Chouchou von Wolkenfee ((französisch für "Schatz/Liebling")) ================================================================================ Kapitel 10: ------------ Völlig verwirrt und geplättet stand ich da. Was tat er denn da? Und vor allem: Warum tat er das? Ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte. Während ich noch dabei war, meine Gedanken zu sortieren und daran kläglich scheiterte, hatte mich das Mädchen, nachdem es damit fertig war, Mathieu zu küssen, scheinbar bemerkt, denn sie kam auf mich zu und umarmte mich. Dann sagte sie freundlich: „Hi! Du musst Jamie sein, richtig?“ Das wurde ja immer seltsamer. Warum kannte sie mich? Was hatte ihr Mathieu erzählt? Und noch wichtiger: Wer war sie? „Ähm“, machte ich meinem Geisteszustand angemessen. „Ja. Und du bist?“ Sie lächelte. „Ich bin Jeanette, Mathieus Freundin!“ Seine WAS? Das hatte ich jetzt aber nicht richtig verstanden, oder? Jetzt kam auch Mathieu auf mich zu. „Hey, Chouchou!“, begrüßte er mich lächelnd. Moment! Er nannte mich vor seiner Freundin „Schatz“? Und die störte das überhaupt nicht? War ich hier bei „Versteckte Kamera“ oder sowas? „Das ist nicht dein Ernst!“ Hilfesuchend sah ich Mathieu an. Doch er erklärte: „Klar ist das mein Ernst!“ Das konnte doch alles nicht wahr sein! Er konnte doch nicht wirklich so ein Arsch sein! Oder? Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um und stürmte davon. „Warte doch!“, rief er mir hinterher und Jeanette fragte: „Was hat er denn?“ Ich blieb allerdings erst wieder stehen, als ich zu Hause angekommen war. Dort klopfte ich an Angelines Zimmertür und sie ließ mich rein. „Hey, schon zurück? Wolltest du nicht Mathieus Freunde kennenlernen?“ Nickend warf ich mich auf ihr Bett und vergrub mein Gesicht in ihrem Kopfkissen. Erst jetzt wurde mit richtig klar, was eigentlich passiert war, und ich begann zu weinen. Angeline setzte sich neben mich und strich mir beruhigend über den Rücken. „Was ist denn los?“, fragte sie leise. „Er…hat eine Freundin!“, brachte ich unter Schluchzern hervor. „Er hat was?“, fragte sie entrüstet nach und ich nickte. „Oh mein Gott! Was für ein Arsch!“ Sie murmelte noch weiter einige weniger nette Bezeichnungen vor sich hin, dann schien ihr etwas einzufallen, denn sie stand auf. Kurze Zeit später kam sie zurück und legte eine riesige Tafel Schokolade und den Telefonhörer neben mir ab. „Hier! Lea und Roman sind dran!“ Offensichtlich hatte Angeline ihnen irgendwie auf französisch klar gemacht, was passiert war, denn sie begannen gleich, mich zu trösten und Mathieu zu beschimpfen, was mich immerhin soweit aufmunterte, dass ich aufhörte zu weinen und anfangen konnte, die Schokolade zu essen. Da ich natürlich die halbe Nacht durchgeweint und mit Angeline, Lea und Roman gesprochen hatte, ging es mir am nächsten Tag beim Training natürlich dementsprechend beschissen, was mir eine ordentliche Standpauke von Jerome einbrachte. Nachher wollte ich so schnell wie möglich nach Hause, doch da ich natürlich wie immer wahnsinniges Glück hatte, kam Mathieu genau in dem Moment aus dem Café, als ich daran vorbeiging. Ich versuchte, ihn gekonnt zu ignorieren, doch er lief mir hinterher. „Warte doch mal!“ Ich reagierte nicht und beschleunigte meine Schritte, doch Mathieu gab noch nicht auf. „Chouchou, ich will doch nur mit dir reden!“ Okay, das war zu viel! Ich fuhr herum und fauchte: „Nenn mich nie wieder so!“ „Aber Chouchou…“, begann er, doch ich ließ ihn nicht ausreden. „Ich sagte: Nenn mich nicht so!“ Von meiner offensichtlichen Wut scheinbar überhaupt nicht beeindruckt, trat Mathieu näher an mich heran und wollte mich am Arm fassen, als plötzlich Brandon neben mir stand und seinen Arm um mich legte. Ich hatte keine Ahnung, wo er herkam, doch ich war unendlich dankbar. „Jamie will nicht mit dir reden, also verschwinde!“, erklärte er Mathieu ziemlich unfreundlich und dieser sah nun wohl ein, dass das hier nichts brachte, denn er ging zurück ins Café. Erschöpft lehnte ich mich an Brandon und schloss für einen Moment die Augen. „Danke!“ „Kein Problem.“ Brandon strich sanft über meinen Rücken. „Alles okay?“ Ich schüttelte den Kopf. „Er hat eine Freundin.“ „Was? So ein Scheißkerl!“, regte er sich auf und meinte dann: „Weißt du was? Wir gehen heute Abend tanzen und uns betrinken, damit du auf andere Gedanken kommst!“ Unwillkürlich musste ich grinsen. „Klingt gut!“ Brandon lächelte. „Wunderbar. Ich hol dich so um acht ab, okay?“ Wie versprochen klingelte Brandon also pünktlich bei uns und natürlich war ich noch nicht fertig. „Angeline! Du musst mir helfen!“, quengelte ich. „Bitte!“ Seufzend stand sie vor meinem Kleiderschrank und durchsuchte meine Schubladen. Als Emilie von unten rief: „Jamie! Dein Besuch ist da!“, gab sie schließlich auf und zog mich hinter sich her. „Ich geb dir was von mir!“ „Von dir? Aber du bist ein Mädchen!“, protestierte ich und sie nickte. „Eben!“ Gezielt griff sie in ihren Schrank und hielt mir eine dunkle Jeans und ein schwarzes, schlichtes T-Shirt vor die Nase. „Da, anziehen!“ Widerstand war da wohl zwecklos. Kurze Zeit später stand ich also in ihren Klamotten vor ihr und sie grinste. „Perfekt! Du siehst heiß aus!“ Skeptisch musterte ich mich im Spiegel und musste zugeben, dass es in der Tat gar nicht mal so schlecht aussah. War zwar ziemlich eng, aber das war wohl Sinn der Sache. Ich bedankte mich bei Angeline und sie grinste noch mehr. „Gern geschehen!“ Als ich das Zimmer verließ, wünschte sie mir viel Spaß und schlug mir doch tatsächlich auf den Hintern. Dieses Mädchen war wirklich eine Klasse für sich. Leicht verspätet konnte ich dann endlich Brandon begrüßen. „Tut mir Leid, ich hatte Probleme mit meinem Outfit!“ Brandon musterte mich und grinste. „Hat sich gelohnt!“, meinte er und zwinkerte mir zu. Ich lächelte. „Danke. Wo geht’s hin?“ „Lass dich überraschen!“ Dorthin, wo auch immer Brandon mich mitnehmen wollte, fuhren wir etwa zwanzig Minuten mit dem Bus und standen dann vor einer Disko mit dem interessanten Namen „Les deux carottes“[1]. Ich zog eine Augenbraue hoch und sah Brandon an, der meinen Blick mit einem Grinsen quittierte. Als ich dann noch bemerkte, dass die Leute, die vor dem Eingang anstanden, ausnahmslos männlich waren, bestätigte sich mein Verdacht und ich fragte: „Bist du sicher, dass du da rein willst?“ Brandon nickte. „Klar, der Abend dient nur zu deinem Vergnügen. Wie auch immer das aussehen mag…“ Also das hätte ich jetzt nicht erwartet! Empört sah ich ihn an. „Was denkst du denn von mir?“ Ich grinste. „Ich will nur ein bisschen Spaß haben!“ Brandon lachte. „Eben! Lass uns gehen!“ Glücklicherweise kannte Brandon den Türsteher, sodass wir nicht ewig in der Schlange stehen mussten, von den Wartenden allerdings teils wütend, teils neidisch angesehen wurden. Drinnen stellte ich fest, dass es eine recht große Disko mit verschiedenen Ebenen war. Brandons Musikgeschmack war meinem zum Glück ziemlich ähnlich, sodass wir uns erstmal für den „Rock/Alternative“- Bereich entschieden und uns dort an die Bar setzten, um einen Cocktail zu trinken. Brandon bestellte mir irgendein knallpinkes Getränk, das genauso schmeckte, wie es aussah: Klebrig – süß und melonig. Genau mein Geschmack! So saßen wir dort eine Weile und tranken bunte Cocktails, denn zum Unterhalten war es natürlich viel zu laut, bis Brandon bemerkte, dass ich mit den Füßen im Takt mitwippte. Er beugte sich vor und fragte: „Tanzen?“, wobei er bei der Lautstärke schreien musste, damit ich etwas verstand. Zum Tanzen war diese Musik allerdings weniger geeignet, weshalb wir uns in den „Latin“- Bereich begaben, wo ich feststellte, dass Brandon ein wirklich guter Tänzer war. Nachdem wir ziemlich lange getanzt hatten, beschlossen wir, uns im Foyer etwas auszuruhen, da es dort etwas ruhiger war. Etwas erschöpft lehnte ich mich an eine Wand und Brandon ging uns etwas zu Trinken organisieren. Als er gerade weg war, kam ein ziemlich schmieriger Typ auf mich. „Hey, wie geht’s?“ „Danke, gut“, erwiderte ich höflich und wandte mich etwas ab. „So ganz allein?“, fragte er weiter. Oh Gott, die schlechteste Anmache der Welt. „Nein, mein Freund holt uns gerade was zu trinken!“, erklärte ich und hoffte, dass er die Abfuhr verstand. Offensichtlich nicht, denn er kam näher. Glücklicherweise kam in diesem Moment Brandon zurück und bemerkte, dass mir die Gesellschaft dieses Kerls nicht gerade zusagte. Er stellte unsere Gläser also auf einem Stehtisch ab und legte von hinten die Arme um mich, woraufhin der Kerl skeptisch guckte und meinte: „Das ist also dein Freund? Glaub ich nicht!“ Brandon grinste. „Ach nein?“ Bevor ich verstehen konnte, was er vorhatte, hatte Brandon mich zu sich umgedreht und geküsst. Huch? Ich blinzelte überrascht und dank dieser Reaktion war auch der Kerl nicht wirklich überzeugt, dass wir das öfter machten. Gut, das ließ sich ja ändern. Ich schloss also meine Augen, schlang meine Arme um Brandons Hals und begann, seinen Kuss zu erwidern. Und Himmel, konnte der küssen! Gut, dieser Gedanke passte nicht ganz hier her, aber das musste mal gesagt werden. Der Typ schien immer noch nicht überzeugt zu sein, denn er räusperte sich lautstark. Schön, dann mussten wir ihn eben überzeugen. Ich öffnete meinen Mund und strich sanft mit der Zunge über Brandons Lippen, was ihn zum Grinsen brachte. Dann jedoch machte er bereitwillig mit, und gleichzeitig wanderte seine eine Hand an meinen Hintern und die andere unter mein Oberteil. Dass der Kerl nun doch endlich verschwunden war, war inzwischen nebensächlich, dazu genoss ich das hier gerade zu sehr. Schließlich lösten wir uns aber doch schwer atmend wieder von einander und Brandon grinste. „Wow!“, brachte ich lachend hervor und Brandon grinste noch ein bisschen mehr. „Gleichfalls!“ „Danke!“ Brandon lächelte. „Nur die Wahrheit.“ Jetzt war ich sicher rot geworden. „Das meine ich nicht. Also schon, aber ich meinte überhaupt, also, ne….“ Verstand irgendwer, was ich hier gerade zusammenstotterte? Brandon scheinbar schon, denn er nickte. „Jederzeit!“ Ich lachte. „Kann ich mir vorstellen!“ Dann fiel mir plötzlich etwas auf. „Moment mal! Ich dachte, du…“ Lachend unterbrach er mich. „Ja, sicher. Hallo? Ich bin Eiskunstläufer! Und ich kenn den Türsteher einer Schwulendisko! Reicht das nicht?“ „Hm, schon, aber ich dachte, du und Josy…?“, stellte ich etwas verwirrt fest. „Da ist ungefähr so viel wie bei dir und Xiao Mei“, erklärte er und ich nickte. „Verstehe. Und dieser Kuss eben?“ „War nur wegen dieses Kerls. Naja, und für ein bisschen Spaß!“, stellte er klar, was mir wunderbar in den Kram passte. „Gut, da das nun geklärt ist: Tanzen?“, schlug ich vor und er nickte. Der Abend war also ein voller Erfolg, denn ich hatte sehr viel Spaß und musste nicht an Mathieu denken. -------------------------------------------------------- [1] Das gibt es wirklich. ^__^ Allerdings in Paris. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)