Alabasta no Suna Oasis von Phantom (アラバスタの砂·オアシス) ================================================================================ Kapitel 8: Geheimnisse im Sand ------------------------------ "Abenteuer muss man nicht suchen", hatte ein grünhaariger Mann mit drei Schwertern einmal abwesend gemurmelt. "Wenn du dich nicht von vorneherein von ihnen wegdrehst, finden die dich sowieso. Jeder Tag – egal, wo du ihn beginnst – ist ein Abenteuer. Du musst es bloß geschehen lassen." Das Ende der Schnur glitt aus seiner Hand. Daraufhin blieben sie stehen, blickten sich nach der letzten Biegung um, hinter der das zurückleitende Garn verschwand. Soviel zur weiblichen Intuition. „Dieser Weg führt uns nicht weiter“, sagte Corsa. „Wir müssen ihn zurückgehen und einen anderen versuchen.“ Vivi sah das skeptisch: „Wenn wir zurückgehen und das Garn dabei einrollen, um es erneut verwenden zu können, wie willst du dann sicher sein, dass wir nicht wieder denselben Weg einschlagen?“ „Ich habe mir die ersten Richtungen, die wir gegangen sind, gemerkt. Wenn wir dieses Mal andere wählen, sollte die Wahrscheinlichkeit gering sein.“ „Du weißt doch überhaupt nicht, wie das alles hier miteinander verbunden ist!“, beharrte sie auf ihrem Zweifel. „Es könnte so komplex sein, dass uns jeder Weg früher oder später hierher führt!“ „Und wenn früher, haben wir mehr Faden über und können uns weiter wagen.“ Er hob das Ende an, bereit, es einzusammeln. „Ehrlich, Vivi: Hast du eine bessere Idee?“ Stur wie ein Kind, das unbedingt etwas gekauft haben will, drehte sie sich jenem Gang zu, der unerschlossen vor ihnen lag. Corsa musterte sie unglaubend. „Du willst tatsächlich weitergehen? Ohne…?“ „Leader!“ Sie wirbelte zu ihm herum. „Mein Leben soll nicht von einem Stück Stoff abhängen!“ „Du bist einfach zu sehr auf das Abenteuer versessen“, entgegnete er da. „Dich reizt das Geheimnis dieser Ruine, und deswegen willst du es so schnell wie möglich ergründen.“ Herausfordernd stemmte sie die Fäuste gegen ihre Hüfte. „Was deutest du damit an?“ „Dass du besser auf jemanden hören solltest, der alltäglich mit solchen Abenteuern konfrontiert wird und dir versichern kann, dass daran absolut nichts Spaßiges ist.“ „Leader!“, ermahnte sie ihn entrüstet. „Reg dich nicht auf, Vivi. Ich weiß, dass du es im Palast nicht einfach hast, wo alle nur die Prinzessin in dir sehen, und du diese Gelegenheit natürlich ausnutzen willst, um…“ „Meinst du nicht, dass du etwas zu weit gehst?“ Sie hatte keine Lust, sich von jemandem, der innerhalb zweier Tage fünfmal erschossen wurde, vorschreiben zu lassen, nichts zu riskieren. Und tatsächlich verstummte er. „Ich glaube, wir beide sind alt genug auch für Abenteuer, die nicht spaßig sind. Wir werden aus diesem Labyrinth einfach eine riesengroße Karte machen!“ „Eine Karte?“, echote er erstaunt. Die Prinzessin stapfte auf eine der Wände zu. Verfolgt von den verständnislosen Augen ihres Sandkastenfreundes hob sie dort etwas von dem weißen, staubenden Material auf, das überall auf dem Boden zu finden war, und kritzelte damit in Windeseile ein simples Gesicht auf die hohe, dunkle Mauer, welches Corsa gekränkt die Zunge zeigte. „Na gut“, lenkte der ein. „Dann lass uns weitergehen.“ Fortan unterbrach also an jeder Abzweigung ein Schaben ihren Marsch, sobald Vivi ihre Wahl in einem dicken Kreidepfeil an der Wand ausdrückte. Nach einer Zeitspanne, die keiner der beiden noch einzuschätzen vermochte, die allerdings ohne Frage lang war, betraten sie eine Kammer, aus der drei Wege führten. Irgendetwas an diesem Raum erregte Corsas Missfallen. „Oooooh nein!“ Er blickte seine Gefährtin aufmerksam an und bemerkte, dass sie ausgesprochen sauer war. „Was?“ In verspannter Haltung weilend, lenkte allein ihr Fingerzeig seine Augen auf den Boden. Quer von einem Gang zum anderen schimmerte dort das helle Garn im regen Licht der Fackel. „Wir sind im Kreis gelaufen“, formte er die Tatsache überflüssigerweise in gesprochene Worte. „Vielleicht sollten wir unsere Expedition abbrechen und nach Yuba zurückkehren.“ „Dann wäre alles, was wir bis jetzt investiert haben, umsonst!“, widersprach sie. Abermals schaute er sie an wie das Vögelchen in dessen verschlossenem Goldkäfig. „Was haben wir denn investiert?“ „Zeit“, warf sie ihm das Wort brüsk hin. „Eine Menge Zeit.“ „Wir werden noch viel mehr davon verlieren, wenn wir weiter hier umherirren.“ „Aber wir markieren alle Wege, die wir bereits gegangen sind! Die Anzahl der Räume, in denen wir noch nicht waren, reduziert sich immer weiter!“ „Die Ruine läuft uns nicht weg, Vivi“, versuchte er sie zur Vernunft zu bringen. „Wir haben lange nichts zu uns genommen und sollten nicht riskieren, uns müde und entkräftet in Gefilde zu wagen, die wir nicht kennen.“ Sie verschränkte die Arme, die Kreide immerzu in der Faust. „Du hast dich wirklich verändert, Leader!“ Er antwortete nichts darauf. Wie durch eine Vorahnung lösten sich seine Pupillen von ihr, und abrupt nahm sein introvertiertes Verhalten Farbe an. „Vivi! Der Faden!“ Sofort richtete sich ihr Blick auf die Steinplatten, auf denen eben dieser lag… liegen müsste! Er war weg! „Jemand muss daran gezogen haben“, vermutete Corsa, und der Fackelschein verriet Vivi, dass seine Stirn feucht geworden war. „Jemand… oder etwas.“ Jeglichen Frust hatte die ehemalige "Piratin auf Zeit" für den Augenblick vergessen. Die Schnur war ihre Garantie gewesen. „Leader? Ich bin auf deiner Seite. Lass uns den Ausgang suchen.“ Eine zarte Hand spielte mit dem Ende des Garns. Dahinter ein mit sich selbst zufriedenes Lächeln, gefolgt von einem zweiten aus der Düsternis. „Die Falle hat zugeschnappt!“, entzückte sich eine gewöhnungsbedürftige Stimme. „Das hat sie“, bestätigte jene Person, die den Faden zwischen ihren Fingern rollte. „Aber sei trotzdem bloß vorsichtig. Unser Boss war’s nicht, und du hast gesehen, was aus ihm geworden ist.“ Das Grinsen der anderen verschwand. „Ja. Nun gibt es lediglich noch uns sowie ein paar Zerquetschte, die nicht wissen, was sie mit ihrem traurigen Rest Existenz anfangen sollen.“ Die verspielte Hand hielt inne. Große Augen trafen auf zwei schmale. „Du weißt, dass wir das hier nicht mehr für unseren Boss tun. Wir verfolgen jetzt eigene Ziele. Das weißt du doch, oder?“ Nach Sekunden: Ein Nicken. „Super. Dann los.“ „Hier waren wir schon mal!“, stellte Vivi außer sich fest und schmiss den Kreiderest in eine Ecke, wo er zerbarst. Corsa hielt es für besser, zu schweigen. Eine Stunde schon irrten sie durch das unterirdische Labyrinth, seit ihnen aufgefallen war, dass die Schnur fehlte. Seine Begleiterin seufzte unverhohlen, dann wurde es still… und peinlich. Beide zwangen sich, an einem Ausweg zu tüfteln, dabei versuchten sie lediglich, sich selbst voneinander abzulenken. Früher hatten sie sich alles erzählen können. Inzwischen hatte die lange Trennung ihn zu einem Fremden werden lassen. Es war nicht so, dass sie ihn nicht leiden konnte. Aber wann immer sie nun an einen guten Freund dachte, erschien ihr nicht länger Corsas Bild, sondern das eines gewissen Piratenkapitäns. Dessen breites und ehrliches Grinsen, welches selbst einer Pessimistin wie ihr neue Zuversicht schenken konnte. Der Junge mit den Superkräften, der niemals aufgab. Und war er es nicht gewesen, der ihr Land gerettet hatte? Es wurde eng in ihrer Brust. War es Liebe? Sie musste sich – ob sie ihn liebte oder nicht – wohl damit abfinden, dass sie Ruffy nicht mehr wiedersehen würde, auch wenn es dieser Wunsch war, dieser eine Wunsch nach grenzenloser Freiheit, mit dem sie morgens in den Tag startete und ihn abends abschloss. Corsa war ein Freund aus ihrer Vergangenheit. Die Zwischenfälle waren zu zahlreich und zu schwerwiegend, als dass es zwischen ihnen jemals wieder wie früher werden könnte. Am Ende der Rebellion war nicht einmal das Bedürfnis, ihn in die Arme zu schließen, mehr dagewesen. Sie hasste ihn nicht. Aber sie freute sich auch nicht ob seiner Anwesenheit. Eher schien es Gleichgültigkeit zu sein, was sie ihm gegenüber empfand. Eine Gleichgültigkeit, die sie erschreckte. „Es ist ihr nicht aufgefallen“, kommentierte die schräge Stimme das Geschehen fasziniert. „Ihr Freund wird auf mysteriöseste Weise von ihr fortgelockt, und sie taucht tief in eigenen Gedanken.“ „Ist doch prima. Allein sind sie leichte Beute. Außerdem können wir uns so aufteilen, ohne dem anderen in die Quere zu kommen.“ In der bronzenen Spende einer der Flammen, die das Labyrinth erleuchteten, war ein rundes Gesicht zu erkennen, das von dichtem Haar umschmiegt wurde. Die Augen darin schienen in eine weite Ferne zu starren. „Du lässt ihn eine Erscheinung von ihr sehen, nicht wahr, Rike?“, vermutete der andere, als ihm dies auffiel, und trat zu ihr in die Lichtkuppel. Sein Gesicht war überaus schmal und eingefallen, seine in Lumpen steckende Konstitution ausgezehrt. Auffällig waren die schwarze Afrofrisur sowie die schalkhaften Augen, die zweifelsohne etwas zu verbergen hatten. „Anders wäre er nicht wegzukriegen gewesen. Obwohl natürlich auch du ihn hättest ködern können, schließlich bist du es ja, der sein Dorf seit geraumer Zeit regelmäßig plündert, Mister Six.“ „Von irgendetwas musste ich freilich leben, während ich ihn und die Ruine ausgekundschaftet habe. Fürderhin möchte ich dich bitten, damit aufzuhören, mich so zu adressieren. Die Baroque-Firma existiert nicht mehr. Es gibt keinerlei Grund, aus dem wir uns untereinander noch länger hinter diesen dämlichen Pseudonymen verstecken sollten. Nummern und Feiertage! Wer hat sich das bloß ausgedacht?“ Miss Easterbunny gluckste. „Hast ja Recht… Aber ich finde es trotzdem irgendwie lustig!“ „Leader? Leader!“ Wie hatte sie ihn nur verlieren können? Beziehungsweise: Was hatte ihn dazu getrieben, sich von ihr zu entfernen – ohne ein Wort? „Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als ihn zu suchen. Oder sollte ich doch besser hier warten? Vielleicht sieht er sich nur kurz um; ich meine: Wieso sollte er sonst…? Ach, wäre Karuh bloß hier!“ Sie bereute es, ihre Rennente nicht mitgenommen zu haben. Seit jeher war sie ihr Bruder im Geiste gewesen – so voller Tapferkeit, um die sie sie nicht selten beneidete. Karuh war auch ausgesprochen weise: Stets wusste er, was zu tun war. Er hätte sie davon abgehalten, etwas Falsches zu unternehmen, und sie auf den richtigen Pfad gebracht. Aber er war nun einmal nicht hier. Allein in ihrer Fantasie stand Karuh in einer einsamen, rosa getönten Gegend voller riesiger Seifenblasen, salutierte und stieß ein ermutigen wollendes "Gaaaaaaaaack!" aus. „Halloooo, Prinzeeeessin!“ Vivi schrak auf. Eine geradezu i-förmige Gestalt befand sich plötzlich vor ihr, abgemagert bis auf die Knochen und mit einem voluminösen Helm aus krausem Haar versehen. Und als wäre ihre Erscheinung nicht schon skurril genug, verneigte sie sich auch noch vor ihr! „Die Sechs ist meine Glückszahl, doch verabscheue ich sie. Englischen Tee trank ich einst, bis er mir zum Hals heraushing. Darf ich mich vorstellen? Man nannte mich Mister Six, und ich bin – wie Ihr bestimmt bereits ahnt – ein hochrangiger Agent der Baroque-Firma! …Gewesen.“ Sie konnte es nicht glauben: „Aber die Baroque-Firma ist doch erledigt!“ „Deshalb sagte ich: "GEWESEN"!“, versetzte Mister Six verstimmt. Er hatte eine überzogene Art, zu gestikulieren, fiel Vivi auf. „Was allerdings nicht bedeutet, dass wir jetzt dicke Freunde werden können!“ Sie zog eine grimmige Miene. „Warum nicht? Warum können wir uns nicht einfach vertragen? Und jetzt komm mir bloß nicht damit, dass es bei euch Tradition sei, dem alabastanischen Königshaus Schaden zuzufügen!“ „Ob wir ihm tatsächlich geschadet haben“, sprach Mister Six geheimnisvoll, „entscheidet Ihr besser, nachdem wir bekommen haben, was wir wollen…“ * Vivi wurde zurückgeworfen. Sie stieß gegen die Mauer, sank daran hinab und blieb stöhnend sitzen. Für seine schmächtige Figur verfügte Mister Six über ganz schön viel Kraft. Grinsend näherte er sich ihr, die mannslange Schaufel in seinen Fingern wendend, welche sich wie zerbrechliche Zweige von seinen Handtellern abspreizten. Irgendetwas Endgültiges hatte er mit dem Werkzeug vor. Sie vermochte es nicht zu sehen, da der Schlag auf ihren Kopf ihr Sichtfeld verschwimmen gelassen hatte, doch sie hörte das Quietschen, während er das eiserne Blatt vom Stiel drehte und einen anderen Kopf montierte. Fahrig suchten ihre Hände nach den Pfauenrädern. Als sie sie endlich zu fassen bekamen, wusste Vivi bereits, dass es zu spät war, sie einzusetzen: Mit einem schrillen Schrei ließ Mister Six seine Hacke auf sie niedersausen; in letzter Sekunde rollte sie sich jedoch zur Seite. Er stieß einen Fluch aus, ehe er registrierte, dass sie seiner Attacke nicht gänzlich entgangen war: Knurrend zerrte Vivi an ihrem Pferdeschwanz, der sich zwischen den spitzen Zinken der Hacke verfangen hatte! „Errrrwischt!“ Lange ergötzte er sich nicht an der Szene: Er stürzte sich auf sie, drückte seine Finger in ihre Kehle! Vivi bemühte sich, ihn mit einer Hand loszuwerden, während die andere weiterhin an ihrem Haar zog. Es war widerlich, seinen Leib an einer Stelle zu berühren, wo sie buchstäblich zwischen seinen Rippen versank. In den spiegelnden Augen ihres Gegenübers sah sie die roten Äderchen länger und verzweigter werden, und ihr war klar, dass sie ob der unsinnigen Konzentration, welche sie dieser Beobachtung beimaß, jeden Augenblick das Bewusstsein verlieren würde. Sie war gefangen wie ein Käfer in den Fängen einer Wüstenbeere. Da glitt ihr Fuß auf dem kahlen Stein aus und stieß versehentlich in Mister Six’ goldene Mitte, den dies sofort sämtlicher Energie beraubte. Vivi, selbst von diesem Glückstreffer überrascht, fing sich schnell und bündelte ihr Rachegelüst in der Faust, welche sie auf die wie ein Schnabel abstehende Nase des jaulenden Agenten fahren ließ. Er stürzte um. Mit endlich beiden Händen riss sie die Hacke aus der Spalte zwischen den Bodenplatten, in der sie steckte, und warf sie aus der gegenwärtigen Reichweite Mister Six’. Selbiger richtete sich gerade auf. Beide keuchten. „Verdammtes Frauenzimmer!“ „Du solltest mich eben nicht unterschätzen!“ Ihr gelang ein entschlossenes Grinsen. Um ihre kleinen Finger her rotierten bereits jene aus scharfen Scheiben gegliederten Ketten, welche sie als "Pfauenräder" bezeichnete, mit solchem Tempo, dass sie aussahen wie zwei weite, fleißig arbeitende Kreissägen. „Und jetzt bin ich dran!“ Schon fraß sich eines der pfauenfarbigen Pendel in die Mauer. Um Haaresbreite war ihr Gegner ihm ausgewichen! Er staunte dennoch nicht schlecht. „Furchterregend, nicht wahr?“, forderte sie ihn geradezu heraus, und ein Hauch ihrer früheren Identität Miss Wednesday schien in diesem Moment zurückgekehrt zu sein. „Wenn ich will, können diese unscheinbaren Schmuckstücke dich zerstückeln wie ein Laib Brot…“ Stolz nahm sie zur Notiz, wie Mister Six sich bemühte, seine Zahnreihen nicht aufeinanderklappern zu lassen. „Und wenn ich will, können sie auch ganz zahm sein… Nun – was denkst du? Was soll ich machen?“ Trotz der angestrengten Erhebung seiner Mundwinkel war ihm die Irritation abzulesen. „Sie – ähhh – zahm sein lassen?“ „Einverstanden!“ Vivi – keine erprobte Kämpferin, aber eine Spezialistin in der Handhabung ihrer Waffen – schleuderte mit sich kreuzenden Armen beide Pfauenräder auf den Baroque-Agenten zu. Dessen grausame Befürchtung realisierte sich nicht: Schwingend wanden sich die flachen Seiten der einzelnen Glieder um seinen Körper, ohne ihm einen Schnitt zuzufügen! Dafür war er nun abgeschnürt wie ein lange reisendes Paket. Die alabastanische Thronerbin musste zugeben, dass sie Spaß daran empfand, mittels eines Rucks an beiden Ketten ihn in einen hohen, heulenden Kreisel zu verwandeln. Da sein Schwung endlich erlahmte, hatte sie bereits die Schaufel auf sein Werkzeug geschraubt und knallte ihm diese mit einem „Fahr doch noch ’ne Runde!“ sowie einem DONG! auf den Schädel. Während Mister Six also die Sternbilder an seinem derzeit sehr beschränkten Horizont bewunderte, wurde Vivi wieder ernst. Genau wie Sandora-Echsen traten Baroque-Agenten stets zu zweit auf… Sie lief los, ohne zu wissen, wohin sie musste. Leader, betete sie. Lass mich dich schnell finden! Und unverhofft nahm sie einen Geruch wahr, der so gar nicht in dieses harte, staubige Ambiente passte. Sie kicherte. "Es ist nichts, Leader!" Es war unverkennbar ein Duft nach Sandelholz. „Warum tut ihr das?“ „Geht dich nichts an!“, fauchte sie und holte mit den sechs Klingen aus, welche zwischen ihren Fingern klemmten. Corsa leitete ihren Angriff mühelos ab. Chakas Training zahlte sich nun aus. „Ich glaube doch, wenn wir schon dafür sterben sollen.“ Es geschah aus einem Reflex, dass er dem Mädchen nach seiner nächsten Abwehr einen Stoß versetzte, der es zurückwarf. Es rollte sich ab und stand schon wieder auf den Beinen. „Nichts zwingt mich, auf deine lästigen Fragen zu antworten!“ Unbewusst bot es ihm immer wieder Trefferchancen, doch er nutzte sie nicht. „Kämpf endlich wie ein Mann!“, zog Miss Easterbunny ihn auf. „Du wirst mich nie besiegen können, wenn du mich immer nur zurückdrängst! Willst du deiner Prinzessin nicht zur Hilfe eilen?“ Was für eine Frage… Natürlich wollte er das! „Vielleicht hast du dir auch schon zu lange Zeit gelassen“, amüsierte sie sich, affektiert betroffen. „Ich höre sie gar nicht mehr schreien…“ „Dann hör genauer hin: PFAUENBAND-SLASHER!!!“ Wie eine Kobra schoss das spitze Pendel zischend in jene Mauer, vor der die Baroque-Agentin gerade noch gestanden hatte. „Vivi!“, hauchte Corsa erleichtert, als seine Freundin sich kampfbereit an seine Seite stellte. Es war der Zeitpunkt für ihre Kontrahentin, die Taktik zu wechseln. Ohne den Auftritt der Prinzessin zu kommentieren, blieb ihr Augenmerk an deren Gefährten geheftet. „Hey, Rebellenprinz! Wie wär’s mit ein bisschen Hoʻoponopono? Die vergangenen Jahre waren ja nicht gerade glorios für dich!“ In der Erwartung, dass sie ihm Konkreteres ohnehin gleich aufdrängen würde, entgegnete er nichts darauf. Sie gab sich scheinheilig. „Soll das etwa heißen, du erinnerst dich nicht mehr? An dieses Mädchen und die aussichtslose Reise nach Nanohana?“ Dies stahl ihm die Fassung. „Sunny?!“ „Tadamm!“ „Wie kannst du davon wissen?!“ Er schrie fast. „Lass es mich dir zeigen…“ Jäh tauchte alles um sie her in ein ruhiges Gleißen. Vivi klammerte sich an einen Ärmel ihres Freundes, weil sie auf einmal die unerklärliche Angst verspürte, auch ihn daran zu verlieren. Dann zeichnete sich wieder eine Umgebung – eine andere Umgebung – aus dem Licht ab, und nach ihrem folgenden Blinzeln stand sie inmitten eines schlicht möblierten Wohnraumes, wie solche für die Hütten der Siedlungen jenseits Arbanas üblich waren. Da nichts weiter geschah, löste sie sich von ihm, um sich zu orientieren, und obschon Corsas erster Gedanke war, sie davon abzuhalten, ließ er sie ziehen. Er kannte dieses Haus. Aber aus irgendeinem Grund wollte er nicht hier sein. Dann rief sie nach ihm. Er beeilte sich, zu ihr zu gelangen, und nahm sich dabei vor, mit ihr sofort den Ausweg dieses unmöglich real sein könnenden Schauplatzes zu suchen, doch als er sah, was sie sah, erstarrte er. Ein junger Mann von sechzehn oder siebzehn Jahren kniete, den beiden Beobachtern abgewandt, an einem von Sonnenlicht überfluteten Bett, dessen Decke sich leicht über dem Körper seiner Insassin wölbte. Parallel ruhten ihre Arme auf dem Textil; ihre Lider waren geschlossen. "Mutter", sagte der Junge, den Verschluss einer Phiole mit seinem Messer schnitzend. "Dafür hat er die ganze Nacht über gegraben. Stattdessen sollte er besser hier sein. Aber das ist er nicht. Er kommt nie hierher." Das Gefäß öffnete sich. "Macht dir das überhaupt nichts aus?" Er führte den Glashals an ihre spröden Lippen, doch eine entschiedene Hand stellte sich ihm in den Weg. Das Gesicht des Jungen drehte sich jenem der Frau auf dem Kissen entgegen. Zwischen schmalen, sandblonden Strähnen entdeckte Vivi Verwunderung – dann eine Erkenntnis… wachsenden Schock. Über die Decke rauschte ihre andere Hand gen seine, die den Schaft des Messers umschloss, und drückte sie. „Sieh besser nicht hin“, hörte Vivi unerwartet Corsa flüstern, der etwas begriffen zu haben schien. „Sieh nicht hin, Vivi – bitte. Sieh nicht hin!“ Prompt schlug etwas Flaches vor ihre Augen, und der dafür Verantwortliche zog sie davon. „Bist du verrückt geworden, Leader?! Du tust mir weh; lass das!“ Sie schüttelte den Kopf, zerrte an seiner Hand auf ihrem Gesicht und stieß ihm ihren Unterarm gegen die Flanke, aber er war einfach zu stark. Erst im Vorzimmer gewährte er ihr wieder freies Blickfeld, und sie nutzte es sofort, um ihm aufmerksam ins Gesicht zu schauen, das den Eindruck erweckte, er hätte soeben zum ersten Mal vor dem ganzen Druck auf ihn kapituliert. Aus seinen niedergeschlagenen Augen blickte das kollektive Leid eines Volkes im Krieg, und obwohl Vivi genau wusste, wofür sie es getan hatte, war sie sich plötzlich unsicher, ob es nicht ein irreversibler Fehler gewesen war, ihr Land für zwei Jahre verlassen zu haben. „Ist dort etwas passiert, was ich… was niemand jemals erfahren sollte?“ Sein Griff glitt von ihr wie ein fallender Schleier. „Vergib mir…“ Die Pupillen an ihn gebannt, steuerte sie zurück in das Krankenzimmer. Am Türrahmen desselben angekommen, wurde sie bloß noch entsetzte Zeugin davon, wie etwas zerklirrte. Das Messer lag in der Lache einer entfesselten Flüssigkeit, die sich ihre Bahnen suchte gleich einem kriechenden Ungetüm. Und das leise "Vergib mir" des Jungen über dem reglosen Leib der Frau mischte sich mit dem des Mannes hinter ihr, wie ein Chor, der in einem brennenden Licht unterging. Miss Easterbunny tauchte auf, und mit ihr waren sie wieder von den dunkelgrauen Steinwänden des Labyrinths umgeben. Vivi realisierte nur mühsam, was sich soeben ereignet hatte. Corsa schien völlig absent zu sein: Sein Blick fixierte einen zufälligen Punkt, so als würde er noch immer auf das Bild in diesem Zimmer starren, als wäre er in der Erinnerung gefangen. „Die eigene Mutter…“, schnurrte Miss Easterbunny. „Schluss jetzt!“, schrie Vivi sie an. „Hör sofort auf damit, was immer du tust!“ „Na, Prinzessin? Hast wohl etwas herausgefunden, das du lieber nicht wissen wolltest.“ „Sei still! Du hast doch keine Ahnung!“ „Jedenfalls nicht davon, wo du Mister Six gelassen hast… Aber kein Problem: Dann nehme ich mich eben auch deiner an!“ Doch dazu kam es nicht: Vivi schwang herum, riss den förmlich besinnungslosen Corsa mit sich und floh in den erhofften Schutz der verzweigten Gänge. Nicht überrascht, dennoch verstimmt sah das Mädchen ihnen nach. „Na toll, dann spielen wir halt Fangen…“ Nach Minuten unüberlegten Laufens wusste sie zwar überhaupt nicht mehr, wo sie waren, aber immerhin kehrte eine wenn auch riskante Ruhe ein. Noch eine Kurve, dann öffnete sie die Finger um Corsas Handgelenk und stützte sich ächzend gegen eine Mauer. Die Kleidung klebte an ihrer Haut, und jede Blessur brannte. Vivi rang um Kontrolle über ihren Atem. Sie glaubte nicht, die beiden Verrückten so leicht abgehängt zu haben. Wie sie diese Typen kannte, machten die sich jetzt bestimmt ein Vergnügen daraus, ihr beim Angsthaben zuzuschauen. Mit der Ahnung, dass sie auch ihr Gespräch belauschen würden, wandte sie sich um. Corsa stand mit dem Rücken zur Wand nahe jenem Gang, durch welchen sie gerade gekommen waren. „Leader?“ Keine Reaktion. „Leader!“ Als müsste sie ihn wachrufen. „Corsa!“ Sie wollte nicht darüber sprechen, was sie wohl beide gesehen hatten. „Sie hat Teufelskräfte! Glaub mir, das waren bestimmt…!“ „Wen interessiert’s, was es war?“ Auf einen Schlag war er wieder bei ihr. „Du willst wissen, ob es stimmt“, konfrontierte er sie mit einem Ton, den sie zuvor noch nie gehört hatte – nicht von ihm, nicht einmal von ihren Feinden; höchstens vielleicht von Crocodile. Als kommende Regentin Alabastas, die ihren Staat auch bei internationalen Treffen wie der Reverie vertreten würde, hatte sie schon früh gelernt, drohende Eskalationen abzuwiegeln, ungeachtet ihres eigenen emotionalen Zustandes: „Du irrst dich. Die obskuren Fähigkeiten einer Feindin können mein Vertrauen in einen Freund nicht erschüttern. Ich schenke allein deinen Worten Glauben. Für mich waren es nur…“ Sein eisiger Blick ließ sie verstummen. „…Illusionen?“ „…Ja.“ Ihr war, als würde er sie gleich auslachen für ihre Naivität und die Angewohnheit, in jedem Bürger ihres Landes stets ausschließlich Gutes zu sehen. „Sind es… etwa keine?“ Jeden ihrer zunehmenden Herzschläge vermochte sie deutlich wahrzunehmen. Ihr wurde heiß. „Leader, du…?“ Er schloss die Augen, als sie anfingen, zu schimmern. „Ja, es ist wahr: Ich habe es getan. Ich habe all die Menschen sterben lassen, die mir etwas bedeuteten!“ Munter wandte sich ihr das plüschige Antlitz eines Elches zu. "So darfst du darüber nicht denken! Erkältungen lehren uns erst, die Gesundheit richtig zu schätzen!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)