noch entgegenstreckte. Allmählich wurde es dunkel vor ihren Augen. Hin und wieder hörte sie diesen Trottel verzweifelt ihren Namen rufen; dabei bemerkte sie, dass dies das Zuträglichste war, was er in jenem Augenblick für sie tun konnte.

Und dann, plötzlich, wurde es still für sie. Totenstill.
 

Keine Sekunde später, und seine Hand wäre zerquetscht worden! Er riss sich einen Ärmel vor die Nase, um seine Atemwege vor dem aufgescheuchten Aerosol zu schützen, und starrte auf jenen Stein, der zwischen ihnen hinabgesaust war. Dank des Tones seines Aufschlags schien Corsa zurück in die Realität gerissen worden zu sein, denn just drängten das um ihn wütende Chaos, die stetig abnehmenden Sekunden, die damit einhergehende Gefahr mit erneuter Intensität auf ihn ein. Vivi. Bestimmt harrte sie seiner Rückkehr, mit jenem für sie typischen Blick, der wirkte, als wollte er das, was er so bange fixierte, mittels viel Konzentration schlichtweg fortzaubern. Vielleicht schwammen ihre großen, graublauen Augen schon wieder in unzähligen Tränen, welche über ihre runden Wangen rutschen würden, auf die Kutte tropfen, in der sie aussah wie ein schutzbedürftiges Kind. Ganz gewiss malte sie sich längst die schlimmsten Katastrophen aus. Doch hoffentlich machte sie dies alles an einem sicheren Platz. Es tat ihm Leid, dass er sie warten ließ. Es tat ihm Leid, dass er ihr die furchtbare Aufgabe überantwortete, seinem Vater gegenüber die richtigen Worte zu finden, wo es kein richtiges Wort gibt. Und würde er ihr eine Botschaft nach oben schicken dürfen, die sie definitiv empfing, so würde es bloß diese Bitte sein: "Verzeih mir alles".

Der Ex-Rebellenanführer räumte die Trümmer aus seinem Weg, tastete sich mit fahrigen Gesten voran, auf der Suche nach Sunnys Hand. Retten konnte er das Mädchen nicht. Aber das war auch nicht seine Intention. Alles, was er wollte, war, es nicht, nie mehr allein zu lassen.

Endlich berührte er eine Fingerspitze.

Bevor er ihre Hand allerdings gänzlich mit der seinen umschließen konnte, geschah etwas geradezu Verrücktes: Ein schrilles Krähen, zwei gigantische Zahnreihen um sein Bein, und prompt schlitterte er unfreiwillig nach hinten! Noch währenddessen warf er sich auf den Rücken und erkannte im Halbdunkel Vivis sonnengelben Seelenverwandten Karuh!

„Lass mich los!“, befahl er ihm, alles andere als erleichtert. „Ich kann hier nicht weg! Ich muss…!“

Doch das ging der Rennente mit der blauen Chullo an ihrem flauschigen Hinterteil vorbei: Sie krächzte zurechtweisend in seinen Satz, sicherlich erzürnt, weil er Vivi alleingelassen hatte, und wies mit einer Schwinge vehement gen Ausgang.

„Dann verzieh dich doch! Kümmere dich um Vivi! …Ach, was rede ich überhaupt mit diesem Geflügel wie mit einem Menschen?“

Corsa, dem zwar die besonderen Qualitäten animalischer Gefährten bekannt waren, für den sie nichtsdestoweniger in erster Linie Nutztiere blieben, unterschätzte Karuh! Im ihrer Gefahrensituation angemessenen Tempo gackerte dieser ihm mindestens fünf Gründe inklusive ausführlicher Erläuterung vor, aus denen er mitkommen musste, nur: Corsa verstand kein einziges Wort. Selbst wenn: Sein Entschluss war gefestigt. Und um dem besorgten Federvieh dies klarzumachen, musste er offenbar zu einer drastischen Methode greifen. Sein Ausdruck verhärtete sich, während er seinen Mantel von dem aufdringlichen Schnabel befreite. „Karuh.“

Wie die eines erfahrenen Kriegsveteranen visierten ihn die Kulleraugen unter der Mütze.

„Ich habe mit Prinzessin Vivi nichts mehr zu tun. Mir geht ihr ewiges Geheule auf den Keks. Und sie heult andauernd, wenn ich in ihrer Nähe bin. …Kapierst du nicht?! Vivi bedeutet mir nichts!“

Sie glaubten ihm kein Wort. Unvermittelt landete Corsas Faust zwischen ihnen, was das Tier von den Krallen schmetterte.

„Mach dich endlich vom Acker, du blödes Huhn! Wenn du nicht willst, dass Vivi unglücklich wird! Verschwinde und lass mich in Ruhe!“

Geistesgegenwärtig ob des überraschenden Angriffes entging Karuh dem folgenden. Indessen türmten sich überall in der Halle unermüdlich Sandberge auf, als manifestierten sich in ihnen die Geister einstmaliger Herrscher.

„Weißt du, wie viele Leute gestorben sind, weil ich sie in den Krieg geschickt habe?! Wie viele Leute noch starben, weil ich diesen Krieg unbedingt wollte?! Sie schieden so flüchtig dahin wie Wasser unter der Sonne verdunstet! Wieso ließ Gott sie alle einfach so sterben, und wieso rettete Er ausgerechnet mich jedes verfluchte, schier aussichtslose Mal?! Wozu?!“

Ein unbarmherziger Treffer begleitete dieses Wort, der die Rennente aufkrähen ließ; darauf schlug sie erstmals zurück, als wäre ihr nun die Geduld mit ihm vergangen.

„Mit dieser unverzeihlichen Schuld auf mir… Wie kann ich so jemals wieder für sie da sein?!“

Blökend klatschte sie ihm ihre Fittiche um die Ohren, scheinbar um seinen Verstand nicht etwa zu zerdeppern, sondern wie um diesen wieder in Betrieb zu setzen! Gelbe Federn taumelten durch die Luft. Unter dem riskanten Schutz der kollabierenden Kuppel verloren sich die beiden in einem planlosen Gerangel…
 

Die kolossale Steinhalle erschien ihr bedrückend eng beim Anblick der sich unendlich erstreckenden Himmelsfeste, auf welche die Nacht generös blinkende Sterne gesprenkelt hatte, und der weiche Sand ihrer Heimat empfing sie wie ein großes Luxusbett. Alles wirkte auf einmal abgewöhnt friedlich. Bis das Augenmerk der Prinzessin von der Milchstraße auf ihren Freund fiel, der unweit von ihr lag und nur flach atmete.

„Leader!“

Sie rutschte zu ihm und musterte die feuchte Stelle auf seiner Kleidung. Unverkennbar: Blut!

„Oh, Leader… Bitte verblute nicht!“

Langsam drehte er ihr den Kopf zu, dann lächelte er. „Eine… wundervolle Nacht. Nicht wahr, Vivi?“

Die Sorge ließ ihre hübschen Züge nicht frei. „Ich würde sie gerne bewundern, Leader, aber momentan erstaunt mich eher deine Gleichgültigkeit für diese schwere Verletzung.“

Er betrachtete sie weiterhin und verlor dabei die Motivation, sich wieder dem faszinierenden Himmel zuzuwenden. „Dann kommen wir noch einmal hierher… und schauen sie uns an… damit du sie siehst.“

In matter Belustigung schnaufte sie. „Irgendwie bezweifle ich, dass ich jemals mit dir zusammen irgendwo hingehen kann, ohne dass du am Ende verwundet bist.“

„Das ist… okay… solange… du bei mir bist.“

Das Glühen ihrer Wangen zwang ein Lächeln auf ihre Lippen. „Das muss dringend versorgt werden. Du fängst schon an, wirres Zeug zu reden.“

Karuhs fröhlicher Schrei schallte über die Sandkämme. Er stand etwas abseits von ihnen und flatterte ungeduldig mit den Flügeln. Anscheinend wollte er nach Hause.

„Er hat mich gerettet“, stellte Corsa fest. „Jetzt muss ich wohl herausfinden, wie man "Danke" quakt.“ Sein Antlitz richtete sich wieder gen Sterne, und sofort verschwanden seine Augen hinter den Brillengläsern unter der Reflexion des hehren Mondes.

„Ja. Er war gar nicht aufzuhalten.“

„Du hast ihn nicht geschickt?“

„Nein. Er war ja in Yuba. Auf einmal kam er angerannt, und schon hüpfte er in den Tunnel… Wieso?“

„Gute Frage… Ich habe immer gedacht, er könne mich nicht leiden.“

Sie kicherte glöckchenhaft. „Meine Freunde sind seine Freunde! Ich habe immer gedacht, du seist eifersüchtig auf ihn!“

Er gluckste. „Niemals würde ich es wagen, ihm das wegzunehmen, was ihm gebührt.“

„Leader… Sind sie tot?“

„Ich… weiß es nicht. Gefunden habe ich sie nicht. Vermutlich konnten sie fliehen.“

„Hoffentlich…“ Von einer Sekunde auf die andere war Vivi zum Heulen zumute. Sie spürte einen Kloß im Hals, und die Tränen drückten gegen ihre Augen, bettelten um Freilassung. Sie wusste nicht, weshalb dies geschah. Vielleicht war das alles heute einfach ein wenig zu viel gewesen.

„Hey, Vivi.“ Corsas Stimme glich einer beschwichtigenden Brise. Er legte eine Hand auf die ihren, und die nahmen sie sogleich in Besitz.

„Leader? Ich hatte Angst um dich. Für einen Moment habe ich geglaubt, ich würde dich nie mehr wiedersehen. Bitte vergib mir.“

„Ach, Vivi… Du müsstest dich einen Tag lang mal selbst beobachten dürfen…“

„Besser nicht. Das Fremdschämen überlasse ich lieber den Menschen, die um mich sind.“ Unverhalten seufzend ließ sie ihr Gesicht auf sein Hemd fallen. „Das ist wirklich eine wundervolle Nacht. Lass uns irgendwann hierher zurückkehren, Leader – versprochen?“

Wieder in Arbana

Lautes Pferdewiehern. Die Menschen fanden sich am Ortsrand der Oase Yuba zusammen, als Kebi aufgewühlt von dem Tier sprang. Er schnaufte.

„Nichts?“, hakte Bürgermeister Toto mit schwindender Erwartung nach.

„Nichts“, bestätigte Kebi, und mehr brauchte er nicht zu sagen. Verärgerte Enttäuschung machte sich breit.

Davon unbetroffen, spreizte Toto die Arme. „Beruhigt euch wieder, meine Freunde. Es ist alles in Ordnung.“

„Nichts ist in Ordnung!“, widersprach der Getreue seines Sohnes, und einige Yubaner nickten zustimmend. „Er krallt sich unseren Proviant, unser Geld, unsere Werkzeuge! Er schreckt vor den Frauen und Kindern nicht zurück und verängstigt die Tiere! Ich kann nicht einfach bloß zusehen und ihm das durchgehen lassen!“

„Vielleicht müssen wir ihm nur mal beweisen, dass jeder in Yuba willkommen ist“, meinte der Alte optimistisch. „Warum laden wir ihn nicht einfach zum Abendessen ein?“

Nicht zum ersten Mal blinzelte Kebi diesen manchmal unglaublichen Menschen mit hoffnungslosem Mitleid an. „Ist das dein Ernst?“

„Was schlägst du vor?“, wollte Okame wissen, die sich durch die Versammelten zu ihnen geschoben hatte.

„Die Aufsicht verstärken. Fallen überprüfen und überhaupt stets wachsam sein. Er kann nicht ewig davonlaufen. Das nächste Mal mache ich Ernst.“

Er hörte Toto seufzen. „Wir sind doch eine Gemeinschaft. Wenn jemand etwas haben will, so sollen wir es ihm geben.“

„Manche wollen aber nicht nur "etwas", Onkel Toto“, suchte Kebi ihn zu belehren, „manche wollen gleich alles. So sind Menschen nun mal!“

„Machen wir uns an die Arbeit!“, rief jemand aus einer hinteren Reihe.

„Ja!“, pflichtete ihm eine Frau bei. „Bauen wir neue Fallen auf!“

Und selbst die Kinder waren beflügelt, Yuba zu verteidigen. So schnell sie sich gebildet hatte, strömte die Menge nun auch wieder auseinander, bis allein drei noch an Ort und Stelle verweilten.

Seufzend stemmte der junge Mann mit der Fliegerbrille seine Hände an die Hüfte und starrte zum nordöstlichen Horizont. In der brütend heißen Ferne verschwamm die Linie der Dünen nahezu mit dem hellen Himmel. Irgendwo weit dahinter ragte die Hauptstadt Arbana aus dem Sand. „Hoffentlich kommt Leader bald zurück.“

Okame hob die Augenbrauen. „Leader? Wieso?“

Die beiden waren nur kurz in Yuba eingekehrt. Corsa hatte seine Wunde behandeln lassen und war anschließend sofort an Vivis Seite abgereist, weswegen Kebi nicht einmal zu ihm durchgekommen war, geschweige denn ein Wort mit ihm gewechselt hatte.

„Wir brauchen ihn hier. Ich habe das Gefühl, die Leute sind sich unsicher, wenn er ihnen nicht sagt, was sie zu tun haben.“ Als sie nichts erwiderte, wurde er deutlicher: „Er hat diese Art an sich, die die Menschen mitreißt! So wie damals, weißt du noch? Die Wüstenkids! Die Rebellenarmee! Er braucht nur den Arm in die Luft zu heben, und schon stehen alle hinter ihm! Aber wenn er nicht da ist…“

Sie verstand. Jedoch mehr als er beabsichtigt hatte. Amüsiert lachte sie auf. „Kebi! Du entwickelst doch nicht etwa einen Minderwertigkeitskomplex?“

„Hä?“ Verwirrt darüber, wie sie von ihrem Anführer plötzlich auf ihn kam, schaute er sie endlich direkt an, und sie meinte, dass er lange nicht mehr so ehrlich ausgesehen hatte wie in diesem Augenblick.

„Auch du stellst dich stets hinter Leader… Allerdings jedes Mal in seinen Schatten. Du bist geblendet von seinen Stärken und davon überzeugt, dass du nicht an ihn heranreichst – aber Kebi?“

Toto wandte sich an dieser Stelle zum Gehen. Viel gab es heute wieder zu tun, und er brauchte nicht zu spannen, um zu wissen, was sich die beiden jungen Menschen noch erzählen würden. Mit einem nichts bereuenden Schmunzeln entsann er sich ferner, äußerst pläsierlicher Jahre und dachte an seine Aswa.

„Du bist nur schwach und bedeutungslos, solange du dich selbst dafür hältst!“

„Wow. Danke, Okame, für dieses überrumpelnde Lob aus deinem Mund.“

Sie ließ sich nicht ablenken: „Doch dazu hast du gar keinen Grund! Ich behaupte sogar, dass du Leader würdig vertrittst. Die Rebellion hat auch auf dich Einfluss genommen… und dich stärker wie reifer gemacht.“

Doch Kebi war nicht bereit, die gezollte Anerkennung so simpel auf sich sitzen zu lassen: „Aber ich habe ihn angelogen! Ich habe meinen besten Freund betrogen und sogar Onkel Toto entführt! Hast du das schon vergessen? Und das alles nur, weil ich blind war vor Liebe zu einem Menschen, den ich nicht mal wirklich gekannt habe! Keine Ahnung, ob Leader mir das jemals entschuldigen kann…“

„Jeder macht Fehler“, hielt die junge Frau bestimmt dagegen, „und Leader weiß das. Außerdem bin ich mir absolut sicher, dass das keine Liebe war.“

„Keine Liebe? Was denn sonst? Klar war das welche…“

Okame schüttelte den Kopf. „Das glaubst du, aber in Wahrheit hast du dich bloß nach der Aufmerksamkeit gesehnt, die sie dir entgegengebracht hat. Sie hat dich gesehen – mehr in dir, als du bist – und deshalb hattest du Panik, ihre vermeintliche Gunst zu verlieren. Nichts mit Liebe!“

Er hielt an seiner Skepsis fest, doch zumindest wurde der Griff daran lockerer. „Woher weißt du das alles?“

„Hey! Ich kenn’ dich jetzt schon ewig! Du warst wie ein kleiner Bruder für mich.“

Kebi war davon überzeugt, dass sie wenigstens gleich alt waren, wenn er nicht gar älter. „"Warst"? Und jetzt bin ich es nicht mehr oder was?“

„Du bist kein Kind mehr, Kebi. Außerdem will ich nicht, dass du mein Bruder bist…“ Ehe er nachhaken konnte, schwang sie ihm ihren Arm um die Schultern. „Akzeptieren wir die Sache einfach! Onkel Toto hat sie dir ja auch schon vergeben. Was hältst du davon, hm? Wir haben doch noch was vor, wenn wir diesen Arsch von einem Dieb endlich kriegen wollen! Leader soll doch stolz auf uns sein, wenn er zurückkommt, oder?“

Er zog eine resignierende Grimasse. „Wenn er überhaupt zurückkommt. Ihm scheint’s im Palast zu gefallen, und ich bezweifle, dass das an der Architektur liegt…“

Das Gespräch endete hier für heimliche Zuhörer, da die beiden sich umschlungen entfernten. Es ist anzunehmen, dass Kebi hiernach seine langjährige Kameradin Okame auf einmal mit ganz anderen Augen sah. Aber das ist eine andere Geschichte.
 

Nachdem sie in noch nächtlichen Morgenstunden hundemüde ins Bett gefallen war, wachte Prinzessin Vivi am folgenden Vormittag voller Tatendrang auf. Die Sonnenstrahlen berührten sämtliche Winkel ihres Gemachs und ließen jene Partikel, die in ihnen umherschwebten, glitzern wie winzige Sterne des Tages. Die künftige Königin Alabastas erlaubte sich, noch einmal die Augen zu schließen, um aus diesem vielversprechenden Moment zusätzliche Energie für die bevorstehende Prüfung zu tanken, als etwas das Licht jenseits ihrer gesunkenen Lider abschirmte. Ein Schatten. Ein extrem tiefer Schatten, der sich über sie legte – über ihren Körper, ihr Gesicht. Mit eisiger Furcht schlug sie die Augen auf. Was sie entdeckte, ließ sie einen spitzen Schrei ausstoßen und an die Wand unter dem Baldachin zurückschrecken! Dort zog sie die Beine an und die Decke hoch, um ihr fließend leichtes Negligé darunter zu verbergen.

„Weshalb schläfst du mit dem Kopf am Fußende…?“

„WAS MACHST DU IN MEINEM SCHLAFZIMMER?!“, echauffierte sie sich, ohne seine Frage zu beantworten, nachdem sie Corsa als eben den erkannt hatte. Wie lange mochte er schon hier sein, fragte sie sich, und hatte er sie womöglich schnarchen gehört? Oh Gott, das wäre katastrophal!

Er hob entwaffnend die Hände. „Beruhige dich, Vivi.“

Es gelang ihr gerade noch. Sie ließ die fünf Kissen, mit denen sie sich mittlerweile für die erwartete Schlacht gewappnet hatte, allmählich sinken, bemerkte nebenbei, dass er bereits tipptopp hergerichtet war – in jener weißen Uniform, die ihm – zugegeben – ausgezeichnet stand – und bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. „Du solltest doch schlafen!“

„Das habe ich ja“, entgegnete er.

„Wie lange? Zehn Minuten?“

„Ich sagte doch, dass wir uns heute Morgen sehen werden.“

„Nein, Leader – du hast gefragt, und ich habe geantwortet, dass ich wohl noch viel zu tun habe.“

„Viel zu tun? Eher lange zu schlafen.“ Ein warmes Lächeln akkompagnierte seinen schon herausfordernden Ton, und bald belohnte sie ihn mit einem schüchternen Gelächter, in das er mit einstimmte. Sie war erleichtert, ihn so guter Dinge zu erleben. Die Schnitte durch Miss Easterbunnys Dolche waren zwar versorgt worden, doch der Blutverlust zeichnete sein Gesicht selbst noch unter der dick aufgetragenen Kosmetik. Trotz des sicher unangenehmen Rittes hatte er sich nicht davon abbringen lassen, sie nach Arbana zu begleiten. Offensichtlich wusste er genau, was für die Königsfamilie auf dem Spiel stand, und nahm die Audienz mit den Sachverständigen entsprechend ernst.

„Leader. Du bist so ruhig. Bist du gar nicht aufgeregt?“

„Möchtest du mir einen Anlass dazu geben?“

Sie verneinte, verschwieg ihm aber nicht, dass sie selbst noch etwas Unsicherheit empfand.

„Damals kanntest du doch auch keine Scheu, als du die Rebellion aufgehalten hast“, versuchte er sie zu ermutigen. „Du hast dich zwischen die tobenden Fronten gestellt, mit einem der Sieben Samurai angelegt und dich in seine Mafia geschleust. Wie oft hätte dir etwas Schlimmes passieren können? Und wie wahrscheinlich ist es, dass dieses Treffen heute auch nur annähernd so gefährlich wird wie irgendeine deiner mutigen Taten?“

„Mein Ziel war es, die Rebellion zu stoppen, bevor sie eskaliert.“ Ihr Haupt wurde auf einmal so schwer, dass sie es hängen lassen musste. „Viele Menschen sind gestorben, ehe ich zurück in Alabasta war. Gestorben mit dem Gedanken, dass ihr König sie im Stich gelassen hat.“

Corsa legte eine resolute Hand an ihr Kinn und hob es wieder an. „Das stimmt nicht. Ich habe viele dieser Menschen sterben sehen, und kein einziger von ihnen zweifelte im Augenblick seines Todes an dem König oder der Prinzessin.“

Sie beäugte die Farbe seiner Iriden. „Ich wünschte so sehr, ich könnte dir das glauben, Leader.“

„Du kannst es sogar sehen“, erwiderte er zuversichtlich. „Deine unbeugsame Hoffnung hat die Leute angesteckt. Weil du nicht aufgegeben und an den Frieden geglaubt hast, arbeiten die Menschen jetzt wieder.“

Sie erinnerte sich an den positiven Eindruck, den sie von der einst verwüsteten Oase Yuba gewonnen hatte.

„Das ist dein Volk, Vivi. Es steht hinter dir. Selbst wenn heute alles daneben geht. Vertrau Alabasta und sei, wie du bist – denn das repräsentiert wiederum dein Land. Und ich weiß, dass niemand es besser vertreten könnte als du.“

Sacht glitten seine Finger von ihrem Gesicht, das nun in seiner aufrechten Position verblieb.

„Und jetzt: Lächelt, Eure Hoheit. Denn mit Eurem Lächeln habt Ihr zumindest die Hälfte dieser Herausforderung bereits für Euch entschieden.“

„Corsa…“ Sie war gerührt von seinen Worten. So gerührt, dass sie schon wieder jene gewisse Enge in ihrem Hals verspürte, welche für gewöhnlich ihren Tränen vorausging. Gerade wollte sie sich bedanken, da klopfte es energisch, und der nächste Besucher stapfte in ihr Privatgemach.

„Öchö, öchö. Mi-mi-mi-miiiiiiiiii!“ Es war der königliche Berater, Igaram, doch als er den unpassenden Zeitpunkt seines Auftrittes zur Notiz nahm, drehte er sich flugs um. „Bitte verzeiht, Prinzessin! Ich wollte Euch keineswegs irgendwobei unterbrechen!“

„Ist schon in Ordnung, Igaram! Ich stehe jetzt sowieso auf.“

Selbstbewusst wandte er sich ihnen wieder zu. „Gut, das zu hören, Vivi, denn die Zeit läuft dir davon. Du musst dich baden und ankleiden; wir haben die Herren ja wohl lange genug warten lassen!“

„Das ist wahr“, gab sie betreten zu, obwohl sie für den aufhaltenden Zwischenfall nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte.

Corsa erhob sich von der Bettkante. „Wir sehen uns später.“

An den Türen begegnete er jedoch der imposanten Erscheinung König Kobras, welcher seinem geplanten Vize-Heerführer ein joviales Lächeln schenkte. „Sieh an, sieh an: Noch ehe die Finger der Sonne Alabastas an es reichen, ist mein liebes Kind schon vereint mit seinem trauten Beistand.“

Ihr seid Eurer Tochter doch bereits der "vertraute Beistand", Majestät, oder etwa nicht?“

„Nicht ganz, Corsa. Am Bankett werden drei kultivierte Herren teilnehmen, die streng und allesamt in ihrem jeweiligen Fach spezialisiert sind. Damit Vivi aufgrund dessen nicht allzu nervös wird, muss ich ihr jemanden zur Seite stellen, der wenig, wenn nicht gar überhaupt keine Ahnung von angemessenem Benehmen sowie gutem Ton hat und durch sein Fehlverhalten den Argwohn der Gäste von ihr auf sich zieht. Du bist der Einzige, der mir da eingefallen ist.“

„Ist das Euer Ernst?!“, ereiferte der Gemeinte sich.

König Kobra brach in ein Gelächter aus. „Nein, war nur Spaß!“

„Hat sich aber nicht so angehört“, warf Igaram misstrauisch ein.

Als immer noch niemand mit ihm lachte, fing sich das Staatsoberhaupt prompt wieder. „Was ich damit auszudrücken bezwecke, ist Folgendes: Vivi ist es noch nicht gewohnt, vor ausgebildeten Kritikern zu brillieren. Ich kenne meine bezaubernde Tochter“ – dabei zwinkerte er der Geschmeichelten liebevoll zu – „und vermag mir ohne viel Fantasie vorzustellen, wie ihr Bestreben, alles richtig zu machen, ihren natürlichen Charme beeinträchtigen wird. Darum habe ich dich ausgewählt, Corsa. Vivi und du, ihr kennt euch schon sehr lange, und ich glaube daher – nein – deshalb bin ich überzeugt, dass du der Einzige bist, der ihr in dieser herausfordernden Situation Sicherheit geben kann.“

„Schaffst du das auch?“, fragte die Thronerbin ihren Freund bekümmert. „Du musst es nicht tun, wenn es dir nicht gut geht.“

„Mach dir mal keine Sorgen um mich“, begütigte er sie mit verräterischer Hautfarbe. „Ich werde ja wohl kaum kämpfen müssen.“

„Mit Verlaub“, schaltete sich König Kobra ein. „Bist du verletzt, mein Junge?“

Bevor Vivi bloß ein Wort über die Lippen kam, machte der Gefragte eine den Ernst herunterspielende Kopfbewegung. „Ein geringfügiger Unfall während der Arbeit, weiter nichts. Ihr könnt heute sicher mit mir rechnen.“

Lügner, wollte Vivi sagen. Mein Vater wird dir die Aufgabe schon nicht entziehen, wenn du es einfach zugibst. Sie hätte es auch gesagt. Aber in diesem Moment schob er sich bereits an Terrakotta vorbei, die nicht folgenlos erzürnt über die beiden Alten im Zimmer der Prinzessin ihre Arme gegen die Hüfte stemmte.
 

Nicht mehr lange. Endlich entspannt marschierte Prinzessin Vivi durch den Korridor Richtung Konferenzsaal. Ihr in Wellen fließendes, azurblaues Haar trug sie offen, verziert mit einem blitzenden Diadem, und auf den Lippen ein mutvolles Lächeln. Chopper, Sanji, Lysop, Nami, Zorro, Ruffy… Perlen schmiegten sich rings um ihre Handgelenke, und auch in den Rubinen ihrer Ohrringe reflektierten sich verliebt die Sonnenstrahlen. Der pastellrote Umhang über ihrem gleißend weißen Kleid verlieh ihrem Gang den erstaunlichen Eindruck, sie würde schweben – den Augen der Wachen nach, als wäre sie der Geist Titi Nefeltaris. Seitdem der erste Tropfen Regen vor wenigen Monaten Alabastas Leid ertränkt hatte, hegte sie keine Scham mehr davor, jene kostbaren Stoffe und Geschmeide zu tragen. Dankbar spürte sie die Blicke auf sich, bis die Türflügel hinter ihr zufielen.

Der sich vor ihr erstreckende Saal spiegelte in seinem Stil die friedliche Eleganz des angestrebten Königsduktus wider, welche für den gesamten Palast bezeichnend war. Fehlende Statussymbole ließen viel Raum für einzeln postierte Pflanzen, um zu gedeihen. Hohe Fenster luden das Tageslicht ein, der dezenten Dekoration des Tisches den letzten Schliff zu geben. Ihr Vater sowie Corsa hatten bereits Platz genommen, doch da sie zu ihnen kam, fuhr Letzterer unerwartet auf, um ihr den Stuhl zurückzuziehen. Ein Kichern unterdrückend, setzte Vivi sich.

„Bittet die Gäste herein!“

Die Türen spreizten sich, und die Sachverständigen schritten hindurch. Drei waren es; einer auffallender als der andere – allein das Tragen eines dunklen Anzuges hatten sie untereinander gemein. Der Erste des Trios: Ein gar riesiger, bullenhafter Mann ohne Haare, dessen plattes Konterfei wie aus Stein gehauen schien. Der Dritte bückte sich unter dem Gewicht seines ballonförmigen Leibes; zwei weiße Büschel waren ihm von seinem Haupthaar geblieben, die – an den Schläfen platziert – beinahe aussahen wie kuschelige Ohrenwärmer. In der Mitte schließlich: Freluquet.

König Kobra erhob sich und begrüßte jeden mit einem beherzten Händedruck. Angesichts jener für einen Monarchen ungewöhnlich modernen Geste erhellte sich das Antlitz zwischen den Ohrenschützern. Offensichtlich schaute es nicht nur physisch, sondern ebenso im übertragenen Sinn zu dem Herrscher Alabastas auf. „Darf ich mich vorstellen, Eure Majestät? Mein Name ist Theodore Chubby; ich richte meine Aufmerksamkeit besonders auf die soziale Lage sowie das Wohl Eures Volkes.“

„Glazkov“, klatschte ihnen der Hüne gleichgültig auf den Tisch, sodass Vivi vor Schreck zusammenzuckte. „Verantwortlich für das Urteil über die Pläne zur Reorganisation und Rehabilitation.“

„Eure ehrwürdigen Hoheiten von Alabasta? Junger Bauer? Crétin Freluquet, meines Zeichens nach Fachmann für Wirtschaft und Finanzen.“ Eben dessen Blick legte sich auf die Erscheinung der Thronerbin. „Die Prinzessin und ich hatten bereits das Vergnügen.“

„Und wer ist dieser junge Herr dort, der uns heute mit seiner charmant ungeduldigen Anwesenheit beehrt?“, wollte Theodore Chubby unverhohlen neugierig erfahren und drückte sich über die Platte, um Corsa, der ihm gegenübersaß, genau ins Monokel zu nehmen. Der senkte den Blick. Er fühlte sich hilflos ausgeliefert, seitdem ihm förmlich verboten wurde, die Brille zu tragen.

„Dabei muss es sich wohl um Corsa Kahira von Yuba handeln“, wusste Freluquet.

Chubby betrachtete ihn daraufhin noch eingehender. „"Kahira"? Etwa wie der Sohn von…?!“

König Kobra am Kopf des Tisches schwenkte rasch die großen Hände. „Nein, nein, nein. Corsa kommt von der Oase Yuba im Westen Alabastas. Er ist der Sohn des dortigen Bürgermeisters.“

„Ahhh – das junge und bedeutende Handelskreuz Yuba“, entsann sich der Alte mit den kleinen Schäfchen über den Ohren und rückte endlich wieder zurück. Corsa zupfte an dem engen Kragen seines Uniformrocks und fragte sich, was hier eigentlich geprüft werden sollte!

Floskeln folgten. Um der nach ihr greifenden Anspannung für je Sekunden zu entfliehen, hefteten sich Vivis Augen immer wieder an Corsa, der dies zu spüren schien – denn kaum lugte sie zu ihm, gab er ihr wortlos den Halt, den sie brauchte, indem er ihren Blick fest erwiderte.

„Auf Eure Gesundheit sowie die Eures Landes!“ Chubby hob seinen Kelch, und die anderen stießen mit ihm an. Beim Absenken registrierte Vivi über den Rand des ihren hinweg den herausfordernden Blick, welchen Freluquet ihr über seinen sandte. Er saß ihr gegenüber, weswegen sie gezwungen war, ihn anzuschauen, so sie sich nicht zur Seite abwenden oder das Haupt senken wollte, was sich für eine würdevolle Prinzessin nicht ziemt. Sie hatte mitbekommen, wie er Chubby sogar verdrängt hatte, um jenen Stuhl auf der anderen Seite zu besetzen. Nicht bereit, sich einschüchtern zu lassen, blickte sie ihm wacker in die Rabenaugen, während sie die Trinkgefäße abstellten. Es war bestimmt kein Zufall… Auf der anderen Seite vermochte sie sich nicht vorzustellen, was er damit bezweckte.

Bald jedoch entwickelte sie eine geradezu gruselige Vermutung.

Mit dem Voranschreiten der Konversation – während sie sich bemühte, sich auf die Fragen und Antworten der anderen Prüfer zu konzentrieren – wurden seine Blicke häufiger, intensiver. Sie wollte ihm keine Aufmerksamkeit schenken, aber immer wieder ertappte sie sich dabei, wie sich ihre Augenpaare trafen, was er offenbar zu seinen Gunsten auslegte. Die Konsequenz war, dass es nicht bei diesem nebulösen Kontakt blieb: Stumm schrak Vivi auf, als sie unvermittelt einen Druck auf ihrem Kleid spürte, und verlor keine Zeit, um unter die Tischplatte zu linsen. Was sie dort entdeckte, ließ ihre Augen weit werden – es war das spindeldürre Bein dieses Casanovas an dem ihren!

Der erboste Blick von ihr spornte ihn bloß an. Er hegte sichtliches Gefallen daran, in ihre Privatsphäre zu dringen. Erst da ihr nichts ahnender Vater ihn in das Gespräch verwickelte, schnellte sein Fuß zurück. Vivi blies ihren Atem hinaus. Er würde nicht riskieren, ertappt zu werden, oder etwa doch?

Um den Horror unter dem Tisch verdrängen zu können, wandte sie sich Corsa zu. Zu ihrem Erstaunen führte er aktuell ganz auf sich gestellt eine Diskussion mit Theodore Chubby über die Relevanz Yubas für Alabastas Zukunft, verwendete dabei gehaltvolle Argumente und die Diktion eines ehrlichen Diplomaten. Sein einziges Problem war – und dies schmälerte Vivis Lächeln zunehmend – dass er ständig an den Fragen seines Gesprächspartners vorbeiredete, nur halbherzig auf sie einging, weil er so versessen darauf war, von seiner Heimat zu überzeugen. Hoffentlich ginge das gut… Herr Chubby machte zumindest keinen unzufriedenen Eindruck. Bei Herrn Glazkov konnte sie das schlecht beurteilen, denn der hatte seine Miene seit Ankunft kein einziges Mal verändert.

Ihr Herz machte Sprünge, während sie ihn so reden hörte. Der ehemalige Anführer der Rebellen… Corsa nahm mehr und mehr die Rolle eines yubanischen Botschafters ein, die ihm auch noch zuzusagen schien, und er spielte sie gut. Und sie war mehr denn je inspiriert, es ihm gleichzutun. Gemeinsam hatten sie die Wüstenkids angeführt, gemeinsam ihr geliebtes Land retten wollen, und nun sollten sie es gemeinsam repräsentieren. Sie verspürte ein sonderbares Gefühl im Bauch, wenn sie daran dachte, was sie schon alles zusammen erlebt hatten und was sie noch erleben würden – es war nicht unangenehm. Erstarkt wollte sie sich wieder an der Unterhaltung beteiligen – doch: Ein Druck an ihrem Bein…

Säßen sie nicht inmitten einer wichtigen Konferenz, hätte sie vermutlich laut aufgeschrien, aber sie saßen nun mal in einer. Zornigen Blickes stieß sie den Fuß fort. Freluquet schien dies als kokette Aufforderung zu verstehen und setzte ihn wieder dorthin. Dann eben anders! Unter der Deckung des Tisches stupste sie einen Finger gegen Corsas Ärmel. Er wandte sich von ihrem Vater ab, welcher verbal von Freluquet zu Chubby gewechselt war, und stattdessen ganz ihr zu. Mit minimalen Pupillenbewegungen wies sie auf ihr Gegenüber. Ihr Freund verstand sofort. Unauffällig glitt er mit dem Stuhl wenige Zentimeter zurück, um unter die Platte spähen zu können, und siehe da! Günstigerweise hatte Freluquet eben in diesem Moment die Kralle an seinem langen Arm vorgeschoben. Gespannt beobachtete Corsa deren Aktion, doch da sie sich gerade auf eine Stelle platzieren wollte, an der sie entschieden nichts zu suchen hatte, hatte er genug. „Fass sie nicht an!“, bellte er, begleitet von einem Schlag seiner Hände auf den Tisch, der das Geschirr klappern ließ, ehe er sich hinüberneigte und den schmierigen Typen an dessen bis dahin akkurat liegendem Hemdkragen zu sich zog, sodass der Gutachter seinen heißen Atem auf dem Riechkolben spüren konnte.

„Corsa!“, stieß König Kobra irritiert aus. Natürlich wunderte es die Unbeteiligten, weswegen sich der junge Mann, der sich bisher so vorbildlich verhalten hatte, auf einmal zu solch einer Tat gezwungen sah.

Vivi befand sich in einer Bredouille: Eigentlich wollte sie die Sache aufklären, um Corsas Ehre zu retten und sich selbst vor diesen widerlichen Berührungen. Andererseits würde dies gewiss nur mehr Verwirrung stiften und das ganze Treffen ruinieren.

Corsa war es, der ihr die Entscheidung abnahm. Sein Griff um den Kragen des Schnösels löste sich, sodass dieser erleichtert auf seinen Platz plumpste und sich mit der Serviette den Schweiß von der hohen Stirn tupfen konnte. „Verzeihung…“

Vivi ahnte, dass er sich die Entschuldigung abringen musste. Mit geschlossenen Augen setzte er sich.

Freluquet hingegen sprang sofort auf, nachdem er sich von seinem Schock erholt hatte. „Frechheit! Eure Majestät, das werdet Ihr ihm doch sicher nicht einfach durchgehen lassen! Dieser Junge ist wild und impertinent; er gehört hier nicht her!“

„Er hat seinen Fehler eingesehen und sich entschuldigt“, entgegnete der König stoisch. „Wegen solch einer Lappalie lasse ich ihn doch nicht gleich vor die Türen setzen.“

„Lappalie?“, wiederholte Freluquet und wurde hysterisch. „Das nennt Ihr eine Lappalie?!“

Nefeltari nickte. „Sie haben es doch gehört.“

Er lief scharlachrot an, warf krächzend den Stuhl um, auf dem er gesessen hatte. „Ich bin ein hoher Staatsgast und verlange eine mir angemessene Behandlung!“

Auch Corsa hielt sich da nicht länger zurück: „Eine Ihnen angemessene Behandlung können Sie sofort haben, Sie perverser Snob!“

„Was haben Sie gesaaaagt?!“

„Soll ich’s Ihnen auf eine Teleschnecke sprechen?“

„Jetzt reicht’s!“ Kurzatmig stelzte er Richtung Ausgang. „Glauben Sie mir, meine Herren: Das wird ein Nachspiel haben – ein bitterböses Nachspiel!“

„Wir sind noch nicht fertig!“, rief Corsa und wollte ihm nach, anscheinend direkt über den Tisch, doch Vivi hielt ihn zurück.

„In der Tat!“, pflichtete Freluquet ihm diesbezüglich bei. „Ich werde die Behörde darüber informieren! Dieser ganze Staat ist doch für nichts zu gebrauchen!“

„Moment“, mischte sich da König Kobra ein, der den Zusammenhang zwischen Corsas Verhalten und dem Königreich nicht nachvollzog.

„Seht Euch doch nur um! Ein Rebellenanführer als Landesvertreter, ein König, der dies auch noch bereitwillig duldet und sich nicht einmal behaupten kann! Eure Heeresführer: Irgendwelche… Kreaturen jenseits des Menschenmöglichen! Opfer der Teufelsfrüchte! Und dergleichen stellt Ihr ein als Leibwächter der Prinzessin?!“

„Ich setze vollstes Vertrauen in meine Kommandanten und hatte niemals einen Anlass, das zu bereuen.“

„Spricht der König eines Landes, das sich selbst bekriegt hat?!“

„Der Rebellion lag eine Finte Sir Crocodiles zugrunde!“, fuhr Vivi dazwischen.

„Auch das noch!“ Freluquet lachte verächtlich auf. „Ein blutiger Aufstand – und auch noch umsonst? Was für ein armseliges Land! Was für ein erbärmliches Volk!“

„Lassen Sie das Volk aus dem Spiel“, drohte Corsa. „Wenn hier jemand armselig ist, dann Sie. Sind Beleidigungen das Einzige, was den Bereich hinter Ihrer Stirn füllt?“

Die Aufmerksamkeit des Frackträgers widmete sich nun wieder ihm. „Sie sind derjenige, der die Leute zum Aufstand angestiftet hat, nicht wahr? Schuld an den Toden ungezählter Menschen, welche ihrem Herrscher trotz allem loyal geblieben sind oder Ihnen einfach widersprochen haben, und dennoch sitzen Sie nun hier ungescholten an der Seite der Prinzessin. Wer kann mir dieses Phänomen erklären?“

„Corsa hat sich für die Interessen des Volkes eingesetzt!“, verteidigte Vivi ihn.

„Von welchem Volk sprecht Ihr, Prinzessin? Von dem, das in seinen Häusern ausgeharrt und seine Männer, Väter und Söhne an den Wahn eines blinden Beleidigten verloren hat?!“

Ein Stuhl knarrte, und Chubby richtete sich verlegen auf. „Meine Dame, meine Herren, ich bitte Sie. Kommen Sie zur Vernunft. Das führt uns doch nicht weiter.“

„Sagen Sie das denen!“, echauffierte sein Kollege sich. „Ich setze hier lediglich meine Rechte durch!“

„Schon gut, aber…“

„Nichts "aber"!“

„Aber er hat Recht“, sprach nun König Kobra einen Machtsatz. Mahnend blickte er auf den aufsässigen Beamten sowie auf seinen Schützling Corsa hinab. „Es mag Ihnen schwerfallen, den Tisch mit einem ehemaligen Rebellen zu teilen, doch ich kann Ihnen zu Ihrer Besänftigung versichern, dass der Konflikt zwischen mir und ihm geklärt und beigelegt ist. Sein Motiv war schlicht verzweifelter Natur – und meinen Sie nicht auch, dass jeder Mensch eine weitere Chance verdient hat, insbesondere von seinem König?“

Corsa, der nicht begreifen wollte, weshalb man ihm für seine Taten eine "weitere Chance" hatte geben müssen, zügelte sich angestrengt.

„Ich kenne Ihre Geschichte, Crétin“, fuhr der Regent fort; die Augen des Angesprochenen reagierten auf diese Äußerung. „Es gehört zu meiner Art, jemandem, der seinen Besuch unseres Landes ankündigt, Respekt zu zollen, indem ich mich im Vorfeld über ihn informiere.“

Für Sekunden schien es, als hätte Chubby vor, auf seinem Sitz wie ein Pudding in der Wüste zu zerlaufen.

„Worauf willst du damit hinaus, Vater?“, hakte Vivi nach. Ihr schwante etwas: Sie kannte diesen Kerl. Die Erkenntnis wurde immer klarer.

Kobra ließ etwas Zeit verstreichen. Freluquet warf sein langes Gesicht von einer Seite auf die andere; seine komplette Miene drückte ein einziges "Bitte nicht" aus. Wäre eine andere Wahl von jenem mitleiderregenden Wesen überhaupt zu erwarten gewesen? Der König schloss die Augen. Dass Freluquet trotz seines Leidensweges eine derart beachtliche Position anvertraut worden war, versetzte ihn zwar fürderhin in Überraschung, aber nun hatte er sich von dem dafür Verantwortlichen – Theodore Chubby – ein Bild machen dürfen. Niemand sollte aufgrund seiner Fehler für den Rest seines Lebens bestraft werden.

„Lass es gut sein, Vivi, das ist Privatsache. Wir sollten an dieser Stelle mit der Sitzung fortfahren, schließlich steht für uns alle heute noch viel auf dem Plan.“

Freluquet harrte vor den Türen aus. Er hatte sich nicht nur nicht gegen einen Bauern behaupten können, sondern sich dazu eindrucksvoll blamiert – nun war er unentschlossen, ob er sich unter diesen Umständen wirklich an einem fachlichen Gespräch beteiligen sollte.

„Sofort hierher“, dröhnte Glazkovs Stimme schließlich. „Setzen Sie sich an den Tisch, Crétin Freluquet.“

Augenblicklich hastete die schmale Gestalt zu ihnen zurück. Jedoch kam sie nicht weit, denn Vivi schoss in die Höhe, ehe sie ihren Stuhl wieder aufgehoben hatte, und starrte sie fassungslos an.

„Leader…“, murmelte die Prinzessin völlig eingenommen. „Leader – das ist Fretin! Das ist Mister Six!“

Kein Blick zurück

Für einige Sekunden wirkte die Szene fast wie erstarrt. Theodore Chubby sah aus, als wüsste er genau, wovon die junge Adlige sprach. Er schien sich an seinem Kelch festhalten zu wollen.

„Sieh doch nur: Diese verblüffende Ähnlichkeit!“

„Stimmt… Darauf hätten wir viel früher kommen müssen.“ Corsa ärgerte sich darüber, dass dies eben nicht der Fall geworden war.

Durch seinen Panzer von Indifferenz starrte Glazkov in die Runde. „Dies ist wohl das Ende des gemütlichen Beisammenseins.“

„Nun“, setzte Kobra Nefeltari an. „Er scheint ein Feind von ihnen zu sein. Und wenn die beiden zusammen sind und erst einmal einen Feind ausgemacht haben, dann steht anschließend meist kein Steinchen mehr auf dem anderen.“

„Entschuldige, Vater.“ Vivi sandte ihm einen trösten wollenden Blick. „Aber das ist ein Mitglied der Baroque-Firma, und du weißt, dass ich diese nicht ungestraft davonkommen lassen kann.“

„Ja, das weiß ich“, erwiderte er trocken. „Ich verstehe nur nicht, warum.“

„Er ist weg!“, stellte Corsa fest. „Los, Vivi, hinterher!“

König Kobra ließ dem erbleichten Schäfchenhirten Wein einschenken, während seine "Jugend Alabastas" aus dem Saal stürmte.

Das Palastinnere war umfangreich und in Sachen Verzweigungen dem Nebellabyrinth nicht unähnlich. Im Gegensatz zu Corsa hatte Freluquet sicher keinerlei Problem damit, sich hier zurechtzufinden wie eine Spinne auf ihrem großen Netz.

Freluquet, Freluquet… Vivi wollte endlich aufhören, ihn als den Sachverständigen zu sehen. Er war Mister Six. Alles andere waren bloß Rollen, die er für die Zwecke der Firma angenommen hatte.

„Wir müssen vorsichtig sein!“, rief sie ihrem Freund zu. „Er kann überall stecken! Erinnere dich doch nur an das Labyrinth: Da kannten sich die beiden doch genauso gut aus! Bestimmt hat er noch ein paar Tricks auf Lager!“

Bei diesen Worten schoss Corsa ein Gedanke durch den Kopf. Die beiden… War es möglich, dass Rike ebenfalls…?

Ein unvermitteltes Jaulen holte sie in die Gegenwart zurück, und sie folgten dem Geräusch in blinder Hilfsbereitschaft und der Annahme, dass Mister Six sein erstes Opfer forderte.

„Er ist bestimmt bewaffnet!“, warnte die Prinzessin ihren Begleiter, dessen Schwert hingegen in seinem Gästezimmer auf die nächste Trainingssession mit dem königlichen Kommandanten wartete. Auch Vivi trug ihre Pfauenräder nicht bei sich und beschloss, ohne sie künftig nicht mehr das Gemach zu verlassen.

Sie erreichten eine weitere Galerie. Schräg strahlte die Sonne in diese. Zu beschäftigt mit ihren Gedanken, wie sie ihn ohne Waffen stoppen sollten, achtete Vivi wenig auf das, was aktuell vor ihr lag, und ehe Corsa sie aufhalten konnte, stolperte sie bereits, die Arme ausstreckend wie zwei Flügel – allerdings gerupfte. Gerade wollte sich ein Schrei von ihren Lippen lösen, da fingen zwei Hände sie sicher auf. Instinktiv stellte sie sich senkrecht hin und rammte dabei den hohen Absatz einer Sandale ahnungslos in den langen Zinken von Mister Six.

„Oh! Das tut mir aufrichtig Leid; ich bitte vielmals um Entschuldigung!“, plapperte sie reflexartig und beeilte sich, zur Seite zu hüpfen – alles unter den leicht verdutzten Augen jener Wache, die ihren Sturz unterbunden hatte. Erst dann begriff sie, was hier eigentlich Sache war.

„Mit Verlaub, Prinzessin, aber bin ich ein Sommerschlussverkaufstisch, dass heute alle in mich hineinrennen?“

Es war Peruh, der Falke, und zu seinen Füßen: Freluquet!

„Oh!“ Beschämt schlug sie sich die Hände vor den Mund. „Peruh! Ich wusste nicht, dass… ähhh, ich meine, es tut mir…!“

Ihr treuer Beschützer lächelte nur und winkte ab. Indessen gab Mister Six alles dafür, sich aufzurichten: Knirschend stemmte er seine dünnen Arme auf den Boden, dann die Beine – wie die Spinne, welche Vivi zuvor schon in ihm gesehen hatte. Corsa war es, der das Ungeziefer packte und auf die Füße zog.

„Macht er euch etwa Ärger?“ Peruh kannte selbstverständlich nur den Gutachter, nicht den Agenten. Deshalb klärte ihn Vivi darüber auf – und vertraute ihm ihr Problem damit an. Der Flüchtling selbst schien bereits eine Ahnung, was ihm blühen würde, zu entwickeln, als der weißgewandete Wächter Alabastas das folgende Mal auf ihn herabsah. Die grollende Schärfe seiner Augen allein machte jeden Einspruch, jede Widerwehr, jeglichen Fluchtgedanken zunichte, bevor sie überhaupt ans Licht des zu Erkennenden gelangten.
 

Hiernach beschloss Vivi, tunlichst die ganze Wahrheit über Crétin Freluquet – Mister Six – in Erfahrung zu bringen. Zu diesem Zweck suchte sie Theodore Chubby auf, welcher seither planlos durch die Korridore des Palastes pilgerte. Es war offenkundig, dass der freundliche Mann irgendetwas darüber wusste. Als Vivi und Corsa ihn mit der Angelegenheit konfrontierten, war er unangenehm berührt, erklärte sich schließlich jedoch bereit, ihnen einen Teil seines Wissens zu offenbaren.

„Sicherlich wünscht ihr zu erfahren, was ihn mit der Baroque-Firma verbindet.“

Corsas Blick wurde scharf. „Sie wussten es?“

„Viele wussten das. Crétin hat schon immer zu jener bedauernswürdigen Art von Menschen gezählt, deren Taten und Entscheidungen großes Unglück zur Folge haben, sofern niemand diese überwacht. In seiner Kindheit verlor er beide Eltern auf einmal. Nicht etwa aufgrund eines Raubüberfalls oder einer schweren Krankheit, sondern weil er sie eines Tages versehentlich in eine Kammer ihres eigenen Hauses sperrte und nachher schlichtweg vergaß, dass sie dort waren.“

„Das ist ja schrecklich“, kommentierte Vivi die Erzählung ehrlich betroffen. „Konnten sie sich denn nicht irgendwie befreien?“

„Durchaus denkbar, aber jedenfalls sah er sie nie wieder, da er schon bald vor Scham und Reue aus seiner Heimat geflüchtet war… Von diesem Tag an versuchte er, sich mittels allerlei Arbeiten über Wasser – oder eher: Sand – zu halten, doch – wie gesagt: Crétin ist ein geborenes Unglückskind, was seine Entlassung immer sehr begünstigte. Bis er schließlich in Rainbase strandete, wo er eine Anstellung als Croupier fand.“

Rainbase war jedem der Anwesenden ein Begriff als das Domizil Sir Crocodiles.

„Dort wurde der Kopf der Baroque-Mafia auf ihn aufmerksam, und er offerierte ihm tatsächlich einen Posten. Warum, können wir nur spekulieren. Vielleicht aus der oberflächlichen Gunst, die Überhebliche einem Unterlegenen gegenüber manchmal erblicken lassen. Was immer es war: Crétin dachte nicht lange nach. Er träumte von einem endlich sorgenfreien Alltag, während er blind in den Teufelskreis seines Lebens tapste.“

„Teufelskreis“, echote die gebannte Zuhörerin. „Mit denen kennt sich das Krokodil aus wie Tänzerinnen mit Hula Hoop-Reifen.“

„Seinerzeit stellte Sir Crocodile noch einen Volkshelden dar“, gab Chubby zu bedenken. „Es musste einem wie eine Ehre vorkommen, unter so jemandem arbeiten zu dürfen. Ich schätze nicht, dass es damals viele gab, die das Angebot abgelehnt hätten.“

Weil niemand nach den Hintergründen geforscht hatte. „Wie kam es zu Ihrer Bekanntschaft mit ihm?“

„Es war einiges an Zeit seit Crétin Freluquets Eintritt in die Firma verstrichen, da ließ Sir Crocodile Gutachter unseres Instituts in sein Kasino laden. Ich vermute sehr, dass er durch uns nach außen hin zur Schau stellen wollte, was für ein ehrenwerter und sauberer Mann er doch wäre. Crétin arbeitete dieser Tage als sein persönlicher Sekretär. Die permanente Gefahr unter seinem Vorgesetzten hatte ihn sich enorm entwickeln lassen. Irgendwie spürte ich diese Gefahr – womöglich übte Sir Crocodiles Erscheinung jenen Eindruck auf mich aus – und weil ich von seinem Verständnis für Zahlen sowie Formen begeistert war, fragte ich den jungen Mann freiheraus, ob er nicht interessiert an einer Ausbildung in unserem Institut wäre. Zu meiner doch leichten Verwunderung sagte er sofort zu. Allerdings ahnten wir damals nicht, dass Crétin fortan sowohl mit uns arbeitete als auch weiterhin für die Baroque-Firma. Ein beachtliches Pensum muss das gewesen sein, findet ihr nicht auch? Heute bedauere ich es sehr, dass wir sein Doppelleben nicht haben aufdecken können. Es gab verräterische Anzeichen, ja, aber…“

Was immer Chubbys zitternde Pupillen gerade sahen: Es befand sich nicht innerhalb dieser hohen, hellen Wände, auf die sie gerichtet waren. Vivis Lippen formten ein Lächeln, ehe sie seinen Satz verständnisvoll beendete: „…Sie wollten es nicht wahrhaben.“ Für Theodore Chubby war Freluquet offenbar ein Schützling, ein Freund, und auch sie sollte ihre Meinung über ihn noch einmal revidieren. Dass hinter jedem Mitglied der Baroque-Firma eine so bewegende Geschichte stecken konnte, selbst hinter ihrem Boss, daran hatte sie nie gedacht; zu verärgert war sie gewesen.

„Was wissen Sie über Sunny?“, meldete sich Corsa unvermittelt.

„Sunny?“, musste Chubby nachfragen.

„Rike, seine Schurkenkollegin, wie auch immer! Irgendwann muss er die Bekanntschaft eines Mädchens gemacht haben, das…“

Seinem Gegenüber ging ein Licht auf. „Ach, aber natürlich… Er hat ein junges Fräulein aufgezogen. Uns wollte er sie nie vorstellen, aber in den Mittagspausen ist ihm bisweilen stolz entglitten, was für wunderbare Fortschritte die kleine Sunny machte.“

„Sunny…“ Der Name drängte sich Corsa auf die Lippen. Nach Jahren ihn wieder zu hören… aus einem anderen Mund als dem eigenen.

„Zu der Zeit der schweren Dürre Alabastas ließ er sie in ihm so etwas wie einen großen Bruder finden. Er zog sie unter den Pelzmantel der Baroque-Firma… doch zugleich aus dem Schrecken und Aktionsradius des Krieges. Welcher dieser beiden Wege mochte für ein Kind der ihm wünschenswerte sein?“

Genug. Corsa starrte auf seine verkrampften Fäuste. Er hatte genug gehört. Vielleicht zu viel. Geschehnisse, die er nicht realisieren konnte – nicht realisieren wollte. Nicht nur, dass Sunny niemals in der Wüste gestorben war… Jetzt sollte es Mister Six gewesen sein, der sie vor dem Tod gerettet hatte? Dieser Typ? Unglaublich. Und er hatte ihn wie Dreck behandelt, hatte ihm nur Vorwürfe an den Kopf geworfen. Wer war hier eigentlich der Böse?

Er schämte sich. Nicht allein für sein Verhalten gegenüber diesem Freluquet. Er schämte sich dafür, dass er Rike in der einstürzenden Ruine zurückgelassen hatte. Für den Tod seiner Mutter. Dafür, dass er Sunny aus den Augen verloren hatte. Für die Rebellion gegen den König. Einfach für alles.

Vivi lockte ihn aus seinen Gedanken. Sie schaute ihn mit leuchtenden Augen an, und er wusste genau, was sie ihm so zuversichtlich mitteilen wollte.

Du hast es nicht getan. Du hast sie gar nicht sterben lassen.

Doch, hätte er gerne erwidert. Zweimal. Aber er brachte es nicht über sich. Stattdessen nickte er erst der Perplexen, dann dem Sachverständigen knapp zu und rauschte anschließend davon. Er musste allein sein. Die düsteren Erkenntnisse sacken lassen. Und eine Entscheidung treffen.
 

*
 

„Majestät? Ich kann Euer Angebot nicht annehmen.“

Kobra merkte auf, als hätte er niemals im Leben damit gerechnet, dass er nein sagen würde. „Aber warum?“

„Ich möchte einfach nicht mehr kämpfen. Ich bin des Kämpfens müde.“

Das Antlitz des alabastanischen Staatsoberhauptes verzichtete noch immer auf einen Hinweis für die an ihm so gepriesene Verständnisfülle. „Stellvertretender Führer meines Heeres zu sein bedeutet noch lange nicht, kämpfen zu müssen. Du hast die Rebellen geleitet. Das dürfte dir doch bekannt sein?“

„Trotzdem“, beharrte er lakonisch. „Ich möchte es einfach nicht mehr.“

„Ich wäre dir gegenüber nicht ehrlich, wenn ich sagte, dass ich deine Entscheidung verstehe, aber ich akzeptiere sie auf jeden Fall.“

„Ich danke Euch.“ Erlösung lüftete sein dunkles Inneres.

„Corsa?“

Er blieb stehen.

„Nach dem fatalen Putschversuch Sir Crocodiles möchte ich aus meinen Fehlern lernen und habe aus diesem Grund beschlossen, meine alleinige Befehlsgewalt über Alabasta aufzugeben, indem ich Ämter ins Leben rufe, die die tiefe Kluft zwischen dem Königshaus und dem Volk schließen sollen. Wenn dir der Kommandant nicht zusagt, was hältst du dann von dem Amt des Umweltministers?“

Corsa spürte Verdruss in sich aufwallen. Weshalb war der König so versessen darauf, ihn irgendwo am Hof einzuspannen?

„Du musst nicht kämpfen. Deine Aufgabe besteht darin, den Menschen dieses Landes nahe zu sein und mir lediglich zu berichten, wenn dir etwas eingefallen oder zu Ohren gekommen ist, das die Qualität des Lebens in Alabasta aufwerten könnte.“

Und weshalb sagte er ihm das nicht mehr ins Gesicht? „Ich werde darüber nachdenken“, antwortete er stattdessen.

„Eines noch, Corsa.“

Wieder hielt er an.

„Vivi würde sich freuen, dich dann und wann im Palast zu sehen. Bitte lass sie nicht vergeblich warten.“

Er wägte ab, ob er antworten sollte, entschied sich dann aber, es nicht zu tun.
 

Die Nacht ließ Arbana sich wie ein einziger Leuchtturm aus dem tintenblauen Wüstenmeer erheben. Hell thronte die Hauptstadt auf ihrem hohen Felsen; die blassgrauen, bunt bekuppelten Gebäude schlossen ihre Bürger sicher ein. Auf den Straßen patrouillierten schmunzelnde Wachen, und hier und da wurden Haustüren von munteren Nachtschwärmern aufgeschlagen, die wussten, dass es nichts gab, wovor sie sich noch hätten fürchten müssen. Zwei Kinder beobachteten ihr wackelndes Spiegelbild in einer Pfütze des vergangenen Regenschauers; ihr Kichern echote durch die schlummernden Gassen wie ein Gummiball. In Alabasta war Frieden gekehrt, und dies schienen auch die Gutachter so zu sehen, da sie inzwischen bei der Begutachtung des königlichen Spirituosenvorrats angekommen waren. Sogar Glazkov brach in ein richtig mitreißendes Gelächter aus, als der beschwipste Gastgeber einen Witz über eine Umzugskrabbe und eine alte Frau zum Besten gab. Trotzdem gelang Vivi nur ein kraftloses Lächeln. So als wäre diese Angelegenheit eine Krankheit, die sie unvermittelt überfallen hatte, kreisten ihre Gedanken seit Stunden ununterbrochen um das Verschwinden ihres Freundes – um Corsa. Sie wusste noch nicht, weshalb es sie so bekümmerte, schließlich war er ein erwachsener Mann, der gehen durfte, wohin er wollte, aber sobald die Gelegenheit dazu da war, verzog sich Vivi unbemerkt von der Seite ihres Vaters und eilte durch den Palast. Außen ließ sie sich von der Brüstung eines Balkons stoppen und warf einen Blick über den Hof. Es war genau jener Balkon, von welchem aus sie Corsa so oft beobachtet hatte, wenn er mit Chaka trainierte oder seinen Gedanken nachhing. Würde es eine verblassende Erinnerung werden? Je länger sie auseinander waren, desto mehr trennte es sie für die Ewigkeit, und das wollte sie auf keinen Fall. Sie wusste, sie konnte sich erlauben zu träumen, durfte sich dabei jedoch nicht verlieren. Die Zeit mit Ruffy, Chopper, Zorro, Sanji, Nami und Lysop war zwar fantastisch gewesen, aber sie war auch vorbei, und ganz anders als die Freundschaft mit Corsa würde diese niemals betrübt werden, auf die Probe gestellt, erlöschen – schlicht und ergreifend aus dem Grund, dass sie die Piraten nicht wiedersehen würde. Was blieb, waren der ewige Gedanke an sie, die ihr immer Kraft schenkende Hoffnung.

Aber Corsa sollte weder ein Gedanke noch eine Hoffnung sein. Er sollte keine Erinnerung werden, die sich nicht verändern würde. Nicht ihm sollte jene Erhabenheit gebühren, das Gefühl der Unerreichbarkeit, welches längst ihren Freunden auf hoher See anhaftete.

Ihn wollte sie berühren. Spüren. In sich aufnehmen.

Und als sie sich dessen endlich bewusst wurde, als sie schließlich keine Furcht mehr vor der Veränderung hegte, die niemals an ihm, sondern an ihren Gefühlen ihm gegenüber gelegen hatte, da nahm ihre Nase jenen Duft auf, diesen vertrauten Duft nach Sandelholz, der sie schon einmal zusammengebracht hatte.

Er stand am Rand der Südtreppe, die aus Arbana führte, mit dem Blick gen Horizont, an welchem sich der breite Nimbus der Sonne noch gleich einem puderblauen See erstreckte. Der schwere Mantel bewegte sich kaum im Wind, der seinen Duft bis an den Palast getragen hatte, nun weit hinter ihnen liegend. Ihre Füße in den hohen Sandalen schmerzten, und sie atmete schnell. Am Fuß der hohen Treppe wieherte sein Hengst und warnte sie vor seiner baldigen Abreise.

„Verschwenden wir unsere Zeit nicht mit überflüssigen Worten“, sagte er, noch ehe sie auf sich aufmerksam gemacht hatte.

„Aber willst du wirklich gehen?“, kam sie also umgehend zur Sache. Sowie sie sich ihm näherte, setzte auch er sich in Bewegung, schritt, ohne sie einmal anzusehen, Stufe für Stufe hinab. Obschon sie an Geschwindigkeit hätte zulegen können, tat sie es nicht – es war wie ein Traum, in dem es ihr gar nicht erst möglich war.

„Ich gehöre nicht hierher, Vivi, das weißt du.“

„Was meinst du damit?“

„Ich bin ein einfacher Landarbeiter, kein Edelmann oder Ritter. Dein Vater mag großartige Ziele für mich in Aussicht haben, für uns beide, aber… ich kann seinen Ansprüchen nicht gerecht werden.“

Diese Aussage versetzte ihr einen sehr schmerzhaften Stich.

„Wir müssen verstehen, dass wir keine Kinder mehr sind, Vivi“, fuhr er fort, ohne stehen zu bleiben. „Auch du.“

„Bist du etwa noch immer…? Ist es wegen der Sache mit deiner Mutter? Wegen Sunny?“ Auch sie ging weiter. Die Treppe schien ein endloses Ausmaß angenommen zu haben. Schon einmal und erst kürzlich war es eine Treppe gewesen, die sie voneinander getrennt hatte. „Warum bist du auf einmal so? Trotz des Zwischenfalls mit Freluquet: Du musst doch gesehen haben, dass du und niemand sonst wie gemacht für diese Position ist!“

Sekundenlang nur der Klang steter Schritte.

„Diese Position… an meiner Seite.“

Just wurde sie daran erinnert, wie es ihr ergangen war, als die Strohhüte sie verlassen hatten. Ein Lächeln beim Abschied tröstet nicht über den Trennungsschmerz hinweg. Sie war es leid, dass jeder, der sie zurückließ, der Meinung war, sie würde darüber hinwegkommen. Sie war es leid, die Prinzessin zu sein.

„Lass mir einfach die Zeit, über alles nachzudenken, okay? Lauf mir nicht hinterher.“

Die Treppe endete. Inzwischen trennte sie ein Viertel derselben voneinander, denn Vivi war nach und nach langsamer geworden, wie auch ihre Entschlossenheit mit jeder Stufe gesunken war. Nüchterner Miene besah sie Corsa beim Aufsitzen. Das Pferd schnaubte. In der Dunkelheit schien es ein eindrucksvoller Schatten seines verschlossenen Herrn zu sein.

Wieso mussten sie sich so trennen? Kein Gruß, kein Handschlag, keine Umarmung, kein Kuss, nicht einmal ein Blick. Er würde sie stehenlassen mit der Kühle, mit welcher er ihr schon in der Ruine begegnet war. Sie hatte es versucht, doch an seinem Eisenmantel prallte einfach alles ab.

„Na gut, Corsa…“ Sie drehte sich auf der Stelle um. Stieg mit dem bitteren Stolz einer einsamen Königin hinauf, bis der hohe Thron Arbanas ihre Gestalt vor den Blicken von unten verbarg.

Der Wüstenwind wiederholte seine elegant in den Sand gezogenen Muster wieder und wieder.

Sobald sie gegangen war, wurde Corsas Blick zu seiner Rechten gezogen. Sunny saß dort auf einem Stein mit baumelnden Beinen und ihrem typischen Grinsen. „Hey! Irgendwann sehen wir uns wieder. Nich’ mehr im Krieg – sondern im Frieden. Aber bis dahin will ich, dass du mit einem Lächeln lebst, so wie ich mit einem Lächeln gegangen bin. Hier!“ Sie tatschte sich auf den Mund, zog ihre Hand wieder fort und zeigte dabei eine ganz ernste Schnute. „Ich schenk’ dir meins.“

Er lächelte betrübt, aber es hielt sich nicht lange aufrecht.

Der schwarze Hengst setzte sich in Bewegung. Schnaufend galoppierte er an Sunny vorbei, und der aufgewirbelte Sand ließ ihre Erscheinung in der Luft zergehen wie eine enttarnte Fata Morgana. Geschwind verlor sich die Silhouette des Tieres und seines Reiters in der nächtlichen Wildnis, und kaum waren sie nicht mehr zu sehen, gab sich die ganze Wüste wieder ihrer schläfrigen Trägheit hin, ihrer ariden Gleichgültigkeit, ihrer hungrigen Ewigkeit scheinbar ohne jegliche Abwechslung.


Nachwort zu diesem Kapitel:

♫ Compass
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Nachwort zu diesem Kapitel:

♫ You're my Shine
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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von:  Phantom
2014-11-18T19:57:41+00:00 18.11.2014 20:57
"Arzani92" schrieb am 13.07.2014 auf FanFiktion.de:

Ein wunderbares Kapitel, muss ich sagen. Sehr flüssig zu lesen, einfach wunderbar die Dynamik zwischen Vivi und Corsa. Es ist so witzig und doch irgendwie auch ein bisschen dramatisch.
Vivi tut mir etwas Leid, weil sie nicht unter Corsas dicke Schale kommt und da doch so gerne wieder hinkommen würde. Sie versucht echt viel und manchmal scheint es auch zu klappen, nur damit es dann doch nicht wieder funktioniert. Das finde ich schade, aber ich kann es gut nachvollziehen.
Die beiden haben sehr unterschiedlich eine Zeit erlebt, die viel Wandel mit sich gebracht hat und während Vivi sehr eindrücklich mitbekommen hat, was es heißt, sich auf andere verlassen zu können, hat Corsa nur die Schmach abbekommen, dass es doch alles falsch gemacht hat, weil er eben nicht vertraut hat. Und nun vertraut er sich selbst nicht mehr ... das wird doch immer wieder gut deutlich.
Ich bin sehr gespannt, was die beiden in dem Labyrinth noch so finden und vor allem hoffe ich das dieser dumme Faden hält. Weil wenn nicht ... oooh ich ahne schlimmes.
Sehr niedlich fand ich die Szene, als Corsa eine Träne verdrückt hat. Ach warum muss er es auch vertuschen. Ich glaub ihm ja nicht, dass es von der Decke getropft hat. Niemals. Lüg doch deine Prinzessin nicht an.
Was ich ürbrigens unglaublich toll finde, sind die Zitate der Strohhüte die immer wieder unwillkürlich in Vivis Kopf aufploppen. Man sieht hier einfach so schön, wie die Zeit mit der Crew sie geprägt hat ... und ich glaube ja, dass sie immer noch eine starke Sehnsucht nach dem Meer und ihren Freunden hat. Auch wenn man davon noch nicht so viel sieht und lesen kann.
Ach ja Toto ist übrigens ein Goldstück und es ist wahnsinnig witzig, wie er seine "Faxen" macht xD hab mich echt kaputt gelacht. Eine nette Einlage. Er ist so anders als sein Sohn. Ich freue mich auf jeden Fall auf mehr und bin gespannt wohin das alles noch geht.
Von:  BlackLion
2014-09-01T14:36:54+00:00 01.09.2014 16:36
Dieses Kapitel hat mir sehr gut gefallen. Ich bewundere deinen Schreibstil, besonders das du bei Sunny eine einfachere Sprache benutzt hast und diese dann gegenüber Corsas sehr erwachsenem Tonfall einen starken Kontrast bildet. Und endlich erfuhr man zu welcher Zeit die Zwischenstory spielt. :D Gut gemacht, weiter so, Daumen hoch.
Von:  Goetterspeise
2014-08-18T12:31:24+00:00 18.08.2014 14:31
Das Kapitel war so schön. Zuversichtlich und vertrauenswürdig und dann das Ende.
Aber war ja klar, dass so etwas einfach passieren muss. Ich mag Onkel Toto, also darf ihm einfach nichts zu schlimmes passiert sein (glaub ich selbst ja nicht dran, von dem her).
Es finde es schön, wie du die Beziehungen der Charaktere darstellst, Vivis Stand und den Unterschied zu Corsa (den ich mir in diesen Klamotten mal so gar nicht vorstellen kann, das passt nicht. :D)
Auch die Art, wie es mit dem Land steht usw. dieser ganze Regierungskram halt, gefällt mir sehr gut und Kobras Art zu Denken und zu Handeln mag ich auch wirklich gerne.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich sonst groß noch dazu sagen soll, aber das Kapitel ist wirklich schön. Nur dieser seltsame Typ gefällt mir nicht. :/

Liebe Grüße. :)
Von:  Goetterspeise
2014-08-18T12:14:05+00:00 18.08.2014 14:14
Nächstes Kapitel.
Und so schön beschrieben *-* Damit mein ich jetzt vor allem die Trainingsszene, obwohl ich auch den Anfang wirklich gern mag. Es ist nur so verdammt schwer vernünftig beschriebene Kampfszenen zu finden (bin selbst darin auch nie Null XD), darum freut ich das immer sehr.
Der arme Corsa muss sich ner Generalüberholung unterziehen. Das ist echt gemein und vor allem die Sticheleien sind ja mal nicht nett. :D Aber ich musste wirklich schmunzeln, du bleibst so richtig IC und das ist so schön. :)
Vivis letzter Satz hat mich aber dann noch ein bisschen zum quietschen gebracht. ich mein, wenn DAS nicht toll ist, was dann? :3

Bis dann :)
Von:  Goetterspeise
2014-08-17T23:33:20+00:00 18.08.2014 01:33
Hallo :)

Ich bin erst mal drei Mal im Kreis gesprungen als ich gelesen habe, wer deine Hauptcharaktere sind, dann kam noch hinzu, dass die Geschichte beendet ist und um auch noch ein Tüpflechen aufs i zu setzten, finde ich deinen Schreibstil bisher einfach nur extrem gut. Das macht mich gerade sehr glücklich. :D
Vor allem der Witz ist ja, dass du als Pair sowohl Corsa x Vivi als auch Ruffy x Vivi andeutest (laut Beschreibung) und ich beide Paare einfach nur irgendwie toll finde, was bedeutet wie es auch enden mag, ich kann damit leben. (Hoffe ich mal.)
Okay, aber jezt mal zum Prolog: Ich finde ihn durchaus spannend, er verspricht einem eine gute Geschichte und ich mag Corsas Darstellung wirklich sehr. Vor allem die Beschreibung am Ende, dass er nicht laut reden muss um zu überzeugen oder auch, dass er angsteinflößend wirkt. Passt einfach. :D
Sunny hat sehr weise Worte auf den Lippen, obwohl sie eigentlich gar nicht so weise sind, wenn man sich ein Kind vorstellt, dass Angst vor dem Tod hat, sondern einfach nur ehrlich das ausspricht was es denkt. Gefällt mir ebenfalls wirklich gut. :)
Ich bin jedenfalls auf den weiteren Verlauf dieser Fanfic gespannt und hoffe, dass ich bald dazu komme weiter zu lesen!

Liebe Grüße. :)
Von: abgemeldet
2014-06-08T09:33:09+00:00 08.06.2014 11:33
Cooler Schreibstil, eine gute Idee und super Umsetzung! Alles in allem: klasse! Weiter so^^ bin schon auf die Fortsetzung gespannt^^

Lg Bloodnight
Von:  Umimugi
2011-11-21T12:40:13+00:00 21.11.2011 13:40
Also ich hab deine FF bisher bis hierher gelesen und bin leicht verwirrt über die Handlungssprünge zwischen drinnen XD
Ansonsten mag ich deinen Schreibstil SO gerne, er ist wirklich toll! Eindrücklich, flüssig und super geschrieben!
Ich mag deine FF sehr und werd das nächste Chapter zu Hause lesen (bin grad noch in der Uni XD)

Mach auf jeden Fall weiter so, ich mag das Pair so gerne und du kannst wunderbar gefühlvoll schreiben, du triffst auch sehr gut mit Worten :3

glg Mugi


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