Nachts in der Bibliothek von lomelinde (Wenn der Tag zu Ende geht) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Nachts in der Bibliothek Als das Licht in der kleinen Bibliothek gelöscht wurde und die schwere Tür hinter der alten Bibliothekarin ins Schloss fiel, da kehrte Ruhe ein. Der Schnee, der die vergangenen Tage gefallen war und das letzte Licht des Abends reflektierte, tauchte die Regale der Bibliothek in ein seltsames unnatürliches Licht. Das Klacken des Schlosses, als der Schlüssel darin bewegt wurde und die Schritte, der Frau draußen auf den Gang, hallten unnatürlich laut in dem Saal wider, dann wurde es ganz still im Raum. Die Regale standen aufgetürmt bis unter die Decke des hohen Saales. Angefüllt waren sie mit Büchern der unterschiedlichsten Art, vom Drama bis zum Sciencefiction-Roman, vom Kinderbuch bis hin zum medizinischen Lehrbuch. Die Nacht in der Bibliothek war ruhig, der Wind sauste um das Haus und sein Heulen, wenn er um eine Ecke fuhr, war auch im Inneren des Saals zu hören, ansonsten schien es still zu sein. Doch das stimmte nicht ganz, denn wenn man genau hinhörte und man brauchte ein wirklich scharfes Gehör, dann konnte man viele kleine Stimmen hören. Jede einzelne von ihnen war nicht lauter als das Kratzen eines Stiftes auf Papier, doch alle zusammen bildeten sie ein gleichmäßiges Gemurmel, das vom Pfeifen des Windes aber fast völlig verschluckt wurde. "Lexikon, Monotonie, Polymere, Sisyphos, Xanthippe.", sprach der alte Brockhaus mit seiner tiefen alten Stimme vor sich hin. Er war eine Originalausgabe und darauf sehr stolz. Im nächsten Moment begann er die Definitionen all der Worte die er gerade aufgezählt hatte vor sich hin zu murmeln. Der Brockhaus war sehr nützlich. Wer etwas nicht verstand oder ein Wort nicht kannte, der ging zum Brockhaus. Das war praktisch, es gab kaum eine Frage auf die er keine Antwort hatte. Mit dem Duden wiederum sprach keines der anderen Bücher gern. Er korrigierte nur ständig ihre Rechtschreibung, ihren Ausdruck und schimpfte sie Groschenromane, wenn sie einmal wieder mit ihm in Umgangssprache redeten, worauf der Duden extrem empfindlich reagierte. Er war ein sehr einsames Buch und sehr mürrisch obendrein, das war aber nicht sehr verwunderlich, denn er wurde nur selten entliehen und dann auch meist nur an Kinder, die ihn für einen Schulaufsatz brauchten und auch nicht gerade pfleglich mit ihm umgingen. Da wurde er in eine Tasche gestopft und schlug sich seine Kanten an und wenn die Kinder in ihm blätterten hinterließen sie nicht selten das ein oder andere schmerzhafte Eselsohr. Aber der Duden hatte noch ein ganz anderes Problem: Er war veraltet. Er war der eigentliche Leidtragende der neuen Rechtschreibreform. Die Bibliothek hatte einen neuen Duden angeschafft, dessen Seiten noch nicht abgegriffen und dessen gelbe Farbe noch nicht stumpf geworden war und noch immer hell leuchtete. Nun wurde der alte Duden fast gar nicht mehr aus dem Regal gezogen und führte ein tristes Dasein in einer der hintersten Ecken der Bibliothek und nur ab und zu einmal konnte man ein Grummeln aus seiner Richtung vernehmen, wenn eines der Bücher in seiner Erzählung mal wieder einen Fehler machte. "Ich war bei Tino daheim!", rief ein kleines buntes Buch und sprang aufgeregt aus seiner Position im Regal hervor. Es hatte eine piepsige Stimme, wie die von Kindern, wenn sie irgendetwas Spannendes zu berichten hatten. Sie war ein Stück zu hoch und einwenig zu laut, um noch als angenehm empfunden zu werden. "Wer ist denn nun schon wieder Tino?", fragte der Kurzgeschichtensammelband und verdrehte dabei die Augen. Das kleine Buch, bemerkte das allerdings gar nicht, sondern sprach freudig weiter, seine Stimme überschlug sich beim Reden mehrfach: "Der Tino, der geht schon zur Schule, in die dritte Klasse und er kann sogar schon lesen." Als die anderen Bücher nicht reagierten, verkündete das Kinderbuch stolz: "Und ich war auch schon in der Schule, zusammen mit Tino und er hat aus mir vorgelesen. Die Stelle wo Tina, Hannah und Peter nach Vaniland reisen. Das war to~" "Vaniland, dass ich nicht lache!", mischte sich brummend der Atlas ein und unterbrach das Kinderbuch, das ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Enttäuschung ansah. "Vaniland, so ein Humbug! So ein Land gibt es doch gar nicht!", sagte der Atlas ähnlich einem strengen Lehrer, der einen Schüler bei einem groben Fehler erwischt hatte. "Aber die Hannah und der Peter, die reisen doch dahin, um ihren Papa zu besuchen!", warf das Kinderbuch traurig ein. "China, Ungarn, Deutschland, Brasilien, Neuseeland, Ägypten; das sind Länder, aber doch nicht Vaniland!", schimpfte der Atlas und begann dann über die Dummheit des Kinderbuchs zu lachen. Das Kinderbuch seinerseits trafen die Worte des großen Weltatlasses sehr schwer und es begann zu schluchzen und schnell begannen erste Tränen die Seiten des Buches zu benetzen. "Weine nicht!", mischte sich nun eine sanfte Stimme ein. Es war Marina Märchenbuch, ein sehr altes Stück, aber sehr beliebt, bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen. Die kleinen Kinderbücher nannten sie oft nur Mami und beliebt war sie bei allen Büchern, ob alt, ob jung, ob dick, ob dünn. "Wenn du weinst, dann werden deine Seiten nass und wenn sie dann trocknen, dann wellt sich das Papier und das sieht doch dann auch nicht mehr schön aus. Außerdem, wenn du strahlst und glücklich bist, dann strahlen auch deine Farben viel mehr und du siehst viel schöner aus und die Kinder möchten dich dann noch lieber lesen.", erklärte das Märchenbuch mit ruhiger Stimme und das Kinderbuch hörte auf zu weinen und sah das alte Buch neben sich traurig an. "Lass den alten Atlas reden, von solchen Dingen weiß er nichts. Soll ich dir etwas sagen? In mir stehen nur solche Geschichten; Geschichten von Kobolden, Elfen und Feen, von Rittern und Prinzessinnen, von Drachen und Abenteuern. Phantastische Geschichten von Hexen und Geistern und anderen Wesen und auch von Ländern, deren Namen fast niemand aussprechen kann und die du auf keiner Karte in dem alten Atlas finden kannst." Sie machte eine kleiner Pause, um ihre Worte auf das Kinderbuch wirken zu lassen und fügte dann noch hinzu: "Und soll ich dir noch etwas sagen?" Das Kinderbuch nickte und das alte Märchenbuch lächelte freundlich und sprach mit einer so sanften Stimme, wie nur Mütter es können und in einem Flüsterton, der selbst für die Bücher fast nicht verständlich war: "Ich bin stolz darauf!" "Aber warum?", fragte da das kleine Kinderbuch im selben Flüsterton: "Warum? Wenn alles nur gelogen ist?" Nun lachte das Märchenbuch lauter, aber nicht in der Art als lache es über das Kinderbuch. Nein, es war ein freundliches freies Lachen, ein Lachen als hätte es nur auf diese Frage gewartet: "Aus dem selben Grund aus dem auch du angefangen hast, von Tino zu erzählen. Ich liebe das Leuchten in den Augen der Menschen wenn sie in mir lesen. Ich ersehne den Moment in dem sie an der Stelle angelangen, in denen die Geschichte ein böses Ende zu nehmen scheint und sie erschrocken die Luft anhalten und wenn sie dann schnell weiterblättern und zu der Stelle kommen, an der doch alles gut wird und sie erleichtert aufatmen, da möchte ich lauthals beginnen zu lachen. Das macht mich glücklich, alles andere ist ohne Bedeutung!" "Papperlapp, alles was zählt sind Fakten!", mischte sich nun wieder der Atlas ein und das zustimmende Gemurmel von weiteren Lehrbüchern hallte durch die Bibliothek. Das Märchenbuch aber lächelte nur müde darüber und auch das Kinderbuch strahlte nun wieder freudig, wie zu Beginn des Abends. "Seid ruhig, da kommt jemand!" Der Ruf drang von einem Regalbrett weiter unten zu den Büchern herauf und sofort hielten die Bücher in ihrem Gespräch inne und verstummten. Der Schlüssel, der im Schloss gedreht wurde, hallte zum zweiten Mal an diesem Abend unnatürlich durch die Stille im Raum und zeriss sie. Die schwere Tür die aufgestoßen wurde, quietschte missbilligend ob der groben Behandlung und die alte Bibliothekarin trat in das Dämmerlicht, das von der großen Fensterfront in den Saal fiel. Sie betätigte den Lichtschalter und das grelle Neonlicht der Leuchtstoffröhre erhellte sofort die gesamte Bibliothek. Die ältere Dame lief zielstrebig zu den Regalen in der hinteren Ecke, fuhr kurz mit einem Finger über eines der Regalbretter und zog dann den grimmigen veralteten Duden hervor. "Bevor sie dich wegschmeißen, nehme ich dich lieber mit. Die neue Rechtschreibung gefällt mir sowieso nicht!", murmelte sie leise, aber natürlich hallten ihre Worte von der Decke und den Wänden des Saals wieder und ihre Worte waren im ganzen Saal klar und deutlich zu vernehmen. Sie ließ den Duden vorsichtig in ihre Tasche gleiten, ehe sie wieder zum Ausgang eilte und das Licht löschte. Als sie schon halb durch die Tür war, drehte sie sich noch einmal um und warf noch einen letzen prüfenden Blick durch den Saal, ehe sie das letzte Mal an diesem Abend die Tür hinter sich zuzog. Als das Klacken des Schlosses und das Klimpern des Schlüssels verstummt waren, war nur noch einen winzigen Moment Ruhe im Saal, ehe man das leise Lachen vieler Bücherstimmen hören konnte, bevor diese wieder begannen sich ihren Gesprächen zuzuwenden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)