Anything Safe and Sane von LeS ================================================================================ Wenn die Menschen im Fernsehen „Ich liebe dich“ sagen, dann ist das sicher. Keiner muss die Verantwortung dafür übernehmen und keiner wird enttäuscht. Denn letztendlich ist das, was man im Fernsehen sieht, immer auch ein Theaterstück. Seishirou hatte sich schon oft gefragt, in welcher Art Sendung er „Ich liebe dich“ sagen würde, wäre er nicht, was er ist und liefen die Dinge nicht so, wie sie vorhergesehen waren. Ein Film? Über die Liebe zwischen den Abkömmlingen zweier verfeindeter Familien... nein, zu sehr Romeo und Julia. Das wollte niemand mehr sehen. Abgesehen davon kam es nicht in Frage, dass Subaru Gift trank. Selbst wenn es nur Wasser war, das Gift darstellen sollte. Eine Dokumentation? Über das Verhalten von Assassinen in der Neuzeit – was ihnen heutzutage erlaubt war und was nicht. Nein, uninteressant. Es hatte sich in den letzten tausend Jahren nicht viel geändert. Nicht genug, um die Unterschiede interessant zu machen. Eine Reportage? Über ihn und Subaru. Unmöglich. Bei Reportagen musste viel geschrieen werden. Falsche Anschuldigungen waren ein Muss. Nicht dass es die nicht gab; es hätte sie nur keiner von ihnen herausgeschrieen. Und Seishirou müsste die Reporter töten, bevor sie die Kassette bei ihrem Sender abgeben könnten. Seine Klienten wären wenig erfreut, so in der Öffentlichkeit dazustehen. Vielleicht eine Show, in der eine Person der anderen die Liebe gestand. Davon gab es einst viele, in letzter Zeit wurden es wieder weniger. Die Menschen waren so fasziniert von den ganzen leuchtenden, Geräusche von sich gebenden Elektronikartikeln, dass ihr Interesse für ihre Spezies mehr weiter von Bedeutung war. Außer es ging darum, sich fortzupflanzen. Das konnte man aber nicht zu der Uhrzeit bringen, die für diese Shows prädestiniert war. Sex im Nachmittagsprogramm – auf keinen Fall. Seishirou sah oft fern. Tagsüber sammelten sich die Aufträge an, die er nur nachts erfüllen konnte. Er brauchte nicht viel Schlaf. Wenn er schlief, träumte er. Etwas, das Assassinen noch nie erlaubt gewesen war. Trotz jahrelangem Training hatte er diesen Kratzer im Schliff nicht beseitigen können. Es war der einzige Kratzer, und er war vermeidbar, wenn Seishirou nicht schlief. Er sah sich Filme, Dokumentationen, Reportagen, Shows und am liebsten Fernsehserien an. Japanische, amerikanische und britische. Ihm gefiel vor allem der Humor der britischen Serien. Gut. Vielleicht gab es einen weiteren Kratzer. Wenn er sich unbeobachtet fühlte, dann lachte er darüber, wie Mr. Bean seinen Teddybären sanft streichelte. Als wäre er sein Subaru, kostbar wie sonst nichts. Wie würde ein Kurzfilm mit ihnen beiden ablaufen? Wenn Seishirou Mr. Bean war, und sein Subaru der Teddy – nein, darüber würde niemand lachen. Wohl auch nicht er selbst. Mit einem Händeklatschen schaltete Seishirou das Licht aus. Er saß im Dunkeln, bis auf das flimmernde Licht des Bildschirms. Er kannte die Serie nicht, die im Fernsehen lief. Er kannte sonst alle Serien, die jemals gelaufen waren. Insofern es nichts Bedeutungsvolles bei Subaru zu sehen gab, sah er fern. Jede Wiederholung hatte er schon gesehen. Wieso sollte er diese Serie nicht kennen? Sie schien nichts Besonderes zu sein. Romantisch, endlos... und offensichtlich nicht japanischer Natur, denn die Schauspieler waren keine Asiaten. Sie sahen auch nicht aus wie Amerikaner oder Engländer, mochten aber wahrscheinlich Europäer sein. Er blieb bei dieser Serie hängen. Falls er sie noch nicht kannte, musste er sie kennen lernen. Soweit er es beurteilen mochte, war sie furchtbar kitschig. Wie verzweifelt die junge Frau nach dem Mann ihrer Träume begehrte, obwohl er sie nicht einmal wahrnahm. Sie war nicht schön, mit ihren zerzausten, braun-roten Haaren, der viel zu großen Brille und der Zahnspange. In ihren Augen konnte Seishirou etwas erkennen. Das, was ihn damals dazu veranlasst hatte Subaru zu markieren. Freude, Hoffnung, Unschuld (durch die Hunger schimmerte). Was dieses perfekte, hässliche, wunderschöne Wesen dazu trieb, ausgerechnet diesem Mann hinterherzulaufen. Er war schön, aus der Sichtweise der Masse. Ein symmetrisches, nicht zu männliches Gesicht, dem Frauen ihre Kinder anvertrauen würden. Sein Charakter jedoch – nichts von Freude, Hoffnung oder Unschuld. Der Hunger war da, doch er war offensichtlich. Der Mann schien sich keine Mühe zu geben, ihn zu verstecken. Ein Tölpel, reagierte ständig falsch. Geschieht ihm ganz recht, dachte Seishirou, als er am Ende der Folge seine Firma verlor. Das, was ihm am wichtigsten war. Seishirou sah die Serie von nun an jedes Mal an. Sie kam kurz bevor seine Arbeitszeit anfing und stimmte ihn in gewisser Weise darauf ein. Es wurde zu einem Ritual. Sie lief jeden Tag und als sie an Popularität gewann, zeigte der Sender erst zwei, dann fünf Folgen hintereinander. Es war wohl so, dass er erst recht spät dazugefunden hatte, denn nach fünf Monaten neigte sich die Serie dem Ende zu. Ihm gefiel nicht, dass das hässliche, wunderschöne Wesen ihren ‚Traumprinzen’ bekam. Ihm gefiel es nicht, als sie sagte ‚Ich liebe dich’. Ihm gefiel das Hochzeitskleid nicht, das sie in der letzten Folge trug. Doch der Blick in ihren Augen, als der Traumprinz sagte ‚Ich liebe dich’... Das Ende der – wie Seishirou herausgefunden hatte – „Telenovela“ – war für die meisten Charaktere befriedigend ausgegangen. Fast alle hatten ihre große Liebe gefunden und der Bösewicht (ein lächerlicher, psychopathischer Mann, der sich bei seinem Auftreten an alten Klischeezeichnungen Satans orientierte) war keine Gefahr mehr. Das ‚Ich liebe dich’ des Traumprinzen gehörte zur letzten Episode. Es war sicher das zu sagen. Es entstanden für den Traumprinzen dadurch keine Konsequenzen. Denn die Serie war ja um. Im echten Leben hatte ein ‚Ich liebe dich’ Konsequenzen. Ein ehrliches... deswegen wartete er. Seishirou würde warten, bis zur letzten Folge. Dann gab es keine Konsequenzen mehr für ihn. Es war sicher ‚Ich liebe dich’ zu sagen. Nur war der Blick – fast, und dann doch wieder nicht, enttäuschenderweise – nicht der eines überglücklichen, hässlichen, wunderschönen Wesens, sondern der eines völlig zerstörten Subarus. Es roch nach Blut und Staub und Subarus Tränen schmeckten salzig. Der Kuss, von dem Subaru bestimmt glaubte, Seishirou hätte ihn nicht mehr gespürt, nachdem er seinen letzten Text aufgesagt hatte: „Ich habe dich immer geliebt.“ Als der Vorhang fiel und die Abschlussmelodie gespielt wurde, die ganzen langweiligen Informationen über den Bildschirm liefen, da war es noch immer so. ‚Ich liebe dich’ hat Konsequenzen. Denn die letzte Folge gibt es nicht. Seishirou hatte Seifenopern nie gemocht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)