Amor Vincit Omnia...? von Ditsch (Die Liebe bezwingt alles...?) ================================================================================ Kapitel 5: Überwindung ---------------------- Kyōkos erster freier Tag war der neunte nach dem Streit – sie hatte gemerkt, dass sie tatsächlich so die Tage zählte, doch auch wenn sie versuchte, es abzustellen, passierte es ihr immer wieder. Die Zeit, sagte sie sich, die Zeit wird alles in Ordnung bringen. An diesem Tag konnte sie sogar ein wenig länger schlafen als sonst, da sie ausnahmsweise nicht von irgendeinem Geräusch geweckt wurde und dann nicht mehr einschlafen konnte. Es war schon fast neun Uhr, als sie aufstand und voller Tatendrang nach unten in die Küche kam. Dort war niemand, da das Ehepaar wohl gerade die Gäste bediente. Kyōko huschte umher, um sich etwas zu essen zu machen und setzte sich dann an den Tisch. Kanae hatte ihr gestern noch gesagt, dass sie ziemlich unruhig und fast schon hyperaktiv geworden war, doch sie konnte nichts dagegen tun. Denn wenn es still war, konnte sie förmlich hören, wie ihr zerbrochenes Herz knackte und knarzte, so als würde es in noch viel mehr Teile zerfallen. Während Kyōko hastig den Reis hinunterschlang, hörte sie auf einmal erhobene Stimmen aus dem Schankraum nebenan. Erst die aufgeregte der Okami – sie hätte sie fast nicht wiedererkannt! – dann die zwar laute, aber immer noch ruhige des Chefs. Schnell schlang Kyōko sich ihre Schürze um die Hüfte und öffnete die Tür, um in das Zimmer zu blicken. Was sie sah, ließ sie sie sofort wieder zuschlagen – natürlich so laut, dass jeder nebenan gemerkt haben musste, dass sie da war. Was machte er hier? Warum tauchte er einfach hier auf, ohne jede Vorwarnung, nachdem sie in der letzten Woche fast vergessen hatte, dass er überhaupt in der Realität existierte? Bei seinem Anblick hatte ihr Herz einen Hüpfer gemacht – soweit es dazu noch in der Lage war, so zersplittert wie es war – und sie hätte ihm einen bösen Blick zugeworfen, wenn das nicht aus anatomischen Gründen unmöglich gewesen wäre. Sie wusste, dass sie sich nicht ewig vor Ren verstecken konnte, außerdem wollte sie nicht wie ein Feigling erscheinen, daher stieß sie mit – wie sie feststellen musste – zitternder Hand die Tür auf und bemerkte, wie sich alle Augen auf sich richteten. Zum Glück waren an Gästen nur ein älterer Mann und seine Frau da, die aber trotzdem nicht minder an der Geschichte interessiert zu sein schienen. „Guten Morgen, Mogami-san“, sagte Ren mit einer Stimme, die so ernst war wie sie es bei ihm noch nie außerhalb des Drehs gehört hatte. Sie deutete eine Verbeugung in Richtung des Chefs und der Okami an, dann richtete sich ihr stechender Blick wieder auf Ren. Und sie konnte nicht anders, als sofort zu bemerken, wie fürchterlich er aussah. Natürlich war er adrett gekleidet, wie immer, und auch seine Haare waren gekämmt, doch etwas an seinem Gesicht sagte ihr, dass er entweder eine wirklich schlimme Woche verbracht oder einen ziemlich guten Maskenbildner haben musste. Ehrlich gesagt war die zweite Variante ihr lieber, weil sie keine unangenehmen Gedanken verursachte. Als Kyōko keine Anstalten machte, auf seinen Gruß zu antworten, ergriff er erneut die Initiative: „Ich muss mit dir sprechen.“ „Wir haben Ihnen doch gesagt, dass sie nicht mit Ihnen sprechen möchte!“, raunzte die Okami ihn beinahe an. Doch er ließ sich davon nicht beeindrucken, sondern sagte mit einem sanften Lächeln zu ihr: „Ich werde ihr nichts antun. Ich bin nur gekommen, um mich zu entschuldigen.“ Die Frau schnaubte verächtlich, während ihr Mann Kyōko abwartend ansah, ebenso wie Ren. Einen Moment lang dachte sie darüber nach, einfach ihre Rachegeister, die schon wieder voller Mordlust waren, auf ihn zu hetzen, doch dann fielen ihr die anderen Anwesenden wieder ein. Das hier war allein ihre Sache und sie war nicht so feige, dass sie nicht mit ihm allein sein konnte. Im Grunde hatte sie sowieso noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen, und dieses Mal würde sie nicht zu heulen anfangen, nur weil er einen Anflug von Reue zeigte. „Kommen Sie“, sagte sie daher und die Kälte in ihrer Stimme ließ sie selbst erschaudern. Ren schien selbst ein wenig überrascht zu sein, dass sie so leicht zu überzeugen gewesen war, dennoch beeilte er sich, den Tresen zu umrunden und ihr zu folgen, die voran eilte, damit er ihr nicht zu nahe kam. Sie wollte gar nicht wissen, was passieren würde, wenn sie wieder seinen Geruch in der Nase hätte. Er würde sie an Szenen erinnern, die ihr Kopf ihr rücksichtsvollerweise in den letzten Tagen nicht gezeigt hatte und die sie am liebsten für immer dort eingeschlossen hätte. In ihrem Zimmer angekommen, stellte Kyōko sich vor das Fenster, lehnte sich mit dem Rücken gegen das Fensterbrett und sah Ren, der gerade die Tür schloss, mit verschränkten Armen an. Einen Moment lang sah er sich schweigend um, wobei sein Blick einen Moment lang an ihrem Shō-Poster hängen blieb. Auf einmal war sie froh, dass sie sein Bild schon entfernt hatte, es hätte nur einen äußerst besessenen Eindruck gemacht – und sie mochte alles sein, aber nicht besessen. Da Kyōko ihn abwartend ansah und schon ungeduldig mit den Fingern auf ihrem Arm herumtrommelte, beeilte er sich dann schnell, mit dem anzufangen, was er ihr zu sagen hatte – und zu ihrem Glück, kam er gleich auf den Punkt. „Es tut mir leid. Was geschehen ist – was ich getan habe – tut mir unendlich leid und wenn es nicht so bescheuert klingen würde, könnte ich dir das tausendmal sagen.“ Er sah ihr direkt in die Augen, anders als bei ihrem letzten Gespräch, und seine Augen sahen so ehrlich aus, dass Kyōko das „Lüge!“ im Halse stecken blieb. „Ich habe eine ganze Weile überlegt, was ich wohl tun muss, damit du mir glaubst, wie leid es mir tut... Ich habe darüber nachgedacht, ein Flugzeug mit dieser Botschaft auf einem großen Banner über die Stadt fliegen zu lassen. Ich wäre sogar bereit gewesen, mir das Kamel des Präsidenten auszuleihen, es mit meiner Botschaft zu bemalen und damit durch die Stadt zu reiten, aber dann habe ich mich darauf besonnen, mit wem ich es eigentlich zu tun habe. Und du bist niemand, der sich von solchen Dingen beeindrucken oder gar besänftigen lässt, dir ist es egal, wie viel Geld jemand hat oder wie viel Ansehen jemand genießt, weil du das Innere der Menschen anschaust.“ Er schwieg einen Moment und ein andächtiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Als er Kyōko so ansah, musste sie sich stark zusammennehmen, um nicht erneut seinem Charme zu verfallen. Er ist ein Lügner. Er ist ein Lügner, sagte sie sich in Gedanken immer wieder, um ihre Gefühle zurückzuhalten. Dabei war es nicht gerade hilfreich, dass ihre Rachegeister sich zurückgezogen hatten und die Reinherzigkeiten schon fast wieder aus ihrer Schlucht zurückgekehrt waren. „Das mag dir jetzt komisch vorkommen, aber gerade das ist es, was ich an dir so liebe. Du bist nicht wie die anderen, du -“ Kyōko verdrehte die Augen und unterbrach ihn: „Ja, ich bin nicht wie die anderen, ich durchbreche die Mauer die Sie aus Angst vor was-auch-immer um sich herum aufgebaut haben und ich bin auf meine eigene Weise ganz bezaubernd.“ Er sah sie an, völlig aus dem Konzept gebracht. „Das hat Miss Menno mir auch schon erzählt. Und sie meinte, Yashiro hätte es bestätigt. Ja, steckt ihr denn alle unter einer Decke?“ Ja, sehr gut, immerhin ein Rachegeist war wieder aufgewacht und schwirrte nun über ihrem Kopf umher. Ren brauchte einen Moment, um diese Information zu verarbeiten, doch dann wagte er einen erneuten Vorstoß: „Wenn es denn alle sagen, warum kann es dann nicht einfach der Wahrheit entsprechen? Es ist doch so, dass du niemals jemanden anhimmeln würdest, nur weil er gut aussieht oder weil er reich oder berühmt oder von allen anderen geliebt ist. Und solche Menschen sucht man in der heutigen Zeit häufig vergebens.“ „Versuchen Sie nicht, sich bei mir einzuschleimen“, knurrte Kyōko. Sie gab ihr Bestes, sich dagegen zu wehren, dass ihr Herz schon wieder weich zu werden drohte. Es knackte nicht mehr, sondern gab viel eher schmatzende Geräusche von sich, so wie zwei Holzstücke, die mit einer Menge Kleber wieder zusammengefügt werden. Doch sie wollte kein Herz, das mit so schleimigen Worten geflickt war, da waren ihr die – vielleicht etwas unangenehmeren – Methoden der Zeit eindeutig lieber. Ren seufzte. „Du willst mir nicht glauben, oder?“ Sie starrte ihn nur böse an, statt zu antworten. Bevor er die nächste Frage stellte, schien er sich erst überwinden zu müssen, denn Kyōko hörte ihn laut schlucken und er legte nervös seine Hände ineinander. „Du liebst mich gar nicht wirklich, oder? Auch wenn es vielleicht berechtigt war – du hast mich genauso angelogen wie ich dich.“ „Nein!“, zischte Kyōko. „Sie waren es doch, der mich mit seiner hinterhältigen Schauspielerei dazu gebracht hat, Ihre Freundin zu werden! Nennen Sie mich nicht eine Lügnerin!“ Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück, als er bemerkte, dass sie nun unter dem Schutz von zwei Rachegeistern stand, die sie jederzeit auf ihn hetzen konnte. „Also hast du nicht gelogen?“ Kyōko wusste genau, worauf er hinauswollte, aber sie würde ihm nicht den Gefallen tun, es ihm zu sagen. Denn egal was sie sagte, es würde sie nur in Schwierigkeiten bringen: Wenn sie sagte, sie wäre nicht in ihn verliebt, wäre das eine Lüge, und dann wäre sie keinen Deut besser als er. Doch wenn sie gestand, dass sie tatsächlich in ihn verliebt war, würde er nur wieder versuchen, diese Gefühle auszunutzen und sie ein zweites Mal für sich zu gewinnen. „Verschwinden Sie. Sie haben sich entschuldigt, mehr wollten Sie nicht, also verschwinden Sie jetzt.“ Als er sie nur mit erhobenen Augenbrauen anblickte, knurrte sie: „Sofort!“ und ging drohend ein paar Schritte auf ihn zu. Er lächelte, was die Rachegeister, die schon auf ihn zustürmten, für einen Moment paralysierte, und drehte sich dann schnell um, um die Gefahrenzone zu verlassen. „Ich bin dumm“, sagte Kyōko, als die Tür sich wieder geschlossen hatte. Erst jetzt wurde ihr klar, dass die Tatsache, dass sie ihn nach so einer Frage hinaus scheuchte, noch eindeutiger war als jede Antwort. Und irgendwo, tief in ihrem Inneren, freute sie sich darüber, auch wenn sie es niemals zugegeben hätte, nicht einmal sich selbst gegenüber. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)