House Of Death von Dei (unsterbliche Liebe) ================================================================================ Kapitel 1: Das Erbe ------------------- Draußen war das Geräusch des klappernden Briefkastens zu hören, als der Postbote einen ganzen Stapel unwichtiger Werbungen, Rechnungen und anderen banalen Dingen hineinschob. Mit einem Klack ließ er die kleine rote Fahne aus Plastik in die Höhe schnellen. Müde blickte Liam aus dem Fenster und beobachtete das Geschehen. Es war gerade halb sechs. Normalerweise eine für ihn unmenschliche Zeit, aber seit Monaten fand er keinen richtigen Schlaf mehr. Entweder lag er stundenlang wach, ohne ein Auge zuzumachen, oder er hatte plagende Albträume. Der Tod seiner sämtlichen Familie nahm ihn immer noch sehr mit und beschäftigte ihn, was sich in seiner nächtlichen Ruhe zeigte. Unzählige Male war er schweißgebadet aufgewacht, hatte sich für paranoid erklärt, wenn er Stimmen hörte, die ihn an die seiner Eltern und seiner Schwester erinnerten. Mit seinen knappen 17 Jahren hatte er es oft mit dem Ordnungsamt zu tu, welches immer wieder versuchte, ihn aus dem Haus zu bekommen. Schließlich war er noch minderjährig und wohnte alleine, da hatte es schon des Öfteren Ärger gegeben. Entweder wollten sie ihn in eine Pflegefamilie stecken oder ins Heim, aber stets hatte er sich wehren können. Mit einfachen Tricks konnte er das Ordnungsamt stets davon überzeugen, dass es ihm gut ging. Leider war das jedoch nicht der Fall. Wenn es gar nicht ging schwänzte er die Schule und fehlte dann für ein paar Tage. Kränklich war Liam eigentlich nie gewesen, aber seine seelische Verfassung machte auch seinem Körper zu schaffen. Gelangweilt strich er sich die weichen, rot-braunen Haare aus der Stirn. Gedankenverloren zupfte er an ihnen um, während er abwog, die Post reinzuholen, oder es zu lassen. Ohne zu einem Entschluss gekommen zu sein stand er auf und machte sich einen starken Kaffee, um nicht vor Müdigkeit einzuschlafen. Er setzte heißes Wasser auf und lehnte sich an die Theke, ohne den Blick von dem unberührten Briefkasten zu nehmen. Die Sonnenstrahlen fielen matt und trübe durch das kleine Fenster und erhellten den Raum. Es war nicht sehr dreckig, das Ordnungsamt- oder war es das Sozialamt? -hatte es sich nicht nehmen lassen, ihm eine Putzfrau zukommen zu lassen, die das nötigste erledigte. Überflüssig, so empfand es Liam. Er war sehr gut in der Lage das Haus in Ordnung zu halten. Inzwischen kochte das Wasser in der Kaffeemaschine und durchbohrte die zähe Stille. Mit steinernem Blick sah Liam erneut zum Briefkasten und fasste den Entschluss, die Post zu holen. Lustlos stieß er sich von dem Küchenschrank ab und ging zur alten Holztüre, deren Schloss kaum noch funktionierte. Mit fliegenden Fingern schob er den verrosteten Riegel zurück und öffnete mit einem Knarren die Türe. Die Wärme des Frühlingsmorgens und das Licht ließen ihn einen Moment an der Stelle verharren, ehe er die groben Steinplatten zwischen dem hohen Gras entlang ging. Unachtsam trat er einen kleinen Stein beiseite. Den alten Riegel- komischerweise klemmte er nur beim runtermachen –zerrte er halbwegs nach unten. Mit seinem Werk unzufrieden hämmerte er darauf ein, bis er abbrach. Mit unschuldigem Blick hob er diesen auf und steckte ihn in die Hosentasche. Was soll´s. dachte er sich. Ungeschickt zog er die Briefumschläge aus dem seiner Meinung nach viel zu kleinen Gehäuse und begutachtete den Stapel. Mindestens die Hälfte davon waren Rechnungen. Der Rest waren entweder Abmahnungen oder Briefe vom Sozialamt. Mit schleppenden Schritten ging er zurück zum Haus. Die Eingangstüre schob er mit einem Fuß zu und ging weiter zum alten Holztisch. Dort legte er neben einem anderen Stapel die Briefe nieder. Bevor er sich setzte nahm er sich eine Tasse aus dem Schrank und schenkte sich Kaffee ein. Ohne Milch, geschweige denn Zucker hineinzutun nahm er einen Schluck. Dann ging er zurück zum Tisch und setzte sich auf einen der ebenso alten Stühle. Nacheinander begutachtete er seine Post. Der älteste Brief war gute drei Wochen dort drin gewesen. Schnell hatte er den Haufen in drei weitere aufgeteilt. Einer mit Rechnungen und Abmahnungen, ein weiterer mit Werbungen und der Letzte bestand aus Briefen von verschiedensten Ämtern. Den mit der Werbung schob er gleich vom Tisch aus in den daneben stehenden Mülleimer. Dass es in einer abgelegenen Gegend wie dieser zu so viel Reklame kam, war ihm schleierhaft. Anschließend widmete er sich dem Haufen mit den Rechnungen. Geschickt öffnete er einen Brief nach dem anderen und stellte fest, dass sich viele Abmahnungen wiederholten. Nicht mehr lange und seine Frist wäre abgelaufen. Da musste er wohl mal wieder die nächste Bank- wohl gute fünf Kilometer entfernt –besuchen und einen Massenauftrag geben. Seltsam, das übernahm niemand für ihn. Als er auch diesen Stapel sorgfältig auf zwei Briefe reduziert hatte, widmete er sich dem Dritten. „Was die wohl diesmal von mir wollen…“, murmelte er und nahm den ersten Brief in die Hand. Nach dem öffnen stellte er fest, dass er einen Zuschuss von 100 Euro bekam, aufgrund der nachlässigen Arbeit des Hausmädchens. Liam lachte. Diese dumme Kuh hatte hier wirklich mehr Zeit damit verbracht ihn anzuhimmeln, als den Besen zu schwingen. „Kleines Miststück.“, lachte er wieder und stellte sich gerade vor, wie auch das Sozialamt bei ihr seine Spuren hinterließ. Gespannt, ob er noch mehr Geld bekommen würde nahm er den zweiten Brief. Dieser jedoch stellte die monatliche Anfrage auf seinen Einzug ins Heim. Wann begreifen die es endlich? Fragte er sich in Gedanken und zerriss die Nachricht kurzerhand, ehe er sie wegwarf. Nach einer Weile hatte er nur noch einen Brief übrig. Das war keiner vom Ordnungsamt, soviel stand fest. Er war ihm DIN A4 Format, was sehr untypisch war. Durch den sperrigen Raum seines zerbeulten Briefkastens war auch dieser Briefumschlag nicht ungeschadet davongekommen. Jedoch war er nicht so beschädigt, das man den Absender nicht hätte lesen können. Es war keine Adresse angegeben, nur der Name. „Hiroshi Hanamori.“, las Liam laut vor. Wie konnte das denn sein? Waren nicht alle seine Verwandten verstorben oder vermisst? Anscheinend hatte er doch noch einen entfernt verwandten Großonkel oder so etwas in der Richtung. Sichtlich interessiert öffnete er den Umschlag und zog dessen Inhalt raus. Es waren mehrere von Hand geschriebene Blätter. Der Umschlag war jedoch noch nicht leer. Er schüttete den Rest heraus. „Hm? Ein Schlüssel?“, fragte er verwundert und hatte schon eine Vorahnung. Der Schlüssel war an einer golden glänzenden Kette befestigt, dass man sich ihn um den Hals hängen konnte. Ohne zu zögern nahm er den Brief. Sein Herz begann schon bei den ersten zwei Worten schneller zu schlagen. „Geliebter Liam“ Automatisch nahm er einen weiteren Schluck von seinem Kaffee, wendete den Blick dabei nicht von dem abgegriffenen Papier. Wahrscheinlich war derjenige sich nicht sicher gewesen, ob er den Brief abschicken sollte. Mit schnellem Puls verfolgte er die weiteren Zeilen. „Du wirst es sicher nicht für möglich gehalten haben, aber du bist nicht das Einzige Mitglied der Familie Hanamori. Ich bin Hiroshi, dein Urgroßonkel väterlicherseits. Ich kenne dich schon, seit du auf der Welt bist, wahrscheinlich erinnerst du dich nur nicht an mich.“ Urgroßonkel väterlicherseits… warum hatten seine Eltern ihm nie von seinem Onkel erzählt? Hatten sie etwas zu verheimlichen? Liam wurde schlecht bei dem Gedanken, dass seine Familie ihm verschwiegen hatte, dass er doch noch einen weiteren Verwandten hatte. Und das, wobei sie eine innige Beziehung hatten! Nachdem der Schwall der Übelkeit abgeklommen war, richtete er seinen Blick wieder auf den Brief in seinen inzwischen zittrigen Händen. „Ich bin mir nicht sicher, ob Sato und Liriell dir von mir erzählt haben, aber es würde mich wundern, wenn du von mir wüsstest. Aber glaube mir, Liam, sie hatten ihre Gründe. Wie du dir wahrscheinlich schon gedacht hast, schreibe ich diesen Brief nicht, weil ich plötzlich der Meinung bin, du müsstest mich kennen lernen. Ich habe einen bestimmten Grund.“ Hier war ein großer Tintenfleck auf dem Papier. Was war da los gewesen? Warum hatte er so viel Abstand gelassen, bis er weiter schrieb? Vielleicht hatte Hiroshi lange nachgedacht, ehe er weiter schrieb. „Ich weiß, was mit deinen Eltern passiert ist. Und ich weiß auch über das Unglück deiner Schwester Bescheid. Wenn man solch eine kleine Familie hat, wird kein Mitglied vergessen…“ Liam schluckte, als er diese Sätze las. Glücklicherweise konnte er die schmerzhafte Erinnerung an die Geschehnisse verdrängen, ehe er zusammenbrach. „Es tut mir von Herzen Leid, dass ich dir erst jetzt schreibe, so kurz vor meinem Tod. Ich spüre, dass mein Leben zu Ende geht. Aber ich habe, genau wie du, niemanden mehr, an den ich mich hätte wenden können. Durch Zufall habe ich in einem alten Brief von Sato deinen Namen gelesen. Er hat mir kurz nach deiner Geburt diesen Brief geschrieben. Du musst wissen, dass mein Gedächtnis sehr schlecht ist, überall sind Lücken, die ich mir gerne wieder füllen würde. Aber das geht natürlich nicht. Ich hatte Glück, dass ich den Brief las, denn ansonsten käme es jetzt nicht hierzu. Ich lebe schon lange nicht mehr dort, wo ich gerne würde. In einem alten Schloss, vielleicht einen Tagesmarsch von deinem Haus entfernt. Aus Gründen, die jetzt zu kompliziert wären zu erklären, hat man mich davon weggebracht. Jedoch das Schloss ist immer noch in meinem Besitz.“ Ein Schloss hier in der Nähe? Warum wusste er nur nichts davon? So langsam hatte er das Gefühl, seine Eltern hatten ihm- vielleicht auch seiner Schwester Haine –vieles nicht erzählt. Oder sie hatten nur auf den richtigen Augenblick gewartet. Dazu war es dann aber wohl nie gekommen. „Ich habe mich deswegen entschlossen, dir in meinem Testament den Besitz des Schlosses zuzuschreiben. Ich weiß, du dürftest erst 16, vielleicht inzwischen 17 Jahre alt sein, aber du bist nun mal der Einzige Mensch, dem ich noch vertrauen könnte. Wem sonst sollte ich meinen einzigen wertvollen Besitz vermachen? Meine anderen Besitztümer sind entweder schon verloren gegangen, oder befinden sich noch dort, in meiner alten Heimat. Du wirst vielleicht nichts damit anfangen können, also nehme ich es dir nicht übel, wenn du die Sachen verkaufst. Jedoch bitte ich dich, wenigstens einmal hinein zu gehen und dir deine Familie anzusehen. Dort hängen noch unzählige Bilder, Bücher und Besitztümer deiner schon lange verstorbenen Familie. Ich wünschte, ich könnte dir alles persönlich zeigen, aber dazu ist es zu spät.“ Wieder waren ein paar Tintenflecke auf dem Papier. Auch die Schrift wurde immer undeutlicher. Für ihn war es wahrscheinlich anstrengend, einen solchen Brief zu verfassen. Langsam fühlte er sich mit seinem Urgroßonkel verbunden. Er hatte so viel Liebe in die Worte gelegt, es war unglaublich. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird mein Leben bereits ein Ende gefunden haben, wenn du das hier liest. Ich habe wirklich lange gebraucht, bis ich mich erst einmal dazu gerungen hatte, dir diesen Brief zu schreiben. Bitte mache dir keine Gedanken darüber, warum du bist jetzt wahrscheinlich noch nichts von dem Erbe wusstest, was deinem Vater zugestanden hätte. Ich möchte nicht, dass du dich durch meine Nachricht verantwortlich für unsere gesamte Familie fühlst, das wäre nicht gerecht Ich will nur, dass du über das Bescheid weißt, was wir den wertvollsten Besitz unserer Familie nennen. Seit bald einem Jahrhundert ist das Schloss in unserem Besitz und es wäre wirklich schön, wenn auch du einmal dort gewesen wärst. Das ist mein letzter Wunsch, meine letzte Bitte an dich. Ich weiß, es ist viel verlangt. Aber ich bin sicher, du verstehst meine Gründe und auch die deiner Eltern. Wenn ich nur wüsste, wie es dir geht. Es tut mir so Leid, dass du von nun an alleine durch dein Leben gehen musst. Das hast du bei weitem nicht verdient. Ich erinnere mich noch vage an früher, als du noch ein kleiner Junge warst. Immer offen, ehrlich, fröhlich und aufgeweckt. Auch deine innere Stärke war unverkennbar. Wir waren alle so stolz auf dich. Und ich bin es immer noch. Es würde mich freuen, wenn ich dir mit meinen letzten Worten einen Einblick in das geben konnte, was du hoffentlich noch weiter erfahren wirst. In meinem jetzigen leben werde ich gut auf dich Acht geben, genau wie deine Eltern und deine Schwester Haine. Mein Herz erfüllt sich mir Freude, wenn ich daran denke, sie alle wieder zu sehen. Den Schlüssel zu unserem Schloss habe ich dir dazu gelegt. Trage ihn immer an deinem Herzen. Ich wünsche dir von nun an viel Glück bei deinem Weg des Lebens. Ich bin sicher, du erreichst deine Ziele. Du hast es so sehr verdient. In Liebe Dein Urgroßonkel Hiroshi Hanamori“ Die letzten Zeilen hatte Liam kaum noch lesen können. Alles war verschwommen vor seinen Augen, es brannte. Ohne es selbst zu merken liefen Liam die tränen die Wangen runter, fielen auf den Schlüssel, den er an sein Herz gepresst hielt. „Danke…“, flüsterte er. Kapitel 2: Das Schloss ---------------------- Noch eine Weile hatte Liam einfach dagesessen und seinen Tränen freien Lauf gelassen. Dann wischte er sich kurz mit dem Handrücken über die Augen und blinzelte die letzten Tränen weg, ehe er den Brief wieder in den zerknitterten Umschlag zurückpackte und sich den Schlüssel um den Hals hängte. Zufrieden betrachtete er sein Ebenbild im Spiegel und befand den Schlüssel als sehr passend zu seinem Outfit. Tiefe Dankbarkeit und Ruhe erfüllten ihn. Es war, als hätte der Brief seines Urgroßonkels alle Last Trauer und jeglichen Druck von seinen Schultern genommen, jedenfalls für den Moment, doch das reichte ihm vollkommen. Liam fühlte sich frei wie schon lange nicht mehr. Vielleicht lag es auch mit daran, dass ihm etwas Wunderbares vererbt worden war. Ein Schloss, dachte er leicht verträumt. Vielleicht sollte ich es mir mal ansehen? Er sah zu dem wieder eingepackten Brief. „Nein“, berichtigte er sich. „Ich muss es mir ansehen!“ Daraufhin erfasst ihn eine Welle Geschäftigkeit, dass Liam nur so durch die Gegend flitzte. Er suchte sich alles Mögliche zusammen: Schuhe, Jacke, Rucksack. Er hielt kurz inne. Ob er alleine gehen sollte? Immerhin war ein Tagesmarsch nicht etwa bis zum Supermarkt und zurück. Und zweitens ging es durch den Wald. Nicht, dass Liam Angst alleine im Wald hatte. Es war nur sicherer. Man konnte ja auch irgendwo in einen Graben oder so fallen und sich etwas brechen! Auch wenn diese Vorstellung ziemlich übertrieben war, so war sie doch realistisch. Und Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Augenblicklich war er am Telefon und wählte mit flinken Fingern die Nummer seines besten Freundes. Innerlich begann Liam schon zu lachen. Er konnte sich genau vorstellen, wie Eichi, sein bester Freund, reagieren würde. Nach beinahe 5 Minuten Wartezeit, Liam war es bereits gewohnt, meldete sich eine sehr verschlafen klingende Stimme am anderen Ende der Leitung. „Ja..?“ „Guten Morgen Eichi!“, flötete Liam und unterdrückte ein Lachen. Eichi war ein Morgenmuffel sondergleichen. Wirklich wach wurde er immer erst, wenn es bereits Mittag war. „Liam?“, es hörte sich an, als würde er gleich wieder einschlafen, wenn er nicht schnell eine Antwort bekäme. „Wer denn sonst, Schlafmütze! Oder wartet noch jemand die Zeit ab, bis du ans Telefon geschlurft kommst?“ Als Antwort kam ein leises Grummeln. „Was willst du? Du rufst doch sicher nicht an, um mir mal wieder mitzuteilen, was für ein Langschläfer und Morgenmuffel ich bin und dass ich gefälligst früher ins Bett gehen soll, anstatt später aufzustehen, oder?“ Liam lachte und zog sich einen Stuhl heran, auf dem er sich niederließ. „Nein, ich hab etwas viel Besseres! Und zwar habe ich eben einen Brief von meinem Urgroßonkel bekommen, der mir mitteilte, dass er mir ein Schloss vererbt hat. Und jetzt wollte ich...“ „Moment mal!“, unterbrach Eichi ihn. Er schien mit einem Mal hellwach zu sein. „Du...du hast WAS vererbt bekommen? Ein Schloss??“ Man hörte eine leichte Fassungslosigkeit in seiner Stimme, was Liam veranlasste breit zu grinsen. „Sieht so aus. Und das wollte ich mir jetzt ansehen. Es soll etwa einen Tagesmarsch von hier entfernt liegen. Zur Schule werde ich heute eh nicht gehen. Und da wollte ich dich fragen...“ „Ob ich nicht mitkommen kann, nicht wahr?“, beendete Eichi den Satz und seufzte hörbar. „Genau!“ Liam grinste immer noch breit. „Und nicht nur das: es liegt auch noch mitten im Wald!“ Damit war die Katze aus dem Sack. Am anderen Ende der Leitung war es ruhig. Zu ruhig. So ruhig, dass Liam sich schon beinahe Sorgen machte, Eichi könnte in Ohnmacht gefallen sein. „Eichi? Bist du noch dran?“, fragte er leicht unsicher. Da hörte man ein leises Röcheln. „Das ist doch nicht dein Ernst, oder?“, fragte eine krächzende Stimme. Eichi hasste den Wald. Er hasste ihn so sehr, dass er schon mehrere Male beinahe umgekippt war, als bei verschiedenen Anlässen in den Wald gegangen werden sollte. Liam wusste das natürlich, doch es bereitet ihm irgendwie immer wieder Spaß, Eichi so einen Schock zu versetzten. Auch wenn man so etwas wohl für gewöhnlich als bester Freund nicht tat. „Ähm...doch?“, meinte er also nur unschuldig. Eichi hustete. „Du weißt doch, wie sehr ich den Wald hasse! Und da fragst du mich so etwas?? Bist du verrückt geworden?“ „Meines Wissens noch nicht, aber das kann sich ja noch ändern.“, sagte Liam schlicht. „Ich frage nur, weil ich habe niemanden sonst, den ich fragen könnte und...na ja...alleine ist mir das doch etwas zu...unsicher, verstehst du?“ Keine Antwort. „Ich meine, ich habe ja keine Angst da alleine hin zu gehen, doch was ist, wenn ich mich irgendwie verletze, in den Graben rutsche, mir was breche...?“ Liam hatte sich schon alle möglichen Argumente zusammengelegt und er konnte sie gut und gerne alle aufzählen, allerdings hoffte er, dass Eichi vorher zustimmen würde. Er wusste nämlich auch, dass Eichi ihn wie einen kleinen Bruder beschützen wollte und so würde er sicher nicht wollen, dass ihm etwas zustoßen würde. Liam setzte erneut an, doch Eichi hielt ihn auf. „Ist ja schon gut, ich komme mit! Wann willst du los?“ Liam überlegte. „Hm…ich denke mal...da morgen das Wochenende beginnt und so...wie wäre es, wenn wir uns in einer Stunde bei mir treffen? Meinst du, das schaffst du?“ Gequält stöhnte Eichi auf. Er hätte sich lieber wieder in sein Bett verzogen und wäre so lange liegen geblieben, bis die Sonne langsam wieder unterging, doch das wurde ihm ja leider verwehrt. Denn er befürchtet, dass Liam zur Not auch ohne ihn losgehen würde, auch wenn er ihn jetzt gefragt hatte, ob er ihn begleiten würde. So konnte er Liam nichts abschlagen. „Okay...in einer Stunde. Bis denn!“ Und schon hatte er aufgelegt. Liam lehnte sich erst einmal auf dem Stuhl zurück und begann zu lachen. Es war doch immer wieder ein Spaß! Dann machte er sich allerdings daran, seine Ausrüstung zu vervollständigen und beinahe genau eine Stunde später stand Eichi mit Regenwetter-Mine, aber fertig und halbwegs wach vor seiner Tür. Der Weg durch den Wald war nicht so schlimm wie gedacht. Zwar gab es nicht wirklich einen befestigten Weg und so gingen sie einfach den Trampelpfaden nach, doch sie kamen gut voran. Auch wenn Eichi die ganze Zeit über Kommentare von sich gab, wie schlimm der Wald doch wäre und dass man doch besser eine Straße hätte bauen sollen, als die paar Bäume hier stehen zu lassen. Liam ließ sich daran jedoch nicht stören, da er es ja bereits gewohnt war und zum anderen hatte er beim Zusammenpacken noch eine für ihn höchstinteressante Entdeckung gemacht. In einer Schublade einen ziemlich alten Schrankes, der einmal von seinen Eltern benutzt worden war, jetzt allerdings nur staubend in der Gegend rum stand, hatte er eine vergilbte Karte gefunden, auf der so etwas wie der Weg zum Schloss eingezeichnet worden war. Scheinbar hatte sein Vater diese Karte besessen und vielleicht sogar einmal daran gedacht, das Schloss aufzusuchen. Oder vielleicht hatte er es schon einmal betreten? Auf jeden Fall hatten seine Eltern eine Karte besessen und diese hatte Liam jetzt gefunden. Während sie also durch den Wald liefen, studierte Liam die Karte genau. Gegen Mittag machten sie eine kurze Pause um zu verschnaufen. Als es dann weiterging wurden Eichi´s Kommentare zum Wald auch schon weniger. Vielmehr hörte man nur noch „Wann sind wir da?“ und „Wie lange noch?“. Langsam ging die Sonne unter, und dann ganz plötzlich blieb Liam wie angewurzelt stehen. Sein Blick starr geradeaus gerichtet. Verdutzt fuchtelte Eichi mit einer Hand vor seinem Gesicht herum. „Hey! Liam? Alles in Ordnung?“ Doch Liam reagierte gar nicht wirklich. „Schau mal da vorne“, wisperte er und ging dann weiter. Immer noch verwirrt sah Eichi in dieselbe Richtung und erstarrte ebenfalls. Sofort war er neben Liam, der vor Aufregung Sommersprossen bekommen hatte und sein Tempo immer mehr steigerte. Schließlich rannten beide nur so und nach etwa 500 Metern blieben sie mit offenem Mund und völlig außer Atem stehen. Kapitel 3: Wie ein Geisterhaus ------------------------------ „Wow.“, war das einzige, was Eichi raus brachte. Liam hatte bereits zu atmen vergessen, langsam aber sicher liefen seine Lippen bläulich an. Die Stille beunruhigte Eichi. Mit einem verschlagenen Blick zur Seite erkannte er das Problem. „Liam, atme!“, befahl er ihm schockiert und atmete erleichtert aus, als der Angesprochene seine Lungen mit frischer Waldluft füllte. Liam tastete nach etwas, fand dann den Ärmel von Eichi´s Jacke und zupfte perplex daran. „Siehst du das?“, fragte er überflüssigerweise. Eichi schüttelte seine blonden Haare aus dem Gesicht und guckte verwirrt über diese Frage. „Natürlich sehe ich das.“, antwortete er trotzdem. Mit zusammengezogenen Augenbrauen betrachtete er nun Liam, besonders die kleinen Sommersprossen auf seiner blassen Haut faszinierten ihn. „Das ist unglaublich.“, hauchte der kleinere von Beiden und schritt staunend auf das riesige Gebäude zu. Die alten Fenster waren großteils hinter dunkelbraunen Fensterläden versteckt. Die wenigen Fenster, an denen es keine Läden gab –oder nie gegeben hatte- waren verstaubt und sogar von störrischen Pflanzen umwachsen. Die Fassade des Schlosses war an manchen Stellen abgebröckelt, der große Vorgarten zugewuchert und das Gartentor verrostet. Dennoch hatte es eine unglaubliche Anziehungskraft. „Hast du den Schlüssel bei?“, unterbrach Eichi das Schweigen. Es war kalt, feucht und ungemütlich. So, wie es in Wäldern meistens war. Und wenn man Wälder hasst… „Hm-hm.“, machte Liam und fasste sich unter seine Jacke, seinen Pulli und sein T-Shirt, um den goldenen Schlüssel hervorzuholen. Wie einen Schatz hielt er ihn hoch. „Dann lass uns rein gehen. Kann ja sein, dass es da drin gemütlicher ist.“, entgegnete der Blonde ungeduldig und öffnete das Gartentor um direkt danach hindurch zu schreiten. Ein leises Quietschen erinnerte Liam an sein eigenes Gartentor. Schnell holte er den Vorsprung von Eichi auf und trat vor ihm an die Türe. Ungeschickt wie er war brauchte er mehrere Anläufe, ehe der Schlüssel im Schloss steckte. Jedoch aufschließen konnte er nicht, da klemmte irgendwas. Vergeblich zerrte er an dem Türknauf, rüttelte an dem Schlüssel. „Hilf mir mal!“, jammerte er unbeholfen. Eichi trat an seine Stelle, drehte den Schlüssel mit Gewalt herum und grinste. „War doch einfach.“, lachte er. Liam überging diese Bemerkung und stieß den Torflügel ein Stück weit auf. Vor ihm erstreckte sich eine riesige Eingangshalle, an deren Decke ein gewaltiger Krohnleuchter hing. Staunend betrat er das alte Gebäude, von Eich gefolgt. Dieser brachte nur einen seltsam erstickten Laut hervor. Die Wände waren mit einer Hüfthohen Holzvertäfelung verkleidet, darüber hing eine ehemals wohl weiße, jetzt aber beige Tapete. Ein paar große, prachtvolle Gemälde hingen an den Wänden. Neugierig ging Liam auf die rechts liegende Wand zu und betrachtete ein Gemälde, das dort hing. Darauf war eine wundervolle Landschaft zu sehen. Ein Wald, oder zumindest ein Teil davon. Dann ging ihm ein Licht auf. „Das ist ja das Schloss hier!“, bemerkte er überrascht und erkannte nun auch die Türe und die Fenster auf der Frontseite des Gebäudes. Auf dem Bild war es so hell und gemütlich. „Wohl schon ziemlich alt, das Bild.“, meinte Eichi, als er neben ihn trat. Liam stimmte ihm nickend zu, wand sich dann aber wieder ab, um die Halle zu bestaunen. Sein Blick schweifte über die alte Treppe, die in den zweiten Stock führte, einen großen Tisch, der in dem Teil des Raumes stand, der von der Empore überdacht wurde. Um den Tisch waren mehrere große Sessel gestellt, auf dem Tisch stand ein Kerzenleuchter. Unter der Treppe waren mehrere Portraits gestapelt und aufgereiht. Vielleicht war schon mal jemand hier gewesen, der das Haus ausräumen wollte? Neugierig ging Liam im Raum umher, dicht von Eichi gefolgt. Irgendwie gefiel es dem Blonden nicht, seinen Freund alleine hier rumlaufen zu lassen… „Wollen wir mal in die obere Etage gehen?“, fragte Liam und machte sich schon auf den Weg zur Treppe. Kurz, bevor er den ersten Fuß auf die unterste Stufe stellte, umhüllte eine eisige Kälte seinen Körper. Ein lähmendes Gefühl breitete sich in ihm aus, seine Kehle wurde zugeschnürt und seine Gedanken vernebelt. Eine Gänsehaut zog sich quälend langsam über seinen Rücken und ließ seine Hände leicht zittern. Wenn er sich nicht geirrt hatte, bildete sich weißlicher Dunst vor seinem Mund, wenn er ausatmete. Und dann war es auch schon wieder vorbei. Stattdessen war es wärmer, als zuvor. Liam klappte der Kiefer nach unten. „Hast du das eben gespürt?“, fragte Liam Eichi entgeistert und blickte ihn fragend an. „Nein, was denn?“, entgegnete dieser aufmerksam und skeptisch zugleich. „Geht es dir gut?“ Vielleicht waren die Gefühle, die Liam hier auffand zu groß und überrumpelten ihn, dass er schon Wahnvorstellungen hatte… „Diese… Ach, egal.“, meinte Liam ausweichend, drehte sich wieder um und ging die leise knarrende Treppe hoch. Oben angekommen atmete er erleichtert aus. Diese Kälte von eben stand ihm noch klar und deutlich ins Gedächtnis geschrieben. Aber warum war sie auf einmal weg gewesen? Wieder lief Liam eine Gänsehaut über den Rücken. Aber er wollte jetzt kein Feigling sein und panisch aus dem Gebäude rennen, auch wenn seine Instinkte ihm das rieten. Seine Nackenhaare blieben gesträubt, als er zum Geländer ging, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Von hier oben sah die Halle noch viel eindrucksvoller aus. Als Eichi neben ihn trat, erschrak er und zuckte zusammen, Das bemerkte der Blonde dann doch und sah seinen Freund besorgt an. „Ist wirklich alles in Ordnung bei dir?“, fragte er ein weiteres Mal. Als Antwort erhielt er nur ein Nicken. „Findest du nicht auch, dass es hier aussieht, wie…“ „In einem Geisterhaus?“, beendete Liam und nickte heftig. „Ich find das klasse!“, meinte er begeistert, was allerdings nicht so ganz der Wahrheit entsprach. „Du spinnst doch…“, murmelte der Ältere von beiden nur und schüttelte den Kopf. Liam konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und fragte: „Angst, hm?“ Eichi lachte leise und abfällig. „Als ob.“ Liam zuckte mit den Schultern und wendete sich dem Gang zu, der sich hinter ihm auftat. Er sah verdammt lang aus, so lang hatte das Haus von außen nicht ausgesehen. Eichi schien denselben Gedanken zu haben. „Ganz schön lang…“, meinte er. Liam marschierte los, seine wieder zurückkehrende Gänsehaut ignorierend. Immer noch schmückten Gemälde jeglicher Größe und Form die Wände zu beiden Seiten. „Ich komme mir vor, wie in einem Horrorfilm!“, meinte Eichi ungewöhnlich gelassen. Liam riss die Augen auf und sah ihn entgeistert an. „Was?!“ „Ach, vergiss es.“, meinte der Blonde hektisch und ging weiter. Sie waren schon an mehreren Türen vorbei gekommen, als Liam etwas auffiel. Neben fast jedem Zimmer hing ein Foto rechts neben der Türe. Wahrscheinlich so wie Namensschilder. Seine Bewunderung wuchs und wuchs. Neugierig wie er war hielt er an einer der Türen auf der rechten Seite und betrachtete das Foto einer jungen, hübschen Frau. Unter dem ovalen Rahmen war der Name auf ein Stück Kupfer graviert. „Sally Hanamori…“, las er vor. Die Frau erinnerte ihn stark an seine Mutter und er musste mit dem aufkommenden Kloß in seinem Hals kämpfen. Ihre blonden, lockigen Haare, die zum Teil hinten zusammen gesteckt waren, die smaragdgrünen Augen, die weichen Gesichtsformen… es hätte ohne weiteres ein früheres Bild seiner Mutter sein können. Aber sie hieß nicht Sally. „Kennst du sie?“, fragte Eichi vorsichtig, als Liam nichts mehr sagte. Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Nein… aber… sie sieht meiner Mutter sehr ähnlich.“, meinte er mit leicht wackeliger Stimme. Dann schluckte er einmal und er hatte sich wieder im Griff. Das Zimmer seiner Eltern musste hier auch irgendwo sein! Mit einem nervösen Kribbeln in den Fingerspitzen ging Liam den Gang weiter, betrachtete jedes Foto und den Namen darunter flüchtig, um es gleich darauf als das falsche zu identifizieren. Eichi folgte ihm mit schnellen Schritten. So ziemlich am Ende des Ganges fiel der Blick des Rothaarigen auf ein wunderschönes Foto von einem glücklichen Paar. Paralysiert ging er darauf zu und strich mit seinen Fingern über das Glas. Auf dem Schild unter dem Foto standen in einer ausgefallenen Schrift die Namen seiner Eltern: Liriell & Sato Hanamori. Liam lief eine Träne die Wange runter, aber er wischte sie schnell weg. „Das sind meine Eltern!“, meinte er jedes einzelne Wort betonend zu Eichi. Dieser wurde aufmerksam und stellte sich neben ihn, um das Bild anzusehen. Er nickte. „Wow… sie sehen dir beide echt ähnlich…“, war das einzige, was er raus brachte. Liam lächelt leicht und griff gespannt nach der Türklinke. Er drehte sie nach links und ein Klacken war zu hören. Zum Glück war sie nicht abgeschlossen gewesen. Ganz langsam öffnete Liam die Türe, erkannte aber nichts. Draußen war es zwar noch hell genug, aber die Fenster des Raumes waren mit den Fensterläden verschlossen. Liam holte einmal tief Luft und gab sich einen Ruck. Dann ging er tastend durch das Zimmer. Einmal stolperte er, konnte sich aber fangen. Beim zweiten Mal fiel er geradewegs auf etwas Kantiges, Hartes. Ein schmerzvoller Laut durchzog die vor Spannung kribbelnde Luft. „Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Eichi, weil er Liam absolut nicht mehr sehen konnte. Wie konnte es sein, dass der Gang einigermaßen gut beleuchtet war, das Zimmer aber nicht im Geringsten beleuchtete? Dieses Haus war wirklich eigenartig… Gerade wollte Liam aufstehen, als er wieder einen leichten Anflug der Kälte spürte, die ihn vorhin zum Stillstand gebracht hatte. Diesmal fühlte es sich an, als ob sie weiter weg wäre. Wie, wenn sie wandeln könnte! Als er das erkannte, gefror Liam das Blut in den Adern. Mit weit geöffneten Augen versuchte er, etwas zu erkennen. Aber es war einfach zu dunkel. Schnell rappelte sich Liam auf und lief ängstlich weiter. Er schluckte. „Liam?“, fragte Eichi etwas panisch, weil er ihm nicht geantwortet hatte. „Alles… in Ordnung.“, log er und merkte, wie etwas Kaltes seine nach vorne ausgestreckten Hände berührte. Zuerst zuckte er zusammen und musste einen Schrei unterdrücken, aber dann wurde ihm klar, dass es nur die Rückwand des Zimmers war. Irgendwo hier mussten Fenster sein. Mit zitternden Fingern tastete Liam die raue Wand ab und wand sich nach rechts, als er nichts fühlte. Die Kälte war noch immer da. Sie betäubte ihn. Nervös suchte er die Wand ab, stieß an ein Bücherregal oder etwas Ähnliches und musste ausweichen. Seine Finger glitten durch Spinnenweben und Staub. Und da war er, der Fensterladen! Suchend glitt er über das Holz und fand die Mitte. Gewaltsam zerrte er daran rum und versuchte, die Läden zu öffnen. „Jetzt mach schon…“, presste er unter Anstrengung zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor und zog noch einmal so kräftig, wie er konnte. Es Knackte. Mit dem Geräusch verschwand das letzte Anzeichen der Kälte und die Fensterläden taten sich auf. Liam verlor durch ihr plötzliches Nachgeben das Gleichgewicht und fiel rücklings hin. Staubiges Licht erfüllte den Raum, aber es war hell genug, dass man etwas erkennen konnte. Liam rieb sich den Hinterkopf, mit dem er hart auf dem Boden aufgekommen war und öffnete blitzartig die Augen. Zuerst sah er nur die hellbraune Wand und das Fenster, das sich über ihm auftat. Abrupt drehte er sich um und sah auch schon, wie Eichi auf ihn zustürmte. Oder er versuchte es zumindest, denn auf dem Boden lagen jede Menge Bücher verstreut, sodass normales Gehen nicht möglich war. „Liam!“, stieß Eichi hervor, als er bei seinem Freund angekommen war. „Du bist leichenblass!“ Liam wurde schwindelig, als Eichi ihm aufhalf und zu dem abgenutzten, aber gemütlichen Sofa verhalf. Erleichtert ließ sich Der Rotschopf darauf nieder und hielt sich den Hinterkopf. Dennoch sah er sich um. Das Zimmer war einfach nur toll. Es war genau so, wie er es sich vorgestellt hatte. Ein dunkelroter Teppich lag auf einem hellbraunen Holzfußboden, die Wände waren schlicht und mit ein paar Bildern oder Fotos dekoriert. Auf der gegenüberliegenden Seite des Sofas war eine Türe. Dort befand sich wahrscheinlich das Schlafzimmer. Auf der rechten Seite, neben der Tür, die auf den Gang führte, stand ein altmodischer Schreibtisch aus dunklem, edlem Holz. Darauf war nichts, außer ein ausgelaufenes Fass Tusche, dass wohl am Tisch festgetrocknet war und eine zur Hälfte mit Tinte voll gesaugte Feder. „Das sieht aus, als ob deine Eltern… hier furchtbar schnell verschwinden mussten.“ Liam stand nach dieser Bemerkung der Mund offen. Er hatte Recht! Was, wenn seine Eltern hier vertrieben worden sind? Und wenn ja, wieso? All seine Vorstellungen über seine Familie wurden hinterfragt. „Und ich dachte…“, fing Liam an, beendete seinen Satz aber nicht, als sein Blick auf ein großes Portrait an der linken Wand des Zimmers flog. Er konnte den aufkommenden Schrei diesmal nicht unterrücken. „Was ist denn jetzt los?“, fragte Eichi überrascht und folgte Liams Blickrichtung. Als er das Portrait sah, lief auch ihm ein Schauer über den Rücken. Ein leichenblasser Mann, deren Augenbrauen tiefe und dunkle Schatten über seine Augen warfen und die vielen Falten und Kanten in seinem Gesicht noch betonten, starrte sie geradewegs an. Seine Pupillen waren beinahe weiß, so hell waren sie. Sein Mund war zu einem schmalen, scharfen Lächeln verzogen, verlieh dem Gesicht aber keine Spur von Freude. „Oh mein Gott… der sieht aus, als würde er gleich aus dem Bild kommen.“, stellte Eichi leicht belustigt fest, stand auf und ging auf das Gemälde zu. „Wer hängt so etwas in sein Zimmer?“, fragte er sich selbst, als er direkt davor stand. „Dreh es um, bitte!“, meinte Liam in einem Anflug von Panik, die gerade in ihm hoch sprudelte. Eichi sah ihn komisch an, tat aber, worum er ihn gebeten hatte. Anschließend kam er wieder zu seinem jüngeren Freund zurück und kniete sich vor ihm in die Hocke. „Hast du dir wehgetan?“ „Ja. Mein Kopf brummt ganz schön.“ „Lass mal sehen…“, meinte Eichi und tastete nach Liams Kopf, um gleich darauf die Beule zu sehen, die sich auf der Rückseite breit machte. „Du hast ziemliches Talent, dich zu verletzen.“, stellte er fest, wusste aber, dass es nichts Ernstes war. „Danke.“, entgegnete Liam ironisch und hatte die Kälte von gerade fast wieder vergessen. Stattdessen ließ er seinen Blick durch das Zimmer wandern. Es war wirklich ein sehr schöner Raum. Die Tapete harmonierte mit den Möbeln und die Bilder gaben die richtige Stimmung. Liam fühlte sich dort wirklich wohl. „Deine Eltern hatten Geschmack.“, kommentierte Eichi, als er das Zimmer ebenfalls unter die Lupe genommen hatte. Liam lächelte und blickte ihn daraufhin an. „Und was wollen wir nun machen?“, sinnierte der Jüngere von beiden und legte die Stirn in Falten. Eichi zuckte mit den Schultern. „Na ja… ich bezweifle, dass wir heute alle Zimmer durchgucken können, das ist einfach zu viel. Ich würde vorschlagen, dass wir zuerst einmal die Küche suchen. Ich habe Hunger.“ „Fresssack…“, murmelte Liam und machte ein sarkastisches Gesicht. „Was hast du gesagt?“ „Nichts, nichts.“ Der Rotschopf erhob sich und ging wieder in Richtung Türe. Eichi folgte ihm. „Und wo sollen wir suchen? Das Haus ist riesig! Eine Karte wäre vielleicht nicht schlecht:“, grübelte Liam und blickte den Gang runter, den sie gekommen waren. Hier würde die Küche aber sowieso nicht zu finden sein, denn hier waren nur die Räume der Familie. „Ich schlage vor, wir gehen erst einmal wieder nach unten. Im ersten Stock haben wir uns noch nicht umgesehen.“, meinte Eichi, woraufhin sie sich beide gleichzeitig in Bewegung setzten. Als sie wieder auf der Empore standen, erinnerte sich Liam wieder an die Kälte. Würde sie noch einmal erscheinen? Hier hatte er sie zumindest das erste Mal gespürt. Er schluckte. Sei jetzt kein Angsthase! Das hier ist dein Schloss! Mutig schritt er die Treppe runter. Die letzten Stufen näherten sich. Als er unten angekommen war, atmete er erleichtert aus. Eichi sah ihn nur komisch an, fragte aber gar nicht erst nach. „Eigentlich ist das gar nicht so schlecht hier. Schön viel Platz.“, meinte er und ließ den Blick erneut durch die große Eingangshalle schweifen. Ja, ein richtiges Geisterschloss… „Find ich auch!“, los Liam und ging nach links unter die Empore, wo sich zwei Türen vor ihm auftaten. Er ging mutwillig auf die linke zu und drückte die Klinge runter. „Jackpot!“, rief er grinsend und öffnete die Türe ganz. Eichi erkannte die geräumige Küche. Oder besser: Die Küche plus Esssaal. Auf der linken Seite war alles zu finden, was man in einer gut ausgerüsteten Küche brauchte. Ein altmodischer Herd, ein Kühlschrank, der nicht mehr sehr funktionstüchtig aussah, jede menge Arbeitsplatten und Schränke. Auf der rechten Seite hingegen waren mehrere lange tische mit rund 10 Stühlen um jeden drum herum aufgestellt. Liam trat ein und drehte sich einmal im Kreis, um einen Überblick zu gewinnen. „Wow, das ist ja gigantisch!“, rief er erfreut und tänzelte zu den Tischen. Als er an seine eigene Wohnküche dachte, musste er angesäuert grinsen. „Hier kann man ordentlich feiern… und vielleicht auch kochen.“, fügte Eichi bedenklich hinzu, als er die ganzen Gerätschaften in der veralteten Küche untersuchte. Liam blickte ihn aufmerksam an. „Der Herd hier ist zwar alt, aber der funktioniert sicher noch, wenn man ihn mal ordentlich sauber macht. Den Kühlschrank können wir abhaken. Der fällt schon fast zusammen.“ Ein leises Klirren war zu hören und beide blickten sich alarmiert um. Liam ging schnell zu seinem Freund rüber und stellte sich nah an ihn. Eichi blickte zu Boden. Dort war eine Falltüre! Oder zumindest eine Klapptüre… „Sieh dir das an!“, meinte er verdutzt und bückte sich. Liam äugte über ihn drüber und entdeckte ebenfalls den alten Henkel, mit dem man die Türe aus dem Boden heben konnte. „Was ist das denn?“, stieß er aus und hockte sich neben Eichi, um das ganze besser sehen zu können. Dieser zog gerade an dem Griff. Es tat sich aber nichts. Dann ging er auf die andere Seite und stemmte sich mit seinem Gewicht dagegen. Die Klappe tat sich auf. „Bah, ist das staubig!“, hustete Liam, der beinahe in einer Staubwolke verschwand. Eichi lachte, blickte dann aber in das schwarze Loch vor ihm. „Hm… man kann gar nichts erkennen.“, meinte er und blickte sich wieder um. „Hinten auf einem der Tische stand eine Öllampe! Ich hol sie eben.“ Liam sprang auf und lief zu den Tischen. Mit der Lampe in der Hand kam er zurück. Eichi war schon einen Schritt weiter und beugte sich kopfüber in das Loch. „Hast du ein Feuerzeug oder Streichhölzer?“, kam es von ihm. Seine Stimme klang dumpf. Dort unten musste es ziemlich geräumig sein. „Vielleicht sind welche in den Schubladen. Moment eben.“ Liam stellte die Lampe ab und öffnete seine Schublade nach der anderen. Er fand jede Menge Besteck und Messer. Ganz schöne Mordinstrumente… Er schloss die eben geöffnete Schranktüre wieder und machte sich weiter auf die Suche. In einem Schrank, der unter einem Fenster stand, wurde er fündig. Er zog die verstaubte Schachtel heraus und pustete sie an. „Gefunden!“ Die Streichhölzer waren rund 15 Zentimeter lang und recht dick. Er nahm eines heraus und strich damit schnell an der Außenseite der Verpackung entlang. Direkt beim ersten Versuch entzündete sich eine Flamme. Triumphierend griff er wieder nach der Öllampe und hielt das Streichholz so hinein, dass es den Boden erreichte. Als auch in der Lampe eine helle Flamme leuchtete, wedelte er das Streichholz aus und ging wieder zu Eichi. „Hier.“ Er nahm die Lampe und bückte sich mit ihr wieder nach unten in die Kammer. „Wow…“, hörte man nur noch, dann stieg er hinunter. Kapitel 4: Nicht allein... -------------------------- „Wow“ hörte man nur noch, dann stieg er hinunter. Das Licht der Öllampe ließ den ganzen Raum im Dämmerlicht erscheinen und der Staub in der Luft tanzte gut sichtbar im schein des Lichtes. „Das musst du dir ansehen Liam!“, rief Eichi und sah mit glänzenden Augen zu seinem Freund hinauf. Diesem war nicht ganz wohl dabei, in diesen düsteren und anscheinend auch muffigen Raum zu steigen, selbst mit Eichi und einer Lampe. Allerdings wollte er auch nicht als Feigling dastehen, atmete einmal tief durch und machte sich ebenfalls an den Abstieg. Unten angekommen blinzelte er noch ein wenig bis seine Augen sich an die Dämmerung gewöhnt hatten. Vorsichtig sah er sich um. Eichi betrachtete seinen Freund genau und wartete auf dessen Reaktion, wobei ihm auffiel, dass sich wieder ein, zwei Sommersprossen auf der Blassen Haut des Kleineren verirrt hatten. „Wow~...“, kam es nun auch von Liam. „das ist ja krass!“ Eichi grinste. „Ja, ne?“ Dann ließ er seinen Blick die Wände entlangschweifen. „Lass uns erst einmal nach einem Lichtschalter suchen, damit wir das hier in voller Schönheit bewundern können.“ Meinte der Blonde und begann, an der Wand lang nach einem Schalter zu tasten. Liam lief einfach nur staunend hinter dem Älteren her. Nach kurzer Suche fand Eichi eine Art Schalter und plötzlich sprangen unzählige Glühbirnen mit einem leichten Klirren an und der Raum war urplötzlich hell erleuchtet. Geblendet zuckte Liam zurück und rieb sich die Augen. Als er sie erneut öffnete, sah er den Raum, der mindestens zehn Meter lang und fünf Meter breit war, im Ganzen. An den Wänden standen Regale, sowie auch in der Mitte des Raums. Sie waren mit allen möglichen Gläsern, Tontöpfen und Tüten voller Lebensmittel voll gestellt. In einer Ecke befanden sich zusätzlich ein paar Säcke, die wohl mit Getreide, Mehl, Kartoffeln oder sonstigem gefüllt waren. In einer anderen standen vier Fässer dicht an dicht, in denen sich dem Geruch nach zu urteilen, Wein befand. Liam lief das Wasser im Mund zusammen. „Damit kann man ja Monate leben!“ Liam war begeistert. „Vorausgesetzt, dass alles noch haltbar ist.“, murmelte sein blonder Freund und öffnete vorsichtig ein Glas, um prüfend daran zu schnuppern. Er schloss die Augen. „Hmmm~ ich denke...das können wir uns nehmen.“ Er drehte sich lächelnd zu Liam um. „Wie wär’s wenn wir uns erst einmal was zum Futtern machen? Mir knurrt schon der Magen als könnte er einen Bären verdrücken.“ Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Auch Liams Magen knurrte bedrohlich und er schlang peinlich berührt die Arme um seinen Bauch. „Wäre wohl ganz gut...mal sehen, was es hier noch so gibt.“ Suchend sah er sich um und griff schließlich wahllos in eines der Regale. Ohne Vorwarnung war die Kälte wieder da, kroch seine Beine hoch und lähmte seinen Körper. Unweigerlich stieg die Angst in ihm hoch und er war schon wieder kurz davor, das Atmen zu vergessen. Sein blasses Gesicht war schreckensverzerrt und die Tüte, die er gerade noch in der Hand gehalten hatte, fiel mit einem Knistern zu Boden. Eichi hörte das Geräusch der herunterfallenden Tüte und sah sich fragend zu seinem Freund um, der stocksteif vor dem Regal stand. „Liam..? Alles klar bei dir?“ Doch dieser hörte nichts mehr. Nur eine Stimme, eine leise Stimme in seinem Kopf und Wortfetzen deren Zusammenhang er nicht erfassen konnte. „..nicht...da...sen...echt...“ Seine Augen schimmerten unsicher. „LIAM?!“ Eichi war mittlerweile zum Kleineren gelaufen und rüttelte leicht an dessen Schultern. Er hatte vor Aufregung doch glatt wieder aufgehört zu atmen und seine Lippen liefen bläulich an. „Liam, atme wieder!!“ Nun schlug Eichi leicht gegen die Wangen seines Freundes, dessen Augen leer durch ihn hindurch starrten. Langsam verschwand die Kälte wieder und Liams Bewusstsein kam wieder zurück. Hektisch begann er Luft zu holen, was Eichi erleichtert aufatmen ließ. „Gott sei dank...“, murmelte er immer noch leicht verstört. „Was…Was ist passiert?“, fragte Liam verwirrt. „Genau das könnte ich dich fragen! Was fällt dir eigentlich ein mir so einen Schrecken einzujagen?!“, langsam würde der Blonde echt wütend. „Da...war auf einmal wieder diese Kälte und – und so eine Stimme…und…“, Liam blickte in Eichis verständnisloses Gesicht. „Häää?“ Dann fasste er Liam an die Stirn. „Also Fieber hast du schon mal nicht...“ Liam dachte kurz nach. Eichi schien nichts von der Kälte mitbekommen zu haben. Wie auch schon auf der Treppe. Wurde er etwa langsam wahnsinnig? Liam schüttelte den Kopf. „Ach, schon gut...hab ich mir wahrscheinlich nur eingebildet. Tut mir leid dich so erschreckt zu haben...“, nuschelte er noch und sah betrübt zu Boden. Der Blonde seufzte und wuschelte dem Kleineren durchs Haar. „Okay...dann wollen wir mal wieder hoch gehen. Hast du alles?“ Liam nickte nur abwesend und folgte Eichi wieder zurück. Die heruntergefallene Tüte blieb liegen... In der Küche schmissen sie erst einmal ihre Beute auf einen Ablagetisch, wo sie die Haltbarkeitsdaten überprüften. Aus den Sachen, die übrig blieben, fabrizierten sie ein ‚kleines’ Menü, an dem sie sich satt aßen. Nach dem Essen ließen sie sich in ihre Stühle sinken. „Das hatte ich jetzt gebraucht~“, seufzte der Kleinere wohlig und schloss die Augen. Auch Eichi, der durch das viele Essen müde geworden war, lächelte schwach. „Und wer wäscht das ganze Zeug jetzt ab?“, fragte er gespielt streng, sodass beide lachen mussten. Das Licht, dass durch die Fenster fiel wurde immer schwächer und der Raum erstrahlte in einem rot-orangen Farbton. „Es wird schon Abend?“, meinte der Rot-braunhaarige überrascht. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass die zeit so schnell verstrichen war. „Sieht so aus...heute kommen wir wohl nicht mehr nach Hause, hm?“ Fragte der Größere. Man merkte an seiner desinteressierten Stimme, dass er auch noch nicht daran gedacht hatte, zurückzukehren. „Also verbringen wir eine Probenacht hier im Schloss!“, Liam lächelte. „Ist ja dein Schloss, also wer wird uns schon davon abhalten?“ Eichi grinste und erhob sich. Da bin ich mir mittlerweile gar nicht mehr sicher, dachte der Kleinere zerknirscht. Doch auch er erhob sich und verfrachtete sein Geschirr in den Küchenbereich zurück. Dann machten sie sich auf die Suche nach einem geeigneten Schlafplatz. Während sie die Gänge mit den Zimmertüren durchliefen kam Liam eine Idee und er hielt abrupt an. Eichi sah ihn wieder prüfend an. Seit sie angekommen waren benahm Liam sich komisch und das besorgte ihn ungemein. „Was ist denn?“, wachsam fixierte er den kleinen Rot-braunhaarigen. „Ach nichts, mir ist nur gerade eine Idee gekommen. Und zwar: Wenn jeder, der jemals zur Familie Hanamori gehört hat, hier ein Zimmer hat...könnte es dann nicht auch sein, dass es sogar für mich ein Zimmer gibt?“ Eichi blinzelte. „Gut möglich...“, gab er nach kurzem Schweigen zu. Liam nickte. „Dann lass uns doch mal suchen gehen. Ich meine, es dauert doch noch eine Weile bis es vollkommen dunkel wird und zur Not gibt es hier sicher noch Lampen.“ Letzteres sagte er mehr um sich selbst zu ermutigen, denn der Gedanke, in Dunkelheit gehüllt durch ein verlassenes Schloss zu gehen, in dem schon seit seiner Ankunft merkwürdige Dinge passierten und Fragen über Fragen entstehen ließ, ganz zu schweigen von der Kälte die ihn von Zeit zu Zeit umschloss...das behagte ihm nicht sonderlich. Ein Schauer durchlief ihn. Eichi lachte und legte Liam einen Arm um die Schulter. „Ich bin ja bei dir.“, meinte er mit einem feixenden Unterton in der Stimme, doch der Kleinere sah erleichtert zu ihm hoch. „Danke.“, meinte er ehrlich, entwand sich der Hand auf seiner Schulter und ging weiter den gang entlang. Der Blonde sah ihm verwirrt hinterher. Eigentlich hatte er ihn doch ein wenig necken wollen, aber mit so einer Reaktion hatte er nicht gerechnet. Doch irgendwie... Ihm wurde warm und er nahm wahr, dass sein Herzschlag sich beschleunigt hatte. „Hey, Eichi! Kommst du?“ Eichi blickte hastig auf und sah Liam einige Meter von sich entfernt stehen und ihm leicht zuwinken. Er schüttelte den Kopf und holte auf. „Komme ja schon!“, brummte er. Der gang schien kein Ende nehmen zu wollen. Immer wieder tauchten neue Türen auf, neue Seitengänge taten sich ihnen auf und mittlerweile hatten die Beiden auch schon die Beleuchtung anschalten müssen. Schließlich wurde es Beiden zu viel. „Noch diesen Gang!“ Liam deutete in einen weiteren der zahlreichen Seitengänge. „und wenn da NICHTS ist suchen wir uns irgendein Zimmer! Egal welches.“ Genervt blähten sich seine Nasenflügel auf. Eichi konnte dem nur zustimmen. Er war müde vom langen herumlaufen und eigentlich konnte er auch mal wieder einen Bissen zwischen den Zähnen vertragen. Mehr schlurfend als gehend bewegten sie sich durch den hell erleuchteten Flur. Müßig schweiften ihre Blicke über die Namenschilder mit den dazugehörigen Fotos. Liam war schon halb am einschlafen und bemerkte somit nicht, wie Eichi mit einem Mal stehen geblieben war. Deshalb rannte er erst mal frontal in ihn hinein, sodass sie einige Schritte nach vorne taumelten. „Was bleibst du denn so plötzlich stehen?!“, maulte der Kleinere seinen Freund schläfrig an. „Ich hab’s gefunden.“, gab dieser nur als Antwort. Das Gehirn des Rot-braunhaarigen schien immer noch im Dämmerzustand zu sein, was zur Folge hatte, dass er ein äußerst geistreiches ‚Häää?’ verlauten ließ. Der Blonde rollte mit den Augen. „Na dein Zimmer! Ich hab’s gefunden!“, meinte er und zeigte auf eine Tür, 2 Schritte von ihnen entfernt. Neugierig näherte sich Liam der Tür. „Tatsächlich“, kam es schließlich von ihm. Das Foto, das über dem Namenschild hing, war in einen vergoldeten Rahmen eingefasst und schien erst vor ein paar Monaten gemacht worden zu sein. Selbst das kupferne Schild, auf dem sein Name ‚Liam Hanamori’ eingraviert war, glänzte noch ziemlich verdächtig. „Es muss gar nicht mal so lange her sein, seit jemand dieses Zimmer hat machen lassen.“, überlegte Eichi laut. Liam wusste nicht, was er darauf antworten sollte und legte stattdessen seine Hand auf die Türklinke. Anspannung durchlief seinen ganzen Körper, während er langsam die Klinke hinunterdrückte. Zunächst öffnete er die Tür nur einen Spalt, dann, nachdem er einen kurzen Blick in das unbeleuchtete Zimmer geworfen hatte, stieß er die Tür völlig auf und begann die Wand neben der Tür nach einem Lichtschalter abzutasten. Kaum gefunden war auch schon das Zimmer lichtdurchflutet. Das Zimmer war, ähnlich wie alle anderen, mit einem Schreibtisch und einem Sofa ausgestattet. Ferner ein Bücherregal, ein Schrank und natürlich ein Bett. Liam sah sich um. „Hübsch~“, meinte er schließlich und schloss die Tür. „Schläfst du auf dem Sofa, Ei-chan?“, fragte er mit einem schiefen Grinsen. „Hat sich was mit Ei-chan!“, antwortete dieser pampig. Die Müdigkeit ließ seine Laune rapide sinken. „Aber okay...ich nehme das Sofa.“ Er ließ sich noch von Liam eine Decke geben, welche dieser im Schrank entdeckt hatte. Alles weitere auf den nächsten Tag verschiebend, schliefen sie schließlich ein. Mitten in der Nacht schlug Liam die Augen auf. Er wusste nicht wieso und ob ihn etwas geweckt hatte, aber - er war hellwach. Blinzelnd richtete er sich in seinem Bett auf und wartete, bis sich seine Augen einigermaßen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann sah er sich um. Da! War da nicht etwas gewesen? Ein leichtes Wimmern, Rauschen, Krächzen? Liam erschauderte. Da war es wieder und es kam näher... Widerwillig stand Liam. Er wollte – nein, musste Eichi wecken! Unsicher tapste er durch das schummrige Licht im Raum, aufs Sofa zu. Unsanft rüttelte er an den Schultern seines schlafenden Freundes. „Eichi?!“, flüsterte er hektisch. „Eichi! Bitte, wach auf!“ Sein Rütteln wurde heftiger und die Geräusche kamen immer näher. „Eichi! Wach auf!!“, flehte Liam. Seine Augen waren schreckensgeweitet. Dann, auf einmal, verstummten die Geräusche. Misstrauisch hob Liam den Kopf und sah in die Richtung, in der die Tür lag. Doch sofort wünschte er sich, nicht hingesehen zu haben. An der Tür hatte sich nämlich eine Art nebliger Dunst gebildet und genau dieser Dunst schwebte direkt auf ihn zu, während er langsam die Form seiner Mutter annahm... Liam schrie. Und dann waren da die kühlen, kräftigen Arme, die sich schützend um ihn legten und eine tiefe Stimme, die ihm beruhigende Worte ins Ohr flüsterte. Kapitel 5: Zwischen Leben und Tod --------------------------------- Schreckgeweitete Augen starrten auf die nebelige Gestalt, die er überall erkennen würde. Was war los? Was war das? Ein Geist? Und wer oder was hielt ihn da fest? Liam blickte schräg hinter sich und erblickte etwas weißes, leicht Durchscheinendes. Panik stieg in ihm auf. Noch ein Geist? Er versuchte, sich aus dem Griff zu winden, aber die Arme hielten ihn fest und drückten ihn nun an den dazugehörigen Körper. Ein rascher Blick nach links verriet ihm, dass es nicht Eichi sein konnte, der ihn da festhielt. Erneut wechselte er einen Blick zwischen dem Wesen vor und dann dem hinter ihm. Zum zweiten Mal flüsterte das Es ihm sanfte Worte ins Ohr und diesmal verstand er sie auch. „Keine Angst, sie tut dir nichts.“, sagte die klare, einfach unbeschreiblich schöne Stimme. Liam weitete die Augen und versuchte sich vorzustellen, wer das sein könnte. Vergeblich. Die Worte blieben in seinem Gedächtnis kleben wie zäher Kaugummi, von dem man sich einfach nicht trennen konnte. Ein erstickter Schrei kroch aus Liams Kehle, aber bevor er hörbar wurde, hielt eine kühle Hand ihm den Mund zu. Er schielte zum dazugehörigen Arm und blinzelte mehrmals, als er versuchte, zu verstehen, was er sah. Ein weiß schimmernder Nebel, geformt zu einem menschlichen Arm, leicht muskulös und etwas größer als der Seine. Liam schwanden seine Sinne. Ein letzter Blick auf das Wesen vor ihm verriet ihm, dass es bald vorbei sein würde. Sie löste sich auf, verschmolz mit der Umgebung und zerfloss förmlich auf dem Boden, bis nichts mehr von ihr übrig war. Hatte es zuletzt gelächelt oder war das auch Teil seiner Fantasie? Oder träumte er etwa? Er wusste es nicht und auch ehe er sich darüber Gedanken machen konnte, verfiel er in eine betäubende Bewusstlosigkeit. Während er nicht zurechnungsfähig war, quollen die Erinnerungen in ihm hervor und ließen ihn nicht mehr los. Mit eisernem Griff zerrten sie an ihm. Seine Mutter! Sie war es eindeutig gewesen! War es Zufall, dass er die hier in seinem Schloss antraf oder hatte er sich das wirklich nur eingebildet? Sein Kopf schwirrte ihm. Und er fröstelte. Langsam kehrten seine Sinne wieder zurück und er bemerkte die sanfte Kälte um ihn herum. Schlagartig öffnete er die Augen. Was er sah, ließ ihm eine weitere Gänsehaut entstehen und beinahe hätte er wieder geschrieen. Nur seine Kehle versagte ihm den Dienst. Es –Nein, Er- war eindeutig ein Geist. Leicht durchscheinend, nebelig und wunderschön. Liam traute seinen Augen nicht. Mit wackeligen Muskeln setzte er sich auf. Suchend blickte er sich um, fand aber nicht, wen er suchte. Auch das Zimmer sah anders aus. Wie war er hierher gekommen? Als ob er die Antwort dadurch fand, das Wesen vor sich anzustarren, richtete sich sein Blick in seine Richtung. Der Rothaarige blinzelte mehrmals, ehe er sicher war, nicht mehr zu träumen. Die erste Frage, die ihm einfiel war die, die wohl niemand stellen würde. „Bist du tot?“, fragte er und schlug sich die Hand vor den Mund, als er merkte, wie rücksichtslos er war. Einen Toten fragt man nicht, ob er tot ist! Jedoch der Geist vor ihm lächelte friedlich und erwiderte seinen Blick aus Augen farbig wie das Abendrot. Staunend betrachtete Liam das makellose Gesicht, die schmalen Augen mit den dichten Wimpern, die schwarzen Haare, die so weich aussahen, als ob sie aus Seide wären. Hätte er es nicht verhindert, wäre ihm der Kiefer runtergeklappt. „Schwer zu sagen. Leben tu ich nicht, aber tot bin ich auch nicht.“, antwortete diese wundervolle Stimme, die sich anhörte, als würde sie in Liams Kopf widerhallen. Ein sanftes Lächeln umspielte die Mundwinkel des Geistes, als Liam nun doch der Mund offen stand. „Du bist ein Geist!“, platzte es aus ihm heraus, sodass ihm die Röte ins Gesicht stieg. Er biss sich auf die Zunge und fragte sich, ob ein Untoter darauf gerne angesprochen wurde. „Stimmt.“, erwiderte der Angesprochene und lächelte nun gut erkennbar. Liam konnte gar nicht anders, als die Erscheinung vor ihm anzustarren, als ob es ein Wunder wäre. Na ja, Wunder vielleicht nicht, aber zumindest ein Phänomen, das sich alle Wissenschaftler, Philosophen und sonst noch was zu erklären versuchten. Begegnungen mit verstorbenen Menschen. Liam hätte nie geglaubt, jemals einen echten Geist zu treffen und nun befand er sich in der außerordentlichen Lage, dass der Geist ihn aufgesucht hatte. War das ein böses Omen? „Träume ich oder bist du… nun ja… wirklich hier?“, forschte Liam neugierig weiter. „Du stellst aber auch schwere Fragen.“, meinte er Untote und faltete die Hände im Schoß. „Du kannst ja so lange weiter fragen, bis du eine Frage erwischt, auf die ich dir eine Antwort geben kann.“, schlug er vor, mit einer Stimme wie aus flüssigem Honig. „Eine Frage kannst du mir sicher beantworten. Wie heißt du?“ Nach kurzem Schweigen antwortete der Geist. „Nicolaij.“ „Das ist ein schöner Name. Russisch, oder?“ Nicolaij nickte und legte den Kopf schief. „Ich heiße Liam.“, meinte der Rothaarige und setzte ein leichtes Lächeln auf. „Ich hätte nie gedacht, je einen echten Geist zu treffen!“, murmelte er, immer noch beeindruckt von der Gestalt vor ihm. Der Schwarzhaarige lachte leise und Liam blieb die Spucke weg. Er war so ziemlich das Schönste, was er je gesehen hatte. „Wolltest du denn?“ Liam zuckte mit den Schultern. „Na ja, ich fand Übernatürliches schon immer faszinierend. Und Geister ganz besonders.“, fügte er hinzu und wurde leicht rot, als Nicolaij ihn intensiv ansah. Die roten Augen zogen den Kleinen, ohne dass er sich wehren konnte, in ihren Bann. Trotz der ungewöhnlichen Farbe strahlten die Ruhe und Vertrauen aus. Was noch alles inter ihnen stecken mochte, wollte sich Liam gar nicht erst vorstellen. „Und wieso… äh… was ist da vorhin passiert?“, fragte er nun nach, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen. „Du meinst den anderen Geist?“ Eine Stille entstand, weil Liam die Erinnerung an seine lächelnde Mutter schmerzte. Nicolaij verstand sofort. „Du hast sie gekannt.“ Erschrocken blickte der Kleinere auf. „Woher weißt du das?“ „Geister haben ausgeprägte Sinne. Nicht nut die Sinne wie Tasten, Hören und so weiter. Wir fühlen menschliche Beziehungen und die Gefühle der Personen in der Umgebung. Du warst eben sehr traurig.“, erklärte er und blickte Liam in die Augen. Dieser fühlte sich durchschaut und senkte den Kopf. Nach einer kurzen Pause sagte er: „Ich kannte sie nicht nur gut, sie war meine Mutter.“ Der Geist seufzte und blickte ihn mitleidvoll an. „Das habe ich mir schon gedacht. Kaum eine Beziehung ist so vertraut, wie die von Eltern zu ihren Kindern.“ Liam war beeindruckt. „Du scheinst ja eine hervorragende Menschenkenntnis zu haben…“ Ein leises Lachen andererseits bestätigte ihn. „Aber das beantwortet meine Frage nicht.“ „Du fragst dich, wieso du deine Mutter gesehen hast?“ Liam nickte. „Manche Dinge sind schwer zu erklären, wenn man zwischen Leben und Tod steht. Einerseits spüren wir Geister, wenn sich eine vertraute Person in der Nähe befindet, andererseits wissen wir, dass wenn wir uns dieser Person zeigen, das auch nach hinten losgehen kann.“ „So wie bei mir?“ „Der Tod deiner Eltern hat dich gezeichnet. Selbst ich kann spüren, dass du dich einsam fühlst.“ Schon wieder hatte Nicolaij Liam durchschaut. „Bin ich so leicht zu durchschauen?“, fragte er leicht traurig lächelnd. „Nein. Dein Freund hat bis jetzt auch noch nichts davon gemerkt. Wie gesagt, ich spüre alles viel deutlicher.“ Liam blickte beschämt zu Boden. Das könnte noch unangenehm werden, wenn dieser Geist ihn so durchschauen konnte. Es stört mich, wenn er weiß, wie ich mich fühle… Nicolaij merkte das, doch er wollte Liam nicht verunsichern, indem er es ihm sagte. „Eigentlich bist du sogar recht schwer zu durchschauen.“, meinte er deswegen „Ich habe noch nie jemanden so intensiv beobachten müssen, um herauszufinden, wie er sich fühlt.“ Liam wurde hellhörig. „Beobachten?“ „Ja, so in etwa.“ Dem Rothaarigen ging ein Licht auf. „Ach, dann warst du diese Kälte, die ich mehrmals heute gespürt habe!“ Der Geist nickte. „Das ist ein Nachteil an uns. Nur Menschen, die dem Tod ins Auge geblickt haben, spüren die Gegenwart von Geistern. Du hast schon mehrmals mit ihm Bekanntschaft gemacht, richtig?“ Liam nickte. „Ja… nicht sehr schön.“ Wieder entstand eine Stille. „Darf ich dich was fragen?“ Nicolaij bejahte. „Wie… wie ist es so zu sterben?“, fragte er unsicher und kaute auf seiner Unterlippe. Der Gefragte musste überlegen und nach den richtigen Worten suchen. „Es ist… na ja… als ob man den Halt verliert. Manche verlieren alle ihre Erinnerungen und werden kurz darauf wiedergeboren, andere treffen verstorbene Freunde und Familienmitglieder. Und der Rest… nicht jeder wird ein Geist, weißt du.“ „Das heißt, nur manche Sterbende werden Geister? Wieso?“ „Das weiß niemand so genau. Man sagt, dass Geister noch eine Aufgabe zu erfüllen haben, die sie im Leben nicht vollendet haben. Aber ich persönlich glaube, dass es eine Art Strafe ist. Wer will schon ewig leben –wenn man das überhaupt so nennen kann?“ „Wenn man nicht sterben kann, hat das Leben keinen Wert mehr.“, meinte Liam ergriffen. Traurig sah er sein Gegenüber an. „Und… äh… wieso wurdest du dann ein Geist? Stört es dich, dass ich dir diese ganzen Fragen stelle?“ „Nein, es ist schön mal wieder mit jemandem zu reden.“, meinte Nicolaij „Ich habe kaum Erinnerung an mein früheres Leben. Ich weiß nicht, ob ich etwas getan habe, wofür ich es verdiene, bestraft zu werden. Aber es wird einen Grund geben, dass ich bin, wie ich bin.“ Eine unhöfliche Frage nach der anderen schoss Liam durch den Kopf, aber er traure sich nicht, sie alle zu stellen. Immerhin wollte er Nicolaij nicht beleidigen oder gar verscheuchen. „Darf ich fragen wie es mit den ganzen Behauptungen aussieht?“ „Was meinst du?“, fragte der Geist neugierig. Liam lachte verlegen. „Äh… zum Beispiel, dass man immer wieder hört, dass Geister nur Nachts da sind.“ Nicolaij grinste. „Das meinst du mit Behauptungen. Also, normalerweise kann man einen Geist nur des Nachts in der Gestalt sehen, die er zu Lebzeiten hatte. Tagsüber sieht man nicht mehr als einen nebeligen Dunst.“ Liam überlegte. „Ist ja interessant. Also sahst du früher so aus, wie jetzt?“ „Ziemlich genau sogar. Bis auf eine kleine Sache. Vielleicht kommst du ja drauf.“ „Klar, wer hat schon rote Augen?“ „Genau. Die Augenfarbe ändert sich je nach dem, wie wir zu Tode gekommen sind. Unfall, Selbstmord, Krankheiten und Mord.“ „Und wie sind die Farben zu jeder Todesart?“ Liam hatte das Gefühl, dass Nicolaijs Augenfarbe nichts Gutes zu verheißen hatte. „Unfalltod birgt die Farbe gelb. Selbstmord hat die Farbe schwarz, Krankheiten die Farbe violett und Mord… ist rot.“ Liam wollte nicht glauben, was er hörte. Die süße Stimme des Anderen wurde kühl. „Du... bist ermordet worden?“, stellte er leicht ängstlich und doch sehr mitleidvoll fest. „Das… tut mir Leid.“ Nicolaij zuckte mit den Schultern. „Was glaubst du, wie viele Menschen täglich ermordet werden? Die Dunkelziffer liegt noch viel höher, als du dir denkst.“ „Aber Mord ist trotzdem schrecklich.“ „Wem sagst du das?“, ein leicht trauriges Lächeln legte sich auf seine Lippen. Liam schwieg. „Der Tag meines Todes ist eine der wenigen Erinnerungen, bei denen ich mir sicher bin, dass es so war.“ Liam wusste instinktiv, dass Nicolaij nicht gerne darüber reden wollte und wechselte deswegen das Thema. „Und wie ist es mit der Annahme, dass Geister keine Materie haben? Also, dass man durch die hindurchgehen könnte?“, das war eine der Fragen, die Liam schon immer beantwortet haben wollte. Nicolaij stand auf und kam einen Schritt auf ihn zu. „Finde es heraus.“, forderte er ihn auf. Liam bekam ein aufgeregtes Kribbeln in den Fingerspitzen und erhob sich langsam. Er schluckte, als er ein paar Schritte auf den Geist vor ihm zuging. Mit jedem Schritt spürte er die Kälte deutlicher, aber sie wurde nicht unangenehm. Es war keine Kälte, wie man sie vom Schnee kannte, eher wie die, wenn man einen geliebten Menschen verliert. Liam stand nur noch einen halben Meter von Nicolaij entfernt und bekam eine Gänsehaut vor Erfurcht. Wieder schluckte er. Seine Kehle war ganz ausgetrocknet. Nicolaij spürte Liams Anspannung und erleichterte ihm die Sache. Er hob eine Hand und hielt sie Liam hin. Auch dieser hob seine Hand, wobei er sich darauf konzentrierte, nicht zu stark zu zittern. Nicolaijs Haut sah unglaublich weich und hell aus. Sie war von einem nebeligen Schleier umgeben und schimmerte, wenn Licht darauf traf. Die letzten Zentimeter überbrückte Liam, ohne länger zu warten und streckte seine Hand nach der anderen aus. Er dachte, er stieße auf Widerstand, aber da war nichts. Nichts, außer einem seltsamen Gefühl, das seine Hand umschloss. Er starrte auf die Stelle, an der sich ihre Hände hätten berühren müssen, aber nicht taten. Stattdessen griff er geradewegs durch sie hindurch. In etwa war es vergleichbar, wie wenn man durch Wasser griff, aber hier teilte sich nichts und es war auch bei weitem nicht so schwer. Viel mehr fühlte er sich wie ein zarter Windhauch an. Beeindruckt blickte Liam den Größeren an. „Also stimmt auch das Gerücht!“, meinte er lächelnd und zog seine Hand wieder schüchtern zurück. Nicolaij lächelte. „Nicht ganz. In dieser Verfassung kannst du mich zwar nicht berühren, aber bei Vollmond ändert sich die Sache.“ „Was?“, entrüstet starrte Liam in die blutroten Augen. Ich kann ihn also anfassen, wenn ich genug Geduld habe? Der Rothaarige war hin und weg. „Ja. Bei Vollmond kann ich mich materialisieren –mit etwas Hilfe.“ „Inwiefern?“ „Ehrlich gesagt weiß ich das nicht.“ „Na toll. Und ich dachte, ich könnte dir helfen.“ Nicolaij lächelte geschmeichelt. Er spürte, dass Liam enttäuscht war, dass die ganze Sache nicht so einfach war, wie er sich vorstellte. „Aber wenn ich ein paar Bücher wälze finde ich sicherlich die Lösung. Oder zumindest einen Hinweis, wie es möglich wäre.“ „Hast du dich denn noch nie materialisiert?“ „Nein. Wofür auch? Ich habe noch niemanden getroffen, bei dem es Sinn gemacht hätte.“ Also macht es bei mir Sinn? Liam gähnte und setzte sich wieder. Diesmal begab sich Nicolaij aber nicht auf seinen Platz, sondern setzte sich neben ihn auf das Sofa. Da fiel dem Rotschopf etwas auf. „Moment mal, wenn ich dich nicht berühren kann, wie kannst du dann sitzen? Oder geschweige denn laufen? Du müsstest doch durch den Boden fallen?“ Nicolaij lachte und grinste ihn an, sodass Liam rot wurde. Hab ich was Falsches gesagt? „Manche Gewohnheiten legt man nicht ab.“ „Oh… also könntest du sogar fliegen?“ Wieder kicherte der Geist. Liam kam sich albern vor. „Manche meiner Art schweben ausschließlich. Fliegen tun Vögel oder Flugzeuge, aber wie tun nichts, damit wir vom Boden abheben. Deswegen bevorzuge ich den Ausdruck Schweben.“ Verständnisvoll nickte Liam, aber ihm fiel noch etwas ein. „Aber vorhin konntest du mich doch berühren? Ich meine, ich hab dich ja deutlich… gespürt.“ Wieder zuckte Nicolaij mit den Schultern. „Das kann ich mir selbst auch nicht erklären.“ „Also ist das ein Rätsel, das es zu lösen gilt?“ Der Geist lächelte. „In diesem Haus werden viele Geheimnisse verwart und Rätsel auch. Seit ich hier lebe versuche ich, manchen Dingen auf den Grund zu gehen. Wenn man tot ist, hat man viel Zeit.“ Beide lachten kurz. Liam wunderte sich, wie umgänglich Nicolaij war und wie offen er über die Tatsache sprach, dass er nicht mehr lebte. Er hatte sich immer vorgestellt, dass Geister traurige, verbitterte Gestalten waren, die sich nicht mit ihrer Lage abfanden wollten. „Wie lange bist du denn schon tot?“, fragte Liam und wollte damit insgeheim wissen, ob Nicolaij seine Eltern gekannt hatte. „Bald sind es genau hundert Jahre.“ „Also… warst du schon hier, als meine Eltern… noch lebten?“ „Ich habe deine Eltern gut gekannt. Sato und Liriell waren äußerst freundliche und friedliche Menschen. Ich bedaure es immer noch, dass sie sterben mussten.“ „Ist meine Mutter ein Geist?“ Liam wurde nervös und wünschte sich nichts sehnlicher, als seien Eltern noch einmal zu sehen. Sein Herz pochte wie verrückt und zersprang beinahe. Aber Nicolaijs Gesichtsausdruck verriet ihm, dass er seine Hoffnung begraben konnte. „Es tut mir Leid. Deine Eltern sind keine Geister geworden.“, sagte der Schwarzhaarige traurig und blickte den Kleineren schweigend an. Liam musste mit den Tränen kämpfen. „Aber wieso habe ich dann meine Mutter gesehen?“ „Wie soll ich es sagen? Sie ist so eine Art Schutzengel. Einmal kann ein Engel sich der Person zeigen, die er beschützt. Dieses eine Mal war vorhin.“ „Ein Schutzengel?“, Liam versagte beinahe die Stimme „Und mein Vater?“ „Ob er sich dir noch zeigen wird weiß ich nicht.“ Liam nickte und blickte zu Boden. Die Haare fielen ihm so ins Gesicht, dass man nicht sehen konnte, dass seine Augen schon feucht waren. Eine ganze Weile sagte niemand was, bis Nicolaij aufstand und sich vor ihm hinkniete. Er blickte ihm beruhigend in die Augen und lächelte leicht. „Ich sollte froh sein, sie noch einmal gesehen zu haben, oder?“ „Ich glaube, das hätte sie sich gewünscht.“ Liam blickte auf, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und lächelte ebenfalls. „Danke.“, nuschelte er. Nicolaij blickte fragend drein. „Wofür?“ „Dass du mir das alles erklärt hast. Ich fühle mich schon besser.“ Der Geist spürte instinktiv, dass Liam die Wahrheit sagte und stand auf. Er ging zum Fenster und blickte hindurch. Nach kurzem Schweigen drehte er sich zu Liam um. „Du solltest jetzt schlafen gehen. Es sind nur noch 4 Stunden, bis die Sonne aufgeht und du musst dich ausruhen.“ Liam stand ebenfalls auf. „Aber ich habe noch so viele Fragen!“ „Morgen Nacht können wir weiter reden.“ Der Rotschopf nickte widerwillig und wollte gerade zur Tür gehen, als Nicolaij plötzlich vor ihm stand. „Du weiß doch gar nicht, wo dein Zimmer ist.“, meinte er und schwebte kurzerhand durch die geschlossene Türe. Liam starrte auf den leeren Fleck, an dem er vorher noch gestanden hatte und öffnete die Türe schlagartig. Wieder stand Nicolaij vor ihm, als wäre nichts gewesen. „Erschreck mich doch nicht so!“, beschwerte er sich und fasste sich an sein Herz. „Du wirst dich daran gewöhnen müssen.“, lachte der Geist und setzte auf dem Boden ab, um normal zu laufen. Liam lief neben ihm her, beobachtete ihn aber dabei und versuchte herauszufinden, ob Nicolaij nicht doch schwebte. Leider fand er keinerlei Unterschiede. Bald waren sie auch schon wieder an seinem Zimmer angelangt. Liam öffnete leise die Türe und sah den anderen fragend an. „Ich komme besser nicht mit rein.“, beantwortete Nicolaij die nicht gestellte Frage. Liam nickte. „Wie du meinst. Also dann bis morgen?“ „Ja. Ich werde dir schon zeigen, wenn es so weit ist. Und tu mir einen gefallen.“ „Welchen?“ „Verrate deinem Freund nichts von mir.“ Liam wusste nicht wieso, aber er stimmte zu. „Danke. Also… schlaf gut, Liam.“, flüsterte der Geist noch, bevor er durch den Boden glitt. Mit einem Mal war die Kälte verschwunden. Liam spürte die Hitze in seinen Wangen und schloss lautlos die Türe. Anschließend schlich er zurück zu seinem Schlafplatz und legte sich hin. Bevor er einschlafen konnte, ging ihm das Ganze noch einmal durch den Kopf. Ich glaub´s nicht… ich habe einen echten Geist getroffen Kapitel 6: Man lebt sich ein ---------------------------- Am nächsten Morgen wurde Liam ausgesprochen sanft geweckt. Eichi hatte sich zu ihm ans Bett gesetzt und rüttelte ihn mehr oder weniger sanft an den Schultern. „Liam~ aufwachen! Die Sonne steht schon ne ganze Weile am Himmel.“, flötete er dem Kleineren ins Ohr, der nur die Nase rümpfte und sich auf die andere Seite drehte. Grinsend beugte sich der Blonde wieder zu Liam herunter. „Liam...wenn du nicht freiwillig aufstehst daaaann...“ flüsterte er ihm bedeutungsvoll ins Ohr. Der Rothaarige spitzte die Ohren, doch anstatt einer Antwort spürte er plötzlich wie sich zwei Hände unter die Bettdecke verirrten und begannen, ihm provozierend in die Seiten zu pieksen. Da Liam ausgesprochen kitzelig war, begann er sogleich zu zucken und versuchte den pieksenden Fingern zu entgehen. Allerdings hatte Eichi dieses natürlich geahnt und hatte sie so platziert, dass dem Kleineren nicht die kleinste Chance des ausweichens blieb. Schon kurze Zeit später brach Liam in ungehaltenes Lachen aus und konnte sich nicht mehr fassen, da Eichi nicht gewillt war, der Folter ein Ende zu bereiten. Diabolisch grinsend beobachtete er nur, wie Liam sich hin und her wand, leicht um sich schlug aber sich doch nicht wirklich zur Wehr setzten konnte. „Hö-Hör auf!!“, japste er immer wieder und holte schließlich mit einem Fuß aus, der Eichi gekonnt von der Bettkante schubste. Sofort begann Eichi, nun auf dem Boden sitzend, zu lachen. So in etwa hatte er sich schon vorgestellt, wie es enden würde. „Sag mal spinnst du?!“, fuhr Liam ihn an, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. „Willst du etwa das ich ersticke??“ Du weißt doch, dass ich verdammt noch mal kitzelig bin!“, fluchte er ungehalten, was Eichi nur noch mehr zum Lachen brachte. „Natürlich weiß ich das.“, brachte er kichernd hervor. „Aber wenigstens bist du jetzt hellwach~!“ Der Rothaarige grummelte einige undeutliche Sätze und stand schließlich auf. Seine Knochen knackten ungesund, als er sich streckte und auch an seiner Kleidung haftete ein irgendwie muffiger Geruch an. Missmutig rümpfte er die Nase, schlenderte zum Fenster und öffnete es, um sich weit herauszulehnen und frische Luft in das Zimmer zu lassen. Eichi hatte sich mittlerweile wieder beruhigt und aufgerappelt. „Hast du denn wenigstens gut geschlafen?“, fragte er lächelnd, in der Hoffnung Liam würde ihm die Weckaktion verzeihen. Dieser seufzte und fuhr sich durch die Haare. „Nein....nicht wirklich...ich hab kaum geschlafen!“ Sein blonder Freund sah ihn verdutzt, wenn auch mit einer Spur Neugierde im Blick, an. „Wieso das denn nicht?“ Liam drehte sich nun zu ihm um. Seine Gedanken schienen immer noch zu schlafen und er musste kurz nachdenken. Er wusste, er hatte kaum geschlafen...aber was war denn noch mal der Grund gewesen? Er spürte, dass es etwas aufregendes, wichtiges war, doch er kam einfach nicht drauf! Da streifte mit einem Mal ein kalter Hauch seine Wange, hüllte ihn ein und nahm ihm kurz den Atem. Es war dem Rothaarigen, als wäre der Hauch wie eine sanfte Berührung und dann erschien vor seinem inneren Auge das Bild eines jungen Mannes, welches ihn anlächelte. Augenblicklich schlug sein Herz ein paar Takte schneller, denn mit dem Bild kamen auch alle Erinnerungen an die vergangene Nacht zurück... Geist...Mutter...Engel...rote Augen... „Nicolaj...“, murmelte er geistesabwesend und es war ihm, als hätte er ein sanftes Lachen gehört. Eichi zog die Augenbrauen hoch. „Was?“ Liam schreckte auf und war drauf und dran dem Älteren alles Geschehene bis ins Detail aufzutischen. Im letzten Moment erinnerte er sich daran, dass der Geist ihn darum gebeten hatte, Eichi nichts von seiner Existenz zu erzählen. „Ich hab Geräusche gehört, bin davon wach geworden...Nach einiger Zeit waren sie wieder weg, aber einschlafen konnte ich trotzdem nicht mehr wirklich.“, erklärte er deshalb ausweichend und sagte so zumindest die halbe Wahrheit. Er hasste es nämlich den Blonden anzulügen. Dieser hatte mittlerweile wieder ein Grinsen im Gesicht, wenn auch ein ziemlich spöttisches. „Du hättest auch zu mir kommen können, wenn du solche Angst gehabt hast, dass du nicht schlafen konntest.“, meinte er süffisant und Liams Blick verfinsterte sich wieder ein wenig. Gerade wollte er zu einer Erwiderung ansetzen, als ein lautes Grollen und Grummeln das Zimmer durchtönte. Im ersten Moment sah Liam aus dem Fenster, da er ein Gewitter vermutete, doch der Himmel war strahlend blau und wolkenlos. Aus den Augenwinkeln heraus konnte er allerdings sehen, wie Eichi sich peinlich berührt den Bauch hielt und nun war es an dem Rothaarigen spöttisch zu Grinsen. „Vielleicht sollten wir erst einmal etwas essen, ehe du hier elendlich verhungerst. Und dann...“, er sah sich um. „bräuchte ich dringend mal ein Bad und neue Klamotten! Hier vergeht alles im Mief des Altertums!“ Er zog eine Schnute und schloss dann das Fenster wieder. „Aber erst das Essen.“, meinte der Kleinere und packte Eichi am handgelenk. „Nicht, dass ich hier nachher ganz alleine bin, nur weil du nicht genügend gegessen hast!“ ‚Obwohl...ganz alleine wäre ich ja nicht.’, schloss er in Gedanken und begann zu Grinsen. Wie er sich doch schon auf die Nacht freute! „Was grinst du denn hier so dümmlich?“, fragte Eichi hinter ihm mürrisch. Doch Liam schüttelte nur grinsend den Kopf und zog Eichi weiter mit sich. Nach einem üppigen Frühstück und dem dazugehörigen Abwasch machten sich die Beiden auf die Suche nach einem Bad. Es dürfte wohl nicht so schwer sein, ein Bad zu finden, da es nach der menge der Zimmer zu urteilen, mehrere geben musste. Liam spürte all die Zeit einen leichten Kältehauch um sich herum und es machte ihn beinahe ein wenig nervös, was er sich allerdings, so gut es ging, nicht anmerken ließ. Nach einer gefühlten viertel Ewigkeit erreichten sich schließlich einen Raum, der sehr nach einem Bad aussah. Doch es war riesig! Die Wände und der Boden waren mit beige-weißen Kacheln gefliest, auf denen hin und wieder verschnörkelte Worte standen. Zumindest vermutete Liam, dass es sich um Worte handelte. Zunächst einmal klappte ihm der Kiefer in Richtung des Fußbodens als er wahrnahm, welches Ausmaß die Wanne im Raum annahm. Es war vielmehr ein kleines Schwimmbecken, tief genug, dass man selbst im stehen noch zur Hälfte im Wasser stand und sogar mit Einstiegsstufen. Auf einem Ablagetablett, dass man anscheinend auf dem wasser treiben lassen konnte, fand er verschiedene Badezusätze, unter anderem Öle und ähnliche Essenzen. Während der Rothaarige an den einzelnen Fläschchen schnupperte, hatte sein blonder Freund mittlerweile zwei Wasserhähne entdeckt und überprüfte gerade ihre Funktionalität. Beide liefen nach einigem stottern und blubbern einwandfrei, sodass Eichi sie gleich weiter laufen ließ. Dann machte er sich auf die Suche nach Handtüchern und öffnete alle möglichen Schränke im Raum. Dabei fiel ihm auf, wie wenig verstaubt der Raum doch im Gegensatz zu anderen war. In einem der Schränke, die er durchsuchte, fand er Kleidung, die sogar einigernassen modern zu sein schien. Auch roch sie noch nicht so, als würde sich seit zehn oder zwanzig Jahren darauf warten, wieder getragen zu werden. Erleichtert legte er für sich und Liam jeweils ein paar Kleidungsstücke heraus und sah sich dann nach weiter nach Handtüchern um. Liam hatte mit steigendem Wasserspiegel aufgehört an den Fläschchen zu riechen und experimentierte nun mit ihnen herum. So durchströmten das Bad bis zu zehn vermischte Gerüche von Pfirsich bis Lavendel und der Rothaarige schaute sehr zufrieden auf die wachsende Schaummasse oberhalb des Wassers. Misstrauisch beäugte Eichi die Brühe. „Und da wollen wir drin baden?“, fragte er zweifelnd, doch Liam nickte begeistert. „Natürlich!“ Und schon machte er sich daran, sich mit einer fließenden Bewegung sein Oberteil vom Leib zu reißen. Für einen Moment erstarrte die andere Person im Raum um sich dann selbst zögernd seines Oberteils zu entledigen. Es bereitete ihm aus irgend einem Grund ziemliche Probleme, sich einfach so vor dem Rothaarigen auszuziehen. Wahrscheinlich weil dieser, obwohl er schmächtig und dürr wirkte, ziemlich muskulös war und trotzdem...zart und zerbrechlich aussah...bei der Anmut und Eleganz, beinahe Schönheit...da bekam doch jeder...Minderwertigkeitskomplexe! DAS musste es sein! Das war der Grund für seine Hemmungen Liam gegenüber! Gerade wieder hielt die Röte im Gesicht des Blonden Einzug, als Liam sich daran machte, sich seiner Hose zu entledigen. Unsicher drehte sich dieser zu Eichi um, dessen Blick er immer noch im Rücken spürte. „Was...was siehst du mich so an?“, fragte er leicht verlegen und riss Eichi damit aus seiner Starre. Das Rot verstärkte sich um einige Nuancen und sein Gehirn suchte fieberhaft nach einer Erklärung. „Mir...ist nur aufgefallen, dass du gut gebaut bist.“, brachte er schließlich stockend hervor und wickelte sich ein Handtuch um die Hüften, ehe er die restliche Kleidung fallen ließ. Liam tat es ihm nach und murmelte noch etwas von „Schleimer...“. Dann stürzte er sich mehr oder weniger in die Fluten. Das Wasser war angenehm warm und nach wenigen Minuten legte Liam entspannt den Kopf zurück. „Wunderbar...“, nuschelte er zufrieden und schloss die Augen...um sie kurz darauf wieder aufzureißen, als ein eisiger Zug über ihn fegte und schließlich neben seinem Kopf zu verweilen schien. „Nicolaj!“, schoss es dem Kleineren durch den Kopf und sein Herz machte einen kleinen Satz. „Den hätte ich ja beinahe vergessen!“ Ein leises Schuldgefühl machte sich in ihm breit. „Liam?“, fragte eine Stimme neben ihm mit besorgten Unterton. „Alles in Ordnung?“ Eichi hatte bemerkt, dass sich die Sommersprossen auf Liams Gesicht bildeten und dass dessen Atem stockend ging, was hieß, dass er kurz davor war mit dem atmen aufzuhören. Der Kleinere reagierte erst nicht und bekam schon wieder blaue Lippen. Also packte der Blonde ihn sacht am Arm und rüttelte ihn. „Liam! Atme wieder!“, sagte er eindringlich und Liam fand in die Realität zurück. Augenblicklich schnappte er nach Luft und seine Lippen bekamen ihre normale Farbe wieder. Die Sommersprossen allerdings blieben. „Was ist denn..?“, fragte er, immer noch leicht neben sich. Eichi schüttelte nur den Kopf. „Du warst schon wieder drauf und dran zu ersticken! Wo warst du nur wieder mit deinen Gedanken?!“ Ernsthafte Sorge schwang in seiner Stimme mit, doch Liam antwortete nicht sofort. „Ich hab nur an was Schönes gedacht...“, nuschelte er schließlich doch. Nachdem das Wasser langsam abkühlte und sie zu frösteln begannen, war es an der Zeit, die gefundene Kleidung Probe zu tragen. Sie mussten sie ja mindstens so lange tragen, bis sie ihre alten Klamotten gewaschen hatten. „Nur zu dumm, dass wir nicht an Wechselkleidung gedacht haben, als wir losgegangen sind!“, murrte Liam, als er sich frierend abtrocknete und sich die bereitgelegten Sachen anzog. Ein zu großes schwarzes Hemd und eine dunkle, leicht verwaschene Jeans dienten ihm nun sozusagen als Übergangskleidung. „Ist doch egal, die Sachen stehen dir doch!“, erwiederte Eichi nur und widmete sich seiner eigenen kleidung, die ihm ein wenig zu klein waren, sodass er sich größere Sachen heraussuchen musste. Trotzdem meckerte Liam noch eine Weile herum, ehe sich seine Gedanken wieder auf das Schloss konzentrierten und eigentlich noch vielmehr auf den Geist der hier sein Unwesen trieb... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)