BlechHerz von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Allein sein Gang hatte etwas Verstörendes. Er lief nach vorn gebeugt, und jeder Schritt von ihm geriet ganz sacht ins Taumeln. Es waren diese wenigen Zentimeter, die er seinen Oberkörper zu weit nach links und rechts pendeln ließ. Hin. Und Her. Hin. Und Her. Krank. Hana blickte wieder stur auf die Straße. Sie wollte ihn nicht anstarren. Einige Autos rauschten an ihr vorüber, doch Hana nahm sie kaum wahr. Dass es haufenweise abgedrehte Menschen in Berlin gab, war ihr nichts Neues. Aber Joshua war echt psychopathisch. Auf der anderen Straßenseite befand sich ein Modegeschäft. Die Schaufensterpuppen starrten in ihre Richtung, trotzdem blickten alle von ihnen durch sie hindurch. Hana starrte zurück. Das Mädchen hatte manchmal das Gefühl, dass diese weißen Plastikfiguren den Menschen Berlins ähnlicher waren, als die meisten ahnten. Etwas weiter im Vordergrund, im glänzenden Fensterglas, stand Hanas Spiegelbild, bleich und unscheinbar. Das dünne Mädchen, mit den fingerlangen blassblonden Haaren, und dem schweigendem Mund. Sie sah aus wie ein zierlicher Junge. Ihre Lippen hatten fast den gleichen Farbton wie ihre helle Haut, und das recht kurze Haar war immer zerzaust, da der Wind es liebte, ihr mit wilden Händen hindurch zu streichen. Hana starrte ihr Spiegelbild schlecht gelaunt an. Sie fand sich nicht hübsch. Ganz und gar nicht. Nur ihre Augen mochte sie wirklich. Obwohl sie immer wieder missmutig feststellte, dass diese bemerkenswerten Pupillen in ihrem Gesicht eigentlich die reinste Verschwendung waren. Sie waren hellgrau. Aber es war kein totes Grau, wie von Zement oder von trübem Wasser. Nein. Wenn man in Hanas Augen sah, konnte man den Himmel darin erkennen, an einem dieser Tage, an denen es nach Regen roch, und Elektrizität in der Luft lag, und der Wind die welken Blätter von den Zweigen der Bäume riss. Joshuas Spiegelbild tauchte am Rand der Scheibe in das Schaufenster ein. Eigentlich hatte sie ihn schon längst ansprechen wollen. Zwei Wochen war es nun her, seit sie diesen dämlichen Brief von ihm bekommen hatte. Feindselig und unschlüssig sah sie seinem Abbild nach. Er trug ein ausgewaschenes weißes T-Shirt und eine nichts sagende dunkle Stoffhose. Das einzig auffällige an seiner Kleidung war dieser unpassende Nietengürtel, den er schräg um seine Hüfte geschlungen hatte. Und natürlich die lange Kette mit dem Herzanhänger, die er ständig um den Hals trug. Eigentlich hatte sie erwartet, dass er sie längst auf seine eigenartige Nachricht ansprechen würde, aber die letzten zwei Wochen waren vergangen, ohne dass er in irgendeiner Weise noch einmal Kontakt zu ihr aufgenommen hatte. Hana löste ihren Blick von dem Schaufenster und sah ihn wieder direkt an. Mit taumelnden Schritten kam er auf sie zu, seinen Kopf hatte er ganz leicht schief gelegt. Joshua hatte langes, pechschwarzes Haar, es fiel ihm schräg über die gesamte linke Gesichtshälfte. Im starken Kontrast dazu stand seine aschfahle Haut. Seinen Wangen schien jegliche Farbe zu fehlen. Joshuas linkes Auge lag unter dem Vorhang aus Haaren versteckt, aber die rechte Pupille leuchtete in stechendem Hellgrün aus der schattigen Umrandung der tiefen Augenringe hervor. Sein Blick war wach, aber doch hatte Hana das Gefühl, dass er irgendwie abwesend war. Seine Lippen bewegten sich. Blieben einen Moment stumm. Dann sprach er wieder. Joshua redete ständig mit sich selbst. Total Gestört. Hana sah wieder auf die Straße. Ein paar Autos rauschten an ihr vorüber. Sie starrte wieder in die Fensterscheibe gegenüber und beobachtete Joshua. Jetzt würde sie ihn ansprechen. Normalerweise zierte sie sich doch auch nicht so. Außerdem war er selbst schuld. Was schickte er ihr auch diesen lächerlichen Brief? Im Schaufenster sah sie wie er auf sie zukam. Seine Augen lagen im Dunkeln. Beide Hände hatte er in den Hosentaschen vergraben. Seine Schritte hallten in ihrem Rücken. Sie kamen ihr unheimlich laut vor. Sie presste die Zungenspitze gegen ihre Schneidezähne. Wird’s bald? Sprich ihn schon an. Dann sah sie im Schaufenster, wie er hinter ihr vorüber ging. Er blickte sie nicht ein einziges Mal an. Nahm sie wahrscheinlich nicht mal wahr. Der schwache Luftzug, der ihm folgte, strich ihr sacht über die trockene Wange. Ein Lastwagen rauschte die Straße entlang und für einen kurzen Moment lagen die Fensterscheiben dahinter verborgen. Hana wand sich Joshua zu. „Hey!“, rief sie. Aber er reagierte nicht. Sie starrte noch immer seinen Rücken an. Das weiße T-Shirt. „Joshua!“ Jetzt hielt er inne. Zwei Sekunden vergingen, dann blickte er über die Schulter. Sein rechtes Auge leuchtete zu ihr herüber. Hana lief ein paar energische Schritte auf ihn zu. Dann, ungefähr zwei Meter vor ihm, blieb sie stehen und verschränkte die Arme vor der flachen Brust. Die Menschen Berlins schoben sich an den beiden vorüber. Manche ruhig, die meisten hektisch. Die Leute spülten Lärm und Stress wie Schaumkronen durch die Straßen. Niemand beachtete Joshua und Hana. Die beiden standen an Ort und Stelle, bewegten sich nicht. Sie waren isoliert. Bildeten eine Insel, inmitten des Stroms. Sie waren für sich. Fast schon allein. „Was sollte das mit dem Brief?“, fragte Hana feindselig. Er stand ihr noch immer nur halb zugewandt gegenüber, sah sie nur über die Schulter an. Sein Blick war klar, aber Hana konnte ihn nicht wirklich einordnen. Seine Lippen rührten sich nicht. Sie wischte sich die verschwitzen Hände an den Ärmeln ihres dünnen Pullis ab. „Ich rede mit dir.“, presste sie zwischen den Zähnen hervor. „Ja.“, sagte er schließlich. Hana hatte sich seine Stimme anders vorgestellt. „Ich weiß.“ Joshuas Worte klangen wach, aber doch ein wenig rau. Vielleicht wie Papier. Sie zögerte kurz. „Was sollte der bescheuerte Brief, den du mir geschickt hast?“ Der Zorn in ihrer Stimme klang nicht mehr echt. Fast schien es, als würde Joshua einen Moment überlegen, bevor er gleichgültig die Schultern zuckte. „Steht doch drin.“ „Kein einziges Wort steht drin! Willst du mich verarschen?“ Trotzig starrte sie ihn an. Sie sagte die Wahrheit. Auf dem Umschlag standen Empfänger und Absender. Der Inhalt war ein einziges weißes Blatt Papier. Ohne ein Wort. Natürlich hätte Hana mit einem beschriebenen Blatt genauso wenig anfangen können, aber das wusste Joshua ja nicht. Wahrscheinlich wusste er das nicht. „Nein.“, erklärte er sachlich. „Ich wollte dir lediglich das mitteilen, was in dem Brief steht.“ Er starrte ihr direkt in die Augen. Hana hielt seinem Blick stand. „Also wolltest du mir damit gar nichts sagen?“ Ihre rechte Wange zuckte ein wenig. Ein Moment lang war Stille. Dann nickte er. „Und was hat dieser bescheuerte Brief dann für einen Sinn?“ Der Typ war doch total krank. „Seinen Sinn hat er erfüllt.“ Jetzt lächelte er. Hanas Nackenhärchen stellten sich auf. Sie spannte sich unmerklich an. Joshuas Lächeln war dünn, so dünn. Und es reichte nicht bis zu seinen lebendig grünen Augen, dem stechendem Blick. Joshuas Lächeln war das Lächeln eines kleinen Kindes, das einen Wurm beobachtet, der sich zwischen seinen Fingern krümmt. Und es war das Lächeln eines Künstlers, der nach langer Arbeit ein Bild vollendet hat, auf dem sterbende Menschen zu sehen sind. Entzückt, aber freudlos. Joshua hatte ein unheimliches Lächeln. „Und, was soll dieser Sinn sein, den der Brief deiner Meinung nach erfüllt hat?“ Ihre Stimme fühlte sich an wie Kreide. „Der Sinn meines Briefes war, dass du mich auf der Straße ansprichst.“ Er schmunzelte. Sein Schmunzeln wirkte schon echter. Hana schluckte. „Du bist gestört.“ Sie sah ihm nur ganz kurz in die Augen, die sich durch keine Regung verrieten. Dann drehte sie sich um und ging. Wurde wieder ein Teil des Stroms. Zumindest äußerlich. Denn von allen Menschen auf der Straße schlug Hanas Herz am heftigsten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)