Madness von Lunatik ((Prideshipping)) ================================================================================ Alles ist dunkel und leer. Wo bin ich? In der Hölle. Wieso bin ich hier? Weil du gesündigt hast. Gesündigt? Yugi! Wo bist du? Wieso bist du nicht neben mir? Vor mir, in der Finsternis, leuchtet ein Licht auf und ich sehe dich. Yugi… aber wieso bist du so weit weg von mir? Ich strecke meine Hand aus und versuche dich zu berühren, doch bist du zu weit entfernt. Ich renne, doch du kommst nicht näher. Du stehst da, so weit weg von mir, und lächelst. Lächelst dein trauriges Lächeln… Wer hat dich traurig gemacht? Etwa ich? Du wendest dich ab und dein Rücken verschwindet immer weiter in der Dunkelheit. „Yugi!“, schreie ich dir nach. Doch du bist schon verblasst. Du gehörst mir. Eine kalte Stimme. Wo habe ich sie nur schon gehört? Mir allein. Angst macht sich in mir breit, eine unerklärlich, mich erstickende Angst und… Sehnsucht. Es schnürt mir die Kehle zu, ich kann nicht mehr atmen. Meine Hände sind an meinem eigenen Hals. Fassen zu, drücken fest. Nägel bohren sich in das Fleisch, ich spüre Bluttropfen, welche meiner Kehle entweichen. Bluttropfen, die sich zu Strömen sammeln. Sie überfluten mich, die ganze Dunkelheit. Es wird rot. Für immer. Ich schlug meine Augen auf und blickte in zwei eisblaue Kristalle. Wo hatte ich sie schon einmal gesehen? Wer hatte mir diesen Schauer schon einmal über den Rücken gejagt? Mit einem Schlag fielen die Erinnerungen über mich her. Ich versuchte zu schreien, doch nur ein Flüstern verließ meine Lippen: „Seto…“ „Du bist endlich wach.“ In dieser sonst so kalten Stimme lag deutlich ein Hauch von Zärtlichkeit. Zärtlichkeit? War das immer noch ein Traum? „Du gehörst nur mir. Ist dir das endlich klar?“ Ein Schatten beugte sich über mich, das kalte Blau kam näher und warme Lippen legten sich auf die meinen. Eine sanfte kurze Berührung. Ein lauter Knall riss mich aus den Fängen des verführerischsten Blickes dieser Welt. Nur jetzt stieß auch das laute Piepen bis zu meinen Ohren durch. Ich sah die weißen, kahlen Wände. Merkte, wie jemand, gehüllt in weiß, sich über mich beugte und versuchte mir etwas zu sagen. Doch ich hörte nicht. Mein Blick ruhte immer noch auf den kalten Augen. Meinen heiß geliebten und so gehassten Augen. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Ein Lächeln, welches schien mich gleichzeitig auszulachen und aufzumuntern. So konnte nur einer lächeln. Nur du, mein Teufel, der nie mir allein gehören konnte, doch welcher mir meine Seele geraubt hatte. Du entferntes dich. Ich konnte dein Gesicht nicht mehr sehen. Du schrittest an mir vorbei, raus aus meinem Blickfeld und ich hörte das leise Zuschlagen einer Tür. Die Worte des Mannes im weißen Kittel, der über mich gebeugt war, drangen zu mir vor. Ich hörte sie wie durch Watte, doch dann wurden sie immer klarer und klarer. „Können Sie mich hören?“ „Ja…“ Meine Stimme hörte sich rau an und war nicht mehr als ein Hauch. „Gut. Wie fühlen Sie sich?“ Die Stimme des, anscheinend, Arztes war dagegen kräftig, doch hatte sie einen fürsorglichen Ton. Wie ich mich fühlte? Gute Frage. Müde. Kraftlos. Und etwas Bedrückendes umschloss mein Herz. „Kraftlos…“, flüsterte ich immer noch mit leiser Stimme. „Das ist verständlich. Wir werden später einige Untersuchungen machen, aber jetzt sollten Sie zuerst ganz zu sich kommen.“ Der Arzt schien gesprächig zu sein, doch seine Stimme fing langsam an zu nerven. Sie war einfach zu laut. Ich nickte nur als Antwort und auch er verschwand lächelnd. Doch sein Lächeln zeigte nichts als falsche Freundlichkeit. Ich versuchte meinen Kopf zu heben, doch er schien so schwer wie Blei zu sein, also drehte ich ihn lediglich zur Seite und das Fenster fiel mir sofort auf. Ich schaute fasziniert, wie das Licht hinein schien. Ein silbern schimmerndes Licht. Das Mondlicht. Draußen war es Nacht und die Dunkelheit gab mir ein Gefühl der entsetzlichen Angst. Finsternis, welche nur durch einen einzigen Lichtstrahl durchbrochen wurde. Ich wusste nicht wie lange ich das Glas schon angestarrt hatte, die Zeit schien still zu stehen, als es dann geschah. Das unheimliche Wunder. Ich sah ihn am Fenster stehen und mich anlächeln. Ein Hauch von Traurigkeit spiegelte sich in seinen Augen wieder, doch schien das Lächeln fröhlich zu sein. Wie eine Puppe, dachte ich. Eine Puppe, die müde war zu lächeln, doch nicht anders konnte, weil sie mit einem Lächeln auf die Welt gekommen war. All die Müdigkeit war mit einem Male verschwunden und neue Kraft floss durch meinen Körper. Wie konnte es sein? Er stand vor mir. Der, den ich durch meinen Egoismus und meine Angst umgebracht hatte. Ja. Umgebracht. Ruckartig, die Augen nicht von meinem Engel lassend, erhob ich mich vom Bett. Dabei zog ich an den ganzen Kabeln, dessen Nadeln sich unsanft aus meiner Haut befreiten und auf das weiße Lacken fielen. Manche knallten mit einem hellen Klang auf den Boden. Das schnelle Piepen ertönte wieder, doch interessierte mich das alles nicht. „Yugi!“, schrie ich und dieses Mal war meine Stimme laut, hallte in meinen Gedanken wieder, verursachte stechende Schmerzen, doch merkte ich diese nicht einmal. Ich lief zu ihm, zu der wunderschönen, zierlichen Gestalt am Fenster. Meine Hände fassten nach ihm, doch berührten meine Finger nur die kalte Fensterscheibe. Tränen bannten sich ihren Weg auf meiner Haut. Ich erhöhte den Druck, doch immer noch spürte ich lediglich das kalte Glas. Wieso? Wieso nur? Er hörte nicht auf zu lächeln. So entschuldigend, mit einem schüchternen Blick, der mir das Herz zerriss. Die Tränen brannten, ich konnte meine Augen kaum offen halten, doch wollte ich seinen Anblick nicht für eine Sekunde verlieren. Ich hatte es geahnt, doch nun sah ich es ganz deutlich: Der Mondschimmer, der durch ihn hindurch schien und auf den kalten Boden auftraf. Mit zitternden Händen langte ich an die Stelle, wo sich seine Wange abzeichnete. Ich schloss meine Augen und stellte mir vor, wie ich seine weiche Haut berührte, die sanfte Wärme auf meiner Haut spürte und für einen Augenblick war es als ob ich es wirklich spüren konnte. So intensiv, dass es real erschien. Tränen hörten nicht auf meine Wangen entlang zu laufen und ich schrie los. Meine Knie gaben nach und ich sank zu Boden, vergrub mein Gesicht in meinen Händen, welche vor noch einem Augenblick seine Wärme spüren konnten. Die Tür hinter mir wurde wieder aufgerissen, jemand schrie auf und ich spürte etwas an meiner Schulter. Jemanden. *** Eine Woche lang stand er nun unaufhörlich vor dem Fenster und lächelte sanft. Doch sie alle ignorierten ihn, gingen vorüber, würdigten ihn keines Blickes. War er ein Geist? Nur für mich sichtbar? Oder war ich verrückt? Sie redeten leise. Eigentlich war es nur Flüstern, draußen auf dem Flur, doch ich konnte ihre Worte ganz deutlich hören. Während ich auf das Fenster starrte, erklärten sie ihm meine Diagnose. Er kam jeden Tag vorbei, doch redete er kaum. Seine einzigen Worte waren gewesen: „Wie geht es dir, mein Spielzeug?“. Kalte, verletzende Worte, so wie immer, doch war da etwas in seinen Augen anders gewesen, als er sie gesprochen hatte. Was hatte sich verändert? Wieso? Die Stimme des Arztes riss mich aus meinen Gedanken. „Wir werden ihn noch zwei weitere Wochen hier behalten und wenn es sich nicht bessert, dann wird er in eine psychiatrische Klinik überwiesen werden. Er isst nicht und er will nicht reden, er starrt nur aus dem Fenster. Der seelische Schock sitzt wohl zu tief. Wollen Sie mir nun erzählen, was ihn zu solch einer Tat getrieben hatte?“ „Das geht Sie nichts an.“ Schritte entfernten sich. Knapp und kurz, es sei denn er spielte. Kalt und herzlos, es sei denn er wollte jemanden in seinen Bann ziehen. Seto… ‚Solch einer Tat’ hatte der Arzt gesagt. Mein Blick schweifte für einen kurzen Moment zu meinem linken Handgelenk, doch gleich wieder richtete ich ihn auf Yugi, der aus dem Fenster blickte. Ich hasste den Anblick der dünnen weißen Narbe… Yugi drehte sich zu mir und bedachte mich mit einem traurigen Blick, als ob er wüsste, was ich gerade fühlte. Was ich immer fühlte, wenn ich diese Narbe sah. Wut. Abscheu. Hass. Nicht einmal der Tod war mir gewehrt worden. Diesmal war es das Sonnenlicht, welches seinen Weg durch Yugi hindurch legte. In Sonnenstrahlen badend sah er wahrhaftig aus wie ein Engel. Der schönste Engel auf Erden. Der Engel, den ich verdorben und dann verloren hatte. Eine einsame Träne rann meine Wange herunter, hinterließ eine Spur und verschwand auf dem weißen Lacken. Eine Krankenschwester tauchte vor meinen Augen auf. „Ich werde jetzt ihren Blutdruck messen, Herr Atemu“, sagte sie mit einer sanften Stimme, mit der man normalerweise zu Kindern sprach. Ob sie Kinder hatte? Nein, dazu schien sie zu jung zu sein. Ich antwortete nicht, mein Blick starrte ins Leere und wartete darauf, dass die junge Frau das Fenster wieder freigab. *** Zwei Wochen in denen sich nichts verändert hatte. Yugi verweilte die ganze Zeit über vor dem Fenster. Wurde von niemand gesehen. Wurde von mir pausenlos angestarrt. Nur selten fielen meine Augen zu und alles wurde schwarz. Doch auch in meinen Träumen sah ich ihn. Ihn, der immer weiter in der Dunkelheit verschwand. So weit weg von mir… Ketten, die mich festhielten. Hände, die mich festhielten, nicht auf die andere Seite ließen… Seine Hände. Er kam herein. Diese zwei Wochen lang hatte er mich nicht mehr besucht. Doch war es mir, als ob er mich trotzdem die ganze Zeit über mit seinen himmelblauen Augen beobachtet hätte. Wortlos setzte er sich neben mich auf das Bett. Immer noch schweigsam beugte er sich zu mir hinunter. Mein Blick war starr auf seine Augen gerichtet. Zum ersten Mal in diesen zwei Wochen wand ich sie vom Fenster ab. Seine Hand strich mir zart über die Wange, wanderte zu meinen Haaren und streifte diese. Sein Gesicht war nur Millimeter von meinem entfernt. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut. Seinen warmen ruhigen Atem. Er überwand die kurze Entfernung und sanft legten sich seine Lippen auf meine. Seine Zunge leckte mir zärtlich über die Lippen und mein Mund öffnete sich leicht. Seine Zunge wanderte weiter, in meinen Mund hinein, stieß auf meine und begrüßte sie sanft. Es war wie bei unserem ersten Mal. Damals war er auch so zärtlich. Das einzige Mal, wo er zärtlich war. Er löste den Kuss und ich spürte seinen Atem an meinem Ohr. Seine Worte waren wie der Hauch des Windes: Du kannst mir nicht entkommen. Er stand wieder auf und verschwand aus meinem Blickfeld. Ich hörte wie die Tür zuerst aufging und sich gleich danach wieder schloss. Ein Kuss. Ich wünschte, ich könnte Yugi genauso küssen. Als hätte er meine Gedanken gelesen, sah ich ihn auf meiner Bettkante. Da, wo kurz davor noch Seto gesessen hatte. Meine Hand wanderte zu seiner Wange. Ich wusste, ich kann ihn nicht berühren, doch hielt ich sie da an, wo ich glaubte seine Haut früher spüren zu können. Ich blickte in seine Augen, solch liebevoll blickende Augen. Auch er beugte sich zu mir vor und seine durchsichtigen Lippen ließen sich auf meine nieder. Ich riss meine Augen auf. Ich sah es, doch ich konnte es nicht spüren. Ich versuchte die Augen zu schließen und es mir vorzustellen. Doch ich konnte es nicht. Schreiend riss ich meinen Oberkörper nach oben. Meine Arme schlugen wild um mich, all die Kabel rissen mir erneut die Haut auf und ich konnte Bluttropfen sehen, doch nahm ich sie nicht wahr. Das warnende Piepen der Apparaturen dröhnte in meinen Ohren, doch konnte es meine Stimme nicht stoppen, die unaufhörlich im Zimmer hallte. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib. Vergrub meinen Kopf in meine Händen und merkte, dass mein Gesicht schon nass von Tränen war. Menschen, in weißen Kitteln, Ärzte, Krankenschwestern, stürmten in mein Zimmer, versuchten mich zu beruhigen, doch schlug ich nur wieder wild um sich. Bis er seine Arme um mich legte. Wieso war er auf ein Mal da? War er zurückgekehrt? Ich krallte meine Finger fest in seinen Pulli, vergrub mein Gesicht auf seiner Brust. Meine Stimme wurde wieder stumm, doch schluchzte ich auf. Ich konnte nicht aufhören zu weinen. Leicht drehte ich mein Gesicht zur Seite. Setos Hand kraulte beruhigend meinen Nacken. Doch da stand er. Wieder am Fenster. Lächelnd. Glücklich. Fröhlich. Kalt. Blankes Entsetzen machte sich in mir breit, angsterfüllt starrte ich ihn an. War das seine Rache? Ich krallte mich noch mehr in Setos Pulli, versuchte mich noch mehr an seinen Körper zu drücken. Ich konnte es hören, fühlen. Seinen Herzschlag. Setos Herz schlug. So wie es meins auch tat. Nur Yugis nicht. Yugis tat es nicht. *** Es war schon ein Monat her seit ich in der ‚Klinik’ gelandet war. Mir wurde eine nette, noch recht junge Psychologin zugewiesen. Sie brachte mich zum reden. Über Yugi. Ich erzählte ihr alles. Über unser gemeinsames Leben. Über seinen Tod. Über sein beängstigendes Lächeln vor dem Fenster. Und darüber, dass er mich verfolgte. Egal, wo ich war. In meiner Zelle, im Zimmer des Doktors Yamashita, so hieß die junge Psychologin, oder auf irgendeiner Therapie. Er war immer da und schaute mich an. Mit seinem glücklichen Lächeln. Das Lächeln eines Kindes, welches seine Eltern umbrachte, doch nicht verstand, was es tat. Mit der Grausamkeit eines Kindes blickte er mich an. Winkte mir zu. Schickte Luftküsse. Machte mich wahnsinnig. Doktor Yamashita verschrieb mir starke Medikamente und schickte mich tagtäglich zu Therapien. Jeden Freitag redeten wir dann. Doch half das alles nicht. Er war trotzdem immer da. Es war bei der Maltherapie. Ich war dabei meine Eltern zu zeichnen, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte, an die ich schon lange nicht mehr gedacht hatte. Da stand er direkt vor mir. Beugte sich vor und musterte interessiert mein Bild. In einer Hand hatte er einen roten Luftballon, genau so einen wie ich ihn auf dem Bild gemalt hatte. Yugi lächelte mich wieder glücklich an. Er grinste über beide Ohren und winkte mich zu sich. Ich konnte nicht mehr. Er streckte die Hand nach mir aus und wollte meine Wange berühren. Ich wich ihm aus in dem ich von meinem Stuhl aufsprang und diesen dabei umwarf. Ich schrie auf. Ich schrie ihn an. „Lass mich endlich in Frieden! Du bist tot. Tot! TOT!“ Pfleger rannten auf mich zu, hielten mich fest, spritzen mir etwas. Ein kurzer stechender Schmerz und ich sah nur noch verschwommen. Dann wurde es schwarz. Ich erwachte in meinem Bett in dem Zimmer mit den kahlen grauen Wänden. Nur ein Bild von einer ägyptischen Pyramide hing auf einer Seite. Das Bild hatte mir Frau Yamashita geschenkt, damit es hier nicht mehr so trostlos wirkte. Doch trotzdem war es hier kalt und einsam. Ich wand meinen Kopf zu dem Fenster und zum ersten Mal seit so langer Zeit war da niemand. Ich konnte den blauen Himmel sehen. Niemand stand davor. Kein Yugi, kein grausames, glückliches Lächeln. Kein Blick, der ständig auf mir ruhte. Ich schaute mich im Zimmer um. Es war leer. Ich hörte wie sich ein Schlüssel sich drehte und die schwere Eisentür ging auf. Ich hörte wie Frau Yamashita sagte: „Ich lasse sie jetzt allein, klingeln sie wenn was ist.“ Jemand kam herein und die schwere Tür fiel wieder zu. Ich drehte meinen Kopf zur Tür und starrte ungläubig die Gestalt davor an. Braune Haare, die immer im Licht glänzten. Blaue Augen, die immer direkt in die Seele hineinstarrten. Der lächelnde Mund, der solch wunderbar zu küssen vermochte. Seto kam näher und setzte sich auf mein Bett, den Stuhl daneben ignorierend. Ich blickte ihn an. Er war da. Hier und jetzt. Meine Arme schlangen sich um ihn und ich drückte ihn fest an meinen Körper, der abgemagert und dünn geworden war. Ich legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab und flüsterte leise, aber bestimmt. „Hol mich hier raus.“ Seine Arme legten sich um meine Hüfte und pressten mich noch mehr an seinen starken Körper. „In Ordnung.“ Er war so schnell verschwunden, wie überraschend er gekommen war. Doch drei Tage später wurde ich entlassen. Vor der Klinik parkte eine schwarze Limousine. *** „Als Gratulation zur Entlassung erfülle ich dir einen Wunsch.“ Seine Worte waren emotionslos gesprochen worden, doch in seinen Augen lag eine Spur von Heiterkeit. War er froh mich zu sehen? „Aber bedenke, das wird dein einziger.“ Wir saßen in der Limousine und fuhren zu seiner Villa. Er hatte als erstes gesagt, ich würde jetzt dort leben und sollte erst gar nicht daran denken abzuhauen, oder mir was anzutun. Denn dann würde er mich in Ketten legen, wie einen Vogel einsperren. Doch ich hatte es sowieso nicht vor. Ich wollte nur noch Ruhe. Einen Wunsch. Ja, ich hatte einen. Eigentlich konnte man den Wunsch als Verschwendung ansehen, wenn man bedachte wer Seto Kaiba war, doch ich konnte an nichts anderes denken. „Verbringst du den Tag mit mir? Zu Fuß.“ Seine Augenbraue hob sich. „Zu Fuß?“, hackte er nach. Ja, es hörte sich bizarr an. Ich wusste es. Mein Kopf senkte sich und ich richtete meinen Blick auf meine Hände. Ich nickte nur leicht. Ich rechnete schon mit einer Absage, doch… „Einverstanden.“ Verwirrt blickte ich wieder auf. Hatte Seto Kaiba gerade eingewilligt mit ihm einen ganztägigen Spaziergang zu Fuß zu unternehmen? Wunder geschahen auf dieser Welt doch noch. Seto redete kurz mit dem Fahrer und das Auto hielt an einem Gehweg. Wir stiegen schweigsam aus, wobei ich meinen verwunderten Blick nicht von dem Eiskalten ließ. „Dann lass uns mal gehen.“ Wir gingen eine stinknormale Straße entlang auf der ganz gewöhnliche Wohnhäuser und kleine Geschäfte verteilt waren. Es war irgendwie komisch. Doch ich fühlte mich so gut wie schon lange nicht mehr. Ich atmete gierig die Luft ein, die leicht nach Benzin und Beton roch. Wir blieben vor einem billigen Schmuckgeschäft stehen. Seto blickte interessiert ins Schaufenster und in seinen Augen lag eine Art kindlicher Bewunderung. Er ging hinein. Und obwohl meine Laune nicht gerade fröhlich war, konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ein Seto Kaiba, der unbekümmert in ein stinknormales Geschäft auf einer stinknormalen Straße ging und ein billiges Schmuckstück kaufte - das war schon etwas. Der Verkäufer musste ja Augen machen… Ein leises Kichern entwich mir und ich erblickte wieder meinen Teufel, der leicht genervt den Laden verließ. Der Verkäufer hatte wohl wirklich Augen gemacht und dann wahrscheinlich auch noch gestottert. Bei der Vorstellung schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. Seto schaute mich fragend an und ich schüttelte nur leicht den Kopf. Reden war so eine schwierige Sache. Mein Blick richtete sich auf seine Hand, in der etwas vom Sonnenlicht getroffen schimmerte. Seto bemerkte meinen Blick und legte seine Hände um meinen Hals. Er nahm sie wieder weg und ich spürte wie etwas Kühles meinen Nacken berührte. Ich schaute herunter und bemerkte eine Kette. Ich nahm den silbernen Anhänger in die Hand und betrachtete den kleinen Drachen, der einen blauen Stein als Auge hatte. „Danke“, flüsterte ich leise. „Steht dir“, antwortete er schlicht in einem für mich undefinierbaren Ton und seine warme Hand strich über meine Wange. Ich blickte hoch. Ruckartig ergriff ich den Ärmel von Setos Mantel. Etwas abseits von uns konnte ich ihn sehen. Yugi funkelte uns an, wie ein Kind, den man vom Spiel ausschloss. „Alles in Ordnung?“, fragte Seto und ich konnte für einen kurzen Moment die Sorge in seiner Stimme hören. Ich erwiderte nichts und starrte nur auf den Platz, wo ich Yugis durchsichtigen Körper sehen konnte. Seto folgte meinem Blick und ein ernster Ausdruck lag in seinen Gesichtszügen. „Lass uns weiter gehen“, sagte er bestimmt und setzte seine Worte gleich in die Tat um. Wir gingen weiter und ich ließ seinen Ärmel nicht mehr los. Diese kleine Berührung gab mir ein Gefühl der Geborgenheit. Wortlos gingen wir langsamen Schrittes durch die belebte Stadt. Ich wusste nicht mal welcher Tag es war. Es schien ein Wochentag Anfang des Frühlings zu sein. Das war alles. Ich hatte nie gefragt und von sich aus hatte mir keiner der Ärzte oder Krankenschwestern etwas erzählt. Und wenn doch, hatte ich nicht zugehört. Nach einigen Stunden des Marschs, einem erfrischenden Erdbeereis und Unmengen ungläubiger Blicke waren wir in einem Park angelangt. Müde ließ ich mich auf einer Bank nieder und der Firmenchef setzte sich neben mich. Er starrte gerade aus. Es war als ob er Angst hatte mich anzusehen. War es verletzend für ihn? Empfand er mich als etwas Minderwertiges, wenn er mich anschaute? Gewundert hätte es mich nicht. Ich gab kein schönes Bild ab. Ein verstörter abgemagerter junger Mann mit blauen Augenringen, die doppelt so groß wie die Augen selbst waren. „Rede mit mir“, sagte er plötzlich. Es hörte sich nicht nach einem Befehl an, sondern nach einer Bitte. Einer ehrlichen Bitte. „Ich… ich…“, ich wusste nicht was ich sagen sollte. Ich hatte Angst vor meinen eigenen Worten. Einst hatten diese drei Worte, die nun auf meiner Zunge brannten jemanden umgebracht. „Ich werde nicht sterben, egal was du sagst.“ Dieser Satz ließ mich zu ihm aufschauen. Ich krallte meine Finger fest in seinen Ärmel und legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab. „Ich liebe dich“, flüsterte ich. „Und ich hasse dich.“ Ja, so war das. Es gab nichts anderes. Liebe und Hass, verschmolzen zu einem gemeinsamen überwältigendem Gefühl. Ich wusste, ich würde ihm nie entkommen. Das Schicksal hatte uns zusammengebracht. Nur weil ich es nicht schon vorher erkannt hatte, musste Yugi sterben. Mein kleiner unschuldiger Engel. Verzeih, ich habe mich dem Teufel höchstpersönlich gegeben. „Ich weiß“, erwiderte er tonlos. Es war eine Antwort, die mich glücklich machte. War ich überhaupt noch normal? Ich sah meinen toten Exfreund und freute mich über wortkarge Erwiderungen. Und ich war frisch aus einer psychiatrischen Klinik, nicht zu vergessen. Und obwohl ich das alles war, zog er mein Kinn sanft zu sich hoch und küsste mich. Wir saßen noch eine Weile im ruhigen Park. Ich hatte mich an ihn gelehnt und der leichte Wind spielte mit unseren Haaren. Genau vor uns stand er da und beobachtete uns traurig. Ich war entschlossen. Sein Blick und die Wärme von Setos Körper festigten nur meine Entscheidung. „Lass uns sein Grab besuchen.“ „Du willst, dass ich mitgehe?“, in Setos Stimme lag ganz offen Verwunderung. Ich hätte es selbst nicht von mir gedacht, dass ich unbedingt mit ihm Yugis Grab besuchen gehen würde. Doch das war das einzig Richtige. „Ja“, sagte ich eisern. „Gut“, war seine schlichte Antwort. Wir gingen an einem Blumenladen vorbei und ich kaufte eine Rose, eine weiße. Es war vorbei. Yugi war tot. Ich konnte nichts daran ändern, ich musste es einsehen. Ich würde nicht sterben. Seto würde mich nicht loslassen. Und ich wusste, es war besser so. Ich wusste auch, dass mich Yugi weiterhin verfolgen würde. Es war eine unheilbare Krankheit. Zumindest wollte ich es glauben, dass es eine Krankheit war. Irgendwo in mir drin gab es einen Teil, der immer noch glaubte es wäre Yugis Geist. Doch mein kranker Verstand sagte mir, es sei nur eine Wahnvorstellung. Ich nahm mir fest vor, eines Tages mit ganzem Herzen daran zu glauben. Ich würde für immer Yugi lieben. Auf eine unschuldige und reine Art. Ich würde ihn nie vergessen. Doch wollte ich nicht ewig nur in Erinnerungen an ihn leben. Ich konnte es nicht. Seto würde sie immer wieder zerstören, würde mich zurück in die Realität holen. Er würde es durch Schmerzen tun. Er würde all die seelischen Wunden aufreißen nur um mich an sich zu binden, nur um mich zurückzuholen. Ein sanftes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich war wirklich nicht normal. Wir waren am Friedhof angekommen, als es schon anfing zu dämmern. Der Horizont färbte sich rot und die Sonne setzte ihren letzten Abschnitt des täglichen Weges an. Nach einigen Schritten standen wir schon vor Yugis Grab. Es sah sauber und gepflegt aus, frische Blumen lagen davor. Jemand kümmerte sich wohl darum. Wahrscheinlich Yugis Großvater, oder doch Joey? Ich wusste es nicht. Es war auch egal. Ich würde so oder so keinen von ihnen je wieder sehen. Ich kniete mich nieder und legte die weiße Rose neben die anderen Blumen. Tränen fanden wieder ihren Weg nach draußen. Doch ich konnte spüren, dass Seto hinter mir stand. Ich erhob mich und flüsterte leise: „Verzeih. Ich liebe dich.“ Setos starke Hand legte sich auf meine Schulter und er zog sich zu mir. Ich spürte seine Wärme und sie gab mir das Gefühl der absoluten Sicherheit und Geborgenheit. Ich ließ meinen Blick in den Himmel gleiten und hauchte ein „Lebe wohl“. Schweigsam verließen wir den Friedhof, wobei ich mich wieder an Setos Ärmel festhielt. Ich sah ihn. Er weinte bitter und sein Blick zeigte Wut. Er fühlte sich verraten. Doch ich konnte ihn nicht trösten. Wir waren in Setos Villa angekommen. Den ganzen Weg über hatten wir nur geschwiegen und nun lagen wir auf seinem Bett. Und ich wusste, dies würde das letzte Mal sein, dass er zärtlich zu mir war. *** Es war Donnerstag. Ein Tag nach meiner Entlassung. Ein ganz normaler Arbeitstag. Ich schaute ihm zu wie er seinen Kaffe trank und die Börsenseite der Zeitung durchging. Ich war früh aufgestanden und war halb verängstigt nach unten gestürmt, als ich bemerkte, dass der Platz neben mir leer war. Ich fand mich einige Augenblicke später in der Küche wieder, wo ich erleichtert Seto anblickte. Der hob nur irritiert die Augenbraue und musterte mich. Ich war schweißgebadet und atmete schwer. Panikattacken waren wohl vorprogrammiert gewesen in diesem großen einsamen Haus. „Alles in Ordnung?“, fragte er skeptisch. Ich sah wohl nicht danach aus. „J-Ja…“ „Ich fahre in zwanzig Minuten zur Arbeit. Wo ich auch den ganzen Tag verbringen werde“, sagte er kühl und bedachte mich eines abschätzendes Blickes. Mit geknickten Kopf setzte ich mich an den Tisch und aß mein mageres Frühstück. Ich hatte nicht wirklich Hunger, doch ich wusste, dass ich Essen brauchte... Aus den Augenwinkeln beobachtete ich meinen kleinen Teufel, wie dessen Blick in der Zeitung von oben nach unten, von rechts nach links, wanderte... Einen ganzen Tag alleine. „Willst du mit, zur Arbeit?“ Ich glaube mein Unterkiefer klappte nach unten. Auf jeden Fall hatte ich das Gefühl, dass meine Augen gleich heraus fallen würden. Seto schaute mich unbeeindruckt an. Diesem Mann war es hoffentlich schon klar, dass er mir gerade angeboten hatte mit zur Arbeit zu fahren, was er sonst nie in seinem Leben jemanden jemals vorgeschlagen hatte und das beängstigende daran war, dass er das auch noch in einem besorgten Tonfall getan hatte, was soviel wie einen bevorstehenden Weltuntergang bedeutete. Gut. Meine Reaktion war übertrieben. Aber dieser Sadist, der nichts mehr liebte, als solche Leute wie mich zu verletzten und leiden zu sehen, hatte sich gerade Sorgen gemacht. Als ob er meine Gedanken lesen konnte, wandten sich seine Mundwinkel zu einem hämischen Grinsen. „Was ist nun?“ Sein Tonfall hatte etwas Provokantes an sich. Doch meine Antwort war, für mich, noch überraschender als seine Frage. „Ich fahr mit!“ Kurz funkelte ich Seto an und rannte dann wieder nach oben, um mich so schnell wie möglich fertig zu machen, bevor ich fertig gemacht werden würde, weil ich so lange trödelte. Ich benehme mich wie ein Kind, war mein einziger Gedanke. Wir waren am Hauptgebäude von Kaibas Firma angekommen. Einem riesigen Glasklomplex, das aus seiner Umgebung herausragte, wie eine Insel aus dem Meer. Jeder der Angestellten verbeugte sich vor Seto, ein klares „Guten Morgen!“ rufend. Mich beäugten sie entweder misstrauisch, oder ungläubig. War es so eine Seltenheit, dass Seto jemanden mit sich zur Arbeit brachte? Vor allem wenn er so angezogen war wie ich… Schwarze Lederhose, ein anliegendes T-Shirt, ebenfalls in schwarz. Und ein silberner Drache um den Hals. So was dürfte wohl wirklich nicht oft vorgekommen sein. Wir stiegen in den Aufzug und er drückte auf den obersten Knopf. Ich musterte ihn. Seine Gesichtsmuskeln waren angespannt und der Blick ernst. Er schaute sich nicht um, nur starr die Wand an. Kaiba bei der Arbeit – das war eine Welt für sich. Ich zuckte und griff automatisch nach Setos Hand. Zwei Amethyste starrten mich anklagend an. Seto wandte seinen Kopf zu mir und seine Hand strich mir durchs Haar. „Wir sind gleich da“, sagte er leise. Die Tür ging auf und ich huschte so schnell es ging aus dem Fahrstuhl. Seto war neben mir und rief irgendwas seiner Sekretärin zu, die mich verwirrt ansah. Ich registrierte weder seine Worte, noch den Blick. Ich starrte vor mich hin, in der Angst ihn zu sehen, wenn ich wieder zurückschauen würde. Seto griff nach meiner Hand und zog mich in sein Büro. Ich blickte mich, immer noch leicht panisch, um. Es war schlicht eingerichtet, doch mit Stil. Ein Schreibtisch, mit einem Laptop und vielen Stapeln Papier darauf. Ein schwarzer Drehstuhl, hellblau gestrichene Wände, ein Regal und eine schwarze Ledercouch. Couch? Wozu denn das? „Ich übernachte manchmal hier“, erklärte der Brünette, meinen verwirrten Blick bemerkend. Ich setzte mich auf die Couch, während Seto sich an seinen Laptop heranmachte. Ich beobachtete jede seiner Bewegungen, sein konzentriertes Gesicht, sah wie seine Brust sich leicht hob und senkte. Es war mir klar wie es weiter gehen würde. Er würde mich jetzt an sich binden, sorgsam sein, nur um mich dann wieder fallen zu lassen. Er würde vor meinen Augen mit anderen flirten, ihnen seine Zunge in den Hals stecken, nur um mir dann süße Worte ins Ohr zu hauchen, während mein Körper unter ihm erzitterte. Und im Moment der Lust, während ich genüsslich aufstöhnte, würde ich jedem seiner Worte Glauben schenken. Er würde mich markieren, jeden mit einem tödlichen Blick verscheuchen, der mir zu nahe kommen würde. Er würde mich verletzten, nur um mich dann zu heilen. Er würde seine ganzen Spielzeuge an mir ausprobieren, er würde mir Angst einflößen, während ein wohliger Schauer über meinen Rücken jagen würde. Es würde sich alles wiederholen. Er würde gehen und wiederkehren. So war er nun Mal. Mein geliebter und so gehasster Teufel. Es war seine Art zu Lieben, sagte mir mein Verstand, doch mein Herz konnte es nicht glauben. Konnte ich denn wirklich diesem Sadist vertrauen? War ich denn nun ein Masochist? Meine Hände zitterten leicht als ich mich von der Couch erhob. Ich setzte mich auf seinen Schoss, legte meine Arme um ihn, den Kopf auf seiner Schulter ab. „Ist er da?“, fragte er mich ernst. „Ja… er schaut uns zu und weint bittere Tränen, blutige Tränen.“ „Kannst du damit leben?“ Und schon wieder schwankte ein besorgter Unterton in seiner Stimme mit. Wie lange ich ihn wohl noch hören würde? „Muss ich wohl.“ Ich lauschte zufrieden seinem Herzschlag und dem schnellen Tippen der Tastatur. „Liebst du mich?“ Die Frage war über meine Lippen gekommen ohne dass ich sie zurückhalten hätte können. Ich hatte nicht einmal die Frage in meinen Gedanken zu Ende formuliert, als sie schon seine Sinne erreicht hatte. Er legte seine Arme um mich und streichelte mir über den Rücken. „Du weißt ich würde so etwas nie sagen. Doch…“ Ich hob meinen Kopf und sah direkt in seine bodenlosen Augen, die mich immer durchschauten. „Doch ich habe dich jeden Tag im Krankenhaus besucht, vor und nach deinem Aufwachen. Ich habe jeden Tag in der Klinik angerufen. Ich habe dich nach deinem Wunsch nach Hause geholt. Ich habe mit dir einen ganzen Tag verbracht und dabei auf das Auto verzichtet. Ich war mit dir auf einem Friedhof und du bist der einzige, der jemals Zutritt zu meinem Büro hatte, während ich arbeite! Denk mal jetzt logisch nach.“ Ich schmunzelte und mein Schmunzeln ging in ein glückliches Lächeln über. Ich legte meine Lippen zärtlich auf seine und unser Kuss besiegelte die Antwort. Unsere Zungen spielten mit einander, kämpften und der Kuss wurde immer leidenschaftlicher. Sollte sich doch die Zärtlichkeit zum Teufel scheren, dann war ich eben ein Masochist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)