Lady Oscar von Lilly-san (Wenn alles anders läuft...) ================================================================================ 6 - Oscar war zum Hinterausgang des Hauses gerannt, was mit diesem Kleid wirklich ein Akt war. Schwer atmend lehnte sie sich draußen an die Hausfassade und versuchte Luft zu bekommen. War es wirklich richtig gewesen, was sie gerade getan hatte?… Doch bevor sie sich weiter darüber Gedanken machen konnte, hörte sie von drinnen zwei Stimmen, welche zur Dienerschaft gehörten. Es wurde der Befehl weitergeleitet, die Kutsche des Grafen vorfahren zu lassen. Oscar löste sich von der Fassade und lief eilig hinüber zum Stall, bevor sie jemand sehen konnte. Erstmal wollte sie sich dort verstecken, bis der Graf fort war. Dann wollte sie nur noch weg von hier. Ihr Vater war sicherlich sehr wütend auf sie. Und bevor er etwas unüberlegtes tat, ging sie ihm erst einmal aus dem Weg. Um eine Bestrafung würde sie eh nicht herum kommen. Das war ihr klar. Doch es war besser, wenn ihr Vater sich erstmal etwas beruhigte. Wenn er das überhaupt tat. Kaum das Oscar sich im Stall hinter den aufgetürmten Heuballen versteckt hatte, hörte sie, wie der Diener in den Stall trat, das Pferd aus der Box herausholte und nach draußen führte. Sie hörte das Geschirr klirren, als er es dem Pferd überzog. Kurz darauf holperte die Kutsche in Begleitung der Pferdehufe in Richtung Haupteingang. Wenige Augenblicke nachdem die Kutsche mit dem Grafen das Anwesen verlassen hatte, hörte Oscar die erzürnte Stimme ihres Vaters, welcher immer wieder lauthals ihren Namen rief. Er suchte sie. Und er war mehr als wütend. Seine vor Wut bebende Stimme kam immer näher an den Stall heran, bis die Stalltür aufgerissen wurde und der General in ihr stand. Erneut ertönte seine donnernde Stimme, die ihren Namen rief. Doch Oscar blieb im Verborgenen. In diesem Zustand brachte es wirklich nichts, ihm gegenüber zu treten. Er würde sie nicht zu Wort kommen lassen. Ihr Vater rief noch zweimal nach seiner Tochter, ehe er sich umdrehte, die Stalltür zuknallte und mit einem erneut Rufen ihres Namens zurück ins Haus stürmte. Oscar atmete langsam aus. Weg. Sie musste hier weg. Hier schnürte ihr alles die Luft ab. Nach einem Moment zog sie, vorsichtig und immer mit einem Ohr auf der Hut, ihrem Schimmel das Halfter über den Kopf. Dann sattelte sie die Stute in Windeseile. Leise öffnete Oscar die Stalltür, welche sich mit einem lauten Knarren nach außen auf schwang und sah sich um. Alles lag ruhig vor ihr. Sie ging zurück in den Stall, stieg durch das Kleid mehr als ungeschickt auf das Pferd und begann zu fluchen. Die Korsage stach ihr unangenehm in den Oberkörper und hinderte sie ordentlich atmen zu können. Oscar versuchte etwas an dem Korsette zu zerren, doch es half nichts. Das Stechen und die Atemnot blieb. Sie verdrehte die Augen und brummte widerwillig leise vor sich hin. Dann musste es eben so gehen. Sie nahm die Zügel in die Hände und trieb dem Pferd die Fersen in die Seite. Mit einem erschreckten Schnauben sprang der Schimmel davon. Die Bäume rauschten an ihr vorbei, ohne dass Oscar diese wirklich wahrnahm. Stur trieb sie ihre Stute an, immer schneller zu laufen, um möglichst schnell eine große Distanz zwischen sie und das Anwesen ihrer Familie zu bringen. Erst als das geschehen war, verlangsamte sie und ließ das Pferd im Schritt gehen. Erneut kreisten ihre Gedanken um ihre Entscheidung. Was hatte der Graf zu ihrem Vater gesagt? Was hatten beide noch gesprochen? Hatte er ihm gesagt, dass er glaubt, dass sie einen anderen liebte?… Oscar seufzte. Wieder kam ihr die Frage in den Sinn, wie sie sagen konnte, dass sie verliebt war, wenn sie dieses Gefühl doch nicht kannte? Was war das für ein Gefühl, welches sie für André empfand. Es war tiefe Zuneigung. Das konnte sie mit Sicherheit sagen. Doch was war mit dem Schmetterlingsgefühl? Das Kribbeln? Das Herzrasen? Und warum kamen erst jetzt diese Gefühle zum Vorschein? War nur dieser eine Kuss schuld daran, dass sie sich nun in den Vordergrund drängten? Oder waren diese Gefühle einfach nur Einbildung? Was würde passieren, würde es einen zweiten Kuss geben?… Oscar seufzte. Wenn sie den Worten der Dauphine glauben konnte, war es Liebe… Die Stute schnaubte und schüttelte den Kopf. Oscar schreckte aus ihren Gedanken und ihr Blick wanderte umher. Wo war sie nur hin geritten? Die Lichtung… Ohne Nachzudenken hatte sie ihre weiße Stute hierher gelenkt. Und. Sie war nicht alleine hier. André saß seit einer Ewigkeit hier auf der Lichtung im Gras. Die Sonne war schon weit nach unten gesunken und schien durch die hohen Bäume hindurch. Doch er konnte nicht nach Hause… Was hieß eigentlich zu Hause? War es denn noch ein zu Hause für ihn? Wollte er dort noch wohnen?… Nun. Zumindest musste er erst einmal zurück. Alles Weitere würde er dann sehen… Ob Oscar dem Grafen schon ihre Zustimmung gegeben hatte? Würde sie mit ihrem Vater und seinem Rivalen jetzt zusammen sitzen und gemütlich etwas trinken. Auf die Verbindung der zwei Häuser anstoßen und womöglich noch etwas dazu essen? André schüttelte traurig den Kopf. Er musste Oscar aus seinem Gedächtnis streichen. Müde stand er auf. Sein Pferd brauchte Futter. Den ganzen Tag war es nun mit ihm unterwegs ohne eine Belohnung. André griff nach den lose hängenden Zügeln und klopfte ihm freundschaftlich auf den Hals. »Komm mein Guter. Wir reiten nach Hause.« Das Tier schnaubte zustimmend und spitzte dann die Ohren. Es hörte, wie sich jemand näherte. Auch er hörte es. André drehte sich in die Richtung, aus der die Geräusche kamen und blieb wie festgenagelt stehen. Oscar kam auf die Lichtung geritten. Wenige Meter entfernt von ihm hielt sie die Stute an und versuchte irgendwie vom Pferd zu kommen. Er musste lächeln. Sie schien wohl ein klein wenig Probleme zu haben mit dem Kleid… Kleid?! Erst jetzt wurde ihm klar, was sie anhatte. Aber warum hatte sie ein Kleid an? Aber vor allem. Warum war sie hier? »Verdammt noch mal«, fluchte Oscar, als sie stolpernd den Boden erreichte. »Dieser blöde Fetzen.« »Was machst du hier?«, fragte André verwirrt. »Warum bist du nicht bei deinem Vater?« Mit Absicht nannte er nicht den Namen des Grafen. André betrachtete Oscar, wie sie nun vor ihm stand und war von neuem entflammt. Das blaue Kleid, welches sie irritierender Weise trug, betonte ihren schlanken Körper. Ihre blonden, langen Haare. Einfach alles an ihr. Und es ließ Einblicke zu, welche ihn fast um den Verstand brachten. »Ich muss erst mal wieder zu Luft kommen«, stöhnte sie und zog an der Korsage herum. »Dieses Ding bringt mich um.« »Warum hast du dieses Kleid an?« »Das war eine Idee meines Vaters«, verdrehte Oscar die Augen. »Um zu gefallen.« »Ja… Das tut es in der Tat.« André konnte sich diesen Kommentar einfach nicht verkneifen und lächelte. »Sehr sogar.« »Bitte… Deswegen bin ich nicht hier.« »Bist du hier, um Abschied zu nehmen? Fährst du gleich mit ihm nach Hause?« Eifersucht war nun deutlich in seiner Stimme zu hören und das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. »Nein«, lächelte Oscar nun liebevoll und André zog verwundert die Augenbrauen hoch. »Mir ist in den letzten Stunden etwas klar geworden.« Sie ging auf ihn zu und André hatte das Gefühl, als schlug ihm das Herz bis in den Hals. Wenn sie noch etwas näher kam, konnte er für nichts garantieren. »Was ist dir klar geworden?«, hakte André nach. Irgendwie war Oscar komisch. »Etwas, das mir schon längst hätte klar werden müssen. Doch ich war zu sehr mit mir und der Dauphine beschäftigt. Habe zu sehr für andere gelebt.« André verstand gar nichts von dem, was sie gerade sagte. Was wollte sie ihm nur vermitteln? Oscar trat noch etwas näher an ihn heran. Jetzt konnte er ihren Duft von Rosenblüten riechen, welcher ihm so vertraut war. Als sie dann eine Hand hob und sie ihm auf die Brust legte, wurde es ihm zu viel. André drehte sich abrupt um und ging ein paar Schritte. Er brauchte Abstand. Seine Gefühle spielten verrückt. Waren im Begriff ihn zu übermannen. »Warte!… Bitte«, bat Oscar. André blieb stehen. Drehte sich aber nicht wieder um. Seine Brust brannte heiß an der Stelle, wo ihre Hand ihn eben berührt hatte. Wie konnte er je daran gedacht haben, sie zu vergessen? Sie aus seinen Erinnerungen zu verbannen? Sie hatte sich doch förmlich in sein Herz gebrannt. War tief verankert. Oscar überwand die kleine Distanz zwischen ihnen. »Als Graf Girodel meine Antwort hören wollte, ist mir klar geworden, dass ich ihn nicht heiraten kann. Egal, was mein Vater davon hält. Egal, welche Strafe auf mich wartet.« Sie machte eine kleine Pause, ehe sie flüsternd weiter sprach.»Denn… Ich… Liebe dich, André«, flüsterte sie leise. André stand da, wie vom Blitz getroffen. Unfähig sich zu rühren. Unfähig etwas zu sagen. Hatte er Tagträume? Spielte eine Fantasie ihm einen bösen Streich?… Nein! Er spürte wie Oscar ihm von hinten ihre Arme um den Oberkörper legte. Spürte, wie sie ihren Kopf an seinen Rücken lehnte. Nein! Er träumte nicht. Es war real! »Du sagst gar nichts«, meinte Oscar dann nachdenklich. »Ich kann mir gut vorstellen, dass es für dich jetzt bestimmt mehr als überraschend kommt… Aber bitte glaube mir. Mir geht es nicht anders. Ich muss mich erst an diese Gefühle gewöhnen. Muss erst meine Gedanken ordnen und über meine Ängste springen. Es ist ein schwerer Schritt. Doch es ist mir ernst André. Egal aus welchen Ständen wir kommen. Egal, welche Konsequenzen auf mich zukommen mögen. Ich habe meinen eigenen Weg erkannt und gewählt und möchte ihn gehen. Mit dir. Wenn du noch möchtest.« »Ich… bin sprachlos.« André löste die Umarmung und drehte sich zu ihr um. Blaue Diamanten strahlten ihn an. Sahen zu ihm auf. Noch während er überlegte, was er als nächstes sagen sollte, küsste Oscar ihn. Instinktiv schlang er seine Arme um ihren in Seide gehüllten Körper und zog Oscar an sich heran. In diesem Moment war er der glücklichste Mann auf Erden. Die Sonne war schon zur Hälfte hinter den Wäldern untergegangen, während General de Jarjayes an seinem Fenster im Arbeitszimmer stand und seine Pfeife rauchte. Er konnte es noch immer nicht fassen, was Oscar getan hatte. Was war nur in sie gefahren? Er kochte innerlich vor Wut. Graf Girodel war wirklich eine sehr gute Partie gewesen. Warum sonst hatte er in Versailles das Gerücht von dieser Verbindung verbreiten lassen? Damit Oscar ihn heiratet. Und was machte sie? Verweigerte es. Dieses Kind! Konnte sie nicht das tun, was man von ihr verlangte? Er hatte ihr zwar gesagt, das man ihr die Entscheidung überlies. Doch das mit dem Kleid hätte sie verstehen müssen… Er holte ein paar Mal tief Luft, um nicht gleich wieder in Rage zu geraten. Wie konnte sie ihm das nur antun?… Diese Schande… Er überlegte einen Moment. Was hatte der Graf gesagt? Ein entflammtes Herz kann man nicht erobern? Was sollte das heißen? Das Oscar verliebt war? In wen? Angestrengt dachte der General nach, wer in Frage kommen konnte, doch kein Name fiel ihm ein. Bis auf einen; André. Nein, schüttelte er heftig den Kopf. So tief würde Oscar niemals sinken. Niemals würde sie ihre Familie, sowie ihren Stand verraten. Niemals würde Oscar eine Liaison mit einem Stallburschen eingehen… Oder etwa doch? Nein, schüttelte er wiederholt den Kopf. Dafür war sie zu streng erzogen worden. Sie kannte die Strafe dafür, wenn so eine Liaison ans Tageslicht kommen würde… Der General wollte sich an seinen Schreibtisch begeben, als er in einiger Entfernung zwei Reiter sah. Sie kam nach Hause. Er klopfte den Tabak aus seiner Pfeife und legte diese dann auf seinem Schreibtisch. Jetzt konnte Oscar etwas erleben… Er ging strammen Schrittes zur Zimmertür, trat hinaus in den Flur und stürmte fast die große Treppe hinunter zum Nebeneingang. Die Dienerschaft, welche er unterwegs fast umrannte interessierte ihn nicht. Auch ihre irritierten Blicke. Einzig der Gedanke, schnell zum Stall zu kommen, beherrschte ihn. Der General kam in dem Moment am Stall an, als André an Oscars Pferd trat und ihr beim absteigen half. »Oscar!«, donnerte der General, kaum das seine Tochter die Erde mit ihren Füßen berührt hatte. »Wie kannst du es wagen?!« »Was?!« Erschrocken drehten sich Oscar und André zu ihrem überschäumenden Vater um, welcher auf sie zu gestürmt kam. Reflexartig ließen sie sich los und traten einen Schritt auseinander. =Bamm= Kaum bei Oscar angekommen, holte der General aus und Oscar erhielt ihre zweite Ohrfeige an diesem Tag. »Ich kann es nicht glauben, was du getan hast!«, schrie er. »Wie kannst du es nur wagen? Was ist nur in dich gefahren?« »Ich…«, begann Oscar. Wurde aber von ihrem Vater unterbrochen. »Diese Schande! Warum hast du diesen Antrag abgelehnt? War ich nicht deutlich genug? Hätte ich es dir aufschreiben müssen?« Der General hatte mittlerweile einen hochroten Kopf vom brüllen. »Warum musstest du zu einer Lüge greifen, um den Antrag des Grafen abzulehnen?« »Bitte Vater. Ich-«, setzte Oscar neu an. Wurde jedoch wiederholt unterbrochen. »Ich will nichts mehr hören von dir! Es ist eine Schande, dich als Tochter zu haben.« Er machte eine kurze Pause. Starrte erst Oscar an. Dann traf sein Blick André. »Hast du nichts zu tun, André?«, bellte er ihn an. »Oder warum stehen die Pferde noch hier im Hof? Mach, wofür du bezahlt wirst!« André zuckte erschrocken zusammen und nickte. Schnell griff er nach den Zügeln und ging mit den Pferden in den Stall. »Vater, bitte. Lasst-«, versuchte es Oscar erneut. Doch ihr Vater schnitt ihr wieder ins Wort. »Du hast Hausarrest die nächsten drei Wochen. Und solltest du nicht genug ausgelastet sein, dann verbessere deine Fechtkünste, anstelle dir Lügen auszudenken und deiner Familie Schande zu bereiten.« Er seufzte. »Geh mir aus den Augen. Ich will dich heute nicht mehr sehen.« Der General drehte sich um, um ins Haus zurück zu gehen. »Bitte Vater. Lasst es mich doch erklären.« Doch ihr Vater beachtete sie nicht mehr. Er setzte sich, ohne sie angehört zu haben in Gang und lief zurück ins Haus. -Fortsetzung folgt- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)