Hawk's Quest von propheiy (Die Legende von Nevermore) ================================================================================ Kapitel 5: Fragandil -------------------- Java war der erste, der am darauf folgenden Morgen erwachte. Die ersten Sonnenstrahlen trafen ihm ins Gesicht und er schlug langsam die Augen auf. Ab diesem Moment spürte er, dass etwas anders war als sonst. Java hatte sich schon lange nicht mehr so gut gefühlt wie jetzt, dass Entscheidende war jedoch, dass er die Einstellung zu seiner bevorstehenden Aufgabe grundlegend geändert hatte. Seit der Verkündung seiner Bestimmung bis zum vorherigen Tag war er sich sicher, dass der Adler seine Auswahl nicht richtig getroffen hatte. Doch heute war alles anders. Er weckte Akira und sagte ihm, dass er bereit zum weiterziehen wäre. Akira selbst schien redlich überrascht zu sein. „Seit wann bist du denn so entschlossen?“, fragte er verwundert. „Viele Menschenleben stehen auf dem Spiel, ich kann nicht zulassen, dass sie wegen meines mangelnden Pflichtbewusstseins sterben!“, erwiderte Java entschieden. Akira war so begeistert, dass er Java beinahe umarmt hätte, was er dann dennoch in einer kleinen Jubelgeste ausklingen lies. Java war fest entschlossen und er wusste, dass er von nun an alles tun würde, um Zowan zu stürzen. Sora war in der Zwischenzeit erwacht und machte sich fertig, um weiter zu ziehen. Nach einer kurzen Malzeit setzten sie ihre Reise in Richtung der Berge des Adlers fort. „Sobald wir Fragandil erreicht haben“, begann Akira unerwartet, „werde ich einen Falken schicken.“ „Falken schicken?“, fragte Java. „Man verschickt Botschaften seit jeher über Falken. Sie sind sehr zuverlässig und bringen die Nachrichten zielgenau am Bestimmungsort ab, insofern sie ihr Ziel kennen.“ Obwohl Java mindestens einmal in seinem Leben bereits mitverfolgt hatte, wie Sumi einen Falken schicken lies, tat er so, als wäre ihm dieses Thema nicht geläufig. „Das heißt, man kann sie überall hinschicken, wenn sie die entsprechende Strecke schon einmal zurückgelegt haben?“, fragte Java interessiert. „Theoretisch ja, ausgenommen von Strecken, auf denen Zwischenstopps ausgeschlossen sind, wie zum Beispiel über das Meer.“ Er dachte einen Augenblick nach. Könnte man Falken vielleicht auch als Spione benutzen? Doch schnell verfiel diese Idee. Die Sonne verzog sich hinter ein paar Quellwoken; Java überkam aufs Neue das Gefühl, die Wolken könnten sich im nächsten Augenblick wieder verformen und er blickte angespannt nach oben. Doch es passierte nichts: Die Wolke zog ausdruckslos vorbei, die Sonne kam hervor und Java lies seinen Blick wieder in Richtung der Berge schweifen, die es zu überwinden galt. Diese kamen beachtlich näher und erst jetzt erkannten Java und Sora, wie gewaltig das Massiv des Gebirges tatsächlich war. Der Himmel über den Bergen war stark verdunkelt und hin und wieder konnte man meinen, dass sich Blitze ihren Weg am Himmel bahnten. „Sieht echt heftig aus!“, bemerkte Sora, die erstaunt das entfernte Geschehen beobachtete. Java schob sich etwas näher zu Akira und er zischte ihm ins Ohr: „Ich hab doch gesagt, dass es keine Gute Idee ist, dass sie mitkommt!“ Akira schien das aber nicht zu beunruhigen. „Sie wird, sie wird.“, sagte er aber nur. Java schaute etwas fragend Akira von der Seite an. Doch dann lies er dieses Thema auf sich ruhen und wortlos ging es weiter. Das hohe Gras streifte ihre Füße, nicht mehr weit und sie würden ein solch wunderbares Szenario nicht mehr so schnell wieder sehen bekommen. Die dunklen Wolken und die darunter liegenden Berge kamen erneut näher. „Was erwartet uns eigentlich hinter den Bergen?“, fragte Java, als sie schon eine beachtliche Entfernung zurückgelegt hatten. „Nun…“, begann Akira langsam und wohlbedacht, so wie es Sumi auch pflegte, „…hinter den Bergen beginnt wie gesagte das neue Land. Zuerst müssen wir durch die legendären Gondenmoore, ein brandtgefährliches Sumpfgebiet, in dem,… Er schwieg. „In dem?“, fragte Java ungeduldig. „Wie soll ich sagen…“, begann Akira und er schaute sich um zu Sora. „In dem noch niemand lebend herausgekommen ist“, sagte er gerade so laut, dass Java es hören konnte. Java wusste nicht genau, ob ihn dass beeindrucken sollte, oder ob es sich hier nur um eine Legende oder eine schon oft übernommene Erzählung handelte, die man nicht unbedingt ernst nehmen durfte. „Gibt es denn keinen anderen Weg?“, fragte Java ihn. „Es gibt viele andere, aber nur dieser führt zu Zowan“, erklärte Akira und musste ein wenig über seinen eigenen Witz lachen. „Um genau zu sein: Es gäbe da noch einen weiteren Weg. Ich bin mir aber sicher, dass dieser eindeutig zu riskant wäre…“ „Warum?“, fragte Java. „Nun, weil er von Zowans Kriegern und Streitkräften eingenommen wird. Er ist sozusagen für sie der einzige Weg zur Außenwelt.“ „Ist es noch weit?“, konnte man Sora von hinten fragen hören, die das Gespräch offenbar nicht mitgehört hatte. Akira drehte sich zu ihr um und legte seine Hand auf ihre Schultern. „Du musst schon etwas Geduld haben. Das hier ist nichts gegen das, was euch noch erwarten wird.“ Nachdem sie den ganzen Tag unterwegs waren, ohne eine Mittagspause einzulegen, erreichten sie die von Akira angekündigte Stadt Fragandil. Um einiges größer als Coudy und unverkennbar schmucker, lag es nur noch ungefähr ein halber Tagesmarsch vom Gebirgsmassiv entfernt. Sie traten durch eines der Fragandil umringenden hölzernen Tore, die einen Schutz vor Feinden bildete. In der Innenseite wurde die erst die wahre Pracht der Stadt sichtbar: Steinerne Häuser wie Java und Sora sie nie zuvor gesehen hatten und goldene Dächer, welche die Stadt wie Schleier des Lichtes umgaben prägten das Bild von Fragandil. Aus dem noch vor der Stadt schlammigen Weg, wurde ein gut gepflasterter Steinweg, welcher gradewegs in das Zentrum führte. Dort konnte man ohne Schwierigkeiten einen dominierenden, ebenfalls aus Stein erbauten Glockenturm vernehmen, dessen Läuten die Bürger von Fragandil allmorgendlich zum Arbeitsbeginn und abends zum Feierabend aufmerksam machte, wie es Akira den Zweien erklärte. Als sie die holprige Pflasterstraße entlangliefen, kamen ihnen immer wieder Pferde mit Soldaten oder Marktkarren vorbei, die sich ihren Weg durch die Stadt bahnten. Java, Akira und Sora erreichten einen großen Platz, auf dem zur Tageszeit ein Markt abgehalten worden sein musste. Aufgrund der einbrechenden Dämmerung waren nur noch ein paar wenige Händler anwesend, die sich aber auch allmählich auf den Heimweg machten. In der Mitte des Platzes stand der Glockenturm, unmittelbar darunter ein baufälliges, herunterge- kommenes altes Haus, das Akira sofort wieder erkannte. „Da vorne ist es!“, sagte er erfreut über sich selbst und er ging in Richtung des Hauses. Die anderen Zwei folgten ihm über den großen Platz. Java hatte noch nie zuvor etwas anderes als seine Heimatsiedlung Coudy zu sehen bekommen und blickte sich daher interessiert um. Alles erschien ihm unbekannt und fremd. Sora ging es genauso und tat es ihrem älteren Bruder gleich. Als sie am Fuße des Turmes angekommen waren, gab Akira ihnen ein Zeichen zum Warten. „Ich werde ihn begrüßen, ihr wartet so lange“, sagte er. „Ich muss ihn erst einmal darauf vorbereiten, schließlich ist es schon eine Weile her, dass ich ihn das letzte Mal getroffen habe.“ Daraufhin ging er um das Haus, da sich die Tür auf der entgegengesetzten Seite befand. „Verdammt, ich sterbe gleich vor Hunger!“, stöhnte Sora und lies ihren Kopf hängen. Java lies seinen Blick über den Platz streifen. Dann drehte er sich um und versuchte einen Blick in das Fenster zu werfen, gab es aber aufgrund der für ihn unerreichbaren Höhe auf. Er lies er sich am Hausrand nieder und blickte ziellos geradeaus und sah in der Ferne, wie ein Konflikt zwischen einem Markthändler und einem Bauern ausbrach. „Hoffentlich hat Akiras guter Bekannter ein Paar Happen für uns übrig“, sagte Java mit ironischer Stimme. „Wenn nicht, sterbe ich!“, erwiderte Sora. Java runzelte die Stirn. „Jetzt beruhige dich erst mal, glaubst du, ich habe weniger Hunger als du?“, sagte er genervt. Er tippte ungeduldig mit den Fingern auf dem Boden als ob er Klavier spielen wollte. Er legte seinen Kopf auf die Knie. Mit einem Mal trat Stille ein. Von keinem Winkel der Stadt war auch nur ein einziges Geräusch zu vernehmen. Nach einer Weile kam Akira um die Ecke und gab ihnen ein Zeichen, dass sie kommen konnten. Noch bevor sie die Tür erreichten, begann die Glocke des Glockenturmes laut zu schlagen. Ein schon fast traumhafter Hall voller Eleganz und Schönheit klang in die Ohren von den dreien. „Wie ich diesen Klang vermisst habe!“, schwärmte Akira verträumt und er schloss seine Augen. Für Java und Sora war es der schönste Klang, den sie je in ihrem Leben zu Ohren bekamen. Es war ein Klang, bei dem man sich so schwerelos fühlte, dass man meinen könnte, im nächsten Augenblick abzuheben. Sie erreichten die Eingangstür. Ein mittelgroßer, älterer Mann, größer als Akira, aber kleiner als Java und Sora, mit verfilzten, grauen Haaren kam im Takt des Glockenschlags auf sie zu getänzelt. Java und Sora blickten sich verdutzt an. „Seit willkommen, meine lieben Freunde!“, sagte er halb singend mit heller Stimme und er begrüßte erst Sora und danach Java. „Kommt doch rein, ich habe schon etwas vorbereitet“, sagte der Mann immer noch beglückt. So traten sie, einer nach dem anderen in das baufällige kleine Holzhaus und ließen das Abendliche Geschehen des Platzes hinter ihnen. Im Inneren des Hauses war es warm, am Ende eines kleinen, länglichen Zimmers stand ein Kamin, in dem ein Feuer brannte. An den unebenen, rauen Lehmwänden hingen unzählige verschiedene Bilder von Rittern und Königen, was Sora, aber vor allem Java verwunderte. „Ach ja!“, begann der alte Mann, „Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt! Mein Name ist Tarandutra.“ Sora musste grinsen. Ihr kam der Name ziemlich komisch vor, wie auch Java; dennoch stupste er seine Schwester an, um sie darauf aufmerksam zu machen, das so ein Verhalten unangebracht war. „Ihr dürft mich aber auch Taru nennen.“, fuhr er fort und präsentierte mit einer Arm- und Handbewegung sein kleines Reich. „Fühlt euch bei mir wie Zuhause!“ „Vielen Dank Taru…“, sagte Akira dankend für den Empfang und er verbeugte sich vor ihm. „…wir werden uns unter deiner Gastfreundlichkeit in der Tat wie Zuhause fühlen.“ Die Dunkelheit war bereits vollständig über Fragandil eingebrochen. Auch die benachbarten Häuser am Platz des Glockenturms waren von Innen her hell erleuchtet. Sora begann sich umzuschauen. „Wenn ihr Hunger haben solltet…“, begann Taru aber Java und Sora unterbrachen ihn Zeitgleich. „Ja, bitte!“, kam es wie aus einem Mund. So aßen sie in Tarus gemütlicher Unterkunft an einem Tisch unweit des wärmenden Kamins. Auf dem Tisch hatte er Kerzen entzündet und eine ausgeblichene goldene Decke ausgebreitet. Es gab verschiedenste Speisen, wie gebackener Fisch und Brot mit verschiedenen Beilagen. Es machte unschwer erkennbar den Anschein, dass sich Tarundutra viel Mühe um das Wohl seiner Gäste machte. Java musste im Laufe des Abends feststellen, dass er gar nicht so verrückt war, wie bei ihrer Ankunft und er vermutete das die Glocken nicht ganz unentscheidend daran gewesen waren. „Ich hätte da mal eine Frage“, begann Java, als sie fertig gegessen hatten und Taru begann, den Tisch mit den hölzernen Besteck und Tellern abzuräumen. „Ja, mein Sohn, frage mich was dein Herz begehrt(…)“, sagte er angestrengt und ohne ihn anzuschauen, da er gerade versuchte, die Teller aufzutürmen, um sie allesamt in Richtung des Wasserbeckens zu befördern. „Was sind das für Glocken und…wer läutet sie?“, fragte er ihn und er machte wieder einmal bewusst einen fragenden Gesichtsausdruck. „Ach ja… die Glocken!“, begann er, ließ das Geschirr stehen und blickte verträumt in die Richtung, wo der Glockenturm stand, auch wenn man ihn von der Innenseite nicht sehen konnte, da an der Seite des Turms kein Fenster vorhanden war. Sein runzeliges Gesicht wurde vom Kerzenschein unheimlich beleuchtet. „Nun, mein Freund, du musst wissen, dass es sich hierbei um magische Glocken handelt. Der Glockenturm hat eine viel mächtigere Aufgabe, als man sich erträumen kann…“, erklärte Taru und brach ab. „Was ist das für eine Aufgabe?“, fragte Sora, die sich ausnahmsweise auch mal zu Wort meldete und somit Java die Frage abnahm. „Stellt euch vor…“, begann er, „…er kann die Persönlichkeit eines Menschen beeinflussen, somit bildet er sozusagen einen Schutz vor Feinden, weil diese…“ Java schien plötzlich alles zu verstehen und er ergänzte ihn. „…weil Feinde durch den Glockenschlag in ihrer Persönlichkeit manipuliert werden und sich eventuell zu einem Rückzug entscheiden, verstehe.“ Taru und Akira waren beeindruckt von Javas konstruktivem Gedächtnis. „Ganz richtig, daher leben wir seit vielen Jahren friedlich und unbeschwert in unserer geliebten Stadt Fragandil.“ „Und wer hat sie erbaut?“ fragte Java weiter. „Das kann ich dir leider auch nicht sagen, das weiß keiner heute mehr so genau“, erklärte er und fuhr damit fort, das restliche Geschirr vom Tisch zu räumen. Java verfiel in Gedanken und ließ dieses Thema auf sich ruhen. Java und Sora gingen bald darauf schlafen, Taru und Akira hingegen blieben noch wach, sie hatten sich scheinbar viel zu erzählen. Hin und wieder griffen sie Themen auf, wie: Wie lange wird es noch dauern bis Zowan…? Oder: Gibt es noch einen Ausweg? Die Stille, die über Fragandil schwebte, war so unheimlich, das sich ein ungutes Gefühl in Java und vor allem in Sora breit machte. Nichts desto trotz schliefen sie schon bald ein. Von unten war noch ein gedämpftes Gespräch von Akira und Tarundutra zu vernehmen, was wenig später aber auch erlosch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)