Dell'Arte della guerra von abgemeldet ((Von der Kunst des Krieges) [Rufus/Reno/Tseng]) ================================================================================ Kapitel 1: Dannazione --------------------- Disclaimer (der nur dazu dient, alle weiteren Autorenkommentare zu ersparen): Warnungen: Suizid, Slash, Lemon, Fluff, M/M, Drogen... Pairings: Reno/Tseng, Tseng/Rufus, Rufus/Reno, Rude/Elena Rating: sehr hartes R (Leitthema der Story) Copyright: Das Copyright aller Figuren liegt bei Square Enix, wo es wohl auch bleiben wird. Autoren: Kabuki und Noctifer Titel und Kapitelüberschriften sind eine direkte Verbeugung vor Machiavelli Teil des Twilight-Arcs(http://www.fanfiktion.de/u/Kabuki) und Fortsetzung von 'Kein Blick zurück' (http://www.fanfiktion.de/s/48c938260000506506a003ec) Dannazione Der Anruf kam mitten in der Nacht. Ein Anruf auf den Elena gewartet hatte. Wartete, seit sie Rufus Geschenke erhalten hatte. Rude hatte sie an diesem Abend nur angesehen. Schweigend. Hatte ihre Hand gegriffen, und den Ring auf ihren Finger geschoben. Wortlos. Der Ring, der auch jetzt strahlte und funkelte. An ihrem Finger schimmerte. Während sie wartete. In ihrer neuen Wohnung wartete. Mit dem grandiosen Blick über die Midgar-Ebene. Eine Aussicht für welche andere töten würden. Sie, die schon zu oft den Abzug der Pistole durchgezogen hatte, fand die Aussicht nur hübsch. Grandios fand sie den Ring an ihrem Finger. Als junges Mädchen hatte sie sich einen Heiratsantrag romantischer vorgestellt. Hatte gehofft, dass der Mann vor ihr auf die Knie sinken würde, ihr die ewige Liebe beschwor. Rude musste nichts sagen. Aber perfekter könnte ein Heiratsantrag nicht sein. Elena bewegte die Hand, musterte den schmalen Goldstreifen. Die Reflektion des Lichts auf ihm, welches durch geschlossene Jalousien herein fiel. Helles Licht, gespiegelt von den fallenden Schneeflocken. Der Ring war Rufus Shinras Geschenk. Abschiedsgeschenk. "Idiot!" wisperte sie in die Dunkelheit. "Arschloch!" Ihre Faust schlug in das Sofakissen. Bezogen mit dem teuersten Stoff den man in Edge kaufen konnte. Sie weinte nicht um den Bezug, der unter ihrem Schlag riss. Keine Tränen für ein Sofa. Warme Tropfen auf ihren Wangen für einen Mann, den sie einmal gehasst hatte. Der zu einem Freund geworden war. Wann und wie? Kein Zeitpunkt, den sie bestimmen konnte. Es war passiert. Genauso wie es passierte, dass sie einen anderen Freund verlor. Jeden Tag ein Stück mehr. Ihn nicht mehr fand hinter den Akten, die er wie einen Schutzwall auf seinem Schreibtisch stapelte. Ihn nicht mehr erreichen konnte, weil er mal wieder einen Job erledigte. Irgendwo. In Kalm. In Modeoheim. In Junon. Nur nicht in Edge. Niemals alleine. Immer mit Partner. Eine Regel, ein ungeschriebenes Gesetz. Bis der Direktor des Departments dieses Gesetz für sich selbst aufgehoben hatte. Alleine verschwand. Erst nur für ein paar Stunden. Dann Tage. Schließlich Wochen. Er musste niemand Auskunft geben. Diese Sonderregelung stand in seinem Vertrag. Kam und ging wie ein Schatten. Wurde immer mehr selbst zu einem Schatten. Elena wischte sich die Tränen von den Wangen. Idioten! Und zuckte zusammen, als neben ihr das PHS surrte. Renos Klingelton. Ausgerechnet Renos. Ihre Hand zitterte. Der Ring funkelte in der Dunkelheit. "Ja?" Wie sie es schaffte, das Gespräch anzunehmen, wie sie sich selbst zwang das PHS an ihr Ohr zu halten, konnte sie sich nicht erklären. "Laney... ich... Fuck, Laney, Strife hat mich angerufen." Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang konfus, regelrecht panisch. Selten hatte Elena ihn so sprechen hören. "Es ist Rufus ... er..." "Reno!" Sie wollte sich vorbeugen, den Inhalt ihres Magens auf dem teuren Teppich verteilen. Wollte nicht hören, was mit Rufus passiert war. Und fragte doch, das Zittern in ihrer eigene Stimme so weit es ging kontrollierend: "Was ist mit Rufus?" "Strife hat ihn gefunden. Mit 'ner Nadel im Arm. Überdosis. Ich bin jetzt mit ihm im Krankenhaus. Fuck! Laney, es sieht echt scheiße aus!" Sie atmete ein. Wieder aus. Legte sich die Worte zurecht. Jetzt bloß nicht hysterisch werden. "Ich komme sofort zu euch. Welches Krankenhaus?" Noch während Reno die Adresse stammelte, schlüpfte sie in das weiße Hemd, das vor dem Sofa lag. Streifte sie sich ihren Blazer über, der vor ein paar Stunden in der Mitte des Wohnzimmers auf den Boden gefallen war. Band die Krawatte korrekt, welche gerade noch um eine Stuhllehne im Esszimmer verknotet war. Rude hatte seine bereits weg geräumt. Und atmete erleichtert auf, als ein großer Schatten in der Tür erschien. Wortlos mit den Autoschlüsseln klimperte. Die beiden Turks schwiegen auf der Fahrt. Hatten nicht einmal das Radio angestellt. Rude saß auf dem Fahrersitz. Stoisch. Den Blick hinter seiner Sonnenbrille verborgen. Elena musste ihm nicht die Brille abnehmen, musste ihm nicht in die Augen sehen, um zu wissen, was ihm durch den Kopf ging. Idiot! Nicht die korrekte Bezeichnung für den eigenen Chef. Der Wagen wurde im Halteverbot abgestellt. Direkt vor dem Haupteingang des Krankenhaus. Sie konnten es sich erlauben. Sie waren Turks. Passten ihnen Gesetze nicht, wurden sie den eigenen Bedürfnissen entsprechend geändert. So war es immer gewesen. So würde es auch weiter sein? Schon einmal hatten sie sich diese Frage stellen müssen. Waren zu dem Entschluss gekommen, das ohne Shinra auch die Turks undenkbar waren. Die Konsequenz dieses Gedankenspiels ließ sie wie immer zusammen zucken. Sie waren Turks. Sie waren konsequent. Immer. Unter ihren Füßen knirschte der frisch gefallene Schnee, als sie beide eilig auf die Doppeltür zu hielten. Elena drehte ihren Kopf, sah sich suchend um. Nur zwei Autos blockierten die Auffahrt. Nirgends wo war ein schwarzer Sportwagen zu entdecken. Kein Motorgeräusch in ihren Ohren. Der fallende Schnee verschluckte jedes Geräusch. "Er wird gleich kommen." Rude hielt ihr die Tür auf. "Es geht um Rufus." Elenas Antwort war ein Schnauben. Ein zweifelnder Blick. Rudes bestätigendes Nicken konnte sie ausnahmsweise einmal nicht beruhigen. Eine junge Frau, jünger als die Turk, hielt direkt auf sie zu, kaum standen sie im Foyer des Krankenhaus. Ein weißer Kittel wehte um ihre zierliche Figur, ganz dem Stereotyp entsprechend baumelte ein Stereoskop um ihren Hals. Ein winziges Detail an welchem Elena sich für ein paar kostbare Sekunden fest halten konnte. Wenn sie hier von einer Ärztin, die allen Klischees entsprach, empfangen wurden, würde ihnen diese Ärztin doch auch sicherlich mitteilen, das alles in Ordnung war, sie sich keine Sorgen machen müssten. " ... Koma. Wir wissen nicht wann und ob er überhaupt wieder erwachen wird. Ganz zu schweigen von den Hirnschäden." Worte, die nur langsam durch sickerten. Die sich behäbig in Elenas Gehirn fraßen. Arschloch! Egoistisches Schwein! Hast du eine Sekunde daran gedacht, dass du uns wichtiger bist, als jedes beschissene Apartment, jeder Ring? Für Rufus musste alles so perfekt logisch gewesen sein. In seinem verdrehten Hirn hatte alles zusammen gepasst. Sonst wäre er nicht so weit gegangen. "Wir müssen zu ihm." Es war die Turk die sprach. Kühl. Fokussiert. Dass hatte sie gelernt. "Jetzt!" Verdammt, sie klang sogar wie er. Wie der Mann, der ihr beigebracht hatte, was es bedeutete diesen Anzug zu tragen. Die Ärztin zuckte zusammen. Öffnete den Mund um etwas zu erwidern. "Jetzt!" wiederholte Elena. Ihre Stimme echote hohl durch das Foyer. Menschenleer bis auf die beiden Turks und die junge Frau, die gerade noch so viele gute Gründe parat gehabt hatte, weshalb die beiden Gestalten in den Anzügen warten zu hatten. Die jetzt nur nickte. Heiser murmelte: "Folgen sie mir." Zwei Köpfe, die nickten. Zwei Turks, welche die Ärztin vor laufen ließen. Die zu gebannt auf die Anzeige des Fahrstuhls starte. Nicht bemerkte, wie sich Rudes Arm um die Schulter der Frau an seiner Seite legte. Nicht bemerkte, wie diese Frau sich kurz gegen den Mann an ihrer Seite lehnte. Dankbar dafür, dass er da war. Dankbar dafür, dass er nichts sagte. Sie dachten beide eh das selbe. SHIT in flammenden großen Buchstaben. Der grüne Neonpfeil, welcher auf das Wort zeigte inklusive. Das Öffnen der Fahrstuhltür; dazu ein melodische Glockenspiel, das die Laute der Hydraulik übertönte, ließ Elena zusammen zucken. Ließ den Moment der gegenseitigen Beruhigung wie eine Seifenblase zerplatzen. Rude zog seinen Arm zurück. Trat neben Elena in die Kabine. "... fünf Minuten später gefunden worden, hätten wir ihn nicht mehr retten können." Die Stimme der Ärztin fraß sich in ihren Kopf. Worte. Elena hätte gerne ihre Hand gehoben, die Finger um die Kehle der jüngeren Frau gelegt. Zugedrückt. Beobachtet, wie sich erst das Gesicht verfärben würde, dem Röcheln gelauscht. Dann dem leblosen Körper in die Eingeweide getreten. Fantasien, die für den Moment reichen mussten. Kurze Erleichterung verschafften. Die gefühlte Ewigkeit, die sie in diesem Fahrstuhl verbringen musste, angenehmer gestalteten. Ein weiteres viel zu melodisches Glockenspiel verkündeten ihre Ankunft in der Notaufnahme. Die Tür hatte sich noch nicht einmal ganz geöffnet, da hörte sie bereits Reno. "Minerva seien 300 Trankopfer gebracht. Ihr seid hier!" Seine Schritte klangen laut auf dem Linoleum. Er rannte ihnen entgegen. Rude schob sich wortlos vor sie. Verließ als erster den Fahrstuhl. Ging zu Reno. Legte ihm seine Pranke von Hand auf die Schulter. Eine so simple Geste, die niemals ihre Wirkung verfehlte. Rude konnte Reno immer beruhigen, ihm immer wieder helfen, sich auf das wichtige, auf das offensichtliche zu konzentrieren. Deshalb waren sie Partner. Und Elena sah sich um. Suchte ihren Partner. Der nicht hier war. Das einzige was sie entdecken konnte war die Silhouette eines Mannes, den sie hier als aller letztes erwartet hatte. Blonde, stachlige Haare. Immer das erste Merkmal, das einem ins Auge sprang. Auch ihr. Sie schob sich an der Ärztin vorbei, die vielleicht irgendwann ihren Namen genannt hatte, und der von Elena als vollkommen unbedeutend ein geordnet worden war. Drängte sich an Rude vorbei, der Reno beruhigte - wortlos, alleine durch seine Anwesenheit. Und hielt auf Strife zu. Ex-SOLDAT, Lieferant. "Du hast ihn gefunden?" Keine freundliche Begrüßung. Alles was sie wollte, waren Fakten. Und sie hätte gelacht, hätte jemanden freundschaftlich in die Rippen geboxt, ihn daran erinnert, dass er sie verdorben hatte ... wäre er hier. Strifes Nicken nahm sie zur Kenntnis. Akzeptierte es als ein 'Ja' auf ihrer Frage. "Wo?" Die Frage; die Art wie sie diese Frage stellte, ließ nicht nur Elena selbst zusammen zucken. "Auf den Überresten von Sektor 7." Es war nicht der Lieferant, der ihr antwortete. Gerade gab ein ShinRa-Gefreiter seinen Bericht ab. "Wie bist du darauf gekommen, dass er dort ist?" Es spielte keine Rolle, dass sie zu ihm aufsehen musste, dass sie mehr als einen Kopf kleiner war als Cloud Strife. Gerade stellte ein Turk einen SOLDAT zur Rechenschaft. "Er war in der Bar. Im 7th Heaven. Und hat sich sehr seltsam benommen. Ich bin ihm gefolgt." Elena akzeptierte diese Aussage. Genauso wie sie akzeptierte, das Cloud ausgerechnet Reno angerufen hatte. Details, die sie sich gar nicht weiter ausmalen wollte. Und doch war er da. Der gehässige Gedanke: Strife, du gehörst zu den wenigen, denen Reno nach einem Blowjob seine Telefonnummer da gelassen hat. Wundern würde sie es nicht. Weiter nach fragen würde sie auch nicht. Was sie wissen wollte, waren Fakten. "Du bist ihm gefolgt. Was ist dann passiert?" Ihm. Rufus Shinra, der irgendwo weiter den Gang herab hinter einer der Türen lag, und um sein Leben kämpfte. Wenn er überhaupt noch kämpfen wollte. "Ich habe ihn gefunden." Strife unterbrach ihre Gedanken. "Mit der Nadel im Arm. Und ich hatte nur die Nummer von Reno. Den ich angerufen habe." Kurz, für die Dauer eines Augenblicks beneidete Elena Cloud um seine Ignoranz. Um die Fähigkeit die Welt immer noch in Schwarz und Weiß einteilen zu können. Nicht, dass sie ihn für dumm hielt. Naiv wäre auch das falsche Wort. Sie brach den Gedankengang ab, ehe er ins Leere laufen konnte. Quetschte ein knappes: "Danke." heraus. Konzentrierte sich dann auf die nahe liegenden Probleme: "Wer weiß, dass er hier ist?" Es war Reno, der mit seinen Schultern zuckte. "Niemand." Eine Zigarette zwischen seine Lippen schob. Auf dem Filter herum kaute. "Noch nich'." Die Köpfe der Turks drehten sich zu der Ärztin. Blicke bohrten sich in ihr junges, hübsches Gesicht. "Und das bleibt auch so." Elena hatte gerade überhaupt keine Schwierigkeiten in ihren ganz persönlichen Zickenmodus zu schalten. Für sie alle zu sprechen. Eine Aufgabe, die Reno ihr dankbar überließ. Schuldgefühle? Nichts dass sie etwas wie Reue von ihrem direkten Vorgesetzten erwarten würde. Aber er ließ sie reden, agieren. Vermied den Blick auf die Tür, hinter welcher Rufus Shinra lag. Und wie ein Fremdkörper im System, wie etwas auf das sich gleich die Abwehrmechanismen des Körpers stürzen würden, stand Cloud Strife zwischen ihnen. "Cloud." Elena versuchte ihrer Stimme einen weichen Klang zu verleihen. Etwas freundliches. "Es ist besser wenn du jetzt gehst. Das hier ist unser Problem." Und ihr Blick streifte Rude und Reno. "Wir melden uns." Eine so neutrale Aussage, wie sie nur ein Turk geben konnte. Das Nicken in Richtung des Fahrstuhls. Strife verstand. Drei Augenpaare, die sich in die langsam schließenden Fahrstuhl brannten. "Was jetzt?" Reno kratzte sich im Nacken. In seinem Blick etliche unausgesprochene Fragen. Rude zuckte mit den Schultern, nahm die Sonnenbrille von der Nase, polierte sie ausgiebig. "Warten?" murmelte er leise. Elena sah zu ihm auf. Zog ihre Brauen zusammen. "Sehr witzig." Und hätte sich am liebsten die Zungenspitze abgebissen. Schon wieder klang sie wie er. Wie der Turk, der in ihrer Runde fehlte. Der Turk, von dem sie erwartet hatte, dass er der erste sein würde, der auftauchte. Der einer viel zu jungen Ärztin Befehle erteilen würde. Der ihnen sagte, was zu tun war. Ruhig. Konzentriert. Der ihnen die Verantwortung abnehmen würde. Doch er war nicht hier. Es blieb an ihnen hängen, an ihren Entscheidungen. "...stabilisiert." Ein weiteres Mal hörte Elena nicht den ganzen Satz der Ärztin. Wieder nur ein Bruchstück. Sah sie durch einen Aktenordner blättern. Papiere, die ihr gerade in die Hand gedrückt worden waren. "Was heißt stabilisiert?" Nur ein winziger Schritt, eine minimale Bewegung und Elena stand direkt an Rudes Seite. Es waren nur Zentimeter, die sie trennten. "Künstliches Koma." Die Ärztin vergrub sich hinter ihren Akten. "Er atmet wieder selbstständig. Der Kreislauf wurde stabilisiert. Er kommt durch. Ohne größere Hirnschäden davon zu tragen." "Sind. Sie. Sich. Sicher?" Jedes einzelne Wort betont, auf die Aussprache achtend. War es wirklich schon so lange her, das neben ihr jemand skeptisch die fein geschwungene Augenbraue gehoben hatte? Sie reden ließ. Und mit jedem Wort aus ihrem Mund das wachsende Missfallen durch das Kräuseln der Nasenspitze, ein kurzes Fauchen zu fressen gab? Elenas Kopf neigte sich. Ihre Haarsträhnen verdeckten den Blick, der unauffällig den Gang herab glitt. Ein Flur; zu viele Türen. Chrom-blitzende Fahrstuhltüren. Graues Laminat, graue Wände. Ein verloren vor sich hin gurgelnder Wasserspender. Eine einsame Zimmerpalme in einem billigen Übertopf. Ein generischer Flur in einem generischen Krankenhaus. Sie hatte viel zu viele Stunden auf einem Flur wie diesem gewartet. "Reno, lass uns Kaffee holen. Hier um die Ecke gibt es einen Laden der auch in der Nacht geöffnet hat." Fahrig strichen ihre Finger die Haare zurück. Genauso fahrig streiften ihre Augen Rude. Der verstand. Und nicht fragte. Die Fragen waren geklärt worden. In schlaflosen Nächten, in welchen sie sich gegenseitig fragten, wann es begonnen hatte, so katastrophal schief zu laufen. In denen sie überlegten, was die Gründe waren. Sie hatten die Erklärungen gefunden. Erklärungen, die ihnen beiden nicht gefielen. Deshalb ließ Rude sie schweigend den Arm um Renos Schulter legen. Sanfter Druck, der ihn zum Fahrstuhl leitete. Auch Reno musste erfahren, was tatsächlich passiert war. Hinter der schillernden Fassade der Firma, die keinen Turk blenden konnte. Ein weiteres Mal ein melodischer Glockenton in ihren Ohren. Und dann waren sie alleine. Standen nur sie beide in der viel zu engen Kabine. Elena lehnte sich an die Wand. Musterte Reno. Den schlaksigen Mann, der sich ihr gegenüber gegen den Spiegel lehnte. Die Arme verschränkt hielt. Abwehrend vor der Brust. "Was'n?" Sie hätte sich eher die Zunge abgebissen, als zugeben zu müssen, dass sie seinen Dialekt mochte. Dass sie seine ganze Art, seine ganze vorgeschobene Lässigkeit seit dem ersten Tag an welchem sie sich über den Weg gelaufen waren, hinreißend fand. Sie äffte nur zurück: "Was'n! Reno, du bist ein Arschloch." "Ach?" Er hob nur eine Augenbraue. Schob eine Hand in seinen Nacken. "Laney, erzähl mir wat neues." Und wieder - er schaffte es ständig,in Elena das Bedürfnis aufkommen zu lassen ihm die Faust in das arrogante Grinsen zu schmettern. Sie schob die Hände in die Taschen. "Wo ist Tseng?" Gesprächstaktik, das ganze mit einer harmlosen Frage einleiten. Reno zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Seit heute Mittag verschwunden." "Er hat dir nicht gesagt wohin er ist?" Elenas Frage wurde mit einem lang gezogenem Seufzen beantwortet. "Laney, wem sagt er's schon in letzter Zeit. Nich' mal Rufus weiß, wo ..." mit einem betretenen Blick auf den Boden brach Reno den Satz ab. "Warum hat er..." murmelte er leise, konnte die Frage aber nicht ganz stellen, da sich die Fahrstuhltüren öffneten. "Warum er sich umbringen wollte?" Elena schob sich aus der Kabine, ging mit langen Schritten vor Reno her durch das Foyer. Sie sah ein Auto auf der Auffahrt stehen, dunkelrot lackiert. Und warf einen Blick über ihre Schulter zurück. "Weihnachtsgeschenk oder so. Dachte ich." Eine Zigarette wanderte zwischen Renos Lippen und mit einem Druck auf den Schlüssel öffnete sich die automatische Türsperre. Elena ließ sich auf den Beifahrersitz gleiten. "Nett. Sehr nett für ein ... Abschiedsgeschenk." Ihre linke Hand strich über die Armaturen, die rechte griff nach ihrem PHS. Vielleicht hatte sie es ja auf lautlos gestellt, vielleicht eine eingehende Nachricht nicht mitbekommen? Aber nur das Bild eines Leguans auf dem Display. Keine Anrufe, keine Textnachricht. "Hat er sich bei dir gemeldet?" Tseng wusste doch. was passiert war. Warum rief er nicht an? Warum war er nicht hier? Reno schüttelte den Kopf. "Noch nich'. Man, ich hab' keinen Plan was hier eigentlich los is'!" "Reno." Elena griff nach der Zigarettenschachtel, die zwischen den Sitzen lag. "Du weißt genau was los ist! Deine 'Ich bin der Idiot vom Dienst'-Masche zieht nicht bei mir." Sie bedankte sich mit einem schiefen Lächeln dafür, dass ihr die Zigarette angezündet wurde. "Du weißt, weshalb Rufus diese Art gewählt hat, sich umzubringen." "Ja, weil er ein Arschloch is'. Man, das bringt Tseng gleich mit in's Grab." "Das ist wahrscheinlich das letzte, was Rufus wollte." Elenas Stimme war plötzlichen leise, brüchig. "Tseng verletzten. Ja. Ihm weh tun. Ja. Aber nicht ihn umbringen." "Hrgn." Der Motor jaulte auf, mit durchdrehenden Reifen schlitterte das Auto die Auffahrt herab. "Laney, warum hat er es gemacht?" Die Turk hustete. Sie hatte vor einem Jahr endlich mit dem Rauchen aufgehört. "Weil er es nicht mehr ausgehalten hat. Einen Konzern zu leiten, den er niemals führen wollte. Und etwas direkt vor der Nase zu haben, das er nicht kriegen konnte. Korrektur: Nicht was sondern wen." Reno trat auf die Bremsen. "Laney! Das is' ne vollkommen bescheuerte Erklärung." "Für eine vollkommen bescheuerte Aktion. Reno, überlege doch bitte einmal!" Sie verdrehte die Augen. Der Name hatte nicht ausgesprochen werden müssen. Sie wussten beide wer gemeint war. "In den letzten Jahren wurde es immer offensichtlicher das ihr zusammen seid. Ihr habt euch sogar in der Öffentlichkeit geküsst." "Laney, sag das dem Pantoffeltierchen, dass 'Beziehung' im Wörterbuch nach schlagen muss." "Du glaubst gar nicht, wie oft ich schon versucht habe eine qualitative Unterhaltung mit ihm darüber zu führen." Sie grinsten beide. Murmelten beide gleichzeitig: "Hoffnungslos." Und genauso schnell wie die Stimmung sich etwas entspannt hatte, verschwand das Grinsen auch aus ihren Gesichtern. Elena drehte nachdenklich das silberne Feuerzeug zwischen ihren Fingern. Nicht Renos. Der bevorzugte die wegwerfbare Variante. "Was uns wieder zur Anfangsfrage bringt." flüsterte sie in die Stille, welche sich über sie gelegt hatte. "Warum will jemand wie Rufus Shinra Suizid begehen? Weil ein Pantoffeltierchen wie Tseng nie begreifen wird, was es heißt eine Beziehung zu haben. Und diese nicht vorhandene Beziehung hat er mit dir, Reno." "Das is' albern." "Reno, das ist nicht albern. Das ist tragisch." Elenas flache Hand schlug auf seinen Hinterkopf. Eher ein sanftes Knuffen. "Du wusstest, das Rufus mit Tseng befreundet war. Sehr gut befreundet." "Ja. Und?" "Und? Ist das jetzt dein Chromosomensatz, der dir im Weg steht?" Elenas Hand krallte sich in die langen Haarsträhnen und es kostete sie alle Beherrschung Renos Kopf nicht auf das Lenkrad zu schlagen. "Nehme mal hypothetisch an, es war mehr als Freundschaft. Und dann nehme dazu hypothetisch ein Pantoffeltierchen, dass sich vor den Augen des Präsidenten hypothetisch flach legen lässt. Ausgerechnet DAS Pantoffeltierchen!" Sie griff nach der nächsten Zigarette in dem Moment, in welchem sie die gerade gerauchte ausdrückte. "Rufus sah in Tseng den Kerl zu dem man hin rennen konnte. Den 'großen Bruder'. Was das Pantoffeltierchen nie so ganz verstanden hat. Und wenn der große Bruder dann ausgerechnet von dem bösen Scheißkerl, der einen immer ärgerte, gefickt wird, ist es nicht albern, sondern dramatisch." "Wir habn's nie vor Rufus Augen getrieben!" "Bitte, was habt ihr nicht? Du erinnerst dich an die Weihnachtsfeier vor einem Jahr? Auf die wir alle keine Lust hatten, weil Tuesti und so auch noch herum sprangen. Du erinnerst dich an den Ooops-Moment im Büro?" Jeder andere wäre jetzt rot geworden, Reno grinste nur dreckig. "Ja, ich erinnere mich grob." "Du hast Tseng auf deinem Schreibtisch gevögelt, Reno. Bei offener Tür. Okay, ihr wart beide betrunken, was ja immer noch die Universal-Ausrede ist für alle, die nicht so verdorben wie ich sind. Aber da war jedem bis auf das Pantoffeltierchen klar, das ihr etwas miteinander am Laufen habt." "Hm." Elena konnte förmlich sehen, wie Renos Hirn das Denken wieder aufnahm. Nach der besagten Feier war zwischen Rufus und Tseng die Eiszeit ausgebrochen. Hatte Rufus seinen Turk aus seinem Leben ausgeschlossen. Ohne Erklärung. "TsengTseng glaubt, dass..." begann Reno leise. Elena hob die Hand, unterbrach ihn. "Ich weiß, was Tseng glaubt. Das er schuld ist, es an seinem Kontrollverlust liegt. Blahblah. Man kann sich ja nicht so gehen lassen, und so weiter und so fort. Wie viele Neurosen hat es ihm eingebracht?" Ein gemeinsames Schnauben klang durch den Wagen. "Zu viele." Auch das wurde im Duett gemurmelt. "Reno, noch einmal für dich zum Mitschreiben: Rufus idealisiert Tseng. Tseng hat die Kontrolle. Immer. Tseng lässt sich nicht ficken. Erst recht nicht von dir. Passt nicht in Rufus Weltbild." "Jetzt bin ich schuld daran, dass er sich umbringen wollte?" Der schwache Ansatz zur Selbstverteidigung. Jeder Ansatz eines Grinsen war aus dem hohlwangigem Gesicht gewischt. "Laney, mach ma' nen Punkt." Elena verdrehte die Augen. "Die Umstände, Reno. Die Umstände." "An denen sich aber auch nix ändern wird, wenn Rufus auf die Beine kommt." Zwei Zigaretten wurden angezündet. Ein Jahr keine einzige Kippe und in einer Stunde mutierte sie erneut zur Kettenraucherin. "Das ist das Problem. Und ich habe nirgendwo in meiner Jobbeschreibung den Abschnitt stehen, dass wir einen Präsidenten ständig davon abhalten müssen, sich aus dem Fenster zu werfen." Die Beine wurden angezogen und Elena vergrub frustriert ihren Kopf zwischen den Armen, die sie über dem Knie verschränkt hatte. "Hm, und wenn Rufus von'ner Brücke springt, hechtet Tseng hinter her. Der war nach dem letzten Entzug von Cheffe ja so was von komplett fix und im Arsch und konnte erstmal selbst wieder von dem scheiß Speed runter kommen." Elena drehte den Kopf, sah zu Reno. "Lass uns Kaffee holen. Oder ich bringe erst dich im Affekt um, dann Tseng und dann Rufus. Das wäre kontraproduktiv." 10 Minuten später mischte der Geruch von frischem Kaffee sich in die Melange aus kaltem Zigarettenqualm und den Ausdünstungen Fabrikneuen Plastiks. Reno grübelte über ihre Unterhaltung. Das verriet die steile Falte zwischen seinen Brauen. "Laney?" Sie kräuselte ihre Nasenspitze. Begann Reno einen Satz so, bedeutete es meistens nichts gutes. "Wenn Shinra seinen Willen bekommen würde - zum Teil -, meinst du, er würde sich wieder fangen?" Der Subplate-Dialekt war aus seiner Stimme gewichen. Was Elena noch vorsichtiger werden ließ. "Was meinst du?" fragte sie lauernd. "Ich meine, wenn er Tseng kriegen würde, wären dann die dämlichen Ideen Geschichte, sich selbst um zu bringen?" "RENO!" Fassungslos sah sie ihn an. Was für einen Plan hatte er da ausgearbeitet? "Laney, ma' ehrlich. Wenn Rufus abkratzt, macht Tseng es nich' länger als 'nen Monat. Dann dürfen wir auf die nächste Beerdigung. Und ich ..." es passierte nicht oft, dass Reno um Worte rang. "Ich will ihn nich' verlieren. Nich' ganz. Da is' so ein bisschen Teilen echt die bessere Alternative." Es war der Moment, in welchem Elena die Worte fehlten. Mit allem hätte sie gerechnet, nur nicht damit. Und sie musste sich eingestehen, dass sie ein paar Dinge vollkommen missverstanden hatte. Bis jetzt war sie im Glauben gewesen, Tseng wäre für Reno nur eine weitere Trophäe. Eine weitere Eroberung. Die Eroberung. Der unnahbare, kontrollierte Direktor des Departments. Der alles und jeden auf Distanz hielt. Den sie nie gekriegt hatte. Damals, vor einer gefühlten Ewigkeit, war sie sofort in seinen Bann gezogen worden. Von dem kühlen Blick, der vollendeten Körperbeherrschung. Welche Frau konnte nicht für so einen Mann schwärmen? Erst recht, wenn dieser Mann auch noch hoch intelligent war, sich ausdrücken konnte und Macht besaß. Das Material aus dem nicht nur feuchte Mädchenträume bestanden. Damals waren Bastarde einfach die attraktiveren Männer. Und plötzlich musste sie schmunzeln. Sah auf den Ring an ihrem Finger. Rude und Tseng. Unterschiedlicher konnten zwei Männer kaum sein. Sie hatte Tseng über die Jahre kennen gelernt. Den Mann hinter der Perfektion, hinter der Maske.. Wusste Dinge über ihn, die kaum ein anderer ahnen konnte. Wenn man jahrelang als Partner zusammen arbeitete, blieb so etwas nicht aus. Blieb es nicht aus, dass man begann sich während stundenlanger Obduktionen private Details zu erzählen. Sie hatten sich sogar geküsst, nach einer Mission, die das Adrenalin durch ihre Adern gejagt hatte. Ein langer Kuss, der vielleicht zu mehr geführt hätte, wäre er nicht plötzlich zurück geschreckt. Hätte sie nicht angestarrt wie ein verschrecktes Reh im Scheinwerferlicht ein Auto fixierte. Und in Elena die Frage wachsen ließ, weshalb er so vollkommen verdreht war. Darüber hatten sie nie gesprochen. Ihr reichten die wenigen Andeutungen; die Hinweise, welche sich an einer Hand abzählen ließen, um einen bitteren Geschmack in ihrem Mund zurück zu lassen. Vielleicht war sie immer noch zu sehr Frau. Aber selbst in ihrem abgeklärten Weltbild, einer Ordnung in welcher ein Leben nicht mehr wert war, als die Packung Kaugummi, die sie an der nächsten Tankstelle kaufte, durfte sich niemand auf diese Weise an Kindern vergreifen. Elena war sich nicht sicher, ob Reno es wusste. Rude hatte keine Ahnung - und sie wollte daran auch nichts ändern. Rude brauchte seine Illusionen. Tseng hatte der Kuss nichts bedeutet. Nichts außer Kompensation. Nichts außer das Hochzerren von Erinnerungen. Die fünf Minuten später schon wieder in die dunkelsten Ecken seines Geistes gedrängt wurden. Dinge dieser Art passierten in seinem Universum, ohne dass er einen weiteren Gedanken daran verschwendete. Verschwenden konnte. Es fehlte ihm einfach die Relation. Zu sich. Zu anderen. Zu Emotionen. Und jetzt saß Reno neben ihr und war bereit, dieses emotional unterentwickelte Pantoffeltierchen zu teilen, damit er ihm nicht vollkommen aus den Fingern glitt. "Wie, äh, hast du dir das vorgestellt?" Sie musste sich räuspern. "Montag, Mittwoch, Freitag - Sex mit Reno. Dienstag, Donnerstag, Samstag - Sex mit Rufus. Sonntag Verhandlungssache. Willst du ihm das in seinen Kalender schreiben, oder was?" "Na ja..." Reno kratzte sich im Nacken. "Laney, kannst du mit ihm sprechen?" platzte er nach einer Minute ungewohnten Schweigens heraus. "Mit dir redet er über so etwas." Wäre es nur eine von Renos seltsamen Ideen, seinen abstrusen Vorschlägen, Elenas Hand wäre in diesem Moment hoch gefahren, hätte einen roten Abdruck auf seiner Wange hinterlassen. Auch auf die Gefahr hin, dass er den teuren Sportwagen, dessen Gaspedal er gerade bis zum Anschlag durch trat, in die nächste Häuserwand setzte. Doch war es keine der dämlichen Ideen, die Reno sonst so gerne kultivierte. Dafür klang er viel zu ernst. Viel zu beherrscht. "Fuck!" Mehr brachte sie nicht über die Lippen. Es war das letzte gesprochene Wort. Bis Reno den Wagen auf die Auffahrt lenkte. Hinter einem schwarzen, teurem Sportwagen hielt. Nicht das Auto, das seit heute Mittag in der Garage stand. Nicht Rufus Geschenk. Sein und Elenas Blick glitten zu dem schmalen Schatten, der am Eingang stand. Vor dessen hageren Gesicht der Zigarettenrauch in der Kälte kondensierte. "Ich rede mit ihm." flüsterte die Turk leise, mit belegter Stimme, den Blick weiter auf den Schatten gerichtet. "Reno, wann ist er so dünn geworden?" Der Mann neben ihr zuckte mit den Schultern. "Was glaubst du? Die letzten Weihnachten war'n fast so beschissen wie diese." Er stieg aus, nahm den Träger mit den Kaffeebechern entgegen und rief laut: "Ham dir vorsorglich auch einen mitgebracht. Hast also Glück. Is' noch nich' kalt." Elena hörte deutlich, was er sagte. Und es war das erste Mal, dass ihr die Betonung in Renos Stimme tatsächlich auffiel. Sachliche, neutrale Worte; sanft, besorgt ausgesprochen. Attribute, die sie mit Reno eigentlich nicht in Verbindung bringen konnte. "Danke." Tseng musste nicht laut sprechen. Musste er nie. Man hörte ihn trotzdem, auch wenn man Zwanzig Meter entfernt stand. Die Distanz, welche Elena gerade ein hielt. Erst Reno zu Tseng laufen ließ. Beobachtete wie Reno ihm einen der Becher in die Hand drückte. Seine Finger kurz auf der Hand des kleineren Wutainesen liegen blieben. Nichts verfängliches. Dafür waren sie beide zu vorsichtig geworden über die Jahre. Waren sie nüchtern. Aber wusste man, worauf man zu achten hatte, sah man es. Erkannte, wie das Pantoffeltierchen sich kurz gegen Reno lehnte. Wie der in einer nebensächlichen Geste, einer vollkommen beiläufigen Bewegung kurz an der Krawatte des Direktors zupfte. Den Stoff sofort wieder gerade zog. Es konnten alles versehentliche Berührungen seien. Freundschaftliche. Elena schluckte hart. Es wäre einfacher, könnte sie für einen Partei ergreifen. Sagen, dass einer der Beteiligten absolut recht hatte. Ein anderer vollkommen daneben lag. Doch diese wenigen Berührungen, die Blicke die gerade zwischen Reno und Tseng ausgetauscht wurden, negierten alle Vorurteile. Tseng war die Eroberung Renos. Die einzige, die ihm wirklich wichtig war. Sie nippte an ihrem Kaffee. Schwarz. Bitter. Und mit ihm wurde auch diese Erkenntnis herunter geschluckt. "Wer hat die Krankenakte?" Der ruhige Tonfall, die kontrollierte Stimme rissen Elena gerade rechtzeitig aus der langsam heran kriechenden Depression. Sie schmiss die Autotür zu und trat zu den beiden anderen. Das Dach über dem Eingang bot kaum Schutz vor dem fallenden Schnee. "Die Ärztin hat sie noch." Blonde Haarsträhnen wurden zurück gepustet. "Frag mich bitte nicht nach ihrem Namen. Ich habe vergessen sie danach zu fragen." Den letzten Satz murmelte Elena leise, den Blick auf ihre Schuhspitzen fixiert. "Der Name wird sich heraus finden lassen." Elena kaute auf ihrer Unterlippe herum. Hasste sich dafür, eingestehen zu müssen, wie sehr ihr genau dieser Tonfall gefehlt hatte. Die betont saubere Aussprache. Die saubere Artikulation jeder einzelnen Silbe. "Tseng." "Elena." "Was machen wir jetzt?" 'Sag mir, das wir das schaffen. Dass es alles nicht so schlimm ist.' "Aus diesem scheiß Schnee raus kommen." Tseng schnippte seine Zigarette in den Aschenbecher. Verdrehte die Augen Richtung Himmel. Und schien in diesem Moment Leviathan persönlich für das Wetter verantwortlich zu machen. Es war nicht die Antwort, die Elena hören wollte. Und als sie zu dritt das Foyer des Krankenhaus betraten, vermied sie einen Blick zurück zu werfen. Zurück auf die roten Flecken, die sich in den weißen Schnee gefressen hatten. Direkt neben dem Aschenbecher. Genauso wie sie vermied einen Blick auf Tsengs Arme zu werfen. Auf seine Fingernägel. Drei Stockwerke über ihnen wurde Rufus Shinra durch Maschinen künstlich am Leben erhalten. Daran gehindert, sich mit dem gestreckten, manikürten Mittelfinger von ihnen zu verabschieden. Hier unten, während sie auf den nervigen Glockenton eines sich öffnenden Fahrstuhls warteten, versuchten drei Turks so souverän wie möglich zu wirken. Kapitel 2: Sanguina ------------------- Sanguina Tseng hasste Krankenhäuser. Mochten sie noch so ein notwendiges Übel sein, mochten die Turks noch so oft die ewig gleich aussehenden Zimmer von innen sehen. Vielleicht war es das. Er hatte zu viel Zeit in solchen Zimmern verbracht. Entweder selbst im Bett liegend, oder davor stehend, sitzend, wartend. "Das Blutscreening?" Der Direktor des Departments stand vor der jungen Ärztin, musterte sie kühl, prüfend. Der Blick, mit dem er alles bedachte, was in seine Kreise drang. Von dem er sich nicht sicher war, ob es überhaupt eine Existenzberechtigung besaß. In Tsengs Wahrnehmung gab es nicht viel, das sich dieses Recht tatsächlich verdient hatte. Das meiste ignorierte er. Ertrug mit stoischer, eiskalter Ruhe die gackernden Empfangsdamen im ShinRa-Gebäude. Ließ sich nicht von den Menschen aus dem Konzept bringen, die ihn immer noch, nach all den Jahren für einen Kriegsflüchtling hielten, der ihrer Sprache nicht mächtig war. Nur diese junge, übereifrige Ärztin wurde immer mehr zu einem Störfaktor. Er immer ungeduldiger je mehr 'Öhm', 'Äh' und 'Uh' sie in ihren Vortrag einbaute. "Krankenakte!" Sie hatte es geschafft. Tseng war der Geduldsfaden gerissen. Elena, die neben ihm stand, zuckte zusammen, als sie seine scharf formulierte Forderung hörte. Die kalte Gelassenheit, die er ausstrahlte, war nur Fassade. Kaschierte die Wut, die tief in ihm brodelte. Die Enttäuschung, wahrscheinlich auch die Angst. Sie ließ eine Haarsträhne vor ihr Gesicht fallen, tarnte so den Seitenblick auf ihren Partner. Früher hatte sie ihn so minutenlang mustern können; seine spärliche Gestik studiert. Die Momente genossen, in dem er sich einmal nicht konzentrierte. Dann, wenn sein Blick etwas regelrecht verträumtes hatte, sichtbar wurde, wie hübsch er eigentlich war. Zierlich, androgyn. Davon war nichts mehr übrig. Das letzte Jahr hatte seinen Tribut gezollt. Tiefe Augenringe, blasse Haut. Und selbst der Anzug konnte nicht mehr überdecken, wie mager er geworden war. Keiner von ihnen hatte es bemerkt. Sie hatten sich auf Rufus fokussiert. Auf ihren Präsidenten. Hatten seine Aufmerksamkeit genossen. Rude und Elena, welche alle Bodyguard-Jobs übernahmen. Sich um Rufus Wohl kümmerten. Repräsentative Aufgaben, keine Drecksarbeit mehr. Die machten Tseng und Reno. Die Jobs in denen Blut floss, in denen man jeden Tag aufs neue sein Leben in die Schusslinie warf. Und dabei verdrängten zwei Turks, dass Rufus Tseng dessen Lebensinhalt entzog. Wäre es nicht Rufus gewesen, der Direktor des Departments hätte um seine Position gekämpft. Nicht weil er die repräsentativen Aufgaben gerne erfüllte. Nicht weil er ins Scheinwerferlicht wollte. Auf der Straße hatte Tseng sich immer wohler gefühlt. Aber Veld hatte ihn darauf gedrillt, dass es seine Aufgabe war, 24 Stunden am Stück, Sieben Tage die Woche für Shinra zu leben. So agierte er nur aus dem Hintergrund. Korrigierte schweigend Schichtpläne, arrangierte schweigend Meetings. Elena hielt immer zuerst mit ihm Rücksprache, versicherte sich immer zuerst bei ihm, dass sie die Sachen richtig machte. Er hielt ihr den Rücken frei. Genauso wie er es für Rude und für Reno tat. Verschwand er wieder einmal tagelang, merkten sie alle, dass etwas fehlte. Genauso wie sie in dieser Nacht auf ihn gewartet hatten. Damit er ihnen sagen konnte, wie sie mit der Situation umzugehen hatten. Was die nächsten Schritte wären. Das er es nicht wusste, genauso verloren wie sie war, erschien Elena nicht fair. Auf trotzige, egoistische Weise ungerecht. Die Ärztin, inzwischen verschüchtert, reichte Tseng die verlangte Akte. Räusperte sich, als er eine Zigarette zwischen die Lippen schob, diese mit einem billigen Plastikfeuerzeug anzündete. "Sir, das Rauchen ..." Er sagte kein Wort, hob nur kurz den Blick von den Daten, die er gerade studierte. Brachte so die Ärztin zum schweigen. Drogen, jede für sich in einer Überdosis eingenommen. Er überflog die Testergebnisse, überflog die nüchternen Worte, die Rufus Zustand zusammen fassten. Der Präsident würde überleben. Ein weiteres Mal. Sein Körper hatte Resistenz gegen die Gifte aufgebaut, die er genommen hatte. Nikotin wurde tief in die Lunge inhaliert. Gifte, die viel zu lange wieder genommen wurden, auch das ablesbar aus ein paar Zahlen, ein paar Analysen. Tseng hatte es gewusst. Hatte versucht mit Rufus darüber zu reden. Wieder einmal. Und war aus dessen Büro heraus geworfen worden. Entfernt von Rude, Elena und Reno. Er hatte ihnen die Szene erspart, den Wutanfall hinter der Maske versteckt, die er selbst ihnen gegenüber nicht mehr ablegen konnte. Am selben Abend war er mit zwei Flaschen Wodka und Speed in der Tasche in das Ruinenfeld gefahren, das einmal Midgar gewesen war. Hatte sich auf den Überresten einer anderen Zeit betrunken, das Hirn mit den Drogen zu geknallt, die er eigentlich nicht mehr nehmen wollte. Damit die Wut, die Enttäuschung und die Frage wie er so weit hatte kommen lassen, in angenehmen Nebel versenkt. Der nächste Morgen war ein Werktag wie jeder andere auch. Nur Reno fragte ihn, wo er die Nacht über geblieben war. Er hatte Reno nie eine Antwort auf diese Frage gegeben. "Welches Zimmer?" Tsengs Stimme schnitt durch die betretene Stille, die sich auf dem Flur ausgebreitet hatte. Die nur von dem Gurgeln des Wasserspenders unterbrochen wurde. "Zimmer 102." antwortete die Ärztin, streckte ihre Hand aus um den Turk aufzuhalten, der mit langen Schritten den Flur herab lief. Elena schüttelte den Kopf. "Lassen sie ihn." Sie hatte sich bei Rude eingehakt, fühlte Renos Arm, der lässig über ihre Schultern lag. Sie gaben sich tatsächlich gegenseitig Halt. Im Zimmer war es dunkel. Um so greller leuchteten die Anzeigen auf den Bildschirmen. Grün, blau und rot blinkende Zahlen, Graphen. Dazu das stetige Brummen der Maschinen. Schläuche an welchen Rufus hing. Tseng trat neben das Bett. Sah auf die bleiche Gestalt, die zwischen den Laken fast verloren wirkte. Harmlos. Kindlich. Dabei war Rufus Shinra nur drei Jahre jünger als er selbst. "Du hast es wieder einmal geschafft." flüsterte Tseng und seine Stimme wurde von den Maschinenlärm verschluckt. Es war egal. Rufus hörte ihn eh nicht. Tsengs Hand glitt unter das perfekt sitzende Jackett, zog einen Brief aus der Innentasche. "Dein Fehler, Arschloch. Du hättest noch Koma einsetzen sollen." zischte er und warf den Schrieb auf das Bett. Die Blätter waren eng in Rufus krakeliger Kinderhandschrift beschrieben, die selbst dann schwer zu entziffern war, nahm er nüchtern den Stift zur Hand. Der Anwalt der Firma hatte sie ihm vorhin ausgehändigt, mit der Frage wie man nun vorgehen sollte. Was Tsengs Anordnungen wären. Der Mann hatte nicht den Turk gefragt. Tseng drückte die Zigarette auf seinem Handgelenk aus; schnippte den Stummel in den Mülleimer, der unter dem Waschbecken stand. "Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich mich nicht von dir ficken lasse." fauchte er in die Stille. Und hasste sich für das Zittern in seiner Stimme. Ein Zittern, das selbst Rufus nicht aufgefallen wäre, sollte er ihn hören. Doch es war da. Tseng wusste es. Was er nicht wusste war, wie er das definieren sollte, was er gerade fühlte. Trauer? Hass? Wut? Enttäuschung? Eine Melange aus allem. Emotionen, die er sich eigentlich verbot, zu haben. Sie störten seine Konzentration, ließen ihn nicht objektiv arbeiten. Rufus musste wieder auf die Beine kommen. Das war das oberste Ziel. Musste Leben. "Und wenn es nur dafür ist, dass ich dir meine beschissene Kündigung auf den Tisch knallen kann." Tseng trat zu dem großen Panoramafenster, stützte die Hände auf der Fensterbank ab und sah hinaus. In der Scheibe spiegelte sich ein Gesicht, dass er seit langem nicht mehr als Seines betrachtete. Minuten stand er regungslos, versuchte Erklärungen für die Emotionen zu finden, für die Ereignisse. Fragte sich wieder und wieder, wie es so weit hatte kommen können. Er war müde. Der Wille zu kämpfen irgendwann in den letzten Monaten erloschen. Nachher würde er seine Kündigung aufsetzen. Warten bis Rufus aufwachte und dann die Konsequenzen tragen. Der alten Regel folgen, die für jeden Turk galt: Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses erfolgte nur mit den Füßen voran. Etwas, dass er schon vor Wochen hätte tun sollen. Bis jetzt hinderten ihn nur Rude, Elena und Reno daran. Aber sie würden ohne ihn zurecht kommen. Sein Blick glitt wieder zu der gerade so zerbrechlich wirkenden Gestalt auf dem Bett. Das leise Surren seines PHS riss ihn aus seinen Überlegungen. Er sah auf die Nummer, nahm das Gespräch an. In diesem Moment legte sich in seinem Kopf ein Schalter um. Die Gedanken, die er gerade noch gehabt hatte, die ganzen seltsamen Gefühle wurden zurück geschoben, waren plötzlich irrelevant. Was in diesem Augenblick nur zählte, war der Anruf. Die Informationen, die ihm sein Gesprächspartner zukommen ließ. Tsengs Schultern strafften sich, die gewohnte Spannung kehrte in seinen Körper zurück. Rufus würde mit Sicherheit nicht weg rennen. Die Zeit war nicht stehen geblieben. Der ganz alltägliche Wahnsinn lief weiter. Und sie mussten ihren Job machen. "Elena!" Tseng zog die Tür hinter sich leise zu. "Mitkommen. Wir haben Arbeit. Rude, Reno. Sofort Bericht sollte sich irgendetwas am Status ändern." Die drei Turks schreckten auf. Sie kannten den Tonfall, reagierten sofort. Es war ihr Chef, der gerade sprach. Der Leiter des Departments. Reno nickte, murmelte: "Geht klar, Boss." Elena stand schon neben ihm. "Was ist denn los?" "Erkläre ich dir im Auto. Bist du bewaffnet?" Sie legte die Hand auf ihre Hüfte, auf das Pistolenhalfter und hob in gespielter Entrüstung ihre Augenbrauen. "Was denkst du denn?" "Gut." Tseng war bereits los gelaufen, hielt auf die Tür des Treppenhauses zu. Elena musste sich beeilen um mit ihm Schritt halten zu können. Mit ihrem Partner. Den sie vermisst hatte im letzten Jahr. Es musste an dieser seltsamen Nacht liegen, dass eine Erkenntnis nach der anderen hoch gespült wurde. "Hey, warte!" rief sie durch das Treppenhaus. "Beeil dich." hörten Rude und Reno noch Tsengs Stimme, ehe die schwere Tür ins Schloss fiel. Die beiden sahen sich an; Rude zog seine Sonnenbrille von der Nase um quietschend die Gläser zu polieren. "Hm, beziehen wir Posten, Alter." Reno schlenderte auf das Krankenzimmer zu, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Hinter ihm protestierte die Ärztin schwach: "Sie können doch nicht ..." "Und ob wir können, Süße. Wir sin' Turks." Reno hielt den Mittelfinger der linken Hand in die Luft, Rude zuckte mit den Schultern. "Er hat recht." Mit einer simplen Handbewegung schloss er die Tür und sperrte die Ärztin aus. Sein Partner sah sich um, schnaubte leise. "Weißte, Laney hat recht. Rufus den Strom abstellen, wär' kontradingens. Auch wenn ich echt g'rad das Bedürfnis hab'." Rude schwieg. Wie üblich. Ließ Reno reden. "Was bildet der Wichser sich eigentlich ein? Ich mein' wär' er nich' so'n Mädchen, hätte er sich seine Knarre an den Kopf gesetzt. Durchgezogen un' gut wär's. Was auch abgefuckt sein würde. Versteh' mich nich' falsch, Alter." Rude nickte. Trat neben das Bett und hob die Zettel hoch, die auf dem Laken verteilt waren. Renos Fluchen wurde zu dem selben Hintergrundgeräusch wie auch das Summen der Maschinen, während seine Augen über die Papiere streiften. Er Rufus Handschrift einmal entzifferte. Die Worte ein zweites Mal las. Dann ein drittes Mal, nur um wirklich sicher zu gehen, dass er sie richtig verstanden hatte. Schließlich die Zettel senkte. "FUCK!" "Hä? Danke, dass du mir zustimmst, Alter." "Reno." "Ich mein', er memmt hier rum und hält das vermutlich für'n absolut grandiosen Plan, und..." "Alter! HALT DIE FRESSE! Lies das!" Rude drückte Reno das Testament in die Hände. Und für ein paar Minuten herrschte angenehme Stille. Die auch weiter über dem Raum lag, nachdem Reno die Blätter zusammen gefaltet hatte. Mit zitternden Fingern. Sie waren alle in Rufus letztem Willen bedacht worden. Selbst er. Für ihre Zukunft war so gut gesorgt, das jeder normal denkende Mensch jetzt die Geräte ausstellen würde. ShinRas Zukunft war gesichert, die WRO hätte durch ein paar geniale Schachzüge vielleicht noch ein Haltbarkeitsdatum von zwei, drei Jahren. Es war brillant. Bis auf ein winziges, kleines Detail. Ein Detail, welches Reno erbleichen ließ. "Du Arschloch!" brüllte er dem wehrlosen Mann auf dem Bett entgegen. Stürzte sich auf ihn, und wurde nur von Rude zurück gehalten, der seine Arme fest um die schmaleren Schultern seines Partners schloss. "Hast du 'ne Ahnung, was du ihm damit antust? Nur den abgefuckten Hauch von'ner verdammten Idee?" Reno war es in diesem Augenblick vollkommen egal, dass Rufus ihn nicht hören konnte. Er tobte, schrie, wehrte sich chancenlos gegen Rudes stahlharten Griff. Wollte Rufus den Hals umdrehen. "Reno, wenn du ihn umbringst, tritt genau das ein, was im Testament steht. Tseng wird Präsident." konterte Rude schließlich die Verwünschungen seines besten Freundes. "Ich belebe ihn wieder." murmelte Reno matt, erschlaffte in Rudes Armen. "Ersparen wir uns den Stress. Halten wir ihn einfach am Leben." Rude nahm das Testament an sich, steckte es ein. Wissend, dass nur einer es hier liegen gelassen haben konnte. Tseng. Und Rude wollte gar nicht wissen, was in dessen Kopf gerade vor sich ging. Vielleicht hätte er sich ein Schmunzeln abringen können, ahnte er, dass es in diesem Augenblick überhaupt nichts mit dem Testament zu tun hatte. "Bei Leviathan! Da schneit es einmal in dieser beschissen Stadt, und prompt dreht alles durch!" Tsengs Hand schlug auf die Hupe, doch der Lärm änderte auch nichts daran, dass Elena und er in einem Stau auf dem Freeway fest steckten, der durch einen Unfall verursacht worden war. "Hast du noch Kippen?" Wie so oft, wenn sie in Tsengs Auto saß, hatte Elena die Beine angezogen, presste die Knie gegen die Armaturen. "Im Handschubfach. Seit wann rauchst du wieder? Kann dieser Hurensohn da vorne mal auf sein Gaspedal treten?" Die Frau neben ihm versuchte nicht zu breit zu grinsen. Sie war diese Ausbrüche gewohnt, hatte sie schon viel zu oft mitgemacht. Der ruhige, kontrollierte Direktor des Departments. Der beim Auto fahren regelmäßig die Beherrschung verlor. Kompensation? Ja. Begrenzt auf einen engen Raum, fast ohne Zeugen. Das sie ihn so erlebte war in Tsengs verdrehter Weltsicht ein Beweis des Vertrauens. Sie suchte nach den Zigaretten, schob Strafzettel und Munitionsclips zur Seite. Kicherte dann plötzlich los. "Tseng?" "Was?" fauchte er gereizt. "Was ist das?" Noch immer kichernd hielt sie eine Schachtel hoch. Keine Zigaretten. Offensichtlich. Und nur jemand wie Tseng konnte so vollkommen nebensächlich antworten: "Kondome. Du kannst doch lesen." "In deinem Auto? Deinem Heiligtum?" Es fiel ihr immer schwerer nicht in lautes Gelächter auszubrechen. "Zigaretten, Elena. Und nein, sie haben nie in meinem Auto Verwendung gefunden. Werden sie auch nie. Egal was für Fantasien irgendjemand haben könnte." "Irgendjemand? Mit roten Haaren?" Sie warf die Packung wieder zurück, fand die Zigaretten und zündete zwei an. Das Tseng nur schnaubte, war eine absehbare Reaktion gewesen. Seine sehnigen Hand streckte sich aus, wollte ihr eine der Zigaretten abnehmen. Und Elenas Augen blieben auf dem Handgelenk hängen. Auf dem rot getränkten Stoff des Hemdsärmel. "Tseng!" Dieses Mal war es an ihr zu fauchen. Sie hatte es geahnt. Hatte es nicht sehen wollen. Ihre Finger legten sich um seinen Arm. Vorsichtig löste sie den Manschettenknopf. Schob das Leinen zurück. Blutig zerkratzte Haut kam unter dem Stoff zum Vorschein. Tiefe Spuren, die kurz geschnittene Fingernägel hinterlassen hatten. Er drehte den Kopf, sah ihr direkt in die Augen. "Elena. Ignoriere es." Es kam einem Befehl sehr nahe. "Arschloch." Hätte sie Reno jetzt eine Kopfnuss verpasst, Rude eine Szene gemacht, blieb ihr bei Tseng nichts anderes übrig, als zu seufzen. Jeden Kommentar, der ihr auf der Zunge lag, herunter zu schlucken. Er würde sie abwürgen. Würde sie kühl und herab lassend ansehen; ihr erklären, dass es nicht ihr Problem wäre. Und sie würde kuschen. So wie sie es immer tat, sah Tseng sie mit diesem Blick an. Dann fühlte sie sich wieder wie der Rookie. Wie das junge Mädchen, dass sich unbedingt beweisen wollte. Vor ihm beweisen. Elenas Antrieb seit jenem Moment, als sie zum ersten Mal Tsengs Büro betreten hatte. Zum ersten Mal mit diesem abschätzenden Blick gemustert worden war, den er so zur Perfektion gebracht hatte. Sie wollte es ihm recht machen. Wollte, das er ihre Leistungen an erkannte. Es hatte Jahre gedauert, bis sie begriff, dass niemand Tsengs Anforderungen gerecht wurde. Am wenigsten er selbst. Und so zog sie nur den Stoff wieder herab, schloss den Manschettenknopf. "Hör auf damit. Du tust nicht nur dir weh." Ihre Stimme war kaum mehr als ein Piepsen. Das Tseng ignorierte. Sich statt dessen über den Idioten im Auto vor ihnen aufregte. Langsam, behäbig schob sich die Schlange aus Metall vorwärts. Elena rauchte eine Zigarette. Dann die zweite. Und dritte. Schweigend. Den Blick auf die Autos vor ihr fixiert. Auf den fallenden Schnee. Der Mann neben ihr war auch in brütendes Schweigen verfallen. Eine Hand auf dem Lenkrad, die andere glitt immer wieder in die Haare. Zog immer wieder den Zopf zurecht. Bis Elena es nicht mehr aushielt. Ihre Zigarette im Aschenbecher ausdrückte, sich zu Tseng drehte und das Haargummi aus den schwarzen Strähnen zog. Ihre Finger zupften, glitten durch seine Haare, banden sie ihm straff zurück. "Tseng, du hast keinen Fehler gemacht. Hör auf, ständig und immer bei dir nach den Ursachen zu suchen." Er zuckte zusammen. Und Elena verfluchte sich, Tseng und das Universum. Gerade war die zweite Runde der seltsamen Gespräche, welche in Autos geführt wurden, eingeleitet worden. "Es war nicht deine Schuld. Es war eine verdammte Weihnachtsfeier. Du hast zu viel getrunken. Genau wie dein Freund." Die Einleitung war nicht die glücklichste, die sie wählen konnte. Doch platzte es einfach aus ihr heraus. Wie oft schon hatte sie sich ausgemalt, dass sie dieses Thema ansprechen wollte? Wie viele Variationen waren in ihren Gedanken durch gespielt worden? Keine davon hatte den panischen Blick einkalkuliert, den Tseng ihr gerade zu warf. "Freund. Liebhaber. Lebensabschnittsgefährte. RENO!" Sie hatte sich auf dem Sitz so gedreht, dass sie Tseng direkt ansehen konnte. "Der Kerl, der sich für dich den Arm abhacken würde, ohne mit der Wimper zu zucken. Der dich", sie zögerte, schluckte hart. Was sie sagen wollte, passte eigentlich so überhaupt nicht in das Universum eines Turks. "sehr gerne mag." nuschelte sie dann doch leise. Griff hektisch nach der nächsten Zigarette. Und hatte gerade rechtzeitig verhindert, ein Wort auszusprechen, dass sie mit Reno nicht in Verbindung bringen konnte. "Elena." Tseng kräuselte nur die Nasenspitze. Musterte sie mit der selben Faszination im Blick, mit welcher er auch einen seit drei Tagen vor sich hin vergammelnden Leichnam examinieren würde. "Tseng." äffte sie seinen Tonfall nach. "Akzeptiere einfach, das wir nicht so perfekt, nicht so abgestumpft wie du sind. Das wir noch so etwas vollkommen banales wie Gefühle besitzen." Sie wusste zu viel. Viel zu viel. Und hätte in diesem Augenblick gerne Veld aus seinem Grab gezerrt. Nur um ihn durch einen Kopfschuss wieder in genau dieses zu befördern. Was hatte der verdammte Scheißkerl sich dabei gedacht, als er sich diesen Jungen ausgesucht hatte? Warum hatte er ihn so zerstört? Die Turk in Elena kannte die Antwort. Die Turk schätzte die Ratio ihres Vorgesetzten, bewunderte seine Effizienz. Aber wieder einmal standen Turk und Frau im direkten Konflikt. Und die Frau zwang sich gerade, nicht ihren Arm um die schmalen Schultern zu schieben, nicht sachte durch schwarze Haare zu streichen. Mitleid. Das letzte was Tseng brauchte. Das letzte, was er verdient hatte. Mochte er sie gerade auch noch so verschreckt ansehen. Mochten seine weit aufgerissenen grauen Augen sie auch noch so sehr an ein panisches Reh erinnern. Tseng war der letzte Mensch auf Gaia, der Mitleid verdient hätte. Dafür war er zu rational. Dafür tötete er zu kaltblütig. Dafür war er zu sehr ein Turk. Velds Version eines perfekten Turks. Sein Prototyp. Das Experiment des Alten war gelungen. Bis in die letzte Haarspitze. Er blies Rauchringe aus. Perfekte Formen. Mögen ... Nur ein Wort. Dessen Bedeutung er aus dem Wörterbuch kannte. Es so in einen Kontext brachte. Ich mag. Du magst. Er/sie/es mag. Elenas lautes, theatralisches Stöhnen unterbrach die Deklination. "Vergiss, was ich gesagt habe. Ignoriere es einfach nur! Nie passiert." Sie stöhnte noch lauter, als er nickte. Ihr antwortete: "Besser ist das." Und dann endlich dazu kam, zu erklären, weshalb sie gerade hier im Stau standen. Was sie erwarten würde. Es war der Hauch von Erleichterung, der ihn streifte, als Elena nickte. Ihm zuhörte, sich auf den Job konzentrierte. Einer dieser ganz alltäglichen Aufträge. Ein kleiner Gangster versuchte, ShinRa um ein paar tausend Gil zu erleichtern. Der Mann glaubte tatsächlich, der Konzern ließe sich mit einigen unscharfen Fotos erpressen. Zu lange, viel zu lange schon, räumten die Turks den Müll auf, den Rufus zurück ließ. Und so brachte Elena auch dieses Mal nur ein müdes Grinsen zustande. "Standardvorgehen?" fragte sie, nachdem Tseng ihr die Situation erläutert hatte. Er lächelte. Sie kontrollierte ihre Pistole. Ihr Ziel hielt sich für intelligenter als andere, die das selbe versuchten und scheiterten. Als Treffpunkt hatte der Erpresser eine hell erleuchtete Bar in der Stadtmitte ausgewählt. Durch die großen Fenster sah man direkt auf das Denkmal in der Mitte des Kreisverkehrs. Dessen Restauration vor zwei Jahren abgeschlossen worden war. Nichts erinnerte mehr daran, dass an diesem Ort Bahamut Sin gewütet hatte. Tseng parkte sein Auto, griff in das Handschubfach und holte ein Bündel Gil heraus. Notfall-Reserve für genau solche Jobs. Das Jahresgehalt einer Thekenaushilfe. "Haben wir noch Zeit für einen Kaffee?" Elenas Blick streifte suchend über den Platz, dann über die Dächer der Gebäude. Gewohnheit, Paranoia. "Sicher." Tseng war ausgestiegen, hatte ihr die Autotür aufgehalten. Vertraute Gesten, lang vermisste Dialoge. Die Frage nach dem Kaffee stellte sie jedes Mal. Immer antwortete er ihr mit: "Sicher." und würde sie auf genau diesen Kaffee nach Abschluss der Mission einladen. Tatsächlich, man konnte sie für ein Paar halten, dass nach Büroschluss den Abend in der Bar ausklingen lassen wollte. Und nur wenige Köpfe hoben sich, als sie den warmen Raum betraten. Genauso schnell senkten sich die Blicke aber auch wieder. Noch gab es Menschen in Edge die sich daran erinnerten, wer diese Anzug-Träger waren. Wussten, dass man ihre Aufmerksamkeit nicht zu lange auf sich ziehen sollte. Das Klimpern von Gläsern, leise Unterhaltungen, dezente Jazz-Musik im Hintergrund - diese Bar war ein Ort an dem man sich wohl fühlen konnte. Tseng sah sich um, dirigierte Elena zu einem freien Tisch nahe am Fenster. "Wir stehen im Stau und der Scheißkerl ist zu spät." murmelte er leise, ein Hauch von Unglauben in der Stimme. Welcher Elena lächeln ließ. Sie traute es Tseng zu, ihrem Ziel eine Lektion über Pünktlichkeit zu erteilen. Bevor er es beseitigte. Eine junge Kellnerin, ein hübsches Mädchen mit Sommersprossen und großen verträumten Augen, kam an ihren Tisch, fragte was sie haben wollten. "Zwei Kaffee. Schwarz." bestellte Tseng knapp. Er musste Elenas Entscheidung nicht abwarten, es war die übliche Wahl der Getränke. Als die dampfenden Tassen vor ihnen standen, die Schachtel Zigaretten zwischen ihnen lagen, deutete er auf den Ring an ihrem Finger. "Er hat dich gefragt?" Natürlich war es Tseng aufgefallen. Details entgingen ihm selten. Elena lachte leise. "Gefragt ist eine unglückliche Formulierung. Es ist Rude. Aber ja, er hat beschlossen, dass wir jetzt heiraten können. Nach ... lass mich rechnen..." "Sechs Jahren." Tseng sog an seiner Zigarette. Und die Hand, welche sie hielt, verdeckte das feine Grinsen um seine Lippen. "Glückwunsch." Unter dem Tisch trat Elena ihm gegen das Bein. "Ich würde dich ja fragen, ob du mein Trauzeuge sein willst. Aber da Rude schon Reno einplant, und wir noch eine Frau brauchen, fällst du wohl aus. Außer du lässt die Haare offen und schlüpfst in ein Kleid." Der prüfende Blick verriet, dass sie genau diese Option gerade ernsthaft in Betracht zog. "Für die Warnung 'Denk nicht einmal daran' ist es wohl zu spät." Es tat gut, ihn so lächeln zu sehen. Es tat gut, kurz vergessen zu können, was in dieser Nacht passiert war. Einfach nur den Kaffee gemeinsam trinken. So tun, als ob es ein ganz gewöhnlicher Abend wäre. Etwas das sie viel zu lange nicht mehr gemeinsam getan hatten. "Du im Kleid? Meine Fantasien gehen schon wieder mit mir durch." "Erst das Auto, jetzt offenbarst du auch noch einen Fetish für Cross-Dressing? Elena, du machst mir Angst." Das Lächeln war selbst in seiner Stimme zu hören. "Tseng, wegen dir gehen nicht nur meine Fantasien in ganz dreckige Abgründe. Ich will nicht wissen, wie viele Männer und Frauen das 'Mitarbeiter des Jahrhundert'-Bild als Wichsvorlage benutzen." Sie biss sich auf die Zunge, wollte die Zeit fünf Sekunden zurück drehen, doch es war herausgerutscht. Gesagt worden. Und sofort verloren seine Augen wieder das warme Funkeln. Wurden kalt. "Ach komm schon. Sehe es endlich ein." versuchte sie die Situation zu retten. "Du gehörst mit zum heißesten was ShinRa zu bieten hat. Das weiß auch Reno." "Warum" Tseng griff nach der nächsten Zigarette, "bringst du das Gespräch immer wieder auf Reno?" Elena zuckte zusammen, fühlte sich in diesem Augenblick so, als ob ihr eine Ohrfeige verpasst worden wäre. Tseng war Turk. Ausgebildet in allen Methoden des Verhörs, der Gesprächstaktik. Genau wie sie. Und er erkannte den Versuch, ein Thema einzuleiten. "Weil ich mich vorhin mit ihm unterhalten habe. Er macht sich Sorgen, Tseng. Um dich." Sie sah auf die Zigarettenschachtel. Seufzte und zog sich auch eine heraus. "Um die ganze Situation. Die ziemlich bescheiden ist." "Die wir nicht hier diskutieren müssen." unterband Tseng jede weitere Unterhaltung. Noch wusste die Öffentlichkeit nicht dass Rufus im Krankenhaus lag. Und es sollte auch so lange wie möglich dabei bleiben. Elena nippte an ihrem Kaffee, verfluchte sich selbst. Die unbefangene Stimmung war wieder gekippt. Sie brüteten beide. Bis Tseng mit einem Nicken zur Tür deutete. Elenas Blick richtete sich unauffällig auf den jungen Mann, der gerade eingetreten war. Eigentlich noch ein halbes Kind. Die schäbige, abgetragene Kleidung schlabberte um einen zu dürren Körper, die Augen huschten unruhig von einer Ecke des Raums zur anderen. Blieben dann auf den Turks hängen. Vorsichtig nährte er sich ihrem Tisch, die Hand fest um einen Umschlag geschlossen. "Ich ... ich habe hier etwas für sie." stotterte er. Tseng griff in die Tasche seines Jacketts, legte die flache Hand dann auf die Tischplatte. Der Junge zuckte bei der Bewegung zusammen, verfolgte jede spärliche Bewegung ängstlich. "Zeige her." Während Tseng sprach, hob er leicht die Hand an, ließ den Jungen die darunter verborgenen Gil-Scheine sehen. Elena beobachtete sie beide. Verkniff sich ein Grinsen als der Junge seine Finger nach dem Geld ausstreckte. Tseng griff zu, bevor er eine Chance hatte, zurück zu weichen. "Den Umschlag gibst du jetzt meiner Partnerin." flüsterte der Turk so leise, dass ihn nur der Junge hören konnte. "Oder ich breche dir zuerst den kleinen Finger." Er musste seine Drohung nicht in die Tat umsetzen. Es reichte sein fester Griff, die kühle Stimme. Zitternd wurde Elena der braune Papierumschlag gereicht. Sie zog die Fotos heraus, sah sie durch. Legte sie auf den Tisch. Mit der bedruckten Seite nach unten. Schob sie langsam Tseng zu, griff nach einer Zigarette. Auch ihre Hand zitterte. Tseng nahm eines der Fotos auf. Begutachtete es. Legte es wieder hin. "Nimm das Geld und verschwinde." zischte er dem Jungen zu. Der sein scheinbares Glück kaum fassen konnte. "Verschwinde." musste Tseng noch einmal wiederholen. Dieses Mal eindringlicher. Und jetzt verstand der Junge. Drehte sich um und stürmte aus der Bar. Ohne sich umzusehen. Die beiden Turks standen auf. Tseng legte viel zu viel Geld für zwei nicht ganz ausgetrunkene Tassen Kaffee auf den Tisch. Jacketts wurden glatt gestrichen, Krawatten zurecht gerückt. Elena nahm die Fotos an sich. Was als Routine-Job begonnen hatte, war eben gerade mehr geworden. Sie hatten sich in der Bar nicht absprechen müssen. Nicht nach dem sie beide die Fotos gesehen hatten. "Fluche noch einmal über den Schnee." murmelte Elena als sie vor der Tür standen. Sie schlug ihren Kragen hoch, studierte dann die Fußspuren, die sich über den Bürgersteig zogen. Leicht zu identifizieren im grauen Matsch. "Ich sage ja nichts mehr." Tseng zuckte mit seinen Schultern. Deutete dann mit der rechten Hand in eine Gasse. "Er ist dahin verschwunden." Sie hatten den Jungen laufen lassen, weil er nur ein Rädchen im Getriebe war. Vermutlich sogar nur ein Bote. Jemand wie diese kleine Straßenratte kam nicht an solche Fotos. Kurz sah Elena zu Tseng. Versuchte eine Emotion in seiner Mimik zu finden. Nichts war in seinem Gesicht zu lesen. Es war ausdruckslos. Professionell. Bestätigte alles was man sich über den Turk erzählte. Er war ein kaltschnäuziger Bastard. Jeder andere wäre spätestens jetzt ausgeflippt. Auch Elena musste die Galle zurück drängen, die ihre Kehle hinauf stieg. Tseng tippte nur eine SMS an Reno: 'Dauert länger. Statusbericht jede Stunde.' Dabei zitterten nicht einmal seine Finger. Für die Dauer eines Augenblinzelns fragte Elena sich, ob er überhaupt verstanden hatte, was auf den Fotos zu sehen war. Dann korrigierte sie ihren eigenen Gedanken. Es war Tseng. Ein Pantoffeltierchen in allen emotionalen Belangen. Ein genialer Bastard in allen anderen. Er konnte einordnen, was ihm vorgelegt worden war. Verdrängte nur gerade den Bezug zu seiner Person. Diese Erkenntnis ließ die Galle endgültig Elenas Kehle herauf steigen. Sie hatte viel gesehen als Turk. Viel erlebt. Drei Fast-Weltuntergänge überstanden. Folter ausgehalten. Menschen in den Tod geschickt. Weil es ihr Job war. Weil sie ihren Job liebte. Mit einer Hand stützte sie sich an der Wand ab, während sie den gerade getrunkenen Kaffee von sich gab. Was sie bisher nicht gesehen hatte, war wie weit Liebe und Hass einen Freund bringen konnten. Den Beweis dafür hielt sie in ihrer anderen Hand, in einem fleckigen Umschlag. Vier Fotos. Vier Bilder auf denen Rufus zu sehen war. Oder etwas, von dem sie glaubte, dass es Rufus war. Verträumt lächelnd. Kindlich. Mit einem Messer in der Hand. Rufus, der das Messer an die Kehle eines Jungen presste, während er mit ihm schlief. Die andere Hand fest in schwarze, lange Haare gekrallt. Rufus, der hinter diesem Jungen kniete. Ihm die Kehle durch schnitt. Dem Jungen die Augen aus stach. Lächelte. Ein wutainesischer Junge. Unterernährt, zierlich gebaut. "Hast du es jetzt?" Der Schatten eines unterernährten, zierlichen Wutainesen neben ihr. "Wir müssen uns beeilen. Sonst finden wir ihn nicht mehr." Eine Hand, in einem schwarzen fingerlosen Handschuh, die ihr ein Kaugummi entgegen hielt. "Ja...", Elena wischte sich über den Mund, nahm das Kaugummi an. "Alles klar bei mir." Die hohe Kunst des Lügens hatte jeder Turk perfektioniert. "Da lang." Tseng deutete ein zweites Mal in die Gasse. Elenas Ausbruch hatte kostbare Zeit verschwendet, welche sie aufholen mussten. Ein Ausbruch, den er nicht nach vollziehen konnte. Es war nicht das erste Mal, dass sie Rufus Exzesse vertuschen mussten. Würde der Präsident nicht im Koma liegen, wäre der nächste Gang Tsengs nach diesem Job direkt in sein Büro. Mit den Fotos in der Hand. Bilder, die er ihm auf den Schreibtisch knallen würde. Ihn für seine Dummheit zur Rede stellen. Mach was du willst, aber lass dich nie erwischen - Veld hatte diese Maxime auch Rufus eingeprügelt. Die leise Stimme, die tief in Tsengs Innerem flüsterte: 'Er hat nicht irgendjemanden umgebracht. Er hat dich getötet!' konnte noch ignoriert werden. Würde solange ausgeblendet, bis für ShinRa keine Gefahr mehr bestand. Für Rufus. Der Turk löste sich von seiner Partnerin, begann zu rennen. Seine Schritte führten ihn in die Gasse, sein Blick heftete sich auf die Spuren im Schnee. Auch der Junge war gerannt. Aber es war nur eine kleine Straßenratte. Deren Überlebensinstinkt Tseng niemals unterschätzen würde. Doch keine noch so räudige Straßenratte konnte es mit einem ausgebildeten Turk aufnehmen. Er wusste es aus eigener Erfahrung. Elenas Schritte waren dicht hinter ihm zu hören, als er tiefer in den Teil von Edge vordrang, der offiziell nicht mehr existierte. In Tuestis schöner neuen Welt gab es keinen Platz für Ghettos und Slums. Waren alle Menschen gleich. Diejenigen, die gleicher als andere waren, wohnten am Stadtrand. In den grauen Betonblöcken, die wenigstens etwas Blick ins Grüne boten. Und waren es nur die drei verkrüppelten Bäume im Innenhof. Hier in den Hintergassen, abseits der Hauptstraßen fanden sich jene Menschen, die es auch in der neuen Weltordnung nicht geschafft hatten. Oder es nicht schaffen wollten. Die sich der WRO entzogen, ShinRa offiziell mieden. Tseng kannte diese Welt. Besser als es ein Angestellter der Cooperation vielleicht sollte. Direkt nach Meteor, zu der Zeit als Edge noch im Entstehen war, hatte er begonnen hier seine Kontakte zu knüpfen. Hatte gelernt, das seine Herkunft nicht nur ein Nachteil war. Es waren die Kontakte, die weder Tuesti noch Rufus etwas angingen. Kontakte, die ihn darüber informierten wo und wann Rufus wieder Drogen geholt hatte. Die es ihm ermöglichten, dafür Sorge zu tragen, dass der Präsident nur das Beste erhielt, was es auf den Straßen zu kaufen gab. Kontakte, die es ihm ermöglichten Skandale direkt im Keim zu ersticken. Skandale, die Rufus in seiner kindlich, unbekümmerten Art los getreten hätte. Vielleicht war es die bittere Ironie der Geschichte, das er gerade im letzten Jahr eine wesentlich freiere Hand in diesen Belangen gehabt hatte. In dem Jahr, in welchem sich Rufus von ihm distanziert hatte. Das Jahr, in welchem Tseng wieder auf die Straße zurück gekehrt war. Jene Jobs erledigte, die man damals den Junior-Turks in die Hand gedrückt hatte, damit sie sich beweisen konnten. Es gab nur keine Junior- und Senior-Turks mehr. Reno und er hatten den beiden anderen den Dreck abgenommen. Das getan, was getan werden musste. Und es war die Erfahrung aus diesem Jahr, die Tseng nun leitete. Er bekam was er wollte. Fast immer. Jetzt war sein Ziel der Junge, der ihnen die Fotos gebracht hatte. Grauer Schneematsch bedeckte grauen Asphalt. Aus den Kanalisationsschächten quoll stinkender Dampf. Das Surren einer demolierten Leuchtreklame wurde von den eng stehenden Gebäuden reflektiert. Details. Tseng stoppte, den Blick immer noch auf den Boden gerichtet. Auf die Spuren, welche die Turnschuhe des Jungen im Matsch hinterlassen hatten. Elena rannte fast in ihn herein. Seine Hand glitt unter das Jackett, zog die Waffe heraus. "Er ist da rein." Tsengs Kopf hob sich, die Augen fixiert auf eine Tür, die rostig in ihren Angeln hing. Die immer wieder quietschend gegen den Rahmen schlug. Elena seufzte leise. "Nicht gut." Sie standen vor einem Haus, das einmal Teil von Reeve Tuestis großartigen Plänen gewesen war. Als er noch glaubte, dass alle die selben Chancen nutzen würden. Jetzt, nur 7 Jahre später, war der Bau verfallen. Die Fensterscheiben eingeschlagen. Der ideale Unterschlupf für jeden, der sich vor dem Rest der Welt verkriechen wollte. Eine simple Handbewegung. Tsengs Order, dass Elena sich in seinem Rücken halten sollte, ihm Deckung zu geben hatte. Sie hielt sich an diesen Befehl. Sie waren Partner. Aufeinander eingespielt. Tseng schob sich langsam durch den schmalen Türspalt, wartete bis seine Augen sich an das dämmerige Licht angepasst hatten, er in der Dunkelheit Schemen ausmachen konnte. Ein Schatten huschte vor ihnen davon. Glas splitterte. Der Turk selbst bewegte sich wie ein Schatten durch den Hausflur. Nicht gehetzt. In tödlicher Präzision. Elena folgte ihm langsamer, sah auf den Boden. Bemerkte die fallen gelassene Glaspfeife. Ihr Partner hatte keine Schwierigkeiten den Junkie zu fassen. Nicht der Junge den sie suchten. Tseng redete kurz auf ihn ein. Dann knackte ein Nacken. Ein lebloser Körper sackte auf den dreckigen Fußboden. Es würde keine Zeugen dafür geben, dass sie heute Nacht hier gewesen waren. Und wen interessierte schon der Tod eines Drogensüchtigen. Wenn nicht Rufus Shinra dieser Tote war. Vor Elena bewegte der Wutainese sich lautlos auf die Treppe zu. Beinahe hätte sie vergessen, wie gut er in so etwas war. Früher, in einer ganz anderen Zeit, war er der einzige gewesen, den Veld alleine los schickte. Dann wenn es keine Zeugen geben durfte, keine Überlebenden. Aus dieser Zeit stammte auch die Sonderklausel in Tsengs Vertrag. Das Recht überall hin zu gehen, wann und wie er wollte. Ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. So versunken in ihre Gedanken verlor sie ihn jetzt fast aus den Augen. Musste sich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten. Sie schreckte zusammen, als ein Fauchen zu hören war, hätte fast die davon springende Katze erschossen. Tseng ignorierte das Tier, blieb vor einer geschlossenen Tür stehen. Lauschte. Hielt vier Finger hoch, als er das Gewirr aus Stimmen hinter dem billigen Plastik sortieren konnte. Ein Mädchen, drei Jungen. "Boah, das rockt! Wir können echt 1000 Gil behalten?" rief das Mädchen lachend. "Weißte, wie lange wir damit durchkommen?" Ihre Frage würde nie beantwortet werden. Tseng trat die Tür auf, eine Patrone aus seiner Pistole traf sie direkt zwischen die Augen. Die zweite Patrone tötete einen Jungen, der nicht älter als Zwölf sein konnte. Elenas Schuss durchschlug den Schädel des dritten Jungen. Und mitten in dem Massaker, bespritzt mit Blut, das Geld noch in der Hand, stand der Überbringer der Fotos. Fassungslos den Blick auf die beiden Turks gerichtet. Tseng betrat den kleinen Raum, in dessen stickiger Luft sich langsam der Geruch des Todes ausbreitete. "Wer hat dir die Fotos gegeben?" fragte er in Stille, die nur durch das hektische Atmen des Jungen unterbrochen wurde. "Ich ... was ..." Der Junge sackte auf die Knie. "Ihr habt sie getötet!" schrie er plötzlich. "Sie haben euch doch gar nichts getan!" Nur drei Schritte und Tseng war bei ihm. Die Hand des Turks schnellte vor. Das Geschrei verstummte. Jetzt sah der Junge nur mit großen Augen zu ihm auf, hielt sich die aufgeplatzte Unterlippe. "Namen!" forderte Tseng scharf. "Cathy, sie arbeitet für diesen Wutainesen, Han, unten im sechsten Distrikt. Sie..." Noch ein Schuss, dann verstummte der Junge für immer. "Geht doch." murmelte Tseng. Elena, die noch im Türrahmen stand, hob eine Augenbraue. "Soll ich nachsehen, wie viele Junkies hier herum gammeln?" "Ja." Tseng sammelte die fallen gelassenen Geldscheine ein. Hielt sein Feuerzeug an das Papier. Die Blutspritzer hatten es unbrauchbar gemacht. Letzte Ascheflocken fielen auf den Boden, als zwei weitere Schüsse durch das marode Gebäude hallten. Er ging wieder in das Erdgeschoss, ignorierte den dritten, vierten und fünften Schuss. "Alles Sauber!" rief Elena zu ihm herunter, machte sich jetzt keine Mühe mehr leise die Treppen herunter zu laufen. "Du weißt wo wir Cathy finden?" Widerspenstige Haarsträhnen wurden aus dem Gesicht gestrichen. "Hmhm." Er hatte sein PHS zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt, wartete darauf, das Reno das Gespräch an nahm. Suchte nach seinen Zigaretten. Elena nahm den Laut als Zustimmung. Im Krankenhaus, in dem luxuriösen Zimmer, in welchem Rufus immer noch regungslos zwischen Maschinen hing, schreckte der Second in Command auf. Zog das vibrierende Gerät aus der Tasche. "Ja?" "Status bei euch?" Reno kannte diesen Tonfall. Wusste, dass es jetzt der vollkommen falsche Zeitpunkt war nur den Hauch privates in das Gespräch fließen zu lassen. "Unverändert. Nich' tot, nich' lebendig. Bei euch?" "Dauert länger. Vermutlich die ganze Nacht. Wir sind auf den Weg in den sechsten Sektor." Das Klicken eines Feuerzeugs war zu hören, dann Tsengs scharfes Einatmen. "Alles klar. Gebt Updates durch." "Wird gemacht." Ein Klicken. Dann war die Leitung tot. Reno steckte sein PHS wieder in die Tasche. "Heißt wohl, das wir hier die Stellung halten sollen. Alta', ich geh uns ma' Sandwiches aus der Kantine besorgen." Es würde für sie alle eine lange Nacht werden. Kapitel 3: Vendetta ------------------- Vendetta Tseng und Elena taten nur wenige Minuten später das selbe wie Reno: Dafür sorgen, dass etwas in ihren Magen kam. Der Wutainese hatte dem Quengeln seiner Partnerin nach gegeben. Und dem Hinweis darauf, dass ein lautes Magenknurren jedes Anschleichen vereiteln würde. Elena achtete sorgsam darauf, das nichts von ihrer Hamburger-Soße auf den Ledersitz des Autos tropfte, während sie ein kritisches Auge auf den Salat behielt, den Tseng versuchte zu essen. Und dabei jedes einzelne Blatt so skeptisch begutachtete, als ob es ihm gleich an die Kehle springen würde. "Salat hat die Angewohnheit sich nicht gegen seine Schicksal zu wehren, Tseng." schmatzte sie. "Wann hast du eigentlich das letzte Mal was gegessen?" Wieder ein vorsichtiges Heran tasten. Mit der Tür ins Haus fallen, ihn direkt auf das offensichtliche stoßen, war die falsche Taktik. Das hatte sie heute ja schon mehrmals versaut. "Vor 32 Stunden. Einen Schokoriegel." "Tseng, du weißt schon, das der menschliche Körper Nahrung benötigt, um vernünftig agieren zu können?" Sie musste ihm jetzt mit Logik kommen. Die verstand er. Emotionen würde er blocken. "Es gibt Vitamintabletten." Sie widerstand dem Drang ihm den Hamburger ins Gesicht zu drücken. "Vitamintabletten ergänzen, Tseng. Sie ersetzen keine Nahrung. Wie viel wiegst du inzwischen?" "49 Kilo." antwortete er ohne nachzudenken, zu konzentriert auf ein Tomatenstück. Die Turk neben ihm hustete trocken. "Tseng, du wiegst 10 Kilo weniger als ich! Und wir sind beides Gartenzwerge mit unseren nicht mal 1,70m." "Elena, seit wann bist du meine Diät-Beraterin?" Damit war auch dieses Thema für ihn abgehakt. Nur dieses Mal würde sie nicht locker lassen. Sich nicht ab wimmeln lassen. "Seit", sie holte tief Luft, "Ich mich frage, wie Reno und du im Bett noch überhaupt etwas geregelt bekommen, ohne dass du durch brichst." Sie schob sich den letzten Rest Hamburger in den Mund. "Es läuft nichts mehr, oder? Wie lange hast du ihn nicht mehr ran gelassen?" "Elena." Tseng packte den Salat zurück in die Papiertüte, suchte nach seinen Zigaretten und startete den Motor. "Nicht Elena." fauchte sie, nahm ihm die Tüte ab. Wie konnte sie nur so blind gewesen sein? "Tseng, auch wenn ich mich wiederhole: Der Rest des Universums hat tatsächlich das Bedürfnis nach körperlicher Nähe. Danach zu kuscheln, mal Sex miteinander zu haben. Ganz normal. Wie lange?" Tseng zündete sich die Zigarette an, knüllte die leere Packung zusammen und warf sie zu dem halb auf gegessenen Salat in die Tüte. "Sechs Wochen." antwortete er ihr schließlich, als er einsah, dass sie eine Antwort auf die Frage haben wollte. "SECHS WOCHEN?" Seine Partnerin jappste nach Luft. Sechs Wochen in denen sie nicht ansatzweise mitbekommen hatte, das Reno jemand anderem hinter her gestiegen war. Reno, der sonst immer sofort zu ihr gerannt kam, um sich an ihrer Schulter aus zu heulen, überkamen ihn die Triebe. Es war Elena gewesen, die als erste wusste, das irgendetwas zwischen Tseng und ihm lief. Vor der er es direkt zugegeben hatte. Das es nicht nur ein schneller Fick gewesen war. Das ausgerechnet Reno zum Wiederholungstäter wurde. Reno, der an Tseng festhielt. Obwohl sie nicht mehr miteinander schliefen. Und ein weiteres Mal verfluchte Elena das Universum, Rufus, Tseng und Reno. "Süßer." Ihre Stimme wurde zu einem leisen Gurren, vorsichtig streckte sie die Hand aus, um Tseng über die Haare zu streichen. Jahre - es hatte Jahre gedauert, bis sie den Tonfall gefunden hatte, der ihn nicht zurück schrecken ließ. Die Berührung, welche ihn nicht zum Zusammen zucken brachte. "Reno macht sich Sorgen um dich. Und du realisierst es nicht. Genau so wenig wie du merkst, das jemand anderes wegen dir durch dreht." Ihre Hand glitt langsam unter ihr Jackett. Zog den Umschlag heraus. Vorsichtig schüttelte sie die Bilder auf ihren Schoss. "Das hier" sie hielt eines der Fotos hoch, "ist nicht irgendein kleiner Stricher, den Rufus gerade umbringt." Für sie, die in Midgar aufgewachsen war, sahen wutainesische Gesichter sich immer noch viel zu ähnlich. Tseng und diese kleine nervige Göre, die öfters im 7th Heaven anzutreffen war, waren ihre einzigen Referenzen. Aber selbst Elena erkannte die erstaunliche Ähnlichkeit zwischen dem Jungen und Tseng. Nur minimale Abweichungen in der Schärfe der Wangenknochen, ein etwas breiteres Gesicht. "Tseng, Rufus bringt gerade dich um. Sehr ritualisiert. Siehst du es?" Eine Ansammlung zusammenhängender Konsonanten nahm Elena als Zustimmung. "Was in Minervas Namen ist zwischen euch passiert?" "Was soll passiert sein?" Tseng verkroch sich hinter seiner kalten, stoischen Maske. Schob das, was er auf den Fotos sah, weit von sich. "Hast du mit ihm geschlafen?" Elena nahm ihm die Zigarette ab, inhalierte tief den Rauch. "Zwei" er zögerte. "Nein, dreimal." Auf dem Beifahrersitz sackte die Turk in sich zusammen. "Weil du es wolltest?" wisperte sie gegen das Surren des Motors an. "Nein." Tsengs Stimme war so beherrscht wie immer. "Nicht am Anfang." "Was heißt das jetzt?" Elena stand kurz vor der absoluten Verzweiflung. Dem Wutainesen die Informationen zu entlocken, gestalte sich schwieriger als einen verstockten Avalanche-Kämpfer aus zu fragen. "Wer eh... war oben?" Sie hasste es auf diese Klischees zurück greifen zu müssen. "Ich." Tseng nahm ihr wieder die Zigarette ab. "Moment, du wolltest nicht mit ihm vögeln, hast ihn aber flach gelegt?" versuchte Elena das gerade gehörte zu verarbeiten. "Ich lasse mich von keinem Shinra ficken." wurde ihr immer noch ruhig, vollkommen beherrscht geantwortet. Elena rechnete schnell. Die sechs Patronen, die sie im Magazin hatte, sollten reichen, Tseng das Hirn aus dem Schädel zu pusten. "Hast du ihm das gesagt?" fragte sie leise, lauernd. "Mehrmals." "In diesem Tonfall?" Warum? Warum sie? Was für einen Fehler hatte sie in einem anderen Leben begangen. "Vermutlich." "Tseng! Du verdammter Idiot! Wer hat vergessen, dir Taktgefühl ein zu prügeln? Das kannst du doch nicht dem sagen, der dich für den größten Held auf der Welt hält!" Sie sah zur Seite, entdeckte die Tankstelle, an der sie gerade vorbei gefahren waren. "Stopp! Ich brauche Zigaretten." Der schwarze Sportwagen hielt mit quietschenden Reifen, Elena sprang heraus, schlug kräftig die Tür hinter sich zu. Tsengs Augenbraue hob sich, sein Blick blieb auf ihrem Rücken hängen. Es lag vollkommen jenseits seines Erfahrungshorizonts, begreifen zu können, weshalb sie gerade so wütend war. Er hatte ihr nur die Wahrheit gesagt. Die drei Mal die er mit Rufus geschlafen hatte, waren nicht von ihm aus gegangen. Er war jedes Mal in die Ecke getrieben worden, hatte sich gewehrt. Sex mit Rufus war falsch. Fühlte sich wie ein Vertrauensbruch an. Als ob er etwas ausnutzen würde, das ihm viel wichtiger war, als ein kurzer Moment körperlicher Befriedigung. Rufus würde für ihn immer der Junge bleiben, der sich heulend an sein Bein geklammert hatte, der zu ihm unter die Decke gekrochen kam. Der im kindlichen Trotz seine Aufmerksamkeit verlangte. Distanz war nur durch das vorgeschobene Sir entstanden; die erzwungene höfliche, respektvolle Anrede in einer fremden Sprache. Millisekunden Verzögerung im Redefluss; jedes Mal aufs neue die genaue Überlegung was er wie zu sagen hatte, welche Tseng den nötigen Abstand gab. Den ein Turk zum Präsidenten einzuhalten hatte. Durch das Fenster sah er Elena in dem hell erleuchteten Verkaufsraum der Tankstelle gestikulieren. Sie war gereizt, ließ es an dem Verkäufer aus. Tseng war sich nicht sicher, warum. Er griff nach den Fotos, die auf dem Beifahrersitz lagen. Sah sie ein weiteres Mal durch. Rufus Lächeln. Distanziert. Verträumt. Tseng kannte dieses Lächeln nur zu gut. "Tseeeeng!" die brüchige Stimme eines Teenagers. "Wo warst du gestern?" "Nicht da." murmelte Tseng, griff sich ein Handtuch aus dem Umkleide-Schrank. "Das habe ich gemerkt. Ich habe dich gesucht." Rufus blieb an seiner Seite, folgte ihm in den Duschraum. Tseng verdrehte die Augen, begann sich aus seinem Anzug zu schälen. "Ich war arbeiten. Mission." Rufus wurde das Hemd, die Hose und das Jackett in die Hand gedrückt. "Und ehe ich dir noch mehr Rechenschaft abliefern muss - bis vor zehn Minuten war ich auf dem Schießstand und habe trainiert." Der Wutainese drehte das heiße Wasser auf, genoss die Tropfen die auf seine Haut fielen. Sah über die Schulter. Zu Rufus, der immer noch im Duschraum stand. Immer noch seine Kleidung hielt. Und lächelte. Die rechte Hand zitterte. So stark, dass Tseng die Fotos zur Seite legen musste. Der Kopf hob sich, er sah wieder zu Elena. Und zuckte zusammen, als ein stechender Schmerz sich in seinen rechten Arm fraß. Fokus! Mit der linken Hand hatte er sein Messer aus seiner Tasche gezogen. Die Klinge fest über die Haut geführt. Tiefer als sonst. Dicke Tropfen liefen seine Haut herab, verfingen sich zwischen seinen Fingern. Rot. Blut. Wie auf den Fotos. Ein zweiter Schnitt. Noch mehr Schmerzen. Die ihn ablenkten von den Bildern. Die ihn wieder auf das brachten, worauf er sich konzentrieren musste. Ärger von ShinRa fernhalten, einen Skandal vermeiden. "TSENG!" Elenas Stimme drang wie durch Watte zu ihm durch. Er sah, wie sie um das Auto herum lief. Sah, wie sie die Fahrertür auf riss. Sie zerrte ihn aus seinem Wagen, hatte ihn am Kragen seines Jacketts gegriffen. Schüttelte ihn. "DU ABGEFUCKTER HURENSOHN!" Kümmerte sich nicht darum, dass sich Köpfe in ihre Richtung drehten. Menschen ungläubig zu ihnen sahen Ihre Hand fuhr hoch. Hinterließ rote Striemen auf seiner Wange. Er schmeckte Blut in seinem Mund. Blut. Das Würgen kam, er konnte nichts dagegen tun. Bittere Galle, die sich mit dem Blut mischte. Die er hustend von sich gab. Elenas Arme zogen sich um ihn. Ihre Hand strich vorsichtig über seinen Kopf. "Ist in Ordnung Tseng. Es ist in Ordnung, wenn du dich scheiße fühlst." An einem Abend zwei kotzende Turks. Das musste der neue interne Rekord sein. Elena versuchte es sarkastisch zu sehen. Sonst würde sie anfangen zu schreien, zu heulen. "Glotze nicht so!" zischte sie einer jungen Frau entgegen, die an der gegenüberliegenden Zapfsäule stand, ihr Auto betanken wollte. Kleidung, Wagen - alles passte zu einem Mädchen aus den höheren Kreisen. Die Frauen, die sich als potentielle Ms Shinra sahen. In ihren Armen zitterte Tseng. Fragte heiser: "Hast du noch ein Kaugummi?" "Nein, aber ich hole welche. Eine Flasche Wasser und zwei Kaffee zum mitnehmen? Sonst noch irgendwelche Wünsche?" "Kopfschmerztabletten." Sie nickte, ließ ihn los und zerrte den Erste Hilfe-Kasten unter dem Fahrersitz hervor. Eine Bandage wurde Tseng in die linke Hand gedrückt. "Du versaust dir sonst deine Ledersitze." Das Lächeln, nur ein schwacher Schatten um seine Lippen, beruhigte sie etwas. Das gemurmelte: "Danke." das sich nicht nur auf den Verband bezog, ließ auch sie grinsen. Die ungläubigen, irritierten Blicke, mit denen sie bedacht wurde, als sie den Kaffee und die restlichen verlangten Sachen kaufte, konterte sie nur mit: "Noch nie einen Ehekrieg gehabt?", dabei strahlte ein schelmisches Grinsen in ihren braunen Augen. Im Auto kontrollierte sie den Sitz der Bandage. "Idiot." wurde Tseng noch einmal an den Kopf geworfen, ihm dann der Kaffee gegeben. Zu dem er drei Kopfschmerz-Tabletten schluckte. Die Fotos verschwanden im Handschubfach. "Wer ist Cathy?" Elena zündete zwei Zigaretten an. "Sie hat hier als Nutte im Honeybee Inn angefangen." Tseng nahm die Zigarette an, die Elena ihm entgegen hielt. "Don Corneos Tod kam ihr ganz gelegen." "Nicht nur ihr." fauchte Elena leise, und vertrieb Erinnerungen an den fetten Zuhälter und seine kurzen Stummelfinger an ihrem Körper, aus ihrem Kopf. Tseng hob nur eine Augenbraue. Reno war damals dreimal sicher gegangen, dass der Don tatsächlich tot war. Hatte dann seinen Körper persönlich im Inn abgeliefert, mit dem Hinweis, dass so etwas passierte, vergriff man sich an einem Turk. "Cathy nutzte die Gunst der Stunde," fuhr er fort, "zog das Bordell unter ihre Kontrolle." Elena schlürfte ihren Kaffee und nickte. "Ah, langsam dämmert es mir. Ich wusste nur nicht, dass der Name der Mama San Cathy ist." "Wieder was dazu gelernt." Tseng verfolgte den Weg des Rauchs durch sein Auto. "Nach Meteor hat sie sich mit Han und seinen Leuten angelegt. Was eine Nummer zu groß für sie war." Neben ihm lachte Elena leise. "Man sollte sich halt nicht mit den Bastarden aus Wutai anlegen. Das geht meistens schief." Und da war es wieder. Tsengs Grinsen. Leicht süffisant, leicht zynisch. Ein Grinsen, das nur wenige jemals sahen. Das sein wirkliches Alter durchschimmern ließ. "Haben wutainesische Bastarde so an sich, Laney." "Komm von deinem Ego-Trip herunter." Ihr Lachen wurde lauter, befreiter. "Erzähl mir lieber deine Gute-Nacht-Geschichte weiter." "Sie ist schnell erzählt: Han war sich bewusst, welche guten Kontakte Cathy hat. Und anstatt sie verschwinden zu lassen, ließ er sie weiter arbeiten. Nur für sich. Cathy blieb am Leben, Han kontrolliert jetzt die meisten Bordelle in den Sektoren." Elena legte den Kopf schief. Simple Worte, viele Implikationen. Onkel Han war ein wutainesischer Kriegsflüchtling, der schon vor Meteor in Midgar begonnen hatte, seine Tentakeln langsam, behutsam aus zu strecken. Der Tod des Dons hatte die Karten für die Syndikate neu gemischt. Und nach dem die Welt fast am Abgrund stand, Städte wieder aufgebaut werden mussten, war Han einer der Gewinner. Elena wusste, das Tseng Kontakt zu ihm hatte. War sich seit knapp zwei Jahren absolut sicher, als Hans Schläger plötzlich aufgetaucht waren um für Tseng ein Problem mit einigen WRO-Mitarbeitern zu regeln. Nur hatte sie nie nachgefragt, wie weit diese Kontakte gingen. Es war eine andere Welt. Die sie niemals vollständig begreifen könnte, egal wie fließend sie inzwischen Wutai sprach. "Tseng?" Gerade war ein weiteres Puzzelteil an den richtigen Platz gefallen. Sah Elena einen weiteren der vielen Fäden, an denen sie alle hingen. In dem Puppentheater das sich ShinRa Electric Company nannte. "Hat Veld dich auch deswegen ausgesucht? Das war kein gigantischer PR-Coup, sondern hatte absolut praktische Gründe, nicht wahr?" Niemanden, nicht einmal ein Shinra selbst, standen die Türen der Syndikate so weit offen wie Tseng. Rufus konnte mit so vielen Gil-Scheinen in der Hand wedeln, wie er wollte. Ihnen noch so viele Versprechungen machen, ihnen noch so viele Vorteile verschaffen. Sie würden ihm keinen Zutritt gewähren. Er war keiner von ihnen. Aber ShinRa brauchte die Syndikate. Brauchte ihre Tentakeln, die sich bis nach Wutai erstreckten. Brauchte den Einfluss der Leute dort, um das Gebiet befriedet zu halten. Die Menschen in den Dörfern vertrauten viel eher den Männern, als denen von der Company eingesetzten Verwaltern. Männer, die den armen Dorfbewohnern Geld liehen für die nächste Saat, die sich direkt und ohne Umwege ihrer Probleme an nahmen. Schon der alte Präsident hatte das begriffen. Vielleicht hatten es ihm auch seine Berater erklärt. Zu denen auch der damalige Chef der Turks gehörte: Veld. Und sie saß jetzt neben dem aktuellen Leiter des Departments. Einem Wutainesen. Der leise schnaubte. "Es hat gedauert, Laney. Herzlichen Glückwunsch." "Shit." Mehr konnte sie in diesem Moment nicht sagen. Versuchte sich vorzustellen, wie es sich an fühlte zu wissen, dass man nach einem exakten Persönlichkeitsprofil selektiert worden war. Niemals eine Wahl gehabt hatte. Sie hatte sich freiwillig für die Turks entschieden. Weil sie sich beweisen wollte. Ihrer Familie zeigen, dass viel mehr in ihr steckte als das kleine Blondchen, welches immer die zweite Geige spielte. Reno war vor die Entscheidung gestellt worden, entweder auf der Straße Drogen zu verkaufen, sich als Gangschläger durch zu bringen. Oder das selbe weiter zu tun, in einen schicken Anzug gekleidet, mit gesichertem Gehalt. Rude hatte seine Familie versorgen wollen. Nahm dafür in Kauf, dass sie ihn für tot hielten, und jeden Monat einen Scheck im Briefkasten fanden. Was sie gemeinsam hatten, war die Tatsache, dass sie alle irgendwann, irgendwo eine Wahl gehabt hatten. Elenas Gedanken drifteten weiter. Rufus hatte diese Entscheidungsfreiheit auch nie gehabt. Von seiner Geburt an war klar gewesen, dass er der nächste Präsident der Company sein würde. Egal ob sein Persönlichkeitsprofil passte oder nicht. Es wurde halt passend gebogen, geprügelt. Von Veld. Elena schluckte hart. Ein Gedanke führte zum nächsten. "Wenn Rufus stirbt, wer übernimmt den Laden?" Ihre Stimme zitterte. Sie hatte Angst vor der Antwort, obwohl sie ihr bereits bekannt war. Tseng blies einen Rauchring aus. "Seit heute Nachmittag weiß ich, dass ich es bin." "FUCK!" Elena schlug mit der Faust gegen das Armaturenbrett. Fluchte noch lauter, als sie merkte, dass sie auf harten Widerstand gestoßen war. Im Gegensatz zu der anderen Person im Auto hasste sie es, sich selbst zu verletzen. "Dieses Arschloch! Dieser Flachwichser!" "Deshalb muss er ja auch leben." antwortete Tseng ihr ruhig und reichte die gekühlte Wasserflasche herüber. "Nicht Rufus." jaulte Elena, presste das Plastik gegen die schmerzenden Knöchel. "Veld!" Tsengs Nasenspitze kräuselte sich. "Was hat der jetzt damit zu tun?" "Denk doch mal nach. Wenn ich jetzt schon drauf komme, obwohl ich nie viel mit ihm zu tun hatte, alles nur aus deinen spärlichen Informationen und Renos Hang zum Quatschen, wenn er besoffen ist, ableiten kann, müsstest du doch schon viel eher drauf gekommen sein. Veld hat euch in die gegenseitige Abhängigkeit getrieben. Rufus und dich. Rufus vergöttert dich, Tseng. Du bist sein Turk." "War." unterbrach der Wutainese sie trocken. "Shit, anders formuliert: Du bist Rufus Weltmittelpunkt. Alles was er tut, ist eigentlich darauf fixiert es dir recht zu machen. Als Omega Weapon den Tower zerstört hat; Reno und ich ihn da raus gezerrt haben, hat er zuerst nach dir gefragt. Und war solange hysterisch, bis Rude durch rief und das Okay gab, dass ihr beide noch lebt. Rufus war selber am abkratzen." Sie zerrte die nächste Zigarette aus der Schachtel. Jede Idee das Rauchen sein zu lassen, wurde in dieser Nacht Geschichte. "Davor, die Sache mit Sephiroth. Rufus hat den Befehl gegeben, dich wieder zurück zu holen. Und damit gedroht, jeden selbst um zu bringen, der sich diesem Befehl widersetzt." "Rufus?" Die sonst so gefasste Stimme des Turks brach. Elena zog scharf die Luft ein, begreifend wie viel Tseng nicht wusste. "Ja, Rufus! Der Idiot, der sich mit der WRO angelegt hat. Nicht weil ihm ShinRa irgendetwas bedeutet, sondern weil es dein Leben ist. Als das Geostigma bei ihm ausbrach, hat er mich gefragt, was wir tun würden, wenn er sterben sollte. Ich habe ihm die ehrliche Antwort gegeben. Das wir alle die Zyankalikapseln in der Tasche haben. Ab dem Moment hat er angefangen zu kämpfen. Gegen seinen eigenen Tod. Und ich bin mir sicher er hat ihm öfters den Mittelfinger gezeigt, und ihm entgegen gespuckt, dass er das eigene Ableben nicht in seinem Terminkalender unterbringen konnte. Weil es einfach noch nicht passte. Die Situation zu unsicher war. Aber Rufus gibt einen Dreck auf ShinRa. Er wollte die Company nie wirklich haben. Nicht so, wie es in den Medien immer dar gestellt wird. Nicht weil er so machtgeil ist. Sondern weil Du so auf sie fixiert bist." Während sie redete, war auch Elenas Stimme immer brüchiger geworden. "Und das hat Veld, dieser Wichser, hervor gerufen. Und es war doch auch Veld, der euch beide zusammen gesteckt hat?" Langsam, zögernd nickte Tseng. "Ich will gar nicht wissen, was er Rufus gesagt hat. Er wird ihn auf dich eingeschworen haben. Den kleinen Jungen, dem später quasi das Universum gehören würde. So einen Dreck gesagt haben, wie 'Er ist immer für dich da.', 'Er wird dich immer beschützen.' . Den Müll, den man einem kleinen verlorenen Kind sagt, das Halt sucht. Und Veld selbst hat doch immer wieder dafür gesorgt, dass dieser Halt weg bricht. Psychoterror der gehobene Klasse. Davon verstehe ich auch etwas. Ich bin auch Turk. Und nicht nur 'Laney'." "Habe ich auch nie in Frage gestellt." Die Worte, die über Tsengs Lippen kamen waren so sachlich, spröde wie immer. Doch zitterte die Stimme nun immer deutlich hörbarer. Elena zog ihre Beine an, schlang die Arme um die Knie. "Alles logische Konsequenzen. Der gestreckte Mittelfinger aus dem Grab. Auf Kosten zweier Kinder." Frag nicht was du für die Company tun kannst, sondern wie du der Company ans Bein fickst. Einer der zynischen Sprüche, die im Department immer schon die Runde gemacht hatten. Als Turk hatte man ShinRa gegenüber absolut loyal zu sein. Aber man war immer zuerst ein Turk. Dann ein Mitarbeiter ShinRas. Ein Selbstverständnis, das sie absetzte von all den grauen Bürodrohnen. Aber auch von den SOLDIER. Im ganzen komplizierten Geflecht des Konzerns gab es keine andere Abteilung, die so fest aufeinander eingeschworen war. Nicht bloß Kollegen. Man vertraute keinem Kollegen sein Leben an. Einem Partner schon. Und jetzt hatte ein Turk die Company so richtig gefickt. Veld musste sich gerade lachend in seinem Grab drehen. Nicht nur, das ein Wutainese die Geschäfte übernehmen würde. Nein, es war auch noch ein Turk. Velds Turk. Dem keine Wahl gelassen worden war. Sie schob sich die Haare aus dem Gesicht. Ein aussichtsloses Unterfangen. Die Strähnen fielen sofort wieder zurück. "Scheiß Nacht." Tseng nickte wortlos. "Machen wir unseren Job." Ablenkung für sie beide. Kompensation. Zu viele Gedanken, zu viele Erkenntnisse die gerade durch ihre Köpfe spukten. "Wie geht es deiner Hand?" So eine klassische Frage von Tseng. Der sich vor wenigen Minuten noch ein Messer quer über den Unterarm gezogen hatte. "Besser. Ich kann nachher meine Faust ein paar Wichsern so richtig in ihre Ärsche rammen." Elena grinste wieder. "Und die Armatur ist böse." Tseng schmunzelte. "Nicht die Armatur ist böse. Du bist nur dämlich." Er zuckte nicht zusammen, als sie die Arme um seinen Hals schlang. Ihm einen Kuss auf die Wange drückte. Viel mehr musste er sich auf den Straßenverkehr konzentrieren. Und auf eine andere Überlegung. Logische Konsequenzen - Elena hatte es treffend formuliert. Nur in einer Sache lag sie daneben: Veld hob den Mittelfinger nicht aus dem Grab. Die Früchte seiner Arbeit würde er noch ernten können. Starb Rufus. Sie waren gezwungen an einer roten Ampel zu halten. Tseng starrte in den Schnee, der immer dichter fiel. Der erste Schnee seit Jahren. "Dieses Arschloch!" fauchte er plötzlich. Mit so viel Wut in der Stimme, dass Elena zusammen zuckte. "Ein Mal, ein verdammtes Mal wird dieser Scheißkerl seinen Willen nicht bekommen!" Er drehte den Kopf. "Laney," eindringlich musterte er seine Partnerin. "wenn ich noch einmal so einen bescheuerten Gedanken wie Kündigung habe, prügle mir Vernunft in meinen wutainesischen Dickschädel. Ich habe die Schnauze voll. Die Spielregeln haben sich gerade geändert. Jetzt bestimme ich sie!" Etwas hatte sich gerade verändert. Elena wusste nicht genau, was es war. Aber es war wichtig. Essentiell. Vielleicht Tsengs Betonung des kleinen Worts 'ich'. "Ich prügle dich bis Kalm und zurück. Da kannst du dir sicher sein. Und äh ... Tseng? Warum fahren wir gerade zu dir?" "Weil," Tseng sah betreten zur Seite, einen schuldbewussten jungenhaften Ausdruck im Gesicht, "ich überprüfen will, ob meine Wohnung noch steht. Und es auf dem Weg liegt." Elena beschloss, besser nicht nach zu fragen. Sie ahnte den Grund. Tsengs Apartment lag in einem Wohnblock, in dem hauptsächlich Wutainesen lebten. Er war letztes Jahr wieder umgezogen. Noch tiefer in das Viertel. Die Menschen, die hier wohnten verdienten zwar in einem Jahr nicht so viel wie der Turk in einer Woche, doch er fühlte sich hier wohl. Und auch Elena mochte die Gegend. Mochte die vielen Farben. Die seltsamen Gerüche. Die Bewohner hatten die grauen Häuser in ihre Heimat verwandelt. Wäsche hing auf den Balkonen, in den Fluren. Selbst um diese Uhrzeit waren Stimmen zu hören, herrschte Leben. Und zu Elenas Verwunderung lief Tseng nicht zielstrebig zu seiner Wohnung, sondern wand sich an abgestellten Fahrrädern und Wäscheständern vorbei zu einer Tür, die etwas weiter den Gang herab lag. "Deine Wohnung ist da." Elena deutete hinter sich. "Ich weiß. Aber denkst du ich bin so irre und lasse Bastard unbeaufsichtigt?" "Oh." Nur mit Mühe unterdrückte Elena ein Kichern. Ihr Verdacht, weshalb Tseng den Abstecher machte, hatte sich gerade bestätigt. Er klopfte in diesem Augenblick an die Tür. Und es dauerte nur ein paar Sekunden, bis sie sich öffnete. Im Dämmerlicht erkannte Elena eine kleine Frau, die im Türrahmen stand. Klein und verschrumpelt. Ob sie jetzt 60 Jahre alt war, oder schon 120 konnte die Turk nicht bestimmen. Aber Tseng verbeugte sich vor ihr, fragte leise in seiner Muttersprache, ob sie irgendwelchen Ärger gehabt hatte. Der Geruch von Sandelholz und Ingwer wehte zu Elena herüber. Und Tseng beugte sich blitzschnell nach unten als ein kleiner schwarzer Schatten versuchte, aus der Wohnung zu entkommen, zwischen seinen Beinen hindurch zu fliehen. Sofort erklang dramatisches Protestgeschrei. Bastard keifte alles und jeden an, der sich ihm auf mehr als einen Meter nährte. Jeden. War es nicht Tseng. Und als der Kater merkte, dass der Turk ihn zwischen den Ohren kraulte, wandelte sein klägliches Maunzen, dass die Umwelt glauben ließ, er würde gerade abgestochen werden, auch in ein zufriedenes Schnurren. "Ich musste ihn auslagern. Sonst hätte es in meiner Wohnung ein Blutbad gegeben." Elenas Nasenspitze kräuselte sich. "Blutbad?" "Erkläre ich dir gleich." Nach weiteren ausgiebigen Krauleinheiten und der mehrmaligen Entschuldigung für die Umstände wurde der Kater der Frau wieder in die Arme gedrückt. Die anscheinend wusste, wie sie mit dem Tier umzugehen hatte. Elena hörte sie etwas von frischem Lachs gurren, ehe die Tür wieder ins Schloss fiel. "Du verwöhnst ihn gnadenlos. Morgen folgt bestimmt eine lange Entschuldigungsarie, weshalb du ihn abgeschoben hast. Und er kriegt noch mehr frischen Fisch." Mit verschränkten Armen lehnte Elena sich neben Tsengs Wohnungstür. Und kämpfte gegen einen Lachkrampf. "Er hat es sich verdient." brummte Tseng nur leise und schloss die Tür auf. Das es ein Kater war, warf Elena ihm nicht an den Kopf. Ein Kater, den Tseng aus einer Mülltonne gezogen hatte. Den er aufgepäppelt hatte. Ein Kater, der den Chef des Departments absolut in seinen Samtpfoten hatte. Um so verwunderte war sie, als weiteres klägliches Maunzen über den schmalen Wohnungsflur hallte. Ein schmuckloser Flur. Keine Bilder an den Wänden, keine herum liegenden Alltagsgegenstände. Tsengs gesamte Wohnung war in minimalistischen Stil eingerichtet. Er hielt sich nicht damit auf, das Licht ein zu schalten. Ging direkt in die Küche. Während Elena weiter seine Wohnung inspizierte. Schnell aufzuräumen, gut sauber zu halten. Fast klinisch rein. Das einzige was die Sauberkeit störte war ein Jackett, das achtlos über einem Stuhl hing. Ein dreckiges weißes Hemd, das auf dem Sofa lag. Eine benutzte Kaffeetasse auf dem Küchentisch. Dazu eine schnell hin gekritzelte Notiz, die an der Küchentür hing: 'Cloud hat angerufen. Große Scheiße! Hab dir ne nachricht aufn ab gesübbelt. MELD DICH asap!!! Und futter was!' Elena wusste sofort, wer es geschrieben hatte. Und wieder versetzte der vertraute Ton einen Stich. Das Wissen, dass sie es nicht mitbekommen hatte. "Hast du wieder den Müll durch wühlt?" rief sie in die Küche, während sie einen unauffälligen Blick ins Bad warf. Zwei Zahnbürsten, eine Zahnputzcreme lagen auf der Ablage vor dem Spiegel. "Nein, habe ich nicht. Es war Rufus Idee.", Tseng kniete neben einen Pappkarton. "Als ob ich mit Bastard nicht schon genug Ärger hätte." In der spärlichen Beleuchtung, welche von draußen durch das Fenster fiel, sah Elena wie er zwei kleine Katzen aus dem Karton zog. Schwarz und weiß. Sie sachte kraulte, sich versicherte das es ihnen so weit gut ging. "Haben sie schon Namen?" Elena blieb im Türrahmen stehen, verkniff sich ein hingerissenes Seufzen. Tseng legte den Kopf schief. Begutachtete die beiden kleinen Katzen die sich gerade versuchten unter sein Jackett zu verkriechen. "Xìnyì." Er hielt den weißen Kater hoch. Elena lächelte. "Guter Name." Sie verstand inzwischen genug Wutai um zu wissen das 'xìnyì' nicht nur Loyalität, sondern auch Treue hieß. "Und" er überlegte einen Moment. "Zìyóu." Das schwarze Kätzchen maunzte zustimmend. Schien mit der Wahl des Namens einverstanden. "Freiheit?" übersetze Elena ihn zögernd. Tseng lächelte. Ein nichts sagendes wutainesisches Lächeln. Die Katzen waren schnell versorgt. Aus dem Kühlschrank noch zwei viel zu überzuckerte Kaffeegetränke in Dosen heraus geholt. "Wenn du so weit bist, können wir los?" Tseng warf Elena die Dose zu. Die sie auffing. "Ich warte nur auf dich, Boss." Die Arbeit in dieser Nacht hatte gerade erst begonnen. Kapitel 4: Crollo ----------------- Crollo Wieder saßen sie im Auto. In Tsengs innig geliebtem Sportwagen. Den er seit Jahren fuhr. Das einzige Ding zu dem er vielleicht eine Beziehung hatte. Sah man von seinen Katzen ab. Elena hatte er es einmal versucht zu erklären: "Dieses Auto kostet mehr als ein Reisbauer in zehn Jahren verdient. Und ich habe ihn mir von einem Monatsgehalt gekauft. Dieser Wagen gehört mir." Damals hatte sie es nicht verstanden. Inzwischen begriff sie, wie wichtig ihm dieses verdammte Auto war. Das es für ihn viel mehr als nur eine Ansammlung aus Blech bedeutete. Sie schlürften ihren Kaffee aus Dosen, rauchten noch mehr Zigaretten. Während zwischen ihnen zum ersten Mal an diesem Abend friedliche Stille herrschte. Die nach einer Weile von Elena unterbrochen wurde: "Verdammt, ich habe mehr Zeit neben dir in einem Auto verbracht, als mit Rude im Bett." Tsengs Mundwinkel hoben sich zu einem feinen Lächeln. "Beschwert er sich deswegen?" "Nicht direkt." Elena lachte wieder. "Es war nur eine Feststellung." Die seltsamsten Gespräche, auch die besten hatte sie hier in diesem Auto geführt. Gelacht, geweint, geflucht. Alles neben einem Mann, von dem behauptet wurde, er ließe auch noch den Tod ein Formular ausfüllen und überprüfe die Rechtschreibung ehe der Schnitter ihn mitnehmen könne. Wie viele Menschen kannten eigentlich Tseng? Wieder Schweigen. Die Turk merkte, dass ihr Partner grübelte. Worüber konnte sie nur ahnen, denn war keine Emotion in dem schmalen Gesicht zu lesen, nichts in den grauen kalten Augen zu finden. Fotos, Leichen. Es war das wievielte Mal in diesem Jahr, dass sie hinter Rufus her räumen mussten?Schweigen das mit Gil und Drohungen erkauft worden war. Tote wutainesische Jungen. Tseng hatte die Ähnlichkeiten bewusst übersehen. Eine Phase, die vorbei gehen würde. Rufus mochte schwarze Haare, einen bestimmten Typ Mann. Kindliche Prägung. Elena hatte es treffend bestimmt. Es hatte einen Moment, einen Morgen gegeben, an dem Tseng beinahe von sich aus den Fehler begangen hätte, in etwas mit Rufus hinein zu stolpern, das sie beide bereut hätten. An diesem Morgen hatte Rufus ihn gestoppt. Ein Morgen im Krankenhaus, der Tag an dem der damalige Vizepräsident seinem ersten Entzug zu gestimmt hatte. Weil Tseng ihn darum gebeten hatte. Nicht weil der zukünftige Präsident der Company sich das Hirn weg schnupfte. Sondern ein Freund Selbstmord auf Raten beging. Nach einer Nacht, in der Rufus an seiner Seite gekuschelt geschlafen hatte. Wie der kleine Junge, der zu ihm ins Bett gekrochen war. Der sich an seiner Seite vor der scheiß beschissenen Welt versteckt hatte. Am Anfang hatte der blonde Junge Tseng an seine Schwester erinnert. Das selbe Grinsen, das nur schwer verbergen konnte, das etwas ausgefressen worden war. Die selbe unbekümmerte Art, mit der er in Beschlag genommen wurde. Er war ja da, passierte etwas. Darauf hatte seine Schwester sich verlassen. Darauf verließ Rufus sich. Nur seine Schwester hatte er nicht beschützen können. Bittere Ironie, das er sie jahrelang für tot glaubte. Von Soldaten in Wutai ermordet. Bis er sie selbst erschoss. Weil sie ein Job war. Rufus hatte er geschworen, ihn zu beschützen. Für ihn da zu sein. Sein Turk. Die idealistische Vorstellung eines Jungen. Er hatte es wirklich versucht, bis ihn sein Job immer mehr in Beschlag nahm, bis immer deutlicher wurde, das Veld nicht nur irgendeinen Turk persönlich ausbildete, sondern sich um seinen Nachfolger kümmerte. Dass ihn andere im Department dafür hassten, sich fragten weshalb Velds Wahl ausgerechnet auf den Wuzzi gefallen war, erzählte er Rufus nicht. Auch nicht, das es nicht nur bei verbalen Auseinandersetzungen blieb. Für blaue Flecken, gebrochene Knochen fanden sich immer irgendwelche Ausreden. Ein leichtes für einen Turk. Vielleicht weil er Rufus etwas von der kindlichen Naivität erhalten wollte, von den Glauben, dass die scheiß beschissene Welt auch ein paar schöne, nette Dinge beinhaltete. Oder er sich selbst einen Teil dieser Welt erhalten wollte. Einen Rückzugsort, an dem er nicht Turk sein musste. Sondern ein Junge sein konnte. Aber Kinder wurden erwachsen. Es gab andere zu denen Rufus lief. Immer häufiger. Weil Tseng nicht da war, ihn seine eigene Ausbildung so beanspruchte. Bis Rufus überhaupt nicht mehr zu ihm kam. Der kleine blonde Junge erwachsen geworden war. Während Tseng den Wagen in Richtung des Sechsten Sektors lenkte, grübelte er darüber, wo der Schnitt genau eingetreten war. Vielleicht an diesem einen Tag, wo er erschlagen, übermüdet von einer Mission zurück gekommen war. Nur duschen wollte, dann in sein Bett fallen. Und Rufus sich an ihn hängte, ihm von seinem Tag erzählte, davon, dass irgendjemand ihn wieder Mädchen genannt hatte. Über andere belanglose Alltagsdinge sprach. Der Tag an dem Tseng zum ersten Mal der Geduldsfaden gerissen war. Er unter der Dusche die Beherrschung verlor, Rufus anbrüllte, dass er diese Geschichten der nächsten Wand erzählen könnte, die es sicherlich interessanter fand als er. Rufus verschwand. Und Tseng fand ihn nicht, nachdem er geduscht hatte, sich für seine ruppige Art entschuldigen wollte. Dem Jungen erklären, das er wirklich nur müde war. Am nächsten Morgen, um kurz nach vier rief Veld ihn in sein Büro. Hatte eine weitere Mission für ihn. Tseng bekam nie die Gelegenheit Rufus zu sagen, das er eigentlich doch der bessere Gesprächspartner war, als eine dumme Wand. Nach der Mission, wieder in Velds Büro, wurde ihm eröffnet, dass Rufus jemand anderen gefunden hatte, zu dem er rennen konnte. Einen SOLDIER, der ihm etwas über das Geschenk der Göttin erzählte, der sich um ihn kümmerte. Ihm die Art von Aufmerksamkeit zukommen ließ, die der Junge verdiente. Was Veld dem Wutainesen verschwieg, war die Tatsache, dass er ihn weg geschickt hatte. So wie er Tseng auf die Mission sand. Zwei Jungen, welche Lektionen für ihr Leben lernen mussten. Den kurzen, ätzenden Schmerz verdrängte Tseng sofort wieder. Rufus hatte seine Gründe, es war besser für ihn. Tseng ließ es darauf beruhen. Überlegungen, die sich noch weiter im Kreis gedreht hätten, wäre nicht Cathys Bordell in Sichtweite gerückt. Nach der Zerstörung des Wall Markets hatte sie erst in einem anderen Sektor unter der Platte ihr Geschäft wieder aufgebaut, nach Meteor dann direkt hier, in der Nähe des neuen Bahnhofs. Es war eines der am besten laufenden Bordelle in der ganzen Stadt. Cathy achtete auf die Sauberkeit, darauf dass ein bestimmter höflicher Umgangston herrschte. Und auf Diskretion. Ihre Kunden konnten sich eigentlich sicher sein, das keine Details über ihre Besuche an die Öffentlichkeit drangen. Eigentlich. Mit den Turks existierte seit längerem eine Sondervereinbarung. Informationen waren auch in Edge die wichtigste Währung. Cathy gab dem Department ihre Informationen, dafür sorgten die Turks im Ausgleich dafür, dass sie etwas mehr Freiheiten als andere Bordellbesitzer hatte, nicht so oft Razzien durchgeführt wurden; Polizisten zwei Augen zudrückten, fanden sie Drogen oder minderjährige Prostituierte. Tseng parkte seinen Wagen in einer Seitenstraße, einen Block entfernt. Zu viele der Männer, die das Bordell besuchten, kannten das Auto des Turks. Elena und er stapften durch den bereits grau gewordenen Schnee, die Hände tief in die Taschen ihrer Jacketts vergraben. "Ich hasse dieses Wetter." Tseng sah zum wiederholten Mal in dieser Nacht vorwurfsvoll in den Himmel. Elena hakte sich bei ihm ein. "Schnee gehört zu diesem Tag. Du bist vermutlich der einzige Mensch in ganz Edge, der den Schnee heute Nacht so inbrünstig verabscheut." "Ein willkürlich fest gesetztes Datum, an dem alle zwangsweise nett zueinander sein sollen? Grandioser PR-Gag." Sie knuffte ihn in die Seite. Lächelte. "Keine Diskussion. Die haben wir jedes Jahr aufs Neue." Mit einem Nicken in Richtung des bulligen Türstehers, immer noch bei Tseng eingehakt, betrat sie das Bordell. Sofort wurden die beiden Turks von Wärme umhüllt. Sanfte Musik klang aus geschickt platzierten Lautsprechern. "Ich hasse diesen Laden. Er ist so ... kitschig." flüsterte Elena leise. Sah sich um, in der Hoffnung dass sich seit ihrem letzten Besuch etwas an der Einrichtung verändert hätte. Doch es war der selbe rosa und rote Plüsch, die selben mit weißen Leder bezogenen Sofas. Auf denen sich leicht bekleidete Frauen mit ihren Freiern amüsierten. "Und es sind so viele Klischees." Sie hielt sich an Tseng fest, bemüht das Lächeln auf den Lippen zu halten. "Davon leben Geschäfte wie diese." Ein kurzer beruhigender Druck seines Arms. "Und heute ist doch das Fest der Liebe. Es wird gerade nur in die Tat umgesetzt." Elena verdrehte ihre Augen. "Tseng, du bist unmöglich." Sie warteten immer noch im Eingangsbereich, ihre trainierten Sinne hatten die junge Frau bemerkt, die direkt nach ihrem Auftauchen in den hinteren, kaum ausgeleuchteten Teil des Flurs gehuscht war. "Ah! Welch unerwarteter Besuch!" Cathys Stimme klang zuckersüß über die Musik. "Privater oder geschäftlicher Natur?" Die Frau kam mit einem so breiten, wie falschen Lächeln auf sie zu. Eine knapp 50jährige Dame, die man in ihrer geschmackvollen Kleidung auch auf einer der gerade statt findenden Weihnachtsfeiern der höheren Gesellschaft erwarten könnte. "Geschäftlich." Tseng ließ sich nicht von ihrem Lächeln, ihrem gekonnten Auftritt blenden. Und Cathy ließ die Maske fallen. "Folgt mir." In der Stimme schlagartig Professionalismus. Die Turks wurden in ihr Büro geführt. In dem sich nichts des gerade so kritisch beäugten Kitsches fand. "Setzen Sie sich doch." bot sie ihnen höflich Platz auf zwei bequemen Bürostühlen an. Elena ließ sich auf einen der beiden fallen, Tseng blieb mit hinter dem Rücken verschränkten Händen stehen. Cathy musterte sie beide einen Moment. Zwei Menschen wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten. In das hübsche, Sommersprossen überzogene Gesicht der jungen Frau hatten sich Lachfältchen gegraben. Mädchenhaft versuchte sie immer wieder die Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Eine zierliche Person, auf die Attribute wie 'Niedlich' und 'Süß' zu trafen. Und deren Grinsen einen vergessen lassen konnte, was sie war. Ganz anders ihr Partner. Der einfach nur hier in ihrem Büro stehen musste, sie eindringlich ansehen. Und Cathy zum Zittern brachte. Sie kannte die Geschichten, die man sich über den stillen, jungen Leiter des Departments erzählte. Sie wusste, dass die wenigsten übertrieben waren. "Warum sind Sie hier?" kam sie dann auch direkt auf den Grund des Besuchs zu sprechen, nachdem sie den beiden einen Kaffee angeboten hatte. Der dankend abgelehnt wurde. Elena griff unter ihr Jackett, warf Bilder auf Cathys Schreibtisch. "Deswegen. Unsere Quelle hat uns netter weise gezwitschert, dass Sie etwas damit zu tun haben." Das unschuldige Grinsen lag immer noch auf ihren Lippen. Ihre Stimme war schneidend, eiskalt. Ließ Cathy keinen Zweifel was mit dem Jungen passiert war. Die ältere Frau hob die Fotos nicht auf. Warf nur einen kurzen Blick auf die Szene. Hob dann den Kopf. "Die Ähnlichkeit ist erstaunlich." Ihre grünen Augen fixierten sich auf Tsengs Gesicht. Suchten in ihm den Hinweis auf Betroffenheit, Ekel. Vielleicht auch Angst. Es war sein Boss, der gerade auf bestialische Weise ein Ebenbild von ihm um brachte. Doch der Ausdruck blieb blank, leer. Gab nicht einen Anhaltspunkt auf das was er fühlte. "Wir reden hier nicht über Ähnlichkeiten. Wer hat diese Fotos gemacht?" In dem Moment in welchem Tseng die Frage stellte, erhob Elena sich. Ging zur Tür, drehte den Schlüssel herum. "Das ..." Cathys Augen weiteten sich. "Können wir machen." Tseng lächelte. Liebenswürdig. Nichts sagend. "Also, wer hat diese Fotos gemacht, was hast du damit zu tun?" Sie bemerkte die Veränderung in seiner Stimme. Gerade noch um Freundlichkeit bemüht, jetzt scharf. Das höfliche Sie fiel weg. Cathy tastete mit zitternden Fingern unter der Platte ihres Schreibtisches entlang, suchte den Alarmknopf. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie das Aufblitzen einer Klinge. Dann durch fuhr sie ein scharfer Schmerz im rechten Arm. Elena, die an der Tür stand, säuberte sich mit dem zweiten Wurfmesser die Fingernägel der linken Hand. "Es ist nur der Arm, Cathy. Stell dir vor, wir kratzen dir mit der Klinge Nutte ins Gesicht. Wäre geschäftsschädigend, oder?" "Hurensöhne!" zischte sie den beiden Turks entgegen, wissend, dass Schreien die schlechteste aller Alternativen wäre. "Wer? Ich sehe keinen. Und Tseng wird leicht wütend, wenn man seine Mutter als Hure bezeichnet. Etwas Respekt wäre jetzt angebracht." Der Leiter des Departments begutachtete fasziniert einen Briefbeschwerer, hob ihn prüfend hoch. "Ich frage ein letztes Mal freundlich: Wer hat diese Fotos gemacht? Im Auftrag von wem?" Cathy hatte von Kindesbeinen an gelernt, sich gegen Bastarde durch zu setzen. In dem sie härter und gemeiner wurde, wie die meisten Männer in ihrem Leben. Männer, die aufgrund ihrer Erziehung nicht die Hand gegen eine Frau erhoben. Sie unterschätzten. Diesem Mann, der hier in ihrem Büro stand, war es vollkommen egal. Er kannte keine anerzogene Rücksicht. Und ihm reichte ihr kurzes Zögern, das kurze Überlegen um seiner Frage Nachdruck zu verleihen. Eine Hand die vor schnellte, sich um ihren Arm schloss. Die eigene Hand wurde auf die Schreibtischplatte gepresst. Dann der Briefbeschwerer auf die Finger geschmettert. "Wer?" fragte er, lächelnd. In Cathys Augen stiegen Tränen. Das Hirn begann langsam den Schmerz der gebrochenen Knochen zu verarbeiten. "Sun ... Sun Ho." stammelte sie, versuchte das Bewusstsein zu behalten. Tseng schien den Mann zu kennen, fragte nicht weiter nach ihm. Nur leise kam "Warum?" über seine Lippen. Während er Cathy den Zeigefinger ein zweites Mal brach. "Es ... es sind ... Wuzzies..." Die Tränen ließen das teure Make-Up zerfließen. Das Blut, welches über Cathys Arm floss, durchtränkte den edlen Stoff ihres Kostüms. "Han arrangiert es sicherlich nicht aus Mitleid mit unseren Landsleuten." Tsengs Puls schlug nicht schneller. Jede Bewegung blieb präzise. Ein weiterer Knochen wurde gebrochen. Der Schmerz hielt Cathy bei Bewusstsein. "Nicht ... nicht ... Mitleid. Video ..." keuchte sie. "Was für ein Video?" "Mord... Video vom Mord." Tseng ließ ihre Hand los. "Ho hat auch das Video?" Es kostete Cathy alle Willensanstrengung zu nicken. Ihr Gegenüber zögerte jetzt tatsächlich eine Sekunde. Schien zu überlegen, was er tun sollte. Das letzte was Cathy sah, war wie er unter sein Jackett griff, dann direkt in den Lauf einer Pistole. "Scheiße. Der Anzug ist frisch aus der Reinigung!" Tseng blickte an sich herab, auf die feinen roten Spritzer, die sich in den Stoff saugten. "Laney, finde unauffällig das Mädchen, welches Cathy Bescheid gegeben hat, das wir eingetroffen sind. Sie wird sich über ihre Beförderung freuen." Elena nickte, nahm die Fotos vom Schreibtisch, wischte das Blut von dem Papier. "Tseng, Kopfschüsse verursachen immer so eine Sauerei." tadelte sie ihn, und ignorierte die Leiche, die langsam hinter dem Schreibtisch vom Stuhl auf den Boden sackte. Und tat das, was er ihr aufgetragen hatte. Zwanzig Minuten später waren die Details diskret geklärt. Der gierige Blick in den Augen der jungen Frau bestätigte Tsengs Verdacht, dass sie schon länger auf den Posten aus war. Die Turks ihr die dreckige Arbeit abgenommen hatten. Fressen und Gefressen werden. An dieser Regel würde sich nie etwas ändern. Sun Ho, der in einem dreckigen Apartment im wutainesischen Viertel lebte, ließ sich nicht so schnell zum Reden bringen, wie Cathy. Die Turks hatten seine Wohnungstür leise aufgebrochen. Es gab in dieser Nacht schon zu viele Zeugen ihrer Arbeit. Ho war der erste, der vor ihnen flüchten wollte. Nachdem Tseng mit ihm fertig war, noch mehr Fotoabzüge und eine DVD erhalten hatte, sprach das Blut, welches an seinem Anzug klebte, eine deutliche Sprache von den Ereignissen dieser Nacht. Elena zog es dieses Mal vor, zu schweigen. Ihre Zigarette vor der Tür zu rauchen, während Tseng sich Blut von den Händen und aus dem Gesicht wusch. Ein paar unbedachte Äußerungen gegenüber ShinRa, Rufus und dessen geistiger Verfassung von Seiten Hos hatten das an die Oberfläche gezerrt, was den ganzen Abend unter der viel zu ruhigen, viel zu gefassten Maske lauerte. Es war einer der seltenen Momente gewesen, in denen auch Elena Angst vor Tseng hatte. In welchem selbst sie, so Turk wie er, es vor zog sich in den Hintergrund zu schieben. Bloß nicht in seine Aufmerksamkeit. Ho war nicht einfach so gestorben. Für jede unbedachte Äußerung, jede Verwünschung, jeden Hinweis darauf, was für ein perverser Bastard Rufus doch war, hatte Tseng ihn leiden lassen. Bis der Mann um seinen Tod winselte. Den Turk anflehte, es endlich zu beenden. Tseng hatte ihm nicht den Gefallen getan, hatte ihn in Agonie zu Grunde gehen lassen. Mit Hos Leben gespielt wie eine Katze mit einer Maus. Es war eine Seite an Tseng, die sehr wenige Menschen kannten. Die er so gut wie nie zeigte. Doch genau dieser Wille zur absoluten Gewalt, die Rücksichtslosigkeit hatte Velds Wahl auf genau ihn fallen lassen. Tseng war ein Kämpfer, der sich gegen alles und jeden durchsetzte, sah er für sich den Vorteil. Der sich mit allem was er hatte für jene einsetzte, die seine Loyalität besaßen. Und niemand beleidigte in seiner Nähe Rufus Shinra. Diese Erfahrung hatte Elena schon öfters machen müssen. Dann verlor Tseng seine kühle Zurückhaltung, schlug und trat zu. So fest bis sein Gegenüber mindestens krankenhausreif am Boden lag. Wenn er ihn nicht direkt um brachte. Rude erklärte es ihr an einem Abend, als sie zusammen mit ihm und Reno in einer Bar wieder einmal versackt waren, folgendermaßen: "Für uns ist Rufus ein Teil von ShinRa. Für Tseng ist ShinRa Rufus." Sie hatte eine Weile über diesen Satz nachdenken müssen, war damals noch zu jung und zu naiv gewesen, um ihn in seiner ganzen Konsequenz begreifen zu können. Vollkommen verstanden, hatte sie ihn in jener Nacht, als Sephiroth in den ShinRa-Tower eindrang. Sich den Weg bis zum Büro des Präsidenten frei schlug. Es wäre ihre Pflicht, ihre Verantwortung als Turks gewesen, den Präsidenten zu schützen. Mit ihrem Leben. Es kam kein Befehl, es tun. Tseng sah nur auf den Bildschirm, musterte die Kameraufzeichnungen aus dem Büro. Der große Schreibtisch im Blickwinkel des Objektives, dahinter die füllige Gestalt des alten Shinras, gebeugt über Briefe. Arbeitend, während einige Stockwerke unter ihm Sephiroth schon eine Blutspur hinterließ. Tseng, der sich eine Zigarette anzündete. Ein Bild, das sich unauslöschlich in Elenas Erinnerung gebrannt hatte: Der zierliche Wutainese, der den Rauch tief inhalierte, den Bildschirm ausstellte. Und leise, in Gedanken anscheinend an einem ganz anderen Ort verweilend, murmelte: "Der Präsident ist tot, lange lebe der Präsident. Lass es schmerzhaft werden, Sephiroth." Leise Schritte, welche die Wohnung verließen. Das vorsichtige Schließen der Tür. "Fahren wir ins Büro. Ich will wissen, was auf dem Video ist." Tseng hielt die DVD hoch, auf deren Hülle feine Blutspritzer im dämmrigen Licht des Flurs glänzten. "Will der Turk das wissen, weil es sein Job ist? Oder willst du es wissen, Tseng?" Elena schnippte ihre Zigarette auf den grauen Boden, trat sie aus, und hob den Stummel wieder auf. Keine unnötigen Spuren, die man zurücklassen könnte. Ihr Partner legte den Kopf schief. Sah sie einen Moment nachdenklich an. "Ich glaube" er zögerte für die Dauer eines Augenblinzelns, "beides." Der Schnee fiel inzwischen so dicht, dass sich eine weiße Decke über das Auto gelegt hatte. Sie es frei fegen mussten. Schnee, der Geräusche dämpfte, den Dreck langsam unter sich verschwinden ließ. Als ob in dieser Nacht alles friedlich sein sollte. "Schnee und Weihnachten in Kombination ... wer auch immer diese Idee hatte, ich erschieße ihn." tat Tseng ein weiteres Mal seinem Unmut laut kund. Elena lehnte sich zu ihm, strich ihm eine Haarsträhne hinter das Ohr, die sich aus seinem Zopf gelöst hatte. "Alles wird besser." erklärte sie ihm grinsend. Irgendwann würden sie es vielleicht sogar glauben. Das Büro war menschenleer bis auf eine Putzkraft, die ein letztes Mal in dieser Nacht das Laminat polierte. Das leise Surren der Poliermaschine mischte sich mit dem Brummen der Server, dem Summen des Kühlschranks in der Kaffeeküche. Tseng setzte als erstes einen Kaffee auf. In einer ganz gewöhnlichen, schlichten Kaffeemaschine, für die keine 100-seitige Bedienungsanleitung benötigt wurde. Elena saß an dem kleinen Tisch, der gerade so neben zwei Stühlen noch in den Raum passte. "Wir können auch hoch." schlug sie vor. Oben, in dem Neubau, hätten sie wesentlich mehr Platz, war die Atmosphäre 'familiärer'. "Können wir. Müssen wir aber nicht." Tseng stellte ihr eine Kaffeetasse hin. Lehnte sich selbst gegen die Arbeitsplatte. Eine Haltung, die noch mehr Erinnerung in Elena weckte. Er hatte immer so dar gestanden, gab es eines der spontanen Kaffee-Meetings, musste etwas schnell und inoffiziell besprochen werden. "Ich ziehe es vor, das Video in meinem Büro zu sehen, Laney. Nachdem ich mich geduscht und umgezogen habe." Er streifte das Jackett von den schmalen Schultern, löste die Krawatte. Vor Elenas Augen wurde der Inhalt der Taschen auf den Tisch ausgeleert: Das PHS, Schlüssel, zwei billige Plastikfeuerzeuge, seine Geldbörse, Ausweise und Keycards, dazu eine Halsbandmarke. Darknations Marke. Rufus hatte sie Tseng gegeben, nachdem Cloud das Tier getötet hatte. "Bin schnell duschen." Mit diesen Worten auf den Lippen verschwand Tseng aus der kleinen Kaffeeküche und ließ Elena für eine Weile mit ihren Gedanken alleine. Und mit den Besitztümern auf dem Tisch. Die Turk zögerte nicht lange, griff nach der Geldbörse, sobald sie das Zuschlagen einer anderen Tür hörte. Schwarzes, teures Leder. Schlicht. Wie der meiste Luxus, den Tseng sich gönnte. Er protzte nie mit dem Geld, dass er verdiente. Vermutlich hatte er sich auch dieses Ding nur gekauft, weil es stabil und gut verarbeitet war. Schnell sah sie den Inhalt des schwarzen Lederportmonee durch. Ein paar Geldscheine. Knapp 100 Gil. Nicht viel Bares für einen Mann in Tsengs Position. Eine ShinRa-Kreditkarte. Sein Führerschein. Ein Papier, auf dem Telefonnummern aufgelistet waren. Alles so aufregend wie das Nachtprogramm im Konzerneigenem Fernsehsender. Interessanter war der hastig zusammengefaltete Strafzettel von gestern Morgen. Mal wieder für zu schnelles Fahren. Ausgestellt in der Nähe von Renos Wohnung. Eine Notiz in der schwer entzifferbaren Handschrift seines Stellvertreters: 'Moin Bastard! Hab futter für den doofen Kater besorgt & für dich. Is im Kühlschrank, ruf dich nachher an. Denk dran, heute is dein freier Tag!!!' Und ein Foto, das vor Jahren gemacht wurde. Zwei Jungen zeigte, einer blond und einer mit schwarzen Haaren. Rufus und Tseng. Elena grinste, als sie das Bild betrachtete. Eines von diesen klassischen Urlaubsmotiven an der Costa del Sol. Sonne, Strand. Und Rufus schien Tseng dazu genötigt zu haben, mit auf dem Bild zu sein. Der Wutainese wirkte als wäre er auf der Flucht, zwang sich zu einem Grinsen, während Rufus die Arme um seine Hüfte gezogen hatte. Lachend. Ein kleiner Junge, welcher der Welt verkündete, dass Tseng Seines war. Türenklappern hallte über den Flur. Hastig steckte Elena das Foto zurück, platzierte das Portmonee so, wie es vor wenigen Minuten gelegen hatte. Gerade rechtzeitig, bevor Tseng die Kaffeeküche wieder betrat. In frischer Anzughose und einem sauberen weißen Hemd, das er ausnahmsweise nicht akkurat zugeknöpft trug. Noch hing es offen herab, genau wie die Haare nicht in dem festen Zopf zurück gebunden waren. Nass über seine Schultern fielen. Ließ Tseng sich so gehen, achtete nicht auf sein absolut korrektes Auftreten und Erscheinungsbild, war er wirklich müde und erschöpft. Elena vermied den schrägen Seitenblick auf nackte Haut. Nicht nur auf einen zu dünnen, aber immer noch erstaunlich durch trainierten Körper, sondern auch auf die lange Narbe, die sich blass von Tsengs Unterkörper abhob. Eine Narbe, die sie immer davon abschrecken würde, ihn zu berühren. Sie hatte ihn sterben sehen. Diese Narbe erinnerte sie an diesen schicksalhaften Tag im Tempel des Alten Volks. Erinnerte sie daran, dass auch Turks manchmal etwas katastrophal aus den Händen gleiten konnte. Er trug sie deshalb. Hatte sie aus diesem Grund nicht durch Materia heilen lassen. Als Zeichen der eigenen Sterblichkeit. Dann sah Elena aber doch genauer hin. Die Tätowierung auf seinem linken Rippenbogen, knapp unter dem Brustmuskel war ihr neu. Eine Lotusblume, eine schwarze Katze und ein Fuchs, die sich eng umschlangen. Traditionell Wutainesisch. Zwischen den Tieren eingewoben das ShinRa-Logo. Typisch. Tseng verlor nie viel Worte über Gefühle. Er brachte sie anders zum Ausdruck. Und der Klumpen in Elenas Magen verdichtete sich. Er ignorierte das irritierte Kräuseln ihrer Nasenspitze, knöpfte sich das Hemd zu. Und versuchte dabei das Zittern der rechten Hand unter Kontrolle zu halten. Frischen Kaffee goss er sich mit links in seine Tasse. "Mein Büro." Mit der Tasse in der Hand, hielt er Elena die Tür auf. Sie zog sich vom Stuhl, ging an ihm vorbei und stupste ihn dabei gegen die Rippen. Genau an jene Stelle an welcher sich tätowierte Haut unter weißem Stoff versteckte. "Bastard." flüsterte sie leise. Und hoffte, das er das Brechen in dem Wort nicht bemerkte. In Tsengs Büro packten sie seinen Laptop auf den kleinen Tisch, der vor dem Sofa stand. Ein Sofa, das häufig auch als Bettersatz her halten musste, arbeitete der Leiter des Departments mal wieder zu lange. Die DVD wurde in das Laufwerk geschoben, zwei Zigaretten angezündet. Der PC brauchte eine Weile um die große Datei zu laden. Zuerst wurde nur ein Raum gezeigt. Viel Plüsch, viel Kitsch. Elena schnaubte. "Welcher Kerl steht eigentlich auf so was?" "Ich glaube keiner." Tseng ließ das Video schneller laufen. Die Kamera musste irgendwo in dem Zimmer versteckt sein, die Bildqualität war nicht die beste - körnig und überbelichtet. Er stoppte die Aufnahme erst, als ein junger Mann in einem schwarzen Anzug den Raum betrat. Sie sahen erst nur sein seitliches Profil, grell überzeichnet. Hörten eine Stimme im Hintergrund: "Warte hier, Tseng." "Sheng..." korrigierte der Junge die falsche Aussprache seines Namens. Der Turk knurrte leise. "Typisch, sie kriegen den Unterschied zwischen weichem und hartem S nie hin." Selbstschutz. Distanz. Zwischen sich und diesem Jungen, der in den nächsten Stunden sterben würde. Elena kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum. Versuchte die selbe Distanz zu wahren. Der Junge war nicht Tseng. Auch wenn er ihm viel zu ähnlich sah. Sogar das Bindi auf seiner Stirn war im schummrigen Licht des Raums gut zu erkennen. Über das er sich immer wieder kratzte. Es musste eine frische Tätowierung sein. Dann setzte er sich auf das Bett, wartete. Tseng spulte vor, behielt dabei die Zeitangabe im Auge. Und es war der Turk in ihm, der gewissenhaft die Ereignisse notierte. Mit dem Eintreten eines zweiten Mannes ließ er das Video wieder langsamer laufen. "Auftritt Shinra." wurde auf den Zettel gekritzelt, der neben dem Laptop auf dem Tisch lag. Die rechte Hand des Wutainesen zitterte inzwischen so stark, dass Elena ihnen die nächsten Zigaretten anzündete. "Du brauchst keine Angst zu haben." Rufus kniete sich vor den Jungen. "Mein Wutainesisch ist nicht das Beste, aber ich hoffe du verstehst mich?" "Man hört, von wem er es gelernt hat." Tseng inhalierte den Rauch seiner Zigarette und Elena erinnerte sich daran, wie Yuffie vor einiger Zeit im 7th Heaven ihr, Rude und Reno an den Kopf geworfen hatte, dass jeder Wutainese in Midgar wüsste, das Tseng aus dem Ghetto kam; zu den Menschen gehörte, die im strengen Kastensystem der Insel am unteren Ende der Nahrungskette zu finden waren. "Mir gefällt deine Art zu sprechen viel besser, als dieser hochgestochene Shit, den Yuffie zum Beispiel von sich gibt." Elena schob einen Arm um Tsengs Hüfte, rutschte näher zu ihm. Spürte so, dass nicht nur seine Hand zitterte. Auf dem Bildschirm konnten sie verfolgen wie Rufus den Jungen nach seinem Namen fragte, ihn richtig aussprach. Wissen wollte, ob er Hunger hatte. Fürsorglich, sanft. Ihn dann regelrecht fütterte, mit Essen dass dieser Junge vermutlich noch nie zu sich genommen hatte. Tseng ließ das Video laufen, bat Elena laut zu brüllen, sollte etwas aufregendes passieren und verschwand in die Kaffeeküche. Nach einer gefühlten Ewigkeit - das Video gab sie als 19 Minuten und 43 Sekunden an - kehrte er in sein Büro zurück. In den Händen eine Thermoskanne, eine Flasche Wodka und zwei Gläser. Elena lag schon ein dummer Spruch über Alkoholgenuss während der Arbeitszeit auf der Zunge. Den sie rechtzeitig herunter schluckte. Es passierte ja schließlich nicht jeden Tag, dass man Zeuge der eigenen Ermordung wurde. Es war nicht das erste Glas, das Tseng sich mit der klaren Flüssigkeit füllte. Sie konnte es riechen. Nahm ihm die Flasche ab, und goss auch ihr Glas weit über die Hälfte voll. "Du hast schöne Augen, schöne Haare." Elena musste genau hin hören um Rufus zu verstehen. Der fast so fließend Wutai sprach, wie Tseng. Mit der selben melodischen Betonung in den Worten. Und mit fasziniertem Ekel beobachtete sie, wie sanft der Präsident zu dem Jungen war. "Schöne graue Augen." Worte, die vor einem zärtlichen Kuss folgten. Neben ihr trank Tseng sein Glas in einem Zug aus. Weitere Küsse, dann verschwand Rufus mit dem Jungen im Bad. Das Video wurde vor gespult. Anscheinend war nur in einem Raum eine Kamera versteckt worden. Gewissenhaft notierte der Turk das erneute Eintreten der Beiden. Schrieb in nüchternen Worten, in seiner akkuraten sauberen Handschrift die Zeit auf, den Beginn sexueller Aktivitäten. "Tseng?" Elena wagte es schließlich ihn anzusprechen, als er das dritte Glas füllte. Nur wenige Sekunden versetzt zu dem leise, aber doch deutlich hörbaren Stöhnen Rufus, welches aus den Lautsprechern drang: "Tseng ..." "Hm?" Der Wutainese riss den Blick von dem Bildschirm los, schreckte aus der morbiden Faszination auf, die ihn an die Bilder fesselte. "Ist noch etwas zu essen im Kühlschrank?" eine billige Frage, die Suche nach einer Ausrede, um kurz aus dem Büro zu flüchten. "Weiß ich nicht. Musst du nachsehen." Es war kein Lallen in Tsengs Stimme. Er sprach nur leiser als gewöhnlich um die Heiserkeit, das Beben in ihr zu verbergen. "Gleich wieder da." Elena stand auf, stolperte zur Tür. Der erste Weg führte sie nicht in die Küche, sondern ins Bad. Wo sie Wodka und Kaffee von sich gab. Nachdem sie den Mund mit kaltem, klaren Wasser ausgespült hatte, zerrte sie ihr PHS aus der Tasche. Wählte Renos Nummer. Und wartete. Ungeduldig von einem Fuß auf den anderen tretend. Durch das große Fenster konnte man den fallenden Schnee beobachten. Seit einer halben Stunde tat Reno nichts anderes. Hinter ihm piepsten und surrten Maschinen im immer gleich bleibenden Takt. Ächzte ein Beatmungsgerät. Schnarchte Rude leise auf einem Sessel. So eine Schicht in einem Krankenhaus war die langweiligste, die nervenaufreibendeste. Jeder von ihnen hatte sie schon hinter sich gebracht. Hatte an irgendeinem Bett gestanden. Gewartet. Reno war kein gläubiger Mensch, aber selbst er wurde in solchen Stunden nachdenklich. Was wäre, wenn das Summen plötzlich aussetzte? Die Linien auf den Monitoren nur noch flach blieben? Sein Leben würde sich ändern. Radikal. Und er bezweifelte, dass es eine Änderung sein würde, die ihm gefiel. Das letzte Jahr war schon anstrengend genug gewesen. Hatte psychische Ressourcen gefressen, die er kaum aufbringen konnte. Nicht nur der Job, der plötzlich zum größten Teil nur von zwei Leuten ausgeführt wurde, zerrte an ihm. Reno machte dafür weder Elena noch Rude einen Vorwurf. Sie hatten sich allen Luxus auf dieser Welt verdient. Und auch die Illusion des Friedens, der sie in Rufus Nähe einlullte, gönnte er seinen beiden besten Freunden. Was er ihnen verübelte, war die Ignoranz gegenüber dem langsamen Verfall Tsengs. Sicher - der Wuzzi, der in einem anderen Leben bestimmt etliche Herzen als Schauspieler gebrochen hätte, konnte es verstecken. Überspielen. Etwas, das Veld ihm ebenfalls beigebracht hatte: Die Umwelt täuschen. So gekonnt, dass auch Reno es erst übersah. In dem ganzen Stress fiel ihm nicht auf, dass Tseng kaum noch etwas aß. Und Freunde des romantischen Candlelight-Dinners waren sie eh nie gewesen. Doch dann kamen die Schnitte und Kratzer. Zuerst wie zufällig über die Unterarme. Nicht tief. Dann die Bisse in die Unterlippe. Die Reno deutlich fühlte, küssten sie sich. Vernarbtes Gewebe, immer wieder aufgerissen. Schließlich tiefere Einschnitte auf der Innenseite der Oberschenkel. So geschickt versteckt, dass niemand sie sehen konnte. Niemand außer Reno. Schnitte, die sich Tseng zu bewusst zu fügte. Die sich mit keiner Allergie entschuldigen ließen, wie die Kratzer zuvor. Und dann fand Reno durch Zufall das Speed. Auf der Suche nach Kopfschmerz-Tabletten in Tsengs Badezimmer. Aufputschmittel, die Tseng nach 48 Stunden schnupfte, nach 72 Stunden, die er durchgearbeitet hatte. Schlaf war längst ein Fremdwort für ihn geworden. Und wenn er sich doch ein paar Stunden ausruhte, war es entweder auf dem Sofa in seinem Büro oder nach einem langen, kräftezehrenden Fick mit Reno. Warum er es sich antat, wusste Reno selbst nicht genau. Früher hätte er so jemand komplizierten wie Tseng spätestens zu diesem Zeitpunkt fallen gelassen. Nein, wenn er ehrlich zu sich war, viel früher. In dem Moment in welchem sich die ersten Probleme auch nur dezent am Horizont abzeichneten. Hätte über die Schulter gewunken und mit einem Lächeln um die Lippen zurück gerufen, dass er viel Spaß im weiteren Leben wünschte. Das ja nicht mehr lange dauern könnte. Tseng konnte er nicht fallen lassen. Erst versuchte er sich einzureden, dass es sein Boss war. Ein Mann, der die Definition von 'Perfekt' in seinem persönlichem Wörterbuch geprägt hatte. Aber man nahm seinen Boss nicht in den Arm, schob sich nicht neben ihn auf das Sofa, um ihn beruhigend den Nacken zu kraulen. Ein kurzes, lauter werdendes Surren brachte Reno dazu, den Blick von dem fallenden Schnee zu lösen. Prüfend zu Rufus zu sehen. Nichts, was sich geändert hätte. Der Präsident der Company lag immer noch regungslos auf dem Bett. Die Geräte arbeiteten. "Ich hab' ihn dir nich' weg genommen." flüsterte Reno. "Ich weiß ja nich' ma' ob ich ihn hab'." Auf dem Sessel murmelte Rude irgendetwas im Schlaf, suchte sich eine bequemere Position. Reno sah zu ihm, grinste schief. Sein Partner, sein bester Kumpel, erinnerte ihn wieder einmal an einen viel zu groß geratenen Jungen. 'Genau das richtige für Laney.' schoss es dem Turk durch den Kopf. Und Elena war das richtige für ihn. Die perfekte Ergänzung, redete sie doch meistens für zwei. Die beiden hatten sich. Der Ring um Rudes Finger war nur die letzte Bestätigung. "Scheiß Abend. 'nen dämlicheres Timing hätteste dir auch nich' aussuchen können, oder?" Die Frage war an den Präsidenten gerichtet. Der schwieg. Still auf dem Bett lag. Genauso weiß im Gesicht war, wie der Schnee, der draußen still fiel. "So ein beschissenes Timing!" Renos Hand fuhr unter sein Jackett, die Finger schlossen sich um die Zigarettenschachtel. Er brauchte jetzt dringend Nikotin. Und nur mit wenigen Schritten durchquerte er den Raum, trat vor die Tür. Der Flur war immer noch der selbe. Eine Komposition in grau. Nur huschten inzwischen mehr Ärzte durch die Gänge. War deutlich mehr Personal anwesend. Was ein berühmter Patient nicht alles bewirken konnte? Genau wie Tseng ein paar Stunden zuvor, ignorierte auch Reno das 'Rauchen Verboten!' Schild, zündete sich seine Zigarette an, und inhalierte gierig das Nikotin. Seltsamerweise hinderte ihn niemand am Rauchen. Stattdessen machten die Ärzte und Schwestern einen weiten Bogen um ihn. Tuschelten leise miteinander. Reno machte sich nicht die Mühe, sich auf die Bewegungen ihrer Lippen zu konzentrieren. Er konnte sich denken, worüber sie sich ihre Mäuler zerrissen. Und hoffte, dass Tsengs Warnung deutlich genug gewesen war. Sicherheitslücken finden, bedeutete noch mehr Arbeit. Gerade in der Überlegung versunken, wie viele Leute sie erschießen müssten, sollte morgen früh auch nur in einer Zeitung Rufus Aufenthalt im Krankenhaus erwähnt werden, ignorierte er fast das sanfte Vibrieren seines PHS'. Es dauerte länger als üblich, bis er das Summen in seiner Tasche spürte. Das Gerät heraus zog und die Nummer kontrollierte. Für Tsengs Statusbericht war es zu früh. Den letzten hatte er erst vor einer Stunde via SMS erhalten. Um so mehr irritierte es Reno, Elenas Nummer auf dem Display leuchten zu sehen. "Laney, was gibbet?" fragte er und schnippte seine Zigarette in den Übertopf der Yuka-Palme. Elena atmete erleichtert auf, als sie endlich Renos Stimme hörte. Den vertrauten Gossenslang im Ohr hatte. "Scheiße gibt es, Reno! Du musst sofort ins Büro kommen. SOFORT!" Sie lehnte sich gegen die weiß gekachelte Wand des WC-Raums, fuhr sich mit einer Hand durch die blonden Strähnen, die ein weiteres Mal nicht so wollten wie sie. Ihr wieder ins Gesicht fielen, sobald sie die Finger zurück zog. "Wir haben hier ein Video." Sie holte tief Luft. "Nicht irgendein Video. Rufus bringt auf diesem verdammten Video einen Jungen um, der als Tsengs Kopie durchgeht." Sie redete hastig, war kurz davor zu hyperventilieren. "Laney, ganz ruhig." Am anderen Ende der Leitung wurde noch eine Zigarette angezündet. Eine Tür geöffnet. "Ich bin ruhig!" Elenas kratzige Stimme strafte ihre Worte Lügen. "Absolut Ruhig. Reno, ich brauche dich hier!" "Ich bin gleich bei dir." Der Slang war nicht mehr da. Nur ein winziges Detail. Eines, das Elena wieder unbewusst würgen ließ. Durch das Mikrophon des PHS hörte sie, wie Reno an Rudes Schulter rüttelte. Schnarchen. Dann ein unwilliges Fluchen. Reno weckte seinen Partner. Seine leise Stimme, die grummelte: "Dude, halt hier mal nen Auge auf den Scheiß. Laney is' gleich da." Dann kurze Stille. Wieder Renos Stimme: "Frag nich'. Ich muss ins Büro. So schnell wie möglich." Auch Elena würde nicht fragen. Nahm die Dinge, wie sie kamen. Reno würde sich beeilen. So viel war sicher. Alle Verkehrsregeln, jede Ampel ignorierend. Es war Reno. Ein befriedigendes Wissen, das sie für einen Moment in einen warmen Kokon spann. In ein Gefühl aus Sicherheit. Reno, der sich schon um alles bemühen würde. Alles Übel dieser Welt von ihr fern halten. Weil es Reno war. Eine der wenigen Konstanten auf die Elena sich in ihrem Leben verlassen konnte. Reno, der immer da war. Der Ghetto-Junge. Der nie das Wort 'Manieren' buchstabieren könnte. "Laney, was is' mit Tseng?" Die Illusion zerplatzte wie eine Seifenblase. Das Wissen, dass sie ihm im letzten Jahr mehr als einen Arschtritt verpasst hatte, schlug um so härter zu. "Lässt sich mit Wodka voll laufen." zischte sie leise. Hörte ihre eigene Stimme. Die gehässig von den gekachelten Wänden wieder hallte. "Wir tauschen Schichten. Bin in fünf Minuten da." Sie konnte es nicht einmal bestätigen. Reno hatte aufgelegt. Und sie wusste nicht, wem das laute "ARSCHLOCH!" galt, das sie den Fliesen entgegen schrie. Bevor sie sich ein weiteres Mal den Mund mit kaltem Wasser ausspülte, die Finger durch die Haare zog. Den Blazer zurecht zog. Die Krawatte gerade rückte. Sie war Turk. Sie hatte die Beherrschung zu bewahren. Sie musste ruhig bleiben. Egal welchen Scheiß das Universum ihr vor die Füße warf. Sätze, die sie immer und immer wieder herunter betete, als sie das Bad verließ. Ihre Schritte sie unwiederbringlich zurück in Tsengs Büro führten. In das Büro ihres Chefs. In das Büro des Mannes, der immer wusste, was sie zu tun hatten. Ihnen ruhig Anweisungen gab. Der nicht auf seinem Sofa zu sitzen hatte, die Beine angezogen, die Arme um die Knie gezogen. Der nicht auf einen Bildschirm starren sollte. Der nicht auf seiner Unterlippe herum kauen sollte. Dem nicht feine Tropfen Blut über das Kinn fließen sollten, ohne dass er sich dessen bewusst war. Tseng hatte die Kontrolle in seinen Fingern zu behalten. Immer. Alles andere kam einem Verrat an dem gleich, für was sie lebten. Noch mehr Wodka. Auf dem Bildschirm trieb es Rufus mit einem Stricher. Einem Jungen, den er für diese Nacht bezahlte. Ratio. Tseng bemühte sich genau um diesen. Versuchte es nüchtern zu betrachten. Zündete sich noch eine Zigarette an. Drückte sie aus, nachdem er dreimal an ihr gezogen hatte. Ließ zwanzig Sekunden später die nächste aus der Schachtel gleiten. Sah auf seine Notizen. Strich das, was er gerade geschrieben hatte durch. Schrieb es noch einmal. Dieses Mal gerade, auf einer Linie. Ratio. Die Beschreibung dessen was er sah. Objektiv. Worte. Buchstaben. Noch einmal strich er sie durch. Schrieb das selbe auf den Zettel. Sah weiter auf den Bildschirm seines Laptops. Zitterte. Zuckte zusammen als er Schritte hörte. Viel zu laut. Viel zu leise. Elena ließ sich wieder auf das Sofa fallen. Ihr Blick fiel auf das Papier, auf die durchgestrichenen, so perfekt formulierten Sätze. Und vorsichtig hob sie ihre Hand, ließ ihren Zeigefinger über Tsengs Kinn gleiten. "Du blutest." Das Video, das immer noch lief, zeigte Rufus, der Sheng ewige Liebe schwor. Ihm versicherte, das es schon immer so gewesen war. Rufus, der den Jungen fragte, ob er es nicht wisse? Ob er es nicht fühlte? Sie widerstand dem Bedürfnis, dem Drang ein weiteres Mal auf zuspringen, zum Klo zu rennen. Solange bis der Mann neben ihr leise wisperte: "Wir haben den verdammten S-Laut einen Sommer lang geübt. Solange bis er es begriffen hat. Bis er ihn richtig aussprechen konnte." Elena konnte Tseng nicht fragen, was genau er meinte. Worauf er sich bezog. Sie wusste es. Und dieses Wissen ließ sie zum Papierkorb torkeln. Bis ins Bad hätte sie es nicht geschafft. Es war nur noch bittere Galle, die sie von sich gab. "Laney?" Tseng kniete neben ihr, strich ihr mit der flachen Hand über den Rücken, zog sie vorsichtig zurück. Die andere Hand glitt in ihre Haare, hielt sie ihr aus dem Gesicht. "Soll ich dir ein Glas Wasser holen?" "Verpiss dich! Lass mich in Ruhe!" Elena schlug seine Hand zur Seite, schaffte es mühsam auf ihre Beine zu kommen. Das letzte was sie jetzt gebrauchen konnte, war jemand, der sich unter falscher Scheinheiligkeit um sie kümmerte. Reichte es nicht schon, dass sie sich in Tsengs Büro übergeben musste? Jede Würde vor ihrem Chef verlor? Ihr Chef, der zurück zuckte, auf dem Boden kniend und aus großen grauen Augen zu ihr auf sah. Es war dieser Blick, der das letzte bisschen Selbstbeherrschung zusammen fallen ließ. Der Blick, der dazu führte, das Elena in sich zusammen sank. Sie konnte nicht mehr weinen. Obwohl sie es wollte. Konnte nur auf dem verdammten Boden sitzen - helles Paket, Buche, wie der noch rationale Teil ihres Gehirns vermerkte. "Tseng ... ich ... er ..." sie stammelte unzusammenhängende Worte, sah in die grauen Augen. Augen, in denen sie viel zu viel Verstehen entdeckte. Viel zu viel Melancholie. Etwas, dass nicht in diese Augen passte. Sie hatten kalt zu sein. Anteilslos. "Ich habe Reno angerufen." brachte sie schließlich in einem Satz heraus, der Sinn ergab. Und im Hintergrund, auf einem PC-Bildschirm schlitzte Rufus einem Jungen die Kehle auf. Schweigen. Was sollten sie sich schon sagen? Leere Worthülsen an den Kopf werfen, die niemals das ausdrücken könnten, was sie fühlten? Die nicht die Wut, den Hass, den Ekel beschreiben könnten? Den Selbstzweifel. 'Es ist meine Schuld!' Elena las den Gedanken in den grauen Augen. Die ihrem direkten Blick auswichen. 'Meine Schuld.' Tseng, der tötete ohne mit einer Wimper zu zucken, fühlte sich plötzlich verantwortlich für das Leben all der Jungen, die in den letzten Monaten verschwunden waren. Deren Leichen aus dem Fluss gefischt wurden. Und schuldig für das Leben eines jungen Mannes, der ein paar Kilometer von ihnen entfernt durch einen Schlauch atmete. Der weiter atmen musste, nicht sterben durfte. "Ich ... ich hätte bei ihm bleiben sollen." wisperte Tseng gegen die Stille. Gegen das ungläubige Röcheln, gegen letzte Atemzüge, die aus den Lautsprechern drangen. "TSENG!" Elenas Knie waren weich, ihr ganzer Körper widersetzte sich den Impulsen, die von ihrem Hirn ausgingen. Doch schaffte sie es, sich zu bewegen. Sich zu ihm zu schieben, die Arme um den zitternden Körper zu ziehen. Sie wollte schreien, dass es nicht seine Schuld war. Dass das, was Rufus tat, krank war. Besessen. Von einer fixen Idee. Abseits aller Relationen. Aber sie blieb stumm. Wer war sie, dass sie sich ein Urteil erlauben konnte? Ausgerechnet sie, die in dieser Nacht fünf Menschen erschossen hatte. In anderen Nächten noch mehr. Sie hatte das Recht zu Urteilen vor langer Zeit verloren. "Wodka?" Vorsichtig ließ sie den Mann los. Wissend, dass sie die falsche war, die ihm für ein paar Minuten Schutz bieten könnte. Tseng nickte. Fuhr sich mit der Hand durch die immer noch offenen Haare. Für Elena war es Beschäftigung, die Gläser auf zu füllen, dabei den Blick auf den Bildschirm vermeidend. Nicht Rufus zu sehen zu müssen, wie er dem toten Jungen ewige Liebe schwor, ihn sanft in seinen Armen wog. Ihm durch die Haare strich. Die Datei war noch nicht mal zu einem Viertel durch gelaufen. Klare Flüssigkeit spritzte auf den Boden, als sie Tseng das Glas etwas zu kräftig in die Hand drückte. Der Wodka brannte in seiner Kehle, gierig in einem Schluck herab gestürzt. Er machte sich erst gar nicht die Mühe auf zu stehen, rutschte über den Boden zum Tisch. Sah zur leeren Flasche, die neben dem Laptop stand. Mehr Alkohol. Etwas, dass sein Hirn in Watte packen würde. Das die Verbindungen zwischen den Synapsen unterbrach. Ihn für ein paar Stunden von den logischen Schlussfolgerungen befreite, die er sonst immer so schnell zog. "Ich hol uns noch 'nen Wodka." "Tseng, mein Wutai ist wirklich miserabel." Elena war ebenfalls zurück gerutscht, lehnte sich mit dem Rücken gegen das Sofa. "Wodka. Für uns." Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er in jene Sprache zurück gerutscht war, die er jahrelang nicht gesprochen hatte. Sah man von den Flüchen ab. Solange nicht bis ein nerviger kleiner Junge solange an seinem Hosenbein hing, bis er ihm begann die Basis bei zu bringen. Deklinationen, Präpositionen, Tempus. Die Schritte Richtung Küche waren unsicherer als gewöhnlich. Undeutlich erinnerte Tseng sich an den Vorrat, der hinter dem Kaffee lagerte. Für Notfälle. Wie Reno sagte. Und Tseng definierte die momentane Situation als Notfall. Als persönliches Fiasko. Seine Hand glitt in die Hosentasche, schloss sich um die kleine Tüte, die er vorhin aus den Tiefen seines Spindes gezogen hatte. Der Präsident der Company vögelte einen Stricher, und brachte ihn danach um. Den siebten innerhalb der letzten drei Monate. Das waren die nüchternen Fakten. Zu den Fakten zählte auch, dass die Turks sich um Diskretion bemüht hatten. Um die Vermeidung jeden Skandals. Erfolgreich. Tseng streckte sich, zog die beiden Wodka-Flaschen heraus, die im Schrank gelagert waren. Auch diesen Skandal würden sie verhindern können. Seine Hände zitterten. Glas klirrte, als er die zwei Flaschen abstellte. Das Gefühl der Hilflosigkeit hatte sich durch seine Maske geätzt. In der Dunkelheit der Küche meinte er zwei blaue Augen zu entdecken, die ihn vorwurfsvoll ansahen, stumm die Frage stellten wo er gewesen war. Warum er ihn so alleine gelassen hatte. Tseng schüttelte den Kopf, vertrieb die Illusion. Aus seiner Tasche zog er die Tüte, griff in eine andere Tasche, in der sich seine Ausweise befanden. Schnell war eine weiße Linie auf der Ablage gezogen, dann ein Schein zusammen gerollt. Er musste wach sein. Musste sich konzentrieren. Wollte nicht schlafen. Wollte sich nicht den Albträumen ausliefern, die kommen würden. Das Speed wurde durch die Nase gezogen. Ging mit dem Alkohol im Blut direkt eine chemische Reaktion ein. Es würde nicht lange dauern bis die gewollte Wirkung eintrat. Und hinter Tseng, im Rahmen der Küchentür, erklang ein trockenes Husten. "Ich sollte es dir direkt wieder aus der Nase prügeln, Idiot!" Tseng fuhr herum. Reno bewegte sich vorsichtig auf ihn zu, die Hände ausgestreckt. Ein schiefes Grinsen im Gesicht. "Ganz beschissene Idee, Tseng Tseng." Das Grinsen täuschte über die Bewegung des sehnigen Mannes hinweg. Der plötzlich direkt vor ihm stand. Dessen Finger sich um seine Handgelenke schlossen. Die Arme fest hielten. Tseng wehrte sich nur pro forma gegen den Griff. Zu betrunken, nun auch zu high um ihm wirklich Widerstand bieten zu können. "Was machst'n für 'nen Scheiß?" Renos leise Stimme nahe seines Ohrs. Beruhigend. "Wir ham den Shit doch schon zu oft durch gekaut." Die Hände ließen seine Handgelenke los, streichelten langsam über seine Arme höher. "Ich habe ihn alleine gelassen, Reno." Den Kopf gegen die Schulter des Größeren gelehnt, wich jede Körperspannung aus Tseng. "Ich hätte bei ihm bleiben müssen. Ich habe es ihm doch versprochen." "Ich weiß." Geflüsterte Worte. Renos Hand glitt in Tsengs Nacken, kraulte ihn sachte am Haaransatz entlang. "Aber du hast ihn nich' alleine gelassen." Der Wunsch, den verdammten Stecker zu ziehen, war plötzlich wieder da. "Tseng?" Elenas Stimme klang hohl über den leeren Flur. Verloren zwischen den Büros. "Laney, wir sin' inner Küche. Kannst ins Krankenhaus fahr'n. Ich bleib hier." rief Reno zurück, ohne sich von Tseng zu lösen. Die Silhouette der Turk erschien im Türrahmen. "Okay, ruft durch, wenn ihr was braucht." Sie klang unsicher. Betreten. Presste dann zwischen zusammengebissenen Lippen hervor: "Reno, es ist der absolute Horror." Dabei wollte sie etwas ganz anderes sagen. Reno nickte. Verstand die unausgesprochene Bitte, auf Tseng auf zu passen. "Los, Rude hockt allein' im Krankenhaus. Beeil' dich besser." Elena lächelte, dankbar für die elegante Möglichkeit des Rückzugs, welche Reno ihr gerade bot. Sie verschwand ohne ein weiteres Wort. ------------------------------- Anmerkung: Die Handlung des Videos ist Noctifers OS 'Maxima Culpa' entnommen (http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/favoriten/275555/202029/) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)